Die Katholische Grundschule NRW Öffentliche Grundschule im konfessionellen Gewand

- -
- 100%
- +
Was bleibt? Die Denkschrift von 1920 ist ein zeithistorisches Dokument, ein Spiegelbild des theologischen und gesellschaftlichen Selbstverständnisses der Katholischen Kirche dieser Zeit. Sie versucht, aus den Verhältnisbestimmungen von Kind, Eltern, Lehrer, Staat, Kirche im Feld von Schule die Forderung nach einer konfessionellen Beschulung der katholischen Kinder abzuleiten. Die vorgetragenen theologischen und kirchenpolitischen Argumentationslinien haben sich mit den Texten des II. Vatikanischen Konzils überholt, wie noch zu zeigen sein wird. Die beschriebenen Seins- und Verhältnisbestimmungen zwischen Staat, Kirche und Gesellschaft tragen heute andere Bedeutung.91 Hinübertragen in die Problematik dieser Arbeit lassen sich jedoch Fragen, die die Denkschrift aufwirft und die für eine Katholische Grundschule des 21. Jahrhunderts neu Beantwortung finden müssen. Es sind dies die Fragen
•nach der Bedeutung „religiöser Erziehung“ in Orthodoxie und Orthopraxie für unser Zusammenleben in Staat und Gesellschaft,
•nach dem Verhältnis von Schule und Kind (so beginnt die Denkschrift) und einer subjektbetonten Erziehung,
•nach der Bedeutung einer gemeinsam verantworteten, wertegebundenen Erziehung in Schule und Elternhaus als Voraussetzung für gesellschaftliches Zusammenleben und
•nach einer „Einübung“ in eine religiöse Praxis im Sinne einer Performation von Religion, ohne die ein wirkliches Verständnis derselben kaum möglich ist.
2.2.2Hirtenworte der deutschen Bischöfe zur Schulfrage
In den Jahren 1919 und 1920 und auch in den Folgejahren setzten sich deutsche Bischöfe in ihren Fastenhirtenbriefen mit Fragen einer christlichen Erziehung der Kinder und Jugendlichen auseinander. Sie brachten darin ihre Sorge und Angst um eine schwindende Einflussnahme auf die schulische Erziehung zum Ausdruck und ermunterten die katholischen Eltern zum Widerstand gegen die als antikirchlich empfundenen staatlichen Bestrebungen. Diese Hirtenbriefe sind Zeugnisse einer Kirche, die sich als bedrohte „Kontrastgesellschaft“ perzipiert und die um ihren gesellschaftlichen Einfluss fürchtet. Sie spiegeln und prägen das Bild eines separierenden Katholizismus, der am Ideal einer „Katholischen Schule mit katholischen Lehrern für katholische Kinder“ festhält. Die Untersuchung und Rekonstruktion dieser historischen Zeugnisse wird eine (Kontrast-)Folie bilden, auf deren Grundlage das Konzept einer zu entwickelnden KGS des 21. Jahrhunderts entstehen kann. Konsequent ist also auf dieser Spur zu fragen: Was war kirchliche Hintergrundmusik, und was waren die historischen Absichten in der Auseinandersetzung um eine auf Konfessionalität ausgerichtete Grundschule?
Exemplarisch sei an dieser Stelle der Hirtenbrief des Bischofs von Paderborn, Dr. Karl Joseph Schulte, aus dem Jahr 1919 aufgegriffen. Dieses Rundschreiben, das zu Beginn der Fastenzeit in allen Kirchen des Bistums verlesen wurde, stellt in Inhalt und Duktus ein prägnantes, vorkonziliares Schriftstück dar. Es ist Ausdruck starker Besorgnis und massiver Ängste um eine schwindende kirchliche Einflussnahme und Autorität: „Wenn nicht bald Unglaube, Leidenschaft und Leichtsinn von ihrem Zerstörungswerk ablassen, muss man dann nicht fürchten, daß die letzten Dinge noch viel ärger werden als die ersten?“92 Sieht man einmal von der doch recht emotionalen Konnotation dieser Einlassung ab, wie sie sicher auch dem Predigtstil der Zeit geschuldet ist, stellt sich hier dennoch die Frage, ob – jenseits der Sorge um mögliche Kontrollverluste über die Erziehung der Kinder – in diesem Schreiben Hinweise aufzuspüren sind, die eine substanzielle und materielle Antwort auf mögliche Propria einer Katholischen Grundschule gegenüber einer Gemeinschafts- bzw. Simultanschule aus Sicht der Diözesankirche aufscheinen lassen. Lässt sich vielleicht aus den kirchlicherseits so gefürchteten regressiven Akten des Staates auf die gewünschte bzw. bestehende Substanz einer Katholischen Grundschule schließen? Welchen „Mangel“ rufen eine schwindende katholische Bildung und Erziehung hervor? Welche Reaktionsmuster zeigt die sich als bedroht empfindende Kirche, „das kleine Schifflein Kirche in den Stürmen der Zeit“?
Es lassen sich textbezogen fünf zentrale Aspekte und Merkmal benennen:
1.Verlust einer schulischen Gebets- und Gottesdienstkultur: „Ihr kennt genau die Absichten der Gegner, die euch im Namen der Gewissensfreiheit zwingen wollen, eure Kinder ihnen auszuliefern und sie in Schulen ohne Gebet und Gottesdienst, ohne Religion und ohne allen religiösen Geist unterrichten und erziehen zu lassen.“93
2.Verlust einer Anleitung zum Glauben: „Für Gott und für die Ewigkeit erziehen […] die Anleitung zum heiligen Glauben und Leben.“94
3.Verlust an moralisch-sittlicher Erziehung des Kindes: Der katholische Lehrer „weiß auch, […] wie nur dadurch, daß man Christen erzieht, auch gute Menschen erzogen werden.“95
4.Verlust der Deutungshoheit über eine Anthropologie des Kindes: „Setzet denen, die das Kind nicht mehr als Kind Gottes und Gott nicht mehr als Erzieher der Menschen anerkennen und darum die Verweltlichung aller Schulen wollen, unbeugsam euren eigenen Elternwillen entgegen.“96
5.Verlust der Möglichkeit einer katechetischen Unterweisung der Kinder: Die Kirche „bereitet das jugendliche Herz für den würdigen und wirksamen Empfang der heiligen Sakramente und bricht vor allem den Kindern das geheimnisvolle Brot des Lebens in der heiligen Kommunion.“97
Bischof Schulte betont in seinem Hirtenbrief die vorrangige und elementare Aufgabe der Eltern, ihre Kinder im Glauben zu erziehen und ihnen durch ihr eigenes Lebensbeispiel zum Vorbild zu werden. In dieser Aufgabe hat die Schule als staatliche Einrichtung die Eltern zu unterstützen: „Die Schule muß bei eurer Arbeit helfen! Auf ihre Hilfe habt ihr Recht und Anspruch.“98 Insofern das elterliche Recht auf Erziehung als natürliches Recht über dem staatlichen Recht angesiedelt ist, besteht ein Anspruch auf Fortsetzung und Unterstützung der religiösen Erziehung im Elternhaus durch die Kirche innerhalb der Schule. Die staatlich verordnete Schulpflicht des Kindes und die Pflicht katholischer Eltern, ihre Kinder in Bekenntnistreue zu erziehen, verlangen nach einer Gewährleistungspflicht des Staates. „Ihr konntet der Schule ruhig eure Kinder anvertrauen; in der religiösen Erziehung bestand zwischen der Schule und eurer Familie eine segensvolle Harmonie.“99 Als Garant für diese enge Bindung steht die katholische Lehrerschaft.
Eine Katholische Bekenntnisschule gründet demnach auf dem natürlichen Recht und der religiösen Pflicht der Eltern, ihre Kinder katholisch zu erziehen. Dabei darf die Elternschaft auf die Unterstützung der Kirche bauen und vertrauen. Die Kirche wiederum realisiert ihre Unterstützung im Raum der Schule über eine kirchlich gebundene, katholische Lehrerschaft, die die Kinder in eine Gebets- und Gottesdienstkultur einführt, sie zum Glauben an Jesus Christus anleitet und katechetisch unterweist und die in ihrer eigenen Lebensführung und in ihrer Erziehung Orientierung nimmt an einer katholischen Tugend- und Sittenlehre.
2.2.3Papst Pius XI.: Divini illius magistri
Am 31.12.1929 brachte Papst Pius XI. in der Enzyklika „Divini illius magistri – Rundschreiben über die christliche Erziehung der Jugend“100 seine Vorstellungen von einer katholischen schulischen Erziehung im Kontext der Trias Staat – Kirche – Eltern im Rahmen eines theologischen Lehrschreibens zum Ausdruck. Diese Enzyklika gilt als erste systematische und zusammenhängende Abhandlung über die Grundsätze einer katholischen Erziehung.101
„Divini illius magistri“ ist eine lehrhaft angelegte Schrift, die ihren argumentativen Ausgang in der Feststellung einer „allgemeinen Zeitlage“ nimmt und ihre Kausalität im kirchlichen Selbstverständnis einer Gesellschaft vollkommener, übernatürlicher Ordnung102 findet: Insofern die Familie, so die Argumentation, als Gesellschaft natürlicher Ordnung eine zum Zweck der Zeugung und Erziehung der Nachkommen unmittelbar von Gott geschaffene Einrichtung ist, nimmt sie gegenüber dem Staat, der ebenfalls natürlicher Ordnung ist, eine natürliche und damit auch rechtliche Vorrangstellung ein. „Zunächst steht die Erziehung in ganz überragendem Sinne der Kirche zu auf Grund zweier Rechtsansprüche übernatürlicher Ordnung.“103 Aus diesem Selbstverständnis heraus ergeben sich Recht und Pflicht der Kirche zur schulischen Erziehung. So ist es Aufgabe der Kirche, dort ein Einvernehmen mit dem Staat herzustellen, wo es in dieser Hinsicht Schwierigkeiten gibt.104 Die Kirche hat somit einen zweifach vorrangigen Auftrag gegenüber dem Staat. Sie nimmt eine inhaltliche und eine institutionelle Vorrangstellung ein. Zwar ist die Erziehung Aufgabe „aller drei Gesellschaften“105, also von Staat, Eltern und Kirche. Der Kirche aber steht diese aufgrund des göttlichen Auftrags ganz besonders und vorrangig und absolut zu. Im Sinne der Enzyklika kann mit Blick auf die Fragestellung, wem das Recht auf Erziehung zusteht, also folgende „institutionelle Rangfolge“ aufgestellt werden: zunächst der Kirche als Gesellschaft übernatürlicher Ordnung, qua göttlichen Auftrags als Vermittlerin der göttlichen Heilsmittel (Sakramente und Gebote), dann dem Elternhaus als von Gott geschaffener Gesellschaft und schließlich dem Staat in subsidiärer Funktion106 gegenüber dem elterlichen Recht auf Erziehung.
In der Frage also, welchen Charakter die Institution Schule im Spannungsfeld Kirche – Eltern – Staat einnimmt, ist „Divini illius magistri“ folglich eindeutig: Die Schule ist ihrem Wesen nach eine subsidiäre Einrichtung, die den natürlich begründeten erzieherischen Auftrag der Eltern ergänzt. Der Staat handelt in subsidiärer Funktion gegenüber diesem elterlichen Recht. Insofern leistet die Kirche auch einen Beitrag zur Stabilisierung des Staates bzw. des staatlichen Auftrags, denn Inhalt und Absicht katholischer Erziehung gehen konform mit dem Ziel eines guten Staatsbürgers. Die Kirche bietet dem Staat durch die Erziehung der Kinder und Jugendlichen ein Wertekorsett an, das ihm Orientierung und Richtung gibt. „Sie wollen ihre Kinder damit nicht etwa vom Körper und Geist des Volkes lostrennen, sondern sie auf die vollkommenste und dem Wohl der Nation dienlichste Art dafür erziehen. Denn der gute Katholik ist gerade kraft der katholischen Glaubenslehre auch der beste Staatsbürger.“107 Hier entdeckt man eine legitimierende Beweisführung, die nach 1945 noch einmal aktuell wurde.
Für unsere Fragestellung lässt sich nun resümieren und nochmals zuspitzen:
Papst Pius XI. nimmt ein vorrangiges kirchliches „Recht auf Erziehung“ in Anspruch, das er aus der „natürlichen Ordnung“ ableitet. Aus diesem auf naturrechtlicher Apologetik gründenden Kausalzusammenhang leitet er einen kirchlichen Aufsichtsanspruch über das erzieherisch und bildend tätige Lehrpersonal und die sächlichen Mittel (Schulbücher) ab, der sich aus dem Selbstverständnis einer Kirche als „Besitzerin und Hüterin der Wahrheit“ ergibt. Eben weil Wahrheit nur in der Katholischen Kirche zu finden ist und letztgültiges Ziel aller Erziehung und Bildung darstellt, kann nur die Kirche den Wächterdienst über die richtige Erziehung ausüben: „Da die Erziehung ihrem Wesen nach in der Bildung des Menschen besteht, wie er sein und im Diesseits seine Lebensführung gestalten soll, um das erhabene Ziel zu erreichen, für das er geschaffen ist, so ist es klar, daß es keine wahre Erziehung geben kann, die nicht ganz auf das letzte Ziel ausgerichtet ist, und daß es darum in der gegenwärtigen Ordnung der Vorsehung, nachdem Gott sich uns in seinem eingeborenen Sohne geoffenbart hat, der allein ‚der Weg, die Wahrheit und das Leben‘ ist, keine angemessene und vollkommene Erziehung außer der christlichen geben kann.“108 In seinen Ausführungen leitet Pius XI. aus dem Sendungsauftrag Jesu an seine Jünger den Sendungsauftrag der Kirche sowie aus dem Seinsverständnis einer „Kirche als Braut Christi“ im Sinne einer geistigen Mutterschaft über alle Geschöpfe ein kirchliches Alleinstellungsmerkmal in Fragen der Erziehung des Menschen ab.109 „Daraus folgt mit Notwendigkeit, daß die Kirche wie im Ursprung so auch in der Ausübung ihrer Erziehungsmission unabhängig ist von jeder irdischen Macht nicht allein hinsichtlich ihres eigentlichen Gegenstandes, sondern auch hinsichtlich der notwendigen und angemessenen Mittel zu deren Erreichung. Hinsichtlich jeder weiteren Erziehung und menschlichen Schulung, die in sich betrachtet Erbgut aller, der Einzelnen wie der Gesellschaft sind, hat darum die Kirche das unabhängige Recht, von ihnen Gebrauch zu machen und besonders darüber zu urteilen, inwieweit sie der christlichen Erziehung nützlich oder schädlich sind.“110
Die in „Divini illius magistri“ benannten inhaltlichen Ansprüche an eine katholische Erziehung folgert der Papst aus Schrift und Tradition: Der gefallene, d. h. erbsündige Mensch neigt aufgrund seiner natürlichen Verfasstheit zur Schwäche des Willens und zu Triebhaftigkeit. Hieraus resultiert der erzieherische Auftrag der Kirche, nämlich durch Lehre und Sakramente das Ungeordnete im Kind zu verbessern und es durch Schulung des Verstandes und Festigung des Willens zur sittlichen Reifung zu führen.111 Diese Überzeugung verknüpft Pius XI. mit einer Reihe von Abweisungen verbreiteter Ansichten und Überzeugungen:
•Ablehnung einer als „pädagogischer Naturalismus“ bezeichneten Auffassung, die das Kind als autonomes Wesen unbegrenzter Freiheit definiert und aus der ein erzieherischer Primat des Kindes unabhängig vom göttlichen Gesetz abgeleitet wird;
•Ablehnung von Despotismus und Gewaltanwendung in der Erziehung;
•Ablehnung von Erziehungskonzepten, die nicht auf der Basis von Dekalog, Evangelium und Naturgesetz – als dem Menschen genuine, eingepflanzte Fähigkeit, das göttliche Gesetz mit dem Verstand ergründen zu können – gründen;
•Ablehnung von Konzepten, die eine Befreiung des Kindes von religiöser Bevormundung anstreben;
•Ablehnung von Konzepten einer verfrühten sexuellen Aufklärung als Folge der Missbilligung des christlichen Menschenbildes, das um dessen angeborene Tendenz zu einer Schwäche des Willens weiß, denn „solange noch das Kindesalter andauert, wird es genügen, die Heilmittel anzuwenden, welche die Doppelwirkung haben, der Tugend der Keuschheit den Weg zu bereiten und dem Laster die Tore zu verschließen“112.
•Ablehnung der Koedukation, die sich aus der Schöpfungsordnung ergibt, die eine Abstufung der Geschlechter in Familie und Gesellschaft vorsehe. Christkatholische Erziehung habe eine Trennung nach Alter und Umstand vorzunehmen. Konkret benannt werden die „gefährlichen Entwicklungs- und Reifejahre“, die Sportstunden sowie eine Rücksicht auf das „christliche Schicklichkeitsgefühl“ der Mädchen.
•Ablehnung von Widersprüchen zwischen den Inhalten des Religionsunterrichts und andere Fächer, auch in der Auswahl der Lektüre.113
Zur Frage, an wen sich die formulierten Erziehungsansprüche und Erziehungsgrundsätze wenden, finden sich in der Literatur unterschiedliche Auffassungen. Wer sind die „christifideles“, an die sich die Enzyklika richtet? Dabei interessiert uns weniger die Klärung der Frage, für wen ihre Aussagen normative Gültigkeit besitzen.114 Was hier vielmehr interessiert, ist die Klärung der Frage nach möglichen Propria einer KGS aus der Historie heraus, also in Auswertung der vorliegenden Enzyklika. Sicherlich ist inhaltlich insgesamt kritisch festzuhalten, dass die von Pius XI. formulierten Grundsätze einer christlichen Erziehung wenig substanziell und vielfach von einer negativen Weltsicht geprägt sind. Auch spiegelt die Enzyklika ein stark objektbetonendes Bild vom Kind wider, so dass das Kind als eigenständiges Wesen nur wenig Beachtung findet.
Dennoch: Die Enzyklika enthält sehr wohl erste Ansätze eines subjektiven Rechts des Kindes auf Bildung und Erziehung, wie zum Beispiel nachfolgendes Zitat zeigt: „Aus den angeführten Grundsätzen erhellt gleichfalls klar und deutlich die, man kann wohl sagen unübertreffliche Vorzüglichkeit des christlichen Erziehungswerkes, das letzten Endes dahin zielt, den Seelen der zu Erziehenden das höchste Gute, nämlich Gott […] zu sichern.“115
Bleibt man in der Wahrnehmung und Rezeption dieses heute fremd anmutenden Textes hartnäckig und fragt weiter, ob sich Bemerkenswertes finden lässt, das zum Nachdenken und zur Profilierung heutiger Katholischer Bekenntnisschulen herausfordert: Ohne in dieser Ausrichtung einem universalen Anspruch katholischer Auffassungen oder restaurativen Tendenzen und Neigungen das Wort zu reden und einmal abgesehen vom lehrhaften Duktus, von den zahlreichen Negativformulierungen im Text und der aus heutiger Sicht problematischen theologischen Argumentation, lassen sich in „Divini illius magistri“ nämlich tatsächlich einige interessante Reflexionsimpulse einer christlichen Erziehung freilegen, die in der aktuellen pädagogischen Diskussion ihren Platz haben. Befragt man also nochmals die oben genannten Punkte, ob sie für heutige Katholische Grundschulen und die Frage nach einer „Erziehung und Bildung im Geiste des Bekenntnisses“ den Charakter eines Reflexionsangebots haben könnten, denn sie berühren durchaus auch moderne Fragestellungen: Dazu gehören zum Beispiel die Aspekte einer genderorientierten Erziehung, der Gewalt in der Erziehung, einer altersangemessenen Sexualerziehung angesichts der Gefahr subjektiver Überforderung von Kindern, Fragen nach einem „Recht des Kindes auf Religion“. Die Beantwortung all dieser Fragen könnte zur Profilbildung Katholischer Grundschulen beitragen.
Die kritische Einlassung von Schmitz-Stuhlträger, die in „Divini illius magistri“ formulierten erzieherischen Absichten seien rein auf das „Seelenheil“ und das „Jenseits“ ausgerichtet, so dass das Leben im „Diesseits“ keinen Eigenstand mehr besitze, findet zweifelsfrei ihre Berechtigung: Die Erlangung des „Seelenheils“ als Verheißung auf ewiges Leben und zum „Schutz vor den Qualen des Fegefeuers“ durch konsequente Befolgung der kirchlichen Gebote, Regelmäßigkeit in den Frömmigkeitsübungen und Teilhabe an den Sakramenten der Kirche als Ziel christlicher Erziehung sind theologisch kritisch zu hinterfragen. Ob allerdings eine reine „Diesseitsorientierung“ als Grundlage erzieherischen Handelns die entsprechende Alternative bildet, ist einer zeitkritischen Anfrage wert.
Schließlich sei ein letzter Aspekt an dieser Stelle hervorgehoben, weil er zeithistorisch bemerkenswert ist: Grundsätzlich unterscheidet die Enzyklika zwischen den Gläubigen und den Ungläubigen.116 Insofern, hier folge ich Schmitz-Stuhlträger117, die Enzyklika von einer erzieherischen Sendung spricht, nimmt sie – gegenüber den Ungläubigen – den Charakter eines Angebots an.
Zugegeben: Der Blick auf die Enzyklika „Divini illius magistri“ hat für die Suche nach transformationsfähigen Propria kaum wesentliche Aspekte hervorbringen können. Er war aber dennoch unumgänglich, weil in diesem Text der in den unmittelbaren Nachkriegsjahren aufblühende kirchliche Anspruch auf ein „Recht zur Erziehung“ wurzelt. Dies unterstreicht auch Klöcker: „Der Rekurs auf den in der Erziehungsenzyklika von 1929 reklamierten ‚kirchlichen Totalitätsanspruch‘ […] als erster Erziehungsträger im Rahmen hierarchisch gestufter Ordnung und Wahrheitsverkündigung wird in den 1950er Jahren nochmals verstärkt.“118 Neben den wegweisenden Erkenntnisgewinnen muss demnach kritisch die Frage gestellt werden, ob und inwiefern – auch nachkonziliar – die Idee eines geschlossenen katholischen Milieus (katholische Lehrer, katholische Eltern, katholische Schule), wie es in „Divini illius magistri“ intendiert, vorausgesetzt und beschrieben wird, ein – weil nicht ins Bewusstsein gehobenes – unhinterfragtes Leitmotiv der KGS geblieben ist.
2.3„As in the Weimar Republic“: Die Grundschule nach 1945
Wesentliche Eigenheiten der Schulart „Katholische Grundschule Nordrhein-Westfalen“, ihre Entwicklungslinien sowie die politischen und kirchenpolitischen Absichten einer auf Konfessionalität ausgerichteten grundschulischen Bildung und Erziehung werden verständlich, betrachtet und reflektiert man ihre historische Genese unmittelbar nach 1945. Dieser Periode wendet sich dieser Abschnitt zu, um aus der Perspektive der politischen und kirchenpolitischen Entstehungsgeschichte heraus schulhistorische Grundlinien einer Katholischen Grundschule auszumachen. Dabei werden vorrangig und zentral Entwicklungen innerhalb der britischen Besatzungszone119 gemäß dem Potsdamer Abkommen von 1945 in den Blick genommen. Im nachfolgenden Abschnitt wird dann zu sehen sein, ob und inwiefern die Erfahrungen aus dieser historischen Epoche in die Gegenwart (kirchen)politischen Handelns hineinwirken (2.4).
Mit der Kapitulation Deutschlands und der Besetzung durch die Alliierten waren die Bemühungen auf eine zügige Wiedererrichtung der Schulen konzentriert. Bereits 1945 erteilte die britische Militärregierung den westfälischen und den Nord-Rhein-Provinzen den Befehl, die Schulen wiederzueröffnen, nachdem sie zunächst per Proklamation des Oberbefehlshabers General Eisenhower geschlossen worden waren. Dabei stellten vor allem die vielfach zerstörten Schulgebäude und der Mangel an Lehrkräften die Behörden vor erhebliche Probleme. Himmelstein stellt in seiner Untersuchung „Kreuz statt Führerbild“ fest, dass es den Städten und Kreisen bis zur Währungsunion nicht gelang, die Schulen umfänglich instand zu setzen.120 Insbesondere galt es, bedingt durch die erstmalig schulpflichtigen Kinder der geburtenstarken Jahrgänge 1939/40 und die hinzukommenden Flüchtlingskinder, besonders große Schülergruppen einzuschulen. Auch war der Lehrermangel eklatant: Viele Lehrer waren im Krieg gefallen, galten als politisch belastet oder waren noch in Kriegsgefangenschaft. Neben den schulorganisatorischen Rahmenbedingungen stellte sich den Besatzungsmächten die Frage, wie die inneren Schulangelegenheiten im Sinne ihrer „Re-education-Politik“ zu regeln seien. Strukturell griff man dabei auf den Organisationsplan der preußischen Provinzialverwaltung zurück. Günter Heumann stellt dazu in seinen Untersuchungen fest, dass die oberen Schulbehörden die einzelnen Provinzen zunächst mit unvorbelasteten und kompetenten Fachleuten zu besetzen versuchten, die nicht selten aus dem Umfeld der Katholischen Kirche kamen.121 Spätestens aber nachdem die Verwaltungsbehörden ihre Arbeit aufgenommen hatten und die Schulen schrittweise wieder geöffnet wurden, stellte sich die Frage nach dem inneren Charakter der Volksschulen. Prompt proklamierte die Katholische Kirche ihre Rechte auf eine konfessionelle Bestimmung. Insbesondere aus dem Erzbistum Köln und dem Erzbistum Paderborn wurden „alte Rechte“ eingefordert: So berief sich der Kölner Erzbischof Frings, der sich unmittelbar nach Wiedereröffnung der Schulen für eine eindeutig konfessionelle Ausrichtung der Volksschulen aussprach, auf die Bestimmungen des preußischen Volksschulunterhaltungsgesetzes von 1906, wonach, wie oben ausgeführt, der Unterricht für katholische Kinder von katholischen Lehrern zu erteilen ist.
Rückblickend betrachtet verwundert es kaum, dass die britische Militärregierung angesichts der gravierenden und massiven Probleme und vielschichtigen organisatorischen Aufgaben und Herausforderungen, die die Wiedereröffnung der Schulen mit sich brachten, mit Verärgerung auf das Gesuch des Kölner Erzbischofs Frings und des Paderborner Erzbischofs Jaeger auf Wiederherstellung der Bekenntnisschule reagierte. Klaus-Peter Eich zeichnet den Konflikt zwischen der Katholischen Kirche Paderborns (insbesondere durch Erzbischof Jaeger) und der britischen Militärregierung in seiner „Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen“ nach: „Wiederholt richteten er persönlich und die katholischen Priester seiner Diözese Protestbriefe an den zuständigen Oberst Stirling. Dieser reagierte äußerst gereizt auf die vielen Briefe und Memoranden der katholischen Priester.“122 Konkreter Auslöser für die Interventionen des Paderborner Erzbischofs und einiger Kleriker war die britische Anweisung an den Arnsberger Regierungspräsidenten, dessen Volksschulen als Gemeinschaftsschulen wiederzueröffnen bzw. einzurichten.123