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16 HU-Archiv, Personalakte Welskopf, Bd. 1, Bl. 129. Siehe auch Stark, Isolde: Konferenzband, S. 231.
Neben diesen fachlichen Differenzen resultierten die Spannungen zwischen den beiden wohl auch aus unterschiedlichen politischen Anschauungen. Darüber hinaus warf Welskopf-Henrich, die ehemalige Widerstandskämpferin, dem früheren NSDAP-Mitglied Hartke dessen Tätigkeit unter den Nationalsozialisten vor: Er arbeitete in einer deutschen Zentrale, die versuchte, englische und amerikanische Codes zu entschlüsseln. Diesen Codes legten die Engländer und Amerikaner jeweils ein exotisches literarisches Werk zugrunde, übernahmen daraus Worte und Textteile und vermischten diese nach einem bestimmten Zahlensystem. Man musste das entsprechende Buch kennen, um den jeweiligen Code dechiffrieren zu können. Dazu brauchte man außerordentlich gebildete Menschen, die zufällig auftauchende, seltene Worte, die entschlüsselt worden waren, einem bestimmten Buch zuordnen konnten.
Während der jahrelangen Auseinandersetzungen und Streitigkeiten scheute sich Welskopf-Henrich nicht, Hartke zu provozieren. Hartke wiederum verfuhr mit ihr nicht anders, wie sie berichtete. Als Welskopf-Henrich gerade an einem ihrer autobiographischen Romane arbeitete, sprach sie Hartke mit der Bemerkung an, in ihrer Geschichte tauche ein SS-Offizier auf. Sie komme mit dessen Sprache und Ausdrucksweise einfach nicht klar – da könne der verehrte Professor Hartke doch sicher einmal behilflich sein.
Differenzen gab es auch mit Erfurt, dem Lektor des Akademieverlages, in dem einige ihrer wissenschaftlichen Arbeiten erschienen. Erfurt hatte die Angewohnheit, sprachliche Verbesserungen, die er für nötig hielt, in die Manuskripte zu schreiben. Diese »Verbesserungen« waren oftmals jedoch sehr fragwürdig. So missbilligte er das schlichte Wort »und« und pflegte es stets durch ein »sowie« zu ersetzen.
Welskopf-Henrich stapelte daraufhin die von diesem Lektor durchgesehenen Arbeiten auf einem Schrank im Versammlungszimmer. Empfing sie nun Gäste oder erhielt wissenschaftlichen Besuch, konnten ihre Kollegen ein Blatt Papier sehen, das aus diesem Stapel Papier heraushing und auf dem in großen Buchstaben geschrieben stand: »Von Herrn Erfurt verdorbene Manuskripte«. Welskopf-Henrich, die ihren Mitarbeitern weitgehende Eigenständigkeit gewährte, beanspruchte und forderte diese auch für sich selbst.
Abgesehen davon war sie nur in äußerst seltenen Fällen wirklich unzufrieden. Ein solcher Fall lag etwa vor, als einer ihrer Mitarbeiter, statt konstruktive Beiträge abzuliefern, allzu oft über private Probleme klagte und für das aktuelle Projekt keine sichtbaren Erfolge erzielte. Hier wurde Welskopf-Henrich, die selbst bis ins hohe Alter sorgfältig und zügig arbeitete und das auch bei anderen voraussetzte, energisch: »Ich bin nicht Ihr Beichtvater, ich bin Ihr Arbeitgeber!«17
17 Nach der Schilderung von Rößler.
* * *
Für Außenstehende mögen Welskopf-Henrichs Tätigkeiten als Wissenschaftlerin und Schriftstellerin den Eindruck einer Art Doppelleben erwecken. Tatsächlich schenkten Welskopf-Henrichs Kollegen ihrer schriftstellerischen Arbeit nie viel Aufmerksamkeit (so zum Beispiel Rößler, der die Romane Welskopf-Henrichs nach eigener Aussage zu seinem Bedauern viel zu spät las) und bekamen Welskopf-Henrichs Begeisterung für die Indianer nur bei wenigen Gelegenheiten zu spüren, zum Beispiel wenn sie ihnen in Arbeitspausen Pemmikan servierte, eine nahrhafte Mischung aus zerstoßenem Dörrfleisch, Fett und eventuell Beeren oder Kräutern. Aufgrund seiner Haltbarkeit war Pemmikan bei den Indianern als Proviant auf Reisen und als Wintervorrat sehr beliebt. Welskopf-Henrich verstand es ausgezeichnet, dieses Gericht zuzubereiten und ihre Gäste damit zu bewirten.
* * *
So wie es für Welskopf-Henrichs Kollegen kaum Berührungspunkte mit ihrer Schriftstellerei gab, so wussten die Bewunderer ihrer belletristischen Werke meist nichts von ihrem Beruf als Althistorikerin und ihren wissenschaftlichen Veröffentlichungen.
Für Welskopf-Henrich selbst bildeten ihre beiden Passionen eine Einheit: Beim Verfassen wissenschaftlicher Abhandlungen über das Altertum, auf der Suche nach den richtigen Formulierungen und dem Umgang mit Sprache profitierte sie von ihrer Arbeit als Autorin. Bei der systematischen Recherche von Hintergrundinformationen für ihre Romane wiederum war ihre Erfahrung als Wissenschaftlerin unbezahlbar. Ihre schriftstellerische Tätigkeit wäre ohne die wissenschaftliche kaum denkbar gewesen, zumal ein wichtiger Aspekt ihrer Indianerbücher die Vermittlung eines authentischen Geschichtsbildes ist.
Während sie die Wissenschaft als geliebten Beruf betrachtete, bezeichnete Welskopf-Henrich das Schreiben als ihr persönliches Hobby und als »Ernst« ihrer Freizeit, der ihr finanzielle Unabhängigkeit ermöglichte und dem sie sich lediglich in ihrer freien Zeit widmete, das heißt abends, nachts und im Urlaub.
Auch über diese scheinbar zwei Persönlichkeiten hinaus erschien Welskopf-Henrich ihren Mitmenschen als Mensch der Gegensätze. Justus Cobet, wissenschaftlicher Fachkollege Welskopf-Henrichs:
Ich sah ihre wachen und zugleich strengen Augen. Kurz zuvor hatte sie [...] einen am Flügel verletzten Schwan aus der Kälte des Treptower Parks gerettet und in der Badewanne gepflegt, sie, die strenge Wissenschaftlerin und strenge Kommunistin. Wie passte das alles zusammen? 18
18 Stark, Isolde: Konferenzband, S. 301.
Das alles »passt zusammen«, wenn man das Wort »streng« durch »entschlossen« ersetzt. Die Begriffe scheinen eng verwandt zu sein und besitzen doch verschiedene Gewichtungen. Wenn sie etwas für richtig befunden hatte, konnte Welskopf-Henrich in der Tat einen strengen Blick aufsetzen. Diese Strenge stand jedoch nicht für Hartherzigkeit oder Unnachgiebigkeit, sondern für Willensstärke und Konsequenz. Welskopf-Henrich war von Natur aus vor allem zielstrebig und nach eigener Aussage »ganz unglaublich zäh«19. Entschlossen verfolgte sie wissenschaftliche Pläne, zäh war sie, wenn es um die Umsetzung ihrer wissenschaftlichen Projekte ging.
19 In: »Die Zeit« vom 07.07.1978.
Entschlossen war sie auch bei der Arbeit an ihren Romanen oder wenn sie für ein bereits fertiggestelltes Buch einen Verleger suchte (siehe Kapitel »ein steiniger Weg«). Das Durchsetzungs- bzw. Durchhaltevermögen Welskopf-Henrichs war sicher eine ihrer wichtigsten Eigenschaften.
Ließ sie die Idee für eine neue Erzählung nicht mehr los, zog sie sich ihrem Sohn Rudolf Welskopf zufolge zurück und schrieb, bis der neue Roman vollendet war. »Ich schreibe, weil ich es nicht lassen kann«, stellte sie einst fest.20
20 ABBAW 183. Zitiert in einem Zeitungsartikel von Gerd Noglik aus dem Jahre 1971, ohne genauere Quelle.
Warum aber kann ich es nicht lassen? Kunst und Dichtung waren historisch die erste, heute sind sie neben der Wissenschaft die zweite Form der Weltdeutung, des Verstehens der Menschen untereinander und der Selbsterkenntnis. Wem diese Form aus innerer Leidenschaft und harter Arbeit zugänglich geworden ist, der will sie nicht mehr aufgeben.
Und wahrhaftig: Welskopf-Henrich gab das Schreiben nie auf: Sie frönte dieser Leidenschaft bis ins hohe Alter, selbst in Perioden vollster Terminkalender fand sie dafür Zeit. Mit Hilfe ihrer reichen Phantasie versetzte sie sich in ihre Erzählungen hinein und arbeitete daran bis tief in die Nacht. Sah sie sich mit einem Konflikt in der Handlung einer ihrer Geschichten konfrontiert, dessen Lösung ihr nicht einfallen wollte, beschäftigte sie das zutiefst. Dann grübelte sie, überlegte hin und her, änderte und setzte von Neuem an. Aus dieser persönlichen Beziehung zu ihren Geschichten resultierten ungewöhnlich lebendige Schilderungen und glaubhafte Charaktere – beides Stärken Welskopf-Henrichs, einer Autorin, die selbst bei einem recht knappen Schreibstil, wie er für »Jan und Jutta« charakteristisch ist, das Feingefühl für leise Zwischentöne und die Vermittlung von Gefühlen besaß.
Welskopf-Henrich machte sich das Schreiben nie leicht; an jeder einzelnen Seite feilte sie solange, bis sie ihren Vorstellungen entsprach. Beinahe sämtliche Bücher verfasste sie zwei bis drei Mal, bis sie mit dem Ergebnis zufrieden war.
Ihren Besuchern schenkte Welskopf-Henrich in den 50er Jahren oft die gerade erschienene, wieder überarbeitete Fassung von »Die Söhne der Großen Bärin«. Der Verlag schickte der Autorin von aktuell erschienen Auflagen Belegexemplare zu. Erhielt man nun von Welskopf-Henrich ein solches Exemplar, hatte sie oft schon wieder zwanzig neue maschinengeschriebene Seiten hineingelegt. Diese enthielten Kommentare über die Stellen, die sie noch verbessern wollte.
Welskopf-Henrichs Einschätzung nach lag die subjektive Problematik einer guten Textkomposition darin, dass der Dichter den ganzen Stoff beherrschen musste, um eine Komposition tatsächlich meistern zu können und »den passenden Maßstab für das Maß des Einzelnen zu finden21. Aber ein Thema zu beherrschen, gelingt in vielen Fällen erst, wenn die Erzählung geschrieben ist. Es kann sein, dass umgestellt, umgeschrieben, neu komponiert werden muss, sobald das Manuskript in der Rohfassung abgeschlossen vorliegt.«22
21 Das bedeutet, die Gewichtung innerhalb der Erzählung musste stimmen. Welskopf-Henrich legte sehr viel Wert auf die Ausgewogenheit verschiedener erzählerischer Mittel wie der direkten und indirekten Rede, der Beschreibung von Menschen, Landschaften und Ereignissen etc.
22 Einige Probleme der Komposition. In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 2, Berlin: Kinderbuchverlag Berlin, Datum unbekannt, ABBAW 148.
Sie war keine Autorin, die sich einer Thematik nur mit der Aussicht annahm, damit auf dem Buchmarkt erfolgreich zu sein und einen vorhandenen Bedarf an eben dieser Art von Literatur befriedigen zu können. Sie sagte dazu: »Natürlich kann ich [...] nur das schreiben, was ich in seinem Wesen selbst erlebt habe.«23
23 Diskussion um die Bärenbande, ABBAW 163.
Alle ihre belletristischen Veröffentlichungen haben Gegenstände zum Inhalt, die sie entweder aus eigenem Erleben kannte oder die sie außerordentlich bewegten. Das bemerkt auch Rezensent B. Heimberger, der in Hinblick auf Welskopf-Henrichs Indianerbücher feststellt: »Das Exotisch-pittoreske, das durch die Hinwendung zur Welt der Indianer eingebracht wird, ist kein Vorwand, der von bloßem Geschäftssinn zeugt« und den Büchern aufgrund der »aufrichtigen Teilnahme an den Problemen der Indianer« eine »progressive Nützlichkeit« attestiert.24
24 In einer Zeitschrift aus dem Jahre 1971, aus dem Privatbestand von Marc Zschäckel, ohne genauere Angaben.
Obwohl sie Mitglied des Schriftstellerverbandes war, wohnte sie den regelmäßigen Treffen aus Zeitgründen nur selten bei. Ihr Beruf als Wissenschaftlerin hatte bei ihr oberste Priorität und nahm sie zu sehr in Anspruch. Allerdings ließ sie sich die neuesten Ereignisse in stundenlangen Telefonaten ausführlich von einer befreundeten Übersetzerin berichten.
Auch darüber hinaus kann man ihr kaum mangelndes Interesse an der schriftstellerischen Praxis vorwerfen: Zahlreiche Aufsätze und theoretische Überlegungen beweisen eine intensive Auseinandersetzung mit der Aufgabe des Schriftstellers und seiner Rolle in der Gesellschaft.
In »Der Mensch und sein Werk als Problem unseres dichterischen Schaffens« gelangt Welskopf-Henrich zu folgender allgemeiner Erkenntnis:
Bleiben wir Schriftsteller da und dort bei der Wahrheit, färben wir weder rosa noch schwarz, erleben und gestalten wir leidenschaftlich alle Konflikte, hoffen, kämpfen, lieben, leiden und freuen wir uns mit unseren Helden, so werden unsere Leser uns folgen.25
25 ABBAW 15.
In »Der moderne Mensch und die Abenteuerliteratur« begründet Welskopf-Henrich die Notwendigkeit, eine neuartige Indianerliteratur zu schaffen:
Allein der Indianer als Freund des Weißen [...] ist der gute Indianer – der Indianer als Feind des Weißen, das ist der schlechte Indianer – dieses verbreitete, primitive Siegerschema, das auch den Karl-May-Erzählungen aufgedrückt ist, gilt für den modernen Europäer und Amerikaner als überholt. [...] Es bleibt die Aufgabe der freundschaftlichen Auseinandersetzung mit einem Volk, das seinen Platz in der Geschichte hat und ihn darum auch in der Dichtung beanspruchen kann, im historischen Roman und im Roman der Gegenwart. Es erscheint mir als ein Irrtum, dass man Indianer- und Westernromantik nur durch die Wissenschaft der Ethnologie und der Historie überwinden könne, man muss sie auch in der Dichtung meistern.26
26 ABBAW 148.
Nicht zuletzt auf der Erfüllung dieses Anspruchs, der Bekämpfung tatsachenverfälschender Indianerromantik, beruht der Erfolg Welskopf-Henrichs als Autorin.
* * *
Als Welskopf-Henrich Mutter wurde, befand sie sich bereits in ihrem siebenundvierzigsten Lebensjahr. Nicht nur als Arbeitgeberin, sondern auch in ihrer Rolle als Mutter war sie großzügig und tolerant. Ihr Sohn Rudolf wäre dabei nicht auf die Idee gekommen, seine Freiheiten übermäßig auszunutzen – dazu beeindruckte ihn die von seiner Mutter ausgehende natürliche Autorität zu sehr. Außerdem begriff er schnell, dass seine Mutter eine angesehene Person war, ob nun in der Familie, im Freundeskreis oder bei Kollegen, dass ihr also eine hohe Achtung entgegengebracht wurde, und das machte ihn stolz. So hatte er nichts weniger im Sinn, als irgendwelchen Unfug anzustellen und dadurch die Aufmerksamkeit der Mutter auf sich zu ziehen.

1953, Liselotte Welskopf-Henrich,
ihr Sohn Rudolf und ihr Mann Rudolf Welskopf
Welskopf-Henrich pflegte, intensiv auf seine Einfälle und seine Phantasie einzugehen und ihn in dieser Richtung zu fördern. Stellte sich der kleine Rudolf vor, wie es sei, ein Löwe oder ein Fuchs zu sein, dann spann Welskopf-Henrich diese Geschichten mit ihrem Sohn zusammen fort.
Auf der anderen Seite hatte sie oft sehr wenig Zeit für ihn. Wenn beispielsweise an der Universität die Semester liefen, sie eine Lehrveranstaltung neu vorbereiten musste, an einer der vielen Konferenzen in ganz Europa teilnahm27, Vorträge halten musste und eventuell gleichzeitig noch an einem Buch schrieb, dann war sie damit selbstredend voll ausgelastet, womit sich auch ihr Sohn konfrontiert sah.
27 Welskopf-Henrich hielt an verschiedensten Universitäten und Colleges in Europa Lesungen über die griechische Geschichte. Einladungen an amerikanische Universitäten ermöglichten es ihr später, Visa für ihre Nordamerikareisen zu erhalten. Die Honorare brachten ihr zusätzlich finanzielle Mittel für die Reisen ein.
Eine Anekdote, die Liselotte Welskopf-Henrich gern erzählte, war, dass der kleine Rudolf eines Tages wütend aufstampfte und sagte: »Wenn ich groß bin, dann werde ich auch Professor und fahre zur Uni und dann sitzt du allein zu Hause!«
Eine couragierte Frau
Meinungen zu haben, für die man nicht auch eintritt,
erschien mir immer eine Schande.
Liselotte Welskopf-Henrich28
28 ABBAW 163.
Schon in den frühen Jahren ihrer Kindheit wuchs in Liselotte Welskopf-Henrich der Drang, aktiv die Hilfebedürftigen zu unterstützen; dieser Drang zu helfen setzte sich ein Leben lang fort.
Neben ihrer Tätigkeit in der Wissenschaft engagierte Welskopf-Henrich sich vor allem in der Politik. In den ersten Nachkriegsjahren beteiligte sie sich enthusiastisch am Wiederaufbau. Das bedeutete jedoch nicht, dass sie unkritisch gewesen wäre. Wie die DDR-Regierung ihre Arbeit als Wissenschaftlerin in gleichem Maße unterstützte und behinderte, unterstützte und behinderte Welskopf-Henrich das System der DDR.
Sie setzte sich für einen angemessenen, offenen und ehrlichen Umgang mit der deutschen Vergangenheit ein, zu dem sie persönlich beitrug. Zugleich lehnte sie sich gegen inkompetente Wirtschaftsfunktionäre der DDR auf und kämpfte gegen Nepotismus und Bürokratie.
Während des Zweiten Weltkrieges wurde sie, beeinflusst durch ihren späteren Mann Rudolf Welskopf, eine überzeugte Kommunistin, galt der Kommunismus doch als der schärfste Gegensatz zur NS-Ideologie. Als antifaschistische Widerstandskämpferin erschien er ihr als die attraktivste Alternative zur Hitlerdiktatur mit ihren katastrophalen Auswirkungen. 1945 und in den ersten Nachkriegsjahren verband sie mit dieser Alternative große Hoffnungen, war jedoch von der praktischen Umsetzung der kommunistischen Idee in der DDR zunehmend enttäuscht. Dabei glaubte sie lange, dass die Defizite in der DDR vor allem darin begründet seien, dass die Menschen nicht richtig gemeinschaftlich zusammenleben wollten. Sie suchte die Ursachen also vor allem im Subjektiven und war der Meinung, dass in materieller Hinsicht im Wesentlichen alles in Ordnung war; die Menschen besaßen Kleidung, hatten Arbeit und lebten in warmen Wohnungen.
Im Laufe der fünfziger Jahre, vor allem 1956, als sich der ungarische Volksaufstand ereignete, mit dem die Ungarn sich von der sowjetischen Unterdrückung zu befreien suchten, wurden Welskopf-Henrich die ernsthaften Schwierigkeiten des Systems immer bewusster.
Welskopf-Henrich half ungarischen Schriftstellern und Künstlern, die nach der blutigen Niederschlagung des Aufstandes durch die Rote Armee verfolgt wurden. Gleiches tat sie in der Zeit nach dem Prager Frühling 1968. Welskopf-Henrich engagierte sich illegal, indem sie Geld und andere Unterstützung für ungarische und tschechische Kollegen und Freunde sammelte und verschiedenste Dinge in die DDR hinein- und aus der DDR herausschmuggelte.
Trotz aller Probleme betrachtete sie den Kommunismus lange Zeit als das System des kleineren Übels. Und bei all ihrer Kritik an der Umsetzung der kommunistischen Idee, auch innerhalb der SED, deren Mitglied sie war, lernte Welskopf-Henrich, mit den Problemen umzugehen und die Freiräume, die es gab, auszunutzen, ohne ständig auf der Hut davor zu sein, eventuell etwas Unerwünschtes oder Verbotenes zu tun. Sie verstand es, sich durchzusetzen.
Die DDR bot Welskopf-Henrich große Chancen; so konnte sie ihren lange gehegten Wunsch realisieren und wurde Dozentin (später Professorin) an der Humboldt-Universität.
Um ihre Ziele zu erreichen, scheute sie sich nicht, ihre gesellschaftliche Stellung wieder und wieder geltend zu machen: Humboldt-Professorin, Akademiemitglied, verschiedene Orden, Widerstandskämpferin usw. Das machte Eindruck und bedeutete gesellschaftlichen und politischen Einfluss. Besonders beim Zentralkomitee der SED hatte sie dadurch, dass sie unter Einsatz ihres Lebens den Antifaschisten Rudolf Welskopf rettete, einen großen Stein im Brett. Das wurde ihr nie vergessen und dessen war sie sich sehr wohl bewusst. Aus dem Vertrauen, das man ihr entgegenbrachte, konnte sie so manchen Vorteil ziehen.
Überhaupt hatte Welskopf-Henrich eine bestimmte Art und Weise, an verschlossene Türen zu klopfen; nicht nur im übertragenen, sondern auch im wörtlichen Sinne. An der Humboldt-Universität war sie dafür bekannt. Wenn sie wegen irgendeiner Angelegenheit zur Verwaltung musste, interessierte sie sich nicht für Sprechstunden. Mit ihrem Ringfinger klopfte sie in der für sie typischen Weise an die Tür, so dass die Mitarbeiter schnell wussten: »Da steht die Welskopf vor der Tür, und wenn wir jetzt nicht aufmachen, kann es Ärger geben.«
Ärger machte sie aber nicht nur manchen wissenschaftlichen Kollegen. Besonders für die DDR-Führung war Welskopf-Henrich eine oft unbequeme Person. Mit dem der SED-Führung kritisch gegenüberstehenden, antifaschistischen Politiktheoretiker Robert Havemann (1910-1982, auch er hatte Hartke zum Gegner) führte sie in wissenschaftlichen Zeitschriften Diskussionen, mit dessen Freund, dem Liedermacher und Lyriker Wolf Biermann (geb. 1936), war sie ebenfalls bekannt.
Sie lehnte sich in Aufsätzen gegen die strenge ideologische Zensur und unqualifizierte Kritik in der DDR auf:
Wir leiden noch am praktischen, am ideologischen und daher auch am sprachlichen Bürokratismus. [...] Es ist verblüffend, wenn ein von praktischer Arbeit und praktischer Menschenkenntnis offenbar weit entfernter Berufsideologe einen Bürger der DDR, Angehörigen der Intelligenzschicht, davon abhalten will, jedes beliebige in der DDR erschienene Buch, das dessen Interesse anzieht, auch ohne weiteres zu lesen. [...] Der liebe Gott weiß alles, aber der Chefideologe weiß alles besser.29
29 ABBAW 148.
Das Nichterscheinen von mit rassistischen und diskriminierenden Vorurteilen belasteten Büchern befürwortete sie hingegen.
Welskopf-Henrich schrieb viele Briefe an Beamte und veröffentlichte Artikel, mit denen sie versuchte, die Entwicklungen zu stoppen, die wenig mit dem Traum von einem sozialistischen Staat zu tun hatten, den sie während des Krieges gemeinsam mit ihrem Mann geträumt hatte. Zwischenzeitlich wurde Welskopf-Henrich eine regelrechte Untergrundarbeiterin, da öffentliche und offene Konfrontationen oftmals nichts bewirkten. Das wurde zum Beispiel am Fall Havemann erkennbar: Dessen Auflehnung gegen die SED blieb ohne nachhaltigen Erfolg und brachte für ihn eine Reihe persönlicher Nachteile mit sich.
Noch härter als sie traf die mangelhafte Umsetzung des Sozialismus ihren Mann Rudolf Welskopf, der die Idee, die ihn während seiner schwersten Zeit im Zweiten Weltkrieg aufrecht gehalten hatte, verraten sah und doch nichts dagegen zu tun vermochte.
Obwohl Welskopf-Henrich von einigen Mitarbeitern der Staatssicherheit und Funktionären der SED als ehrgeizige Unruhestifterin betrachtet wurde, genoss sie in der DDR doch eine privilegierte Stellung, die ihr ein Leben ermöglichte, das durch »Selbstständigkeit und Individualitätsbehauptung«30 geprägt war, wie es Stark formuliert. Zu verdanken hatte sie diese Privilegien, die für sie gesellschaftlichen Einfluss und Sicherheit bedeuteten, ihren Verdiensten als Widerstandskämpferin, aus in der Zeit des Widerstands resultierenden Kontakten zu einflussreichen, mächtigen Persönlichkeiten, dem Status ihres Mannes als Opfer des nationalsozialistischen Regimes, ihrem Engagement für den Kommunismus, ihrem internationalen Ansehen als Autorin und besonders als Wissenschaftlerin sowie ihrer finanziellen Unabhängigkeit. Den Handlungsspielraum, der so für sie entstand, nutzte sie, um anderen Menschen zu helfen, frei von irgendwelchen ideologischen Vorurteilen.
30 Stark, Isolde: Konferenzband, S. 251.
Als kommissarische Leiterin der Abteilung Alte Geschichte setzte sie sich für Kollegen und Studenten ein, die als politisch-ideologisch verdächtig galten und schützte sie vor Repressionen. Einer ihrer Schüler und späteren Kollegen, der Althistoriker Peter Musiolek, wurde infolge eines angeblichen Missverständnisses in der Nachkriegszeit in einem sowjetischen Lager inhaftiert. Als er entlassen wurde, hatte er große Probleme, sich in der DDR gesellschaftlich und beruflich zu etablieren. Welskopf-Henrich nahm ihn bei sich zu Hause auf, beschaffte ihm eine Arbeit und ermöglichte ihm so die Rückkehr in ein geregeltes Leben. Schließlich besuchte er die Universität und wurde ein international angesehener Wissenschaftler.
Ein anderer junger Mann, der aus britischer Kriegsgefangenschaft zurückkehrte und bei der BBC gearbeitet hatte, wurde in der DDR denunziert, und die angestrebte Rundfunk- und Verlagslaufbahn wurde ihm daraufhin verwehrt. Als er in Not war, hat sich Welskopf-Henrich auch seiner angenommen. Sie hat stets Menschen gefördert, die einen anderen Weg gehen wollten, als offiziell möglich war.
Jungen Menschen wie Rößler, die ihr Studium abgeschlossen hatten und keine Anstellung fanden, half Welskopf-Henrich, indem sie sie als Assistenten anstellte und sie von ihrem privaten Geld bezahlte. Ebenfalls unterstützte sie junge Künstler und Autoren, deren Werke politisch negativ bewertet oder aus politischen Gründen nicht veröffentlicht wurden. Ein Mädchen, das auf die schiefe Bahn geraten war und wegen Betrugs im Gefängnis gesessen hatte, wurde von Welskopf-Henrich als Patenkind aufgenommen und durfte zeitweise bei ihr wohnen, was diese, wie sie in einem Brief31 schrieb, sehr viel Kraft kostete.
31 ABBAW 190.
Die Wahrheit in der Dichtung