Maritime E-Bibliothek: Sammelband Abenteuer und Segeln

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Süßwasser aus dem Meer
Auf dem höchsten Hügel von Port Etienne steht die „Wasserfabrik“. Dort wird durch Erhitzen aus Salzwasser Trinkwasser gewonnen. Anfangs brachte man von St. Louis oder Dakar Frischwasser herbei; das aber wurde auf die Dauer zu teuer und war auch zu umständlich. So baute man die Fabrik. Unter französischer Herrschaft wurde das Wasser frei verteilt. Seit Mauretanien jedoch eine Republik ist, zahlen Franzosen wie Eingeborene für jeden Liter Süßwasser umgerechnet drei Pfennig; das summiert sich dann für jeden Haushalt zu einigen Mark pro Tag.
Der Direktor der Wasserfabrik lud mich nach einem Rundgang durch seine Arbeitsstätte in sein Haus ein, in dem von allen Wänden Jagdtrophäen herabschauten. Wir kamen darauf zu sprechen, wie man am besten Süßwasser aus dem Meer gewinnen könne. Mein Gastgeber wußte nichts darüber, er hatte nun einmal seine Destillationseinrichtung, und um andere Methoden kümmerte er sich nicht.
Über eine halbe Million Menschen leben heute von Trinkwasser, das aus dem Meer gewonnen wird: auf Schiffen, auf kleineren Inseln – zum Beispiel in der Karibischen See – und am Rande von Wüsten. Die Zahl derer, die ihr Trinkwasser aus dem Ozean beziehen, wird wachsen, denn schon gibt es in vielen Ländern alarmierende Nachrichten über ein Absinken des Grundwasserspiegels. Man wird gezwungen sein, noch intensiver als bisher nach einem Weg zu suchen, der zur Erfüllung des alten Menschheitstraumes – Süßwasser aus dem Meer – führt.
Vor mehr als zwei Jahrtausenden berichtete der große griechische Philosoph Aristoteles, er habe von Fischern gehört, die ihr Trinkwasser aus dem Meer bezögen. Ihr Verfahren sei einfach: sie hielten Tonkrüge in die See, deren Wandungen nichts durchließen als – Süßwasser. Aristoteles muß sich – wie so oft – geirrt haben, denn bis heute hat die Wissenschaft noch kein einziges Mittel entdeckt, mit dessen Hilfe sie ohne großen Kostenaufwand und in größerer Menge aus dem Meer salzfreies, genießbares Wasser gewinnen kann.
Schon in der Schule lernen wir, daß Schiffbrüchige kein Seewasser trinken dürfen. Wenn vor nicht allzu langer Zeit versucht worden ist, diese These umzustoßen und ein leichtgläubiges Publikum von der Genießbarkeit des Meerwassers zu überzeugen, so kann das vielen Menschen das Leben kosten.
Es waren die fatalen Berichte eines sogenannten „freiwilligen Schiffbrüchigen“, dessen großes und bequemes Schlauchboot ihn über den Ozean segelte, die diese Mär vom Salzwassertrinken förderten. Als die Ideen dieses Mannes durch die Presse gingen, ohne daß sich eine Gegenstimme meldete, wollte ich der Sache auf den Grund gehen und versuchte auf meiner Einbaumfahrt von Portugal nach Haïti, verschiedene Mengen von Salz wasser zu trinken. Das Ergebnis war immer das gleiche: nach einem Tag bekam ich geschwollene Füße, nach weiteren 36 Stunden schwollen sogar meine Knie an.
Statistiken, die in England ausgearbeitet worden sind, zeigen ganz eindeutig, daß in Rettungsbooten, in denen während des Zweiten Weltkrieges von Schiffbrüchigen Seewasser getrunken wurde, die Todesrate weit höher lag als in Booten, deren Schiffbrüchige kein Salzwasser tranken.
Wie konnte also dieser „freiwillige Schiffbrüchige“ Salzwasser empfehlen? Wie es mit seiner Liebe zur Wahrheit bestellt ist, läßt sich seinen Berichten entnehmen. So schreibt er, er habe in Las Palmas Lebensmittel an Bord genommen, die versiegelt gewesen seien. Mitglieder des dortigen Yachtclubs jedoch, die die Verpflegung in seinem Schlauchboot verstauten, bezeugen mit Entschiedenheit, daß diese Vorräte nicht versiegelt waren. Sie wissen auch, daß der „Salzwasser-Trinker“ mindestens 60 Liter Frischwasser mit sich führte. Auf hoher See tankte er außerdem bei zwei vorbeifahrenden Dampfern auf; die erste Begegnung gesteht er ein, die zweite verschweigt er. Der Kapitän und die Passagiere dieses zweiten Schiffes, des holländischen Dampfers „Bennekom“, melden jedoch eindeutig, er habe Verpflegung übernommen. Fotos davon erschienen sogar in den Zeitungen.
Von seiten der Wissenschaft ist schon vor längerer Zeit dargelegt worden, daß Schiffbrüchige nur dann mit einigem Nutzen für den Körper Seewasser trinken können, wenn es 50 Prozent Frischwasser enthält. Ein Mensch darf in geringen Mengen auch dann Seewasser zu sich nehmen, wenn er – wie es in den Tropen der Fall ist – viel transpiriert hat und sein Körper dadurch Salz verlor. Unbedingte Voraussetzung ist allerdings, daß er genügend Süßwasser vorrätig hat; denn durch den Salzwassergenuß wird ausschließlich der Salzhaushalt des Körpers wieder reguliert, das Süßwasserbedürfnis des Körpers im physiologischen Sinne jedoch gesteigert.
Wissen muß man in diesem Zusammenhang, daß jemand, der sich im Wasser aufhält, weniger schwitzt und daher weniger zu trinken braucht. Aus diesem Grunde hört man oft die irrtümliche Ansicht, der Körper nehme beim Baden Frischwasser durch die Poren der Haut auf.
Leider gibt es immer noch Menschen, die an der Idee des Salzwassertrinkens hängen wie ein Kind an einem wertlosen Spielzeug. Sie sagen, daß man im Höchstfall bis zu fünfeinhalb Tagen Seewasser in kleinen Dosen trinken dürfe. Auch sie müssen zugeben, daß es danach unbedingt nötig ist, größere Mengen an Süßwasser zu trinken, wenn der Schiffbrüchige nicht sterben soll. Und da wird sich der Seemann sofort fragen: „Woher soll ich denn wissen, daß ich vor Ablauf dieser Frist gerettet werde oder Regenwasser auffangen kann?“
Was viel wichtiger ist: ein Mensch kann länger als sechs Tage am Leben bleiben, wenn er überhaupt keine feste oder flüssige Nahrung zu sich nimmt. Das bewies unter anderem ein Schiffbrüchiger des letzten Krieges, der elf Tage lang weder trank noch aß und dennoch überlebte.
Es ist nichts mit der modernen Mär vom Salzwassertrinken; geblieben ist die alte Forderung: Niemals Seewasser trinken! Rettungsboote oder -inseln tragen dem Rechnung; neben Wasserkonserven haben sie Chemikalien zur Gewinnung von Süßwasser an Bord, oder sie führen Sonnendestillatoren mit sich. Zur Seenotausrüstung von Fliegern gehörten schon im Zweiten Weltkrieg Pulver oder Tabletten, die aus dem Meerwasser das Salz ausfällen, so daß man das Wasser abtrinken kann. Als weniger angenehm empfanden die Schiffbrüchigen ein Verfahren, in dem Tabletten das Natrium im Seewasser banden; man mußte dabei leider das ganze Salzgemisch trinken.
Vielen über See abgestürzten Fliegern hat auch der von den Amerikanern entwickelte Sonnendestillator das Leben gerettet. Dieser handliche, kleine Apparat besteht aus einer flachen Destillierblase, die schwarzgestrichen ist und einen dicht schließenden Glashelm besitzt. Das Gefäß wird mit Salzwasser gefüllt und der Sonne ausgesetzt, die die Flüssigkeit verdunsten läßt. Dabei kondensiert sich der Dampf unter Bildung von salzfreien Wassertropfen, die in eine Rinne am unteren Rand des Gefäßes abfließen und dort gesammelt werden.
Für Brackwasser – das Grundwasser der ganzen Saharaküste ist brackisch – eignet sich das neue Membranverfahren. Salz besteht aus Natrium und Chlor. Wenn nun – einfach ausgedrückt – Salzwasser zwischen zwei elektrisch geladenen Polen hindurchfließt, werden die Natriumionen vom negativen, die Chlorionen vom positiven Pol angezogen, und es bleibt Trinkwasser übrig. Die Stärke des Stromes, die zu diesem Verfahren nötig ist, hängt von der Salzkonzentration ab; daher wird der Stromverbrauch bei Brackwasser geringer.
Auch durch das Gefrierverfahren läßt sich das Salz aus dem Meerwasser absondern.
Der Direktor der Wasserfabrik in Port Etienne, dem ich von diesen Methoden erzählte, war mehr durch Zufall zu seinem Posten gekommen, als auf Grund seiner Ausbildung; ihn interessierten weder das Membranverfahren, noch die Gefriermethode ernstlich – er versuchte seine amerikanischen Maschinen gut in Schuß zu halten, und das war sicherlich auch wichtiger als von dem zu träumen, was für ihn nicht erreichbar war.
Überfall um Mitternacht
Den Abend vor meiner Abfahrt verbrachte ich auf meiner LIBERIA IV; das Faltboot hatte ich eingepackt, in wenigen Stunden wollte ich bei auslaufender Tide mit Kurs Dakar fahren.
Es war Mitternacht. Da hörte ich plötzlich Paddelschläge und Flüstern. Ich richtete mich in meiner Koje auf und lauschte gespannt. Ganz deutlich hörte ich, wie ein Boot meine LIBERIA umfuhr. Zu dieser Zeit hatte keiner etwas bei mir zu suchen, nicht einmal ein Hafenbeamter. Jetzt mußten meine nächtlichen Besucher vorne am Bug sein – ich schlich durch die geöffnete Luke ins Cockpit. Das Boot kam näher zu meinem Sitz, eine Gestalt löste sich katzengleich von ihm ab – vorsichtig Ausschau haltend, kletterte ein Araber an Bord.
Mit einem Sprung war ich bei ihm und gab ihm mit beiden Händen einen solchen Stoß, daß er über die Reling ins Wasser stürzte. Wie wild stieß sein Komplice die Riemen ins Wasser und ruderte aus Leibeskräften davon.
Mein Angreifer konnte offensichtlich nicht schwimmen, er spuckte und rülpste und schrie, daß ich für sein Leben fürchtete. Was tut man mit einem ertrinkenden Seeräuber? Ich reichte ihm den Riemen, an dem er sich festhalten konnte, dann drückte ich ihn langsam in die Richtung des Ruders, wo er sich mit den Füßen besser gegen das Boot stemmen konnte. Zitternd, triefend und fluchend hielt er sich am Schanzkleid fest.
„He, Boot!“ rief ich in verschiedenen Sprachen seinem Komplicen zu, der immer noch angstvoll davonpullte. Ich hatte wenig Lust, mein Faltboot aufzuschlagen, um den Banditen auch noch an Land zu bringen. „Hierher!“
Auch mein abgeblitzter Angreifer beteiligte sich an meinem Geschrei, und schließlich kehrte der andere um. Ich versicherte beiden Spießgesellen, daß ich der Polizei von ihren nächtlichen Späßen nichts sagen würde, da ich ja sowieso in einigen Stunden in See stechen wollte; wegen eines Diebstahls mochte ich meine Zeit nicht vergeuden. In Windeseile war das saubere Paar in der Dunkelheit verschwunden.
Die Aufregung nach diesem Abenteuer steckte mir so tief in den Knochen, daß ich nicht mehr schlafen konnte und mich entschloß, sogleich abzufahren.
1 Ein zweimastiges mittelgroßes Segelschiff.
2 Fischkutter, der mit einem Grundschleppnetz, dem Trawl, arbeitet.
3 Der hintere Mast.
VIERTES KAPITEL
VON DER WÜSTE IN DEN REGENWALD
Port Etienne lag hinter mir. Kap Blanc mit seinem Leuchtturm verschwand im orangefarbenen Horizont, den die Sahara bildete. Man könnte direkten Kurs von Kap Blanc nach Dakar nehmen, wenn es nicht die berüchtigte Bank von Arguin geben würde, die weit ins Meer hineinragt. Diese Bank müssen die Dampfer noch mehr meiden als ich es mußte. Meine LIBERIA hielt sich zwischen Bank und Dampferstraße.
Seit hier Schiffe segeln, seit also die Portugiesen unter dem Patronat Heinrich des Seefahrers diese Küste erobert haben, ist die Bank ein Seemannsgrab gewesen. In den letzten fünf Jahren haben zwei deutsche Yachten mit ihr unangenehme Bekanntschaft gemacht: die eine war nachts in die Brecher hineingeraten, konnte sich aber im letzten Augenblick wieder retten. Die andere wurde von den Franzosen aus Port Etienne wieder flott gemacht.
Es ist ein verlassenes Stück Erde hier. Sand, Sand und nochmals Sand! Die Untiefen wechseln von Woche zu Woche, reißende Priele bilden die einzigen Bootswege, die nur wenigen maurischen Lotsen bekannt sind. Aber diese Gegend ist reich: eine Unmenge von Fischen und Vögeln kommt hier zusammen, um zu laichen, beziehungsweise zu nisten.
Ich befand mich mit meinem Boot etwa fünf Meilen von den westlichsten Bänken. Mehrere Dampfer waren mir auf der Ozeanseite schon begegnet. Ich hatte die beiden Focks ausgebaumt, so daß mein Boot für Minuten allein lief, ohne daß ich mich an die Pinne klammern mußte. Jedoch die Angst, in die Dampferstraße oder auf die Bänke zu geraten, ließ mich alle Augenblicke den Kurs überprüfen. Hier gerät die hohe Atlantikdünung, die einen ganzen Ozean überquert hat, auf die flachen Sandbänke und bricht sich mit riesigem Getöse. Wehe den Schiffen, die auf diese Bänke geraten!
Endlich lag die Gefahr hinter mir. Die See jedoch wurde so grob, daß ich mich nicht mehr von der Pinne rühren konnte. Einmal stieg Rasmus1 so unerhört gemein in meine Kabine und in das Cockpit ein, daß ich später glaubte, ich hätte mindestens eine Tonne Wasser aus dem Boot herausgepumpt.
Ein Tümmler klagt mich an
Bald beruhigte sich die See wieder, wie sie es immer zu tun pflegt nach einer Reihe von Sturmtagen. Ich geriet in eine große Schule von Delphinen, die mich längere Zeit durch ihr munteres Spiel erfreuten. Ich wollte schon immer einmal einen Delphin erlegen, um seinen Magen zu untersuchen, die Organe, vor allem das windungsreiche Großhirn, zu betrachten und etwas Fleisch zu gewinnen. Zu diesem Zweck hatte ich mir in Las Palmas einen Dreizack schmieden lassen, obwohl die Niña mich in jedem zweiten Brief flehentlich gebeten hatte, dieses Mordinstrument ja nicht an Tieren zu versuchen, die „länger als ein halber Meter seien“.
Die Delphine tummelten sich längsseits, ich nahm Maß, und schon flog die Harpune durch die Luft. Vielleicht schwamm das Tier, nachdem ich gezielt hatte, zu tief im Wasser, vielleicht hatte ich schlecht gezielt, jedenfalls glitt die Harpune aus, und mein Studienobjekt entwischte. Ich holte meinen Dreizack ein; einer seiner Zinken war verbogen.
Dann geschah etwas ganz Außergewöhnliches: der Delphin tauchte mit blutender rechter Brustflosse noch einmal neben dem Boot aus dem Wasser auf, viel höher als gewöhnlich, und drehte seinen Kopf nach mir, als wolle er sehen, wer der Schandkerl war, der ihn da so rücksichtslos angekratzt hatte. Der Blick des Tieres ging mir durch Mark und Bein; noch bevor der Delphin wieder ins Wasser schoß, hatte ich ihn schon um Verzeihung gebeten. Und wenn ich sage, daß ich vor Schuldbewußtsein einen roten Kopf kriegte, so ist das nicht übertrieben.
Die unglaublich klingenden Geschichten von Schweinsfischen, wie die Delphine und ihre Brüder, die Tümmler, bereits von den Römern genannt wurden, sind so alt wie die Tierfabeln überhaupt. Doch erst seitdem man die Möglichkeit hat, das Leben der Tiere hinter den Glaswänden der Seeaquarien in Florida und Kalifornien genauer zu studieren, ist man geneigt, in den Geschichten einen wahren Kern zu vermuten.
Aus Nordflorida stammt die Geschichte von dem Neger, der jedesmal, wenn er zum Fischen hinausfuhr, schon nach verblüffend kurzer Zeit mit gefüllten Netzen wieder zurückkam. Jemand fragte ihn erstaunt, wie er das anstelle. Das verdanke er alles einem Tümmler, war die mysteriöse Antwort. Der Fragende glaubte, der Fischer wolle ihn zum besten halten und lachte: „Können Sie mich Ihrem Tümmlerfreund nicht einmal vorstellen?“ „O.K. – kommen Sie morgen früh mit!“
Dies stellte sich heraus: sobald der Fischer zu einer bestimmten Zeit in seinem Fangrevier erschien, tauchte tatsächlich ein Tümmler auf und trieb, wie ein Schäferhund die Schafe, die Fische der Umgebung ins Netz.
Erinnert das nicht an die Fabel, in der die Delphine des Altertums die Meerbarben auf diese Weise in die Netze der Fischer jagten und dadurch belohnt wurden, daß man ihnen zum Dank ein Stück in Wein getränktes Brot schenkte?
Delphine als Lebensretter und Zirkustiere
Auch der folgende Fall wird aus Florida berichtet: Ein Schwimmer hatte sich zu weit ins Meer hinausgewagt. Plötzlich tauchte ein Tümmler neben ihm auf und drängte ihn wiederholt mit der Schnauze in Richtung Küste zurück. Warum nur? Später hieß es, in der Nähe habe ein Hai gelauert, dem schon der Speichel im Maul zusammengeflossen sei!
Ähnliche Fälle, in denen Seeleute durch Schweinsfische vor Haiangriffen bewahrt wurden, spielen in unzähligen Seemannsgeschichten eine große Rolle. Schon Herodot berichtet vom Sänger-Dichter Arion, der von Piraten gezwungen worden war, ins Meer zu springen, jedoch von einem Tümmler nach Taenarium zurückgebracht wurde.
Bekannt ist auch ein Fall, in dem Delphine im Aquarium einen ohnmächtigen Artgenossen, der nicht mehr an die Oberfläche kommen konnte, um Luft zu holen, mit ihren Schnauzen an die frische Luft stießen. Im offenen Meer haben Tümmler sogar ein durch eine Explosion bewußtlos gewordenes Tier systematisch über Wasser gehalten, damit sein Atemloch – Tümmler haben es auf der Stirn – an die Luft gelangte.
Delphine und Tümmler sind Wale und somit keine Fische, sondern Säugetiere, die einst vom Land ins Meer stiegen. Sie besitzen Lungen, die sie alle drei bis fünf Minuten mit frischer Luft füllen müssen, und wenn sie das nicht tun können, ertrinken sie so jämmerlich wie wir. Aus diesem Grunde verläuft der Geburtsakt bei diesen Tieren zuweilen höchst dramatisch. Sobald der Kopf des Kalbes – es wird mit dem Schwanz zuerst geboren – frei ist, zerreißt die Mutter mit einer kräftigen Schwimmbewegung die Nabelschnur und drückt mit ihrer Schnauze das Baby an die Luft. Einige andere Tümmlerfrauen stehen in der Nähe bereit, um nötigenfalls als „Hebammen“ fungieren zu können!
Auch ein langwieriger Saugakt würde durch das dauernde Luftschnappen gestört werden, daher hat es die Natur so eingerichtet, daß dem Baby ein Milchstrahl – wie mit einem Syphon geschossen – in den Schlund saust, sobald es an der mütterlichen Zitze zieht.
Wird das Kalb nach rund einem Jahr abgesetzt, kann die Umstellung von Milch auf Fischnahrung Verdauungsschwierigkeiten mit sich bringen. Die Mutterkühe beobachten während dieser Zeit ihre Kälber besonders aufmerksam und massieren nötigenfalls deren Magengegend ein bißchen mit der Schnauze, um den natürlichen Vorgängen nachzuhelfen.
Seitdem ich die Tümmler in mehreren Seeaquarien Floridas beobachtet habe, halte ich sie für die intelligentesten Seetiere, die ich kenne; sie sind komischer als ein Zirkusclown, neugieriger als eine Concierge und spielsüchtiger als ein Kätzchen. Der Dauphin, der französische Kronprinz, wußte wohl, warum er eines dieser klugen Tiere im Wappen führte.
In den Seeaquarien hat man die Tümmler zu Haustieren, besser gesagt: zu Zirkustieren dressiert; sie springen bis zu sechs Metern in die Höhe und schnappen aus dem Mund eines Wärters einen Fisch, ohne Mund und Nase des Mannes zu berühren; sie springen durch Reifen, tanzen und pfeifen, ziehen – angeschirrt – Boote, erbetteln Liebkosungen, spielen Wasserkorbball und werfen den Zuschauern ins Wasser gefallene Gegenstände wieder zu. Ihr Kopf allein schon sieht lustig aus.
Wale sind Leckerbissen; deswegen übersieht man in katholischen Gegenden gern, daß ein Delphin ein Säugetier ist und an Fastentagen eigentlich nicht gegessen werden darf; und selbst ein Zoologe hat meistens nichts dagegen, wenn man den Wal an solchen Tagen zum „Walfisch“ degradiert.
Die Rache des „Pelorus Jack“
In Neuseeland machte jahrzehntelang ein weißer Delphin, ein Albino also, von sich reden, der beinahe ebenso berühmt war wie „Moby Dick“.
„Jackie“, wie die Neuseeländer ihn nannten, lenkte zum ersten Mal 1871 die Aufmerksamkeit auf sich, als er vor der „Brindle“, die durch die gefährlichen und gefürchteten Riffe im Norden von Neuseeland navigierte, einherschwamm und ihr den Weg durch die richtige Fahrrinne wies. Das Schiff folgte dem Tier und erreichte sicher den nächsten Hafen, und der Kapitän riet allen Seeleuten: „Haltet euch nur an den Delphin im Pelorus Sound, der wird seine Sache schon richtig machen.“
Tatsächlich ist seitdem kaum ein Schiff durch diese gefahrvolle Enge gefahren, ohne daß nicht der „Pelorus Jack“ seine Dienste als Lotse angeboten hatte und in kurzem Abstand vor den hölzernen und eisernen Bugs einhergeschwommen wäre. Selbst kleine Yachten geleitete er sicher durch die schwierigen Gewässer.
„Jackie“ tat seinen Dienst wie jeder andere Lotse auch. Im Gegensatz zu ihnen jedoch kannte er keinen Urlaub, keine Gehaltserhöhung und keine Gewerkschaft; trotzdem erfreute er sich stets bester Gesundheit. Während seiner Dienstzeit gab es keinen Seeunfall im Pelorus Sound. Jackie wurde zu einer Symbolgestalt, und man plante sogar, ihn im neuseeländischen Staatswappen an Stelle eines der Boote auftreten zu lassen.
Als Jackie im 33. Jahr seines merkwürdigen Lotsendienstes die „Penguin“ durch die Riffe führte, schoß ein betrunkener Passagier mit dem Revolver nach ihm. Jackie wurde anscheinend in den Kopf getroffen und verschwand auf der Stelle. Die empörten Matrosen versuchten, den Trunkenbold kurzerhand über Bord zu werfen, und der Kapitän konnte sie nur mit Mühe daran hindern.
Alle Welt glaubte, Pelorus Jack sei diesem heimtückischen Anschlag erlegen. Jedes Boot, das die Enge passierte, stellte einen Ausguck ab, um nach dem Delphin zu fahnden. Doch rund ein Jahr lang war jegliche Suche vergeblich.
Dann aber flitzte der alte Jackie unerwartet mit elegantem Sprung vor dem Bug der „Pacific Dawn“ aus dem Wasser und geleitete das Schiff wieder durch die Enge. Sofort erließ die Regierung Neuseelands ein Gesetz, um das Tier in Zukunft zu schützen.
Eines Tages dann fuhr die „Penguin“ wieder durch den gefährlichen Sund. Jackie war zwar zur Stelle, doch plötzlich verschwand er – als habe er das Schiff erkannt, von dem ihm seinerzeit der böse Streich gespielt worden war. Dichter Nebel kam auf, jede Navigation wurde unmöglich, die „Penguin“ lief auf ein verborgenes Riff und sank. Die beiden Rettungsboote, die man zu Wasser lassen konnte, kenterten. Nur drei Seeleute wurden gerettet.
„Der Pelorus Jack“, tuschelte man.
Bis 1912 versah Jackie seinen Dienst. 40 Jahre lang half er den Seeleuten, dann verschwand er für immer. Das erste Schiff, das von Jackie nicht mehr gelotst wurde, war eine schwimmende Schlachterei, ein Walfangschiff.
Omar und die Afrikaner
Nach gut vier Tagen meist heftiger achterlicher Winde traf ich spät in der Nacht vor dem Kap Verde ein und wartete bis zum Morgengrauen mit der Einfahrt in den Hafen von Dakar.
Jeden Tag hatte ich rund 100 Seemeilen geschafft, vier Tage war ich bei achterlichen Winden gerollt, als ob ich auf einem Baumstamm und nicht auf einer Yacht segelte. Aber ich war zufrieden wie einer, dem das Leben erneut geschenkt wurde; ich hatte meinen Hafen erreicht, und das löste etwas von der Genugtuung aus, die nur der kennt, der je zur See gefahren ist.
Der moderne Hafen von Dakar ist so weiträumig, daß es geraume Zeit dauerte, bis ich einen günstigen Ankerplatz gefunden hatte. Im allgemeinen ziehen Seeleute die ehemals französischen Häfen den britischen vor, und das nicht etwa des Weines und der Frauen wegen: die Erledigung der nötigen Formalitäten wird von den Eingeborenen früherer französischer Gebiete großzügiger gehandhabt; die Hafenanlagen sind oft moderner.
Man kann einem gebildeten Afrikaner – südlich der Sahara nennt man die Schwarzen und Farbigen „Afrikaner“ – auf den ersten Blick ansehen, ob er unter englischer, französischer, spanischer oder portugiesischer Herrschaft aufgewachsen ist.
Afrikaner sind genauso intelligent wie Europäer, allein ihr Bildungsniveau ist meist erschreckend niedrig. Nachdem ich drei Jahre lang als Arzt Afrikaner behandelt habe, glaube ich nicht daran, daß sie bestimmte rassisch gebundene Talente besitzen oder nicht besitzen, also etwa musikalischer sind als wir oder technisch weniger begabt. Unterschiede dieser Art – und das gilt meiner Meinung nach für alle Völker und Rassen – lassen sich meist durch Umwelteinflüsse und Erziehung erklären. Daß gesunde Afrikaner nicht faul sind, hat sich inzwischen auch bei uns herumgesprochen. Daß ihre Gewissenhaftigkeit und Zuverlässigkeit häufig zu wünschen übrig lassen, erklärt sich daraus, daß diese Begriffe für sie neu sind und sie sich erst langsam mit ihnen vertraut machen müssen.
Beim Anlegen an der Mole half mir ein junger Afrikaner die Leinen belegen2. Dann ließ er sich häuslich an Bord nieder und zeigte mit dem Finger auf das Deck: „Ich hier, ich Ihnen helfen.“
“Aber Monsieur, ich brauche Sie nicht!“
„Dann ich bleibe, bis Sie mich brauchen!“



