- -
- 100%
- +
Abschließend gehe ich auf zwei Sichtweisen des Textes ein, deren Zurückweisung die obige Analyse noch bekräftigen wird:
a) Mk habe den Namen Josephs aus der Tradition hinter Mk 6,3 entfernt, weil Joseph einen Ehrenplatz in der Kirche Jerusalems innehatte. Auf diese Weise habe er ein Manifest gegen die rechtliche und lehrhafte Hegemonie der Jerusalemer Kirche geschrieben. Daher das positive Desinteresse an Joseph. Dies ist reine Spekulation.
b) Die Aussage, Jesus sei der Sohn Marias, sei ein indirekter Hinweis auf die Jungfrauengeburt. Denn im anderen Fall wäre zu erwarten gewesen, daß Jesus Josephs Sohn genannt worden wäre. Doch läßt sich das nicht aus dem Text herauslesen, um so weniger, als Mk an keiner Stelle Interesse an der Jungfrauengeburt zeigt.
Noch einmal: Der Vater Jesu wird an dieser Stelle nicht genannt, weil Zweifel darüber besteht, wer sein wirklicher Vater ist. Wäre Jesus ein leiblicher Sohn Josephs gewesen, hätte der Ausdruck »Sohn der Maria« niemals Eingang in einen frühchristlichen Text gefunden. Die Wendung »Sohn der Maria« ist so schockierend, daß nur Mk den Mut hat, sie zu wiederholen.
Mk 6,7-13: Aussendung und Wirken der Zwölf
(7) Und er ruft die Zwölf zusammen und begann, sie jeweils zu zweien auszuschicken, und gab ihnen Vollmacht über die unreinen Geister. (8) Und er trug ihnen auf, daß sie nichts mit auf den Weg nähmen als allein einen Stab, nicht Brot, nicht Tasche, nicht Kupfer im Gürtel, (9) sondern Sandalen an den Füßen, und keine zwei Untergewänder tragen.
(10) Und er sagte ihnen: »Wo immer ihr in ein Haus kommt, bleibt dort, bis ihr wieder von dort fortgeht. (11) Und welcher Ort euch nicht aufnimmt und sie nicht auf euch hören, geht von dort weg und schüttelt den Staub ab, der unter euren Füßen ist, ihnen zum Zeugnis!«
(12) Und sie zogen aus und verkündigten, daß sie umkehren sollten, (13) und sie trieben viele Dämonen aus und salbten mit Öl viele Kranke und heilten (sie).
Redaktion und Tradition
Der Abschnitt hat eine Parallele in Q (Mt 10,5-15/Lk 10,2-12). Man beachte, daß die Tradition bei Mk ganz unapokalyptisch gezeichnet wird, während die frühere Tradition (Lk 10,2-12) die Naherwartung kennt.
V. 7 ist mk Einleitung zur Missionsrede. Man vgl. die wörtlichen Übereinstimmungen mit 3,13-15.
V. 8-9: Stab und Sandalen werden sekundär (vgl. anders Q) zugestanden. Das Verbot, zwei Untergewänder übereinander anzuziehen, wie man das gewöhnlich auf Reisen tat, ist Abschwächung gegenüber Q (Mt 10,10/Lk 9,3). Dort verbietet »Jesus« sogar, mehr als eines zu besitzen. Das Untergewand wurde direkt auf dem Körper getragen.
V. 10-11: Vgl. zu Lk 9,4-5; 10,7-11.
V. 12-13 zeichnen das Ergebnis der Missionsrede (vgl. 3,15).
Historisches
Zu V. 8-9 vgl. zu Mt 10,9-10.
Die historische Frage besteht darin, ob Jesus bereits zu seinen Lebzeiten Jünger ausgesandt hat. Sie ist zu bejahen. Der Auftrag, zu verkündigen (die Nähe der Gottesherrschaft) und zu heilen, ist als echt anzusehen. »Die ›Missionsinstruktionen‹ der Synoptiker basieren auf einem Kern von Logien, die auf Jesus zurückgehen« (Gnilka, Mk I, 241).
Mk 6,14-29: König Herodes und die Enthauptung Johannes des Täufers
(14) Und der König Herodes hörte, denn sein Name wurde offenbar, und sie sagten: »Johannes, der Taufende, ist von den Toten erweckt worden und darum wirken die Kräfte in ihm.« (15) Andere aber sagten: »Er ist Elia«, andere aber sagten: »Ein Prophet, wie einer der Propheten.« (16) Als aber Herodes hörte, sagte er: »Den ich enthauptet habe, Johannes, dieser wurde erweckt.«
(17) Herodes nämlich sandte (einst) aus, ließ Johannes festnehmen und ihn gefesselt in das Gefängnis bringen wegen Herodias, der Frau seines Bruders Philippus, weil er sie geheiratet hatte.
(18) Johannes hatte nämlich Herodes gesagt: »Es ist dir nicht erlaubt, die Frau deines Bruders zu haben.«
(19) Herodias aber trug es ihm nach und wollte ihn töten und konnte es nicht. (20) Herodes nämlich fürchtete Johannes, wissend, daß er ein gerechter und heiliger Mann ist, und er ließ ihn bewachen, und wenn er ihn hörte, geriet er in größte Verlegenheit und hörte ihn gern.
(21) An einem günstigen Tag aber, als Herodes an seinem Geburtstag einmal seinen Edlen und den Offizieren und den Ersten von Galiläa ein Mahl gab (22) und als seine Tochter Herodias eintrat und tanzte, gefiel sie dem Herodes und seinen Mahlgenossen, und der König sagte dem Mädchen: »Verlange von mir, was du willst, und ich will es dir geben.« (23) Und er schwur ihr: »Was immer du mich bitten willst, will ich dir geben bis zur Hälfte meines Reiches.«
(24) Und sie ging hinaus und sagte ihrer Mutter: »Worum soll ich bitten?« Sie aber sagte: »Um das Haupt Johannes des Taufenden.« (25) Und sie ging sogleich mit Eifer hinein zum König und verlangte, indem sie sagte: »Ich will, daß du mir sofort auf einer Schüssel das Haupt Johannes des Täufers gibst.« (26) Und der König wurde sehr betrübt und wollte wegen der Schwüre und der Tischgäste sie nicht abweisen.
(27) Und sogleich schickte der König den Scharfrichter und befahl, sein Haupt zu bringen. Und er ging weg und enthauptete ihn im Gefängnis. (28) Und er brachte sein Haupt auf der Schüssel und gab sie dem Mädchen, und das Mädchen gab sie ihrer Mutter.
(29) Und als seine Jünger davon hörten, kamen sie und nahmen seinen Leichnam und legten ihn in ein Grab.
Redaktion
V. 14-16: Herodes meint Herodes Antipas, den Landesherrn Jesu, der von 4 v.Chr. bis 39 n.Chr. regierte und über Galiläa und Peräa herrschte. Das Stück ist Einleitung zur Überlieferung vom Tode Johannes des Täufers, die Mk ab V. 17 wiedergibt, hat aber auch im Rahmen des gesamten MkEv eine wichtige Bedeutung. V. 16 leitet zur Geschichte (V. 17-29) über, während V. 14b-15 später noch in 8,28 aufgenommen werden. In V. 14b.16 ist Auferweckung als eine Art Wiederbelebung gedacht.
V. 17-29 sind Parenthese (vgl. zu 5,8). Allerdings unterläuft Mk bei diesem ungewöhnlich ausführlichen Nachtrag die Ungeschicklichkeit, daß die Rückkehr der Jünger zu Jesus (6,30) der Grablegung des Täufers zeitlich unmittelbar zu folgen scheint, obwohl die Bestattung doch bereits vor dem in 6,14-16 Erzählten stattgefunden hat.
Die Bestattung des Leichnams Johannes des Täufers (V. 29) stellt eine Parallele zum Schicksal Jesu her (15,42-47). Für Mk, dem zufolge der Täufer vor der Zeit Jesu auftrat, hat das Schicksal des Täufers einen Bezug auf Christus. Der Täufer ebnet mit seinem Schicksal dem Messias den Weg (Gnilka, Mk I, 252).
Tradition
Die Form der von Mk eingearbeiteten Tradition V. 17-29 wird verschieden bestimmt: Manche sprechen von einer volkstümlichen Erzählung, die isoliert überliefert worden sei, andere von einer Legende ohne christlichen Charakter aus hellenistischjüdischen Traditionen oder einer Anekdote über Herodes. Noch andere ziehen den Ausdruck Martyriumsbericht vor. Jedenfalls ist auszuschließen, daß die Geschichte von Jüngern des Täufers erzählt wurde, die Johannes bestatteten (6,29). In diesem Falle wäre nämlich zu erwarten gewesen, daß bestimmte Inhalte der Täuferpredigt, wie z.B. die Gerichtsankündigung oder der Umkehrruf, in der Überlieferung erscheinen.
Historisches
Nach Josephus, einem jüngeren Zeitgenossen des Apostels Paulus, ließ Herodes Antipas den Täufer hinrichten, um einer etwaigen messianischen Bewegung zuvorzukommen. Die Tötung Johannes des Täufers erzählt Josephus in seinem Geschichtswerk »Jüdische Altertümer« XVIII 116-119. Zwar hat auch diese Geschichte eine Tendenz, indem z.B. der endzeitliche Charakter der Predigt des Täufers unterschlagen wird. Doch verdient sie sicher historischen Vorrang vor der Mk-Tradition, deren Unplausibilität durch Josephus nur noch bestärkt wird.
»Was Mc hier erzählt, entspricht nicht den Angaben des Josephus. Nach Josephus wurde Johannes zu Machärus jenseits des Jordans hingerichtet, Mc setzt dagegen voraus, daß es am Königshof in Galiläa geschah … Nach Josephus war das Motiv zu der Tat die Furcht des Antipas vor politischer Gefährlichkeit des Täufers, nach Mc lediglich der Haß der Herodias gegen ihn. Den Ausschlag gibt bei Mc eine Scene, die zwar den Gegensatz des Asceten zu dem leichtfertigen Treiben am Königshof zu packendem Ausdruck bringt, aber eben nur eine Scene ist und an innerer Unwahrscheinlichkeit leidet« (Wellhausen, 367).
Mk 6,30-33: Die Rückkehr der Jünger
(30) Und die Apostel sammeln sich bei Jesus und erzählten ihm alles, was sie getan und was sie gelehrt hatten.
(31) Und er sagt ihnen: »Kommt ihr allein an einen einsamen Ort und ruht ein wenig!« Es waren nämlich viele, die kommen und gehen, und sie hatten nicht einmal Zeit zu essen. (32) Und sie fuhren weg in einem Boot an einen einsamen Ort allein. (33) Und man sah sie abfahren, und viele erkannten sie. Und sie liefen zu Fuß von allen Städten dort zusammen und kamen ihnen zuvor.
Redaktion
V. 30-33: Mk zeigt sich in diesem Abschnitt, einem Summarium, besonders um den erzählerischen Zusammenhang bemüht, denn er bezieht sich hier auf die in 6,7-13 erzählte Aussendung der Jünger zurück. Das Ruhebedürfnis der Jünger dient als Motiv zum Aufsuchen des einsamen Ortes (V. 31f). Die Volksmenge, die für die anschließend erzählte Speisung der 5000 nötig ist, bringt Mk in Position (V. 33). An anderen Orten (1,32-39; 1,45; 3,7-10) findet sich redaktionell ebenfalls ein Sich-Zurückziehen Jesu bei gleichzeitigem Zulauf der Volksmassen.
Mk 6,34-44: Die Speisung der Fünftausend
(34) Und als er ausstieg, sah er eine große Volksmenge, und er hatte Erbarmen mit ihnen, denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben, und er begann, sie vieles zu lehren.
(35) Und als die Stunde schon vorgerückt war, traten seine Jünger zu ihm und sagten: »Einsam ist der Ort und die Stunde schon vorgerückt. (36) Entlasse sie, damit sie in die umliegenden Ortschaften und Dörfer gehen und sich etwas zu essen kaufen!« (37) Er aber antwortete und sagte ihnen: »Gebt ihr ihnen zu essen!« Und sie sagen ihm: »Sollen wir fortgehen, und für 200 Denare Brote kaufen und ihnen zu essen geben?« (38) Er aber sagte ihnen: »Wieviel Brote habt ihr? Geht, seht!« Und sie stellten es fest und sagen: »Fünf, und zwei Fische.«
(39) Und er gebot ihnen, sich alle in Tischgemeinschaften auf dem grünen Gras zu lagern. (40) Und sie setzten sich, die Gruppen wie Gartenbeete, zu Hundert und zu Fünfzig. (41) Und er nahm die Brote und die zwei Fische und blickte auf zum Himmel, dankte und brach die Brote und gab sie seinen Jüngern, damit sie (sie) ihnen vorlegen, und die zwei Fische teilte er für alle.
(42) Und es aßen alle und wurden satt, (43) und sie nahmen die Brocken, zwölf Körbe voll, auch von den Fischen.
(44) Und es waren fünftausend Männer, die aßen.
Redaktion
V. 34: V. 34a knüpft an V. 32f an. V. 34 Ende beschreibt Jesus ebenso wie vorher 6,6 redaktionell als lehrend.
V. 37: Der Befehl, die Jünger sollten den Leuten zu essen geben, und die Reaktion der Jünger darauf entsprechen dem Motiv des Jüngerunverständnisses (vgl. zu 5,31) und sind wahrscheinlich von Mk eingetragen worden.
V. 41: Mk selbst hat die Speisungserzählung nicht vom Abendmahl her verstanden, denn sonst hätte er 6,41 und 8,6f stärker an 14,22 angeglichen. Es handelt sich für ihn also »nur« um ein Wunder, das er später zwecks Zeichnung des Unverständnisses der Jünger aufgreifen wird (6,52; 8,14-21).
Tradition
V. 34-36.38-44: Die Geschichte erzählt ein Wunder. Sie stellt erstens die Not (hier den Mangel an Nahrungsmitteln) dar (V. 35-38), zweitens die Behebung der Not durch Jesus, der wunderbarerweise mit dem Wenigen, das vorhanden ist, so viele sättigt (V. 39-42). Drittens erfolgt die Bestätigung des Wunders durch den Hinweis auf die übriggebliebenen Brote und Fische (V. 43) – es sind mehr, als am Anfang da waren – und auf die übergroße Zahl der Gespeisten (V. 44).
Wesentliche Elemente der Erzählung verdanken sich 2Kön 4,42-44 (Elisa sättigt hundert Männer mit nur 20 Broten), wobei Jesus in seiner Wundertat Elisa bei weitem überbietet. V. 39-40: Das grüne Gras in der Wüste ist rätselhaft und mag eine Reminiszenz an Ps 23,2 sein. Zur Aufgliederung der Gruppen vgl. Ex 18,25.
Historisches
Die Bildung dieser Geschichte geht auf die Bedürfnisse der Gemeinde zurück. Ihr historischer Wert ist gleich Null. Dabei ist es jedem unbenommen, die Tischgemeinschaft Jesu mit seinen Anhängern als Ausgangspunkt der Entstehung dieser Geschichte anzunehmen. Doch ist das etwas anderes als die Speisung der 5000.
Mk 6,45-56: Jesu Seewandel und Heilung vieler Kranker
(45) Und sogleich drängte er seine Jünger, in das Boot einzusteigen und an das andere Ufer nach Bethsaida vorauszufahren, bis er selbst das Volk entläßt. (46) Und er verabschiedete sich von ihnen und ging auf den Berg zu beten.
(47) Und als es Abend geworden war, war das Boot in der Mitte des Meeres und er allein auf dem Land. (48) Und er sah sie sich abquälen beim Rudern, denn sie hatten Gegenwind, und bei der vierten Nachtwache kommt er zu ihnen wandelnd auf dem Meer. Und er wollte an ihnen vorbeigehen. (49) Als sie ihn aber auf dem Meer wandeln sahen, meinten sie, daß es ein Gespenst sei, und sie schrien auf. (50) Alle nämlich sahen ihn und wurden verwirrt.
Er aber sprach sogleich mit ihnen und sagt ihnen: »Schöpft Mut, ich bin es, fürchtet euch nicht!« (51) Und er trat zu ihnen in das Boot und der Wind legte sich, und sie gerieten innerlich völlig außer sich. (52) Denn sie hatten bei den Broten keine Einsicht gewonnen, sondern ihr Herz war verstockt. (53) Und sie fuhren hinüber zum Land und kamen nach Genezareth und legten an.
(54) Und als sie aus dem Boot herausstiegen, erkannten sie ihn sogleich (55) und liefen umher in der ganzen Gegend und begannen, auf Liegen die Kranken herzutragen, wo sie hörten, daß er es sei. (56) Und wo er Dörfer oder Städte oder Gehöfte betrat, legten sie die Kranken auf die freien Plätze und baten ihn, daß sie wenigstens den Saum seines Gewandes berühren dürften. Und alle, die ihn berührten, wurden gerettet.
Redaktion
V. 45-46: Das Boots-, Volks- und Gebetsmotiv sind redaktionell.
V. 48b: »denn sie hatten Gegenwind« ist ein mk Nachtrag (vgl. zu 5,8).
V. 51-52: Hier wird das mk Jüngerunverständnismotiv besonders deutlich sichtbar; V. 52 bezieht sich auf die Speisungsgeschichte Mk 6,34-44 zurück und stellt deren Interpretation dar. Vgl. später 8,14-21.
V. (53.)54-56: Dieses Stück ist ebenso wie 1,32-39; 3,7-12 eine redaktionelle Bildung, ein Summarium, das ausführlich Jesu Heiltätigkeit schildert und im mk Kontext die Massenszene von 6,30-34 aufnimmt.
Tradition
V. 45-51: Dieses Stück ist, formal betrachtet, eine Epiphaniegeschichte, im Unterschied zu dem Naturwunder 4,37-41. Gelegentlich wird aber gefragt, ob es sich bei beiden Erzählungen nicht um Varianten ein und desselben Archetyps handelt. Dann müßte die Stillung des Sturmes (vgl. V. 48.51) das ursprüngliche Motiv sein, das durch den Seewandel in den Hintergrund gedrängt wurde. Doch zeigt der abgerissene Satz V. 48 (»Er wollte an ihnen vorbeigehen«), daß der Seewandel traditionsgeschichtlich am Anfang steht.
Die Erzählung vom Seewandel Jesu soll dessen Ebenbürtigkeit mit anderen Söhnen Gottes aus der Umwelt des frühen Christentums erweisen, die ebenfalls auf dem See wandeln können. Denn in der Antike galt die Fähigkeit, auf dem Wasser zu gehen, als göttliche Macht. Weiter sind hier aber auch alttestamentliche Parallelen zu berücksichtigen, denen zufolge Gott auf dem Wasser bzw. den Wogen des Meeres wandeln kann (vgl. Hiob 9,8; Ps 77,20).
Möglicherweise ist die Geschichte von Jesu Seewandel eine Ostergeschichte. Hierzu würden auch V. 49f passen, wo die Tatsächlichkeit der Gegenwart Jesu betont und die Furcht der Jünger, ein Gespenst gesehen zu haben, zurückgewiesen wird (vgl. Lk 24,36-43). In einer zweiten Stufe wäre dann diese Ostererzählung um das Motiv der Rettung aus der Seenot erweitert worden.
Historisches
Gegen die Historizität der Erzählung vom Seewandel Jesu sprechen a) die zahlreich vorhandenen Analogien aus der damaligen Umwelt und im Alten Testament, b) der Charakter und die Form der Erzählung und c) ihre mögliche Herkunft aus der Ostersituation.
Mk 7,1-23: Der Streit über Rein und Unrein
(1) Und es versammeln sich bei ihm die Pharisäer und einige der Schriftgelehrten, die aus Jerusalem gekommen waren. (2) Und als sie einige der Jünger sahen, daß sie mit unreinen Händen, das bedeutet ungewaschen, die Brote essen –
(3) denn die Pharisäer und alle Juden essen nicht, wenn sie nicht mit einer Faust die Hände gewaschen haben, und halten so an der Überlieferung der Ältesten fest, (4) und wenn sie vom Markt (kommen), essen sie nur, wenn sie sich (oder: es) besprengt (= gereinigt) haben. Und vieles andere gibt es, was sie übernommen haben, daran festzuhalten: Abspülungen von Bechern und Krügen und Kupfergefäßen.
(5) Und es fragen ihn die Pharisäer und die Schriftgelehrten: »Warum wandeln deine Jünger nicht nach der Überlieferung der Ältesten, sondern essen mit unreinen Händen das Brot?«
(6) Er aber antwortete ihnen: »Gut hat Jesaja über euch Heuchler prophezeit, wie geschrieben ist:
›Dieses Volk ehrt mich mit Lippen,
ihr Herz aber ist weit von mir entfernt.
(7) Vergeblich verehren sie mich,
indem sie als Lehren Menschengebote lehren.‹
[Jes 29,13 LXX]
(8) Indem ihr das Gebot Gottes fahren laßt, ergreift ihr die Überlieferung der Menschen.«
(9) Und er sagte ihnen: »Gut setzt ihr das Gebot Gottes außer Kraft, damit ihr eure Überlieferung beachtet. (10) Moses nämlich sagte:
›Ehre deinen Vater und deine Mutter‹,
[Ex 20,12; Dtn 5,16]
und:
›Wer Vater und Mutter schmäht, soll des Todes sterben‹.
[Ex 21,17; Lev 20,9]
(11) Ihr aber sagt: ›Wenn ein Mensch zu Vater oder Mutter gesagt hat: ›Korban‹ – was heißt: ›Weihegeschenk sei, was dir von mir geschuldet wird‹ –, (12) dann laßt ihr ihn nichts mehr für den Vater oder die Mutter tun. (13) So hebt ihr das Wort Gottes durch eure Überlieferung auf, die ihr weitergegeben habt. Und dergleichen tut ihr noch viel mehr.«
(14) Und wiederum rief er das Volk und sagte ihnen: »Höret mich alle und begreift! (15) Nichts gibt es, was von außerhalb des Menschen in ihn hineinkommt, das ihn verunreinigen kann; sondern diejenigen Dinge, die aus dem Menschen herauskommen, sind es, die den Menschen verunreinigen.« [V. 16 gehört nicht zum ursprünglichen Text.]
(17) Und als er von der Volksmenge weg in ein Haus hineinging, fragten ihn seine Jünger nach dem Gleichnis. (18) Und er sagt ihnen: »So seid ihr unverständig? Begreift ihr nicht, daß alles, was von außerhalb in den Menschen hineinkommt, ihn nicht unrein machen kann, (19) weil es nicht in sein Herz geht, sondern in seinen Bauch und in den Abort hinausgeht?«
Damit erklärte er alle Speisen für rein.
(20) Er sagte aber: »Was aus dem Menschen herauskommt, jenes verunreinigt den Menschen. (21) Von innen nämlich, aus dem Herzen der Menschen, kommen die schlimmen Gedanken heraus: Hurereien, Diebstähle, Morde, (22) Ehebrüche, Begehrlichkeiten, Bosheiten, Arglist, Ausschweifung, böser Blick, Lästerung, Hochmut, Unverstand.
(23) Alles dieses Böse kommt von innen heraus und verunreinigt den Menschen.«
Redaktion
Im Kontext des MkEv wirkt 7,1-23 wie ein grober Klotz, da nur wenige »Beziehungen zum Kontext bestehen. Die Auseinandersetzung mit Pharisäern und Schriftgelehrten ist nach hinten nur in 2 locker verbunden über das Motiv ›Brote essen‹, nach vorne ebenso locker durch dasselbe Motiv in 28, inhaltlich vielleicht etwas stärker, insofern die folgende Geschichte vom Glauben einer Heidin im Gegensatz zur Auseinandersetzung mit den Juden (3) erzählt. Insgesamt hat 1-23 die Funktion einer Erinnerung an die Gegner Jesu in Galiläa, die Pharisäer, zu denen hier auch die Schriftgelehrten aus Jerusalem treten« (Lührmann, 129).
Mk dürfte die Parallelität des vorliegenden Abschnitts mit 2,23-28 bewußt gewesen sein. Vgl. die Entsprechungen: a) das Problem (2,23-24/7,1-2.5); b) Schriftbeweis (2,25-26/7,6b-7); c) Worte Jesu (2,27-28/7,9-23).
V. 1-2 sind wahrscheinlich redaktionell. Mk hat diese Einleitung wohl auf der traditionellen Grundlage von V. 5 komponiert.
V. 3-4: »Alle Juden« ist eine mk Generalisierung. Auch Lk schreibt oft so (vgl. Lk 2,1; Apg 8,1; 11,28; 18,2; 21,30). Das Stück ist eine auf Mk zurückgehende Parenthese, in der er seiner heidenchristlichen Leserschaft die jüdische Reinheitspraxis an ausgewählten Beispielen erläutert. »Mit einer Faust« ist kaum verständlich. Entweder ist der Ausdruck versehentlich in den Text geraten, oder man liest mit Hilfe einer leichten Textveränderung »oft«.
Allerdings ist Mk, wie das Folgende zeigt, über die Unterscheidung von Reinheits- und Speisevorschriften nicht informiert. So besteht die Hauptschwierigkeit der Zusammenordnung von V. 1-13 mit V. 15 darin, daß V. 15 Speisegesetze betrifft, V. 1-13 dagegen Reinheitsgesetze. (Daher kann V. 15 historisch nicht Antwort auf das Vorhergehende gewesen sein.) Zudem ist es inkorrekt zu sagen, daß die Pharisäer sich oder gar das Eingekaufte besprengen. Vielmehr nehmen sie nach der Rückkehr vom Markt ein Taufbad. So lauten auch Lesarten zu 7,4, was aber Korrektur der schwierigeren und sachlich falschen Version »(sich) besprengen« ist.
V. 17-18a enthalten das typisch mk Jüngerunverständnismotiv.
V. 19c-23: V. 19c ist mk Schlußfolgerung, V. 20 Wiederholung von V. 15b. Auch V. 21-23 wurden wohl von Mk hinzugefügt: Er interpretiert den Streit über rein und unrein unter dem Gesichtspunkt des Verhaltens (vgl. ähnlich die Einschaltung von V. 6-8 und V. 9-13). V. 21b-22, formgeschichtlich ein Lasterkatalog, stammen aus der Gemeinde des Mk oder von ihm selbst. Die einzelnen Sünden werden kunstvoll je sechs im Plural und im Singular aufgezählt und zeigen das negative Gegenbild zum Ideal der christlichen Lebensführung.
Ertrag: Mk will seinen heidenchristlichen Lesern das für Pharisäer und alle Juden verbindliche Gesetz erläutern und hebt davon das für Christen geltende Gesetz ab, das jedermann einleuchte.
Tradition
V. 5-8: Die Polemik gegen die Pharisäer und Schriftgelehrten mittels eines Jesajazitates (Jes 29,13) und einer Schlußfolgerung (V. 8) ist der Grundstock der Tradition. Doch bleibt festzuhalten: das Jesajazitat antwortet gar nicht argumentativ auf die Praxis des Essens mit unreinen Händen (V. 5).
V. 9-13: Dies ist ein Stück traditioneller Gemeindepolemik mit der üblichen mk Anreihungsformel »und er sagte ihnen«. Das Stück bringt ein Beispiel dafür, wie sich das in V. 8 genannte Fahren-Lassen des Gebotes Gottes konkretisiert. Vgl. »außer Kraft setzen« (V. 9) und »aufheben« (V. 13) mit »fahren lassen« (V. 8).
Ein weiteres Traditionselement schloß Mk mit V. 15 an. V. 18b-19 entstammen ebenfalls der Tradition.
Historisches
V. 5-8: Das Traditionsstück antwortet auf ein Verhalten der Jünger und ist deswegen nicht geschichtlich.