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„Überhaupt nicht”, antwortete Patricia. „Dein Körper weiß, was er zu tun hat. Du musst ihm vertrauen.”
„Ich wusste nicht einmal, dass man so lange drüber sein kann”, sagte Amy.
Patricia nickte. „Zu meiner Zeit hat man vermieden, induziert zu werden, wenn man konnte, und darauf vertraut, dass die Natur ihr Ding machen würde. Es kommt häufiger vor, als die Leute glauben. Manche Babys müssen einfach ein bisschen länger im Ofen gebacken werden.”
Amy und Chantelle lachten, aber Emily wurde bei dem Gedanken mulmig. Die Schwangerschaft war anstrengend! Sie wollte nicht länger als nötig schwanger sein! Aber vielleicht hatte ihre Mutter in diesem Punkt recht. Die älteren Generationen waren viel weniger verwöhnt und pingelig. Sie hatten keine Babymoons oder ähnliches. Manchmal war die praktische, unkomplizierte Art, die Dinge anzugehen, besser.
Sie dekorierten die Flure und gingen ins Esszimmer, wo sie funkelnde Schneeflocken auf allen Tischen platzierten und die Herbstthemen durch Winterthemen ersetzten. Es sah wunderschön aus und Emily wurde noch aufgeregter wegen Weihnachten.
Aber die Aufregung reichte nicht aus, um sie davon abzuhalten zu gähnen. Die Dekorationsarbeiten waren ziemlich anstrengend und sie hatte in letzter Zeit nicht mehr so viel Energie wie sonst.
„Ich muss mich ein bisschen ausruhen”, gestand sie. „Wenn ich im Ballsaal mitmache, könnte ich dabei einschlafen!”
Sie bemerkte, dass Amy und Chantelle gegenseitig schelmische Blicke austauschten.
„Was ist los?”, fragte sie und legte die Hände auf ihre Hüften.
„Nichts”, sagte Amy in einem Ton, der das Gegenteil nahelegte.
„Können wir es ihr zeigen?”, fragte Chantelle Amy.
„Es liegt an dir. Du bist diejenige, die wollte, dass es eine Überraschung ist.”
„Mir was zeigen?”, fragte Emily nach.
Aber Chantelle und Amy redeten nur miteinander. Sie wurde ungeduldig.
„Leute, ich möchte wissen, was das für eine Überraschung ist!”, jammerte sie.
„Okay”, sagte Chantelle. „Komm mit.”
Sie nahm ihre Hand und führte sie in den niedrigen Flur, der in den Ballsaal mündete. Aber anstatt geradeaus zu gehen, bog sie nach rechts ab, entlang des noch kleineren Durchgangs, der bis zu den Nebengebäuden und der Garage führte. Sie blieben an einer der Türen stehen.
Emily runzelte die Stirn, sie war so neugierig.
„Wir waren nicht sicher, wo wir das machen könnten”, sagte Chantelle. „Weil wir nicht eines der Pensionszimmer nehmen wollten. Dann hat Amy eines der Nebengebäude vorgeschlagen. Also ...“ Sie machte eine Pause für einen dramatisches Effekt und öffnete dann die Tür.
Emily blinzelte und keuchte. Der kleine Raum war komplett umgebaut worden. Statt freigelegter Ziegelmauern war er verputzt und gelb gestrichen worden. Statt des Zementbodens war Vinyl ausgelegt worden und darüber lag ein flauschiger Teppich. Der Raum war voller Lichter - Nachtlichter und Lichterketten und sich drehende Musiklichter, die Sterne auf die Wände projizierten.
„Was ist das?“, fragte Emily verblüfft.
„Das Spielzimmer!“, rief Chantelle aus.
Dann sprach Amy. „Wir dachten, dass es schön wäre, wenn die Mädchen abseits vom Rest der Pension einen Platz zum Spielen hätten. Irgendwo, wo sie so viel Lärm machen können, wie sie wollen, ohne die Gäste zu stören. Und irgendwo, wo sie ihre Spielsachen aufbewahren können, damit sie nicht überall rumliegen.“
Emily war so berührt. Das Zimmer war schön. Es musste jetzt nur noch mit Spielzeug gefüllt werden!
„Ich liebe es, vielen Dank, Leute“, sagte sie und umarmte abwechselnd Amy und Chantelle.
Sie gingen zurück ins Wohnzimmer, damit Emily sich ausruhen konnte, bevor sie mit der restlichen Dekoration weiter machten. Sobald sie sich erholt fühlte, nahmen sie die Mammutaufgabe, den Ballsaal zu schmücken, in Angriff.
„Du weißt, dass noch etwas fehlt, oder?“, fragte Emily, nachdem sie die letzten Lichterketten aufgereiht hatte.
„Was denn?“, fragte Chantelle.
„Ein Weihnachtsbaum!“, rief Emily.
Chantelles Augen wurden groß. „Ja sicher. Aber wir brauchen mehr als einen, nicht wahr? Wir brauchen einen für den Ballsaal und einen für den Flur. Und einen fürs Trevor‘s. Und das Spa. Und das Restaurant.“
„Klingt so, als ob du einen ganzen Wald brauchst“, scherzte Amy.
„Wie wäre es, wenn wir alle morgen in den Wald gehen?“, schlug Emily vor. „Yvonne hat mir von einer tollen Weihnachtsbaumfarm außerhalb der Stadt erzählt. Es ist nicht die, bei der wir letztes Jahr waren, diese hier soll wirklich riesig sein. Wir könnten einen Tagesausflug daraus machen.“
„Kann Oma Patty auch mitkommen?“, fragte Chantelle.
Emily schüttelte den Kopf. „Sie muss heute wieder fahren“, sagte sie.
Chantelle machte einen niedergeschlagenen Eindruck. Emily hasste es, sie traurig zu sehen.
„Warum fragst du sie nicht?“, schlug sie vor.
Patricia hatte sie mit ihrem Besuch überrascht. Vielleicht würde sie noch bleiben, wenn sie klarstellen würden, dass sie sie auch haben wollten.
Chantelle verließ den Ballsaal und rannte den Korridor entlang, wo sich Patricia im Wohnzimmer ausruhte.
„Oma Patty!“, schrie Chantelle. Ihre Stimme war laut genug, dass selbst sie sie hören konnte, als sie durch das Haus watschelte und versuchte, sie einzuholen. „Kannst du morgen mit uns Weihnachtsbäume kaufen gehen?“
Emily betrat das Wohnzimmer, in dem Moment als Patricia den Kopf schüttelte.
„Ich habe einen Flug gebucht, um nach Hause zu fliegen“, sagte Patricia. „Der Flieger geht heute Abend.“
„Bitte“, sagte Chantelle. Sie hockte sich neben Patricia auf die Couch und schlang ihre Arme um ihren Hals. „Ich möchte wirklich, dass du bleibst.“
Patricia war von der Zuneigung verblüfft. Sie tätschelte Chantelles Arm und sah Emily an, die in der Tür stand. Emily lächelte, berührt von der süßen Szene, von der Liebe, die Chantelle zu geben hatte, sogar denen, die sich so benahmen, als wäre ihnen nicht daran gelegen. Ihre Fähigkeit zu Vergebung und Freundlichkeit inspirierte Emily immer wieder.
„Nun, ich möchte nicht länger stören“, sagte Patricia, während sie mit Chantelle sprach und ihre Worte an Emily richtete.
„Du störst nicht“, sagte Emily. „Wir lieben es, dich hier zu haben. Und es ist nicht so, dass in der Pension im Moment viel los ist. Es ist die perfekte Zeit zu bleiben. Wenn du willst.“
„Bitte!“, bettelte Chantelle.
Schließlich lächelte Patricia. „Okay. Ich werde bleiben und dir helfen, einen Baum zu finden.“
Emily wusste, dass Patricia gerührt war, eingeladen zu werden und nach all ihrem schlechten Benehmen und den schrecklichen Kämpfen, die sie gehabt hatten, willkommen zu sein. Emily überkam ein überwältigendes Gefühl von Dankbarkeit und sie erkannte, dass sich das Leben immer zum Besseren wenden konnte. Es schien, dass man nie zu alt war, um zum ersten Mal Weihnachtsstimmung zu empfinden!
KAPITEL ZWEI
Chantelle sah überglücklich aus, als Emily und Daniel sie am nächsten Tag von der Schule abholten. Patricia saß geduldig auf dem Rücksitz. Sie sah in ihrem zweiteiligen Outfit und ihrer Blazer-Kombi sehr fehl am Platz aus, aber Chantelle schien das nicht zu kümmern. Sie sprang strahlend auf den Rücksitz, ihre Wangen waren rosig vom kalten Wetter.
„Weihnachtsbaum-Zeit!“, erklärte sie.
Daniel fuhr sie. Das Wetter war immer noch wenig winterlich, obwohl es viel kälter war als in den Tagen zuvor. Es gab aber keinen Frost, wie es sonst zu dieser Jahreszeit üblich war. Emily war dankbar, dass das Wetter so mild war. Das bedeutete, dass Evan, Clyde und Stu ihre Arbeit auf der Insel ungehindert fortsetzen konnten.
Die Weihnachtsbaum-Farm war ziemlich weit weg von Sunset Harbor. Sie hätten natürlich auch zum Depot in Ellsworth fahren können, aber das war für Chantelle keine magische Erfahrung! Also fuhren sie weiter zu der Farm in der Taunton Bay.
Als sie die kleine, holprige, mit Schlaglöchern übersäte Straße hinunterfuhren, die zu der Farm führte, konnte Emily sehen, dass sich die zusätzliche Fahrtstrecke lohnte. Die Weihnachtsbaum-Farm war riesig und dank der abschüssigen Hügel, die den ganzen Weg von der Straße bis zum See hinunterliefen, hatten sie einen herrlichen Blick auf alle Bäume.
„Es ist wie ein ganzer Weihnachtswald“, sagte Chantelle ehrfürchtig.
Daniel fuhr zu dem behelfsmäßigen Verkaufsplatz hinauf, der eigentlich nur ein Stück abgeflachter Boden war, bedeckt mit Heu, um zu verhindern, dass es zu matschig wurde. Es gab ein kleines holzgetäfeltes Haus auf einer Seite, mit einem handgemachten Schild, das verkündete: Weihnachtsbäume!
Emily sah zu Patricia neben Chantelle auf dem Rücksitz. Sie trug ihren typischen hochnäsigen Gesichtsausdruck und spähte aus dem Fenster mit einem ängstlichen Ausdruck wegen dem schmutzigen Boden, den sie gleich betreten sollte. Aber sie hielt ihre Zunge im Zaum und Emily lächelte vor sich hin. Es fühlte sich an wie ein kleiner Sieg.
Alle kletterten aus dem Pick-up, gerade in dem Moment, als sich die Haustür öffnete. Ein Mann trat heraus und winkte ihnen zu. Er wirkte sehr fröhlich und hatte einen runden Bauch. Emily fragte sich, ob er jemals in Erwägung gezogen hatte, einen Weihnachtsmann zu spielen, denn er sah ganz wie einer aus.
„Hallo Leute!“ sagte er grinsend. „Ich bin Terry. Seid ihr hier, um euren eigenen Baum zu schlagen?“
„Das sind wir“, sagte Daniel.
Chantelle eilte zu dem Mann. „Eigentlich brauchen wir fünf Bäume. Wir haben eine Pension, weißt du, und ein Restaurant und ein Spa und alle brauchen einen Baum. Und auch der Ballsaal.“
„Wie wäre es, wenn wir mit einem beginnen?“, schlug Emily vor und dachte daran, dass im Moment keine Gäste in der Pension waren, um die Bäume zu genießen. „Wenn wir mehr brauchen, können wir für einen weiteren Tagesausflug zurückkommen.“
Das schien Chantelle zu gefallen und sie nickte zustimmend.
Terry zeigte ihnen die Werkzeuge, die sie brauchen würden, dann winkten sie zum Abschied und gingen in den Weihnachtsbaum-Wald. Emily dachte an die Farm, die sie letztes Jahr besucht hatten. Dort war viel Trubel gewesen, der aber mehr mit Traktorfahrten und heißer Schokolade zu tun gehabt hatte. Sie mochte diese ursprüngliche Erfahrung hier mehr, besonders weil ab dem Moment, als sie den Wald betraten, alles um sie herum sehr ruhig wurde.
„Es ist, als wären wir die einzigen Menschen auf der Welt“, sagte sie und wiegte mit ihren Hände schützend ihre Murmel.
Sie blickte zurück, um zu sehen, wie es Patricia ging. Obwohl sie auf Zehenspitzen ging und einen leicht verkniffenen Ausdruck trug, beklagte sie sich überhaupt nicht. Emily fragte sich, ob sie sich vielleicht amüsieren würde und nur zu stolz war, es zuzugeben.
„Oma Patty“, sagte Chantelle, eilte zurück und griff nach ihrer Hand. „Ich denke, hier drüben sind wirklich dunkelgrüne. Komm schon!“
Emily lächelte vor sich hin, als sie ihre Tochter dabei beobachtete, wie sie ihre Mutter mit sich zog. Sie konnte sich an keine Zeit erinnern, in der Patricia so nachgiebig gewesen war und sich einer Aktivität angeschlossen hatte. Chantelle färbte eindeutig auf sie ab.
Daniel legte einen Arm um Emilys Schultern und brachte ihren Körper dicht an seinen.
„Das ist wunderbar, nicht wahr?“, sagte er. „Ich mag es, wie begeistert sie von solchen Dingen ist. Ich kann es kaum erwarten zu sehen, wie sehr sie Chanukka genießen wird.“
„Wann beginnt es in diesem Jahr?“, fragte Emily ihn.
„Am Sechzehnten.“
„Also erst, wenn Charlotte schon da ist?“, fragte sie grinsend und dachte darüber nach, in dieser wunderbaren Jahreszeit, in der alle feierten, ein Neugeborenes im Haus zu haben.
„Vielleicht kommt sie sogar an diesem Tag auf die Welt“, sagte er lächelnd. „Wäre das nicht schön?“
Emily nickte zustimmend. Es wäre sicher wunderbar für Daniel, wenn seine Tochter an einem so bedeutenden Tag zur Welt käme.
In diesem Moment hörten sie Chantelle durch die Bäume rufen.
„Mama! Papa! Wir haben ihn!“
Sie lächelten einander an und trotteten dann auf ihre Stimme zu. Chantelle stand neben einem wunderschönen Baum mit den dunkelsten Kiefern, die Emily je gesehen hatte. Er war wunderbar symmetrisch, die Art von perfektem Baum, der in Zeitschriften verwendet werden würde. Und natürlich war er enorm.
„Oma Patty hat ihn ausgesucht“, sagte Chantelle und sah Patricia stolz an.
„Hat sie das?“, fragte Emily, erfreut zu sehen, wie sehr sich die beiden näherkamen.
Selbst Patricia sah zufrieden aus.
„In diesem Fall“, sagte Daniel, „sollte Oma Patty den ersten Schnitt machen.“
„Oh Gott, nein“, sagte Patricia und schüttelte ihre Hände in Richtung der Säge, die Daniel ihr hinhielt.
„Oh, ja!“, schrie Chantelle, sprang auf und ab und klatschte in die Hände. „Bitte Oma Patty! Es macht echt Spaß. Ich verspreche dir, du wirst es genießen.“
Patricia zögerte, dann gab sie schlussendlich nach. „Also gut. Wenn du darauf bestehst.“
Sie nahm die Säge von Daniel und starrte den Baum an, als wäre er ein Feind. Daniel bückte sich und drückte die großen Äste aus dem Weg, um den Stamm dort freizulegen, wo sie sägen sollte. Patricia hockte sich hin, offensichtlich in dem Versuch, ihr Knie nicht den schlammigen Boden berühren zu lassen. Emily konnte nicht anders, als innerlich zu lachen. Ihre Mutter sah aus wie ein Frosch!
Patricia griff zu und sägte am Stamm des Baumes. Sie quietschte begeistert und schaute zurück auf die Familie, die weiter zusah.
„Du hast recht“, sagte sie zu Chantelle. „Das macht Spaß!“
Emily gluckste laut. Nur ein paar Tage in Maine mit ihrer Familie und Patricia hatte Smøres gegessen und einen Baum abgesägt!
Terry kam mit seinem Traktor an und legte den Baum auf den Anhänger.
„Alle Mann an Bord“, sagte er.
Alle stiegen zu dem Baum nach hinten, aber Patricia rührte sich nicht. Sie sah fassungslos aus.
„Wollt ihr etwa, dass ich damit fahre?“
Chantelle hüpfte auf der Holzbank auf und ab. „Es macht Spaß! Du musst mir vertrauen!“
„Habe ich eine Wahl?“, fragte Patricia.
Chantelle schüttelte den Kopf und grinste immer noch frech.
Patricia seufzte und stieg auf den Anhänger.
Sobald alle saßen, fuhr Terry sie zu ihrem Auto zurück und half Daniel dabei, den sehr großen Baum auf dem Dach seines Pick-ups zu sichern. Dann bezahlten sie für den Baum und verließen die Farm; alle fühlten sich beschwingt.
„Ich kann es kaum erwarten, ihn zu dekorieren“, sagte Chantelle. „Hilfst du mir, Oma Patty?“
Patricia nickte. „Ja, aber danach muss ich gehen. Okay?“
Chantelle schmollte und sah ein wenig traurig aus. „Wenn du unbedingt musst. Aber ich liebe es, wenn du hier bist. Kommst du zu Weihnachten zurück?“
Emily beobachtete ihre Mutter im Rückspiegel. Sie konnte sich nicht einmal an das letzte gemeinsame Weihnachtsfest erinnern. Selbst als sie mit Ben in New York gelebt hatte, hatten sie Weihnachten eher mit seiner Familie verbracht als mit Patricia. Es war nicht so, als ob die Frau jemals besonders in Weihnachtsstimmung geraten wäre und es schien eine dumme Idee zu sein. Emily befürchtete, dass sie sich dadurch selbst Kummer bereiten würden und fragte sie sich, ob die sanfte Seite von Patricia, die sie in den letzten Tagen gesehen hatte, so weit gehen konnte.
„Vielleicht”, sagte sie ausweichend. „Ich denke, deine Mutter und dein Vater haben zu diesem Zeitpunkt viel zu tun. Das Baby wird bis dahin da sein, oder?“
„Noch besser!“, argumentierte Chantelle weiter. „Sie muss ihre Oma Patty kennenlernen.“
Als ihr klar wurde, dass sie Patricias widerspenstige Seite getroffen hatte, machte Chantelle einen weiteren Vorschlag. „Oder wenn nicht Weihnachten, dann vielleicht Silvester? Wir haben eine Party in der Pension. Du kannst mitfeiern.“
Patricia blieb bei ihren ausweichenden Antworten. „Wir müssen sehen“, war das einzige Zugeständnis, das sie machen konnte.
Chantelle sah als nächstes zu Emily hinüber. „Denkst du Opa Roy würde Weihnachten kommen wollen?“, fragte sie.
Emily fühlte sich augenblicklich angespannt. Es war noch weniger wahrscheinlich, dass ihr Vater wegen der Verschlechterung seines Gesundheitszustandes kommen würde.
„Wir können ihn fragen“, sagte Emily und die Unterhaltung verstummte.
Sie erreichten die Pension und Daniel parkte. Stu, Clyde und Evan waren zu Hause, also kamen sie heraus, um den Baum hinein zu tragen. Dann richteten die vier Männer ihn zusammen auf und stellten ihn im Foyer in Position.
„Das ist ja mal ein großer Baum“, sagte Clyde pfeifend. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und sah auf Chantelle hinab. „Wie willst du den Engel auf die Spitze setzen? Selbst wenn du auf meinen Schultern bist, glaube ich nicht, dass du es schaffen wirst.“
Um seinen Standpunkt zu untermauern, fegte er eine kichernde Chantelle in seine starken Arme und hob sie auf seine Schultern. Er fing an, mit ihr herum zu marschieren. Emily bemerkte, dass Patricia zusammenzuckte. Wahrscheinlich sorgte sie sich wegen des harten Holzbodens unter ihnen, ein Mutterinstinkt, den sogar Patricia besaß!
„Ich hole die Leiter“, sagte Stu und ging in Richtung Garage.
Evan und Clyde halfen auch, indem sie alle Kisten mit den Dekorationen von der Garage ins Foyer trugen. Dann machten sich die drei Männer auf den Weg in die Stadt, um ein Spiel zu sehen und nach einem langen Arbeitstag auf der Insel etwas zu trinken.
„Wir müssen Weihnachtsmusik anmachen“, sagte Emily und ging zum Empfang, wo das Soundsystem aufgebaut war. Sie fand eine alte Christmas Crooners CD und legte sie ein. Frank Sinatras Stimme füllte die Halle.
„Und“, fügte Daniel hinzu. „Wir brauchen heiße Schokolade!“
Chantelle nickte begeistert und alle eilten in die Küche. Daniel kochte Milch auf dem Herd, während Chantelle in der Vorratskammer nach übrig gebliebenen Marshmallows suchte. Sie kam nicht nur mit Marshmallows, sondern auch mit Regenbogenstreuseln und Schlagsahne zurück.
„Ausgezeichnet“, sagte Daniel, als er ihnen jeweils eine Tasse heiße Schokolade einschenkte und sie dann mit Sahne, Marshmallows und Streuseln übergoss.
Emily hatte in ihrem ganzen Leben noch nie gesehen, dass Patricia so etwas konsumierte! Patricia Smøres essen zu waren schon ein Novum gewesen, aber das hier war eine ganz andere Sache. Es war, als wäre Patricias Widerstand gegen den Geist der Weihnacht nach sechzig Jahren aufgelöst worden!
Sie gingen zurück in die Halle, wo der riesige Weihnachtsbaum stand und darauf wartete, dekoriert zu werden und machten sich an die Arbeit. Natürlich übernahm Chantelle die Führung.
„Wir brauchen noch Lichter hier drüben, Papa“, sagte sie zu Daniel und deutete auf eine kahle Stelle. „Und Oma Patty, diese Rentiere müssen an diesem Zweig sein.“
Emily beugte sich zu ihrer Mutter und sagte: „Chantelle hat eine ganz bestimmte Vision.“
Patricia lachte. „Ja, das glaube ich auch. Sie hat ein Auge für Details. Sie wird eines Tages eine wundervolle Innenarchitektin sein.“
Emily konnte sich das auch vorstellen. Entweder das oder irgendeine Art von Event-Organisator. Sie berührte ihre Murmel und fragte sich, welche Art von Persönlichkeit Baby Charlotte hätte, ob sie ihrer Schwester ähneln würde - Leiterin, Organisatorin, Darstellerin - oder ob sie ganz anders sein würde. Vielleicht würde sie eher wie Emily sein und weniger zum Rampenlicht neigen, mehr Lust haben, ein Buch zu lesen und die Hunde auf ruhige, ländliche Spaziergänge mitnehmen. Oder vielleicht wäre sie wie ihr Vater, praktisch und fleißig und manchmal zur Gewalt neigend. Oder, wie Emily oft dachte, sie könnte nach der Tante kommen, nach der sie benannt wurde - süß, einfallsreich, wissbegierig, ruhig. Sie konnte es kaum erwarten, es herauszufinden.
„Oma Patty“, sagte Chantelle dann und beendete Emilys Träumerei. „Wie war Mama, als sie in meinem Alter war?“
Patricia war damit beschäftigt, ein großes Stück glitzerndes Lametta über die Äste zu streichen und es so durch sie zu weben, dass es nicht abfallen würde.
„Mit acht Jahren? Lass mich nachdenken. Ihr Haar war damals sehr lockig, viel mehr als jetzt. Sie trug diese schönen karierten Kleider. Erinnerst du dich, Liebling?“
Emilys Gedanken wanderten zurück in die Vergangenheit. Das karierte Kleid und die juckende Strumpfhose, mit der ihre Mutter sie immer angezogen hatte, waren eine Quelle zahlreicher Kämpfe. Emily hatte gehasst, dass sie darin nicht rennen oder auf Bäume klettern durfte, weil Patricia nicht wollte, dass sie ihre Kleider schmutzig machte.
„Ich erinnere mich“, antwortete sie.
Patricia fuhr fort. „Ihr Vater hat ihr damals auch Klavierunterricht gegeben. Sie war ziemlich gut darin, aber verlor dann das Interesse.“
Emily wünschte jetzt, dass sie dabeigeblieben wäre. Dass sie weiterhin neben ihrem Vater auf diesem angeschlagenen Klavierstuhl gesessen und Lieder aus Musicals und alte Klassiker gelernt hätte. Das waren kostbare Zeiten gewesen und sie hatte nicht das Beste daraus gemacht. Sie hatte nicht gewusst, dass es ihr einmal so wichtig erscheinen würde.
„Opa Roy?“, fragte Chantelle.
„Ja“, sagte Patricia. Sie lächelte. „Er war sehr begabt am Klavier. Und er liebte es. Deshalb musste er eines in diesem Haus haben, obwohl wir nur ein paar Wochen im Jahr hier waren. Aber er zündete dann das Feuer an und spielte uns auf dem Klavier vor und Emily hatte sich in immer in eine Decke einwickelt und war eingeschlafen.“ Sie stieß einen melancholischen Seufzer aus. „Es gab immer wundervolle Momente zwischendurch, nicht wahr, mein Schatz?“
Emily wusste, was sie meinte. Zwischen dem Schmerz, Charlotte verloren zu haben. Dass es nach ihrem Tod, als die Stille zwischen ihren Eltern wie eine unsichtbare Glaswand wuchs, einige Momente der Normalität, der Freude, gab. Manchmal, wenn die Stille mit Schönheit gefüllt und ihre Gedanken von Kummer befreit wurden.
„Ich liebe Opa Roy“, sagte Chantelle zu Patricia. „War er ein sehr guter Ehemann?“
Patricia sah Chantelle an. Und zu Emilys Schock und Überraschung streckte sie die Hand aus und streichelte den Kopf des Mädchens.
„Das war er. Nicht immer. Aber niemand ist perfekt.“
„Hast du ihn geliebt?“
„Von ganzem Herzen.“
„Und jetzt?“, fragte Chantelle.
„Pst“, unterbrach Emily. „Das ist eine persönliche Frage.“
„Es macht mir nichts aus“, sagte Patricia. Dann sah sie Chantelle direkt an und sprach mit unbeirrter Stimme. „Wir haben viele Jahre als Ehemann und Ehefrau verbracht, viele gute Jahre. Aber wir waren nicht glücklich und das Wichtigste im Leben ist, glücklich zu sein. Es war sehr schwer sich von ihm zu trennen, aber am Ende war es das Beste. Und ja, ich liebe ihn immer noch. Sobald du jemanden liebst, kannst du niemals wirklich damit aufhören.“
Emily wandte sich ab und wischte die Träne, die sich in ihrem Augenwinkel gebildet hatte, weg. Während ihres ganzen Lebens hatte Patricia ihren Vater nur schlecht gemacht. Nie hatte sie von ihr gehört, dass sie Roy immer noch liebte.
Ruhe trat ein und die Familie legte leise die letzten Dekorationen auf den Baum. Die melancholische Luft, die um sie herum schwebte, löste sich erst auf, als Daniel die Engelsstatue aus der Schachtel nahm.
„Es ist Zeit“, sagte er und reichte sie Chantelle.
Mit einem aufgeregten Lächeln auf ihrem Gesicht stieg Chantelle die Leiter hinauf, streckte ihren Arm so lange sie konnte und setzte den Engel auf den oberen Ast des Baumes.









