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Ihre sagenhafte Sammlung wertvoller Steine dürfte sie nicht vor ihm versteckt haben. Erzsi verfügte dank ihrer Herkunft über zahlreiche Edelsteine, die sie nach den Vorschriften ihrer diversen Heiler zur Verbesserung ihrer angeschlagenen Gesundheit einsetzte. Horoskope, die sie erstellen ließ, halfen ihr bei der Auswahl der Steine. So empfahl ihr ein Alternativmediziner, sie müsse eine Kupferplatte tragen, amalgamiert mit Quecksilber, mit einem Diamanten in der Mitte, am Rand drei im Dreieck angeordnete Edelsteine, und zwar zwei Hyazinthe und ein roter Jaspis. Im Verständnis des Yoga hilft der Hyazinth zum Beispiel bei Verlusten. Das Amulett sei an einer blauen Seidenschnur ständig am Körper zu tragen. Steine konnten neben ihrem Einsatz als magischer Schmuck auch zur Massage oder zur Wasseraufbereitung verwendet werden. Die heilende Wirkung von Mineralien wird bis heute debattiert, wissenschaftlich belegt ist sie nicht. Rosenquarz soll Gefühle und Vertrauen vertiefen, der „Stein der Liebe“, Jade, hilft laut esoterischen Lehren aus Fernost bei sexueller Unlust. Erzsi erfuhr aus der „Magie der Kristalle“, dass jeder Stein eine eigene Schwingung besitzt und sich mit verschiedenen Chakren (Energiepunkten) des Körpers verbindet. Überhaupt schworen „Magier“ wie Karl Krauss und andere in den 1930er-Jahren von Erzsi angeheuerte „Heiler“ auf die Heilkräfte von Rubin, Smaragd, Amethyst und Co.
Im Sommer 1924 trat der „Magier“ Karl Krauss seinen „Dienst“ in Schönau an. Er sei ein „Herr“, so Schrenck-Notzing, der „gleichstehend behandelt“ werden müsse, „was sich bei Ihren liberalen Anschauungen von selbst versteht“, schrieb er in einem Brief an Erzsi. Der Besuch sei keine reine Privatangelegenheit, sondern es würden auch Wissenschaftler aus Wien beigezogen werden, um den Charakter der zu erwartenden Phänomene zu bewerten. Für den „Magier“ seien Sherry und Schnaps stets zur Stärkung bereitzuhalten. Daran sollte es bestimmt nicht scheitern …
Alfred Kubin, der berühmte Grafiker aus dem Schloss Zwickledt bei Wernstein am Inn und einer der Kenner des Unheimlichen, dürfte auch zumindest einmal an einer Sitzung mit Karl Krauss teilgenommen haben. Kubin gehörte ebenfalls zur fächerübergreifenden Fangemeinde Schrenck-Notzings und lernte Erzsi in dieser Runde kennen.
Damals war Krauss noch ein relativ neuer Name in der Szene und sogar Schrenck-Notzing besaß nur wenige überprüfbare Informationen über ihn. Aufgrund dieser Unsicherheiten sollte Erzsi nie mit ihm allein sein, bekräftigte der Lehrmeister. Franzi war alsbald sehr begeistert von Krauss. Sein eingangs zitierter Ausruf „Es war fabelhaft!“ bezog sich auf eine der Krauss’schen Darbietungen. Die fast täglichen Sitzungen begannen im August 1924. Krauss stellte sich als großer Magier vor, der seine Fähigkeiten jahrelang perfektioniert habe und bei einem initiierten Meister in die Lehre gegangen sei, unter strikten Regeln und strenger Disziplin. Sein Metier sei die Verbindung menschlicher Energien mit denen des Kosmos. Er könne durch erlernte Rituale Kräfte zu Hilfe rufen, auch solche aus negativen Energiefeldern.
Rotlicht, UV-Licht, elektrisches Licht und andere Kinkerlitzchen spielen in der Magie keine Rolle. Der Magier kann seine Kraft auch im hellen Sonnenlicht entfalten. Ebenso ist Trance oder Hypnose nicht notwendig. Magische Rituale werden bei vollem Bewusstsein und in „normaler“ Ausdrucksweise durchgeführt. Auch benötigt der Magier kein Spalt-Ich („Doppelgänger“), um sich auszudrücken, Verwirrung und Unruhe, wie sie bei parapsychologischen Medien die Regel sind, belasten ihn genauso wenig. Mit Erschöpfung nach Beendigung des Rituals ist jedoch zu rechnen.
Vor der ersten Begegnung mit Krauss war Erzsi nervös. Schrenck-Notzing und Franzi mussten rechts und links von ihr Platz nehmen. Krauss begann mit einem magischen Schutzkreis, den er um sich zog. Franzi berichtete, er habe protestieren wollen, da sich der Magier ja nun im Inneren des Kreises befinde, alle anderen aber außerhalb. Doch er sei gar nicht dazu gekommen, denn sofort hätten die psychokinetischen Phänomene eingesetzt. Möbel und Gegenstände gerieten in Bewegung. Ein großer Schrank, der bisher seiner Bestimmung gemäß an der Wand gestanden sei, habe sich bedrohlich auf die Gruppe zubewegt. Die nicht von den Sitzungsteilnehmern belegten Sessel seien herumgehüpft. Franzi habe fasziniert die anwesenden Wissenschaftler beobachtet, doch sie hätten sich still verhalten. Der schwere Tisch habe sich erhoben und sei mit lautem Krach zu Boden gefallen. Die Deckenlampe schwang hin und her. Schrenck-Notzing fotografierte. Der zwar erschrockenen, aber dennoch konzentrierten Erzsi entging nicht, dass sich die Ärzte und Physiker zu den Vorkommnissen ausschwiegen.
Ein anderer Versuch spielte sich abends bei normaler elektrischer Beleuchtung ab. In einer Ecke befand sich eine Stehlampe, auf einem Beistelltisch eine Leuchte. Krauss kam herein und äußerte Sonderwünsche. Er wolle eine Flasche Rotwein, ein Glas und ein Jagdmesser. Die Herrin stimmte zu und die Sachen wurden auf den Tisch gestellt bzw. gelegt. Krauss trat in den Kreidekreis. Eine schwarze Hand erschien über dem Tisch, goss Rotwein ein und schwebte samt Glas durch den Raum. Bei Franzi machte sie halt und Rotwein rann über sein weißes Hemd. Er berichtete, dass es gewaschen werden musste. Zu trinken gab ihm die Hand offenbar nichts. Anschließend sei das Jagdmesser auf ihn zugeflogen, er habe bereits ein Kratzen auf der Haut gespürt, dann habe es abgedreht und sich in den Tisch gebohrt. Franzi echauffierte sich: „Wenn das Messer meinen Kopf getroffen hätte, wäre ich jetzt tot.“ Krauss wiegelte ab, das sei unmöglich: „Ich beherrsche diese Kräfte.“ Er werde extra für Franzi ein Andenken dalassen. Das Messer fiel vom Tisch. Nachdem Krauss es aufgehoben und Franzi übergeben hatte, entdeckte dieser, dass ein „K“ auf der Klinge eingraviert war.
Franzi beschrieb auch den Höhepunkt einer Krauss-Veranstaltung, nämlich die magische Praktik der Autolevitation. Krauss habe angekündigt: „Und jetzt fliege ich.“ Sein Körper habe sich vom Sessel gelöst und sei emporgeflogen, habe sich dann in eine horizontale Lage begeben und sei so in 1,70 Meter Höhe mehrere Male um das Zimmer geschwebt. Franzi habe dies nicht glauben können, sei aufgestanden und habe die Luft unter dem schwebenden Körper prüfen wollen. Doch da sei nichts gewesen. Die Überwindung der Schwerkraft wird im Allgemeinen der Schwarzen Magie zugerechnet. Sich zu fürchten ist hier also durchaus ratsam.
Ein anderes Mal schrieb Erzsi auf Krauss’ Anweisung hin ihren Namen auf Papier. Krauss meinte, sie solle das Papier auf ein Tablett legen und es verbrennen. Krauss öffnete das Fenster und warf die Asche hinaus. Dann kam er zurück, dreht das Tablett um und präsentierte Erzsi das unversehrte Papier. Krauss liebte es offenbar, sein Publikum zu verunsichern. Er pendelte unangekündigt zwischen Taschenspieler-Kunststückchen und angsterzeugenden magischen Phänomenen hin und her.
Erzsi wurde regelrecht süchtig nach den Vorstellungen von Karl Krauss. Der „Magier“ fuhr zwar Ende August zusammen mit Schrenck-Notzing nach München zurück, doch Erzsi wollte ihn schon bald für zwei Monate nach Schönau einladen. Die Erscheinungen, die in Schönau hervorgezaubert wurden, schlugen Erzsi mindestens so sehr in den Bann, wie den „Magier“ der Alltag im Schloss beeindruckte. Die aufmerksame Dienerschaft, der märchenhafte Schlosspark, die hervorragende Küche: Krauss stimmte freudig zu, sobald wie möglich wieder anzureisen, um in den Genuss der unwirklichen Annehmlichkeiten zu kommen, die ihm von der ehemaligen Erzherzogin geboten wurden.
Doch Schrenck-Notzing wollte den weiteren Kontakt seines Schützlings mit Krauss nun plötzlich unterbinden. Er schickte einen aufgeregten Brief nach dem anderen, um Erzsi vor Krauss zu warnen. Krauss habe ihm geborgtes Geld nicht zurückgegeben, schrieb Schrenck-Notzing; er habe versprochen, für ihn – Schrenck-Notzing – elektrische Geräte zur Messung von Energieströmen zu konstruieren, was er nie ausgeführt habe. Krauss mochte ein Gauner und Betrüger sein, dumm war er jedoch nicht. Er hatte rasch begriffen, dass Erzsi andere Anforderungen an seine Vorführungen stellte als Schrenck-Notzing. Der Arzt wollte wissenschaftliche Ergebnisse, Messungen, Präzision. Ihm ging es um publizierbare Novitäten. Erzsi hatte nichts gegen Forschung, doch vor allem wollte sie etwas erleben, bei exklusiven Ereignissen dabei sein, etwas zum Nachdenken haben. Wessen Ansprüche Krauss leichter befriedigen konnte, lag auf der Hand. Er verschwand fluchtartig aus München und ließ Schrenck-Notzing wissen, die Experimente in Schönau hätten ihn fürs Erste ermüdet. Er brauche nun Ruhe.
„Der Mann ist zweifellos geistig abnorm“, tobte Schrenck-Notzing. Er geriet außer sich und berichtete Erzsi, dass sie Krauss doch sicher angemessen bezahlt habe, und nun verprasse dieser das Geld in Amüsierlokalen und teuren Restaurants. Erzsi schlug die wohlgemeinten Ratschläge in den Wind. Es war noch keine zehn Jahre her, da war sie selbst regelmäßig Gast in sämtlichen „Amüsierlokalen und teuren Restaurants“ zwischen Triest, Pola und Brioni gewesen. Schrenck-Notzing fühlte sich für Erzsi verantwortlich, weil er es gewesen war, der Krauss auf ihr Schloss gebracht hatte. Obwohl Erzsi wenig Interesse für die Meinungen anderer aufbrachte, fuhr Schrenck-Notzing mit seinen Verdächtigungen fort: Krauss habe bestimmt einen psychischen Defekt, weil er über so große innere Fähigkeiten verfüge. Er könne Recht und Unrecht nicht unterscheiden. Er wolle ebenso im Luxus leben wie seine wohlhabende „Kundschaft“. Er entwende Gegenstände aus den Häusern seiner vermögenden Klienten und gebe diese nicht zurück. Oder er nehme Geld für zu entwickelnde Apparate, die er nie zu bauen gedenke. Mit einem Wort: Er lüge und betrüge ohne Ende. Früher, so habe Schrenck-Notzing herausgefunden, hätte Krauss sein Geld mit Suggestionsbehandlungen, Heilmagnetismus, Detektivarbeit und Hellsehen verdient. Lauter einträgliche Geschäftsfelder in der Zeit nach 1918 …
Die Beratungsresistenz Erzsis verblüffte Schrenck-Notzing. Sie reagierte nicht auf seine Briefe und nahm Krauss weiterhin in Schönau auf. Im November übersiedelte sie in ihr Winterdomizil in die Marxergasse im dritten Wiener Gemeindebezirk. Auch dorthin schrieb ihr Schrenck-Notzing von den (Un-)Taten des Karl Krauss. Aber, so schränkte er ein: „Als Medium ist er natürlich unersetzlich.“
Im Dezember 1924 führte Hans Thirring einige Versuche mit Krauss in Wien durch, die auch Erzsi mit ihrer Anwesenheit beehrte. Die Versuche schlugen fehl. Schrenck-Notzing begründete die Misserfolge mit einem „nicht gleich gestimmten Fluidum“ zwischen Thirring und Krauss. Er war der Ansicht, es müsse eine gewisse seelische Übereinstimmung zwischen Versuchsleiter und Versuchsobjekt vorhanden sein. Bei Erzsi und Krauss sei dies der Fall, bei Thirring und Krauss allerdings nicht. Physiker Thirring sah es prosaischer: Er hielt Krauss schlicht und einfach für einen Schwindler.
Vielleicht kamen Erzsi doch irgendwann Zweifel. Auf jeden Fall arbeitete sie in den Jahren 1925 und 1926 hauptsächlich mit Rudi Schneider und erzielte einige Erfolge. Schrenck-Notzing war von Anfang an der Ansicht gewesen, dass das Schloss Schönau zusammen mit der psychischen Kondition seiner Besitzerin paranormale Phänomene begünstige. Und tatsächlich sollten diese bald nicht mehr zu kontrollieren sein.
Poltergeist – eine beunruhigende Küchenmagd
Der Anfang vom Ende des guten Lebens in Schönau begann 1925. Da hatte der ausgezeichnete Netzwerker Schrenck-Notzing von einem in Güssing (Burgenland) ansässigen Telepathen erfahren, dass sich in einem Bauernhaus bei Langzeil nahe Güssing telekinetische Vorgänge ereigneten. Die ganze Umgebung sei in Aufruhr, da ein Baby aus seiner Wiege auf die Straße geschleudert worden sei. Das Kind habe zum Glück keine Verletzungen erlitten, doch sei die Polizei bereits verständigt worden. Wie aus zahllosen Filmen (beispielsweise „Ringu“, 1998; das Harry-Potter-Sequel „Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind“, 2016; „Hereditary“, 2018) bekannt, wurde ein Teenager als Urheberin der unerklärlichen Vorgänge ausgeforscht: Die 14-jährige Wilma (in den Quellen auch: Vilma) Molnar. Sie sei in dem bewussten Bauernhaus als Dienstmagd in Stellung, ihre Eltern lebten in Ungarn. Das Burgenland wurde erst 1921 als jüngstes Bundesland der Republik Österreich angegliedert.
Wilma war des Deutschen nicht mächtig, aber Schrenck-Notzing wusste, dass Erzsi sehr gut Ungarisch konnte. Er schlug vor, sie möge sich doch in ihr Auto setzen, ins Burgenland fahren und Wilma unter einem Vorwand nach Schönau holen. Dann könne sie das Mädchen in ihre Dienste nehmen und beobachten. Erzsi folgte dem Ratschlag, fuhr mit ihrem Chauffeur zu dem Güssinger Telepathen und fragte ihn aus. Nachdem sie der Ansicht war, alles Wissenswerte über Wilma erfahren zu haben, besuchte sie das Mädchen und sprach Wilma auf Ungarisch an. Diese fasste rasch Vertrauen zu der fremden Dame und kam gerne mit. Um die „Entführung“ etwas erträglicher zu gestalten, wurde auch Wilmas Bruder mit nach Schönau genommen. Die ungewöhnliche Reisegesellschaft trat die Rückfahrt zum Schloss an und die beiden Jugendlichen erhielten Quartier in den Dienstbotenkammern. Am nächsten Tag wies man ihnen einfache Arbeiten in Haus und Küche zu. Schrenck-Notzing wurde von dem Zuwachs an Domestiken in Kenntnis gesetzt und war begeistert von seiner neuen Mitarbeiterin im Schloss. Er instruierte Erzsi genauestens, wie sie es mit Wilma angehen solle. Sie müsse Tagebuch führen und alles notieren, was mit Wilma zu tun habe: wie sie sich verhalte, welchen Eindruck Erzsi von ihr habe, wann die Phänomene aufträten, wann Wilma ihre Regel habe. Außerdem seien immer zu berücksichtigen: die jeweilige Mondphase, Tageszeit und Beleuchtungsverhältnisse, Standort des Mädchens. Weiters solle Erzsi sich fragen: Kann Wilma das Phänomen selbst hervorrufen? Wo tritt das Phänomen auf? Und natürlich müsse sie die schriftlichen Zeugenaussagen der Anwesenden aufnehmen. Wilma müsse auch im Schlaf überwacht werden, um etwaige Spontanaktionen nicht zu versäumen. Ob sie im Schlaf spreche? Aufstehe? Herumgehe? Überhaupt, ob sie somnambule Zustände zeige? Und dann das Entscheidende: Ob sie durch ihren Willen imstande sei, mehr oder weniger weit entfernte Gegenstände zu bewegen, ob sich hierbei ein Spalt-Ich („Doppelgänger“, Astralleib) zeige, der automatisch schreiben kann, ob sie in Trance falle.

Im Garten des Schlosses Schönau, 2019
Beim Auftreten von Phänomenen solle man auch Hans Thirring und Michael Dumba beiziehen. Dumba, ein Nachfahre der einflussreichen Ringstraßenfamilie Dumba, war der neue Gönner von Karl Krauss. Auch er bewegte sich in jenen Zirkeln von Ex-Adeligen, die sich mit dem Spiritismus im weitesten Sinn beschäftigten.
Offenbar geschahen bald seltsame Dinge im Küchenreich von Schloss Schönau, denn wenig später bezeichnete Schrenck-Notzing die junge Wilma als Spukmedium. Aus seinem Antwortbrief an Erzsi geht hervor, dass sie bereits von Problemen mit der burgenländischen Küchenmagd berichtet haben muss: „Wenn man die Sache sich selbst überläßt, so geht sie natürlich weiter. Man muß versuchen, sie zu beherrschen, sich den Unfug energisch verbitten.“ Er ging davon aus, dass diverse Spaltpersönlichkeiten Wilmas für den „Unfug“ verantwortlich seien. Man solle zwei Sitzungen wöchentlich mit ihr abhalten, damit sich ihre zurückgehaltenen psychischen Kräfte dort austoben können. Als last resort empfahl der „Geisterbaron“, Wilma „zu Wagner-Jauregg in die Klinik zu geben, damit die Herren endlich einmal durch die ‚schlagende‘ Wirkung der fliegenden Gegenstände von der Realität dieser Vorgänge überzeugt werden. Das wäre die beste Lösung.“ Bis heute befassen sich Forscher mit der „Psychokinese“ („PK“), also mit der Fähigkeit, Gegenstände zu bewegen, ohne sie zu berühren.
Nicht zuletzt führte der Filmklassiker „Poltergeist“ (1982) vor, dass es oft (heranwachsende) Mädchen sind, die durch ihre psychischen Veranlagungen paranormale Aktivitäten auslösen können. Bei diesen „Spukerscheinungen“ entstehen aus unerfindlichen Gründen Lärm und Bewegung. Geschirr segelt durch die Luft und zersplittert. Alle Gegenstände, die durch Poltergeister bewegt werden, bekommen ein unkontrollierbares Eigenleben. Sie schaffen es durch Türen und Fenster, auch durch solche, die kleiner sind als sie selbst. Ebenso ist es möglich, dass Dinge urplötzlich mitten in der Luft erscheinen. Phänomene dieser Art sollen weltweit verbreitet sein. Angesehene Wissenschaftler wie der Freud-Schüler C. G. Jung schilderten Fälle, in denen sie selbst Zeugen derartiger Vorkommnisse geworden sind: Es ging um Gegenstände, die sich ohne wahrnehmbare äußere Krafteinwirkung im Raum herumbewegten.
Der Ausdruck „Poltergeist“ ist jedoch irreführend, denn es handelt sich mitnichten um einen Geist. Eher könnte man den Poltergeist als eine unsichtbare Kraft beschreiben, die Dinge bewegt, Türen knallen lässt, kinetische Lärmbelästigung verschiedenster Art hervorruft. Um in Aktion treten zu können, scheint der Poltergeist die Gesellschaft (weiblicher) Kinder oder pubertierender Jugendlicher im Alter zwischen zwölf und 16 Jahren zu benötigen. Der Poltergeist gilt als unzerstörbarer Garant für Chaos und gelangt im Allgemeinen zusammen mit dem ihn aktivierenden Jugendlichen in ein Gebäude. Und so nahm ein ziemlich umtriebiger Poltergeist das Schloss Schönau in Besitz.
Erzsi schaffte es nicht, die Kräfte, die offenbar von Wilma Molnar ausgingen, in den Griff zu bekommen. Sie war zwar im Lauf der Jahre geistig geschult worden und hatte Kenntnisse auf den Gebieten der Psychologie und Parapsychologie erworben, die für einen Laien alles andere als selbstverständlich waren. Doch wurde sie von den Ereignissen rund um das ungeschulte Medium Wilma Molnar überrollt. Es muss zu heftigen Phänomenen gekommen sein, zu unbekannten Energien, deren Entwicklung und Konsequenz Erzsi in Schrecken versetzten. Von den Sitzungen mit Hans Thirring kannte Erzsi den sozialdemokratischen Mathematiker Hans Hahn, ein Mitglied des „Wiener Kreises“ rund um den Philosophen und Physiker Moritz Schlick. Sie wandte sich an Hahn mit der Bitte, sich um Wilma zu kümmern und das Mädchen unter wissenschaftlicher Kontrolle zu beobachten. Diese Veränderung ihres Alltags stieß bei Wilma auf immensen Widerstand. Sie hatte keine Lust, in Käfigen zu sitzen, an elektrische Kabel angeschlossen zu sein und fremden Männern als Versuchsobjekt zur Verfügung zu stehen. Erzsi zeigte Verständnis und holte Wilma zu sich in ihre Wiener Wohnung. Doch die Phänomene gingen weiter. Das Eisenbett, in dem Wilma schlafen sollte, fiel zweimal um, sodass sie darunter begraben wurde. Das Mädchen zitterte und weinte. Jedoch war das Bett sehr schwer, sodass Erzsi allein es kaum manövrieren konnte. Sie war mit der Situation überfordert und wusste nicht, wie sie mit Wilma weiter umgehen sollte.
Kaum war man wieder in Schönau, machten die Poltergeister mit unerwartet auftretenden Geräuschen, deren Herkunft nicht geklärt werden konnte, auf sich aufmerksam. Erzsi hatte den Eindruck, dass zu jeder Tages- und Nachtzeit etwas Unvorhergesehenes geschehen konnte. Sie wurde immer nervöser.
Im Jahr 1927 erkrankte Albert von Schrenck-Notzing. Er reiste aber trotzdem zum Kongress der Parapsychologen nach Paris, wovon er Erzsi in Kenntnis setzte. Unterdessen litten Eigentümerin und Angestellte unter der sich immer mehr verschärfenden, grimmigen Atmosphäre in Schönau. Einst war das Schloss geprägt von Blumenduft, Heiterkeit, luxuriöser Sommerunterhaltung. Doch nun regierten kaum mehr unterdrückbare Angstgefühle. Es ereigneten sich die merkwürdigsten Dinge, deren mysteriöse Ursachen alle Bewohner fürchteten. Erzsi riss sich zusammen und erwartete dies auch von allen anderen im Schloss. Für die Herrin war Wilma noch immer in erster Linie ein einzigartiger „Fall“ und sie wollte ihre „Forschungen“ mit dem Mädchen weiterführen. Dass dies ein normales Leben auf dem Anwesen unmöglich machte, war ihr wieder einmal egal.
Einen Vorfall in der Schlossküche schilderte Franzi folgendermaßen: Lautes Geschrei ertönte im Haus, Wilma stand in der Küchentür und schlug die Hände vors Gesicht. Sie wollte nicht sehen, wie die Kartoffeln über den Kachelboden der Küche hüpften. Angeblich waren die Knollen von allein aus dem Korb gesprungen. An einem anderen Tag eilte Erzsi wegen bizarrer Dissonanzen, die sie bis in ihre entlegenen Zimmer wahrnahm, hinunter in die Küche. Wilma umklammerte mit jeder Hand verzweifelt einen Pfannenstiel und versuchte, die Pfannen auf dem Herd zu halten. Gleichzeitig hatten sich zwei Töpfe von der Wand gelöst und flogen in einer Höhe von zwei Metern durch die Luft. Erzsi tat ihr Bestes, um Wilma auf Ungarisch zu beruhigen, und führte sie aus der Küche. Da dies der „Hauptwirkungsbereich“ Wilmas war, manifestierten sich die Klopfgeister dort am stärksten. Anders gesagt: Das von Wilma abstrahlende Energiefeld schien in diesen Räumlichkeiten seine höchste Konzentration zu erreichen.
Hatte Erzsi anderweitig zu tun, lag die Überwachung der Küchenmagd in Franzis Verantwortung. Eines Tages wurde er dringend in die Küche gerufen. Wieder einmal war es so weit. Teller, Messer, Gabeln und Löffel flogen aus geschlossenen Schubladen, bewegten sich in allen Richtungen durch die Luft. Schließlich richteten sich die Messer gegen Wilma. Doch bevor sie das Mädchen erreichten, fielen sie mit lautem Geklapper zu Boden. Die Messer jagten Wilma die größte Angst ein. Das „Herbeibringen“, dessen Wilma unter anderem fähig war und das sie nie zu steuern gelernt hatte, konnte ebenfalls gefährlich werden. Gabeln „verfolgten“ das Mädchen aus der Küche in seine Schlafkammer und fielen neben dem Bett nieder.
Dieses ziemlich seltene Phänomen drückt sich dadurch aus, dass Dinge das Medium „finden“. Sachen sind also plötzlich dort, wo man selbst ist, obwohl sich die Gegenstände vorher noch an ihrem Platz befunden haben. Der „herbeigebrachte“ Gegenstand kann geschlossene Türen oder Mauern durchdringen und kommt auf seiner „Reise“ nicht zu Schaden. Lediglich wird er sehr heiß, was manche Telekinese-Forscher als typisch für die Dematerialisation und die danach wieder notwendige Materialisation ansehen.
Auf Wunsch seiner Mutter war Franzi also stark in die Beobachtung der Küchenhilfe Wilma Molnar involviert. Gelegentlich stellte er fest, dass sich auf seinem Schreibtisch das Tintenfass verschob, wenn Wilma in der Nähe war. Später erzählte er seiner Frau Ghislaine, dass einmal eine Hacke durch das offene Küchenfenster hereingeflogen und mit einem „Bombengetöse“, so Franzi, auf den Boden niedergekracht sei.
Gelegentlich wurde Wilma für kleine Besorgungen in den Ort geschickt, doch nach den ersten seltsamen Ereignissen durfte sie das Schloss nur noch in Begleitung verlassen. Als sie am Schaufenster eines Schuhgeschäfts vorüberging, flog ein Schuh auf den Gehsteig, als wäre er geworfen worden. Bei einem Messerschmied wurde ein Messer von ihr angezogen und fiel neben ihr nieder. Das Medium Wilma Molnar wurde schließlich so bekannt, dass es im „Lexikon der Parapsychologie und ihrer Grenzgebiete“ (Werner F. Bonin, 1984) einen Eintrag erhielt.
Noch 1928 war Schrenck-Notzing der Ansicht gewesen, dass die verständnisvolle Behandlung, die Erzsi dem Mädchen angedeihen ließ, die von Wilma ausgehenden Phänomene begünstige. Allerdings litt Erzsi in diesem Jahr unter schweren gesundheitlichen Komplikationen, es gab Tage, da konnte sie kaum aufstehen. Sie hatte viel Willensstärke bewiesen, gelangte aber zunehmend zu der Erkenntnis, dass es selbst einer widerstandsfähigen Person wie ihr nicht gelingen mochte, aus Wilma ein „normales Mädchen“ zu machen. Was Erzsi nun tat, bringt recht gut zum Ausdruck, dass weder die parapsychologische und „magische“ Schulung durch Schrenck-Notzing noch die ihr seit etwa einem Jahrzehnt zuteilwerdende sozialdemokratische Bildung durch ihren Lebensgefährten Leopold Petznek ihre Persönlichkeit maßgeblich verändern konnten. Sie war einmal eine Erzherzogin an einem streng katholischen Hof gewesen. Und nun übergab sie die bedauernswerte Wilma in die Obhut der Kirche. Möglicherweise suchte sie Rat bei Viktor Kolb, einem Angehörigen des Jesuitenordens, zu dem sie eine Freundschaft pflegte. Das ungleiche Paar traf sich regelmäßig zur Diskussion theologischer Fragen. Kolb engagierte sich im Bereich der christlich-sozialen Presse und war sozialreformerisch tätig, seine Gesprächspartnerin, die eingeschriebene Sozialdemokratin, las die „Arbeiter-Zeitung“ und gewährte „Magiern“ und „Zauberern“ Obdach. Kolb hatte immer wieder versucht, Erzsi aus den Klauen der „Satanisten“, wie er die Parapsychologen und „Medien“ nannte, zu befreien. Seher, Astrologen und andere Leute, die Kontakt zu Toten und dem Jenseits suchten, gehörten für ihn nicht zum Umgang einer guten Katholikin. Er schenkte ihr regelmäßig seine eigenen Werke sowie ein Buch mit dem Titel „Gebote der Tugend“. Es ist nicht davon auszugehen, dass Erzsi diese gut gemeinte Gabe gründlich studierte. Vergeblich redete Kolb ihr zu, die gefährlichen und antichristlichen Versuche im Bereich der Schwarzen Magie zu unterlassen.




