Firmung Jugendlicher im interdisziplinären Diskurs

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1.3 Firmung vom Ausgangspunkt Glaubensleben her gesehen - die Sicht Karl Rahners
Das christliche Glaubensleben wurde in den Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils vom gemeinsamen Priestertum her verstanden. Christinnen und Christen haben damit die Aufgabe, in ihrem Alltag ein tugendhaftes Leben zu führen, das auf die Feier der Eucharistie hin bezogen ist. Alltägliches Leben ist aber auch von all den Schwierigkeiten gekennzeichnet, denen Menschen ausgesetzt sind. Die Theologie Karl Rahners stellt sich diesen Schwierigkeiten und Hoffnungen des alltäglichen Lebens von Christinnen und Christen. Gotteserfahrung im alltäglichen Leben machen zu können, gilt geradezu als Schlüssel zum theologischen Werk Karl Rahners159. Deshalb wird in diesem Abschnitt die Theologie Rahners zum christlichen Leben und zur Firmung herangezogen, um die Firmung unter dem Aspekt des Glaubenslebens weiter zu entfalten. Im Unterschied zur menschlichen Biographie, die den gesamten Verlauf eines menschlichen Lebens beschreibt, geht es im Glaubensleben getaufter und gefirmter Christen also um ihre konkreten Lebensumstände, in denen sie zum Heil der Welt wirken können und sollen.
1.3.1 Firmung ist Auftrag zur Seelsorge im Alltag
Karl Rahner betont, dass jeder Christ und jede Christin eine Fähigkeit und einen Auftrag erhalten hat, eine Gabe und eine Aufgabe. Er jedenfalls geht dabei so weit, von einer Weihe des Laien zur Seelsorge zu sprechen und meint damit, dass alle Christen sich um die Seele „sorgen können und sich sorgen müssen“160. Dies sei deshalb notwendig, weil menschliches Dasein in der Welt stattfindet und der Mensch in gemeinschaftlichen Beziehungen lebt. Wo gegenseitige Fürsorge gepflegt wird, spricht er von einer Werkgemeinschaft, die zur Seelsorge werden kann, wenn sie caritas, Liebe Christi wird und damit „ein Weiterwirken, eine Verewigung der Seelsorge Jesu“161. Diese caritative Werkgemeinschaft ist auf die eschatologische Vollendung hin angelegt, wenn die Liebe Gottes zu allen Menschen nicht mehr ein Abbild benötigt und nicht mehr bezeugt und besiegelt werden muss.
Entwickelt sich die Werkgemeinschaft zu einem gegenseitigen Führen „in das Reich des ewig Wahren und Guten“162, nennt Rahner dies Gemeinschaft im Geist. Diese Gemeinschaft ist durch Sprachlichkeit gekennzeichnet, sie geschieht „wesentlich in der Rede, im Wort“163. Da Gott nun in unüberbietbarer Weise sein Liebeswort in Jesus Christus gesprochen hat, ist der Gefirmte dazu beauftragt und geweiht, dieses Wort weiterzutragen und zwar sowohl in zeitlicher als auch in räumlicher Perspektive, also immer und zu allen Menschen. Firmung wird somit bei Rahner zunächst in einer missionarischen, von einer Theologie des Wortes Gottes her verstanden, Dimension beschrieben, die auf das eschatologisch endgültige Christusereignis hin bezogen ist. Der Gemeinschaft der Gefirmten im Geist ist nach Rahner deshalb auch verheißen, dass „Gott die Rede aus dem Munde des Menschen zu seinem Wort“164 macht. Die Firmung muss in diesem Grundriss der seelsorgerlichen Dimension jeder christlichen Existenz, aber auch mit der Taufe in Verbindung gebracht werden. Denn auch sie ist „Weihe zur Seelsorge“165, weil in ihr Gott seine Liebestat zu den Menschen mitteilt und weil der Mensch dadurch als ganzer und von seinem Innersten her für die anderen sorgen kann. Dies geschieht vor allem dann, wenn der Getaufte aus der Liebesbeziehung zu Gott heraus auf die Mitmenschen zugeht. In dieser gegenseitigen Verbindung der Weitergabe des Wortes (Firmung) und der grundlegenden Liebesbeziehung Gottes (Taufe), wird auch klar, dass jeder Christ als Getaufter und Gefirmter die Gabe und die Aufgabe hat, „von seinem Glauben Zeugnis zu geben“166.
Die dritte Gemeinschaft ist für Rahner die der Liebe von Mensch zu Mensch und so gelangt das Sakrament der Ehe zu einer seelsorgerlichen Dimension, weil in diesem Sakrament Gottes Liebe zur Welt zeichenhaft gegenwärtig ist167. Mit diesem Gedanken wird schließlich mit Taufe und Firmung auch noch das Sakrament der Ehe verbunden, was mit der Liebe Gottes begründet wird. Das Zueinander und das Proprium der einzelnen Sakramente wird dadurch noch weiter entfaltet. Rahner legt Wert darauf, herauszustellen, dass die Sakramente nicht nur zum privaten Heilsempfang dienen, sondern vor allem auf die Kirche hinordnen und zwar als „Einweisung in eine aktive Aufgabe in der Kirche“168. Die Frage nach einem Betätigungsfeld für Gefirmte, die im Rahmen der Darstellung der Firmtheologie des Zweiten Vatikanischen Konzils aufgekommen war, müsste also analog für jedes einzelne Sakrament gestellt werden.
Wenn die Taufe aber schon dazu verpflichtet und begabt, am Tun der Kirche mitzuhelfen nach den jeweils eigenen Begabungen, dann wird es sehr schwer, neben diesem aktiven Mitvollzug den Sinn und die Aufgabe der Firmung zu deuten: „Es ist für den Dogmatiker schwer, die beiden Sakramente in ihrem Sinn und ihrer Wirkung ganz genau zu unterscheiden“169, so Rahner. Es sind vielmehr zwei Sakramente der einen christlichen Initiation. Die Firmung aber mache noch deutlicher als die Taufe, dass jeder Christ und jede Christin eine Sendung und eine Aufgabe erhalten hat. Und in diesem Zusammenhang beschreibt Rahner die Firmung mit folgenden Worten: Sie ist das „Sakrament des Glaubenszeugnisses, der charismatischen Fülle, des Hl. Geistes, der zeugenden Sendung des Geistbesiegelten in die Welt, damit sie der Herrschaft Gottes untertan werden, der Bestärkung im Glauben gegenüber den Mächten und Gewalten in dieser Welt, den Mächten der Lüge und des Unglaubens, der dämonischen Hybris einer Selbsterlösung“170. Den Gefirmten soll durch den subjektiven Mitvollzug der Firmung bewusst werden, was objektiv in der Firmung geschehen ist und welche subjektiven Aktionen daraus abzuleiten sind, wenn man die Firmung als „Sakrament geistlicher Mündigkeit“171 verstehen soll.
Auch der Zeitpunkt der Firmung spielt in dieser Sichtweise keine Rolle mehr, entscheidend ist vielmehr die persönliche Fähigkeit des Gefirmten, sich als geistlich mündiges und aktives Glied der Kirche zu verstehen und die Konsequenzen daraus zu ziehen. Dass Rahner an einer anderen Stelle bedauert, dass die Firmung in der Biographie vieler Christinnen und Christen keine große Rolle spielt, führt er überraschender Weise dann doch darauf zurück, dass die Firmung meist „in einem Alter empfangen [wird], das nicht dazu angetan ist, diesem zeitlich einmaligen und schnell vorübergehenden Ereignis eine besondere Eindrücklichkeit zu gestatten“172. Der subjektive Mitvollzug der Firmung ist in Rahners Verständnis also auf Eindrücklichkeit, vielleicht könnte man auch sagen Nachhaltigkeit, hin angelegt. Solch eine tiefgreifende Empfindung des „Sakramentes des Geistes“173 hinge dann aber doch wieder nicht vom Lebensalter des Firmanden ab, sie müsse eher biographisch mitvollziehbar sein als ein entscheidendes, wirkungsvolles und eindrucksvolles Erlebnis. Um dies zu gewährleisten schlägt er zwei Handlungsweisen vor:
a) zum einen die Verbindung der Firmung mit frei machenden Erfahrungen und Lebensperspektiven, die Christinnen und Christen prägen sollen auf ihrem Lebensweg174. Er versteht darunter zunächst enthusiastische Erfahrungen, spricht vom Wehen des Geistes und Zungenrede. Dies alles sei möglich, wenn der Bezug zur eschatologischen Vollendung der Gegenwart und des Wirkens Gottes nicht in Vergessenheit geriete. Vielleicht muss man aber auch gar nicht von charismatischen Gottesdiensten sprechen oder von Zungenrede: die eigene Lebensperspektive zu finden, ist gerade für junge Menschen ein ganz entscheidendes Problem und darf auch aus christlicher Sicht nicht vernachlässigt werden: in welchen Beziehungen kann und will ich leben? Wo kann ich meine Lebenskraft einbringen? Wie verbringe ich meine Lebenszeit, die immer einmalig ist und unwiederholbar ist und damit auch unendlich kostbar? Solche Fragen könnten bei der Entstehung der Vision oder der Planung des eigenen alltäglichen Lebens hilfreich sein.
b) zum anderen gehört für Rahner in den biographischen Mitvollzug der Bedeutung der Firmung die Herausstellung des eigenen Charismas als eines Auftrages, der sowohl gesellschaftliche als auch kirchliche Verantwortung bedeutet175. Damit wird die Firmung in noch höherem Maß zum Sakrament der Sendung, der Überlieferung des Wortes Gottes für die Welt und für den Auftrag der Kirche als Ganzer entscheidend.
Die biographische oder anthropologische Dimension des Sakramentes der Firmung führt Rahner sogar dazu, von einer Stiftung dieses Sakramentes durch Christus zu sprechen176. Denn die Aktualisierung des Heilswortes Gottes in die persönliche Situation eines Menschen hinein bedeutet, dass die Kirche sich selbst in Handlung setzt und dem einzelnen die Zugehörigkeit zu Jesus Christus, die sie selbst bezeichnet, mit auf den Lebensweg gibt. Dieses Argument ist mit Sicherheit sehr zweischneidig. Es bedeutet aber auch, dass die Kirche nicht nur das Sakrament der Firmung verwaltet, sondern dass sie sich selbst gibt und an die Menschen, die beauftragt werden, mitgibt – als der Gesamtheit aller Christinnen und Christen, die aus der Zugehörigkeit zu Christus leben. Aus diesem Grund ist für Rahner auch die einseitige Zuordnung von Zukunftspessimismus so genannter engagierter Laien und einem so genannten klerikalen Triumphalismus nicht aufrecht zu halten. Denn die Aufgabe der Kirche und damit der Gemeinschaft der Christen ist es, die Eucharistie zu feiern, die Wiederkunft Christi zu erwarten, im Namen des dreieinen Gottes zu taufen und sein Wort zu verkünden in der Hoffnung, dass alle Christen in ihrem Hoffen und Scheitern zu Christus gehören177. Die Lebensplanungen und –perspektiven von Christinnen und Christen sind deshalb nicht nur allein freiheitlich getroffene Entscheidungen, sie sind immer auch als Antwort auf einen Anruf Gottes zu verstehen, der im Alltag nur sehr ungenügend reflektiert wird und deshalb unbestimmt zu bleiben droht178. Firmung muss also diese verdeckte Dimension christlichen Handelns klar und verständlich machen. Der Firmung muss damit eine Funktion für das Leben der Christen aus einem lebendigen Glauben zukommen, und zwar im Alltag, der bestanden werden muss, der aber auch eine Quelle der Gottesbegegnung werden kann. Denn:
„Rahner behauptet nicht nur […], der Alltag sei ein Ort der Gottesbegegnung, das absolute Geheimnis dieser Begegnung werde in der Durchschnittlichkeit und Routine des Alltags wirklich erfahren, sondern er behauptet darüber hinaus, höchste Spiritualität und gewöhnlichste Alltäglichkeit gehörten wesentlich zusammen: das absolute Geheimnis wird im Alltag entdeckt, oder Gott selber ist verloren und – das wäre noch hinzuzufügen – die Menschen des Alltags und der Alltag selber werden nie gerettet: es gibt überhaupt kein Heil“179.
Will man diesen Gedanken von der Zusammengehörigkeit von Gottesbegegnung und Alltäglichkeit mit der Firmung in Verbindung bringen, dann kann dies bedeuten, dass die Taufe die Eingliederung des Menschen in die Kirche darstellt. Der Mensch stirbt „in sakramentaler, in raum-zeitlicher, in gesellschaftlicher Greifbarkeit in den Tod Christi hinein“180. Die Firmung betont dann auch die gesellschaftliche Funktion der Getauften und sie ist „die Gnade der Kirche zur Sendung in die Welt und zur Ankündigung ihrer Verklärung“181. Freilich dürfen diese einzelnen Zuschreibungen nicht exklusiv verstanden werden, so als würde die Taufe nicht schon zur Sendung in die Welt beauftragen und so als hätte die Firmung nichts mit der bleibenden Kraft des Todes Christi zu tun. Es zeigen sich in den beiden Sakramenten viel eher zwei Brennpunkte christlicher Existenz: Zugehörigkeit zu Jesus Christus und Sendung in die Welt.
1.3.2 Firmung ist Sendung der Kirche in den Alltag
In der Sendung durch Gottes Wort und in der Alltäglichkeit der Lebensumstände erhält die Firmung auf diese Art und Weise eine kirchliche Dimension, indem die Kirche thematisiert wird als „die gesellschaftlich legitim verfaßte Gemeinschaft […], in der durch Glaube und Hoffnung und Liebe die eschatologisch vollendete Offenbarung Gottes (als dessen Selbstmitteilung) in Christus als Wirklichkeit und Wahrheit für die Welt präsent bleibt“182. Das bedeutet, dass Gottes Heilswillen allen Bereichen menschlichen Lebens gilt und jedes Handeln der Menschen offen bleiben muss auf Christus selbst hin. Wie dies allerdings möglich ist und was präsent bleiben soll, ist nach Rahner eine der Fragen einer praktischen Theologie183. Kurz gesagt soll sich die praktische Theologie deshalb mit der Frage beschäftigen, wie die Kirche zu handeln hat, weil sie Kirche ist und dadurch klären, was eigentlich genau in der Kirche präsent gehalten werden soll. Die Hinweise Rahners können in diesem Zusammenhang dazu dienen, die kirchliche Sendung, die in der Firmung geschieht, näher zu verstehen.
Rahner geht davon aus, dass sich Gott den Menschen selbst gibt184. Damit ist die Kirche kein Platzhalter oder ein Repräsentant Gottes, sie soll Gott die Ehre geben. Die Menschen sollen, so Rahner, gerettet werden, indem sie Gott als den bekennen, der er ist, nämlich als den Transzendenten, dessen letztlich unverfügbares Geheimnis den Menschen anvertraut ist. Die Kirche wird sich deshalb auch immer mit der Destruktion falscher Götzen zu beschäftigen haben, die das Leben der Menschen vielleicht auf den ersten Blick vielleicht reichhaltiger erscheinen lassen und sie wird sich selbst hinterfragen müssen, ob sie in aller Definitivität der Präsenz Gottes in ihrem Handeln selbst den Horizont für den Allumfassenden offen hält.
Gott selbst ist „in der Kirche präsent als die Wahrheit und als die Liebe“185. Die Selbstmitteilung Gottes ist die Selbstvollzugsweise Gottes oder mit den berühmten Worten: die „’ökonomische’ Trinität ist die immanente“186. Die Kirche bleibt somit immer eine hörende auf Gottes Wort, sie ist logisch zunächst Heilsfrucht, dann erst Heilsmittel, auch die „Apostel mußten zuerst Glaubende sein, um Offenbarungsträger sein zu können“187. Die Kirche hat deshalb die Zusage, dass der Glaube indefektibel ist, ihre ureigensten Aufgaben sind dort zu suchen, wo Gott wirklich präsent ist als die Wahrheit und als die Liebe. Dies geschieht in besonderer Art und Weise in der Feier der Eucharistie, in der Gott gelobt wird und in der gläubig empfangen wird, was als Gottes Wahrheit der Kirche anvertraut ist.
Zur Kirche gehört auch, dass in ihr „die Liebe zu Gott als Annahme der Liebe und die Vermittlung der Liebe Gottes als heiligende Macht in Sakrament, Gebet, Leben“188 gegenwärtig gehalten wird und zwar als persönlicher Vollzug und als objektive Heilsgabe von Gott her. Weil der Mitvollzug und die subjektive Aufnahme der Liebe Gottes zum innersten Wesen der Kirche dazugehört, ist auch das, was den Menschen in seiner Geschöpflichkeit auszeichnet, in der Kirche aufgehoben. Dies ist nicht von Gottes Heilszusage abzuleiten, sondern von der Faktizität, dass Gott als der Notwendige und Bleibende gegenwärtig ist für die Menschen, die kategorial verfasste Wesen sind.
Entscheidend für den Selbstvollzug der Kirche ist ihre Verwiesenheit auf die eschatologische Vollendung. Die Kirche selbst ist die „eschatologische Parousia Gottes in Christus“189. Von ihr ist noch einmal die Selbstgabe Gottes in der Ewigkeit, von Angesicht zu Angesicht, zu unterscheiden. Deshalb wird die Kirche ihre wesentliche Aufgabe, Gottes Gegenwart selbst zu bezeichnen, nur verwirklichen können, wenn sie dies in der Weise des Mysteriums tut. Die Kirche ist kein Platzhalter für Gott, so als würde er sich nicht in der Wirklichkeit zeigen. Im Gegenteil: sie ist „das Ereignis dessen, daß er als das Geheimnis für uns präsent wird“190. Die Kirche wird so zu einem Hinweis auf den letztlich unverfügbaren Größeren, der die Kirche selbst hervorgebracht hat und das Mittun des Menschen in seiner schöpferischen Kraft in der Gemeinschaft der Kirche ermöglicht.
Deshalb bezeichnet Rahner die Kirche als „das ‚Sakrament’ dieser Selbstmitteilung Gottes“191, weil so deutlich wird, dass Gott wirklich anwesend ist und gleichzeitig die Kirche „nur dessen Zeichen“192 ist. Um die Kirche einerseits von den sieben Sakramenten der Kirche zu unterscheiden und andererseits ohne sie mit Christus als dem Ursakrament verwechseln zu wollen, spricht Rahner von der Kirche als Ursakrament, um die Präsenz Gottes und gleichzeitig die „Nichtidentität zwischen Zeichen und Bezeichneten“193 zu kennzeichnen. Dabei enthält die Kirche aber als Realsymbol das, was sie bezeichnet, denn sie ist das von Gott ins Werk gesetzte Zeichen seiner Selbstmitteilung und Gegenwart und insofern übt die Kirche eine heilsnotwendige Funktion aus. Das zeichnet die Kirche aus und so handelt sie in der Weise des Ursakraments.
Wenn die Kirche als Realsymbol die Präsenz Gottes bezeichnet und beinhaltet, und wenn sie auf die eschatologische Gültigkeit des Christusereignisses verpflichtet ist, dann kann man sie sich nicht als Institution verstehen, die den Menschen lediglich eine Heilsmöglichkeit anbietet. Sie ist vielmehr „geschichtliche Präsenz der siegreichen Gnade Gottes in der Welt“194. Die Kirche handelt nicht getreu ihrem Auftrag, wenn sie nur von der Möglichkeit spricht, Gott habe sein Heil angeboten oder wenn sie Gottes Heil proklamierend einfordert. Es geht auch nicht um einen blinden Optimismus, der Menschen benebeln soll. Denn: „Gott hat die Welt gerettet und ihr reuelos und unaufhebbar und unbesieglich sich selbst schon mitgeteilt“195. Deshalb muss die Kirche alle ihre Lebensvollzüge als Evangelium verstehen, als die frohe Botschaft von der endgültigen Rettung der Welt durch Gott. Und nur von daher kann sie in der Weise des neuen Gesetzes des Evangeliums sprechen und handeln. Sie kann die Menschen dabei nicht ansprechen und abwarten, wie sie reagieren, denn es geht um die Liebe Gottes, die die Liebe des Menschen zu Gott einfordert.
Die Kirche handelt dabei in eschatologischer Präsenz. Sie ist immer auf die Vollendung der gesamten Schöpfung hin angelegt und sie wird als Zeichen aufhören. Trotzdem ist in ihr in reflexer, kateogrialer und geschichtlicher Ausdrücklichkeit der eschatologische Sieg Gottes präsent und fordert eine „bleibende, geschichtliche Kontinuität im Lauf der Zeit“196. Die Kirche entsteht also nicht immer neu oder müsste sich von Zeit zu Zeit neu erfinden, je nach den Ansprüchen der jeweiligen Gegenwart. Sie ist das „’ein für alle Mal’ gegebene Zeichen und Ursakrament“197 und auf ihren Ursprung in Jesus Christus hin bezogen. Neuerungen gegenüber oder angesichts des Anspruchs, zeitgemäß zu sein, wird die Kirche „gerade als eschatologisch bleibende immer die ‚traditionelle’“198 sein.
Neben dieser Unabänderlichkeit der Kirche als eschatologisch gegebenem Zeichen des Heiles Gottes ist die Kirche auch eine geschichtliche Größe und handelt in immer neuer Aktualpräsenz. Geschichtlichkeit meint dabei, dass der Mensch „als Empfänger des Heiles“199 geschichtlich veranlagt ist. Aktualpräsenz bedeutet, dass die Kirche nicht nur „in ihrem Wesen beharrt und in einer Kirchengeschichte ‚etwas’ geschieht, sondern, daß dieses Wesen selbst eine Geschichte hat. Nicht im Sinne einer Wesensverwandlung, aber im Sinn der Entfaltung, Findung, Einholung dieses Wesens selbst“200. Rahner spricht in diesem Zusammenhang auch von dem Wesensvollzug der Kirche, der dazu führt, dass das „apriorisch-gnadenhafte Existential des Menschen und seiner Geschichte […] nicht nur der unveränderliche Horizont [ist], innerhalb dessen sich menschliche Geschichte abspielt, sondern [dass es] in dieser Geschichte des Menschen seine eigene Geschichte“201 erfährt. Genaue und exakte Handlungsanweisungen, die aus einer wissenschaftlichen Analyse der Gegenwart stammen, werden somit nur als Hinweise dienen können, weil die Geschichtlichkeit der Kirche die Geschichtlichkeit der eschatologisch gültigen Präsenz Gottes ist: „In der Unmöglichkeit der adäquaten Reflexion des Ausgleiches zwischen eschatologischer Gültigkeit des bleibenden Wesens der Kirche und je aktuell neuem Selbstvollzug“202 wird sich kirchliches Handeln ereignen müssen.
Rahners Ausführungen pendeln zwischen zwei Brennpunkten kirchlicher Existenz: die eschatologische Gültigkeit des einmal gegebenen Heilswortes in der Kirche und die Geschichte dieser Präsenz Gottes im Glauben, Leben und Handeln der Christen. In genau dieser Spannung steht auch das Handeln der Kirche in der Weise des Mysteriums und in der Weise des Ursakramentes, denn Gott, das Mysterium schlechthin, wird in der Kirche präsent. Als Gegenwärtiger und Verborgener gibt er in der Kirche seine objektive Heilsgabe und fordert beziehungsweise ermöglicht den subjektiven und persönlichen Vollzug dieser Heilsgabe im alltäglichen Leben.
In diesem Zusammenhang steht auch die Sendung in der Firmung, wenn sie wirklich eine Sendung der Kirche ist und die Kirche in ihrer Zugehörigkeit zu Jesus Christus ausgesandt wird. Die Herausforderung für das Handeln der Kirche und damit für das Handeln der Getauften und Gefirmten liegt in den Erklärungen Rahners vor allem darin, dass im jeweiligen Akt sakramentalen Lebens, aber auch des alltäglichen Lebens von Christinnen und Christen Gottes Gegenwart präsent werden soll und muss. Nur so wird verständlich, dass alle Christen tatsächlich einen Auftrag zur Seelsorge haben und Rahner sogar von einer Weihe des Laien zur Seelsorge spricht, wobei an dieser Stelle das Wort Weihe nicht in Konkurrenz zum hierarchisch verfassten Priestertum treten soll. Es geht hier eher um den Anspruch an die Laien, also an die Getauften und an die Gefirmten, die Botschaft von Gottes Heilshandeln in Liturgie und im alltäglichen Leben konkret greifbar werden zu lassen. Es geht dabei um den Anspruch, Gottes Liebe und damit Gott selbst deutlich zu machen und zwar für alle Menschen zum Zeichen dafür, dass Gott tatsächlich in der Welt handelt und dass Gott eschatologisch endgültig gehandelt hat. Wenn sich Gott tatsächlich selbst schenkt und wenn Orte des kirchlichen Handelns für Rahner gerade Wahrheit und Liebe sind, dann müssen umgekehrt diese Orte auch zu wichtigen Erkennungszeichen für Getaufte und Gefirmte werden. Christinnen und Christen müssen demnach, wie die Kirche selbst, zunächst hören und dann zum Mittel für Gottes Heilsangebot an alle Menschen werden. Dass dabei auch für Gefirmte die Unterscheidung zwischen dem, was der Kirche eschatologisch gültig anvertraut ist und dem, was als aktueller Selbstvollzug zu verstehen ist, schwierig ist, fordert mit Sicherheit Bildung. In Rahners Sprache aber vor allem Zeugnis der tätigen Liebe Gottes im alltäglichen Leben der Christinnen und Christen.
1.3.3 Firmung ist Empfang des charismatischen Geistes
Ein Verständnis, das hierarchisch verfasstes Priestertum und allgemeines Priestertum aller Getauften voneinander absondert, kommt für Rahner nicht in Frage. Die verschiedenen Gaben Gottes an die Christinnen und Christen lassen sich nach Rahner nur als „Amt und freies Charisma“203 verstehen. Diese Gaben gehören für Rahner zusammen, sie können nicht vollständig voneinander getrennt werden, weil einerseits echtes charismatisches Handeln nur in der Kirche stattfinde und andererseits das Amt nur in der Kirche, nicht gegenüber der Kirche, Vollmacht habe, beziehungsweise jedem Amtsträger selbst freies Charisma mit gegeben ist. Rahner umschreibt das Charisma der Amtsträger auch als freies Charisma, weil „biblisch und sachlich auch die Amtsvollmachten in der Kirche Gnadengaben Gottes sind“204. Im Grunde genommen geht es ihm um die Einheitlichkeit des göttlichen Heilswirkens an der Kirche und um die Zusammengehörigkeit jeglichen Handelns der Kirche, also aller Christinnen und Christen, auf der Basis der eschatologisch gültigen Präsenz Gottes im kirchlichen Dasein und Handeln.
Was Rahner nun genau unter Charisma versteht, zeigt sich in einem Aufsatz, in dem er über das Handeln von Christinnen und Christen als einzelnen in der Kirche spricht. Er fragt:
„Wie rüste ich den konkreten Christen mit der Einsicht und Kraft aus, die er zum christlichen Bestehen der Situation braucht, die ihm eine sittliche Aufgabe stellt, deren richtige Lösung konkret ihm nicht mehr so unmittelbar von der amtlichen Kirche gesagt werden kann?“205
Wenn es darum geht, im jeweiligen sakramentalen Handeln der Kirche und in der Glaubensverkündigung, Gottes Gegenwart zu präsentieren und wenn die Christinnen und Christen dazu aufgerufen sind, in ihrem alltäglichen Tun auch die Gegenwart Gottes erfahrbar und wirklich werden zu lassen, dann sind der Kirche nach Rahner Charismen mitgegeben. Die Bestimmung des Charismas bei Rahner hält sich nahe an die paulinische Definition als „geordnete Entfaltung der christl. Berufung in ihren versch. Trägern, die sich u. U. als außergewöhnl., dem Wunder verwandte Erscheinung manifestiert, grundsätzlich aber die der Kirche zum Heilsdienst gegebene, bleibende Gnadenkraft bedeutet“206. Gerade an den Orten, an denen die hierarchisch verfasste Amtskirche am wenigsten präsent zu sein scheint, ist deshalb ein Handlungsort für die Getauften und Gefirmten, indem sie ihr Leben als Christinnen und Christen bestehen. Alltag und der Kirche abständige Gemeinschaften sind deshalb genuine Orte christlichen freien Charismas. Denn das Charisma entfaltet sich immer im Bekenntnis zu Jesus Christus, dem Herrn, in dem Gottes eschatologische Heilszusage unüberbietbar geworden ist207. Und das Charisma ist dort als echt zu bezeichnen, wo es zum Dienst am Aufbau der Gemeinde beziehungsweise zur Handlungsauftrag der Kirche beiträgt208.