Maritime E-Bibliothek: Sammelband Abenteuer und Segeln

- -
- 100%
- +
Der berühmte Kapitän William Dampier machte 1699 auf Ascension Schiffbruch und hatte so selbst Gelegenheit, Robinson Crusoe zu spielen. Er war es ja, der das Robinson-Modell Alexander Selkirk auf den Fernandez-Inseln zurückgelassen hatte und der den freiwilligen Eremiten später auch wieder abholte und mit nach England nahm. Dampier wurde bald aus seiner mißlichen Lage befreit; zurückgeblieben ist sein Goldschatz – munkelt man auf Ascension.
Auf die öde Insel besann man sich erst wieder, als Europa St. Helena zur kostenlosen Erholungsstätte für Napoleon gemacht hatte. Die Briten fürchteten, Napoleon könnte von Ascension aus befreit werden und nahmen die Insel deshalb in Besitz. Der große Korse aber starb schon wenige Jahre später – die Briten indessen sind auf Ascension geblieben.
Zu allen Zeiten des Jahres weht der Südostpassat über die Insel, so daß man die Hitze selten als lästig empfindet. Außerdem ist die Luftfeuchtigkeit sehr gering. So hat man die Insel früher als „keimfrei“ und ihr Klima als besonders gesund betrachtet und dort die Boote Station machen lassen, deren Besatzungen sich in Westafrika im Kampf gegen die Sklavenhändler Malaria und Gelbfieber zugezogen hatten.
Heute spielt Ascension eine große Rolle als Kabelverbindungsstation und als Beobachtungspunkt für die amerikanischen Raketenversuche.
So kahl, so wüstenartig, so abstoßend Ascension auf den ersten Blick aussah, so unerwartet angenehm wurde mein Aufenthalt dort – dank der britischen „Cable and Wireless Ltd.“, die die Insel regiert und deren Gast ich war.
Mit dem Direktor der Kabelstation, Mr. Harrison, der auch für alle Verwaltungsfragen verantwortlich ist, fuhr ich zum höchsten Berg der Insel, zum Green Mountain, einer köstlichen Oase inmitten einer kahlen Umgebung. Die Engländer haben den Berg systematisch bebaut und zu einer glüddichen Kombination von Naturschutzpark und Farmland gemacht. Aus aller Herren Länder führten sie Pflanzen und Tiere ein. Auf den Weiden grast das Vieh, das zur Farm gehörte, welche die rund 200 Angestellten und Arbeiter der Kabelstation mit Lebensmitteln versorgt.
Der Gipfel des Green Mountain ist 850 Meter hoch und trägt einen dichten Bambuswald, in dessen Innern sich ein kleiner Teich mit märchenhaften lilafarbenen Seerosen verstemt. Aber nicht nur (importierter) Bambus wächst auf dem Berg, sondern auch aus Australien stammende Akazien und Eukalyptusbäume, Zedern von den Bermudas, Eiben aus Südafrika und das berühmte australische Gras Paspalum dilatatum, das sich so außerordentlich gut zur Verwandlung öder Sandflächen in üppige Weiden eignet.
Im letzten Krieg vollbrachte dieses Gras in Libyen wahre Wunder: einzelne Samen körnchen hatten sich in die Uniformen und Wagen australischer Soldaten verirrt, ließen sich nun in den afrikanischen Sand fallen und begannen sogleich zu keimen, Wurzeln zu schlagen und Halme zu treiben. Im Nu wurde das ödland hier und da grün. Paspalum Rasen und -Weiden habe ich auch schon in Marokko, Dakar und in Port Gentil gesehen.
Auf dem Farmland von Ascension wachsen Ananas, Kartoffeln, Advokado-Birnen, Dattelpalmen, Ingwer-Stauden und Salbeisträucher. Bienenstöcke für die Befruchtung der Pflanzen hatten erst eingeführt werden müssen. Zu den vielen Seevögeln gesellten sich St. Helena-Kanarienvögel und Kardinäle.
Am Fuße des Green Mountain durchwanderten wir einen Hain, auf dessen Bestand früher jene Segelschiffe zurückgreifen konnten, deren Mast gebrochen war. Es ist die berühmte Norfolk Island-Kiefer, die an der Osts ei te der Insel diesen kleinen Reservewald bildet.
Auf der sonst öden Insel fällt nicht einmal ein Zehntel so viel Regen wie auf dem Grünen Berg, aus dessen Hängen tropfenweise Drips, spärliche Quellen, sickern. Die berühmteste von ihnen ist nach Dampier benannt worden, weil sie ihm und seiner Besatzung das Leben rettete. Ansonsten dienen Zisternen, in denen Regenwasser aufgefangen wird, der Wasserversorgung.
Wasser ist auf der Insel knapp – um so mehr wußte ich die Einladung des Managers zu einem täglichen Bad zu schätzen. Regnet es wirklich einmal, dann gleich in tropischen Wolkenbrüchen, die binnen Stunden die rote Insel grün werden lassen. Aber die Kehrseite dieser Verwandlung ist weniger erfreulich: Moskitos, Grillen, Heuschrecken und Kakerlaken vermehren sich so rasend schnell, daß sie den Algen Konkurrenz machen könnten. Sie werden zu einer wahren Plage, gegen die man sich nicht wehren kann.
Auch die Ratten sind keine angenehmen Inselbewohner. Als treueste Begleiter der Menschen kamen sie mit den gestrandeten Segelschiffen auf die Insel und richteten sich dort häuslich ein. Sie haben zusammen mit wildernden Katzen auf Ascension ungeheuren Schaden in den Brutkolonien der Seevögel angerichtet. Groteske Schauspiele, wie sie sich die Natur nicht besser hätte ausdenken können, sind die erbitterten Zweikämpfe zwischen Ratten und riesigen Landkrabben – beide scheinen des anderen Fleisch als Delikatesse zu schätzen. Da sie beide gleiche Gewinnchancen haben, geht keiner dem anderen aus dem Weg, sondern greift an, sobald er hungrig ist und setzt nach dem Siege zum Festschmaus an – oder aber bezahlt seinen Appetit mit dem Leben.
Ascension und die Riesenschildkröten
Die Insel Ascension und ihre Schildkröten sind ein Begriff. Diese Tiere mußten einst ihr kaltblütiges Leben lassen, damit die Stadtoberhäupter von London oder die Lords der Admiralität eine heiße Suppe auf den Mittagstisch bekommen konnten. Zum Glück besitzen die grüne und die Lederschildkröte von Ascension kein Schild platt, sonst wären sie sicher schon ausgerottet.
Vorwiegend von Februar bis April kommen die Weibchen schwerfällig durch die Brandung gekrochen, um an Land jenseits der Brandungszone ihre Eier zu vergraben. Manchmal werden sie auch bei ihrem Landgang recht unsanft gegen Riffs geworfen, wie entsprechende Schönheitsfehler auf ihren Panzern beweisen.
Auf dem Fußballplatz der Insel – er liegt direkt am Strand – sah ich mehrere Bahnen von Schildkröten. Sie sehen wie die Spuren einraupiger Tanks aus. Gerade in Höhe des Elfmeterpunktes hatte ein Weibchen aus lauter Bosheit ein Loch gescharrt. üb es später seine Eier dort ablegte, kann man nicht sagen, da die Tiere meist mehrere Löcher kratzen, bevor sie legen. Sie tun das mit allen Vieren und bilden dann über dem auserwählten Loch mit ihren Hinterfüßen eine Art Rollbahn, auf der die Ping-Pong-Eier aus dem Panzerschrank in ihr Geburtsbett rollen.
Nach etwa acht Wochen schlüpfen die Jungen aus und müssen sich ohne Anleitung erst einmal durch den Sand nach oben buddeln, um auf dem schnellsten Weg ins Wasser zu gelangen, denn überall lauern Gefahren auf die Kleinen: Fregattvögel kreisen in der Luft, Ratten und Katzen streichen umher, und sollte gerade ein Tölpel vorbeifliegen, wird er sich diesen zarten Braten auch nicht entgehen lassen. Manchmal gibt es auch unvorhergesehene Zwischenfälle. In Georgetown lief einmal in einem Haus am Strand ein Motor. Eines Morgens zogen sämtliche, soeben ausgeschlüpfte Schildkröten in gelockertem Gänsemarsch in dieses Haus – die Vibration hatte offensichtlich ihren Instinkt aus dem Gleichgewicht gebracht.
Nur zwei Prozent der ausgeschlüpften Jungen bleiben am Leben, denn im Wasser setzen Haie, Barrakudas und Seevögel die Verfolgungsjagd fort. Als Nahrung dienen den Seeschildkröten Seegras und Quallen, an denen sie sich keineswegs den Kopf verbrennen: er ist zu hart.
Die Schildkröte vermag sich, liegt sie einmal auf dem Rücken, aus eigener Kraft nicht wieder aufzurichten. Daher bezeichnen die Engländer einen Menschen, der sich in einer hilflosen Lage befindet, als turned turtle, umgedrehte Schildkröte.
Mir wollte der Manager der Insel eine Riesenschildkröte schenken; seine Boys hatten zu diesem Zwecke ein solches Reptil am Strand auf den Rücken gedreht, um es am nächsten Morgen zu schlachten (Schildkrötenfleisch schmeckt wie trockenes Rindfleisch) und mir den Panzer zu überlassen. Gegen Mitternacht jedoch machte ein romantisch veranlagtes Paar im Mondschein einen nicht einkalkulierten Spaziergang und stieß auf die „verunglückte“ Schildkröte. Es drehte das Tier wieder auf die Füße, und sicher schwimmt es noch heute im Ozean herum.
Besuch auf einer Vogelinsel
Schon seit acht Monaten hielten sich auf Ascension vier britische Ornithologen zu Studienzwecken auf. Sie erzählten mir, sie hätten alle Segler, die in jener Zeit die Insel anliefen, eingehend interviewt, in der Hoffnung, interessante Beobachtungen aus der Vogel welt zu hören zu bekommen – jedoch zu ihrem Leidwesen niemals Antworten erhalten, die für sie verwendbar gewesen wären.
Da ich auf meinen Reisen alle Seevögel, die mir über den Weg flogen, sorgfältig beobachtet hatte, steckten wir bald in Fachgesprächen. Die Wissenschaftler waren überrascht, als ich ihnen sagte, daß ich auf meinen Atlantiküberquerungen eine ungefähre Ortsbestimmung nach dem Auftreten von bestimmten Vogelarten vornehmen konnte.
Auf Ascension nisten unzählige Vögel, vor allem Tausende von Rußseeschwalben, die die amerikanischen Flieger im letzten Krieg vor schwierige Aufgaben gestellt haben. Die Amerikaner hatten auf der Insel einen bedeutenden Luftstützpunkt errichtet, der direkt an die Brutkolonie der Rußseeschwalben grenzte, jedoch die Vögel dachten nicht daran, ihren Brutplatz aufzugeben – schließlich besaßen sie ältere Rechte. So mußten die Amerikaner ein besonderes Kommando einsetzen, das die Vogeleier, etwa 40.000 an der Zahl, zerstörte, worauf sich die empfindlicheren unter den Rußseeschwalben, höchst empört über diese Barbarei, ein anderes Nistquartier suchten. Doch nicht genug der Schwierigkeiten an Land: in der Luft kam es sogar zu Zusammenstößen zwischen den Vögeln und den Flugzeugen, und mehrere Maschinen stürzten ab.
Unfälle dieser Art sind nicht selten: im Pazifik erlitten während des letzten Krieges einige Luftstützpunkte der Amerikaner mehr Verluste durch Seevögel als durch Feindeinwirkung. Am schlimmsten hatten und haben noch immer die Marineflieger auf der Insel Midway im Pazifik zu leiden. Albatrosse verursachten fünfhundert Zusammenstöße mit Flugzeugen. Wenn sie in Scharen auftraten, störten sie überdies die Radarbeobachtungen der Station, so daß die Redartechniker sich langsam die Haare zu raufen begannen.
Was tun? Es blieb den Marinern gar nichts anderes übrig: sie erklärten den Vögeln den Kampf. Mit Knüppeln droschen sie auf die zutraulichen Tiere ein und schlugen Tausende von ihnen tot. Dann aber warfen sie die Knüppel stöhnend weg und weigerten sich, ihr blutiges Werk fortzusetzen, denn die Vögel hatten sich arglos an ihre Mörder gedrängt, als wäre es eine besondere Gnade, vom Homo sapiens totgeschlagen zu werden. Das machte sogar die hartgesottensten Männer weich.
Also versuchten sie es auf weniger blutige Art und Weise: sie wollten sie ausräuchern. Doch die Albatrosse ließen sich nicht so schnell ins Bockshorn jagen. Als sich der Rauch verzogen hatte, kamen sie zurückgeflogen. Die unglücklichen Marineflieger ersannen eine neue Methode: sie raubten den Vögeln die Eier; aber die schwingengewaltigen Albatrosse flogen so lange schimpfend und kreischend und bittend über den Eierräubern umher, daß denen der Kopf smwirrte und sie die Eier wieder zurückbrachten.
Nun begannen sie, die Vögel auf entlegene Inseln zu deportieren – vergebens! Schon nach wenigen Tagen kehrten die hartnäckigen Tiere zurück und wurden von ihren daheimgebliebenen Brüdern freudig begrüßt. Da gaben die Soldaten es auf. Es scheint, daß sie den Albatrossen den „totalen Krieg“ er klären müssen, wenn sie ihren Stützpunkt behaupten wollen.
Bei Ascension gibt es eine Insel, die ausschließlich von Vögeln bewohnt und beherrscht wird; sie heißt „Boatswain-Island“. Diese Vogel insel war natürlich ein idealer Studienort für die Ornithologen. Mit der LIBERIA fuhren wir hinüber; es sind von Georgetown nur knappe zehn Seemeilen. Die Insel ist durch einen rund 200 Meter breiten Kanal von dem steilen Vulkanufer Ascension getrennt und wird dadurch zum Paradies für die Seevögel, die auf ihr nisten: hier werden sie nicht durch Ratten, wilde Katzen und Menschen in ihren Brutgeschäften gestört!
Vom Meere her gesehen ist die Vogel insel wenig attraktiv: ein kahler, grauer Felsen, mit einer schmutzig-weißen Haube aus Guano bedeckt – dem Mist der Seevögel, der sich in Jahrtausenden angehäuft hat. Vom Guano ist einst ein ganzer Staat reich geworden: Peru. Obwohl im Guano keine noch so widerstandsfähige Pflanze leben kann – sie wird sofort verbrannt –, dient er, in homöopathischen Dosen verabreicht, wegen seines Stickstoff- und Phosphatgehaltes als Düngemittel.
Wir ankerten an der Nordwestseite der Insel und setzten mit dem Schlauchboot über. Mit einem Bootshaken holten die Ornithologen eine Strickleiter von der steilen Felswand herunter, und dann konnten wir auf eine Plattform klettern, auf der sich die Wissenschaftler eine Hütte gebaut hatten. Früher hatte hier einmal eine Guanofirma „geschürft“; von ihr stammen die Plattform und die bereits durchgerosteten Reste der Gleisanlagen. Wohin der Blick auch ging, man sah nichts als Seevögel: große und kleine, weiße und schwarze, scheue und freche, neugierige und desinteressierte, zierliche und plumpe. Jeder baut seinen Nistplatz so, daß auch der längste Hals und der spitzeste Schnabel des Nachbarn ihn nicht erreichen kann. Dringen fremde Vögel in diesen Tabu-Bereich ein, werden sie unbarmherzig attackiert und weggejagt. Da es Vögel gibt, die keinerlei Hemmungen haben, die Jungen ihres Nachbarn mit Wohlbehagen zu verspeisen, bleibt ein Elternteil stets beim Nest oder in unmittelbarer Nähe, um Eindringlinge zu vertreiben.
Die Ornithologen hatten jedem Nest eine Hausnummer aufgepinselt; sie versahen die Vögel mit einem „Paß“, indem sie sie beringten, und zum Teil färbten sie sogar ihr Gefieder. In unendlich mühevoller und langwieriger Arbeit katalogisierten und fotografierten sie den Bestand der Insel, in Hunderten von Arbeitsstunden errechneten sie, wieviele Vertreter einer jeden Vogelart es dort gab. Bestandsaufnahmen dieser Art werden in den entlegensten Winkeln der Erde durchgeführt.
Unmittelbar neben der Hütte saß ein Maskentölpel, der uns so lange gleichgültig betrachtete, wie wir uns außer Reichweite seines langen spitzen Schnabels hielten. Rückten wir ihm jedoch näher, flog er nicht etwa davon, sondern schimpfte laut und hieb nach unseren Beinen. Angst kennen die Tölpel nicht. Sie lassen sich deshalb trotz der Schnabelhiebe, die sie nach allen Seiten austeilen, leicht fangen, weshalb sie von den Seeleuten auch ihren Namen erhalten haben, der im Grunde wenig zu ihnen paßt, denn sie sind gewandte Stoßtaucher und hervorragende Flieger. Wie die Kormorane opfern sie nur wenig Zeit für Dinge, die nicht unmittelbar mit ihrem Nahrungserwerb oder ihrer Erholung an Land zusammenhängen.
Männchen und Weibchen kann man an ihrem verschieden gefärbten Federkleid erkennen, aber auch an ihren unterschiedlichen Pfeiftönen. Wir beobachteten blaugesichtige Maskentölpel, Rotfußtölpel, die ein ganz ähnliches Aussehen haben, und Weißbauch- oder braune Tölpel, die man in den Tropen am häufigsten antrifft. Tölpel gibt es auch bei uns im Norden, zum Beispiel den Baßtölpel.
Inzwischen waren wir sehr vorsichtig an den Felshängen herumgeklettert, weil deren obere Schichten sich im Laufe der Jahrtausende durch die Einwirkung des Guanos gelod{ert und zum Teil zersetzt haben, so daß sie unter unseren Händen und Füßen zu bröckeln begannen. Es fehlte nicht viel, und wir wären im Meer gelandet!
An den Steilwänden hatten Seeschwalben ihre Gehege. Da brüteten Rußseeschwalben, die von den Engländern ihres Tag und Nacht dauernden Schreiens wegen Wideawake (hellwach) genannt werden. Da gab es ferner die zierliche weiße Feenseeschwalbe, die ich später auf der Weiterfahrt nach Trinidad fortwährend wiedersah. Auch eine Bekannte aus Westafrika traf ich auf der Insel in riesigen Scharen wieder: die Noddiseeschwalbe und nicht weit davon entfernt die Baumnoddiseeschwalbe, die ihr ganz ähnlich sieht.
Aus einem künstlich angelegten Nistkasten holte einer der Ornithologen ein fettes Junges in grauem Dunenkleid hervor. „Erkennen Sie ihn? Die ausgewachsenen Vögel dieser Art haben Sie bestimmt tausendfach auf dem Meer gesehen.“
Es handelte sich um eine Sturmschwalbenart, das war mir klar, aber um welche, konnte ich beim besten Willen nicht sagen. Der Ornithologe erklärte es mir: „Ein Madeira-Wellenläuferl“
Wirklich – das hätte ich nicht erraten! Zwar waren mir die Madeira-Wellenläufer auf meinen Fahrten von allen Vögeln am häufigsten begegnet, nicht nur in Küstennähe, sondern auch mitten auf dem Atlantik. Wenn sie auch von meinem Boot keine Notiz nahmen, so hatten mich doch oft ihre spielerischen Versuche erfreut, möglichst elegant über den Wellen einherzuspazieren, und ich hatte sie selbst in Stürmen bewundert, wenn sie unbekümmert ihr tänzerisches Spiel trieben. Ich kannte sie also recht gut. Aber dieses Junge war beträchtlich größer als die erwachsenen Tiere, die starengroß, die kleinsten Seevögel sind. Und wie bei allen Jungen hatte sein flaumiges Federkleid eine andere Färbung als das Gefieder, das es bekommt, wenn es erwachsen ist. Es war übrigens seinem Dunenkleid schon fast entwachsen und so groß, daß die Eltern es bald verlassen konnten. Allein gelassen würde es bis zum Wachsen der richtigen Federn hungern müssen und wieder normale Größe annehmen.
Auch andere Seevögel verlassen ihre Jungen, wenn sie glauben, daß sie groß genug sind, um sich selbst ernähren zu können; sie kümmern sich dann nicht mehr um die Futterbettelei ihrer Brut; ihre ganze Liebe zu ihren Sprößlingen scheint erloschen. Das geht so weit, daß die Eltern die Jungen in diesem Stadium zuweilen sogar angreifen und töten.
„Schauen Sie sich diesen Vogel an!“ forderten mich meine Begleiter auf und zeigten mir ein unauffälliges Tier mit dunkler Oberseite und schwarzem Schnabel, das in den Felsenklippen auf der Spitze der Insel nistete. Diesmal erkannte ich es gleich, denn ich war ihm früher schon auf dem Nordatlantik begegnet: Audubon – Sturm taucher. „Wir sind die ersten, die ihn hier entdeckt haben, bisher wußte man noch nicht, daß er auf dieser Insel brütet“, erzählte mir einer der Ornithologen.
Mitten unter allen diesen friedlichen Vögeln, die eifrig ihrem Brutgeschäft nachgehen, haust erstaunlicherweise ein Marodeur übelster Sorte, der Adlerfregattvogel. Wie in früheren Tagen Fregatten die Kauffahrteischiffe überfielen und zur Herausgabe ihrer Fracht zwangen, so zwingt dieser Vogel mit wenig Sinn für Ästhetik Tölpel, Seeschwalben und Tropikvögel dazu, ihre Beute zu erbrechen, schnappt sich noch in der Luft den herausgewürgten Leckerbissen und frißt ihn selbst auf. Und wehe dem Vogel, der nicht rechtzeitig spurt! Wir sahen mehrere verletzte Tölpel und Seeschwalben, die offensichtlich der Krummschnabel eines Fregattvogels gelehrt hatte, das nächste Mal schneller zu gehorchen.
Warum dieser große Räuber sich nicht auf die Eier und Jungen seiner Tölpel-Nachbarn stürzt, ist mir ein Rätsel, denn er ist der größte und kräftigste Vogel der Insel und bräuchte sich vor den Schnabelhieben der Tölpel nicht zu fürchten.
Wie viele andere See vögel legt auch der Fregattvogel auf Boatswain-Island sein Ei nicht in ein Nest, sondern einfach auf den trockenen, körnigen Guano und beginnt dort sein Brutgeschäft. Er läßt sich trotz seiner Größe ebenso leicht fangen wie der Tölpel, hackt jedoch noch gefährlicher als der Tölpel mit dem Schnabel um sich.
Einige Männchen trugen offensichtlich noch ihr „Brautkleid“ oder, besser gesagt, ihr Brutkleid: zwischen den Ästen ihres Unterschnabels dehnte sich ein feuerroter Hautsack, den die Tiere bis zur Größe eines Fußballes aufblähen, wenn sie mit dem Weibchen flirten.
Die Ornithologen waren mit einem Feuereifer bei der Sache. Sie nahmen die Ektoparasiten1 der Vögel – Flöhe, Milben, Läuse – genauso unter die Lupe, wie die Fische, die die Tiere sich aus dem Meer angelten. Stunden- und tagelang lagen sie mit dem Fotoapparat auf der Lauer, um einen bestimmten Vogel auf den Film zu bekommen.
Die Ornithologie ist eine Wissenschaft, die dankbar für Beobachtungen von Seiten der Laien ist. So waren es, zum Beispiel, denn auch keine Wissenschaftler, die das Huckepack-Reisen mancher Vögel (ein kleiner Vogel sitzt im Gefieder eines größeren) oder das „Einemsen“ (es gibt Vögel, die aus schwer bestimmbaren Gründen Ameisen in ihre Federn stecken) beobachtet haben. Auch viele vogelkundlich interessierte Kapitäne haben den Ornithologen wertvolle Hinweise gegeben.
Neueren Datums ist die Erkenntnis, daß Seevögel – wie auch Seeschildkröten, Wale und Seehunde – Salzwasser trinken können. Seevögel besitzen hinter den Nasenhöhlen sogenannte Salzdrüsen, die das überschüssige Salz aus dem Blut ausscheiden, die Nieren also entlasten. Deswegen haben Seevögel so häufig eine „laufende Nase“: die Salzlake tröpfelt ihnen aus den Nasenlöchern.
Das aber wußte ein schiffbrüchiger amerikanischer Leutnant nicht, der im letzten Kriege im Pazifik trieb und beobachtete, wie ein Seevogel Meerwasser trank. Er schoß den Vogel, „sezierte ihn“, und als er Fettballen im Rachenring des Tieres entdeckte, glaubte er, den Stein der Weisen gefunden zu haben: Seewasser sei unschädlich, wenn man sich den Rachen mit Vogelfett einreibe, meinte er. Daß die Sache mit dem Fett völlig bedeutungslos ist, konnte er nicht wissen.
Viele Geheimnisse der Vogelwelt sind noch immer unerforscht; man denke nur an die Wege der Zugvögel oder – um ein Beispiel aus vielen herauszu greifen – an den erstaunlichen Orientierungssinn der Wellenläufer, die acht Monate auf dem Meer zubringen und dann wieder instinktsicher und zielbewußt auf ein kleines Eiland fliegen und an derselben Stelle brüten, die sie zu diesem Zweck seit Jahren aufsuchen.
Zugvögel haben schon Tausende von Jahren vor Kolumbus den Atlantik überquert – sicherer und genauer als es der Mensch mit allen seinen modernsten Instrumenten heute vermag. Die arktische Seeschwalbe unternimmt sogar eine Mammutreise, ohne sich zu verirren: sie brütet in der Gegend des Nordpols und überwintert am Südpol. Und ein kleiner Schwarzschnabel-Sturmtaucher, der aus seinem Felsloch in Wales herausgeholt und per Flugzeug nach Boston in die USA gebracht wurde, kroch zwölfeinhalb Tage später wieder in seinen walisischen Nistplatz! 4900 Kilometer war er über den Nordatlantik geflogen!
Die Überquerung
Nach einer Rundfahrt um die Boatswain-Insel blies ich zum Abschied ins Nebelhorn, und alle gefiederten Bewohner der Insel flatterten schreiend auf und brachten uns eine „spontane“ Ovation dar.
Vor Georgetown kam der Leiter der Kabelstation an Bord und gab mir einen Karton frischer Kartoffeln mit auf den Weg über den Atlantik – ein willkommenes Geschenk. Da aus dem Nordwesten eine hohe Dünung stand, ging ich nicht erst an Land, sondern verabschiedete mich schon hier von meinem Gastgeber.
Als die LIBERIA schließlich den zweiten Teil ihrer Reise über den Atlantik antrat, winkte ihr Sig Hilseth, der Kapitän eines amerikanischen Raketenkontrollschiffes, das auf Reede lag, noch lange nach. Später traf ich Sig in Trinidad wieder und war mit meiner Frau in Miami sein Gast.
Über dem Masttopp kreisten Fregattvögel und spielten mit dem Stander, der Mühe hatte, den Wind anzuzeigen. Anderer Fregattvögel putzten in der Luft gleichmütig ihr Gefieder, als wäre so etwas die einfachste Sache der Welt.
Die zweite große Strecke meiner Atlantiküberquerung war 1200 Seemeilen lang. Mein Ziel auf der „anderen Seite“ war die brasilianische Insel Fernando Noronha, etwa 350 Kilometer von der östlichsten Ecke Südamerikas entfernt. Aber wenn ich glaubte, ich würde diesen kürzeren Abschnitt schneller zurücklegen als die Strecke von Annobón nach Ascension, so täuschte ich mich gewaltig. Mit dem Wind war es ein einziges Trauerspiel: die LIBERIA dümpelte mehr durch die Längengrade, als daß sie segelte. Immerhin konnte ich jetzt in aller Ruhe lesen, schlafen und mir warmes Essen kochen, und wenn ich diese Fahrt mit meinen Ozeanüberquerungen in Einbaum und Faltboot verglich, meinte ich, ein gutbürgerliches, geregeltes Leben zu führen.
Damals war ich unaufhörlich damit beschäftigt gewesen, das Meer, die Wellen und den Horizont zu beobachten und die Meeresoberfläche nach Fischen oder Plankton abzusuchen. Verirrte sich ein Vogel zu mir, so war das ein freudiges Ereignis, von dem ich noch lange zehrte; jetzt aber schaute ich kaum von meiner Lektüre auf. Damals war ich für jede noch so kleine Abwechslung, die die Natur mir bot, dankbar – heute, als Besitzer eines sicheren seegängiges Bootes, war meine Beeindruckbarkeit geschwächt.



