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»Nein, danke«, sagte Jane mit Nachdruck und fügte hinzu: »Ich bin es gewohnt, allein zu sein.«
»Ich weiß«, sagte Mark abwehrend. »Zurzeit ist im College der Teufel los. Hauptsächlich aus diesem Grund überlege ich auch, eine neue Stelle anzunehmen.«
Jane schwieg.
»Hör zu«, sagte Mark, richtete sich mit einem Ruck auf und schwang seine Beine aus dem Bett. »Es hat keinen Sinn, um den heißen Brei herumzureden. Ich gehe nicht gern fort, wenn du in diesem Zustand bist …«
»In welchem Zustand?« fragte Jane, die sich nun umwandte und ihn zum ersten Mal ansah.
»Nun – ich meine … ein bisschen nervös, wie es jeder manchmal ist.«
»Weil ich zufällig einen Albtraum hatte, als du gestern Abend – oder, besser gesagt, heute Morgen nach Haus kamst, brauchst du noch nicht so zu tun, als ob ich eine Neurasthenikerin wäre.« Das war ganz und gar nicht, was Jane hatte sagen wollen.
»Es hat doch keinen Sinn, gleich loszulegen, als ob …«, begann Mark.
»Als ob was?« fragte Jane eisig, und bevor er etwas erwidern konnte, fuhr sie fort: »Wenn du meinst, ich werde verrückt, kannst du ja Brizeacre kommen und mich einweisen lassen. Es wäre günstig, es während deiner Abwesenheit zu erledigen. Sie könnten mich ohne großes Aufhebens abtransportieren, während du bei Mr. Wither bist. Ich werde mich jetzt um das Frühstück kümmern. Wenn du dich nicht schnell rasierst und anziehst, bist du nicht fertig, wenn Lord Feverstone kommt.«
Das Ergebnis war, dass Mark sich beim Rasieren einen sehr bösen Schnitt zuzog (und sich sofort vorstellte, wie er, einen großen Wattebausch auf der Oberlippe, mit dem überaus bedeutenden Mr. Wither sprach), während Jane aus verschiedenen Gründen beschloss, Mark ein ungewöhnlich reichhaltiges Frühstück zu bereiten – lieber wäre sie gestorben, als selbst davon zu essen. Sie tat das mit den schnellen, geschickten Bewegungen einer zornigen Frau, nur um im letzten Moment alles über dem neuen Herd zu verschütten. Sie saßen noch am Frühstückstisch und taten beide so, als läsen sie Zeitung, als Lord Feverstone kam. Bedauerlicherweise traf Mrs. Maggs gleichzeitig mit ihm ein. Mrs. Maggs war jenes Element in Janes Haushalt, das sie mit der Redewendung zu umschrei-ben pflegte: »Ich habe eine Frau, die zweimal in der Woche kommt.« Zwanzig Jahre früher hätte Janes Mutter eine solche Frau einfach mit »Maggs« angeredet und wäre ihrerseits als »Madam« tituliert worden. Aber Jane und ihre Zugehfrau nannten einander Mrs. Maggs und Mrs. Studdock. Sie waren ungefähr gleichaltrig, und das Auge eines Junggesellen hätte in der Art, sich zu kleiden, keinen großen Unterschied gesehen. So war es vielleicht nicht unentschuldbar, dass Feverstone, als Mark ihn seiner Frau vorstellen wollte, Mrs. Maggs die Hand schüttelte; aber es machte die letzten Minuten, bevor die beiden Männer wegfuhren, nicht gerade angenehmer.
Unter dem Vorwand, einkaufen zu gehen, verließ Jane gleich darauf ebenfalls die Wohnung. »Ich könnte Mrs. Maggs heute wirklich nicht ertragen«, sagte sie zu sich selbst. »Sie ist furchtbar geschwätzig.« Das war auch Lord Feverstone – dieser Mann mit dem lauten, unnatürlichen Lachen, dessen Mund an einen Hai erinnerte, der offensichtlich keine Manieren hatte und zudem anscheinend ein ziemlicher Dummkopf war. Was konnte es Mark nützen, mit einem solchen Mann zu verkehren? Sein Gesicht hatte Janes Misstrauen geweckt. Sie hatte einen Blick dafür – er wirkte irgendwie verschlagen. Wahrscheinlich hielt er Mark zum Narren. Mark war so leicht hereinzulegen. Wäre er bloß nicht in Bracton! Es war ein grässliches College. Was fand Mark nur an Leuten wie Mr. Curry und dem abscheulichen alten Geistlichen mit dem Bart? Und was war mit dem Tag, der ihr bevorstand, und der Nacht, und so weiter – denn wenn Männer sagen, dass sie möglicherweise zwei Nächte ausbleiben, dann bedeutet das mindestens zwei Nächte und wahrscheinlich eine ganze Woche. Ein Telegramm (niemals ein Ferngespräch) brachte das für sie in Ordnung. Sie musste etwas tun. Sie dachte sogar daran, Marks Rat zu befolgen und Myrtle einzuladen. Aber Myrtle war ihre Schwägerin, Marks Zwillingsschwester, und sie blickte viel zu ehrfürchtig zu ihrem erfolgreichen Bruder auf. Sie würde über Marks Gesundheit und seine Hemden und Socken reden, und in allem würde eine unausgesprochene, aber unverkennbare Verwunderung über Janes Glück mitschwingen, einen solchen Mann geheiratet zu haben. Nein, bestimmt nicht Myrtle. Dann dachte sie daran, als Patientin Dr. Brizeacre aufzusuchen. Er war ein Bracton-Mann und würde ihr deshalb wahrscheinlich nichts berechnen. Aber als sie sich vorstellte, wie sie ausgerechnet Brizeacre die Art von Fragen beantworten sollte, die er mit Gewissheit stellen würde, erwies sich dieses Unterfangen als unmöglich. Aber sie musste etwas tun. Schließlich entdeckte sie gewissermaßen zu ihrer eigenen Überraschung, dass sie beschlossen hatte, nach St. Anne’s hinauszufahren und Miss Ironwood aufzusuchen. Sie kam sich ziemlich töricht vor.
4 _______
Ein Beobachter hoch über Edgestow hätte an diesem Tag weit im Süden einen Punkt sehen können, der sich auf einer Landstraße vorwärts bewegte, und später – im Osten und näher zum silbernen Band des Wynd – den viel langsamer dahinziehenden Rauch eines Zuges.
Der Punkt war der Wagen, der Mark Studdock zum Blutspendezentrum in Belbury brachte, dem vorläufigen Sitz der N.I.C.E.-Zentrale. Größe und Art des Wagens hatten vom ersten Augenblick an Eindruck auf ihn gemacht. Die Polsterung war hervorragend, weich und einladend. Und welch herrliche männliche Kraft (Mark war des weiblichen Geschlechts momentan überdrüssig) sprach aus den Gesten, mit denen Feverstone es sich hinter dem Lenkrad bequem machte, den Ellbogen lässig auflegte und die Pfeife fest zwischen die Zähne klemmte! Die Geschwindigkeit des Wagens war selbst in den schmalen Straßen von Edgestow beeindruckend, und das Gleiche galt für die lakonische Kritik, mit der Feverstone andere Fahrer und Fußgänger bedachte. Als sie den Bahnübergang und Janes altes College (St. Elizabeth’s) hinter sich gelassen hatten, zeigte er, was in seinem Wagen steckte. Sie fuhren so schnell, dass selbst auf der fast leeren Landstraße die unverzeihlich schlechten Autofahrer, die offensichtlich schwachsinnigen Fußgänger und Leute mit Pferden, die Hühner, die sie tatsächlich überfuhren, und die Hunde und Hühner, die, wie Feverstone erklärte, »noch mal verdammtes Glück gehabt hatten«, fast ununterbrochen aufeinander zu folgen schienen. Telegrafenmasten rasten vorbei, Brücken rauschten über ihnen hinweg, Dörfer blieben zurück und verschmolzen mit der bereits hinter ihnen liegenden Landschaft. Mark, trunken von der frischen Luft und von Feverstones unverschämtem Fahrstil fasziniert und abgestoßen zugleich, saß da und sagte »ja« und »ganz recht« und »sie sind selbst schuld« und warf seinem Begleiter verstohlene Seitenblicke zu. Welche Abwechslung von der geschäftigen Wichtigtuerei Currys und des Schatzmeisters! Die lange gerade Nase und die aufeinander gepressten Zähne, die harten knochigen Gesichtszüge, die Art und Weise, wie er seine Kleider trug: all das zeugte von einem großen Mann, der einen großen Wagen irgendwohin fuhr, wo große Dinge vor sich gingen. Und er, Mark, sollte dazugehören. Ein- oder zweimal blieb sein Herz beinahe stehen, und er fragte sich, ob Lord Feverstone für seine Fahrkünste nicht doch zu schnell fuhr. »Eine Kreuzung wie die braucht man nie ernst zu nehmen«, rief Feverstone, als sie, wieder um Haaresbreite einem Zusammenstoß entgangen, weiterjagten. »Ganz recht«, brüllte Mark zurück. »Hat keinen Zweck, einen Kult damit zu treiben!«
»Fahren Sie selbst?«, fragte Feverstone. »Früher ziemlich viel«, sagte Mark.
Der Rauch, den unser imaginärer Beobachter im Osten von Edgestow gesehen hätte, kam von dem Zug, in dem Jane Studdock langsam auf das Dorf St. Anne’s zufuhr. Für diejenigen, die mit der Eisenbahn aus London kamen, schien Edgestow die Endstation zu sein; aber wenn man umherblickte, konnte man auf einem Nebengleis einen kleinen Zug mit zwei oder drei Personenwagen und einem Kohlenwagen sehen – einen Zug, der zischte, unter dessen Trittbrettern Dampf hervorquoll und in dem die meisten Fahrgäste sich zu kennen schienen. An manchen Tagen wurde an Stelle des dritten Wagens ein Güterwagon angehängt, und auf dem Bahnsteig davor standen Kisten und Körbe mit toten Kaninchen oder lebendem Geflügel, beaufsichtigt von Männern mit braunen Hüten und Gamaschen und vielleicht einem Terrier oder Schäferhund, die an das Reisen gewöhnt schienen. In diesem Zug, der Edgestow täglich um halb zwei verließ, ratterte und schlingerte Jane einen Bahndamm entlang, von dem aus sie durch kahle Äste und mit roten und gelben Blättern gesprenkelte Zweige geradewegs in den Bragdon-Wald hinabsehen konnte; dann ging es weiter durch eine Schneise, über den Bahnübergang bei Bragdon-Camp, am Rand des Brawell-Parks entlang (der Landsitz war nur von einer Stelle aus kurz zu sehen) und zum ersten Halt Dukes Eaton. Hier kam der Zug wie in Woolham, Cure Hardy und Fourstones mit einem kleinen Ruck und einer Art Seufzer zum Stehen. Man hörte das Klappern leerer Milchkannen, schwere Stiefel knirschten auf dem Bahnsteig, und dann gab es eine längere Pause, während der die Herbstsonne warm durch die Zugfenster schien und die Gerüche aus den Wäldern und Feldern hinter dem winzigen Bahnhof in die Wagons drangen und die Bahn als einen Teil der Landschaft zu beanspruchen schienen. Bei jedem Halt stiegen Fahrgäste ein und aus; rotbackige Männer und Frauen mit Gummistiefeln und imitierten Früchten auf den Hüten und Schuljungen. Jane nahm kaum Notiz von ihnen; denn obgleich sie theoretisch eine extreme Demokratin war, war sie außer in Büchern noch nie mit einer anderen als ihrer eigenen sozialen Schicht in Berührung gekommen. Und zwischen den Stationen glitten Dinge vorbei, so losgelöst aus ihrem Zusammenhang, dass jedes von ihnen irgendeine unirdische Glückseligkeit zu verheißen schien, wenn man nur in genau diesem Augenblick hätte aussteigen und es ergreifen können: ein Haus, umgeben von einer Reihe von Heuhaufen und weiten braunen Feldern, zwei alte Pferde Kopf an Kopf, ein kleiner Obstgarten, in dem Wäsche auf der Leine hing, und ein Feldhase, der auf den Zug starrte und dessen steil aufgestellte Ohren mit den Augen darunter wie ein doppeltes Ausrufungszeichen aussahen. Um Viertel nach zwei traf Jane in St. Anne’s ein, der Endstation, dem Ende der Welt überhaupt. Als sie aus dem Bahnhof heraustrat, schlug ihr kalte Luft erfrischend entgegen.
Obwohl der Zug während des letzten Teils der Reise mühsam bergauf gekeucht und geschnauft war, musste Jane noch ein Stück zu Fuß aufsteigen, denn St. Anne’s war eines jener in Irland häufiger als in England anzutreffenden Dörfer, die auf einer Hügelkuppe liegen und deren Bahnstation ein gutes Stück vom Ort entfernt ist. Zwischen hohen Böschungen führte eine gewundene Straße bergauf. Sobald Jane an der Kirche vorbei war, bog sie beim sächsischen Kreuz nach links ab, wie Mutter Dimble sie angewiesen hatte. Zu ihrer Linken gab es keine Häuser, nur eine Reihe Buchen und einen nicht eingezäunten, steil abfallenden Acker. Dahinter erstreckte sich – in der Ferne blau – die bewaldete mittelenglische Ebene, so weit das Auge reichte. Jane stand auf der höchsten Erhebung dieser Gegend. Bald kam sie zu einer hohen Mauer, die den Weg zur Rechten ein gutes Stück weit säumte. In dieser Mauer befand sich eine Tür und daneben ein alter eiserner Glockenzug. Sie war ein wenig niedergeschlagen und sicher, umsonst gekommen zu sein. Dennoch läutete sie. Als das scheppernde Geräusch verklungen war, war es so lange still und so kalt auf dieser Kuppe, dass Jane sich fragte, ob das Haus überhaupt bewohnt sei. Dann, als sie gerade überlegte, ob sie noch einmal läuten oder fortgehen solle, hörte sie hinter der Mauer lebhafte Schritte näher kommen.
Unterdessen war Lord Feverstones Wagen längst in Belbury eingetroffen – einem prunkvollen Herrensitz, der für einen Millionär und Bewunderer von Versailles erbaut worden war. Zu beiden Seiten wucherten neuere, weitläufige Betongebäude, die das Blutspendezentrum beherbergten.
3 Belbury und St. Anne’s on the Hill
Als Mark Studdock die breite Treppe hinaufstieg, sah er sich und seinen Begleiter in einem Spiegel. Feverstone war wie immer Herr der Lage, selbstsicher und von lässiger Eleganz. Der Wattebausch auf Marks Oberlippe war während der Autofahrt verrutscht und sah wie die eine Hälfte eines keck aufgezwirbelten falschen Schnurrbarts aus, unter dem ein wenig schwärzliches Blut hervorschaute. Gleich darauf standen sie in einem großen Raum mit hohen Fenstern und einem lodernden Kaminfeuer, und Feverstone stellte ihn John Wither vor, dem stellvertretenden Direktor des Instituts.
Wither war ein weißhaariger alter Mann mit höflichen Manieren. Sein Gesicht war glatt rasiert und sehr groß, er hatte wässrige blaue Augen und einen unbestimmten, unruhigen Ausdruck. Er schien ihnen nicht seine ganze Aufmerksamkeit zuzuwenden, und ich denke, dieser Eindruck war den Augen zuzuschreiben, denn seine Worte und Gesten waren beinahe übertrieben höflich. Er sagte, es sei ihm ein großes, ein sehr großes Vergnügen, Mr. Studdock in ihrem Kreis willkommen zu heißen. Er fühle sich Lord Feverstone dadurch zu noch größerem Dank verpflichtet, als er ihm ohnedies schon schulde. Er hoffte, sie hätten eine angenehme Reise gehabt. Mr. Wither schien der Meinung zu sein, dass sie mit dem Flugzeug gekommen und, als dies richtig gestellt war, dass sie mit dem Zug aus London eingetroffen seien. Dann erkundigte er sich, ob Mr. Studdock sich in seinem Quartier auch wirklich wohl fühle, und musste daran erinnert werden, dass sie gerade erst angekommen waren. Mark vermutete, dass der alte Mann ihm die Befangenheit nehmen wollte, doch in Wirklichkeit hatten Mr. Withers Worte genau den gegenteiligen Effekt. Mark wünschte, er würde ihm eine Zigarette anbieten. Seine wachsende Überzeugung, dass dieser Mann in Wirklichkeit nichts über ihn wusste, und sein Gefühl, dass Feverstones scheinbar so durchdachte Pläne und Versprechungen sich hier in eine Art Nebel auflösten, waren äußerst unangenehm. Schließlich nahm er sich ein Herz und versuchte, Mr. Wither zur Sache zu bringen, indem er sagte, dass ihm noch immer nicht ganz klar sei, in welcher Eigenschaft er dem Institut nützlich sein könne.
»Ich versichere Ihnen, Mr. Studdock«, sagte der Vizedirektor mit einem ungewöhnlich geistesabwesenden Blick, »dass Sie in diesem Punkt nicht die geringsten … äh … Schwierigkeiten zu befürchten haben. Es ist nie daran gedacht worden, Ihren Aktivitäten und Ihrem allgemeinen Einfluss auf die Politik des Instituts irgendwelche Grenzen zu setzen, ohne Ihre eigenen Ansichten und Ihren eigenen Rat so weitgehend wie möglich zu berücksichtigen. Dies gilt selbstverständlich erst recht für die Beziehungen zu Ihren Kollegen und für das, was ich ganz allgemein die Richtlinien nennen möchte, unter denen Sie mit uns zusammenarbeiten würden. Sie werden feststellen, Mr. Studdock, dass wir hier in Belbury, wenn ich einmal so sagen darf, eine sehr glückliche Familie sind.«
»Oh, bitte verstehen Sie mich nicht falsch, Sir«, sagte Mark. »Das habe ich gar nicht gemeint. Ich meinte nur, dass ich gern eine Vorstellung von der Arbeit hätte, die ich tun müsste, wenn ich zu Ihnen käme.«
»Nun, wenn Sie überlegen, zu uns zu kommen«, sagte der Vizedirektor, »dann ist da ein Punkt, über den es hoffentlich kein Missverständnis geben wird. Ich denke, wir sind übereingekommen, dass die Frage des Wohnsitzes keiner Erörterung bedarf – ich meine, nicht in diesem Stadium. Wir haben gedacht, wir alle haben gedacht, dass Sie völlig frei sein sollten, in Ihrer Arbeit fortzufahren, wo immer Sie wollen. Wenn Sie in London oder Cambridge bleiben möchten …«
»Edgestow«, warf Lord Feverstone ein.
»Ach ja, Edgestow.« Der stellvertretende Direktor wandte sich zu Feverstone. »Ich erkläre Mr. … äh … Studdock gerade, und Sie werden mir sicherlich zustimmen, dass dem Aus-schuss nichts ferner liegt, als Mr. … Ihrem Freund vorzuschreiben oder auch nur anzuraten, wo er wohnen soll. Wo immer er lebt, wir werden ihm selbstverständlich Beförderungsmittel in der Luft und zu Lande zur Verfügung stellen. Ich nehme an, Lord Feverstone, Sie haben ihm bereits erläutert, dass alle Fragen dieser Art sich ohne die geringste Schwierigkeit von selbst regeln werden.«
»Wirklich, Sir«, sagte Mark, »daran habe ich überhaupt nicht gedacht. Ich habe – ich meine, ich hätte keinerlei Einwände gegen diesen oder jenen Wohnort. Ich wollte nur …«
Der stellvertretende Direktor unterbrach ihn mit so sanfter Stimme, dass man kaum von einer Unterbrechung sprechen konnte. »Aber ich versichere Ihnen, Mr. … äh … ich versichere Ihnen, Sir, Sie können Ihren Wohnsitz haben, wo immer es Ihnen angenehm erscheint. Es wurde niemals, in keinem Stadium des Projekts, die leiseste Andeutung gemacht …« Aber hier wagte Mark es beinahe verzweifelt, seinerseits den anderen zu unterbrechen.
»Ich wollte nur etwas mehr Klarheit über die genaue Art der Arbeit«, sagte er, »und über die erforderliche Qualifikation.«
»Mein lieber Freund«, sagte Wither, »auch in dieser Hinsicht brauchen Sie sich keinerlei Sorgen zu machen. Wie ich schon sagte, Sie werden eine glückliche Familie kennen lernen und können überzeugt sein, dass niemand auch nur den geringsten Zweifel an Ihrer Eignung hegt. Ich würde Ihnen keine Position bei uns anbieten, wenn auch nur die geringste Gefahr bestünde, dass Sie nicht allen von uns willkommen wären oder dass man Ihre sehr wertvollen Fähigkeiten nicht von Grund auf zu schätzen wüsste. Sie sind – Sie sind hier unter Freunden, Mr. Studdock. Ich wäre der Letzte, der Ihnen raten würde, sich mit irgendeiner Organisation zu verbinden, bei der Sie Gefahr liefen, sich unerfreulichen … äh … persönlichen Kontakten auszusetzen.«
Mark fragte nicht weiter nach, was für eine Arbeit das N.I.C.E. von ihm verlangte; teils, weil er langsam befürchtete, dass man davon ausging, dass er das bereits wisse, und teils, weil eine ganz direkte Frage in diesem Raum derb und ungehobelt klingen würde und ihn plötzlich von der warmen und beinahe betäubenden Atmosphäre unbestimmter und doch bedeutsamer Vertraulichkeit, die ihn allmählich umhüllte, hätte ausschließen können.
»Sie sind sehr freundlich«, sagte er. »Das Einzige, worüber ich gern etwas mehr Klarheit hätte, ist das genaue – nun, das eigentliche Arbeitsgebiet meiner künftigen Stellung.«
»Also«, sagte Mr. Wither so leise und weich, dass es fast wie ein Seufzer klang, »ich bin sehr froh, dass Sie diesen Punkt ganz zwanglos angesprochen haben. Natürlich läge es weder in Ihrem noch in meinem Interesse, wenn wir uns jetzt in irgendeinem Sinne festlegten, der die Machtbefugnisse des Ausschusses verletzen würde. Ich verstehe Ihre Beweggründe und … äh … respektiere sie. Selbstverständlich sprechen wir nicht von einer Stellung im gewissermaßen technischen Sinne des Worts; das wäre für uns beide unpassend, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, oder könnte doch zu gewissen Unannehmlichkeiten führen. Aber ich denke, ich kann Ihnen mit aller Entschiedenheit versichern, dass niemand Sie in irgendeine Art von Zwangsjacke oder Prokrustesbett stecken will. Wir denken hier eigentlich nicht im Rahmen streng abgegrenzter Funktionen. Eine solche Auffassung liegt, wenn ich das richtig sehe, Männern wie Ihnen und mir eher fern. Jeder im Institut empfindet seine eigene Arbeit nicht so sehr als den Beitrag einer Abteilung zu einem bestimmten Zweck, sondern vielmehr als ein Moment oder eine Stufe in der fortschreitenden Entwicklung eines organischen Ganzen.«
Und Mark – Gott vergebe ihm, denn er war jung und schüchtern und eitel und furchtsam, alles zugleich – sagte: »Ich glaube, gerade das ist sehr wichtig. Die Flexibilität Ihrer Organisation ist eines der Dinge, die mich so reizen.« Danach hatte er keine Gelegenheit mehr, den stellvertretenden Direktor zum Kern der Sache zu bringen, und wann immer die langsame, sanfte Stimme verstummte, antwortete Mark auf dieselbe Art, anscheinend unfähig, sich anders zu verhalten, obwohl er sich immer wieder die quälende Frage stellte, worüber sie eigentlich redeten. Am Ende des Gesprächs gab es dann noch einen klaren Punkt. Mr. Wither meinte, es sei für ihn, Mark, bequemer, dem Club des Instituts beizutreten. Denn schon vom ersten Tag an habe er als Mitglied mehr Bewegungsfreiheit als ein Gast. Mark war einverstanden und errötete dann wie ein kleiner Junge, als er erfuhr, die einfachste Möglichkeit sei der Erwerb einer lebenslangen Mitgliedschaft zum Preis von zweihundert Pfund. Einen solchen Betrag hatte er gar nicht auf der Bank. Natürlich, wenn er den neuen Job mit den fünfzehnhundert im Jahr bekäme, wäre alles in Ordnung. Aber hatte er ihn? Gab es überhaupt einen Job?
»Wie dumm!«, sagte er laut. »Ich habe mein Scheckbuch nicht bei mir.«
Dann fand er sich mit Feverstone draußen auf der Treppe wieder.
»Nun?«, fragte er gespannt. Feverstone schien ihn nicht zu hören.
»Nun?«, wiederholte Mark. »Wann wird sich mein Schicksal entscheiden? Ich meine, habe ich den Job?«
»Hallo, Guy!«, rief Feverstone plötzlich einem Mann unten in der Eingangshalle zu. Im nächsten Moment war er die Treppe hinuntergelaufen, schüttelte seinem Bekannten herzlich die Hand und verschwand. Mark folgte ihm langsam und stand allein in der Eingangshalle herum, stumm und unsicher zwischen Gruppen und Paaren eifrig redender Männer, die alle nach links zu einer großen Schiebetür gingen.
2 _______
Er schien eine lange Zeit herumgestanden zu haben, ratlos, bemüht, sich natürlich zu geben und den Blick keines Fremden aufzufangen. Die Geräusche und angenehmen Düfte, die hinter der Schiebetür herkamen, zeigten an, dass die Leute dort ihr Mittagessen einnahmen. Mark zögerte, im Ungewissen über seinen Status. Schließlich sagte er sich, dass er nicht länger wie ein Trottel in der Halle herumstehen könne, und ging hinein.
Er hatte gehofft, es gebe mehrere kleine Tische, sodass er sich allein an einen von ihnen setzen konnte. Aber es gab nur eine einzige lange Tafel, die bereits so dicht besetzt war, dass er, nachdem er vergeblich nach Feverstone Ausschau gehalten hatte, sich neben einen Fremden setzen musste. »Ich nehme an, jeder setzt sich dorthin, wo er will?«, murmelte er, als er sich niederließ, doch der Fremde hörte ihn offensichtlich nicht. Er war ein geschäftiger Typ, der sehr hastig aß und gleichzeitig mit seinem Nachbarn auf der anderen Seite redete.
»Das ist es ja gerade«, sagte er. »Wie ich ihm sagte, mir ist es gleich, wie sie es regeln. Von mir aus können die IVD-Leute das Ganze übernehmen, wenn der VD es will, aber mir missfällt, dass ein Mann dafür verantwortlich sein soll, wenn die halbe Arbeit von jemand anderes getan wird. Ich habe ihm gesagt, dass er jetzt drei Abteilungsdirektoren hat, die sich nur gegenseitig auf die Füße treten und die gleiche Arbeit leisten, die ein Sachbearbeiter erledigen könnte. Es wird allmählich lächerlich. Denken Sie bloß daran, was heute Morgen passiert ist.«
Gespräche dieser Art wurden während der ganzen Mahlzeit geführt. Trotz des ausgezeichneten Essens und der hervorragenden Getränke war Mark erleichtert, als die Leute von den Tischen aufstanden. Er folgte dem allgemeinen Strom durch die Eingangshalle und kam in einen großen Gesellschaftsraum, wo Kaffee serviert wurde. Hier endlich sah er Feverstone wieder. Es wäre auch wirklich schwierig gewesen, ihn nicht zu sehen, denn er war der Mittelpunkt einer Gruppe und lachte schallend. Mark wäre gern auf ihn zugegangen, und sei es nur, um zu erfahren, ob er über Nacht bleiben solle und ob ihm ein Zimmer zugewiesen sei. Aber der Kreis um Feverstone bestand offenbar aus lauter Vertrauten, sodass Mark sich nicht einfach dazustellen wollte. Er ging zu einem der vielen Tische und blätterte in einem Hochglanzmagazin. Alle paar Sekunden blickte er auf, um zu sehen, ob es eine Gelegenheit gebe, mit Feverstone ein Wort unter vier Augen zu sprechen. Als er zum fünften Mal aufschaute, blickte er ins Gesicht eines seiner eigenen Kollegen, eines Professors vom Bracton College mit Namen William Hingest. Die Fortschrittlichen Kräfte nannten ihn unter sich Bill den Blizzard.
Hingest hatte, anders als Curry vermutet hatte, nicht an der Sitzung des Kollegiums teilgenommen. Mit Lord Feverstone sprach er kaum noch. Mark machte sich mit einer gewissen Ehrfurcht klar, dass hier ein Mann vor ihm stand, der direkte Verbindungen zum N.I.C.E. hatte – einer, der sozusagen von einem Punkt hinter Feverstone ausging. Hingest war Chemophysiker und einer der beiden Wissenschaftler am Bracton College, deren Namen auch außerhalb Englands bekannt waren. Ich hoffe, der Leser hat sich nicht zu der Annahme verleiten lassen, das Kollegium von Bracton sei eine besonders illustre Gesellschaft. Es lag gewiss nicht in der Absicht des Progressiven Elements, mittelmäßige Leute auf Lehrstühle zu berufen, aber ihre Entschlossenheit, nur »vernünftige Leute« zu wählen, engte ihre Auswahl sehr ein, und wie Busby einmal gesagt hatte: »Man kann nicht alles haben.« Bill der Blizzard hatte einen altmodisch gezwirbelten Schnurrbart, in dem das Weiß beinahe, aber noch nicht ganz, über das Gelb triumphierte, eine große Hakennase und einen kahlen Schädel.