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»Bald geht es los«, sagte Ransom.
»Erst wenn er – der Oyarsa – zurückkommt«, sagte ich, obwohl ich nun, da der Augenblick der Trennung so nahe war, wünschte, es wäre schon vorbei.
»Er hat uns gar nicht verlassen«, sagte Ransom. »Er war die ganze Zeit hier im Haus.«
»Sie meinen, er hat all diese Stunden im Nebenzimmer gewartet?«
»Nicht gewartet. Das kennen sie gar nicht. Sie und ich, wir wissen, dass wir warten, weil wir Körper haben, die müde oder unruhig werden, und darum empfinden wir das Verstreichen der Zeit. Außerdem unterscheiden wir zwischen Pflicht und Freizeit und haben daher den Begriff der Muße. Das ist bei ihm nicht so. Er war die ganze Zeit hier, aber das können Sie ebenso wenig ›Warten‹ nennen, wie Sie seine gesamte Existenz als ›Warten‹ bezeichnen können. Genauso gut könnten Sie sagen, ein Baum warte im Wald, oder das Sonnenlicht warte am Hang eines Berges.« Ransom gähnte. »Ich bin müde«, sagte er, »und Sie sind es auch. Ich werde in meinem Sarg dort gut schlafen. Kommen Sie, wir tragen ihn hinaus.«
Wir gingen ins Nebenzimmer, und ich musste mich vor der gesichtslosen Flamme aufstellen, die nicht wartete, sondern einfach war, und mit Ransom als Übersetzer wurde ich dort gewissermaßen vorgestellt und auf das große Vorhaben eingeschworen. Dann nahmen wir die Verdunkelung ab und ließen den grauen, trostlosen Morgen ein. Gemeinsam trugen wir Sarg und Deckel hinaus, die sich so kalt anfühlten, dass es uns die Finger zu verbrennen schien. Das Gras troff von Nachttau, und meine Schuhe waren sofort durchnässt. Der Eldil war mit uns dort draußen auf dem kleinen Rasenplatz; meine Augen konnten ihn im trüben Tageslicht kaum erkennen. Ransom zeigte mir die Verschlüsse des Deckels und wie er befestigt werden musste; dann standen wir eine Weile verloren herum, bis schließlich der letzte Augenblick kam. Er ging ins Haus und kam nackt wieder zum Vorschein, eine lange, weiße, fröstelnde, müde Vogelscheuche von einem Mann in der bleichen, nasskalten Morgenstunde. Sobald er in die abscheuliche Kiste gestiegen war, musste ich ihm eine dicke
Augenbinde anlegen. Dann legte er sich hin. Ich dachte jetzt nicht an den Planeten Venus und glaubte nicht wirklich, dass ich Ransom jemals wiedersehen würde. Hätte ich es gewagt, so wäre ich von dem ganzen Vorhaben zurückgetreten: Aber das andere Ding – das Wesen, das nicht wartete – war da, und die Furcht vor ihm lastete auf mir. Mit einem Gefühl, das
seitdem oft in Albträumen wiederkehrt, befestigte ich den kalten Deckel über dem lebendigen Mann und trat zurück. Im nächsten Augenblick war ich allein. Ich hatte nicht gesehen, wie er verschwand. Ich ging wieder hinein, und mir wurde übel. Einige Stunden später schloss ich das Haus ab und kehrte nach Oxford zurück.
Die Monate verstrichen, wurden zu einem Jahr und sogar noch etwas mehr. Es gab Bombenangriffe, schlimme Nachrichten und enttäuschte Hoffnungen, und die Erde war voller Finsternis und grausamer Heimsuchungen. Dann kam eines Nachts Oyarsa wieder zu mir. Humphrey und ich mussten in aller Eile aufbrechen, stundenlang in überfüllten Zügen stehen und in frühen Morgenstunden auf zugigen Bahnsteigen warten, bis wir schließlich im klaren Morgensonnenlicht in der kleinen Unkrautwildnis standen, zu der Ransoms Garten inzwischen geworden war, und einen schwarzen Punkt am Himmel sahen; und dann war die Kiste plötzlich beinahe lautlos zwischen uns herabgeglitten. Wir machten uns an die Arbeit, und nach etwa anderthalb Minuten hatten wir den Deckel geöffnet.
»Großer Gott! Ganz zerfetzt!«, rief ich beim ersten Blick ins Innere.
»Moment«, sagte Humphrey. Da begann die Gestalt in dem Sarg sich zu regen und richtete sich auf, wobei sie eine Menge rotes Zeug abschüttelte, das Kopf und Schultern bedeckt hatte und das ich im ersten Augenblick für Fleisch und Blut gehalten hatte. Als es herunterfiel und vom Wind davongetragen wurde, sah ich, dass es Blumen waren. Ransom blinzelte ein wenig, dann rief er uns beim Namen, streckte jedem von uns eine Hand entgegen und stieg heraus ins Gras.
»Wie geht es euch beiden?«, fragte er. »Ihr seht ziemlich mitgenommen aus.«
Ich schwieg einen Augenblick, verblüfft über die Gestalt, die aus diesem engen Gehäuse gestiegen war – beinahe ein neuer Ransom, strahlend vor Gesundheit, mit kräftigen Muskeln und scheinbar zehn Jahre jünger. Früher hatte er bereits ein paar graue Strähnen gehabt; doch nun war der Bart, der ihm bis auf die Brust reichte, wie aus reinem Gold.
»Oh, Sie haben sich in den Fuß geschnitten«, sagte Humphrey. Und dann sah auch ich, dass Ransom an der Ferse blutete.
»Brr, es ist kalt hier unten«, sagte Ransom. »Hoffentlich haben Sie den Boiler angezündet und heißes Wasser gemacht. Und etwas zum Anziehen könnte ich auch gebrauchen.«
»Ja«, sagte ich, während wir ihm ins Haus folgten. »Humphrey hat an alles gedacht. Ich fürchte, mir wäre es nicht eingefallen.«
Ransom verschwand im Badezimmer, ließ die Tür offen und war bald in dichte Dampfwolken gehüllt. Humphrey und ich unterhielten uns mit ihm vom Treppenabsatz aus. Wir stellten ihm so viele Fragen, dass er sie kaum beantworten konnte.
»Die Theorie von Schiaparelli ist ganz falsch«, rief er. »Es gibt dort einen gewöhnlichen Wechsel von Tag und Nacht.« Und: »Nein, meine Ferse tut nicht weh – oder jedenfalls noch nicht lange.« Und: »Danke, irgendwelche alten Sachen. Legen Sie sie einfach auf den Stuhl.« Und: »Nein, danke. Mir ist nicht nach Spiegeleiern und Schinken oder dergleichen. Obst ist nicht da, sagen Sie? Nun, macht nichts. Brot oder Haferbrei oder so etwas.« Und: »In fünf Minuten bin ich fertig.«
Immer wieder fragte er, ob es uns wirklich gut ginge, er meinte wohl, wir sähen krank aus. Ich ging hinunter, um Frühstück zu machen; Humphrey wollte bleiben und die Schnittwunde an Ransoms Ferse untersuchen und verbinden. Als er wieder zu mir kam, betrachtete ich gerade eine der roten Blüten, die in der Kiste gelegen hatten.
»Eine sehr schöne Blume«, sagte ich und reichte sie ihm.
»Ja«, sagte Humphrey und untersuchte sie mit den Händen und Augen eines Naturwissenschaftlers. »Welch außerordentliche Zartheit! Ein Veilchen wirkt daneben wie gemeines Unkraut.«
»Wir könnten ein paar von ihnen in Wasser legen.«
»Hat keinen Zweck. Sehen Sie – sie ist schon verwelkt.«
»Wie finden Sie Ransom?«
»Im Großen und Ganzen scheint er in bester Verfassung. Aber diese Ferse gefällt mir nicht. Er sagt, sie blute schon lange.«
Bald darauf gesellte Ransom sich fertig angezogen zu uns, und ich schenkte Tee ein. Den ganzen Tag und bis tief in die Nacht hinein erzählte er uns die folgende Geschichte.
3 _______
Wie es ist, in einem himmlischen Sarg zu reisen, hat Ransom nie beschrieben. Er sagte, er sei außer Stande dazu. Aber wenn er von ganz anderen Dingen sprach, machte er immer wieder die eine oder andere Andeutung über diese Reise.
Seiner Darstellung zufolge war er nicht im üblichen Sinne bei Bewusstsein, dennoch war es eine sehr deutliche Erfahrung ganz eigener Art. Bei einer anderen Gelegenheit hatte einmal jemand über Lebenserfahrung gesprochen und sich dabei ganz allgemein auf das Umherschweifen in der Welt und das Zusammentreffen mit fremden Menschen bezogen. B., der dabei war (er ist Anthroposoph), sagte etwas, an das ich mich nicht genau erinnern kann, in dem der Ausdruck ›Lebenserfahrung‹ aber eine ganz andere Bedeutung hatte. Ich glaube, er bezog sich auf eine Art der Meditation, die den Anspruch erhob, »die Gestalt des Lebens selbst« erfahrbar, dem inneren Auge sichtbar zu machen. Jedenfalls musste Ransom sich einem langen Kreuzverhör aussetzen, da er durchblicken ließ, dass er mit diesem Ausdruck eine ganz genaue Vorstellung verband. Als wir in ihn drangen, ging er sogar so weit, zu sagen, das Leben sei ihm in diesem Zustand als eine ›farbige Form‹ erschienen. Nach der Art der Farbe gefragt, sah er uns verwundert an und konnte nur sagen: »Welche Farben! Ja, welche Farben!« Aber dann machte er alles wieder zunichte, indem er hinzufügte: »Natürlich war es in Wirklichkeit gar keine Farbe. Ich meine, nicht, was wir Farbe nennen würden«, und an dem Abend keinen Ton mehr sagte. Eine andere Andeutung machte er, als ein skeptischer Freund namens McPhee Einwände gegen die christliche Doktrin von der Auferstehung des Fleisches vorbrachte. Zuerst war ich das Opfer McPhees gewesen, und er bedrängte mich in seiner schottischen Art mit Fragen wie: »Sie glauben also, Sie wer-den für ewige Zeiten Gedärme und Gaumen in einer Welt haben, in der es nichts zu essen gibt, und Geschlechtsorgane in einer Welt, in der niemand sich paart? Na, viel Vergnügen!« Da platzte Ransom plötzlich in großer Erregung heraus: »Sehen Sie denn nicht, Sie Esel, dass es einen Unterschied zwischen einem übersinnlichen und einem nichtsinnlichen Leben gibt?« Damit lenkte er natürlich McPhees Pfeile auf sich selbst. Schließlich kam heraus, dass Ransom zufolge die gegenwärtigen Funktionen und Triebe des Körpers verschwinden würden, nicht etwa, weil sie verkümmerten, sondern weil sie, wie er es ausdrückte, »überflutet« würden. Ich erinnere mich, dass er das Wort »übergeschlechtlich« gebrauchte und nach einer entsprechenden Bezeichnung für das Essen suchte (nachdem er das Wort »transgastronomisch« verworfen hatte); und da er nicht der einzige Philologe im Kreise war, geriet das Gespräch in andere Bahnen. Aber ich bin ziemlich sicher, dass er an eine Erfahrung dachte, die er auf seiner Reise zur Venus gemacht hatte. Die geheimnisvollste Äußerung, die er vielleicht je zu diesem Thema gemacht hat, war Folgende. Ich hatte ihm Fragen dazu gestellt – was er nur selten zuließ – und unbedachterweise gesagt: »Natürlich sehe ich ein, dass das alles viel zu unbestimmt ist, als dass Sie es in Worte fassen könnten.« Ziemlich scharf für einen so geduldigen Mann unterbrach er mich: »Ganz im Gegenteil, die Worte sind unbestimmt. Es lässt sich nicht ausdrücken, weil es zu eindeutig für die Ausdrucksmöglichkeiten der Sprache ist.« Und das ist auch schon alles, was ich über seine Reise berichten kann. Sicher ist jedenfalls, dass diese Reise ihn noch mehr verändert hat als die zum Mars. Aber das kann natürlich an dem liegen, was ihm nach seiner Landung dort widerfuhr.
Von dieser Landung will ich nun, so wie Ransom sie mir geschildert hat, berichten. Aus seinem himmlischen Dämmerzustand geweckt (wenn das der richtige Ausdruck ist) wurde er offenbar durch das Gefühl des Fallens – mit anderen Worten, als er der Venus nahe genug war, um sie als unter ihm liegend zu empfinden. Als Nächstes merkte er, dass seine eine Seite sehr warm und die andere sehr kalt war, doch keine der beiden Empfindungen war so stark, dass sie schmerzhaft gewesen wäre. Beide gingen ohnedies bald in einer Flut von weißem Licht unter, das jetzt von unten durch die halb durchsichtigen Wände des Behälters drang. Das Licht wurde immer stärker und blendete Ransom, obwohl seine Augen geschützt waren. Offenbar handelte es sich um die Albedo, den äußeren, die Sonnenstrahlen stark reflektierenden Bereich der sehr dichten Venusatmosphäre. Aus irgendeinem Grund war er sich – anders als bei seiner Landung auf dem Mars – seines rasch zunehmenden Gewichtes nicht bewusst. Als das weiße Licht nahezu unerträglich geworden war, verschwand es plötzlich ganz, und bald danach ließen die Kälte an seiner linken Seite und die Hitze an seiner rechten nach und machten einer gleichmäßigen Wärme Platz. Vermutlich war er nun in die äußeren Schichten der perelandrischen Atmosphäre eingedrungen – zuerst in ein blasses, dann in ein farbiges Zwielicht. Soweit er durch die Wände seines Behälters erkennen konnte, herrschten goldene oder kupferfarbene Töne vor. Inzwischen musste er der Oberfläche des Planeten sehr nahe sein, wobei der Behälter sich offenbar im rechten Winkel zu dieser Oberfläche befand und er mit den Füßen voran herabsank, wie in einem Aufzug. Das Gefühl zu fallen – hilflos und unfähig, die Arme zu bewegen – wurde beängstigend. Dann tauchte er plötzlich in eine große grüne Dunkelheit ein, erfüllt von unbestimmbaren Geräuschen – der ersten Botschaft aus der neuen Welt –, und zugleich wurde es spürbar kühler. Er schien sich jetzt in einer horizontalen Lage zu befinden und sich zu seiner großen Überraschung nicht abwärts, sondern aufwärts zu bewegen. Doch zuerst hielt er dies für eine Sinnestäuschung. Die ganze Zeit über musste er unbewusst schwache Versuche gemacht haben, Arme und Beine zu bewegen, denn plötzlich merkte er, dass die Seitenwände seines Gefängnisses auf Druck nachgaben. Er konnte seine Glieder bewegen, jedoch behindert von einer zähflüssigen Substanz. Wo war der Sarg? Seine Eindrücke waren sehr verworren. Bald schien er zu fallen, bald emporzufliegen, dann sich wieder in der Waagerechten fortzubewegen. Die zähflüssige Substanz war weiß. Sie schien mit jedem Augenblick weniger zu werden – weißes, wolkiges Zeug, genau wie das Material des Sargs, nur nicht fest. In jähem Schrecken begriff er, dass es tatsächlich der Sarg war; er schmolz, löste sich auf, machte einem unbeschreiblichen Durcheinander von Farben Platz, einer üppigen, bunten Welt, in der einstweilen nichts greifbar erschien. Jetzt war von dem Behälter nichts mehr da. Ransom war frei – ausgesetzt – allein. Er war auf Perelandra.
Zuerst hatte er nur den undeutlichen Eindruck einer Schräge – so als betrachte er eine Aufnahme, bei der der Fotograf die Kamera nicht gerade gehalten hatte. Doch das dauerte nur einen Augenblick. Die Schräge wich einer anderen Schräge; dann rasten zwei Schrägen aufeinander zu und bildeten eine Spitze, die Spitze flachte plötzlich zu einer horizontalen Linie ab, und die horizontale Linie kippte und wurde zum Rand eines unermesslichen, glänzenden Abhangs, der wild auf ihn zustürmte. Im gleichen Moment fühlte er, wie er emporgehoben wurde, immer höher und höher, bis er meinte, nach der flammenden goldenen Kuppel greifen zu können, die an Stelle eines Himmels über ihm hing. Dann war er auf einem Gipfel; aber noch ehe sein Blick das riesige Tal erfasst hatte,
das – leuchtend grün wie Glas und mit schaumig weißen Streifen marmoriert – unter ihm gähnte, sauste er mit vielleicht dreißig Meilen pro Stunde in dieses Tal hinab. Und nun merkte er, dass köstliche Kühle seinen Körper bis zum Hals umgab, dass er keinen Boden unter den Füßen spürte und dass er seit einiger Zeit unbewusst Schwimmbewegungen gemacht hatte. Er trieb auf den Wellen eines Ozeans, frisch und kühl nach den heißen Temperaturen des Himmels, aber für irdische Begriffe warm – warm wie das seichte Wasser einer sandigen Bucht in einer subtropischen Gegend. Als er sanft den breiten, gewölbten Abhang der nächsten Welle hinaufglitt, schluckte er einen Mund voll Wasser. Es schmeckte kaum salzig. Man konnte es trinken – wie Süßwasser, nur eine winzige Spur weniger schal. Obgleich er bisher keinen Durst verspürt hatte, verschaffte der Trunk ihm einen überraschenden Genuss. Es war beinahe, als begegne er zum ersten Mal dem Genuss selbst. Er tauchte sein gerötetes Gesicht in die grüne Durchsichtigkeit, und als er aufblickte, fand er sich wieder auf dem Kamm einer Woge.
Land war nicht in Sicht. Der Himmel war flach und golden wie der Hintergrund eines mittelalterlichen Gemäldes. Er wirkte sehr fern – so fern wie feine Schäfchenwolken vom Erdboden aus. Auch der Ozean war hier auf offener See golden und mit unzähligen Schatten übersät. Die Wellen in Ransoms Nähe waren golden, wo ihre Kämme das Licht auffingen, und an den Flanken grün: oben smaragdgrün und weiter unten von einem leuchtenden Flaschengrün, das sich im Schatten anderer Wellen zu Blau vertiefte.
All dies schoss wie ein Blitz an Ransoms Augen vorbei; dann sauste er abermals in ein Wellental hinab. Irgendwie hatte er sich auf den Rücken gedreht und sah nun das goldene Dach dieser Welt, auf dem hellere Lichter hin und her huschten, so wie Lichtreflexe an einer Badezimmerdecke, wenn man an einem Sommermorgen in die Wanne steigt. Das war wohl die Spiegelung der Wellen, in denen er schwamm. Diese Erscheinung ist auf dem Planeten der Liebe an drei von fünf Tagen zu sehen. Die Königin dieser Meere sieht sich ständig in einem himmlischen Spiegel.
Wieder hinauf auf den Kamm, und noch immer kein Land in Sicht. Weit zu seiner Linken etwas, das wie Wolken aussah – oder konnten es Schiffe sein? Und wieder hinunter, weiter und weiter … Es schien kein Ende nehmen zu wollen. Jetzt fiel ihm auf, wie gedämpft das Licht war. Zu diesem Schwelgen im lauen Wasser – diesem für irdische Begriffe köstlichen Baden – schien eigentlich eine brennende Sonne zu gehören. Aber hier gab es nichts dergleichen. Das Wasser glänzte, der Himmel loderte in Goldtönen, alles war prächtig, aber gedämpft, und seine Augen weideten sich daran, ohne geblendet zu werden oder zu schmerzen. Schon die Farben Grün und Gold, mit denen er notgedrungen den Schauplatz beschrieb, waren zu grell für diese zarte, leicht schillernde, diese warme, mütterliche, wohlige, herrliche Welt. Sie war sanft wie der Abend, warm wie ein Sommertag, freundlich und gewinnend wie die frühe Morgendämmerung, eine einzige Wohltat. Er seufzte.
Vor ihm erhob sich jetzt eine Woge so hoch, dass er erschrak. Auf unserer Welt sprechen wir oft leichthin von Wellenbergen, wenn sie in Wirklichkeit nicht viel höher als ein Schiffsmast sind. Aber hier traf der Ausdruck zu. Wäre das mächtige Gebilde nicht aus Wasser gewesen, sondern ein Berg auf festem Land, so hätte er sicher einen ganzen Vormittag oder länger gebraucht, um den Gipfel zu erreichen. Die Riesenwelle riss ihn jetzt mit sich und schleuderte ihn innerhalb von Sekunden zum Kamm empor. Doch bevor er ihn ganz erreicht hatte, hätte er vor Schreck beinahe aufgeschrien. Denn diese Welle hatte keinen weichen, glatten Kamm wie die anderen. Ein furchtbarer Grat kam zum Vorschein; gezackte und wogende, fantastische Formen von unnatürlichem, nicht einmal flüssigem Aussehen ragten aus dem Wellenkamm hervor. Felsen? Schaum? Seeungeheuer? Kaum war ihm die Frage durch den Kopf geschossen, als das Ding auch schon über ihm war. Unwillkürlich schloss er die Augen. Dann wurde er wieder hinabgerissen. Was immer es war, es war an ihm vorbeigerauscht. Aber es war etwas gewesen, denn er war ins Gesicht geschlagen worden. Er befühlte es mit den Händen, fand aber kein Blut. Er war von etwas Weichem getroffen worden, das ihn nicht verletzt hatte und nur durch die Wucht des Aufpralls wie ein Peitschenschlag brannte. Er drehte sich wieder auf den Rücken und wurde dabei erneut tausende von Fuß zum nächsten Wellenkamm emporgehoben. Weit unter sich, in einem tiefen, momentanen Tal, sah er das Ding, mit dem er beinahe zusammengestoßen wäre. Es war unregelmäßig geformt mit vielen Vorsprüngen und Einbuchtungen und bunt wie ein Flickenteppich – feuerrot, ultramarin, blutrot, orange, ockergelb und violett. Mehr konnte er nicht sagen, denn er erhaschte nur einen flüchtigen Blick darauf. Was immer es war, es trieb auf dem Wasser, denn es glitt die Flanke der Welle gegenüber hinauf und über den Kamm außer Sicht. Es lag wie eine Haut auf dem Wasser und passte sich dessen Bewegungen an. Auf dem Kamm nahm es die Form der Welle an, sodass einen Augenblick lang die eine Hälfte schon auf der anderen Seite und nicht mehr zu sehen war, während sich die andere noch auf der diesseitigen Flanke befand. Das Ding verhielt sich ähnlich wie eine Schilfmatte auf einem Fluss, die jede Bewegung der kleinen, von einem vorbeirudernden Boot erzeugten Wellen mitmacht – nur in einem ganz anderen Maßstab. Das Ding hier mochte eine Fläche von dreißig Hektar oder mehr haben.
Worte sind umständlich. Man darf nicht vergessen, dass Ransom gerade erst fünf Minuten auf der Venus zugebracht hatte. Er war nicht im Mindesten müde und machte sich auch keine ernsthaften Sorgen, ob er in einer solchen Welt überleben könne. Er vertraute auf die, die ihn hergeschickt hatten, und einstweilen waren die Kühle des Wassers und die Bewegungsfreiheit seiner Glieder noch neu und angenehm. Bedeutsamer aber war etwas anderes, das ich bereits angedeutet habe und das sich kaum in Worte fassen lässt – das seltsame Gefühl eines übermäßigen Genusses, das ihm alle seine Sinne gleichzeitig zu vermitteln schienen. Ich verwende das Wort »übermäßig«, weil Ransom selbst die Empfindung nur so beschreiben konnte. Verfolgt wurde er in den ersten paar Tagen auf Perelandra nicht von einem Schuldgefühl, sondern von der Überraschung darüber, dass er ein solches nicht verspürte.
Allein die Tatsache, lebendig zu sein, war ein so außerordentlich süßes und überschwängliches Gefühl, wie das Menschengeschlecht es meist mit Verboten und Ausschweifungen in Verbindung bringt. Doch es war auch eine heftige Welt. Kaum hatte er das treibende Ding aus den Augen verloren, als er von unerträglich grellem Licht geblendet wurde. Eine gleichmäßige, bläulich-violette Beleuchtung ließ den goldenen Himmel vergleichsweise dunkel erscheinen und enthüllte für wenige Augenblicke mehr von dem Planeten, als Ransom bisher gesehen hatte. Vor ihm erstreckte sich eine grenzenlose Wasserwüste, und in weiter Ferne, am Ende der Welt, erhob sich vor dem Himmel eine glatte Säule aus geisterhaftem Grün, das einzig Feste und Senkrechte in dieser Welt der gleitenden, sich verlagernden Ebenen. Dann kehrte das prächtige Zwielicht zurück (das ihm nun beinahe als Dunkelheit erschien), und er hörte Donner. Doch dieser hörte sich anders an als irdischer Donner, hallte länger nach, und in der Ferne schwang sogar eine Art Klingen mit. Der Himmel schien eher zu lachen als zu toben. Ein weiterer Blitz folgte, und noch einer, und dann war der Gewittersturm über ihm. Riesige, purpurne Wolken trieben zwischen ihm und dem goldenen Himmel, und ohne jedes Vorzeichen ging plötzlich ein Regen nieder, wie er ihn nie zuvor erlebt hatte. Es gab nicht einmal Tropfen; das Wasser über ihm schien nur etwas weniger dicht zu sein als das des Meeres, und er hatte Mühe zu atmen. Ein Blitz jagte den anderen. Wenn er zwischen zweien von ihnen über den Ozean blickte, sah er in jeder Richtung – außer da, wo sich die Wolken befanden – eine völlig veränderte Welt. Es war, als befände er sich im Mittelpunkt eines Regenbogens oder in einer Wolke aus vielfarbigem Dampf. Das Wasser, das nun die Luft erfüllte, verwandelte Himmel und Meer in ein Gewirr von farbenprächtigen, tanzenden Leuchtbildern. Ransom war geblendet und verspürte zum ersten Mal ein wenig Angst. Im Licht der Blitze sah er wie zuvor nur die endlose See und die unbewegliche grüne Säule am Ende der Welt. Nirgends Land – von einem Horizont zum anderen keine Spur eines Ufers.
Der Donner war ohrenbetäubend, und Ransom bekam kaum genug Luft. Alle möglichen Dinge schienen mit dem Regen herunterzukommen – anscheinend Lebewesen. Sie sahen wie seltsam luftige und anmutige, gewissermaßen veredelte Frösche aus und schillerten wie Libellen, aber er war nicht in der Lage, genauere Beobachtungen anzustellen. Er spürte jetzt die ersten Anzeichen von Müdigkeit, und von der Farborgie in der Atmosphäre war ihm ganz wirr im Kopf.
Wie lang dies alles dauerte, konnte er nicht sagen, aber das Nächste, was er deutlich wahrnahm, war, dass der Seegang nachließ. Er hatte den Eindruck, sich am Rand eines Wassergebirges zu befinden und in tiefer gelegenes Land hinabzublicken. Lange kam er nicht in dieses Tiefland hinunter; was im Vergleich mit den Wellen, die er bei seiner Ankunft erlebt hatte, wie ruhiges Wasser aussah, erwies sich als eine nur geringfügig niedrigere Dünung, sobald er hineingeriet. Es schien hier viele von den großen treibenden Dingern zu geben. Aus der Ferne wirkten sie wie ein Archipel, doch wenn er näher kam und sie auf den noch immer hohen Wogen reiten sah, glichen sie eher einer Flotte. Schließlich aber gab es keinen Zweifel mehr, dass der Seegang nachließ. Der Regen hörte auf, und die Wellen erreichten nur noch atlantische Höhen. Die Regenbogenfarben verblassten und wurden zusehends durchsichtiger. Der goldene Himmel schien, schwach zuerst, hinter ihnen durch und breitete sich dann schließlich wieder von Horizont zu Horizont aus. Der Seegang ließ weiter nach. Ransom atmete freier, aber nun war er wirklich erschöpft und begann, sich Sorgen zu machen.
Eines der großen treibenden Dinger glitt nur wenige hundert Schritt entfernt eine Welle hinab. Ransom betrachtete es gespannt und überlegte, ob er wohl darauf steigen und sich dort ausruhen könnte. Er hatte die Befürchtung, dass es lediglich Teppiche aus Wasserpflanzen oder die obersten Äste unterseeischer Wälder waren, unfähig, ihn zu tragen. Aber während er dies dachte, wurde das Ding von der Dünung emporgehoben und geriet zwischen ihn und den Himmel. Es war nicht flach. Von seiner bräunlich gelben Oberfläche erhob sich eine Reihe gefiederter und wogender Gebilde von unterschiedlicher Höhe dunkel vor dem mattgoldenen Glanz des Himmelsgewölbes. Dann, als das Ding, das sie trug, über den Wellenkamm glitt, kippte alles auf eine Seite und war nicht mehr zu sehen. Aber da, keine dreißig Meter entfernt, glitt ein anderes zu ihm herab. Er schwamm darauf zu und merkte, wie matt und lahm seine Arme waren, und zum ersten Mal packte ihn wirkliche Angst. Als er sich dem Ding näherte, sah er, dass sein Rand unzweifelhaft aus Pflanzen bestand; es zog nämlich einen dunkelroten Saum aus Röhren, Ranken und Blasen hinter sich her. Ransom griff danach, doch er war noch nicht nahe genug. Er schwamm verzweifelt, denn die Insel glitt mit einer Geschwindigkeit von etwa zehn Meilen an ihm vorbei. Er griff wieder zu und bekam eine Hand voll peitschenartiger roter Ranken zu fassen, doch sie entglitten ihm wieder und zerschnitten ihm fast die Haut. Dann warf er sich mitten hinein und versuchte wie wild, irgendetwas zu packen. Eine Sekunde lang war er in einer Art Pflanzenbrühe aus blubbernden Röhren und platzenden Blasen; dann griff seine Hand etwas Festeres, etwas wie sehr weiches Holz. Schließlich lag er völlig außer Atem und mit aufgeschlagenem Knie bäuchlings auf einer festen Oberfläche. Er zog sich noch ein kleines Stückchen weiter. Ja – kein Zweifel: man brach nicht ein; es war etwas, worauf man liegen konnte.