Maritime E-Bibliothek: Sammelband Abenteuer und Segeln

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Nachmittags 16 Uhr wehte es aus Ostnordost Stärke 6. Um 18 Uhr war es Windstärke 7 aus gleicher Richtung. Das Barometer zeigte nichts Außergewöhnliches. Ich reffte beide Passatsegel. Sie haben ein Bindereff und müssen zum Reffen heruntergenommen werden. Bei den heftigen Schiffsbewegungen war es ein langwieriges Unternehmen. Elga steuerte. Als die Sonne unterging, sahen wir vor ihrem roten Ball eine aufgewehte, feine Wasserstaubschicht über der groben See. Um 22 Uhr wehte es mit 8.
»Kairos« kam nun von den Wellenkämmen nicht mehr frei. Seine Fahrt war zu groß. Die mitlaufenden Seen versuchten ihn querzudrücken. Der Rudergänger arbeitete mit ganzer Kraft. Ich barg das Backbord-Passatsegel. Jetzt machte das Schiff wieder sichere Fahrt durch die Seen. Der Wind nahm weiter zu, er jaulte im Rigg. Der Seegang wuchs und lärmte wie ein Güterzug. Der Himmel zeigte klare Sternenpracht.
»Kairos« entfaltete eine uns bisher noch nicht bekannte Kraft. Da kamen diese Seen aus der Dunkelheit, steilten sich hinter dem Schiff auf. Das Heck wurde gehoben. Die See griff zu – Gegenruder jetzt! – der Bug kam hoch. Der Wellenrücken bildete kochende Kaskaden zu beiden Seiten des Schiffes und zog, während das Heck abwärts fiel, als solide, weiß-gefleckte Wand in die Nacht. »Kairos« schüttelte sich und warf das Wasser ab. Die nächste See kam rollend.
Manchmal brach sich der Seegang direkt hinter dem Heck. Wie mit einer Faust geschah der Schlag. Wasserhände griffen ins Cockpit, Gischtfinger umklammerten den festgelaschten Rudergänger, der plötzlich in reißendem Wasser saß und den Kurs nach der tanzenden Kompaßrose steuerte.
Es war ein wilder, nicht endenwollender Kampf.
In der Kajüte blieb es, abgesehen von den Rollbewegungen, bemerkenswert ruhig und still. Kamen wir hinunter, umgab uns die vertraute Umwelt so selbstverständlich und sicher, daß wir das Chaos oben vergessen und schlafen konnten.
Als die Sonne aufging, erreichten die Böen Stärke 9. Die See war weiß von Gischt, die Wellenhöhe betrug 6 Meter, manchmal mehr. Sturm war das. Unter den noch stehenden 8 Quadratmetern Segelfläche lief »Kairos« 141 Seemeilen von Mittag zu Mittag.
Es begegnete uns in 500 Meter Abstand ein 5000-t-Frachter. Bis zum Deck tauchte der Bug ein, warf stäubendes Wasser bis über die Brücke, bevor er sich triefend und schwerfällig hob. Auch bei der Großschiffahrt ging es nicht mehr friedlich zu.
»Da bekommt der Käpt’n ja’n ganz nassen Hut, wenn er auf die Brücke geht!« schrie Elga kopfschüttelnd. »Und diese entsetzlichen Bewegungen!« Ihr Kopfschütteln ging auf den ganzen Körper über. »Ich wäre in zwei Minuten seekrank.«
Es war schade, daß wir nicht hören konnten, was da drüben über uns gesagt wurde. Sicherlich schüttelten sie sich auch.
Abends ließ der Wind nach. Windstärke 6 bis 7 aus Nordost. Ich setzte das zweite Passatsegel gerefft. Doch »Kairos« lag mit ihm schlecht in der steilen See. So barg ich es wieder.
In der Nacht kreuzten zwei Dampfer unseren Kurs. Der eine kam so dicht, daß Elga mich weckte. Die Peilung zu ihm stand. Es drohte Kollisionsgefahr. Offensichtlich konnte man unsere Positionslichter wegen des Seegangs nicht sehen. Unter dem einen Passatsegel waren wir kaum manövrierfähig. Nach der Seestraßenordnung haben Dampfer Segelschiffen auszuweichen. Doch hier? Wir luvten an, so gut und so viel es ging. Wir kamen klar. Unheimlich stampfend klangen die Maschinengeräusche des Riesen herüber. Sein Hecklicht starrte wie ein bewegungsloses Auge. Die Gefahr war vorüber. Uns war übel vor Angst.
Nordost 6 – tagelang. Unser Ziel war dieses Mal keine Insel, in deren Lee wir gemütlich zum Ankerplatz segeln konnten. Unser Ansteuerungspunkt war die Punta Manzanillo, ein 500 Meter hohes Kap an der flachen Küste eines Kontinents, 25 Seemeilen nordöstlich des Hafens Cristóbal.
Ich fühlte Unbehagen. Es ist eine riskante Sache, vor starkem Wind und vor hoher See eine unbekannte Küste anzulaufen. Der Wind konnte zu dieser Jahreszeit jeden Augenblick wieder auffrischen. Dann würde Manövrieren vor der Küste sehr schwierig, wenn nicht unmöglich sein. Wir mußten das Ziel auf den Kopf treffen. Jedesmal, wenn ich den Sextanten zur Hand nahm, tat ich ein stilles Gebet.
Am Tage unseres Landfalls ließ der Wind jedoch noch weiter nach. Bei Nordost 4 bis 5 setzten wir das Großsegel und die Fock 1.
Voraus, wo heute mittag die Küste in Sicht kommen mußte, standen Kumuluswolken. Es wurde diesig. Aus der brechenden See wurde schnell eine lange Dünung. Nach der Vormittagsbeobachtung der Sonne legte ich mich schlafen.
Es wurde ein erquickender Schlaf. Die Luken standen weit geöffnet. Wir trugen Segel, die uns voll manövrierfähig machten. Das Wetter war handig. Alle Umstände machten das Leben behaglich.
Als ich erwache, zeigt meine Uhr weit nach Mittag. Elga hat mich nicht zur Mittagsbeobachtung geweckt! Ich stürze sehr unbekleidet an Deck.
Dort sitzt Elga. »Wenn du dich jetzt umdrehst«, sagt sie heiter, »wirst du Amerika sehen – bitte!«
Ich wende mich um. Es versetzt mir einen Schlag: in 6 Seemeilen Entfernung, genau auf der Linie unseres Kurses liegt Punta Manzanillo. Ich erkenne den Sattelberg sofort, wie er im Handbuch beschrieben ist.
»Mensch! Elga!« schreie ich los. »Amerika! Stell dir vor, das ist Amerika!«
Ich konnte mich nicht beruhigen. Amerika, einst von Columbus irrend gefunden und seitdem als Zauber von Ferne, von Gold, von Freiheit immer wieder in unsere Europäerseelen gesenkt.
Nach dem Mittagessen hat sich Elga schlafen gelegt. Wir segeln nun auf neu abgesetztem Kurs entlang der Küste nach Cristóbal. Ich steuere und fühle, wie mein Herz schlägt. Du bist verrückt, Junge, sage ich mir, es ist eine Küste wie jede andere auch.
Aber so wie wir jetzt: heiß, feucht, dunstverhangen, so müssen auch die Spanier diese Küste gesehen haben. Das liegt 460 Jahre zurück. Was sind 460 Jahre für eine Ozeanküste? Nicht genug, um sie überhaupt zu verändern.
Wie eine Barriere legte sich damals die Küste vor grenzenlose Träume von Gold und Reichtum. Oder gab es Gold hinter ihren Dschungeln?
Der Mann, dem diese Frage keine Ruhe ließ, hieß Vasco Nuñez de Balboa. Er war ein verschuldeter Soldat, der mit der Conquista sein Glück in der Neuen Welt suchen wollte. Maßloser Ehrgeiz, bedenkenlose Kühnheit, blitzschnelle Entschlußkraft, eisernes Durchstehvermögen, das sind die Eigenschaften dieses Mannes.
Es gelingt ihm mit Versprechungen von Gold, das er zu finden hofft, sich einen Gouverneursposten an dem fieberverseuchten Küstenstrich zu erhandeln. Von einem gefangenen Indianer erfährt er dann, daß »nicht weit« zum Sonnenuntergang hin ein Meer mit »goldenen Küsten« liege. Das genügt.
Gold! Goldene Küsten! Mit einer Schar Abenteurer bricht er auf. Sie dringen in den Dschungel ein, hacken sich einen Pfad durch die grüne Hölle. Die meisten sterben am Fieber, an den Pocken, an Schlangenbissen. Kein Sterben in Frieden: es ist Aufbäumen, Qual, Verdursten und Verrotten, bis sich die Seele aus der verquollenen Kehle herausgeröchelt hat. Doch mit Ungestüm dringen die Überlebenden weiter vor – ein paar Meilen jeden Tag.
Allen voraus ist Balboa. Wo sind diese goldenen Küsten? Madonna, wo?
Am 3. Oktober 1513 erreichen sie das unbekannte Meer. Vor ihren fiebernden Augen breitet es sich nach Süden aus. Südsee nennen sie es deshalb. Golden funkelt die Sonne auf den Küstenwellen. Balboa watet bis zu den Knien in den Goldschimmer hinein und ruft mit pathetisch erhobenen Armen: »Im Namen der Königskrone von Kastilien ergreife ich von diesen Gewässern, Ländern, Küsten, Häfen und südlichen Eilanden Besitz!«
Der Große Ozean ist entdeckt. Er schenkt Balboa außer Sonnenglanz kein Gold. Nach seiner Rückkehr gerät er darum in eine endlose Kette von Intrigen und wird schließlich enthauptet. Der das Todesurteil verlesende Offizier heißt Francesco Pizarro. Mit ihm löst sich die Suche nach Gold vom Atlantischen Ozean, wird in den südamerikanischen Kontinent getragen und dann in den Großen Ozean, in die Südsee.
Bereits eine halbe Seemeile vor den Wellenbrechern des Außenhafens von Cristóbal nahm uns US-amerikanische Organisation liebevoll in ihre perfekten Arme. Ein riesiger Scheinwerfer flammte auf und erfaßte uns. Er leuchtete gerade so lange, um uns identifizieren zu können.
»Wir sind wie Steinzeitmenschen für sie«, sagte ich.
»Wieso?«
»Weil wir keine Radiotelefonie haben, um uns anzumelden.« Mit den grünen Richtfeuern auf der Gatunschleuse in Linie liefen wir schlingernd in den Außenhafen. 46 Seemeilen Kanalfahrt trennten uns noch vom Großen Ozean.
Eine Hafenbarkasse mit dem Namen »US Gesundheit« kam angeprescht. »Let go anchor!« rief man uns zu. Und während unser Anker noch in ungeahnte Tiefen sank – ich hätte viel lieber im flachen Innenhafen geankert – sprang ein alerter Mann bereits an Bord. Die schienen es hier mächtig eilig zu haben.
Der Mann trug am Hemd ein Namensschild »John Frost« und in der Hand eine Tasche, sehr groß, mit Formularen und einer Spritze für Insektenpulver. In der Brusttasche des Hemdes stak säuberlich eine endlose Reihe von Kugelschreibern in allen Farben. Am Gürtel war eine Klein-Tasche befestigt mit Injektionsspritze und Ampullen – sicherlich für »akute Fälle«.
»Hello!« rief Mr. John Frost. »Fein, daß ihr Leute da seid! Mache hier die Einklarierung. Können unseren job jetzt gleich tun, dann brauchen wir’s morgen nicht zu tun. Guten Trip gehabt? Fein! Immer ’ne Menge Wind jetzt in der Karibe.«
Während wir ein wenig fassungslos dieses US-Wunder anstarrten, kletterte Mr. John Frost in die Kajüte. Dort ließ er sich nieder und begann, Formulare um sich zu verbreiten. Wir waren schüchtern gefolgt.
»Na, alles gesund an Bord? Fein! Nennt mich John. Haben euch schon gestern erwartet.«
»Erwartet?« fragte ich.
John freute sich. »Ja, denkt ihr Leute denn, wir wissen nicht, was in der Karibe ’rumfährt? Wir wissen’s!«
»Ach so«, sagte ich.
Wir füllten hungrig, müde, mit brennenden Augen die Formulare aus. Dann wurde das Schiff vermessen – richtig mit Zentimeterband: Vorschiff, Achterschiff, Mittelschiff, Maschinenraum. Wir schwitzten alle heftig, aber es half nichts. Die Ergebnisse wurden fein säuberlich in Tabellen eingetragen.
»Danach wird die Gebühr errechnet«, erklärte John.
»Wie umständlich für eine Jacht«, meinte Elga. »Ein Frachtdampfer hat das alles sicherlich in seinen Schiffspapieren. Nehmen Sie doch für Jachten eine einheitliche Gebühr, John.«
John lachte. »Das ist nicht mein job, Leute. Ich vermesse. Wenn ihr mal wieder des Weges kommt, haben wir euch in unseren Akten. Dann kommt ein anderer an Bord. Wir sind alle spezialisiert.«
»Ach so«, sagte ich.
Um 23 Uhr, nach drei Stunden Arbeit, waren wir fertig – richtig fertig. John bekam einen männermordenden Gordon’s Gin eingeschenkt und zeigte sich erstaunt, daß wir noch kein Abendbrot gegessen hatten. Nachdem er uns mehrere Male eingeschärft hatte, mit welchen Papieren wir zu welchen Behörden morgen zu gehen hätten, verschwand er strahlend und winkend auf »US Gesundheit« im Lichtdunkel des großen Hafens.
Lautes Schlagen an Deck weckte uns am nächsten Morgen. Vollkommen verschlafen, nur mit einer Turnhose bekleidet, stürze ich an Deck. »US Gesundheit« liegt längsseits. Ein panamesischer Bootsmann donnert mit dem Bootshaken aufs Kajütsdach.
»Hölle!« fahre ich den Bootsmann an. »Hau ab!«
Er grinst amerikanisch, strahlend also.
Ein alerter Mann springt an Bord – am Hemd ein Namensschild »John Brians«, in der Hand eine Tasche, sehr groß, mit Formularen und einer Spritze für Insektenpulver. In der Brusttasche des Hemdes steckt säuberlich eine endlose Reihe von Kugelschreibern aller Farben. Am Gürtel ist eine Klein-Tasche befestigt mit Injektionsspritze und Ampullen für »akute Fälle«.
»Hello!« ruft er. »Fein, daß ihr Leute da seid! Mache hier die Einklarierung. Tun wir’s gleich, dann brauchen wir’s später nicht zu tun. Guten Trip gehabt? Fein! Immer ’ne Menge Wind jetzt in der Karibe.«
Ich erkläre verwirrt, daß gestern John I …
»Ja, John!« ruft John II, »feiner Junge das! Aber er hat ’nen job auf’m Tanker jetzt. Und da bin ich eben zu euch gekommen. Nennt mich John.«
Wir werden also vermessen. Warum auch nicht? Vorschiff und Achterschiff. Wieviel Ladeluken? Wieviel Särge? Welche Häfen seit Beginn der Reise? Wann wurde das Schiff zum letzten Mal entrattet?
»Entrattet?« frage ich.
»Entrattet«, sagt John II geduldig, als spräche er zu Steinzeitmenschen. »Entrattet – also – von Ratte – wie große Maus.« Er zwinkert mit den Augen. »Sehe schon, keine Ratten an Bord. Würde das Schiffchen ja auch gar nicht tragen können.«
Dann erklärt er uns, mit welchen Formularen wir zu welchen Behörden heute gehen müssen. Und dann ist er ganz erstaunt, daß wir noch kein Frühstück gehabt haben. Und schließlich entschwindet er strahlend und winkend auf »US Gesundheit« in die lichtgebadete Sonnenweite des großen Hafens.
In der Stadt liefen wir uns die Absätze krumm an diesem Tage. Doch allerorten war man von überwältigender Freundlichkeit.
Wir hatten unser kleines, rotes Schlauchboot ganz in der Ecke des Hafenbeckens festgemacht. Als wir am Nachmittag zurückkehrten, fürchteten wir schon in der Ferne das Schlimmste. Der Bug eines Flugzeugträgers ragte über die Dächer der Schuppen. Wenn ich etwas nicht mag, dann, daß Flugzeugträger neben unserem kleinen, roten Schlauchboot festmachen – besonders seitdem es nicht mehr ganz neu ist und Flickstellen hat. Wir eilten zur Pier.
Aber es war alles in Ordnung. Das Schlauchboot lag klein und rot in der Hafenecke und rieb seine Nase vertrauensvoll an dem grauen Riesenbug. Seht mal, schien es zu sagen, womit ich heute spielen darf!
Wir verholten »Kairos« zum Jachtclub, dessen Gebäude am alten Französischen Canal liegt. Dort machten wir am Steg fest. Die »Posh« aus Los Angeles und die »Coaster« aus Seattle lagen dort. Die Skipper Bob und Don lebten mit ihren Familien an Bord. Sie wollten ebenfalls durch den Kanal – die »Posh« dann weiter nach Los Angeles, die »Coaster« nach Hawaii.
Sie begrüßten uns mit einem Willkommenstrunk, der lustig zum Abend in ein Barbecue auf dem Clubsteg überging.
»Fein, Leute!« sagte ich schließlich gesättigt und konnte, von einer Menge Whisky zu sozialem Denken gebracht, meine Erfahrungen des Tages zusammenfassen: »Fein, daß ihr Leute und wir Leute – daß wir alle da sind.«
Die Panama Canal Zone ist Territorium der USA. Sie umfaßt einen Streifen Land von 5 Meilen zu jeder Seite des Kanals, eingeschlossen die Seen des Inlandes, den Gatun See, den Miraflores See und den Madden Stausee. Letzterer gewährleistet das Füllen der Schleusen. Die Grenze zur Republik Panama ist durch keine Schlagbäume gekennzeichnet. Doch wo die wie keimfrei wirkenden Häuser, die sauberen Straßen, die gepflegten Rasen aufhören und überfüllte Kehrichttonnen, verwahrloste Häuser und schmutzige Gossen beginnen, da verläuft augenfällig die Grenze.
1889 mußten die Franzosen die Arbeiten an dem von Ferdinand Lesseps geplanten Kanal einstellen. Milliarden an Geld, zehntausende an Menschenleben hatte dieser schmale Streifen Festland gekostet, der zwei Weltmeere trennt und zwei Landmassen zu einem Kontinent verbindet. Mit Gelbfieber, Malaria, Seuchen, mit Sumpf, Dschungel und granitenen Bergen hatte er Kapitalkraft, Ingenieurkunst, Organisationstalent zuschanden gemacht – acht Jahre vergeblichen Mühens.
Zu einem Spottpreis kauften die Amerikaner die Rechte auf. Sie vollendeten den Kanal nicht mit Spaten und Bulldozer. Sie taten es mit Petroleum und Feuer. Sümpfe und Dickichte, die Brutplätze der krankheitsübertragenden Moskitos, wurden mit Petroleum übergossen und niedergebrannt. Jetzt konnte der Kanal in einem fieberfreien Gebiet zu Ende gebaut werden. Seitdem haben es die Amerikaner verstanden, ihre Canal Zone gesund zu halten. An der atlantischen Seite liegt der Hafen Cristóbal, an der pazifischen der Hafen Balboa. Die entsprechenden panamesischen Städte heißen Colón und Panama.
Wir rüsteten uns in Cristóbal aus. »Kairos« mußte noch weit mehr als bei unserer Ausreise von Hamburg beladen werden. Denn wir wußten nicht, was es auf den Pazifik Inseln außer den ortsüblichen Lebensmitteln zu kaufen geben würde.
Wir verfertigten wieder endlose Listen, tätigten endlose Einkäufe und schleppten alles im Schweiße unseres Angesichts an Bord. Schwierigkeiten bereitete die Beschaffung von Knäckebrot, wir mußten mit amerikanischen Biskuits vorliebnehmen. Sie schmecken pappig. Schön war der Erwerb von Salzwasserseife, mein morgendliches Duschbad auf dem Vorschiff würde im Zeichen schäumenden Genusses stehen.
Abends saßen wir über Seekarten und Handbüchern. Im Großen Ozean waren die Galapagos Inseln unser erstes Ziel. Flauten, Gewitterböen, starke Strömungen herrschen dort. Aus den Erfahrungen unendlich vieler Segelreisen sind in den Handbüchern günstige Kurse über See beschrieben. Wir lasen, machten Punkte auf die Karten, legten Kurse fest, die bald das Abenteuer der Verwirklichung finden sollen.
Mit Bob und Don besprachen wir die Kanaldurchfahrten unserer Jachten. Sie wollten uns bei unserer Durchfahrt helfen, wir ihnen bei der ihrigen.
Drei Schleusen, als Schleusentreppe eine hinter die andere gebaut, heben die Schiffe zum Kanal. Durch ebensoviele geschieht das Abschleusen im Westen. Das Aufschleusen ist für Jachten nicht ohne Risiko, da das Füllen der Kammern vermittels Falldruck aus dem Stausee erfolgt. Das Wasser strömt aus meterdicken Bodenrohren ein. Es bilden sich starke Wasserwirbel. Dampfer werden von vier Dieselloks, die jeweils zwei Bug- und zwei Heckleinen übernehmen, in die Schleusen gezogen und während des Schleusens frei von den Mauern gehalten. Jachten werden ebenso wie die Dampfer, jedoch ohne Dieselloks, an vier Leinen in die Mitte der Kammern gelegt. Von Schleuse zu Schleuse fährt die Jacht unter eigener Motorkraft.
Wir bezahlten unsere Gebühren im Verwaltungsgebäude. Das Ergebnis der vereinten Meßkünste unserer Johns betrug US-Dollar 2,88. Die Kosten für den Lotsen, den die Kanalordnung vorschreibt, waren darin bereits berücksichtigt.
Früh am Morgen kam der Lotse. Es war das erste Mal, daß eine so kompetente seemännische Persönlichkeit unser Deck betrat. Bob, Don, Elga und ich standen achtungsvoll auf den nunmehr überfüllten Decks.
Er begrüßte uns jovial: »Hello! Fein, daß ihr Leute klar seid! Na, werft man los. Wollen sehen, daß wir diesen Floh schnell durchkriegen. Wie lang sind die Leinen? Wie stark ist die Maschine? Deutsches Schiff? Ha! Wo ist das Bier?«
Nun – die vier 50-Meter-Leinen hatten wir bereits in Hamburg gekauft, die Maschine lief, nur Bier hatten wir nicht. Aber Whisky tat es schließlich auch.
»Nennt mich Tim«, sagte unser Lotse.
Hinter einem 9000-t-Dampfer liefen wir in die erste Schleuse. Die Männer an Land schleuderten die Wurfleinen. Mit ihnen wurden unsere Festmacher aufgeholt und an den Pollern hoch oben auf der Mauer belegt. Fest? Fest! Das Wasser begann einzuströmen und zu wirbeln.
Um das Schiff freizuhalten, mußten die Leinen bei schnell steigendem Wasser laufend eingeholt werden. Schwitzend arbeiteten wir, hol ein, hol ein! Wurde das Schiff seitwärts gedrückt, wurden die Leinen blitzschnell festgelegt. Innerhalb von 8 Minuten hatte sich der Wasserstand um 9 Meter gehoben.
Die Tore zur nächsten Schleuse öffneten sich. Noch einmal gab es eine Belastung, als der vor uns liegende Dampfer den anziehenden Diesellokomotiven mit einem Stoß seiner Schraube Unterstützung gab. Unsere Leinen knirschten und zitterten.
»Go on!« schrie Tim und winkte wie ein Feldherr den Männern auf der Mauer, unsere Leinen zu lösen. »Go on! Gib ihr Saft, Junge! Teufel, hab noch nie so’n kleines Schiff gelotst.« Noch zweimal wiederholte sich der Vorgang, dann befanden wir uns 27 Meter über dem Spiegel der Weltmeere.
Auf dem Gatun See liefen wir unter Maschine und Segel schnelle Fahrt. Im schmalen Gaillard Durchstich glühte die Sonne. Wir bargen die Segel. Ein deutscher Bananendampfer begegnete uns.
Das Abschleusen war sehr viel weniger atemberaubend. Es entstehen dabei keine Wasserwirbel. Wieder hatten wir alle Hände voll zu tun – diesmal um Leine zu stecken, fier weg!
Dann öffnete sich das letzte Schleusentor. Es war dunkel geworden, als wir unter Tims Weisungen zur Reede des Balboa Yacht Club steuerten. So konnten wir den großen Ozean an diesem Tage nicht mehr sehen. Aber wir spürten ihn: mit der einsetzenden Flut begann seine Dünung in die Bucht zu laufen. Aus welcher Weite kam sie?
Ich brachte »Kairos« an die Boje.
»Stop it!« rief Tim. »Hier sind wir – okay!«
»Boje fest!« riefen Bob und Don vom Vorschiff.
Elga stellte die Maschine ab. In der plötzlichen Stille schwiegen alle.
Ich stieß Elga unbemerkt an. Wir fühlten: die Atlantische Welt lag hinter uns. Nur 46 Seemeilen?
Hier war die Stadt Balboa. Hier hatte der Mann Balboa gestanden und mit geöffneten Armen gerufen: »Ergreife ich Besitz von diesen Gewässern, Ländern, Küsten, Häfen und südlichen Eilanden.«
Nun gab es für uns nur noch einen Weg nach Hause – westwärts um die Erde herum.
∗ Eine Windfahnen-Steuereinrichtung war 1964 in Deutschland noch nicht zu erhalten – und in England zu teuer. – Anm. d. Verf.
∗∗ Talion: mosaische Vergeltung
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