Maritime E-Bibliothek: Sammelband Abenteuer und Segeln

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Tatsächlich blieb Omar mehrere Wochen lang an Bord sitzen und behütete mein Boot und meinen Schlaf. Er war aus dem Innern des Senegal in die große Stadt Dakar gewandert, um einen Job zu finden. Da er jedoch keine Arbeitsgenehmigung erhielt, war er auf Schwarzarbeit im Hafen angewiesen.
„Warum arbeiten Sie denn nicht für Ihre afrikanischen Brüder?“ fragte ich ihn eines Tages. Er erklärte mir, daß seine Landsleute ihn stets betrogen und seine Arbeit nicht bezahlt hätten; auch meinte er, daß die Franzosen, wären sie noch am Ruder, ihn gewiß legal in Dakar hätten arbeiten lassen.
Als eine örtliche Zeitung später ein Foto brachte, das Omar und mich auf der LIBERIA zeigte, war er so stolz, daß er das Bild tagelang immer wieder betrachtete und es allen Passanten unter die Nase hielt. Da er nicht lesen konnte, mußte ich ihm immer wieder die Bildunterschrift vorlesen, in der sein Name erwähnt war.
Kaum waren die Formalitäten im Hafen erledigt, als man mir auch schon von allen Seiten Hilfe anbot. Im Gegensatz zu der sonstigen Schwerfälligkeit deutscher Amtsstellen im Ausland stand es auch, daß der diensttuende junge deutsche Konsul sofort an Bord kam, sich erkundigte, ob er mir behilflich sein könnte und mich zu einem Trip in den Busch einlud. Die Hochschule, die Marine und die Segelclubs baten mich, Vorträge zu halten. Kurz, es regnete von allen Seiten Einladungen.
Dakar ist eine afrikanische Weltstadt, Knotenpunkt vieler Schiffahrts- und Fluglinien, und Dakar ist die reiche Hauptstadt des armen Senegal, das sich kümmerlich von Erdnüssen und Palmkernen ernährt, indem es sie ins Ausland verkauft.
Dakar ist gut 100 Jahre alt und hat die beiden älteren Kolonien Goree und St. Louis weit überflügelt, vor allem, weil es auf Grund seiner strategisch günstigen Lage am Atlantik zum Flotten- und Luftstützpunkt ausgebaut worden ist. Es liegt näher bei New York als Paris. Und nach Südamerika ist es nur ein Katzensprung, nicht weiter als nach Nigeria!
Als die Portugiesen das westlichste Kap Afrikas, auf dem heute Dakar steht, umsegelten, nannten sie es Kap Verde, das grüne Kap, weil seine Hügel im Gegensatz zur nördlichen Küstenlandschaft in schönstem Grün prangten. Südlich von Dakar weicht tatsächlich die Savannenlandschaft immer mehr dem Regenwaldgebiet.
Dakar, eine Großstadt von 500.000 Einwohnern, ist reich an modernsten luftgekühlten Wolkenkratzern. Und an elenden Slums. Prächtig gewachsene Menschen halten im Schatten häßlicher, knorriger Affenbrotbäume Siesta, feilschen um eine rotbraune Kolanuß oder bieten dem Besucher „garantiert“ echte „Kunstwerke altafrikanischer Kulturen“ an.
Mit der Echtheit dieser Kunstwerke ist es nicht so weit her; sie werden auf schmutzigen, sandigen Hinterhöfen von gerissenen maurischen Händlern im Akkord hergestellt. Dennoch – ich konnte es nicht lassen, nach längerem Feilschen ein paar Masken zu einem Viertel des ursprünglich geforderten Preises zu erwerben.
Durch nordafrikanisch anmutende Straßenzüge gelangte ich unvermittelt auf den Eingeborenenmarkt. Eine dichte Wolke von Fliegen und schwerem, widerlichem Kloakengestank schwebte über den offenen und ungeschützten Auslagen von Fleisch, saurer Milch, Palmwein, Klippfischen, Gewürzen, Gemüsen und Früchten. Fette Marktweiber stillten ungeniert ihre Säuglinge, weigerten sich aber, fotografiert zu werden. Stolze muselmanische Frauen schritten gemessen durch die Menge; über dem Rand ihrer Schleier glühten dunkle, scheue Augen. Junge Senegalesinnen in farbenprächtigen, weiten, über einer Schulter gerafften Gewändern, ließen ihre Hüften wippen.
Alle zehn Meter mußte man übelriechenden Abfallhaufen ausweichen – die Straßenkehrer hatten gerade Streik. Keiner schien an dem Kehricht Anstoß zu nehmen, am allerwenigsten die fliegenden Gesundheitspolizisten, die Milane. Sie hockten auf dem Dach der Markthalle und beobachteten mit scharfen, flinken Augen, wo ein Happen für sie abfallen könnte.
Am häufigsten traf ich diese Bussard-großen Schmarotzer in der Nähe von Fischersiedlungen wieder, wo sie sich um die winzigsten Abfälle noch stritten. Kein Mensch ließ sich durch sie aus der Ruhe bringen; jeder weiß, daß sie für die Hygiene wichtig sind und die Aasgeier anderer Länder ersetzen.
Als ich an einem Brunnen vorbeikam, an dem Kinder und Frauen mit Krügen auf dem Kopf Schlange standen, erzählte mir der Franzose, der mich begleitete, daß die Frauen von Dakar nicht die sorgfältig behüteten Haussklavinnen seien, die man in Nordafrika antrifft, sie gingen an die Wahlurnen mit einem Eifer, den man schon als organisiert bezeichnen müsse. Dabei kümmerten sie sich, im Gegensatz zu den Europäerinnen, nicht im geringsten um die Wahlsympathien ihrer Männer, sondern wählten den, der ihnen am geeignetsten erscheine. So habe ein Kandidat ein Plakat drucken lassen, mit dem er sich speziell an die Frauen wandte: „Geben Sie mir Ihre Stimme, und Ihre Männer müssen Wasser schleppen!“
Der Mann sei tatsächlich gewählt worden, jedoch die Frauen schleppten, wie ich sähe, leider noch immer Wasser …
Die Abenteuer der „Nike“
Als ich schon einige Tage in Dakar war, lag plötzlich neben der LIBERIA IV die kleine weiße Yacht des Hamburgers Detlef Peiser. Ich hatte die „Nike“ bereits bei der Ausfahrt auf der Elbe getroffen, war ihr wieder in Vigo und Las Palmas begegnet, glaubte sie jetzt aber schon in Monrovia oder gar in Lagos.
Die Zeitungen hatten sich mit Detlef mehr als ihm lieb war beschäftigt, als sich bei ihm an Bord mit Sack und Pack eine hübsche Engländerin einfand, die unbedingt die romantische Seefahrt kennenlernen wollte. Peisers einsames Herz fing Feuer. Jedoch dann kam die Biskaya, und mit der Romantik war es vorbei. Peiser mußte sein Boot und die junge Dame versorgen – in dieser Reihenfolge. Im nächsten Hafen, La Coruña, ging jeder wieder seines Weges – sie nach England zurück, wo Scotland Yard schon vergeblich nach ihr gefahndet hatte, er nach Dakar, um nach Südafrika zu segeln.
Peiser ist ein erfahrener Hochseesegler und hat eine der besten seglerischen Leistungen nach dem Kriege erzielt – denn eine Einhandfahrt ist sehr viel schwieriger als eine Fahrt zu zweit oder gar zu dritt. Außerdem finanzierte er gleich mir seine Fahrten aus eigener Tasche. Was wollte er jetzt wieder in Dakar, von dem er sich doch vor Wochen schon verabschiedet hatte?
„Zum Teufel mit der Seefahrt!“ empfing er mich. „Ich kehre um oder verkaufe das Boot.“
Ja, das ist das alte Seglerleid. Ist man gerade in einem Hafen eingelaufen nach einer Fahrt, auf der es nicht so klappte, wie man es sich vorgestellt hatte, dann nennt man sich einen Dummkopf und ärgert sich, daß man je auf die Idee kam, aufs Meer zu gehen. Das bleibt wohl keinem erspart.
„Portugiesisch-Guinea ist ja eine tolle Gegend“, schimpfte Peiser. „Flauten, Tornados, Sandbänke bis zu 60 Seemeilen ins Meer reichend, starke Strömungen, hohe Tidenunterschiede, dann der Wassertank geplatzt, der Fuß verstaucht, die Brille zertreten – nee, wenn Sie da durch wollen, ich beneide Sie nicht, Doktor! Und dann, stellen Sie sich vor: 16 Tage war ich in diesem Mist, da kommt doch ein Dampfer und fragt mich, ob ich irgend etwas benötige! Wind brauche ich, schrie ich den an. Dann aber erkundigte ich mich, ob er mich nicht nach Dakar zurückschleppen könnte.“
„Aber Sie waren doch 100 Seemeilen von Dakar entfernt?“
„Ja, ich hab’ das auch nur so im Spaß gesagt, aber der machte Ernst und hat mich 13 Stunden lang geschleppt! Es war ein russischer Fischdampfer mit allem Drum und Dran: Fabrik, Kino und Ärztin. Gute Zeit gehabt!“
„Und was wollen Sie jetzt machen?“
„Das Boot verkaufen oder nach Hamburg zurückbringen lassen.“
Wir zogen beide zum Cerle de La Voile, dem schön gelegenen Yachtclub von Dakar-Hann, ließen uns nachts von Moskitos plagen, nahmen Bekannte zu den benachbarten Inseln mit und bereiteten jeder seine Abfahrt vor, er nordwärts und ohne sein Boot, ich südwärts.
Doch vorher besuchte ich noch auf eigenem Kiel die kleine Insel Gorée, deren Geschichte eine reiche Auswahl an Gewalttaten wie Mord und Totschlag bietet. Gorée war einst ein berüchtigter Sklavenmarkt, von dem die Briten, Franzosen und auch die Niederländer ihre „Ware“, das „schwarze Elfenbein“, bezogen. noch heute kündet ein düsterer Bau, das feuchte und dunkle Sklavenhaus, maison des esclaves, von Zeiten, die ewig das Verhältnis zwischen Afrikanern und Weißen trüben werden.
Sonst ist Gorée heute ein kleines, verschlafenes, überraschend grünes Eiland, obwohl es einmal viel bedeutender war als Dakar. Im klaren Wasser des kleinen Hafenbeckens konnte ich ungestört ein Bad nehmen und auf Unterwasserjagd gehen.
Im benachbarten Rufisque wurde ich zu einem Pirogenrennen eingeladen, das die umliegenden Dörfer unter sich austragen. Pirogen sind Einbäume mit Plankenaufsatz. Auch an ihnen erkennt man, daß Afrika sich in jeder Beziehung modernisiert hat: selbst in den entlegensten Fischerdörfern werden die größeren Boote von Außenbordmotoren, die jedoch meist eingebaut sind, angetrieben.
Einbäume sind in allen Gebieten Afrikas verschieden; manchmal werden sie, wie in Dakar oder Gambia, erst als Pirogen seetüchtig. Es gibt jedoch auch außerordentlich seetüchtige Einbäume, wie die der Fanti aus Ghana, während in den recht gebrechlichen und primitiven Fahrzeugen der Insel Fernando Pbo jeder Ausflug aufs Meer eine artistische Leistung darstellt.
Ihr Hobby ist das Meer
Überall auf der Welt trifft man Menschen, die vom Meer träumen, von fernen Ländern und entlegenen Inseln. Ihre Begeisterung schlägt so hohe Wellen, daß sie nicht selten mit Reisevorbereitungen beginnen, bis sie dann aber bald merken, wieviel mehr zu einer Seefahrt gehört als nur guter Wille. Meist scheitert das Unternehmen schon an der leeren Reisekasse. Oder an der mangelnden Ausdauer, die leere Kasse aufzufüllen. Für die meisten Einhandsegler – ich machte dabei keine Ausnahme – ist die schwierigste Phase der ganzen Fahrt tatsächlich die Zeit, in der sie mühselig das nötige Reisegeld zusammensparen müssen.
Auch in Dakar traf ich mehrere junge Menschen, die größere Ozeanfahrten planten. Zu ihnen gehörte das Ehepaar Claude und Claudine Goché, das sein Projekt mit einer so erfreulichen Ernsthaftigkeit und Genauigkeit betrieb, daß man an den Erfolg schon im voraus glauben durfte.
Claude war Elektriker bei der französischen Armee, seine Frau Claudine, eine Mulattin, Lehrerin für die jüngsten Senegalesen. Beide trieben seit frühester Jugend Wassersport; Claude hatte sich als mehrfacher Jugendfaltbootmeister Lorbeeren geholt. Jetzt bauten sich die beiden nach Feierabend eine neun Meter lange Hochseeketsch3 vom Typ „Grenam“ – eine gewiß nicht leichte Arbeit in den Tropen. Alle zum Bootsbau nötigen Dinge ließen sie sich aus Frankreich kommen; Kiel und Spanten waren bereits fertig. Ein Funkamateurexamen hatten die beiden auch schon abgelegt. Ihre erste Fahrt sollte sie in die Karibische See führen, nach Martinique, der Heimat Claudines. Später wollten sie um die Welt.
Ganz anders bereitete sich ein zweites Ehepaar auf eine Seefahrt vor, die von Dakar zurück nach Frankreich führen sollte. Immer der Küste entlang! – so stellte sich der Mann die Reise vor! Er hatte sich ein Boot bauen lassen, aus dessen Entwurf man ersehen konnte, daß er vom Meer nichts verstand. Das Ding war ein Monstrum, eine hölzerne Karikatur, mit der sich ein richtiger Seemann nicht einmal betrunken in einen Hafen wagen würde. Seebücher gab es in der Bordbibliothek nicht.
Leider sind Leute dieses Schlages nicht selten. Immer wieder liest man von jungen Menschen, die aus dem Inland kamen und das Meer ohne die geringste Kenntnis befahren oder sogar überqueren wollten. Man kann sie nicht genug davor warnen. Das Meer läßt nicht mit sich spaßen. Es läßt nicht einmal mit sich handeln …
Flußstaat Gambia
Eines Morgens verließ ich bei frischen Winden Dakar und konnte schon in der gleichen Nacht vor Bathurst im Gambiafluß vor Anker gehen. Das damals noch britische Gambia ragt wie ein Wurm – 350 km lang – in den Senegal hinein; seine bunte Geschichte kann in Westafrika höchstens durch die Geschichte der Insel Gorée übertroffen werden.
Gambia ist ein Drittel so groß wie Belgien. Wie der Senegal führt es vorwiegend Erdnüsse aus, die einstmals von den portugiesischen Sklavenhändlern aus Südamerika mitgebracht wurden.
Die Erdnuß ist keine Nuß im botanischen Sinne, sondern eine Hülsenfrucht, die statt in der Luft unter der Erde reift. Wieviel Nährwert sie besitzt, kann man sich vorstellen, wenn man weiß, daß ein Pfund Erdnüsse genau dreimal so viel Kalorien hat wie ein Pfund Rindfleisch!
Außer Alkohol und Briefmarken, die jedes Sammlerauge entzücken, war in Bathurst wirklich nichts Interessantes zu entdecken. Lepröse, Blinde und noch viele andere Kranke bevölkerten die öden Straßen. Bathurst ist ein vergessenes Dorf, in dem nur die Träume florieren können, und Gambia ist ein vergessenes Land, das wenig Interesse daran hat, selbständig zu werden.
Anschluß an Senegal? No, Sir! An Sierra Leone? No, Sir! Unabhängigkeit? No, Sir!
Was dann? Status quo.
Wie eigenartig sich der Fortschritt eines Landes manchmal manifestieren kann, bewies mir ein Polizist in Bathurst, in dessen Büro ich mich anmelden mußte. Als er meine Papiere sah, fragte er mich verschämt, ob ich ihm nicht ein Stärkungsmittel verschreiben könne. Er sei nervös, abgespannt und brauche irgendeine Medizin. Ich riet ihm, einen Arzt aufzusuchen, gab ihm aber dennoch ein Hefepräparat, das nicht schaden konnte. Früher fragte man in Afrika nach Regenschirmen und Glasperlen, heute nach Medikamenten und Stärkungsmittel.
In Afrika, das ein Fünftel der Landoberfläche unserer Welt einnimmt, sprechen 230 Millionen Menschen etwa 700 verschiedene Hauptsprachen! Eines der guten Dinge, die der Kolonialismus mit sich brachte, waren daher die europäischen Sprachen, die heute von allen Gebildeten und Halbintellektuellen gesprochen werden und zu Regierungssprachen erhoben wurden, weil man sich sonst gar nicht verständigen könnte. Wenn der schwarze Kontinent einmal ein großes panafrikanisches Reich geworden sein sollte und Kolonialismus nur noch ein historischer Begriff, wird man dort immer noch Englisch und Französisch sprechen.
Ich nahm Kurs auf eine 160 Seemeilen entfernte Boje, die die Einfahrt in den Gêba-Fluß und damit nach Portugiesisch-Guinea markierte. Wenn die LIBERIA diese Boje, eine Stecknadel im weiten Ozean, nicht fand, würde sie ein ähnliches Schicksal wie die „Nike“ erleiden. Von der Küste sah man nichts, denn ihr sind Sandbänke oder Felsen vorgelagert. Aber an Bord befanden sich Funkpeiler, Sextant, mehrere Kompasse, Radio und alle notwendigen Karten und Bücher. Die Navigation, wenn man sie erst einmal versteht, geht leichter vonstatten als der Laie vermutet. Verstehen muß man sie allerdings!
Vom Orkan gepeitscht
In der zweiten Nacht näherte ich mich der Einfahrt. Kein einziger Leuchtturm brannte. Einige Male versuchte ich, meine Sorge, ich könnte auf eine Untiefe laufen, durch Loten zu verscheuchen: das Senkblei sauste noch immer acht bis elf Meter in die Tiefe. Erst unmittelbar vor dem Leuchtturm erkannte ich die flache Küste und – den brennenden Leuchtturm selbst. Es herrschte hellste Vollmondnacht, und hinter dem Turm ging der Mond auf, so daß das schwache Feuer nicht zu erkennen war!
Noch in der Nacht meldete ich mich bei einem Lotsen, der Bissau von meiner bevorstehenden Ankunft benachrichtigte. Kaum war ich wieder an Bord, als im Südosten eine schwarze, drohende Wolkenwand heraufzog, aus der es gewaltig blitzte und donnerte. Die ersten Windstöße fegten über den Fluß. In aller Eile verstaute ich mein Schlauchboot. Dann begann es zu stürmen, wie ich es auf allen meinen Fahrten noch nie erlebt hatte und nie wieder erlebte.
Auf vier Meter Wassertiefe hatte ich 30 Meter Kette gegeben, aber selbst das erwies sich als zu wenig! Die Kette zitterte und vibrierte. Sintflutartige Wassermassen stoben beinahe waagerecht durch die Luft. Die Wasseroberfläche war zu weißem Geifer geworden. Als ich mich schließlich zur Ankerwinsch vorgekämpft hatte, peitschte der Regen meinen Körper wie mit einer neunschwänzigen Katze. Ich gab nochmals 30 Meter Kette. Aber was bedeuten schon dreißig Meter Ankertrosse in einem Tornado? Ich flog im Bugkorb hin und her, riß mir Knie und Hände blutig und konnte froh sein, daß ich schließlich doch noch die schützende Kajüte erreichte und erschöpft auf die Schlafbank fallen durfte.
Draußen donnerte und blitzte es wie aus einer kosmischen Hexenküche; die Ankertrosse stöhnte, die LIBERIA schlug wie ein Stück Eisen in tiefe, kurze Wellentäler. Der Orkan tobte, als wolle er alles daran setzen, mich zu vernichten. Eine Stunde lang, zwei Stunden – erst kurz vor dem Morgengrauen verschwand der Teufelsspuk.
Sonnenschein, klare Luft und schöne Segelbrise am Morgen! Ebensogut hätte die Sonne jetzt ein gestrandetes Boot bestrahlen können! Ein kleines Flugzeug flog einige Male über der LIBERIA auf und ab, eine Hand winkte, als ob sie sich freute, daß an Deck alles in bester Ordnung war.
Wieder gelangte ich erst in der Dunkelheit in die heutige Hauptstadt von Portugiesisch-Guinea, Bissau. Es schien, als hätte ich die Gewohnheit angenommen, immer nachts irgendwo vor Anker zu gehen. Der Ankergrund von Bissau ist ganz abscheulich: Tidenströmungen von drei bis sechs Knoten4, lehmiger Grund und unbeleuchtete Boote überall.
Als ich an Land ging, erfuhr ich, daß das Flugzeug mich tatsächlich gesucht hatte; man wollte nicht glauben, daß die LIBERIA diesen tobsüchtigen Tornado, den schlimmsten, den man seit Jahren erlebt hatte, heil überstand. Der Hafenkommandant gratulierte mir, der Rundfunk schleppte den verschollen Geglaubten vors Mikrophon.
Portugal hat für Afrika, insbesondere Westafrika, viel getan. Zahlreiche Namen, Forts und Städtegründungen sind ein bleibender Beweis dafür. Portugal hat überdies, nach dem Grundsatz Heinrich des Seefahrers, zu kolonisieren versucht, indem es Pflanzen in Afrika einführte oder auch systematisch weiter verbreitete: Bananen, Zitrusfrüchte, Mango, Mais, Maniok, Tabak. Auch Haustiere brachte es ins Land.
Als die ersten Syrer und Libanesen nach Liberia kamen, wurden sie ihres Aussehens wegen von den Eingeborenen „Portugiesen“ genannt. Wie tief muß sich selbst dort die Erinnerung an die Portugiesen eingegraben haben!
Die portugiesischen Gebiete Afrikas sind seit etwa zehn Jahren Portugal angegliedert und werden vom Ministério do Ultramar in Lissabon verwaltet. Zivilisierte Afrikaner, assimilados, haben die gleichen Rechte wie die Portugiesen, aber auch die gleichen Pflichten, zum Beispiel müssen sie Wehrdienst leisten und Steuern zahlen. Rassen- oder Farbschranken gibt es nicht. Die vielen Mulatten – ein portugiesisches Wort sagt: Gott schuf die Portugiesen, jedoch die Portugiesen die Mulatten – gelten als „Weiße“. Ob Portugal auf Grund dieser Einstellung seine afrikanischen Gebiete für sich wird retten können, ist nach den Aufständen in Angola dennoch unwahrscheinlich.
Bissau ist ein kleines, großzügig angelegtes Städtchen, dessen europäisches Viertel ebenso gut in Portugal stehen könnte. Die Privathäuser sehen einfach aus, alle Regierungsgebäude dagegen zeigen etwas von „diktatorischer Größe“: nichts für den Einzelnen, alles für den Staat.
Den Gouverneur traf ich verschiedene Male. Im Gegensatz zu seinem spanischen Kollegen in Rio de Oro beantwortete er offen alle Fragen, die ein Besucher an ihn richten konnte. Unruhen hätte es bisher noch nicht gegeben, nationalistische Ausbrüche irgendwelcher Art wären unbekannt; er glaubte daran, daß Portugal dieses Gebiet für immer halten könne.
Ein deutscher Ingenieur, den ich traf, nahm mich zu einer Exkursion ins Innere des Landes mit, wo wir noch unerwartet auf Eingeborene vom Balante-Stamm stießen, die einen Kriegstanz vorführten, wie ihn ihre Vorfahren vor tausend Jahren bestimmt nicht besser gekonnt hätten. Mein Landsmann erklärte mir auch, daß bei diesem Stamm eine seltsame Sitte herrsche: wenn die Jungen beschnitten werden, müßten sie als Zeichen ihrer Mannbarkeit eine außergewöhnliche Tat vollbringen – und das sei meist ein Diebstahl!
Vor uns dampfte der Regenwald, der echte Urwald. Er wächst in Westafrika dort, wo es keine langen Trockenzeiten gibt; er ist fast immer Laubwald. Da er keinem ausgesprochenen Wechsel der Jahreszeiten unterliegt, blüht, wächst und gedeiht er ohne Unterlaß. Jeder Baum hat seinen eigenen Rhythmus; Laubwechsel findet innerhalb weniger Tage statt, man bemerkt ihn gar nicht, da er sich von Ast zu Ast vollziehen kann.
Betritt man zum ersten Male den immergrünen Wald, so ist man überrascht, wie wenig Unterholz es dort gibt, wie wenig Gestrüpp und Gesträuch. Der Waldboden ist kahler als in unseren Laubwäldern; Ameisen, Termiten, Bakterien, Pilze und Insekten arbeiten in Windeseile welke Blätter, Samenkörner, morsche Äste und ganze Urwaldriesen zu Humus um. Im Treibhausklima und im Treibhaustempo!
Läßt man den Blick die astlosen Bäume hinaufgleiten, bis zu den Kronen empor, so erkennt man den Stockwerkwuchs des Urwaldes und entdeckt zahllose Schlinggewächse, Kletter- und Luftpflanzen, die dem Boden die letzten Sonnenstrahlen wegnehmen. Lianen umschlingen die Bäume mit festem Griff. Sie gleichen Schiffskabeln – doch besseren und stärkeren als den von Menschenhand geschaffenen. Die Fischer verwenden in Westafrika statt Tauen wurmdicke Lianen, die sich nicht strecken und auch nicht zusammenziehen oder gar im Wasser faulen.
Im untersten Stockwerk des Urwaldgebäudes herrscht eine Luftfeuchtigkeit von nahezu 100 Prozent. Die wenigen Eingeborenen, die unter dem grünen Baldachin hausen, können unbekümmert ihr Feuer anzünden: hier droht nicht die Gefahr eines Waldbrandes.
Im Regenwald halten sich nur wenige Großtiere auf. Ich bin früher im liberianischen Urwald oft auf Jagd gegangen, ohne jemals ein Tier vor die Flinte bekommen zu haben. Nur Affengeschrei erklang aus den Wipfeln – spöttisch, als wollten die Biester mich auslachen. Um am Abend solcher Buschtrips doch noch Fleisch in die Pfanne zu bekommen, beschloß ich meine Jagdausflüge in den Urwald meist mit einem Besuch der Faktorei, um eine Ente zu kaufen. Am Randes des Urwaldes, in den Savannen und an Gewässern, war die Jagd entschieden leichter.
Dennoch ist die Lebensgemeinschaft von Flora und Fauna im Urwald ungewöhnlich vielgestaltig; sie wird an Artenreichtum lediglich von der des Meeres übertroffen. Während in unseren Wäldern nur ein Dutzend verschiedener Bäume stehen, birst der Urwald von Hunderten von verschiedenen Baumarten. Und alle diese Pflanzen wachsen so schnell, daß ein Hektar Urwald eine Holzmenge liefert, die zu produzieren ein Hektar Wald in unseren Breiten sechsmal so lange braucht. Hin und wieder entdeckt man im Urwaldgebiet kleine Eingeborenen-Siedlungen, die von armseligen, mühsam angelegten Pflanzungen umgeben sind. Nach drei bis fünf Jahren Ernte roden die Eingeborenen einen anderen Abschnitt und lassen auf dem zurückgebliebenen, ausgelaugten Land Sekundärwald aufschießen.
Auch bei der Abfahrt von Bissau mußte ich wieder auf Stauwasser warten, ehe ich bei der starken Strömung und der stattlichen Zahl von Nachbarbooten den Anker aus dem Morast hieven konnte. Ich hatte mir vorgenommen, durch die vielen Inseln und Sandbänke nach Süden zu gelangen; bei der starken Strömung und der Ungenauigkeit der Seekarten mußte ich mich darauf beschränken, nur am Tage zu segeln. Hier war zentimetergenaues Navigieren nötig, wenn die LIBERIA nicht plötzlich wie ein gestrandeter Wal auf einer Sandbank sitzen sollte.
Im Bissagosarchipel ankerte ich abends in der Nähe der Insel Bubaque, auf der die deutsche Kamerun-Eisenbahngesellschaft früher einige Tausend Hektar Palmölwälder besessen hatte, die nach dem Kriege dem portugiesischen Staat übergeben werden mußten. Die Eingeborenen dieser Inselwelt haben sich lange gegen die portugiesische Oberherrschaft gewehrt; man erzählte sich von einer Königin, deren Untertanen sich bis in die jüngste Zeit weigerten, an die Portugiesen eine Hüttensteuer zu zahlen.


