Maritime E-Bibliothek: Sammelband Abenteuer und Segeln

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Selbst auf die Gefahr hin, daß es pathetisch klingt, muß ich es sagen: auf der Faltbootfahrt hatte ich durch mein intensives Teilhaben an allen Naturereignissen zuweilen das Gefühl einer völligen Verschmelzung mit der Natur. Das ging so weit, daß ich in den letzten stürmischen drei Wochen der Überquerung – zweifellos auf Grund meiner anhaltenden Meditationen und der unfreiwilligen Askese – in einen Nirwanazustand verfallen war, der mich zu einem Tropfen im Meer werden ließ, der keinen Eigenwillen mehr besitzt, der gewiegt und geprügelt wird, ein Tropfen, der nichts weiter tut, als daß er – ist.
Welch ein Unterschied heute: Alles hatte ich bei mir, um die fremde Umgebung in eine heimatliche, vertraute zu verwandeln: Bücher, trockene Kleidungsstücke, gutes Essen, Radio und sogar meine Schreibmaschine. Ich saß in meinem schwimmenden Haus, betrachtete voll Stolz die starken Aufbauten, die kräftige Reling, die dicken Wanten und blickte zufrieden aufs Meer. Wie leicht ist das Yachtsegeln, dachte ich in solchen Augenblicken – weder Sport, noch Abenteuer, sondern einfachste Mechanik.
Wenn der Wind es zuließ, setzte ich mich manchmal auf den Klüverbaum, meinen Lieblingsplatz, um mich zu freuen, daß mein Boot allein lief, um zu hören, wie der Bug das Wasser pflügte, und um zu fühlen, wie der Wind an meinem Körper vorbeistrich. Von dieser Warte aus fühlte ich mich dem Meer näher und verbundener als im sicheren Cockpit. Trotzdem konnte ich mir meine Enttäuschung über das Yachtsegeln nicht verfehlen. Schon in den ersten Monaten der Fahrt hatte ich erkannt, daß meine Liebe nach wie vor den Kleinstbooten gehörte, mit denen ich von Jugend an vertraut war und die mir einen viel engeren Kontakt zum Meer verschafften.
Während meiner ersten bei den Überquerungen hatte ich auf hoher See Gewicht verloren, im Faltboot 25 kg! Auf dieser Fahrt trat das Gegenteil ein: auf dem Meer nahm ich zu und an Land wieder ab. Morgens aß ich Vollkornbrot, das mir aus Bremen in besonderer Verpackung in verschiedene Häfen nachgesandt worden war. Dazu gab es Bienenhonig und Milch. Mittags standen Haferflocken mit Milch und Honig oder Pellkartoffeln, Pommes frites, manchmal auch Kartoffel- oder gar Apfelpfannkuchen auf dem Speisezettel, außerdem frische Fischorgane, frischer oder getrockneter Fisch mit Bergen von Zwiebeln und Knoblauch und als Nachtisch selbstgemachtes Joghurt mit Apfelsinen, Bananen oder Kokosnuß. Abends gab es wieder Vollkornbrot, diesmal mit Fleisch, Wurst oder Käse. Alle Süßspeisen zuckerte ich mit Bienenhonig.
Wenn meine Frau und ich später in den Kariben einen Gast an Bord hatten, der bei Seegang plötzlich bleich und unruhig wurde, so drückten wir ihm ein Stück Vollkornbrot in die Hand. Auch Niña aß es auf See selbst dann noch, wenn sie auf nichts anderes mehr Appetit hatte.
Bei diesem Essen, das vorwiegend aus „Lebensmitteln“ bestand, also aus frischer, noch lebender Nahrung, wurde ich auf meiner gesamten Fahrt, die immerhin ein Jahr dauerte, nicht ein einziges Mal krank – nicht einmal eine Erkältung zog ich mir zu.
Obwohl die Fahrtstrecke von Ascension nach Fernando de Noronha fast 200 Seemeilen kürzer war als die von Annobón nach Ascension, zog sich der Seetörn2 immer mehr in die Länge. 20, 30, 40 Seemeilen pro Tag waren recht kümmerliche Resultate. Es regnete viel, kurze tropische Gewitterstürme fegten über das Boot und durchnäßten mich bis auf die Haut, und nicht selten gab es nachts Wetterleuchten.
Erst am letzten Fahrtag blies es stärker aus Ostsüdost. Die LIBERIA bedankte sich prompt mit 193 Seemeilen in 24 Stunden, wovon allerdings 33 Seemeilen durch eine an diesem Tag besonders stark versetzende Strömung entfielen.
Auf südamerikanischem Boden
Vierzehn Tage nach meiner Abfahrt aus Ascension sah ich bereits aus 45 Seemeilen Entfernung die unverkennbare Silhouette von Fernando Noronha aus dem Meer auftauchen: ein Zeigefinger wies gen Himmel – der Pico, das Wahrzeichen der Insel und die Landmarke der Seeleute.
Fernando Noronha prangte im dichten, satten Grün der Regenzeit; von der Abendsonne goldgelb übertüncht, leuchtete die alte, weiße Festung der Portugiesen über das Meer, hinter ihr ragt steil der Pico auf, ein Bild, das mehr einer Mittelmeerinsel als einer südamerikanischen Sträflingsinsel entsprach, die Fernando Noronha bis zum Zweiten Weltkrieg gewesen ist.
Den Sträflingen, die die brasilianischen Behörden früher in dieses Tropenparadies schickten, kann es nicht schlecht gegangen sein: sie brauchten nicht in einem verlausten und verwanzten Quartier zu sitzen, sondern durften sich frei auf der Insel bewegen, konnten sogar ihre Familien nachkommen lassen und erreichten auf Grund solcher Annehmlichkeiten und des gesunden Klimas ein biblisches Alter.
Da seit meinem Aufenthalt in Ascension mein Motor nicht mehr lief, konnte ich erst nach einigen Kreuzschlägen einen günstigen Ankerplatz finden. Ich entdeckte ihn inmitten von Fischerbooten; er lag nahe am Strand und war dennoch tief genug, um der LIBERIA notfalls vor unerwarteten Riesenbrechern Schutz zu bieten. Denn genau wie vor Ascension ist die Reede auch hier nach Norden offen, und wenn es im Nordatlantik kräftig gestürmt hat, können äußerst gefährliche Brecher entstehen. Das alles weiß man natürlich aus den Küstenhandbüchern, in denen man sich vor jedem Anlaufen eines Hafens eingehend über alle Gefahren unterrichtet, die auf das Boot lauern könnten.
Als ich klar Schiff gemacht hatte – ein Topf Pellkartoffeln für das Abendessen stand gerade auf dem Spirituskocher –, hörte ich von draußen Stimmen herüberschallen. Es war inzwischen dunkel geworden, der Wind pfiff mit guten sechs Windstärken über die Bucht, und es schien mir unwahrscheinlich, daß sich in diesem Wetter jemand die Mühe machen könnte, mich zu besuchen. Aber ich täuschte mich! Plötzlich bumste es gegen die Bordwand, und zwei milchkaffeebraune brasilianische Fischer kletterten an Deck. Sie wollten mir die Einladung einer Señora überbringen, die bereit war, mich gegen 5000 Cruzeiros kennenzulernen. Noch ehe ich diesen Schock überwunden hatte, schrie der eine: „O barco!“ Er zeigte auf sein Boot, das sich losgemacht hatte und in der Dunkelheit abtrieb, aufs offene Meer hinaus! Seemannsknoten müßte man machen hönnen!
Ich versuchte, die Fischer dazu zu bewegen, mit einem Kopfsprung hinterherzusetzen. Aber welcher Fischer kann schon schwimmen! Also mühten wir uns zu dritt, meine Ankerkette einzuhieven, um die LIBERIA dem Boot nachzuschicken, aber der Wind preßte so stark gegen meine Yacht, daß wir nicht einmal das schafften. Die Ankerwinsch3 war mir schon in Westafrika in einem Tornado in die Brüche gegangen, und mein Schlauchboot hatte ich noch nicht aufgeschlagen.
Welch ein kostspieliger Kuppeleiversuch für die beiden! Da standen sie und sahen ihr Boot und ihre Felle auf Nimmerwiedersehen davonschwimmen, beschimpften sich gegenseitig und blickten verdattert zu mir herüber, während ich, so schnell es ging, mein Dingi aufschlug. Endlich war es fahrbereit, aber die See war zu bewegt, um meine Nußschale zu tragen. Was blieb mir also anderes übrig, als die unerwünschten Gäste auch noch zum übernachten einzuladen. Sie ließen sich an Deck nieder und nahmen meine sämtlichen Decken in Beschlag.
Am nächsten Morgen paddelte ich sie dann nacheinander zur „Hafen“-Barkasse und wünschte ihnen zum Abschied, daß ihre „Señora“ sie für diesen Betriebsunfall entschädigen möge!
Die Dünung schien sich über Nacht noch erhöht zu haben. Deshalb verpackte ich alle meine Sachen in einen wasserdichten Beutel und pullte im Badezeug und mit einem leichten Unbehagen in der Magengegend dem Ufer zu. Felsen, in deren Schutz ich hätte landen können, gab es nicht. Die Brandung sauste mit gewaltigem Donnern auf den Strandwall zu.
Zwei, drei breite Rücken wartete ich ab, und dann paddelte ich mit doppelter Kraft dem Ufer zu. Ein neuer Brecher stürzte heran – ich ging zu Bach! Das Dingi wurde auf den Strand geworfen, mein Gepäck hinterdrein, und ich raffte mich schließlich im Wasser auf, um südamerikanischen Boden zu gewinnen. Eine Landung wie damals in der Sahara!
Von zwei Hütten aus beobachteten einige Insulaner, auf die pro Person ein halbes Dutzend Hemdenmatze zu entfallen schien, mit Stielaugen den Neuankömmling. Nachdem ich mich – unter ihren Augen – notdürftig hergerichtet hatte, stapfte ich mit einem Fischer durch die prachtvoll grüne Insel nach dem hübschen Ort, in dem nahezu alle Brasilianer hausen, die auf Ferando Noronha leben.
Vorwiegend sind es Soldaten, die hier im Atlantik ihren Wehrdienst leisten. Dem Ranghöchsten, einem Major Schneider, stellte ich mich vor. Er kontrollierte Paß und Bootspapiere und hieß mich willkommen. Mit seinem Jeep fuhr er mich über die an fünf Fingern abzählbaren Straßen der Insel, die erst in jüngster Zeit von den Amerikanern angelegt worden sind, weil die USA auch hier eine Raketenstation unterhalten.
Die amerikanischen Techniker, rund 150 an der Zahl, waren in komfortablen Baracken zu Füßen des Pico untergebracht, stellten ihr Trinkwasser aus Salzwasser her und aßen so gutes, aus den Staaten importiertes Essen, daß den Einheimischen die Augen übergingen.
Für jeden, der aus Afrika kommt, ist es erfreulich, die Rassentoleranz der Brasilianer zu beobachten. Nirgendwo auf der Welt habe ich eine Nation getroffen, in der so viele verschiedene Rassen so friedlich zusammenleben. Mein Gastgeber, der brasilianische Major, bestätigte meine Beobachtungen: „Bei uns gibt es sogar ein Sprichwort über die stimulierende Wirkung, die ein Schuß Negerblut hat …“
Durch die Gewässer des Amazonas
Mein Boot machte mir – immer noch – Kummer. Der hilfsbereite Major hatte mir zwar einen seiner Mechaniker geschickt, aber weder der noch ein amerikanischer Fachmann waren imstande, den Dieselmotor wieder zum Laufen zu bewegen. So entschloß ich mich, ohne Motor weiterzufahren.
Der Major gab mir eine Staude Bananen mit auf den Weg, sechs Amerikaner halfen mir, die Ankerkette einhieven, und dann ging es, vorerst unter Fock allein, nach Nordwesten. Ein steifer Passat wehte über die Insel und jagte tückische Sturmböen über die LIBERIA. Als ich aber etwa zwei Seemeilen von der Küste entfernt war, hielt ich in den Wind, setzte Doppelfock und Großsegel und preschte vor dem Winde weiter, in Richtung Trinidad, wo Niña in vierzehn Tagen eintreffen wollte.
Schon in den ersten 24 Stunden schaffte die LIBERIA 163 Seemeilen – die Strömung abgerechnet. Für ein kleines Boot von neun Meter Länge ist das eine schöne Strecke. Auch in den nächsten Tagen machte sie ähnlich gute Fahrt. Leider lief sie bei raumen und achterlichen Winden niemals allein, so daß ich die ganze Zeit über im Cockpit schlief, lebte und litt.
Natürlich kam mein Schlafbedürfnis dabei zu kurz, viel zu kurz. Schon im Einbaum hatte ich am eigenen Leibe erfahren, daß Schlafen auf See weitaus wichtiger ist als Essen: das war auf meiner Probefahrt im Golf von Guinea gewesen, als ich eine Woche lang kaum schlief und danach in ein Schlafmangeldelirium fiel, das mich fast das Leben kostete. Damals schwor ich mir, in Zukunft vorsichtiger zu sein und das Schlafproblem ernster zu nehmen, indem ich mich darauf trainierte, zu bestimmten Zeiten immer wieder wach zu werden. Da ich genau wußte, wann die LIBERIA bei achterlichen Winden aus dem Kurs lief, konnte ich mir den Befehl geben, nach einer bestimmten Zeitspanne, zum Beispiel nach drei oder fünf Minuten, aufzuwachen. Manchmal setzte ich auch zusätzlich den Klüver, dessen Flattern mich aus dem Schlaf riß, sobald ich nicht mehr richtig Kurs hielt. Damit fuhr ich gut. Ich schlief am Tage etwas mehr als in der Nacht.
Nach wenigen Tagen sah ich die Brandungslinie der Amazonasgewässer vor mir. Einige Tage zuvor hatte ich von zwei Sportseglern gelesen, die von Südafrika nach Trinidad gesegelt waren und aus diesem Erlebnis eine Sensation gemacht hatten: ihr Boot hätte sich beinahe in der Brandung überschlagen, die Brecher seien so hoch wie ihr Mast gewesen. „Streich die Hälfte weg!“ dachte ich beim Lesen. Aber es kam noch besser: Von dieser übriggebliebenen Hälfte hätte ich nochmals die Hälfte wegnehmen können, und das, obwohl eine schöne Brise wehte, die sehr geeignet war, eine zünftige Brandungslinie aufzuwerfen. Die berüchtigte Brandung war also nichts als ein harmloser weißer Strich. 138 Seemeilen von der Küste entfernt glitt ich durch die „masthohe“ Brandung – tatsächlich landeten einige Spritzer im Cockpit – und geriet in die schmutzigen Fluten des größten Stromes der Erde, der in einer einzigen Sekunde 72 Tonnen Schwemmland mit sich ins Meer reißt.
Diese Schlamm-Massen werden zum größten Teil an den flachen Küsten von Guayana wieder angetrieben, an denen deswegen nicht selten kaum eine Brandung zu sehen ist, weil der Schlamm die Dünung erstickt. So ist die Guayana-Küste gerade für solche Segler gefährlich, die ahnungslos und neugierig näher herangehen als ratsam ist.
Auch hier herrschte Regenzeit. Tagelang segelte ich durch Schauer und tropische Regengüsse. Die Luftfeuchtigkeit im Boot sank nicht unter 95 Prozent. Es war, als verschütte der Himmel seine letzten Wasserreserven.
Um nicht unaufhörlich im Nassen sitzen zu müssen, brachte ich an der Pinne mittels Blöcken und Enden4 eine behelfsmäßige Steuervorrichtung an, so daß ich von der Kajüte aus den Kurs halten konnte. Nachts blieb ich an Deck, und das war gut, denn einmal wollte mich beinahe ein unbeleuchteter und wahrscheinlich auch unbewachter Küstenschoner rammen, obwohl meine Positionslaternen brannten.
Ich rächte mich aber: als ich unmittelbar neben ihm lag, stieß ich mit aller Stärke ins Nebelhorn. Und da brach Aufruhr im Schlafhaus aus, die Besatzung stürzte kopflos an Deck, sogar ein Scheinwerferlicht wurde mir noch nachgesandt.
In diesen Regentagen, an denen die Kleider nie trockneten und ich kaum von der Pinne kam, mußte ich nach meinen Erfahrungen mit Hautinfektionen rechnen. Erstaunlicherweise blieben sie aus. Ich hatte das wohl meiner gesunden Kost zu verdanken.
Manchmal blies der Passat aus vollen Backen mit Sturmstärke, dann wieder beruhigte er sich; bald wehte es steif, bald flau, aber nahezu immer regnete es. Mit dem Funkpeiler mußte ich den Kurs überprüfen, weil die Gestirne häufig von Wolken verdeckt waren. Wenn man hier unerwartet die Küste erblickt, sitzt man auch schon auf Grund.
Auf dieser Strecke machte die LIBERIA ihre Rekordfahrt: 164 Seemeilen in 24 Stunden! Das gibt einen Schnitt von rund sieben Seemeilen oder nahezu 13 Kilometer in der Stunde. Die Strömung ist dabei abgerechnet, sonst wären es über 200 Seemeilen gewesen.
Wunderbar, das rauschende Kielwasser zu beobachten und die ruhigen ausgeglichenen Bewegungen der LIBERIA zu fühlen! Tatsächlich, solche stürmischen Winde, in denen die meisten Boote ihre Segel refften, schienen meiner LIBERIA besonders zu behagen, da war sie ganz in ihrem Element! Und auch ich dachte nicht mehr voller Sehnsucht an meine Kleinstboote. Ich war mit dem Yachtsegeln voll und ganz ausgesöhnt …
Nichts hielt die rekordwütige LIBERIA auf, selten wagte sich einmal ein Dampfer in ihre Nähe. Während sie dahinbrauste, holte ich mir Makrelen aus dem Wasser und aß mehr, als unbedingt nötig war – die reichen Fischgründe verführten zum Schlemmen! Häufig brauchte ich gar nicht zu angeln: freiwillig glitten kleine Fliegende Fische zu mir an Bord und in die bereitstehende Bratpfanne. Eines Morgens zählte ich auf Deck 87 fingergroße Fliegende Fische, die sich in der Nacht dorthin verirrt hatten.
In der zwölften Nacht kam schließlich die Südost-Küste von Trinidad in Sicht. Ich sauste an der Ostseite der Insel nach Norden, vorbei an einer Schar Riesenschildkröten, die mir verwundert aus dem Weg paddelten, und erreichte abends die Haustür Trinidads, das „Drachenmaul“, das von Inseln und dem venezolanischen Festland gebildet wird.
2200 Seemeilen hatte ich in 12 Tagen zurückgelegt! Niña konnte noch gar nicht da sein – ich würde als erster zum Rendezvous kommen!
1 Außenschmarotzer.
2 Die Folge von Stunden, Tagen oder Wochen, die ein Schiff hintereinander in See ist.
3 Winde.
4 Tauwerk.
NEUNTES KAPITEL
INSELN UNSERER TRÄUME
Wenn die LIBERIA IV glaubte, ihre Rekordfahrt bis in den Hafen von Port of Spain fortsetzen zu können, so hatte sie sich getäuscht. Denn nun kam das dicke Ende.
Der Wind ließ nach, die Strömung setzte aus dem Drachenmaul, ich konnte ohne Motor nicht durchkommen. Eine Nacht lang versuchte ich, jeden kleinsten Windhauch auszunutzen – vergeblich. Die Strömung trieb mich in die Karibische See zurück. Dampfer kamen und gingen, neidisch sah ich auf ihre Lichter, die an mir vorbeiglitten.
Es wurde Tag, aber kein Wind kam auf. Der Mittag verstrich. Endlich nahm sich ein mitleidiger Hauch der LIBERIA an. Mühsam erreichte sie wieder das Drachenmaul. Die Dämmerung brach herein, ich mußte zum zweiten Mal alle meine Lichter setzen. Dampfer passierten mich, Fischerboote, Inselschoner – alle liefen sie unter Motor.
Und dann setzte wieder der Wind aus. Es war zum Verzweifeln! Ich befand mich mitten im Eingang zum Drachenmaul! Mitten im Verkehr! Mit einem Scheinwerfer mußte ich mal einen Schoner, mal einen Dampfer auf die hilflose LIBERIA aufmerksam machen. Zum Glück waren die Ausgucke der Schiffe auf dem Posten, sie änderten ihren Kurs.
Nicht zu Unrecht hatte Kolumbus auf seiner dritten Fahrt diese Ausgänge aus dem Golf von Paria „Bocas del Drago“ genannt, denn durch das Drachenmaul jagen die Gewässer des Golfes und treffen auf den Weststrom der Karibischen See, der vom Passat angetrieben wird. Dort, wo sie zusammenstoßen, wirbelt und brodelt das Wasser, kibbeln und kabbeln die Wellen, so daß bei flauen Winden der Durchgang durch die engen Passagen für Segler ohne Motor außerordentlich gefährlich sein kann.
Kampf im Drachenmaul
In den frühen Morgenstunden trieb die Strömung die LIBERIA abermals ins Meer hinaus. Dafür hatte ich Tag und Nacht an der Pinne gesessen, hatte 2200 Seemeilen in 12 Tagen durchjagt, um vor dem Eingang meines Ziels in eine Flaute zu geraten! Wenn das so weiterging, würde Niña mir von ihrem Dampfer aus zuwinken können.
Am Nachmittag des zweiten Tages kam endlich eine leichte Brise auf, langsam näherte sich die LIBERIA erneut dem Drachenmaul. Im klaren Wasser schlenderte ein Hammerhai um das Boot, mehrere Seeschildkröten paddelten an mir vorbei, als wollten sie mir sagen: Wer sich auf seine eigenen Kräfte verläßt, fährt immer gut …
Aber dann blies der Wind gegen Ende meines zweiten Tages vor dem Ziel endlich stärker. Da das Drachenmaul durch mehrere Inseln und das Festland von Südamerika gebildet wird, gibt es vier Durchfahrten. Um nun schon beim Durchgang so viel Ost zu gewinnen wie nur irgend möglich – hinter den Inseln würde ich dann nicht mehr so viele Meilen gegen den Wind ankreuzen müssen –, wählte ich die zweite Durchfahrt von Osten, das „Eiermaul „, die Boca de Huevos, die nach einem Inselchen benannt wird, das viele Seevögel beherbergt.
Ein tolles Schauspiel begann! Der Wind hörte mitten in der Enge auf, das Boot wurde herumgewirbelt und näherte sich bedrohlich der Monos-Insel im Osten. Verzweifelt pullte ich mit einem gewaltigen Riemen, um aus diesem Chaos herauszukommen. Ich hatte Glück, die LIBERIA wurde wieder von einem entgegengesetzten Wirbel aufgenommen und in den Golf von Paria versetzt; endlich fiel auch etwas Wind in die Segel und führte das Boot nach zweitägigem Kampf gegen die Strömung nach Port of Spain, wo ich am späten Abend vor dem Yachtclub ankerte. Selten bin ich so erschöpft in einen abgrundtiefen Schlaf gefallen wie nach diesem Kampf.
Anderntags hatte ich einer Einladung zu folgen und verließ die LIBERIA. Als ich abends wiederkam, war inzwischen ein steifer Südwind aufgekommen, und die Angestellten des Clubs kamen mir schon entgegen: die LIBERIA IV habe versucht, sich selbständig zu machen! Sie war im Wind vertrieben, konnte zum Glück aber schnell wieder eingefangen werden.
Der Anker war also gar nicht erst in den Lehmgrund eingedrungen; bei Flaute und ohne Motor hatte ich nicht überprüfen können, ob er hielt. Ein Einhandsegler wird nie die rechte Ruhe haben, wenn er sein Boot allein lassen muß; niemals habe ich bei unsicherem Ankergrund auch nur für eine Nacht an Land geschlafen.
Völkerpalette Trinidad
Trinidad gleicht in seinem geographischen Erscheinungsbild dem benachbarten Festland und der übrigen Inselkette der Antillen. Aber es gleicht auch den Inseln im Golf von Guinea, obwohl auf ihnen der ewig blasende Passat die Temperaturen nicht abkühlt wie auf Trinidad, dessen Klima deshalb erträglich, ja manchmal sogar „paradiesisch“ ist.
Für die Karibischen Inseln haben die Europäer mehr Blut gelassen als für ganz Afrika zusammengenommen. Alle Eilande wurden einmal von Spanien beansprucht; dann kamen Holländer, Engländer und Franzosen, überfielen mal dort und plünderten mal hier, bis sich jeder einige Inseln von den Spaniern, den Indianern oder auch von den eigenen Bundesgenossen „erobert“ hatte. Hier nahm man es mit Verträgen und Abkommen nie so genau, und wer sich überhaupt nicht um solchen Papierkram kümmern wollte, der wurde Pirat damals noch ein ehrenwerter Beruf, dessen tüchtigste Vertreter geadelt wurden.
Da die eingeborenen Kariben-Indianer nicht so arbeiten wollten, wie sie sollten, sondern scharenweise an Krankheiten starben, wenn nicht gar Selbstmord begingen, führten die Europäer wie eine neue Handelsware Afrikaner ein. Und als später die Sklaverei abgeschafft wurde, importierte man Ostinder nach Westindien, ein Name, der übrigens von Kolumbus stammt, welcher die Inselwelt entdeckte, als er sich auf dem Weg nach Indien glaubte.
So herrscht heute in Port of Spain ein kosmopolitisches Leben. – Hier vereinigen sich afrikanische Rhythmen mit süd amerikanischen, verrenken sich Tänzer ihre Gummiglieder zum Dröhnen der Steelbands, der Blechkapellen, stehen Moscheen neben Hindutempeln und Kathedralen. Im Telefonbuch stößt man auf chinesische, indische, portugiesische, spanische, französische, holländische, deutsche und natürlich vor allem auf die britische Namen.
Gemeinsam sind den Menschen in den Antillen Großzügigkeit in Rassen- und Religionsfragen, ein herrliches Klima, eine bunt bewegte Vergangenheit und keine rosige Zukunft. Die britischen Inseln haben sich zu einer unabhängigen Westindischen Föderation zusammengeschlossen, die Mitglied des Commonwealth ist. Da einige Inseln erschreckend übervölkert sind und ihr Verwaltungsapparat sehr groß ist, werden sie nur dann zu Wohlstand gelangen, wenn sie außer einer noch geschickteren Agrarpolitik, die eine intensive Nutzung der Bodenfläche vorsieht, den Fremdenverkehr steigern können.
Wiedersehen mit Niña
Der Dampfer, mit dem Niña kommen sollte, war für zwölf Uhr mittags angesagt worden.
Eine halbe Stunde vorher fuhr ich zum Hafen. Zu meinem großen Schreck war jedoch der Dampfer schon angekommen – vor drei Stunden! Auf der Gangway hörte ich bereits vorwurfsvoll: „Ihre Frau wartet schon lange!“
Inmitten einer Gruppe von Passagieren und Insulanern fand ich sie. Als ich ihr zur Begrüßung nahe kam, schob sie mich entsetzt zurück: „Wie riechst du komisch!“
Das mir, der ich eine Dusche genommen und saubere Wäsche angezogen hatte! Was konnte ich dafür, daß auf der letzten Fahrtstredte, in dem dauernden Regen, die Wäsche muffig geworden war; meine Nase nahm das schon gar nicht mehr wahr. Acht Monate Trennung, und nun dieser Empfang! Später stritt Niña das alles ab; verwirrt und aufgeregt sei sie gewesen und habe nicht gewußt, was sie sagte – auf alle Fälle aber etwas ganz anderes!
Kaum hatte sie den Fuß auf die LIBERIA IV gesetzt, als sie – nach neuerlichem Naserümpfen – rigoros alles, was gewaschen werden konnte, einsammelte und in die Reinigung trug. Danach verbrachte sie einen Tag damit, das Boot bis in die entlegensten Ecken hinein mit heißem Wasser auszuwaschen; einen weiteren Tag sprühte sie immer wieder einmal, ihrer Nase folgend, Parfüm in die Winkel des Bootes – ein Glück, daß zwischendurch Freunde kamen, um uns die Insel zu zeigen.



