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Arm, arm, arm war diese trostlose Wohnung.
Welch ein Kontrast zur Palastherrlichkeit der Fürsten, die ihn verhätschelten und mit ihrer Freundschaft auszeichneten! Daß sie sich gar nicht um ihn kümmerten, wie er wohnte und lebte!
Oh, er hätte es so haben können wie sie! Er dachte jetzt daran, als ihm selber der krasse Unterschied im äußeren Leben zum Bewußtsein kam. Er erinnerte sich der ersten Zeit in Wien, da er im Hause Lichnowsky wohnte, Diener und Reitpferd hatte und für alles gesorgt war. Und hatte sich doch nur gefühlt wie der Vogel im goldenen Käfig, wo er nur eines entbehrte zum vollen Glück, dieses eine, das freilich alles andere weitaus aufwog: die Freiheit! Unmöglich, die Mittagszeit, die im Hause Lichnowsky um ½4 Uhr festgesetzt ist, einzuhalten! Unmöglich, pünktlich zu Hause zu sein, sich umzukleiden, für den Bart zu sorgen! Das ergab immer Mißhelligkeiten; er pflegte einfach auszubleiben und im Gasthaus zu speisen, wenn es ihm paßte. Die Fürstin zwar vergab die Unart, aber auch sie versuchte ihn mit mütterlicher Liebe zu erziehen, und das ging so weit, daß sie schier eine Glasglocke über ihn machen ließ, damit kein Unwürdiger ihn berühre oder anhauche. Das war erst recht eine Unmöglichkeit für den Meister. Auch das Reitpferd war eine Unmöglichkeit. Anfangs hatte es ihm Spaß gemacht, es den Kavalieren gleichzutun. Aber bei der Arbeit vergaß er darauf und ward erst daran erinnert, als der Reitknecht die Futterrechnung brachte. Dann war es zu Ende mit der edlen Passion.
Nein also, die Freiheit war nicht zu teuer erkauft. Wenn er daran dachte, dann war ihm seine ärmliche Behausung doppelt lieb und wert, wenn auch heute nicht einmal ein dienstbarer Geist seiner wartete und noch alles in der greulichen Verwüstung lag, wie er es am Morgen verlassen hatte. Diese Bettelarmut war aber zugleich Freiheit. Und Freiheit war zugleich Muse. Er konnte nicht schaffen inmitten eines üppigen gesellschaftlichen Lebens. Und darum hatte er die fürstliche Wohnung preisgegeben, leichten Herzens, und die Mietmisere vorgezogen. Hier hatte er außer des hohen Gutes der persönlichen Freiheit noch etwas anderes, das ihm unschätzbar war: Fenster, die weit über die Dächer in die Landschaft und in die Ferne blicken ließen. Das brauchte er, darum wohnte er so hoch. Auf Luxus machte er keinen Anspruch, er störte ihn nur. Seine Wohnung war ein Arbeitsraum. Er wohnte den Wolken nah, und die Glocken von Sankt Peter und Sankt Stephan waren seine lieben Nachbarn.
»Mit dem Adel ist gut leben«, dachte er nun mit dankbarem Gefühl, als er die dunkle Wendeltreppe hinaufstieg und des verlaufenen Tages und aller früheren Wohltaten sich erinnerte, die er empfangen. »Aber man muß etwas haben, womit man ihm imponieren kann!«
Als er sich die Treppe hinaufgetastet hatte und an seine Wohnungstür trat, stieß sein Fuß an etwas Weiches, Lebendiges, das sich sofort rührte.
»Holla, was ist das?« Er strich rasch ein Wachshölzchen an und leuchtete einem Menschen ins Gesicht, der vor der Tür gelegen und eingeschlafen war.
»Was zum Kuckuck, sind Sie es, Ries?«
»Ja,« erwiderte der junge Mensch, »ich kam zu spät zu Lichnowsky, nachdem ich Zmeskall nicht zu Hause fand und erst nachmittags erreichen konnte. Da Sie noch nicht daheim waren, hielt ich es für das beste, hier zu warten, und wäre beinahe eingeschlafen. Es ist wohl spät geworden – – –«
Der Meister mußte lachen, aber insgeheim war er doch gerührt über diesen Beweis dankbarer Anhänglichkeit. Also hatte doch ein menschliches Wesen auf ihn gewartet.
»Hier bringe ich die gewünschten Sachen, den Spiegel, das Geld; und morgen wird sich Herzog, ein alter Diener mit guten Zeugnissen, vorstellen.«
»Nun kommen Sie herein, Ries,« sagte der Meister, indem er aufschloß; »wir wollen sehen, ob sich noch ein Tropfen Wein in der Flasche und ein kleiner Imbiß vorfindet. Ich habe Hunger, und Sie werden auch ein paar Bissen nicht verschmähen.«
Mit ein paar Handgriffen hatte Ries das Zimmer halbwegs in Ordnung gebracht und die Spuren der Morgentoilette hinausgeschafft, indem der Meister seine Vorräte musterte. Da standen noch ein paar halbgeleerte Weinflaschen umher, die Reste früherer Mahlzeiten, zwischen den Fenstern lag ein halber Laib Strachinokäse; ein tüchtiges Überbleibsel echter Veroneser Salami, eine ausreichende Krume Brot, wenn auch schon ziemlich hart geworden, fand sich vor, aber man hatte gute Zähne, und es dauerte nicht lange, so hieben die beiden wacker ein – es dünkte ihnen ein Göttermahl und schmeckte weitaus besser als an der reich bestellten Fürstentafel. Nach beendeter Mahlzeit erhob sich der Künstler und trat an das Klavier. Er vertiefte sich sofort in seine Notizen über die »Adelaide« und arbeitete die Komposition rein heraus.
Als er nach einer Stunde aufsah, saß Ries noch immer da, aufmerksam und treu wie ein Hund. »Ja, zum Teufel, jetzt machen Sie aber, daß Sie fortkommen und sich tüchtig ausschlafen! Das Geld von Zmeskall können Sie behalten; morgen springen neue Quellen!« Er merkte gar nicht, daß Ries sich empfahl, denn er war schon wieder tief in seine Arbeit versenkt, die sein königlicher Reichtum und sein Segen war.
III. Kapitel.
Das Wiener Absteigequartier der gräflichen Familie Brunszvik war das kleine Adelshotel, das den Namen »Zum goldenen Greifen« führte und in der Kärntnerstraße lag, wo sich heute ungefähr das Hotel Erzherzog Karl befindet.
Die Gräfin-Mutter saß in diesen traulichen Gemächern, die mit ihren weißen Tapeten und sparsamen Goldleisten, mit bestickten Klingelzügen und blumigen Sofas, mit den Glasschränken voll alten Porzellans und den unerdenklichen Tischchen in allen Formen, mit Vasen und kostbaren Uhren einen überaus behaglichen, vornehm fraulichen Eindruck machten.
Die Menschen sahen gut aus in solchen Räumen, besonders wenn sie Stil hatten. Und Stil hatte die weißhaarige Gräfin, wie ihre beiden Töchter Theresa und Josephine, die in langen, fließenden Gewändern eine geradezu klassisch-griechische Linie aufwiesen. Die Damen waren mit Handarbeiten beschäftigt, dabei floß das Gespräch munter hin.
Besuch war da, eine Kusine, die junge Komtesse Giulietta Guicciardi, eine hochblonde Teufelsschönheit, die erst kürzlich nach Wien gekommen war, als der Vater, Graf Guicciardi, von Triest hierher versetzt worden war und die böhmische Hofkanzlei zu leiten hatte.
Auch der junge Graf Gallenberg war erschienen, trotz seiner großen Jugend schon sehr blasiert und durch seine Ballettmusik im Mozartstil, die sich in Paris großer Beliebtheit erfreute, bereits berühmt geworden. Er bildete sich nicht wenig darauf ein, obschon er sehr verächtlich von der Kunst und den Künstlern sprach. Er glaubte dies seinem Adelsrang schuldig zu sein, der zwei Klassen unterschied: eine, die in Musikenthusiasmus aufging, und eine andere, die alles Geistige verachtete und als nicht standesgemäß empfand. Hier galt nur das Pferd, die Jagd und das Weib. Der blutjunge Gallenberg hielt es mit beiden Gruppen.
Er war augenscheinlich nur wegen der Gräfin Giulietta erschienen, der er wie ein Schatten folgte und auffallend den Hof machte. Sie behandelte ihn dafür ebenso auffallend schlecht und widerlegte damit aufs schlagendste das immer wieder auftauchende Gerücht einer bevorstehenden Verlobung.
Theresa und Josephine erzählten von der anstrengenden Tag- und Nachtfahrt, die sie von ihrem Familienschloß Martonvásár in Ungarn nach Wien gemacht hatten; Giulietta und Gallenberg hörten zerstreut zu.
»Die Straßen waren grundlos nach den letzten gewitterartigen Wolkenbrüchen,« erzählte Theresa, »die Erde ein See, alles unter Wasser – Wiesen, Äcker, Ödland; wir gondelten mit vier Pferden dahin, daß es unter den Hufen spritzte und schäumte, als ob wir mit neptunischen Rossen dahinsausten. Aber schön war der Abendhimmel über Land und Wasser wie nach der versickernden Sintflut: purpurn bis türkisgrün, so schön, wie er nur in Ungarn sein kann oder in der Campagna – – – Dann diese Monotonie der Ebenen und der Ödländer: hie und da ein einsames Strohdach, ein verlorner Brunnen mit hohem Gestänge; dann wieder gepflegte Parkbezirke mit weißem Schloßantlitz, halbverhüllt von dunklem Geäst – – –«
»Hören Sie auf, Gräfin, Sie werden mir zu poetisch,« warf Gallenberg näselnd ein, »das hält man nicht aus.«
»Es war auch poetisch«, sagte kühl Theresa.
»Als es finster wurde, traute sich der Kutscher János nicht durch den Wald; er fürchtete sich vor den Räubern,« spann jetzt Josephine den Faden der Erzählung weiter, »da nahm ihm Theresa kurzerhand die Zügel aus der Hand, und fort ging's durch die pechschwarze Finsternis und über Wurzelknoten, daß man meinte, die Räder gingen entzwei; mir liegt die holperige Fahrt noch in allen Gliedern. Mir ist es immer ein Vergnügen, wenn etwas glücklich überstanden ist, und hinterher lachten wir den János tüchtig aus, der sich recht geschämt hat.«
»Das lasse ich mir schon eher gefallen«, näselte wieder Gallenberg. »So hätte ich es auch gemacht.«
»Sie hätten es gemacht wie János, des bin ich sicher, Gallenberg«, spottete Josephine.
Und Giulietta rief fast sehnsüchtig: »O du! Das muß ja herrlich gewesen sein! Weißt du: je größer die Gefahr, desto lieber das Abenteuer! Das wäre mein Geschmack. Habt ihr keine Räuber gesehen? Nein?! Oh, wie schade!« Sie dehnte das Wort mit dem Ausdruck einer solchen Enttäuschung, daß man glauben konnte, es ginge ihr von Herzen. Alle mußten lachen.
Die Gräfin-Mutter entsetzte sich über die Beschwerden solcher Reise; sie war seit einem Jahr nicht auf das Gut zurückgekehrt und hatte tausend Fragen.
In dem graufließenden Gewand glich sie der fadenabschneidenden Parze; das weiße Spitzentuch um Hals und Schulter, die weiße Frisur, die feinen Linien und Fältchen des Gesichts, die brennend schwarzen Augen in der aschenhaften Blässe des Antlitzes, die strenge und doch schier ungezwungene Haltung gaben ihr die traditionelle Erscheinung eines wandelnden Ahnenbildes; in ihrer etwas eisigen Erstarrung schien sie übrigens älter, als sie sein mochte.
Ob sich der alte slowakische Schäfer noch immer so betrinke, wollte sie wissen; und ob ihm der Schnaps endlich entzogen worden sei. Ob die Pfauenkücken wohl gedeihen und wie die Wintersaat stehe. Ob die Kübelpflanzen aus dem Glashaus ins Freie geschafft und auf dem Kiesweg zur Schloßauffahrt aufgestellt seien. Der März lasse sich warm und sonnig an, Schnee war diesen Winter wenig und kaum mehr zu befürchten. Dann, ob der beschädigte Wetterhahn ausgebessert und das Dach beim Sturm nicht Schaden gelitten. Und die feuchte Mauer im Erdgeschoß trockengelegt und die Schattenbilder unter Glas im Eßzimmer sich noch immer wellen, wie sie es wegen der Feuchtigkeit getan. Ferner was die Öfen machen, ob sie gut brennen, und ob der Hofhund, der in eine Mausefalle getreten war, schon die kranke Pfote wieder heil und gesund habe. Ob sich die neue Rasse englischer Zuchtschweine bewähre und ob die Weinbergsarbeiten schon begonnen hätten. Endlich ob die Kinder der Gemeinde ordentlich die Schule besuchen und wie die neu angestellte Dorfschullehrerin ihr Amt versehe. Ob das alte Spinett im Gartenhaus zum Unterricht für die Söhne und Töchter der Gutsbeamten fleißig benützt und der strikte Auftrag befolgt werde, das Klavier und die sonstigen Instrumente des großen Musikzimmers zu schonen und in Ordnung zu halten für den Fall, daß man doch mit Sommers Beginn ungeachtet der Reisestrapazen draußen erscheinen und mit guten Freunden Musikfeste feiern wolle ...
Die Töchter hatten auf alle Fragen abwechselnd nur mit einem einsilbigen: »Ja, Mama!« geantwortet oder mit einem ausweichenden Hinweis auf den Bruder Franz, der näheren Bescheid wisse; die Fragen hatten eine sehr einschläfernde Wirkung, nur die letzte Bemerkung über die Musikfeste machte alle lebendig und gesprächig.
»Aber Mama, das wäre herrlich! Wie kommst du nur plötzlich auf diesen Gedanken?!« rief Josephine fröhlich aus. »Und weißt du, Theresa, wen wir dann einladen?!«
Theresa beugte sich tiefer auf ihre Handarbeit und erwiderte nichts.
»Ach, wenn's nur mit meinem Klavierspiel besser ginge«, seufzte Josephine. Und dann rasch, wie von einer Erleuchtung betroffen: »Mama, mir fällt etwas ein! Du hast gesagt, ich darf mir zu meinem kommenden Namenstag in vierzehn Tagen etwas wünschen – ich weiß jetzt was! Wirst du ja sagen, Mama?«
»Wenn es nichts Unmögliches ist.«
»Es ist gar nichts Unmögliches! Es ist vielmehr etwas höchst Einfaches.«
»Nun, dann ist es schon gewährt.«
»Dank, Dank, liebe Mama!«
»Dürfen wir nicht wissen, was es ist«, fragte die Kusine Giulietta.
»Ja freilich, Kind, wie soll ich dir denn sonst deinen Wunsch erfüllen«, fügte Mama hinzu.
»Ach, den erfülle ich selber, nachdem ich nun einmal deine Erlaubnis habe,« lachte der Schelm, »aber ich will kein Geheimnis daraus machen: ich möchte bei Beethoven Klavierunterricht nehmen!«
Die Eröffnung war verblüffend.
Theresa ließ ihre Handarbeit fallen und sah die unternehmende Josephine fragend an: »Pepi, du bist aber eine!«
Josephine warf den Kopf auf: »Warum denn nicht? Du kannst ja mitkommen und auch Stunden nehmen, wenn du willst.«
Das war einleuchtend.
»Ich fürchte, er wird uns nicht nehmen«, meinte Theresa plötzlich zaghaft.
»Wir laden ihn einfach zu uns ein«, entschied die resolute Pepi. Darauf Theresa eifrig:
»Nein, das ist ganz vergebens; und wenn er nicht kommt? Dann haben wir das Spiel verloren. Er nimmt keine Einladungen an, wie ich gehört habe. Drum ist es am besten, wir gehen selbst zu ihm!«
»Du hast Courage, Theresa! Mehr wie ich!«
Mama geriet ganz außer sich.
»Aber, Kinder, Kinder, das geht ja nicht! So hab ich es nicht gemeint! Ich kann meine Erlaubnis unmöglich dazu geben. Wenn ihr de Olivera als Klavierlehrer haben wollt, meinetwegen, er gibt in aristokratischen Häusern Unterricht und ist ein Mann von guten Manieren.«
»Ach, Olivera ist nichts. Du hast übrigens dein Wort gegeben, Mama; und ich bleibe dabei: Beethoven und kein anderer!«
»Überdies, Mama, ist Erzherzog Rudolf Schüler Beethovens geworden«, warf Theresa ein. »Wo bleibt da Olivera in diesem Vergleich?«
Giulietta verfolgte mit wachsendem Interesse die Debatte. »Beethoven, sagt mir, wer ist denn das? Habe den Namen nie gehört.«
Gallenberg neigte sich zur schönen Kusine: »Komtesse, er verdient ihr Interesse gar nicht. Ein neuerer sehr häßlicher Musiker, der augenblicks in Wien von sich reden macht.«
»Oh, häßlich also ist er?« wandte sich Giulietta fragend an ihre Kusinen, »das interessiert mich aber. Wo kann man den Mann sehen?«
»Häßlich?!« riefen Theresa und Josephine jetzt wie aus einem Munde. »Nein – interessant ist er!«
»Die Häßlichkeit würde ich ihm gerne verzeihen,« sagte die alte Gräfin, »aber er ist anmaßend, arrogant, fast brutal und gewöhnlich. Ich finde ihn abstoßend. Er nennt sich ›van‹, ist er denn von Adel?«
»Er ist von Adel,« erklärte aufs entschiedenste Theresa, »ganz gewiß durch sein Genie.«
»Die Frau Gräfin hat recht,« zeterte jetzt Gallenberg, der etwas nervös geworden war, »er ist anmaßend, brutal, gewöhnlich. Das ›van‹ ist kein Adel.«
»Gallenberg!« sagte Giulietta leise und etwas irritiert, »unterdrücken Sie Ihre Beredsamkeit!« Eine verächtliche Handbewegung der ungnädigen Schönen, und er sank sofort seufzend auf seinem Stuhl zusammen.
»Wo habt ihr diesen – – Beethoven kennengelernt?« wollte Giulietta wissen.
Und nun ging es an ein lebhaftes Erzählen der Eindrücke vom letzten Freitagskonzert bei Lichnowsky, wobei Theresa und Josephine einander an begeisterten Schilderungen überboten.
»Ach schade, Giulietta, daß du nicht dabei warst! Wenn du ihn gesehen hättest, wenn er am Klavier spielt und phantasiert – das vergißt man nicht mehr!« Josephine begann zu schwärmen: »Was dann auf seinem Gesicht vorgeht, ist gar nicht zu beschreiben. Es ist wie ein prachtvolles Gewitter, ganz wie seine Musik; aber auch zum Fürchten. Ich habe förmlich Angst vor ihm! Ich glaube, er kann recht zornig und böse sein.«
»Nein,« entgegnete Theresa, »er ist herzensgut, ich weiß es. Das sagt schon sein idealer Blick!«
»Er hat dich auch lange genug angeschaut«, bemerkte Josephine, der Racker, und lachte dazu.
»Oh, im Gegenteil,« protestierte Theresa errötend, »ich habe immer nur bemerkt, daß er dich angeschaut hat, Josephine!«
»Nun, dann hat er halt uns alle zwei angeschaut«, gab Josephine zu.
»Shocking«, sagte die alte Gräfin und erhob sich. Die Jugend blieb allein im Zimmer.
»Ich möchte aber wissen, warum er euch nicht hätt' anschauen sollen,« wunderte sich Giulietta, »das ist doch ganz natürlich; ich wenigstens täte mich furchtbar ärgern, wenn er mich nicht anschauen würde!«
Gallenberg räusperte sich. »Hm!«
»Aber die Theresa hat er länger angeschaut als mich«, eiferte Josephine.
»Du beobachtest viel zu viel, Pepi!«
»Ihr habt ja auch geredet miteinander; darf man wissen, was?«
»Oh, das weiß ich selber nimmer!«
»Und was hat denn er gesagt?«
»Er? Ich glaube, er hat überhaupt nichts geredet. Er ist sehr wortkarg. Er war nur sehr ärgerlich über Haydn. Die Gräfin Thun hat's ihm ausreden wollen und hat's erst recht verdorben. Es war auch zu dumm!«
»So, was hat sie denn gesagt?« forschte Giulietta.
»Nun ungefähr, daß man seine Musik nicht versteht.«
»Da hat sie recht gehabt«, ließ sich Gallenberg wieder hören. Aber die energische Giulietta schnitt ihm ungeduldig das Wort ab:
»Gallenberg, schweigen Sie, wenn Sie reden wollen!«
»Gut, dann rede ich, wenn ich schweigen will!«
Die Hochblonde würdigte ihn überhaupt keiner Antwort mehr. »Aber sagt mir: ist er wirklich so häßlich? Wie sieht er denn eigentlich aus?«
»Von häßlich keine Spur. Eher schön, nicht wahr, Josephine?«
»Na ja – die Nase etwas verunglückt ...«
Dagegen Theresa: »Kann ich nicht finden. Ich könnte mir eine andere Nase in diesem Löwengesicht gar nicht denken – – Sie erinnert vielleicht etwas an Michelangelo – ich glaube, da liegt irgendeine Ähnlichkeit. Und die Stirn, diese gewaltige offene Stirn!«
»Du hast ihn dir aber gut angeschaut, Theresa.«
»Oh, gar nicht. Eigentlich weiß ich gar nicht mehr, wie er aussieht. Ich habe nur so eine ungefähre Idee.«
»Groß, schlank?« fragte Giulietta.
»Klein, derb!« konnte sich Gallenberg nicht enthalten einzuwerfen.
Theresa mußte sich besinnen: »Klein? Bestimmt nicht. Imponierend. Riesenmäßig!«
»Wie interessant!« kam es von den Lippen Giuliettas. »Elegant, gut gekleidet?«
»Salopp, plebejisch, wie seine Manieren«, fuhr Gallenberg heraus.
Giulietta stampfte zornig mit dem Fuß: Gallenberg –!«
Und Josephine: »Er ist freilich in allen Stücken anders wie Sie, Graf!«
»Gott sei Dank!« rief Giulietta, »ich will es hoffen. Ihr macht mich furchtbar neugierig!«
Und Theresa ergänzte: »Er ist eben in allem bedeutend, originell und neuartig, ungewöhnlich. Ganz wie seine Musik. Drum hat er Gegner und Feinde.«
»Aber auch Freunde!« betonte Josephine.
»Ein Bär!« piepste der etwas verlebte Jüngling.
»Besser ein Bär als ein Stutzer«, gab Giulietta zurück. »Schade, daß ich ihn nicht kenne.«
Das eigensinnige Köpfchen, von der Prachtfülle des rotblonden Haares umwellt, warf sich zurück, eine verwegene Idee blitzte in dem pikanten Gesicht auf, darin allerhand Teufeleien ihr verführerisches Wesen trieben. Giulietta fühlte sich jederzeit zu verwegenen Schelmenstreichen aufgelegt; sie spielte gern mit dem Feuer und wußte ihre Koketterie in vollendete Unschuld zu kleiden. Nur einen Augenblick lang tauchte der lose Schalksgeist in dem Antlitz der reizenden jungen Hexe auf. Dann bezwang sie sich auch schon zu einer gut geheuchelten Unbefangenheit.
»Ach!« seufzte sie, »ich sollte auch eigentlich etwas tun für mein arg vernachlässigtes Klavierspiel. Es ist doch jammerschade darum!«
Gallenberg ergriff lebhaft die kostbare Gelegenheit: »Gräfin, bei Ihrem bewundernswerten Talent – ich würde mich glücklich schätzen, wenn ich Ihnen dabei nützlich sein könnte – – –«
Giulietta lachte spöttisch und warf sich in den Sessel weit zurück, indem sie ihn durch die gesenkten Wimpern ziemlich hochmütig anblickte. Geringschätzung lag in ihrer Gebärde und in ihren Worten: »Sie wollen mir Unterricht geben, hahaha! Es klingt wirklich komisch. Ich fürchte außerdem, daß ich bei Ihnen gar nichts lernen würde – – Warum? Weil ich mir von Ihnen gar nichts sagen ließe und stolz auf meine alten Fehler wäre, nur um Sie zu ärgern.«
Der Gehänselte war jetzt gekränkt und schwieg. Das blasse faltige Gesicht nahm den Ausdruck eines ungezogenen, trotzenden Knäbleins an. Es rührte die Grausame nicht im mindesten; sie freute sich vielmehr, daß sie seine Eitelkeit verwundet hatte.
»Nein,« sagte Giulietta, »ich habe eine andere Idee. Wie wäre es, meine Geliebten, wenn ihr mich mitnehmen würdet zu Beethoven. Wenn wir zu dritt kommen und ihm recht schön tun, dann kann er nicht nein sagen. Und wenn es ihm zuviel ist, dann kann er ja wählen: eine von uns dreien!«
Jetzt war die Überraschung und Betretenheit auf Seite der Schwestern.
»Ja – wenn du glaubst«, sagte etwas gedehnt Josephine.
Und nach einer Pause Theresa:
»Übrigens: warum auch nicht? Wenn er uns nur nicht alle wegschickt.«
Giulietta lachte spitzbübisch auf: »Nun, nun, ich will euch nicht eifersüchtig machen.«
»O durchaus nicht«, sagten die beiden Schwestern etwas verlegen; »es steht ja jedem frei, ihn zu bitten – – wir haben nicht mehr Recht auf ihn als jede andere – –«
»Nein, nein, es war nur so eine Laune«, sagte Giulietta, die sich an der Verwirrung aller drei weidete. »Es ist besser, ihr geht allein. Ich habe mir's schon wieder anders überlegt!«
Der Graf hatte sich erhoben, um sich förmlich zu verabschieden. Zu Giulietta gewendet, sagte er: »Gräfin, wenn Sie den Rivalen vorziehen, dann werde ich ihn zum Duell herausfordern.«
Ganz bestürzt und erschrocken suchten die Schwestern den Grafen umzustimmen: »Wie, Sie wollen ihm ein Leid antun? Ja, warum denn eigentlich? Was hat er Ihnen denn getan? Weshalb wollen Sie ihn denn fordern?«
»Ich werde ihn fordern!« betonte der junge Graf und stellte sich in Positur. »Ich oder er!«
»Ach Sie!« sagte Giulietta wegwerfend. »Sie sind viel zu schwach, einen Säbel zu führen!«
»Ich sprach nicht von Säbeln, auch nicht von Pistolen«, erwiderte der Graf mit düsterer Entschlossenheit; »ich werde ihn zu einem Klavierwettkampf herausfordern und ihn besiegen. Und der Sieger wird Ihr Meister werden! Gilt es?«
»Es gilt!« rief Giulietta übermütig. »Ich schlage ein in die Wette und bin selbst der Kampfpreis!« Und sie schlug in die Hand ein, die ihr der Anbeter hinreichte.
»Ach so!« atmeten die Schwestern erleichtert auf, »wenn's das ist, dann ist uns nicht mehr bange!«
»Auf Wiedersehen also beim Grafen Fries!« Eine Verbeugung, und der Graf ging.
Der Graf gehörte zur Partei der Mozartianer, die sich gegen das Spiel der Neuerer verschworen hatten. Die Gegensätze unter den Virtuosen wurden durch Klavierwettkämpfe ausgetragen, das gehörte zur musikalischen Mode der Zeit. Das Palais des Grafen Fries war der Schauplatz, wo solche Kämpfe der Klaviermatadoren mit besonderer Vorliebe veranstaltet wurden und immer von einem großen Kreis von Kunstfreunden besucht waren.
Kaum war Gallenberg fort, kam Franz Graf von Brunszvik heim, der Bruder Theresas und Josephinens. Der stattliche Kavalier mit offenen sympathischen Gesichtszügen, in der kleidsamen ungarischen Attila prächtig anzusehen, war als guter Cellospieler in seinen Kreisen berühmt; er gehörte zu den stillen Verehrern des Meisters, ohne ihm noch persönlich näher getreten zu sein, und freute sich über die Absicht der Schwestern, bei dem Künstler Unterricht zu nehmen. Das Widerstreben der Mama, die wieder erschienen war, war bald besiegt; daß auch der Sohn dafür war, der alles bei ihr galt, hatte wenigstens ihren lauten Protest verstummen gemacht. Innerlich war sie nicht überzeugt, sie war zu adelsstolz, um an dem Gehaben des Meisters Gefallen zu finden; da sie nun Grund hatte zu zweifeln, ob das »van« wirklich Adelsprädikat war, wie viele stillschweigend annahmen, war sie erst recht in ihrem Widerwillen bestärkt.