Maritime E-Bibliothek: Sammelband Abenteuer und Segeln

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Das bestätigte auch eine Unterredung mit dem stellvertretenden Museumsdirektor. Als Segler interessierte mich natürlich die Frage, warum die Ureinwohner der Kanarischen Inseln keine Seeleute gewesen seien. Ein Achselzucken war die Antwort. Man weiß es nicht. Die Kanarischen Inseln, sagt man, seien die letzten Gipfel des versunkenen Erdteils Atlantis, und Bergbewohner wären eben selten Seeleute. So argumentieren die Vertreter der Atlantis-Theorie1.
Tatsächlich besaßen die Guanchen keinerlei eigene Boote, nicht einmal primitive Einbäume oder Flöße. Wenigstens erklärte mir der Wissenschaftler, man habe bis heute noch keine Bootsreste auf der Insel gefunden. Dem entspräche auch die Tatsache, daß einstmals jede der Kanarischen Inseln ein kleines Reich für sich bildete und daß die Guanchen sich zwar gegenseitig verstanden, jedoch auf jeder Insel einen eigenen „Dialekt“ sprachen.
Meine Frage, ob es irgendwelche Anzeichen dafür gäbe, daß bereits in der vorkolumbianischen Zeit eine Verkehrsverbindung zwischen den Kanarischen Inseln und Amerika bestanden habe, verneinte der Museumsexperte.
„Und woher kamen die Guanchen?“
„Sie wanderten aus dem gegenüberliegenden Marokko, aus der Sahara und dem heutigen Rio de Oro ein.“
Ich erinnerte mich an ein Städtchen auf Gran Canaria, das Mazagan hieß, und dachte gleichzeitig – wenn auch weniger gern – an das Küstenstädtchen Mazagan in Marokko, in dessen Brandung ich auf meiner Einbaumfahrt beinahe mein Boot verloren hätte. Es gibt eine ganze Reihe berberischer Namen auf den Inseln, die auf die Verwandtschaft der Guanchen mit den Berbern schließen lassen. Die Guanchen waren auch – so viel weiß man heute – wendige, schlanke Menschen, die teilweise durch helle Haare auffielen. Sie besaßen eine völlig in sich abgeschlossene Kultur und lebten bis zur Eroberung durch die Spanier noch auf der Kulturstufe der Steinzeit. Während in Europa das Zeitalter der Renaissance anbrach und die im ausgehenden Mittelalter gegründeten Universitäten in voller Blüte standen, kannten die Guanchen weder Eisen noch andere Metalle und hausten in primitiven Höhlen.
Trotzdem hatten sie großes künstlerisches Können entwickelt. Ihre Technik der Einbalsamierung kam der der Ägypter gleich, und ihre Keramik wies einen Formenreichtum auf, der sich bei einem so völlig von aller Welt abgeschlossenen Volk schwer erklären läßt.
Die Guanchen lebten in einem strengen Kastensystem, das nur durch eine Liebesheirat überbrückbar war; ihre Priester, die Faicanes, waren Edle, der Quehevi, das nominelle Oberhaupt, wurde von den Vornehmen des Landes gewählt. Sämtliche Versammlungen und kultischen Feste fanden auf den Gipfeln der Berge statt. Ein solcher Versammlungsort liegt im Nordteil der Insel bei Arncas; er ist unter dem Namen Cenobio de Valerón bekannt.
Beim Aufstieg gelangt man zunächst zu den ehemaligen Wohnstätten der Harimaguadas, Höhlen, bienenstockähnliche, steinerne Eremitenklausen, einst 365 an der Zahl, deren Bewohnerinnen einem seltsamen Schönheitsideal entsprechend „gemästet“ wurden. Die Harimaguadas waren Jungfrauen, die oft mit den Vestalinnen Roms verglichen worden sind. Sie sorgten für die Ausübung und Reinhaltung eines Kultes, in dessen Rahmen Alcoram, dem Allmächtigen, Speise- und Trankopfer dargebracht wurden.
Bis zu sieben Stockwerken türmen sich die Höhlen auf, in denen man noch nicht einmal stehen kann; hier wurden die Damen wie Martinsgänse aufgepolstert. Später haben die Guanchen darin auch Vieh gehalten, Getreide gespeichert und sich im Kriegsfalle verschanzt.
Der eigentliche Versammlungsort der Guanchen mit seinen in den Felsen eingehauenen Sitzen liegt auf dem Gipfel des Berges und wurde einst Baladero „Blutplatz“ genannt, weil man dort bei feierlichen Anlässen Opfertiere verbluten ließ.
Offensichtlich ist es auf die Wohn- und Lebensweise der Guanchen zurückzuführen, daß es auf Gran Canaria viele Höhlenwohnungen gibt; sie sind teilweise recht primitiv, weitaus häufiger jedoch regelrechte „Höhlenvillen“. Es heißt auf der Insel bereits: „Die Reichen wohnen in Höhlen und die Armen in Häusern.“ Diese Höhlenbehausungen sind meist mehrkammerig, im Sommer kühl, im Winter warm, sauber und am Eingang mit einer Fülle von Konservendosen geschmückt, in denen Blumen aller Art wachsen und gedeihen.
Im Höhlendorf Atalaya, das von den Guanchen gegründet wurde, leben noch heute Töpfer, die wie zu Zeiten ihrer Ahnen ohne Rad arbeiten. Fragt man sie nach ihrer Nationalität, dann lautet die Antwort stolz: „Canario“ Das gilt im übrigen für sämtliche Bewohner der Kanarischen Inseln. Obwohl ihre Inseln seit den Tagen des Kolumbus spanisch sind, achten sie doch streng darauf, daß man sie nicht mit den Spaniern in einen Topf wirft.
Die Canarios sind schöne Menschen; sie verdanken ihr angenehmes Äußeres nicht nur den Guanchen und den Spaniern, sondern auch bestem internationalem Seemannsblut. Hawkins und Drake haben sich mit ihren Kumpanen an den Inseln die Zähne ausgebissen, Holländer, französische und arabische Korsaren haben vergebens versucht, auf die Dauer Fuß zu fassen. Die Islas Canarias sind viel umkämpft und umworben worden – selbst Nelson verlor vor Tenerife eine Schlacht und seinen rechten Arm. Die Kanone, die das zuwege brachte, zeigt man heute noch im Hafen von Santa Cruz.
Hochmoderne Tintenfische
Vor allen meinen Fahrten hatte ich mir bei der Überholung meiner Boote von Migo helfen lassen, der im Hafen von Las Palmas eine kleine Werkstatt besitzt. Migo war jedesmal hocherfreut, wenn er seinen Aleman bedienen konnte, wenn er ihm Dreizack oder Harpune schmieden durfte. Jede Bezahlung lehnte er entschieden ab. Auf meiner Faltbootfahrt hatte ich ihm versprochen, beim „nächsten Mal“ werde ich ihn auf eine Sonntagstour mitnehmen. Nun freute er sich wie ein Kind, mich wiederzusehen und wählte eine nächtliche Fischfahrt, um das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden.
So kam er denn eines Samstagsabends mit zwei befreundeten Fischern an Bord der LIBERIA, und kurze Zeit später lichteten wir den Anker und kreuzten uns in nordöstlicher Richtung vorwärts. Die Fischer brachten zwei Fackeln aus ihrem Gepäck zum Vorschein, die aus zwei Ofenrohren voller öldurditränkter Lappen bestanden.
Als wir etwa zwölf Meilen vom Land entfernt waren, ließen wir das Boot vor Topp und Takel dwars zum Wind2 dümpeln. Die beiden Fischer waren darauf vorbereitet, Haie, Schwertfische oder große Thunfische zu angeln, und ihrer Ausrüstung, ihrer abgerissenen Arbeitskleidung und ihren früheren Erfolgen nach zu schließen, durften wir mit einem ausgezeichneten Fang rechnen.
Aber nach zwei Stunden vergeblichen Angelns, wobei die drei ihre schönsten Witze zum besten gaben – eine Nationalleidenschaft der Spanier –, war keiner von ihnen enttäuscht, nur ich. Geduldig wechselten sie ihr Angelgerät und suchten jetzt nach Tintenfischen, die auf den Inseln eine Art von Volksnahrungsmitteln sind.
Während die LIBERIA in der hohen Atlantikdünung ganz abscheulich dümpelte, zogen unsere Fischer bereits nach kurzer Zeit die ersten glitschigen Tintenfische an Bord, quetschten ihnen mit der Hand die Augen aus und warfen die etwa fünf bis zwanzig Pfund schweren beutelförmigen Tiere auf das saubere Waschdeck.
Spanier, Franzosen und Italiener verstehen Tintenfische so hervorragend zuzubereiten, daß selbst der Nordeuropäer im allgemeinen seinen Ekel vor dem häßlichen Tier vergißt und es mit Genuß verzehrt. Die Tintenfische zählen zu den Kopffüßlern, die als Oktopoden acht und als Kalmare zehn Fangarme besitzen. Da sie so abscheulich aussehen, sind sie dem Menschen wenig sympathisch.
Tintenfische sind archaische Tiere mit hochmoderner Ausrüstung: sie bedienen sich der Rückstoßwirkung eines nach vorn ausgestoßenen Wasserstrahles, um rückwärts zu schwimmen – eine Art von Düsenantrieb. Zu ihren Leckerbissen gehören Muscheltiere, die sie entweder mit ihrem Papageienschnabel zerknachen oder aber durch einen Trick öffnen: sie schieben einen Stein zwischen die Schalen und saugen dann in aller Ruhe die Austernmahlzeit aus.
Früher waren die Tintenfische selbst einmal Schalentiere, aber da sie mehr Wert auf Intelligenz als auf einen Panzer legten, ließen sie die Schalen verkümmern. Sie sind erregbar, nervös und tatsächlich äußerst intelligent. Im Vergleich zu ihren hochentwickelten, umheimlichen Glotzaugen ist das menschliche Auge winzig klein.
Tintenfische – nur wenige Arten erzeugen Tinte – sind die Champions der Farbanpassung, der Camouflage; ihnen gegenüber nimmt sich selbst ein Chamäleon wie ein Anfänger aus. Treiben sie in Planktonwolken, können sie sich durchsichtig machen, schwimmen sie im türkisfarbenen Wasser der Kariben, nehmen sie eine grünblaue Farbe an, im lehmigen Wasser der Flußmündungen werden sie lehmfarben, auf Sandboden gelb, und im Aquarium wechseln sie ihre Farbe je nach der Umgebung. Ihr Farbspiel gibt alle Stadien der Gemütserregung wieder: Furcht vor dem Feind, Eifer bei der Nahrungssuche, Liebesleidenschaft.
Sie sind Nachttiere, die wie Falter von unseren Lichtquellen angezogen werden. Neugierig stürzen sie sich auf den Lichtköder der Fischer und lassen sich meist mühelos an Deck ziehen. Was sie in den dunklen Tiefen der Meere an Leuchtwundern vollbringen, das kann mit der besten bengalischen Beleuchtung konkurrieren.
Selten wird ein Oktopus über zweieinhalb Meter groß, aber andere Mitglieder seiner Familie, die Riesenkraken, erreichen um so größere Ausmaße. Der Laie kennt sie aus Jules Vernes Roman „20.000 Meilen unter Meer“, wo sie mit der Mannschaft des „Nautilus“ kämpfen, oder aus Victor Hugos Buch „Die Arbeiter des Meeres“, in dem beschrieben ist, wie sie einen Menschen „inhalieren“. An der Ostküste Neufundlands strandete einst ein Riesenkrake von siebzehn Meter Länge!
Begegnungen mit Riesenkraken
Einer der bestbelegten Berichte über Begegnungen mit Riesenkraken wurde 1861 von der französischen Korvette „Alecton“ abgegeben.
Am 30. November jenes Jahres – das Boot lag etwa 50 Seemeilen im Norden von Lanzarote – rief der Wachhabende vom Ausguck: „Zwei Strich backbord voraus ein großer roter Körper, halb über und halb unter dem Wasser!“ Man glaubte, es handle sich um ein Wrack. Neugierig geworden, ließ der Kapitän darauf zuhalten. Voller Entsetzen stellte die Besatzung dann fest, daß das „Wrack“ ein Riesenkrake war. Er hatte einen etwa sechs Meter langen Körper, mehr als acht Meter lange Fangarme und schwarze Stilaugen vom Durchmesser einer Schokoladentorte.
Als das Ungeheuer längsseits vom Kriegsschiff lag, gab der Kommandant den Befehl „Feuer!“ Mit Musketen, Harpunen und Kanonen schoß man auf die Bestie, der es offensichtlich nicht viel ausmachte, ein bißchen gepiekt zu werden. Sie tauchte mehrmals unter, kam aber nach wenigen Minuten immer wieder an die Wasseroberfläche. Der Kommandant hatte Freude an der realistischen Schießübung, und seine Besatzung sandte all ihren aufgespeicherten Haß auf das Seeungeheuer mit den Geschossen mit; selbst die Smutjes kamen aus der Kombüse gelaufen, um sich aktiv an dem Seekampf zu beteiligen. Die See war ruhig, und die Sonne brannte heiß auf die wackeren Krieger hernieder.
Plötzlich traf eine Kanonenkugel den Kopf des Tieres und verwundete es tödlich. Noch im Tode brachen aus dem Ungeheuer dunkle Massen einer entsetzlich riechenden Flüssigkeit, die bald die tapferen Mannen mit pestilenzartigem Geruch einhüllte. Nichtsdestotrotz versuchten sie das noch zuckende Tier an Bord zu hieven. Mit einem parfümierten Taschentuch vor der Nase gab der Kommandant Boyer seine Befehle. Aber trotz der verzweifelten Bemühungen der Besatzung konnte nur ein kleines Stück des Kraken an Bord gezogen werden, das dann auch bald in Verwesung überging und weggeworfen werden mußte.
Als die Korvette in Frankreich eintraf, wurde ihr Erlebnis von Wissenschaftlern als ein Fall von Massenhysterie abgetan.
Eine ganz andere Beobachtung stammt von der Bark „Pauline“, deren Kapitän vor Gericht aussagte, sein Schiff hätte am 8. Juli 1875 an der Meeresoberfläche einen Pottwal gesehen, der sich vergeblich bemüht habe, aus der tödlichen Umschlingung einer Seeschlange zu entkommen. Schließlich sei der Pottwal mitsamt der Seeschlange unter den Augen der Besatzung in die Tiefe gesunken.
Ob es Seeschlangen gibt oder nicht – darüber sind die Meinungen geteilt. Es ist jedoch durchaus möglich, daß es sich um einen Riesenkraken gehandelt hat, einem Tier, das die Pottwale vorzugsweise zu jagen scheint.
Die fiktiven Kämpfe der Riesenkraken sind viel bekannter als jene, die von Fischern oder Seeleuten wirklich erlebt wurden. Das kann man auch verstehen, wenn man die hochdramatische Schilderung Jules Vernes’ vom verzweifelten Kampf des Kapitäns Nemos mit dem Kraken mit der beiläufigen Schilderung dreier Fischer aus Neufundland vergleicht, die aus dem Jahre 1873 stammt.
Diese Fischer hatten eine undefinierbare Masse auf dem Wasser flooten sehen und waren neugierig herangepullt. Sie untersuchten sie mit einem Enterhaken – jedoch die Masse liebte dieses Gefühl gar nicht und erwachte plötzlich zum Leben. Ehe sich die drei Fischer versahen, glitten zwei Riesenfangarme übers Boot und suchten offensichtlich nach einem Festschmaus. Einer der Fischer schlug jedoch dem Ungeheuer mit einer Axt die beiden Tentakel ab, so daß es sich unter Ausspritzung einer üblen Sauce in die Tiefen verzog. Die Fischer benutzten einen Teil der Fangarme als Köder und setzten ihre Arbeit fort.
Als sie an Land ihre unglaublich klingende Geschichte zum besten gaben, zeigten sie stolz einen Tentakel, der immer noch etwas über sechs Meter lang war. Sie gaben unter Eid an, daß sie bereits zwei Meter davon beim Angeln „verbraucht“ hätten und daß weitere drei Meter dem Tier noch verblieben waren.
Wer alle Berichte über Riesenkraken aufzeichnen will, wird leicht ein ganzes Buch damit füllen können. Noch aus dem Jahre 1946 stammt die überzeugende Meldung des norwegischen Kapitäns Grönningsäter, wonach mehrere etwa 20 Meter große Riesenkraken versucht hatten, einen 15.000-Tonnen-Tanker anzugreifen. Man erinnert sich unwillkürlich der Seemannsgeschichten, in denen sich Kraken einen Mann aus dem Krähennest3 angeln!
Auch ich hatte ein ungewöhnliches Erlebnis mit einem Tier, das sehr gut ein Krake gewesen sein kann: auf meiner ersten Atlantiküberquerung sah ich am 3. November 1955 morgens eine große, rotbraune Masse auf der Wasseroberfläche treiben. Als ich auf der Höhe des Wasserbergs anlangte, bemerkte ich auf dem vorderen Teil des braunen Etwas zwei große dunkle Flecke – ich hielt sie für Augen –, an deren Rändern die Sonne reflektierte. Am Ende des größeren Achterteils schäumte es, ein Zeichen, daß das Gebilde sich dort bewegte. Ich warf sofort das Ruder herum, holte die Kamera hervor – aber nichts war mehr zu erkennen. Das Wesen zeigte keinen Sinn für Publicity, sondern verschwand schneller, als ich knipsen konnte.
Wie groß mag es gewesen sein? Auf dem Meer ist es schwierig zu schätzen, jedoch glaube ich, daß es gut und gerne 20 Meter maß. Von Tentakeln oder Fangarmen war nichts zu sehen.
Mein Erlebnis hatte mit dem der „Alecton“ manches gemeinsam: den Kanarenstrom als Handlungsort, den Monat November als Zeitpunkt, den grellen Sonnenschein und die ruhige See.
Ob mein Meeresungeheuer in Wirklichkeit aus zwei Tieren bestand: einem Krakenmann und einer Krakenfrau, die sich ein galantes Stelldichein gaben? An und für sich soll man sich ja nicht in das Privatleben anderer Leute einmischen, aber das Liebesleben der Tintenfische ist zu aufregend, als daß man mit einem diskreten Lächeln darüber hinweggehen könnte.
Was sich jede Frau ersehnt: stundenlang von ihrem Liebsten hofiert zu werden, das tut der Tintenmann mit einer beneidenswerten Ausdauer, und rot spielt bei ihm wie bei den Menschen als Liebesfarbe eine große Rolle.
Bei der Paarung steigern sich einige Tintenfischarten in einen regelrechten Liebesrausch hinein, auf dessen Höhepunkt einer der umgestalteten Arme des Tintenmannes, der Hektocotylus, in die Mantelhöhle des Weibchens kriecht und dort die Befruchtung, vornimmt. Mit diesem Arm weniger entschlüpft dann der feurige Liebhaber dem achtarmigen Liebesnetz des Weibchens.
Der Raub der „Serene“
Im Laufe der folgenden Wochen traf ich häufig mit dem Besitzer der Nachbaryacht „Serene“ zusammen. Lars Roedahl war aus Texas nach Las Palmas gekommen, um einen schweren Bandscheibenschaden auszukurieren. Wie er gerade auf Las Palmas verfallen war? Seine kleine Tochter hatte zu Hause in Beaumont nach altbewährtem Rezept mit dem Zeigefinger auf den Globus getippt, als die Familie überlegte, wo sie sich zur Erholung niederlassen sollte. Der Finger wies auf die Kanarischen Inseln. Aber es hätte auch Poppenbüttel sein können. Man packte die Koffer, und wenig später traf Familie Roedahl in Las Palmas ein.
Einige Wochen lang blieb Lars in den Bergen bei Las Palmas, ließ sich massieren, trieb Gymnastik und bezahlte gepfefferte Rechnungen. Als zufällig im Hafen eine Yacht zu verkaufen war, griff er zu und fand sich plötzlich als Besitzer des Schoners „Serene“ wieder, eines 16 Meter langen, 25 Tonnen schweren Bootes, dessen Geschichte geradezu unglaublich klingt:
Serene heißt die „Heitere“, doch es hatte ihren früheren Eigner, einen alterfahrenen Yachtsportler vom New-Yorker Yachtclub, gar nicht heiter gestimmt, als er vor drei Jahren vergeblich auf sein Boot warten mußte. Unter Beachtung sämtlicher Formalitäten hatte er es für zehn Tage an einen Joseph Schmitz aus Chicago verliehen, der sogar ein Kapitänspatent vorlegen konnte. Es war vereinbart worden, daß Schmitz nur in den Binnengewässern um New York kreuzen durfte. Aber Schmitz dachte gar nicht daran, sich auf Binnengewässer zu beschränken. Sein Ziel war Afrika.
Er hatte zwei Landratten aus Chicago mitgebracht, die bis dahin Boote nur aus dem Kino kannten, und er schwärmte ihnen vor: daß man in Afrika durch Handel und Schmuggel Reichtümer verdienen könne. Die beiden – Handelsvertreter ihres Zeichens – waren Feuer und Flamme, solange sie noch festen Boden unter den Füßen hatten. Als sie jedoch den Schoner betraten, wollten sie am liebsten auf der Stelle umkehren, und als Schmitz schon in der ersten Nacht einen neuen Namen an die Bordwand malte, „Marcel V“, waren sie ernstlich bestürzt.
Kaum hatten die drei die Skyline von Manhattan aus den Augen verloren, gerieten sie auch schon in einen ausgewachsenen Sturm. Das Schiff bot bald den Anblick eines Schlachtfeldes, die Küche flog umher, ein Segel zerriß mit Donnerknall; zerschunden, blutend und laut betend kauerten die beiden Handelsvertreter in einer Kojenecke, während Schmitz drei Tage lang ununterbrochen Ruderwache hielt. Er fühlte sich durchaus in seinem Element.
Dann kam eine elende Flaute, und die Vorräte in der Kombüse gingen zur Neige. Um das Maß voll zu machen, gerieten unsere kühnen Seefahrer noch in den Hurrikan Carrie; es war der gleiche, in dem die deutsche Viermastbark „Pamir“ sank. Der eine Handelsvertreter machte sich Aufzeichnungen über seine „letzten Tage auf dieser Erde“, der andere lag lethargisch in einer Kojenecke und erwartete nur noch das Ende.
Da stürmte der unverwüstliche Schmitz mit einer Freudenbotschaft herein: „Land in Sicht!“ Die beiden wußten nicht, ob sie Eskimos, Negerinnen oder Feuerländerinnen erwarten durften – es war ihnen auch gleich. Aber was da am Horizont vor ihnen auftauchte, waren weder Nord- noch Südpol, sondern die Kanarischen Inseln. Am 51. Tag ihrer Fahrt lief die „Marcel“ in den Hafen von Santa Cruz de Tenerife ein.
Die Handelsvertreter hatten für die nächsten hundert Jahre die Nase voll von Abenteuern; sie wollten so schnell wie möglich nach Hause. Doch da sie all ihr Geld in die für Afrika bestimmte Fracht gesteckt hatten und Schmitz genauso blank war wie sie, gab es nur einen Ausweg, einen greulichen Ausweg, aus ihrer hoffnungslosen Lage: sie mußten aufs Meer zurück, und zwar auf eine kleine Ketsch4, die gerade in Richtung Westen segeln wollte. Nach einem erneuten Leidensweg von 30 Tagen gelangten sie zerschlagen und zerschunden nach Barbados und flogen von dort in die USA zurück.
Schmitz – er hieß in Wirklichkeit Bredel – segelte indessen nach Las Palmas, wo ihn sein Schicksal ereilte: das Boot, nach dem schon lange gefahndet worden war, wurde unter Bewachung gestellt, und sein Käptn mußte die Koje mit einer Pritsche hinter vergitterten Fenstern vertauschen. Aber es gelang ihm zu entkommen; in Frauenkleidern floh er nach Tenerife, und von dort schiffte er sich nach Madeira ein, jedoch: die portugiesischen Behörden schnappten ihn und verfrachteten ihn postwendend zurück. Ein FBI-Beamter soll ihn dann in die USA gebracht haben, wo er milde Richter fand, die sogar für seine seemännische Leistung anerkennende Worte hatten.
Lars hatte die „Serene“ der Versicherung abgekauft, die dem Besitzer den Schaden ersetzt hatte. Kurz vor meiner Abfahrt aus Las Palmas hatte auch er den Anker gelichtet und war in 29 Tagen allein nach Barbados gesegelt. In seiner Heimatstadt muß man ihn als Helden gefeiert haben, denn ich erhielt von ihm einen Brief mit dem stolzen Kopf „The Viking of Beaumont Lars Roedahl“.
Daß es leichter ist, eine seetüchtige Yacht über den Ozean zu segeln, als mit einem Auto den afrikanischen Kontinent zu durchqueren, wissen nur Eingeweihte.
Sie suchen das große Abenteuer
Der Hafen von Las Palmas, Puerto de la Luz, besitzt nicht nur die interessante Atmosphäre eines jeden größeren Hafens der Welt, sondern er hat darüber hinaus noch einige besondere „Qualitäten“. Zum Beispiel war er jahrelang als Sammelpunkt der Abenteurer aus allen Ländern verschrien. Gestalten, denen die Verzweiflung im Gesicht geschrieben stand, trieben sich dort herum und versuchten, um jeden Preis nach Amerika zu gelangen. Mir selbst wurde einmal angeboten, ein Fischerboot mit sieben illegalen Auswanderern nach Venezuela zu bringen.
Bei einem solchen Publikum und bei der Patiencia der dortigen Polizei ist es nicht weiter verwunderlich, daß Yachten das Tauwerk vom Deck gestohlen wurde, während die Besatzung unten schlief. Nicht genug damit: es passierte – um nur einen Fall von vielen herauszugreifen – der Yacht „Bernina“, daß Diebe im Dunkel der Nacht sogar ins Vorschiff eindrangen und den Proviant herausholten. Sie flohen erst, als der Kapitän sie mit Donnerstimme vertrieb.
Die Besatzung einer anderen Yacht wachte davon auf, daß ihr sauber lackiertes Boot gegen die schmutzige Mole schlug: unbekannte Bösewichter hatten die Ankertrosse durchschnitten und geraubt!
Sogar entführt wurde ein Boot, und zwar 1947, mitten aus dem Yachthafen heraus. Die beiden Diebe, die weder etwas von Navigation noch vom Segelflicken verstanden, wurden drei Monate später von einem amerikanischen Dampfer vor Neufundland halb ohnmächtig aus dem inzwischen übel zugerichteten Kahn geholt. Sobald sie wieder bei Sinnen waren, hatten sie nichts Eiligeres zu tun, als politisches Asylrecht zu verlangen, und trotz des verzweifelten Protestes der Yachtbesitzer ging ihre Rechnung auf: sie kamen ungeschoren davon und wurden nicht bestraft.
Heute aber sei alles anders, versicherten mir meine Freunde. Im ganzen letzten Jahr nicht ein einziger Diebstahl! Ein Wächter sorge jetzt für Ordnung!
Eine der auffallendsten Gestalten, die je Las Palmas angelaufen haben, war der Deutschbalte Georg Puchert, den ich schon in Tanger einmal getroffen hatte. Puchert stammte aus Libau, im Baltikum, hatte im Zweiten Weltkrieg bei der Kriegsmarine gedient und sich 1948 kurz nach der Währungsreform in einem Kutter nach Tanger abgesetzt. Wenn in Tanger damals die beste Zeit für Geschäfte auch schon vorbei war, so fand er doch bald Anschluß an einen internationalen Schmugglerkreis und arbeitete sich zum „Kapitän“ empor. Sein Spitzname „Captain Morris“ verriet seine Schmuggelware: die Zigarettenmarke gleichen Namens.
Als ich Puchert in Tanger traf, wohnte er auf einem Boot; die Polizei erlaubte ihm nicht, an Land ansässig zu werden. Er hatte sich ein Kapitänspatent der zentralamerikanischen Republik Costa Rica gekauft und seine „Fischerboote“ in dem vergessenen Hafen Puerto Limon an der Karibischen See registriert. Seit 1953, also seit der Zeit, da die Marokkaner ihren Unabhängigkeitsfeldzug aktivierten, verlegte sich Puchert immer mehr auf den Waffenhandel und geriet deswegen in Konflikt mit der französischen Abwehr, die 1957 zwei seiner Konterbandeschiffe durch Haftladungen in die Luft gehen ließ. Das hinderte Puchert aber nicht, noch enger als bisher mit Marokkanern und Algeriern zusammenzuarbeiten und bald zu ihrem wichtigsten Waffenlieferanten zu avancieren.



