Kirchliche Loyalitätspflichten und die Europäische Menschenrechtskonvention

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182 Fey, AuR 2005, 349, 350.
183 BVerfGE 70, 138.
184 Kirchenamtliche Begründung zur „Richtlinie des Rates der EKD über die Anforderungen der beruflichen Mitarbeit in der EKD und des Diakonischen Werkes der EKD“, epd-Dokument Nr. 29 aus 2005, S. 6 ff.
185 Fey, AuR 2005, 349, 351.
186 Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, S. 93.
187 Vgl. auch Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, S. 11, 65.
188 Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 103 weist zu Recht darauf hin, dass die Ausnahme z.B. im weiten Aufgabenspektrum der Diakonie eher zum Regelfall wird. Fey, AuR 2005, 349, 351 weist darauf hin, dass es in einigen Fällen sogar gerade darauf ankommen kann, nicht-christliche Mitarbeiter zu beschäftigen, etwa bei einer muslimischen Kindergärtnerin in einem integrativen Kindergarten.
189 Eine Übersicht über deren Mitgliedskirchen findet sich auf http://www.oekumeneack.de/Mitgliedskirchen.42.0.html.
190 Insoweit ist die RL.EKD also liberaler als die entsprechende Regelung der katholischen GrO.
191 Fink-Jamann, Antidiskriminierungsrecht, S. 113.
192 Vgl. ausführlicher Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 102 ff.
193 D.h. sie haben das Evangelium als für sich richtig und verbindlich anzuerkennen, Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 107.
194 Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 106.
195 Fink-Jamann, Antidiskriminierungsrecht, S. 117.
196 Can. 1055 CIC.
197 Gemeinsame Erklärung der EKD und der Geschäftsführung der Kommission der Orthodoxen Kirche in Deutschland zu Ehen zwischen evangelischen und orthodoxen Christen und Christinnen, abrufbar unter http://www.ekd.de/EKD-Texte/ehen_evangelische_und_orthodoxe_christen.html.
198 Vgl. Lev 18, 22; 20, 13; Röm 1, 26-28; Kor 6, 9; 1. Tim 1, 10.
199 Budde, AuR 2005, 353, 356.
200 Rat der EKD, Mit Spannungen leben – Eine Orientierungshilfe zum Thema „Homosexualität und Kirche“, 1996, zusammengefasst unter http://www.ekd.de/homosexualitaet/presse/pm_2004_mit_spannungen_leben.html.
201 Kirchenamt der EKD, Verlässlichkeit und Verantwortung stärken – Stellungnahme zur Verbesserung des Rechtsschutzes für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften und zur besonderen Bedeutung und Stellung der Ehe, 2000, abrufbar unter http://www.ekd.de/EKD-Texte/lebensgemeinschaft_2000.html.
202 Kirchenamt der EKD, Theologische, staatskirchenrechtliche und dienstrechtliche Aspekte zum kirchlichen Umgang mit den rechtlichen Folgen der EIntragung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz, 2002, abrufbar unter http://www.ekd.de/EKD-Texte/empfehlungen_gleichgeschlechtliche_partnerschaften_2002.html.
203 Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 110.
204 Fink-Jamann, Antidiskriminierungsrecht, S. 116.
205 Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 110. Inwieweit ein solches Gespräch allerdings beispielsweise bei vorsätzlichen Straftaten gegen die Kirche, etwa Diebstahl oder Sachbeschädigung von Kircheneigentum, noch hilfreich und damit sinnvoll ist, erscheint dennoch zweifelhaft – im Übrigen auch für die entsprechende Regelung in der katholischen Kirche.
206 Vgl. BVerfGE 70, 138, 168, sowie unten § 4 Reichweite der verfassungsrechtlichen Selbstverwaltungsgarantie.
§ 3 DIE RECHTSPRECHUNG BIS 1985: VOM UMFASSENDEN TENDENZSCHUTZ ZU GESTUFTEN LOYALITÄTSOBLIEGENHEITEN
Bereits mehrfach ist auf die Grundsatzentscheidung des BVerfG im 70. Band207 hingewiesen worden. Die Historie vor den Arbeitsgerichten ist jedoch eine andere. Auf eine ausführlichere Darstellung kann hier nicht verzichtet werden, da es möglich erscheint, dass der EGMR mit seiner im Zentrum dieser Arbeit stehenden Judikatur auf die in Deutschland überkommene Rechtsprechung der Arbeitsgerichte rekurrieren wollte, indem wieder eine Stufung verlangt würde.208
A. Die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte
I. BAG AP Nr. 15 zu § 1 KSchG
Den Startpunkt der bundesdeutschen Rechtsprechung in Sachen Kündigung durch kirchliche Arbeitgeber setzt die oft zitierte Anstreicher-Entscheidung vom 31.01.1956.209 Zu beurteilen war die Kündigung eines Handwerkers („Anstreicher“) durch ein zu einer katholischen Kirchengemeinde gehörendes Hospital. Gegen diese Kündigung wandte sich besagter Handwerker. Der Kläger hatte fünf Jahre nach der Scheidung, die durch Alleinschuld seiner Ehefrau verursacht war, sexuelle Beziehungen zu einer 18jährigen Haushaltsgehilfin aufgenommen, die daraufhin schwanger wurde. Der Kläger ehelichte sie sodann, woraufhin die Kirchengemeinde die Kündigung aussprach. Die hiergegen gerichtete Klage hatte vor dem Arbeitsgericht und LAG Erfolg; in der Revision vor dem BAG obsiegte die Kirchengemeinde. Damit der religiös-kirchliche Charakter der Anstalt gewahrt bliebe, seien strengere Anforderungen vonnöten als in einem rein wirtschaftlichen Unternehmen. Schon der außereheliche Geschlechtsverkehr könne also gegebenenfalls einen triftigen Grund i.S.d. § 1 II KSchG bilden und so die Kündigung rechtfertigen. Schwerer wiege aber noch die erneute Eheschließung, die dem katholischen Eheverständnis, das dieselbe als unauflösliches Sakrament betrachtet,210 widerspreche. Auch wenn die erneute Eheschließung zivilrechtlich erlaubt und gebilligt sei, so könne es doch nicht Aufgabe der Gerichte sein, „über die beiden gegensätzlichen Auffassungen moralisch zu urteilen und einer von ihnen den Vorzug zu geben“211, denn kirchenrechtlich bedeutet diese, dass der Gläubige sich selbst aus der aktiven katholischen Kirche ausschließe. Vielmehr sei der Kläger durch seinen katholischen Glauben und seine langjährige Betriebszugehörigkeit an die Tendenz der Anstalt gebunden. Die Kündigung war damit zur Bewahrung der Glaubwürdigkeit der Kirche, die sich selbst treu bleiben müsse, gerechtfertigt. Im Ergebnis postulierte das BAG also einen – allerdings sehr weit reichenden – Tendenzschutz für kirchliche Arbeitgeber, analog zu den bekannten Tendenzbetrieben.
II. LAG Saarbrücken NJW 1976, 645
Dieser weit reichende Schutz wurde allerdings von den niederen Instanzen in den folgenden Jahrzehnten nicht immer aufgegriffen, im Gegenteil: Ein hervorstechendes Beispiel ist das Urteil des LAG Saarbrücken vom 29.10.1975.212 Die Leiterin eines katholischen Kindergartens hatte, wiederum entgegen den katholischen Kirchengesetzen, einen geschiedenen Mann geheiratet. Das LAG urteilte in der Berufung, dass die Kündigung rechtswidrig gewesen sei. Zwar nannte es richtigerweise die Bedeutung der Ehe in der katholischen Kirche als Sakrament. Gleichwohl bemühte das LAG in der Folge dann eigene kirchenrechtliche Mutmaßungen und untersuchte „ob die Eheschließung der Klägerin mit einem geschiedenen Partner heute noch auch aus kirchlicher Sicht eine schwere Verfehlung darstellt.“213 Mit Hinweis auf ablehnende Einzelstimmen verneinte das LAG dieses, was umso erstaunlicher erscheint, als doch eine Klärung nur „auf der Ebene der Gesamtkirche“ zu erreichen sein solle.214 Diese Frage letztlich offen lassend sah das Gericht die Kündigung sodann bereits deswegen als rechtswidrig an, weil sie dem privaten, nicht aber dem dienstlichen Bereich entsprang, was in einer Prüfung ausschließlich nach arbeitsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zur Rechtfertigung einer Kündigung genügen könne. Das LAG kam nämlich aufgrund einer eigenen Bewertung zu dem Schluss, dass der Kindergarten nicht den Anforderungen eines Tendenzschutzes genüge.215
III. BAG AP Nr. 2 zu Art. 140 GG
Zwar wurde dieses Urteil im Ergebnis vom BAG korrigiert, doch schränkte auch dieses Urteil – als erstes höchstrichterliches Urteil seit 1956216 – ebenfalls die Rechtsprechung des Anstreicher-Falles ein.217 Zunächst wurde festgestellt, dass das Betreiben eines Kindergartens sehr wohl dem missionarisch-diakonischen Auftrag der Kirche zuzuordnen sei und damit eine Angelegenheit der Kirche darstelle.218 Weiterhin betonte das BAG die Geltung des staatlichen Arbeitsrechts, das durch die besonderen kirchlichen Belange beeinflusst würde, indem diese notwendig in die Interessenabwägung einflössen. Das vorgenannte Urteil des LAG konnte daher keinen Bestand haben. Das Selbstordnungsrecht der Kirchen sei nämlich zumindest bei den Arbeitnehmern, die kirchliche Aufgaben wahrnehmen und somit, wenn auch abgestuft, an der Verkündigung teilhaben, bei der Konkretisierung und Spezifizierung von Kündigungsvoraussetzungen zu berücksichtigen. Könnten die Kirchen keine Loyalitätserwartungen voraussetzen, so wären sie gezwungen, ihr Selbstverständnis preiszugeben. Außerdem differenziert das BAG erstmals zwischen übrigen Tendenzträgern und der Kirche, bei der die Loyalitätsobliegenheit aus der zur Vermeidung der Unglaubwürdigkeit der Kirche gebotenen Untrennbarkeit von Dienst und Verkündigung resultiere. Das außerdienstliche Verhalten könne somit eine Kündigung rechtfertigen. Die Formulierung der kirchlichen Erwartungen müsse dabei den Kirchen vorbehalten bleiben. Schließlich seien auch Grundrechte der Klägerin nicht verletzt. Art. 4 GG könne keine „innerkirchliche Glaubensfreiheit“ statuieren, so dass der Vorrang der kirchlichen Selbstverwaltungsgarantie folgerichtig sei. Art. 6 I GG sei ebenfalls nicht verletzt. Als weltliches Institut sei die Ehe nicht berührt, zudem stärke die kirchliche Betrachtungsweise die Ehe durch ihre Unauflöslichkeitsforderung sogar noch. Aufgrund der Schwere des Verstoßes sei die Kündigung schließlich sozial gerechtfertigt. Im Ergebnis stärkte das BAG also im Verhältnis zur Vorinstanz die Rechte der Kirchen, ihre Loyalitätserwartungen selbst festzulegen, deutete jedoch bereits an, dass dies wohl nur in gestufter Form abhängig von der Nähe des Arbeitnehmers zum Verkündigungsauftrag zu akzeptieren wäre.
IV. BAG AP Nr. 4 zu Art. 140 GG; BAG NJW 1980, 2211
Bestätigt wurde dieses Urteil durch zwei weitere Urteile des BAG aus dem Jahr 1980.219 Zunächst hatte das Gericht über die ordentliche Kündigung einer katholischen Privatschule gegenüber einer Lehrerin aufgrund ihres verschwiegenen Kirchenaustritts zu entscheiden.220 Das BAG betonte nochmals die Anwendbarkeit des KSchG sowie – lediglich – die Beeinflussung der immanenten Interessenabwägung durch die kirchliche Selbstverwaltungsgarantie. Nachdem festgestellt wurde, dass die Lehrerin am Verkündigungsauftrag teilhat, würdigte das Gericht den Kirchenaustritt als hinreichend schwere Verfehlung, die die Kündigung rechtfertigte. Zum selben Ergebnis kam das BAG im Urteil selben Datums bezüglich einer Kündigung aufgrund der Eheschließung einer Arbeitnehmerin mit einem (noch) nicht laisierten Priester.221 Das BAG bestätigte also die beschriebene Rechtsprechung und betonte nochmals, dass eine Stufung notwendig sein könne.
V. BAG AP Nr. 7 zu Art. 140 GG
Konkretisiert wurde diese Judikatur zunächst durch das LAG Mainz222 und sodann in der Folge auch durch das BAG.223 In diesem Urteil vom 14.10.1980 hatte das BAG wiederum die Rechtmäßigkeit einer durch die Kirche ausgesprochenen Kündigung aufgrund des Eingehens einer kirchenrechtlich unzulässigen Ehe zu entscheiden. Hierzu rekurrierte das Gericht auf die bereits dargestellte Rechtsprechung, um dann in einem obiter dictum hinzuzufügen, dass derartige Loyalitätsobliegenheiten nicht automatisch jedem Arbeitsvertrag kirchlicher Arbeitnehmer innewohnen könnten. Vielmehr müsse ein sachlich gebotener Grund vorliegen. Loyalitätserwartungen dürfe die Kirche also nur haben, soweit ihre Glaubwürdigkeit widrigenfalls gefährdet wäre, was nur bei Tätigkeiten mit Nähe zu den spezifisch kirchlichen Aufgaben der Fall sein könne – zu prüfen und beurteilen durch das Fachgericht. Folgerichtig postulierte das Gericht damit die endgültige Abkehr von der Anstreicher-Entscheidung. Nachdem hier aber ein solcher Außenbezug der Tätigkeit vorlag, hatte die Kündigung im Übrigen daher Bestand.224 Bestätigt wurde diese Tendenz durch Urteil vom 03.11.1981.225 Dies stellte aber gleichzeitig das erste Urteil dar, in dem eine Kündigung höchstrichterlich keinen Bestand hatte. Die kündigende Kirche hatte das Fehlverhalten, die Verleitung zum Ehebruch durch den Kläger, zunächst toleriert und in der Folge nur mildere Sanktionen in Aussicht gestellt. Die Sache wurde daher zurückverwiesen.
VI. BAG AP Nr. 14 zu Art. 140 GG
Der Schritt vom obiter dictum zur ratio decidendi geschah mit Urteil vom 21.10.1982.226 In diesem Fall, der das öffentliche Eintreten eines katholischen Assistenzarztes gegen Grundsätze der katholischen Kirche zum Schwangerschaftsabbruch227 beinhaltete, ging der Kläger erfolgreich gegen seine aus diesem Grund ausgesprochene Kündigung vor. Obwohl die Beklagte als katholische Stiftung an der Kirchenautonomie teilnehme, finde in Übereinstimmung zur bisherigen Rechtsprechung das KSchG Anwendung. Die dem Arbeitnehmer auferlegten Loyalitätsobliegenheiten müssten jedoch der übertragenen Aufgabe entsprechen; daher könnten sie nur abgestuft vorliegen. Ansonsten wäre die sachliche Gebotenheit, die völliger arbeitsgerichtlicher Prüfungskompetenz unterliege, zu verneinen. Weiterhin beurteilte das BAG auch die Schwere des Verstoßes ebenfalls mit voller arbeitsgerichtlicher Prüfungskompetenz und kam letztlich zu dem Schluss, dass an der Interessenabwägung des Berufungsgerichts, das dem Kläger Recht gegeben hatte, keine Rechtsfehler erkennbar waren. Eine gegenteilige Annahme liefe auf die nicht akzeptable Schaffung absoluter Kündigungsgründe hinaus. Im Ergebnis verlangte das BAG damit gestufte Loyalitätsobliegenheiten und sprach sich eine umfassende Prüfungskompetenz zu.
In dieser Tradition folgten Urteile zum Kirchenaustritt eines Buchhälters, der nicht automatisch als Kündigungsgrund genügen sollte,228 zur ausgeübten homosexuellen Praxis eines Diplom-Psychologen,229 ein Urteil wiederum zur kirchenrechtlich unzulässigen Heirat230 und zuletzt ein weiteres Urteil zum Kirchenaustritt.231
B. Zusammenfassung
Die Rechtsprechung konnte zu diesem Zeitpunkt also als gefestigt bezeichnet werden. Das BAG beanspruchte Prüfungskompetenz in zweierlei Hinsicht: zunächst bezüglich der Frage, ob der Arbeitnehmer überhaupt gesteigerten Loyalitätsobliegenheiten unterläge; des Weiteren bezüglich der Schwere eines möglichen Verstoßes gegen dieselben.232
Auf zwei weitere Dinge sei der Vollständigkeit halber hier noch hingewiesen. Zum einen waren die damals einschlägigen Vorgaben der Kirchen bei weitem nicht so präzise wie die oben dargestellten.233 So lauteten beispielsweise die in diversen Fällen einschlägigen Vorschriften der Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes („AVR“) folgendermaßen (Auszug):
§ 1 I […] Die Mitarbeiter haben den ihnen anvertrauten Dienst in Treue zu leisten. Ihr gesamtes Verhalten in und außer dem Dienst muss der Verantwortung entsprechen, die sie als Mitarbeiter im Dienste der Caritas übernommen haben. […]
§ 16 Beim Vorliegen eines wichtigen Grundes i.S. des § 626 BGB kann das Dienstverhältnis von beiden Vertragsparteien ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden. Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor bei Vertrauensbrüchen oder groben Achtungsverletzungen gegenüber Angehörigen der Dienstgemeinschaft, leitenden Personen oder wesentl. Einrichtungen der kath. Kirche, bei schweren Vergehen gegen die Sittengesetze der Kirche oder die staatl. Rechtsordnung oder bei sonstigen groben Verletzungen der sich aus diesen Richtlinien ergebenen Dienstpflichten.
Die fehlende Genauigkeit dieser Vorgaben mag die staatlichen Gerichte dazu verleitet haben, ihre eigenen Wertungen an Stelle der Kirche zu setzen, anstatt bei diesen rückzufragen. Weiterhin ist den Urteilen eine dogmatische Ungenauigkeit gemein, selbst wenn sie stellenweise nicht entscheidungserheblich sein sollte. So bleibt unklar, ob das BAG entsprechende Verstöße gegen Loyalitätsobliegenheiten als personen- oder verhaltensbedingte Kündigungsgründe einordnen wollte.234 Dies gilt auch für inhaltsgleiche oder zumindest doch vergleichbare Loyalitätsverstöße. Ein wenig mehr dogmatische Genauigkeit wäre schon deshalb wünschenswert gewesen, weil u.a. eine Kündigung auf das Nichtvorliegen einer Abmahnung gestützt wurde,235 die aber bei einer personenbedingten Kündigung gar nicht236 oder zumindest doch nur bei steuerbarem Verhalten237 in Frage kommt. In neuerer Rechtsprechung ist das BAG letztgenannter Ansicht gefolgt.238 Letztlich kann diese Frage aber hier ebenso wie die Frage nach einer möglichen Steuerbarkeit homosexueller Neigungen bzw. dem Ausleben derselben dahinstehen, da sie nur im Einzelfall relevant war. Dogmatische Genauigkeit wäre gleichwohl lobenswert gewesen.
C. Fallgruppen
Aus diesen Fällen sowie den bereits zuvor dargestellten Loyalitätsrichtlinien der Großkirchen lassen sich nun einzelne Fallgruppen ableiten. Eine Kategorisierung ist nicht nur aufgrund der verbesserten Übersichtlichkeit vonnöten; vielmehr wird beispielsweise argumentiert, dass einige Fallgruppen etwa vom neuen AGG gerade nicht umfasst sind.239 Die Differenzierung ist somit unerlässlich. Nach dem Gesagten bieten sich hier drei Fallgruppen an:240
der Verstoß gegen Sakramente, hier ist schon aufgrund der zahlenmäßigen Häufigkeit insbesondere die kirchenrechtlich unzulässige Eheschließung zu nennen (katholische Kirche),241
der Kirchenaustritt,242
der Verstoß gegen tragende Grundsätze der Kirche als Generalklausel, hierzu können insbesondere die Abtreibung243 oder auch die praktizierte Homosexualität244 gezählt werden.
Weitere mögliche Differenzierungen, etwa nach Tendenzfreundlichkeit bzw. -feindlichkeit245 oder -nähe bzw. Sendungsrelevanz des Arbeitnehmers,246 sind dagegen bestenfalls geeignet, die Schwere des Verstoßes zu bewerten, bieten aber keinen materiellen Mehrwert. Selbstverständlich ist dabei, dass die Kategorien durchaus miteinander verwoben sein können. So kann beispielsweise ein Kirchenaustritt immer auch ein öffentliches Eintreten gegen Positionen der Kirche beinhalten.
D. Kritik: Die Rechtsprechung des BAG als Angriff auf die Identität der Kirchen
Die Kritik, wie virulent sie auch gewesen sein mag, soll hier nur angedeutet werden, da als Grundlage für ihre Bewertung die Reichweite der verfassungsrechtlichen Selbstverwaltungsgarantie der Kirchen Voraussetzung ist. Gleichwohl kann auf eine Darstellung in der gebotenen Kürze nicht verzichtet werden, weil es ebendiese Kritik war, die letztlich zur Grundsatzentscheidung des BVerfG führte.247
I. Die ekklesiologische Kompetenz
Stärkster Kritikpunkt war sicherlich die Annahme der Gerichte, dass die ekklesiologische Kompetenz der Kirchen durch die staatlichen Gerichte zu kontrollieren sei.248 In der oben dargestellten Rechtsprechung gingen die Gerichte davon aus, dass die Kirchen zwar erhöhte Loyalitätserwartungen haben dürften. Diese seien jedoch – wenn auch zunächst von den Kirchen festzuschreiben – von den Fachgerichten voll überprüfbar. Ebenso sei auch von den Gerichten zu überprüfen, ob und in welchem Maße kirchliche Arbeitnehmer diesen Loyalitätsobliegenheiten unterlägen. Richtigerweise wendete sich die Kritik damit nicht vorrangig gegen eine Stufung der Loyalitätsobliegenheiten als solche; sofern diese von der Kirche vorgesehen wäre, wäre sie durchaus nicht zu beanstanden. Legen jedoch die Arbeitsgerichte eine solche Stufung von außen fest, so solle ein Eingriff in die Selbstverwaltungsgarantie vorliegen.249
In der Sache führe dies letztlich zur Etablierung einer „staatlichen Kirchenhoheit“.250 Zumindest mittelbar über das Arbeitsrecht konnte der Staat den Kirchen also diktieren, was sie glauben und was sie nicht glauben durften. Schreibe man dies aber der Kirche vor, so sei dies nicht nur ein Angriff auf ihre Freiheit, sondern vielmehr sogar auch ein Angriff auf ihre Identität.251 Definiert das BAG also selbst, was Inhalt des Sendungsauftrags der Kirche sei, sowie was deren Glaubwürdigkeit beeinträchtigt, so übernimmt es damit ein ekklesiologisches Mandat.252 Diese Versuche gelten jedoch dem untauglichen Objekt: „Der Staat trennt dort, wo die kirchliche Sache Einheit erfordert.“253 Das Selbstverwaltungsrecht der Kirchen könne folglich nur durch das Selbstverständnis der Kirchen rechtmäßig ausgefüllt werden. Mit anderen Worten: Die Frage, ob ein Loyalitätsverstoß vorliegt, ließe sich denklogisch nicht von der Frage nach seiner Bewertung, seiner Schwere trennen.
Die Gegenmeinung, die sich ja auch letztlich in der Rechtsprechung des BAG niedergeschlagen hatte,254 verkennt und bestreitet demgegenüber ebenfalls nicht, dass die grundlegende Kompetenz, Loyalitätsobliegenheiten festzuschreiben, den Kirchen innewohnt.255 Bestritten wird die weite Reichweite dieser Kompetenz. Obschon die religiöse Bindung „eine Bindung des ganzen Menschen“ sei und staatliche Gerichte nicht befugt sein könnten, theologische Streitfragen zu entscheiden, sei eine jede These, die auf Differenzierung bei den Adressatengruppen der Loyalitätserwartungen verzichtet, falsch; diese Notwendigkeit zur generellen Differenzierung folge daraus, dass im Einzelfall eben nicht differenziert, sondern nur nach dem Schema von entweder-oder geurteilt werden könne.256 Von den Gerichten sei also nach Einzelfallumständen zu entscheiden, entsprechende Beispiele wurden genannt.257 Dies resultiere daraus, dass dem kirchlichen Selbstverwaltungsrecht nicht automatisch der Vorrang gegenüber den Grundrechten der betroffenen Arbeitnehmer einzuräumen sei;258 vielmehr sei dies höchstens aus faktischen Erwägungen der Fall, etwa weil die Kirche durch eine Nichtkündigung in ihrer Glaubwürdigkeit betroffen wäre, während der Arbeitnehmer durch soziale Sicherungssysteme im Falle einer Kündigung abgesichert wäre.259
II. Die BAG-Rechtsprechung als Tendenzschutz in neuen Kleidern
Ein weiterer, eng verzahnter Kritikpunkt entzündete sich daran, dass trotz der ausdrücklichen Differenzierung durch das BAG260 der den Kirchen nun gewährte Schutz materiell deckungsgleich mit dem Schutz säkularer Tendenzunternehmen und -träger gestaltet wurde, denn auch hier sind die Loyalitätsobliegenheiten nur abgestuft zu befolgen.261 Dies verkenne jedoch das Anderssein des kirchlichen Dienstes, der sich, eben gerade anders als Tendenzschutz aus übrigen Grundrechtsgewährleistungen, auf sämtliche Lebensbereiche erstreckt.262 Eng verwandt zum vorgenannten Kritikpunkt bemängelt diese Ansicht also, dass die kirchliche Dienstgemeinschaft, die „Homogenität im christlichen Ethos“ nicht künstlich aufgespalten werden könne.263 Außen- und Innentätigkeit, Ordnung und Bekenntnis, Verkündigung und Unterstützung, all diese Tätigkeiten dürften nicht getrennt betrachtet werden.264
Die Gegenmeinung konterte mit einer ausdrücklichen und gewollten Gleichstellung von Kirchenautonomie und Tendenzschutz. So formulierte Ruland: „Insoweit nehmen die Kirchen gegenüber anderen Tendenzträgern jedoch keine Sonderstellung ein.“265 Beide verwirklichten grundrechtlich geschützte Freiheiten, die wiederum in Kollision auf Grundrechte ihrer Arbeitnehmer träfen.266 Beide seien also auch gleich zu behandeln.
Wie oben dargelegt wurde, ist das BAG im Ergebnis der letztgenannten Ansicht gefolgt – zwar mit vorsichtigerer Formulierung und ausdrücklicher Differenzierung zwischen Kirche und säkularen Tendenzbetrieben, aber inhaltlich dann eben doch.
207 BVerfGE 70, 138.
208 So etwa Hammer, AuR 2011, 278, 281.
209 BAGE 2, 279 = AP Nr. 15 zu § 1 KSchG = NJW 1956, 646.
210 Can. 1055 § 1 CIC sowie Can. 1055 § 2 CIC, Can. 1085 CIC.
211 BAG NJW 1956, 646, 647.
212 LAG Saarbrücken NJW 1976, 645.
213 LAG Saarbrücken NJW 1976, 645.
214 LAG Saarbrücken NJW 1976, 645, 646.








