- -
- 100%
- +
»Welch seltener, erfreulicher Besuch!«, posaunte Himos und stieg von einer Trittleiter an einem vollgestopften Wandregal herunter. Seine schmalen Lippen präsentierten hinter dem anzüglichen Grinsen eine breite Lücke, wo die Schneidezähne hätten sitzen sollen, weshalb seine Aussprache immer etwas zischelte.
Neles Magen zog sich zusammen. Sie verabscheute diesen Mann mit seiner Schmierigkeit, den gierigen Händen, die bei jeder Gelegenheit nach ihr grapschten, sie hasste seine kleinen, berechnenden Augen und seinen unangenehmen Geruch. Aber er war nun mal der Einzige, der ihr gefiltertes Wasser zu einem erträglichen Preis verkaufte. Über den Grund dafür mochte sie nicht nachdenken.
»Hallo Himos.«
»Was führt dich zu mir, meine Süße?« Er kam auf sie zu und breitete die Arme aus, um sie zu umarmen.
Nele wich ihm aus. »Sicher nicht das.«
Selbstgefällig lehnte sich Himos gegen seinen Tresen. »Lass mich raten, du brauchst eine Waffe, um dich gegen all die bösen Kerle zu wehren«, sagte er spöttisch. Er pulte mit dem Fingernagel etwas zwischen seinen Zähnen hervor, das er anschließend genüsslich ablutschte. »Du bist egoistisch, Nele, gönn uns Männern doch mal was. Das Leben ist hart genug. Nebenbei – wer sagt, dass es dir nicht auch Spaß machen kann, hm? Glaub mir, ich weiß, wie so was geht.«
Nele rann ein Schauder über den Rücken, als er ihr zuzwinkerte.
»Du verkaufst wieder Waffen?«, fragte sie, um das Thema zu wechseln. Außerdem interessierte es sie, denn für gewöhnlich konnte sich in diesen Vierteln kaum einer eine richtige Waffe leisten. Bedroht, verletzt und getötet wurde mit Schrott und Selbstgebautem.
»Aber ja! Seitdem die drüben auf die Idee gekommen sind, die beschissene Steuer zu erhöhen, will jeder eine. Nicht, dass ich jedem eine geben würde, bin ja kein Schenk-mir-was-Laden. Aber wer die entsprechenden Penunzen zusammenkratzt, für den findet sich auch was. Sind echte Investitionen, solche Waffen. Du weißt ja, die mit der besten Ausrüstung kriegen ihre Steuern immer am schnellsten zusammen.«
Er lachte kurz und heiser. »Hab Schusswaffen ab zwanzig Silberlingen aufwärts, Süße, nicht sehr präzise, aber effektiv. Keramik- und Blechdolche mit scharfen Langschneiden gibt’s schon ab sieben Silbernen. Und für dich hab ich sogar ein ganz besonderes Angebot: Gleich zwei Waffen auf einmal. Die eine gibt’s zum Sonderpreis, wenn du die andere auch nimmst. Du weißt schon.« Er ließ seine Augenbrauen tanzen und machte mit der Hand eine eindeutige Geste vor seinem Schritt. Dabei grinste er unverhohlen. »Diese da ist kostenfrei, aber dafür effektiv und präzise. Na, was meinst du?«
»Ich will bloß Wasser«, sagte Nele. Als er die Hand sinken ließ und Anstalten machte, hinter den Tresen zu gehen, um das schmuddelige Rohwasser zu holen, fügte sie schnell hinzu: »Ich will das gute. Das filtrierte.«
»Oho, heute mal was Besonderes? Tja, das Zeug wurde mir schon nach meiner Ankunft aus den Händen gerissen.« Er zuckte mit den Schultern und blinzelte ihr erneut zu.
»Was kostet eine Amphore?«, fragte sie und schlang automatisch die Arme um den Oberkörper. Bloß keine Spielchen, bloß schnell wieder raus hier.
Er tat, als dächte er nach. »Wer weiß, vielleicht hast du Glück. Ich glaube, ich hab noch eine oder zwei … Lass mich nachsehen, ob ich recht hab, dann machen wir das mit dem Preis.«
Der grobschlächtige Mann verschwand in seinem Lagerraum. Nele ließ den Blick über die unzähligen Waren in den Kisten und Regalen schweifen. Es hieß, in dieser Händlerbude konnte man fast alles bekommen, auch Dinge, die nicht im Verkaufsraum zu sehen waren. Man musste bloß genügend Silberlinge in der Tasche haben. Es war nicht verwunderlich, dass bei Himos sogar die Leute aus der Nähe der Grenze zu Buntbabel kauften. Dort lebten die Braunen mit den meisten Penunzen, wie der Händler es nannte.
»Eine ist noch da!«, kam es dumpf aus dem Lager.
»Wie viel verlangst du, Himos?«, rief sie.
Er tauchte wieder auf. »Mmmh, es macht mich an, wenn du mich fragst, wie viel ich verlange. Vier Silberlinge, meine Süße.«
Ich gebe dir zehn, wenn du mich nie wieder Süße nennst, lag es ihr auf der Zunge, doch sagte sie nur: »Zwei.«
Himos kam um den Tresen herum und schwenkte die unterarmlange, versiegelte Amphore vor ihrem Gesicht. Dann stellte er das Gefäß neben seinen Füßen ab und kam noch näher. Sein Atem stank nach faulen Zähnen.
»Das ist die Letzte. Drei Silberne, Süße, und eine Umarmung zum Abschied für den großzügigen Himos, der es doch immer gut mit dir meint, hm? Einen besseren Preis kriegst du nirgends.«
Wortlos drückte sie ihm das Geld in die ausgestreckte Hand, der der Daumen fehlte. Diesen hatte ihm angeblich eine Frau abgebissen, weshalb er seither vorsichtiger war.
Himos steckte die Münzen weg und zog Nele an sich. Ihre verschwitzten Nackenhärchen unter dem langen Zopf stellten sich auf, als sein aufdringlich herber Körpergeruch sie einhüllte. Seine Arme umschlangen sie, heiße Feuchtigkeit drang unter seinen Achseln hervor und tränkte ihre Schultern. Nele versteifte sich, während seine Hände gierig über ihren Rücken und den Hintern glitten. Er strich ihre Haare aus dem Nacken, doch nach zwei heißen Atemstößen an ihrem Hals entwand sie sich seinem Griff.
Er trat zurück und grinste zufrieden. Seine daumenlose Hand wanderte zu der Beule in seinem Schritt. »Du solltest dein Potenzial nutzen, meine Süße«, sagte er heiser. »Es könnte dir so viel besser gehen …«
Nele schnappte die Amphore, entkorkte sie und warf einen Blick hinein. Kein Schmutz, keine Brösel, nichts als reines Wasser. Ihr trockener Mund begann zu pochen, doch sie verschloss das Gefäß wieder. Trinken würde sie später, nicht hier, nicht vor Himos.
Sie hatte sich schon umgedreht und die Tür zu seiner Händlerbude aufgestoßen, als Himos sagte: »Ach ja, die Steuer steht an.«
Nele machte auf dem Absatz kehrt. Der Händler sah sie plötzlich ernst an. »Ich sag dir das aus reiner Freundschaft, Süße, und das bleibt unter uns, klar? Aus Buntbabel habe ich Stimmen gehört, dass morgen um die Mittagszeit auch die Passkontrollen durchgeführt werden.«
Neles Herz begann zu trommeln. »Aber die letzten sind doch gar nicht lange her?«
Himos hob die Schultern und die Hände. »Anscheinend lange genug.«
»Wurde die Steuer erhöht?«
Himos schürzte die Lippen. »Davon habe ich leider nichts mitbekommen. Aber so übel wie die momentan drauf sind, ganz bestimmt. Selbst in Buntbabel wird immer mehr verlangt. Jedenfalls wird wieder eine Leibesvisitation stattfinden, du solltest also deine Abschürfung bedecken, sonst hält die Inquisition das noch für Verfall.«
»Danke, aber ich habe keine Abschürfung.«
»Sicher? Ich könnte schwören, ich hab da im Nacken was gesehen. Ich könnte dich genauer absuchen, was meinst du?«
Nele verzog den Mund und verließ wortlos den Laden.
»Du solltest mir dankbar sein!«, rief Himos, doch sie sah nicht zurück.
Ihr war speiübel vor Angst.
Erschöpft kam sie an ihrer Hütte an. Die Mittagshitze drückte wie ein Bleigewicht auf ihre Schultern. Nele schlug die Blechtür hinter sich zu, verriegelte sie und holte die Amphore unter ihrem Hemd hervor. Das Wasser rann frisch und klar ihre Kehle hinab. Köstlich! Einen Augenblick lang vergaß sie alles um sich herum.
Dann kehrte die Angst zurück.
Himos hatte etwas in ihrem Nacken gesehen. Vermutlich ein Bluff, um sie absuchen zu dürfen. Sie fasste unter ihren Zopf, ertastete etwas Raues auf der Haut. Es brannte!
Nein, das kann nicht sein. Mach dich nicht verrückt, das ist nicht der Verfall. Der Sand ist immer überall. Bestimmt hast du dir nur eine juckende Stelle aufgekratzt.
Der Verfall begann schließlich mit blutergussähnlichen Flecken. Diese wurden dunkler, dicker und härter und rauten nach einer Weile auf. Bis sich dann die weißen Eiterpusteln in den schwärzlichen Abschürfungen bildeten, konnten Wochen vergehen.
Wann hab ich mich zuletzt abgesucht? Vor der letzten Kontrolle, richtig? Die ist noch nicht lange her. Da waren keine Flecken!
Sie schluckte schwer und nahm ihre Spiegelscherbe zur Hand. Sie wollte nicht nachsehen, denn jedes Kind wusste, dass sich diese Krankheitsmale schmerzlos auf die Haut schlichen, ähnlich wie Wüstenzecken vor dem Stich. Erst kurz bevor sie sich schwarz färbten, spürte man sie.
Na los, sieh nach. Das im Nacken ist nur eine aufgekratzte Stelle. Ganz sicher.
Im Grunde überprüfte sie sich vor jeder Passkontrolle doch sowieso bloß aus Gewohnheit, damit ihr nichts entging, was die Inquisitoren verdächtig finden konnten. Nele hob die Spiegelscherbe und …
Nein! Das ist unmöglich!
Die enge Blechhütte begann, sich vor ihren Augen zu drehen – gemeinsam mit dem blutergussähnlichen Fleck an der Halsseite. Schwer ließ sie sich auf ihr schmuddeliges Deckenlager sinken. Wo war das so plötzlich hergekommen?
Nie hatte sie darüber nachgedacht, was sie tun würde, wenn sie eines Tages die grässliche Gewissheit ereilte, dass sie tatsächlich Flecken hatte. Aber jetzt war es soweit. Sie fühlte sich wie betäubt.
Im nächsten Moment hämmerte es am Eingang. Sie zuckte so heftig zusammen, dass sie beinah aufgeschrien hätte.
»Passkontrolle!«, rief eine tiefe Männerstimme.
Ein Pfeil aus purem Eis schoss Nele ins Herz.
WAS? Morgen! Himos hat »morgen« gesagt!
Es hämmerte erneut. Wie hypnotisiert starrte sie auf die erbebende Blechtür. Tag für Tag hätte sie die fünf Schritte bis zum Abgrund gehen und sich fallen lassen können. Verdammt, wäre es nicht egal gewesen, wie entsetzlich das Schicksal ihres aufprallenden Körpers gewesen wäre? Sie hätte es sowieso nicht mehr mitbekommen.
Noch vor wenigen Stunden hatte sie zu den drei Echsengöttern dafür gebetet, es enden zu lassen. Aber jetzt? Jetzt war es anders. Bei der Leibeskontrolle überführt und dann hingerichtet zu werden, war das Entsetzlichste, was einem widerfahren konnte. Und das Unwürdigste. Es hätte zu ihr gepasst, oh ja, dennoch wollte sie es nicht.
Nicht so! Sie hatte ihr ganzes Leben dafür gekämpft, es eines Tages besser zu haben und allein dadurch hatte sie Gazaels Liebe errungen, nur deshalb hatte sie ihm ein Kind geboren! Längst vergessener Lebenswille pumpte durch ihre Glieder.
»Aufmachen!«, rief die Stimme von eben. »Männer, eintreten!«
Nele dachte nicht weiter nach. Während es vorn an der Tür krachte, warf sie sich mit ihrem ganzen Gewicht gegen die klappernde Rückwand ihrer Hütte. Das Blech gab ein Stück nach, prallte gegen etwas. Ein heiserer Fluch folgte. Nele warf sich noch einmal dagegen. Wieder gab die Wand nach und diesmal konnte Nele hindurchschlüpfen. Vor ihr rappelte sich einer der Inquisitoren vom Boden auf – offenbar hatte er die Hütte von hinten absichern wollen.
»Sie haut ab!«, schrie er.
In diesem Moment vernahm sie ein Scheppern und Bersten aus der Hütte. Die anderen hatten die Tür aufgebrochen.
In blinder Panik rannte sie davon, stürmte durch die engen Gassen, bog ab, so oft sie konnte. Die Stimmen hinter ihr wurden leiser, doch sie wurde nicht langsamer.
Es gab jetzt nur noch einen Ort, wo sie hinkonnte.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.