- -
- 100%
- +

Im Total bedeckt die Verkehrsinfrastruktur in der Schweiz eine Fläche von rund 950km2, was einem Drittel der Siedlungsfläche entspricht (vgl. Abbildung 16). Etwa 90% der Verkehrsflächen entfallen auf Strassen, 10% auf Bahnareale. Neben der Versiegelung von Böden ist auch die Habitat-Zerschneidung eine Folge der Verkehrsinfrastruktur. So hat die Schweiz eine Verkehrsnetzdichte von 1,7km Strassen und 0,34km Eisenbahngleise pro Quadratkilometer. Dabei beträgt der Flächenverbrauch zum Transport einer Tonne über 100 Kilometer auf der Strasse 560m2, während es auf der Schiene 80 sind. Als Konsequenz des Flächenverbrauches gehen Ökosysteme mit ihren wichtigen Dienstleistungen verloren, Habitate werden zerschnitten und landwirtschaftliche Nutzungen verunmöglicht.
Wie im Kapitel 3.2 beschrieben, ist auch der Energieverbrauch des Rad-Schiene-Systems systembedingt viel geringer als der des Strassengüterverkehrs: Ein Lkw verbraucht etwa 31,4 kWh pro 100tkm, ein Güterzug nur 4,4. Zahlen aus Deutschland ergeben ein ähnliches Bild: Ein Güterzug verbraucht 0,3 Megajoule pro tkm, ein Lkw 1,6.65
Weiter zu nennen sind die durch den Güterverkehr entstehenden Lärmemissionen, denen viele ausgesetzt sind. Auch wird oft vergessen, dass bei der Herstellung sowohl der Verkehrsmittel als auch der Verkehrsinfrastruktur Ressourcen verbraucht werden.
Fazit: Durch den Güterverkehr resultieren negative Auswirkungen auf Mensch und Umwelt. Der Zustand von Ökosystemen verschlechtert sich, Ressourcen werden verbraucht und die Lebensqualität sowie das Wohlergehen wird beeinträchtig. Im Vergleich zwischen dem SGV und Strassengüterverkehr ist erkennbar, dass der SGV in Bezug auf die negativen Auswirkungen viel effizienter ist, also pro transportiertes Gut nur einen Bruchteil des Strassengüterverkehrs verursacht.
6.2 Elektrisch betriebene Lkws
E-Lkws setzen lokal keine CO2-Emissionen frei.66 Doch ist insbesondere die Produktion der (schweren) Batterien sehr energieintensiv, viel CO2 wird ausgestossen und es wird eine Vielzahl von Rohstoffen wie seltene Erden benötigt. So geht eine Studie67 bei einem 7,5-12 Tonnen schweren Lkw von 102g CO2-Emissionen pro km und einem Energieverbrauch von 34,3kWh pro 100tkm aus. Eine weitere Studie68 geht bei einem Lkw mit einer Nutzlast von 6t von rund 50g CO2-Emissionen pro km allein durch die Batterieherstellung aus, dazu kommen weitere 100g durch die Stromproduktion in der Schweiz. Der Energieverbrauch im Fahrbetrieb beträgt zudem rund 90-100kWh pro 100km. Umgerechnet auf einen Tonnenkilometer bleibt der Energieverbrauch um ein Vielfaches über dem des SGVs, da am Fahrwiderstand nichts geändert wird. Hier ist anzumerken, dass im Praxisbetrieb nie die volle Nutzlast erreicht wird, etwa jede vierte Fahrt eine Leerfahrt ist und das Batteriegewicht die Nutzlast verringert. Weiter würde auch der Flächenverbrauch gegenüber einem konventionellen Lkw gleich bleiben. Das Gleiche gilt auch für weitere alternative Antriebe und Kraftstoffe wie Wasserstoff oder Biotreibstoffe, wo zudem weitere Probleme dazukommen (z.B. grösserer Energieverbrauch oder Konkurrenz mit Nahrungsmittelproduktion).
6.3 Externe Kosten
In Folge der oben beschriebenen negativen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt resultieren volkswirtschaftliche Kosten.69 So führt etwa die Emission von Feinstaub zu Gesundheitsschäden und Krankheiten, die wiederum im Spital behandelt werden müssen und zu Produktionsausfällen führen (vgl. Abbildung 17). Diese Kosten werden «extern» genannt, da sie nicht beim Verursacher selbst anfallen, sondern von der Allgemeinheit getragen werden.

Das Bundesamt für Raumentwicklung hat für den Verkehr im Jahr 2016 externe Kosten im Umfang von 13,3 Mrd. Franken berechnet. Der Strassengüterverkehr ist mit 1`960 Mio. Fr. für 15% verantwortlich, der SGV mit 470 Mio. Fr. für 3%. Für den Schwerverkehr entspricht dies 9,9 Rappen pro tkm, wovon 3Rp. durch die LSVA bereits verrechnet werden, im SGV sind es 4,0Rp. pro tkm. Aufgrund der geringen Transportmengen fallen bei Lieferwagen 87 Rp. pro tkm an. Was an dieser Berechnung der externen Kosten problematisch ist, wird in Kapitel 10.1.1 erläutert.
7 Prognosen und Trends
Bisher wurde der Ist-Zustand, die historische Entwicklung und die negativen Auswirkungen des Güterverkehrs betrachtet. Nun geht es in einem letzten Kapitel vor der Weiterentwicklung darum, welche Güterverkehrsentwicklungen prognostiziert werden. Die Informationen in diesem Kapitel stammen, wenn nicht anders ausgewiesen, vom Synthesebericht, dem Hauptbericht oder der Broschüre der Verkehrsperspektiven 2040 des Bundesamtes für Raumentwicklung (ARE).71
7.1 Trends
Die Wirtschaft und in Folge der Güterverkehrsmarkt verändern sich dauernd. Es wird eine Fortsetzung des bei der historischen Entwicklung beschriebenen Güterstruktureffekts hin zu kleineren, leichteren und hochwertigeren Konsumgütern prognostiziert (Zunahme Stückguttransporte).72 In Folge wird die Transportintensität (Verkehrsleistung / BIP)73 weiter abnehmen. Dies ist einerseits auf das überdurchschnittliche Wachstum des Dienstleistungssektors gegenüber der Industrie zurückzuführen. Doch meint Peter Füglistaler: «Ich glaube, die Deindustrialisierung in der Schweiz ist so weit fortgeschritten, dass es wenig Einbrüche geben wird.» Andererseits wird dieser Effekt verstärkt durch zunehmende (nationale und internationale) Arbeitsteilung und individualisierte Herstellung von Produkten erst auf Nachfrage (on demand), was insbesondere aufgrund der zunehmenden digitalen Vernetzung ermöglicht wird. Auch der Online-Handel wird diesen Trend verstärken.
Als Folge der steigenden Wertdichte und Abhängigkeit der einzelnen Produktionsschritte voneinander werden die Anforderungen an die Transportqualität, insbesondere an die Zuverlässigkeit, tendenziell zunehmen. Aufgrund der kleineren Sendungsgrössen wird die für die Bahn sprechende Bündelung schwieriger, während die Fahrten pro Gut zunehmen.
Es ist anzumerken, dass Veränderungen in der Produktion etwa durch Digitalisierung oder 3D-Druck sehr schwer vorhersagbar sind. Es wird jedoch nicht davon ausgegangen, dass sich die Nachfrage grundlegend verändern wird, da sich Grundbedürfnisse nach etwa Nahrungsmitteln oder Baumaterialien nicht gross verändern werden.
7.2 Treiber
Der wichtigste Treiber des Gesamtgüterverkehrs ist das Wirtschaftswachstum, welches in wesentlichen Teilen vom Bevölkerungswachstum abhängig ist. Jedoch hängt die Entwicklung von vielen verschiedenen Faktoren ab, die schwierig abzuschätzen sind (vgl. Abbildung 18). Von 2010 bis 2040 wird im mittleren Szenario des Bundesamts für Raumentwicklung (ARE) eine Bevölkerungszunahme um 28% auf dann über 10 Mio. Einwohner prognostiziert. Im gleichen Zeitraum soll das Bruttoinlandsprodukt um 46% auf 887 Mrd. CHF anwachsen. Der Aussenhandel wird in diesem Szenario überproportional um 88% auf 676 Mrd. CHF anwachsen, was insbesondere für den Import/Export von Bedeutung ist. Je nach Szenario würde die BIP-Entwicklung zwischen +33% und +60% variieren.

Abbildung 18: Wirkungszusammenhänge in der Güterverkehrsentwicklung74
7.3 Prognosen der Güterverkehrsentwicklung
Nach dem Referenzszenario der Verkehrsperspektiven 2040 des ARE wird die Verkehrsleistung im Güterverkehr bis 2040 um 37% auf 36.6 Mrd. tkm ansteigen, das Aufkommen um 39% auf 574 Mio. Tonnen (vgl. Abbildung 19; inkl. Transitverkehr). Zwar nimmt die Verkehrsleistung auf der Schiene mit 45% gegenüber der Strasse mit 33% stärker zu, doch in absoluten Zahlen ist die Zunahme auf der Strasse grösser. In Folge soll sich der Modalsplit um zwei Prozentpunkte zur Schiene verschieben, sodass deren Anteil neu 38,8% beträgt. Der Marktanteil der Bahn am Aufkommen soll 2040 mit 14% etwa auf dem gleichen Niveau wie heute zu liegen kommen. «Die Überlastung des Strassennetzes [wirkt wahrscheinlich] als grösster positiver Treiber des SGVs. Es ist eigentlich Politik über Staustunden.», meint Peter Füglistaler.

Abbildung 19: Leistung im Güterverkehr bis 204075
Die Binnenverkehrsleistung nimmt nach den Szenarien des ARE mit 42,5% (Aufkommen: +39%) am stärksten zu, der Export mit 18,6% (+35%) und der Import mit 42,5% (+20%). Der Transitverkehr hat ein Plus von 29,8% (+38%). Der Anteil des Binnenverkehrs an der Gesamtverkehrsleistung soll mit 53% vor dem Transit mit 28% am höchsten bleiben.
In der hohen Sensitivität soll die Verkehrsleistung um 50% steigen, in der tiefen um lediglich 25%. Es wurde ausserdem ein Alternativszenario erstellt, bei dem sich die politischen Rahmenbedingungen etwas zugunsten der Umwelt verändern. Die Veränderungen werden aber als sehr klein prognostiziert: Die Verkehrsleistung soll 0,5% über dem Referenzszenario zu liegen kommen, der Modalsplit würde sich um weniger als einen Prozentpunkt zur Schiene verschieben.
Eine andere Prognose von 2012 hingegen ging bei einem optimistisch gewählten Verlagerungsfall von einer starken Verschiebung der Marktanteile zur Schiene aus (vgl. Abbildung 20). Der Anteil des SGVs in der Fläche an der Güterverkehrsleistung sollte nach diesem Szenario von 25% im Jahr 2010 auf 38% im Jahr 2030 ansteigen. Im Referenzszenario wird ein Anstieg des Marktanteils auf 27% prognostiziert und die Verkehrsleistung im Güterverkehr in der Fläche soll bis 2030 um 28% auf knapp 23 Mrd. Tonnenkilometer ansteigen.

Abbildung 20: Entwicklung des Güterverkehrs in der Fläche nach Verkehrsträger76
Ein weiteres Szenario77 geht bei einem Weiter-so (nach Stand 2013) von einer Erosion des SGVs in der Fläche auf europäischem Niveau aus (15-17% Marktanteil), bei einer Nutzung von Chancen von einem Halten der Anteile (17-25%).
Die bezüglich Güterverkehrsleistung wichtigste und bezüglich Aufkommen zweitwichtigste Warengruppe der Stück- und Sammelgüter soll in allen Prognosen in Folge des Güterstruktureffekts stark wachsen und der SGV Anteile gewinnen (vgl. Abbildung 21). Auch die mit der Bautätigkeit verbundenen Warengruppen bleiben sehr wichtig bzw. sollen stark wachsen. Nur beim Import der bahnaffinen fossilen Energieträger wird ein Rückgang prognostiziert.

Abbildung 21: Entwicklung Warengruppen nach Aufkommen78
Die Fahrleistung von schweren Güterfahrzeugen auf der Strasse soll zwischen 2010 und 2040 laut ARE um 31% zunehmen, die der Lieferwagen aufgrund der Affinität zu Stück- und Sammelgütern stärker um +41%. Bis 2040 wird eine Abnahme der CO2-Emissionen im Strassengüterverkehr um -16% gegenüber 2015 bzw. -2% gegenüber 1990 auf dann 2,3 Mio. Tonnen prognostiziert.79
Zusammengefasst soll der Güterverkehr in allen Prognosen weiter zunehmen. Vom ARE werden keine grossen Veränderungen im Modalsplit und ein Fortsetzen der Trends erwartet. Jedoch sind bezüglich Modalsplit und Warengruppen zwischen den verschiedenen Studien und Szenarien grosse Unterschiede festzustellen. Dies verdeutlicht, dass die zukünftige Entwicklung des Güterverkehrs schwierig zu prognostizieren ist und von vielen Faktoren abhängt (vgl. Kapitel 10.1.7 und 10.10.1).
8 Ziele der Weiterentwicklung und methodisches Vorgehen
In den letzten Kapiteln wurde das heutige Güterverkehrssystem beschrieben. Zuerst ging es um den heutigen SGV in der Fläche, dann darum, wie dieser entstanden ist, was für Probleme existieren und was die Ursachen dafür sind. Das nächste Thema betraf die negativen Auswirkungen des Güterverkehrs und schliesslich wurden bestehende Prognosen kurz betrachtet.
Nun geht es einen Schritt weiter: Es werden Möglichkeiten aufgezeigt und Vorschläge gemacht, wie der SGV in der Fläche weiterentwickelt werden kann. In diesem Kapitel werden zunächst die Ziele aufgezeigt und begründet, welchen die Weiterentwicklung folgen soll. Auch werden Strategien aufgezeigt, wie diese Ziele erreicht werden können. Danach folgt eine kurze Beschreibung des methodischen Vorgehens, mit welchem die Weiterentwicklungsmöglichkeiten erarbeitet wurden. In den nachfolgenden Kapiteln wird dann aufgezeigt, welche konkreten Weiterentwicklungsmöglichkeiten von den Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) und der Politik umgesetzt werden können.
8.1 Ziele der Weiterentwicklung
Die natürlichen Lebensgrundlagen sind Voraussetzung für eine funktionierende Gesellschaft und Wirtschaft, eine hohe Lebensqualität und -zufriedenheit sowie letztlich alles Leben. Deshalb soll die Weiterentwicklung des SGVs in der Fläche und des Güterverkehrs allgemein in dieser Maturaarbeit dem Ziel eines nachhaltigen Umgangs mit der Umwelt folgen. Gleichzeitig soll die für die Bevölkerung und Wirtschaft essenzielle Güterversorgung gewährleistet werden. Dabei bedeutet ein nachhaltiger Umgang mit der Umwelt, weniger Ressourcen zu verbrauchen, als gleichzeitig auf natürliche Art und Weise wiederhergestellt oder ersetzt und für künftige Generationen wieder bereitgestellt werden können, sowie nur so viele Emissionen an die Umwelt zu emittieren, wie diese in der Lage ist aufzunehmen.80
Für den Güterverkehr bedeutet diese Zielsetzung, dass die negativen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt auf ein nachhaltiges Niveau reduziert werden müssen. Dabei nimmt der Klimaschutz eine wichtige Rolle ein. Wenn es nicht gelingt, die Klimaerwärmung zu begrenzen, werden katastrophale Auswirkungen auf die Umwelt und den Menschen resultieren sowie die Wirtschaftsleistung stark gesenkt.81 So könnten sich die Folgekosten des Klimawandels und des Verlustes von biologischer Vielfalt im Jahr 2050 auf ein Viertel der weltweiten Wirtschaftsleistung belaufen. Im von der Schweiz 2017 ratifizierten Pariser Klimaabkommen ist festgehalten, dass «der Anstieg der durchschnittlichen Erdtemperatur deutlich unter 2 °C über dem vorindustriellen Niveau gehalten wird und Anstrengungen unternommen werden, um den Temperaturanstieg auf 1,5 °C […] zu begrenzen». Dieses Abkommen ist völkerrechtlich verbindlich und um dieses Ziel zu erreichen, müssen laut dem IPCC die weltweiten Treibhausgasemissionen bis 2050 auf netto Null gesenkt werden.82 Deshalb soll in dieser Maturaarbeit gezeigt werden, wie die CO2-Emissionen des Güterverkehrs bis zum Jahr 2050 um 100% auf null gesenkt werden können.
Zudem soll die Weiterentwicklung des Güterverkehrssystems unter der Prämisse erfolgen, die weiteren in der Tabelle 2 aufgelisteten negativen Auswirkungen des Güterverkehrs zu reduzieren.
Flächenverbrauch Luftschadstoff-Emissionen Energieverbrauch Habitatfragmentierung Lärmemissionen Ressourcenverbrauch UnfälleTabelle 2: Negative Auswirkungen des Güterverkehrs
Diese Auswirkungen beeinträchtigen die Lebensqualität und Gesundheit der Bevölkerung sowie die Umwelt (vgl. Kapitel 6). So gibt es jährlich über 2`000 frühzeitige Tote aufgrund von Luftschadstoff-Emissionen des Verkehrs, da die Abgase die Atmungsorgane und den Kreislauf schwächen. Weiter führen die genannten negativen Auswirkungen zur Beeinträchtigung von Ökosystemen, dem Verlust von Biodiversität und als Folge zum Rückgang der Ökosystemdienstleistungen. Auch werden etwa Flächen anderen Nutzungen entzogen.
8.2 Handlungsbedarf
Die heutigen negativen Auswirkungen des Güterverkehrs (vgl. Kapitel 6) und die Prognosen, die auf der Fortsetzung vergangener Entwicklungen beruhen (vgl. Kapitel 7), zeigen, dass die definierten Ziele heute und bei einem Weiter-wie-bisher auch in Zukunft bei weitem verfehlt würden. So würden etwa die CO2-Emissionen nach den heutigen Prognosen 2050 ein Vielfaches über dem Ziel des Pariser Klimaabkommens zu liegen kommen. Daraus lässt sich ein grosser Handlungs- bzw. Veränderungsbedarf implizieren.
Dies weicht insofern vom heutigen Vorgehen ab, als dass heute oft von den Prognosen ausgegangen wird und diese als gegeben angesehen werden und in Folge die politischen Massnahmen darauf fokussiert werden (vgl. Kapitel 10.10.1). Doch Prognosen sind nicht naturgegeben und können durch Massnahmen der EVUs und Politik verändert werden. Sie geben kein Abbild der tatsächlichen Entwicklung wieder, sondern beruhen auf der Fortsetzung vergangener Entwicklungen. Zudem ist die zukünftige Entwicklung sehr schwierig abschätzbar und die Prognosen in Folge sehr unsicher. So gingen etwa die Prognosen der letzten 20 Jahre stets von einer zu optimistischen Entwicklung des SGVs aus. Prognosen geben Anhaltspunkte, in welche Richtung sich die Gesamtverkehrsentwicklung bewegt und aus ihnen kann der Handlungsbedarf abgeschätzt werden. Aber nicht mehr. Deshalb müsste meiner Meinung nach mehr von den Zielen aus der Handlungsbedarf abgeschätzt werden, was zu deren Erreichen unternommen werden muss, als andersherum die Zukunft aus den Prognosen abzulesen zu versuchen.
8.3 Strategien zur Zielerreichung
Es gibt verschiedene Strategien, um die negativen Auswirkungen des Güterverkehrs zu reduzieren (vgl. auch Kapitel 10.1.6): Erstens durch technische Verbesserungen an den Strassenfahrzeugen bzw. dem Rollmaterial und der Infrastruktur. Zweitens durch Reduktion des Güterverkehrs, was wiederum durch optimierte Wertschöpfungsketten und Verkehrsströme oder einen Rückgang der Güternachfrage geschehen kann. Und drittens durch Verlagerung von Gütertransporten von der Strasse auf die Schiene.83 Doch wieso ist letzteres eine Strategie zur Zielerreichung?
Wie im Kapitel 6 gezeigt, sind die negativen Auswirkungen des SGVs pro transportiertes Gut in allen Bereichen um ein Vielfaches geringer als im Strassengüterverkehr, der Treibhausgasausstoss liegt sogar bereits heute praktisch bei null. Elektrisch betriebene Lkws haben zwar geringere negative Auswirkungen als konventionelle, doch sind sie im Vergleich zum SGV immer noch sehr hoch. Auch ändert sich am hohen Flächen- und Energiebedarf nur wenig. Ich denke zwar, dass sich die negativen Auswirkungen in Zukunft aufgrund technologischer Verbesserungen verringern werden, doch bleibt die Grundsystematik, dass der SGV viel effizienter ist, erhalten. Zudem würde ein hoher Mehrbedarf an Strom resultieren, wenn die heutige Lkw-Flotte vollständig elektrisch betrieben würde. Ich frage mich deshalb, ob dies überhaupt möglich ist, da auch für andere Bereiche wie dem Personenverkehr oder Wärmesektor Elektrifizierungsziele bestehen.
Aus diesen Gründen führt eine Verlagerung von Gütertransporten von der Strasse auf die Schiene in jedem Fall zu einer Verringerung der negativen Auswirkungen des Güterverkehrs und ist meiner Meinung nach für ein Erreichen der definierten Ziele notwendig. Doch können eine Reduktion des Güterverkehrs und die technischen Massnahmen nicht als Alternative zur Verlagerung angesehen werden, da es für die Umwelt auch mit weniger Güterverkehr oder verbesserten Lkws immer noch besser ist, Gütertransporte von der Strasse auf die Schiene zu verlagern.
Der Klimaschutz stellt einen Spezialfall dar und wird deshalb kurz separat betrachtet: Die CO2-Emissionen müssen im Gegensatz zu den anderen negativen Auswirkungen des Güterverkehrs nicht nur um einen bestimmten Prozentsatz, sondern vollständig um 100% reduziert werden. Auf dieses Ziel kann mit folgenden Strategien hingewirkt werden: Erstens durch Erhöhung der Effizienz. Zweitens durch Substitution, worunter das Ersetzen der fossilen Brennstoffe durch erneuerbare Energiequellen verstanden wird. Und drittens der Suffizienz, was einer Verringerung der Güternachfrage entsprechen würde. Um Klimaneutralität zu erreichen, müssen die fossilen Energieträger letztlich substituiert werden, also der Güterverkehr entweder verlagert oder auf Lkws mit alternativen Antrieben durchgeführt werden. Doch Effizienzmassnahmen und Suffizienz helfen der Substitution, da bei einer Steigerung der Effizienz oder einem Verkehrsrückgang weniger substituiert werden muss. Dabei stellt eine Verlagerung des Strassengüterverkehrs auf die Schiene gleichzeitig eine Effizienz- und eine Substitutionsmassnahme dar, da einerseits die negativen Auswirkungen pro transportiertes Gut geringer als auf der Strasse sind und der Transport praktisch emissionsfrei ist.
Wie viele Gütertransporte genau verlagert werden müssen und wie stark der Güterverkehr zurückgehen müsste, um die Ziele zu erreichen, ist sehr schwierig abzuschätzen. Dies muss auch gar nicht genau bestimmt werden, da es der Umwelt letztlich egal ist, wie hoch der Modalsplit ist: Aus Sicht der Umwelt ist es nicht relevant, wie die negativen Auswirkungen reduziert werden, sondern dass sie reduziert werden.
Wie der SGV in der Fläche von den EVUs weiterentwickelt und verbessert werden kann und welche politischen Massnahmen möglich sind, um die Ziele zu erreichen, wird in den Kapiteln 9 und 10 aufgezeigt und diskutiert. Es geht dabei nicht darum, eindeutig festzulegen, was genau zur Zielerreichung notwendig ist, da dies aufgrund der Komplexität und den verschiedensten Wirkungszusammenhängen sehr schwierig abschätzbar ist. Aus demselben Grund werden in dieser Maturaarbeit auch keine Verlagerungsziele oder sonstigen Zahlenwerte definiert. Vielmehr werden nur Möglichkeiten der EVUs und Politik aufgezeigt, analysiert und vorgeschlagen, die zur Zielerreichung beitragen können und die zeigen, in welche Richtung die Weiterentwicklung nach der Meinung des Autors gehen sollte.
8.4 Methodenbeschreibung
Bevor auf die einzelnen Weiterentwicklungsmöglichkeiten des SGV-Systems eingegangen wird, beschreibt dieses Kapitel, wie methodisch vorgegangen wurde, um die Fragestellungen dieser Maturaarbeit zu beantworten.
Zur Erarbeitung des Grundlagenwissens und weiterführenden Informationen, sowohl zum heutigen Güterverkehr wie auch zur Weiterentwicklung, wurde eine umfassende Literaturrecherche durchgeführt (vgl. Kapitel 13). Es wurden Studien, Berichte und Positionspapiere verschiedenster Autoren vom Bund, über private Forschungsbüros und Hochschulen bis zu Interessengruppen gelesen, ausgewertet, im Hinblick auf die definierten Ziele analysiert und miteinander verglichen.
Nach der Recherche wurden fünf Interviews mit Experten aus dem Bereich des SGVs durchgeführt. Es wurde insbesondere darauf geachtet, dass die Interviewpartner einen unterschiedlichen beruflichen Hintergrund und somit einen unterschiedlichen Bezug zum SGV haben. Im Folgenden sind Namen und Beruf der interviewten Experten nach Namen geordnet aufgelistet:
Peter Füglistaler Direktor des Bundesamtes für Verkehr (BAV) Fabio Gassmann Koordinator Bundespolitik des Vereins Alpeninitiative Philipp Hadorn Gewerkschaftssekretär SEV Bereich SBB Cargo Albert Mancera Postdoktorand an der ETH Zürich (L2-FTS)84 Nicolas Perrin Verwaltungsrat der SBB Cargo, bis 2020 CEOTabelle 3: Interviewpartner
Ziel der Interviews war, die Einschätzung der Experten zu den vergangenen Entwicklungen wie auch zu den verschiedenen Weiterentwicklungsmöglichkeiten einzuholen und um ihre Vorstellungen, Ideen und Vorschläge zur Zukunft des SGVs in der Fläche. Ausserdem ging es um ihre persönlichen Meinungen zu verschiedenen politischen Massnahmen und deren Auswirkungen. Die Interviews sind zusammengefasst im Anhang aufgeführt.