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»Er mag ja ein guter Künstler sein, das will ich nicht leugnen,« meinte sie, »aber er ist nicht ebenbürtig, und weil er so tut, ist er mir doppelt unangenehm.«
Als nun die Jugend um sie her hell auflachte, fügte sie seufzend hinzu: »Ich bin eine alte Frau und kann mich in den verkehrten Zeitgeist durchaus nicht finden; ich fürchte, die Welt steht nicht mehr lang, wenn es so fortgeht«, was neues Gelächter auslöste.
Natürlich wurde dem Bruder Franz brühwarm die Geschichte mit der beabsichtigten Herausforderung Beethovens durch Gallenberg zu einem Klavierwettkampf erzählt.
Franz meinte, Gallenberg sei ein nicht zu unterschätzender Virtuose, der Beethoven vielleicht an Präzision in der Wiedergabe gedruckter Noten überträfe, während der Meister eben Musik mache und durch das wundervolle Legato, den beseelten Ton, der seine besondere Stärke ist, alles Dagewesene überträfe. Aber das wichtigste bei solchem Klavierwettspiel sei eben das freie Phantasieren, und darin habe Beethoven überhaupt noch nicht seinesgleichen gefunden.
»Also mit dem neuen Löwenritter anzubandeln, der auf allen Turnierplätzen seine Gegner ausgestochen und zusammengedroschen, ist eine gewagte Sache«, fuhr Franz fort und gab das köstliche Stückchen mit dem Abbé Gelinek, einem der berühmtesten Klaviervirtuosen Wiens, zum Beweis, der auch einmal gemeint hatte, den »Neuling« Beethoven »zusammenhauen« zu können und am anderen Tage, als er befragt wurde, wie die Sache abgelaufen, trübselig zugab: »Der Kerl hat den Satan im Leib; so spielen hab ich noch nicht gehört – es ist einfach nicht aufzukommen dagegen!«
»So ist es bisher allen gegangen mit ihm«, schloß Franz; »nun, ich wünsche Gallenberg, daß er nicht mit einer tüchtigen Schlappe abzieht.«
Die schöne Kusine hatte währenddessen mit eigentümlichem Lächeln zur Decke geblickt, sie schien in Träumereien verloren, ihre Gedanken gingen geheime, ungewöhnliche, vielleicht gefährliche Wege, und sie wußte wohl, daß sie diesen Gedanken auf solchen Wegen nachziehen werde.
Nur auf die letzte Bemerkung Franz von Brunszviks gab sie ein Echo, indem sie, obschon halb im Selbstgespräch, plötzlich sagte:
»Nun, mir kann es ja recht sein!«
»Ist dir nichts aufgefallen an der Guicciardi«, fragte Josephine, als Giulietta fort war.
»Daß sie ihren Bräutigam schlecht behandelt«, erwiderte Theresa.
»Nein,« entrüstete sich Josephine, »daß sie neidisch und eifersüchtig ist auf uns!«
»Auf uns?!«
»Ja, auf uns! Beethoven wegen!«
»Aber Pepi!«
»Das laß ich mir nicht nehmen! Gefallsüchtig ist sie! Mannstoll! Die ist zu allem fähig! Du wirst sehen, mit der werden wir noch was erleben!«
»Du träumst, Pepi! Ein guter Kerl ist sie. Sie mag halt den faden Gallenberg nicht, das kann ich verstehen.«
»Nein, Theresa, das ist es nicht! Den möcht' ich auch nicht. Aber siehst du nicht, daß sie nach allem lüstern ist, was sie nicht hat? Auf Abenteuer ist sie erpicht; hast du das nicht bemerkt?«
»Ach, Kindereien!«
Theresa war an den Flügel herangetreten und blätterte in den Noten. Der lange Faltenwurf des blauen Gewandes, in der Mitte von einem breiten Silbergürtel umschlossen, ließ sie größer erscheinen, als sie war, und verhüllte den etwas verwachsenen Rücken, die Folge eines Sturzes vom Pferde, den sie als Kind erlitten, so vollkommen, daß nichts davon zu merken war. So bildete die Gestalt in dem weichen Spiel des Gewandes eine klingende Linie voll unbewußten Adels vom Fuß bis zum stolzen Nacken unter der dunklen Haarkrone. Die sanfte Schönheit der großen Gesichtszüge war trotz der heiteren Stirn von leiser Schwermut gehoben, die sinnend über den kühn zusammenschließenden Augenbrauen thronte. Melancholisch, fast schmerzlich war der Mund, der Schweigen verhieß und doch beredt war und nur das eine unausgesprochene Wort zu verraten schien: Entsagen. Man konnte sie nicht ansehen, ohne von Teilnahme und Rührung ergriffen zu sein.
Anders war Josephine. Beweglicher, lebensfroher, temperamentvoller. Sie konnte nicht leicht hinterm Berg halten, wenn sie etwas auf dem Herzen hatte. Sie war ganz Gefühl und sehr entschieden in ihren Zu- und Abneigungen. Auf die Guicciardi hatte sie nun einmal einen Pik. Ganz aufgeregt war sie mit einem Male.
»Falsch ist sie, sage ich dir! Oh, die ist falsch! Wir nehmen sie nicht mit, hörst du? Sie führt etwas im Schild, was sie natürlich nicht sagt. Oh, ich traue ihr nicht. Nimm dich nur in acht vor ihr. Sie ist gefährlich. Weißt du was?«
Sie trat nahe an Theresa heran, und im Ton eines großen Geheimnisses:
»Verliebt ist sie!«
»So,« sagte Theresa ziemlich gleichmütig, »verliebt ist sie? Etwa in Gallenberg?«
»Ach was, du bist aber fischblütig, Theresa, merkst du denn gar nichts?!« Ganz ärgerlich konnte Josephine über die allzu kühle Schwester werden. »Natürlich nicht in Gallenberg, den sie erbarmungslos zappeln läßt wie eine Fliege, die sich in einem Spinnennetz verfangen hat.«
»In wen denn sonst? Etwa in Franz?«
»Ganz gefehlt!« Und nun leise, ganz geheimnisvoll: »In Beethoven!« Jetzt mußte Theresa wirklich lachen.
»Ich glaube, du siehst Gespenster, Pepi! Den kennt sie ja gar nicht!«
»Nun eben drum!«
»Das verstehe ich nicht.«
»Ach!« Ganz ungeduldig konnte Josephine werden. »Sie hat uns ausgefragt und sich ein Bild gemacht. Aber das allein ist es natürlich nicht. Die Wahrheit ist die: sie vergönnt uns ihn nicht!«
»Uns?!« Nein, die Pepi war wirklich drollig. Theresa traute ihren Ohren nicht. Und sie betonte nochmals: »Uns?! Ja, was geht er uns an? Wir kennen ihn doch selber kaum! Mir scheint, Pepi, du bist mehr eifersüchtig auf die Guicciardi, als sie auf uns, wenn sie es überhaupt ist!«
»Geh, du verstellst dich nur! Das ist nicht schön von dir, Theresa! Aber jetzt sag' ich dir auch nichts mehr!« Josephine konnte es nicht fassen: »Entweder bist du wirklich so ahnungslos, oder – – –«
Theresa streifte die Schwester mit einem raschen fragenden Blick, als wollte sie sagen: hat die wirklich auch Feuer gefangen – Liebe auf den ersten Blick? Sie schüttelte den Argwohn alsogleich ab und lächelte schon wieder:
»Kinder seid ihr, alle zwei! Närrische Kinder.«
»Kindische Narren, alle drei!« erwiderte Josephine und lachte.
Theresa hatte sich ans Klavier gesetzt und sang mit wohlklingender Stimme eine der beliebten Mode-Arien:
»Mich heute noch von dir zu trennen
Und dieses nicht verhindern können,
Ist zu empfindlich für mein Herz!«
IV. Kapitel.
Schon von frühem Morgen an war der Meister mit wahrem Bienenfleiß tätig; der Vormittag brachte allerlei Besuche, das Vorzimmer war von Menschen angefüllt, sechs bis acht Personen, die geduldig warteten, bis sie der alte Diener in das Allerheiligste vorließ, nachdem sie angemeldet waren: Orchesterdirektoren, der Mozartschüler Süßmayer, Schuppanzigh; mancher mußte unverrichteter Dinge wieder abziehen, wenn der Meister nicht bei Laune war.
Nur der alte Krumpholz, Violinist im alten Hoftheater, hatte jederzeit Zutritt. Er hatte ein feines, richtiges Gefühl für Tonkunst, ein untrügliches Gehör; in der Lehrzeit bei Haydn war er der eigentliche heimliche Berater, dem Beethoven, der sonst sehr zurückhaltend war mit seinen neuen Schöpfungen, alles vorspielte und jede Idee mitteilte. Ihm war der Meister von Herzen zugetan als seinem musikalischen Intimus; wogegen er erklärte, daß er von Haydn eigentlich nichts lernen konnte, und daher den Wunsch Haydns, er möge auf seine durch Lichnowskys Vermittlung bei Artaria erschienenen Trios unter seinem Namen die Bemerkung »Schüler Haydns« setzen, rundweg ablehnte. Das war zugleich auch die Antwort auf den bekannten Vorbehalt des Altmeisters gegen das dritte Trio.
Krumpholz, sein Narr, wie ihn der Meister wegen seiner Verzückung und Anhänglichkeit nannte, war mit dem Musiker und Sänger Czerny erschienen, der seinen begabten Sohn Karl mitgebracht hatte; der Meister sollte diesen in die Lehre nehmen.
Als sie in das Zimmer eintraten, kam ihnen Beethoven entgegen, in langhaariges, dunkelgraues Zeug gehüllt, so daß der junge Karl Czerny glaubte, Robinson Crusoe vor sich zu sehen, der eben seine Knabenlektüre bildete und seine Phantasie mächtig anregte. Wattebauschen steckten in seinen Ohren, der Meister klagte über Sausen im Ohr, dann über Koliken, die ihm zusetzten. Die Kompositionen zu seiner ersten öffentlichen Akademie seien knapp vor der Aufführung fertig geworden, während er unter heftigen Leibschmerzen, seinem alten Übel, litt; ein Arzt habe ihm Landaufenthalt verschrieben, ein anderer Pillen; dieser kalte Bäder, jener lauwarme.
Nach den Klagen über die verschiedenen Miseren führte der Meister seine Besucher ans Klavier heran und bedeutete dem Vater Czerny, indem er ihm ein Manuskript reichte: »Ich hab's kürzlich niedergeschrieben – eben jetzt brennt ein lustiges Feuer im Ofen, sehen Sie, und da soll es hinein.«
»Nun wir wollen einmal sehen«, sagte Krumpholz, der Narr, und las mit dem alten Czerny das Blatt durch und las es immer wieder.
»Du gütiger Gott!« jammerte der Narr, »in den Ofen! Welche Sünde!«
»Ich will's mal probieren,« meinte Czerny, »wenn es der Meister hören will.«
»Nun, so probiert es, wenn Ihr wollt«, war die Antwort.
Der Sänger begann, und Beethoven, eben noch finster und unruhig, wurde ernst; als das Lied zu Ende war und Czerny mit Krumpholz vor Begeisterung überfloß, sagte er ganz heiter:
»Nein, nein, lieber Alter; die Adelaide werden wir schon nicht verbrennen!«
Der junge Czerny hatte unterdessen Zeit, sich in dem Zimmer umzusehen. Es kam ihm recht wüst und zyklopenhaft vor. Ein wunderliches Durcheinander von Büchern, Musikalien und Briefen in allen Ecken und Enden, auf dem Klavier, am Fußboden und in den Winkeln. In einer Zimmerecke war ein kleiner häßlicher, rothaariger Mensch beschäftigt, in das Chaos Ordnung zu bringen; kostbare Originalmanuskripte, flüchtige musikalische Notizen, die Niederschriften unsterblicher Gedanken, gedruckte Noten, Korrekturbogen, die der Erledigung harrten, lagen wirr durcheinander und waren nun halbwegs gesichtet; aber der Meister, der ein bestimmtes Manuskript suchte, warf wieder alles kunterbunt durcheinander, darüber der kleine rote Kerl in unbändige Wut geriet und schrie, daß alles vergebliche Arbeit sei, und daß er sich einen anderen suchen möge, der ihm den Narren abgebe. Der Meister wieder beschuldigte den Famulus, daß er alles Wichtige und Kostbare verräume, so daß sich überhaupt kein Mensch mehr auskenne, und daß die scheinbare Unordnung nur eine Art höhere Ordnung sei, die Karl eben durch seinen blinden Eifer gestört habe. Es gab heftige Worte auf beiden Seiten mit dem Resultat, daß der Rothaarige davonlief.
Aus dem Zusammenhang der Debatte und den aufklärenden Äußerungen des Meisters ging hervor, daß dieser Karl sein Bruder sei, Musiker und nun auch Beamter in der Staatsschuldenkassa; er habe ihn, ebenso wie den Bruder Johann, der in einer Apotheke untergekommen sei, nach Wien kommen lassen, um besser für beide sorgen zu können, nachdem er, der Meister, als der Älteste, schon in Bonn gleichsam die Vaterstelle an ihnen vertreten und für die Ausbildung und Erziehung sich bemüht habe. Aber es sei ein rechtes Kreuz mit den Brüdern. Er habe gehofft, dankbare Hilfe an ihnen zu finden, er brauche eben jemand zur Erledigung der Korrespondenz und der geschäftlichen Angelegenheiten, für die ihm weder Zeit noch Geduld bliebe, so wichtig sie auch sind; zuerst habe ihm Johann Sekretärsdienste geleistet, aber mit ihm ging's gar nicht, und jetzt sei Karl eingesprungen, dieser nervöse, aufgeregte Mensch, mit dem auf die Dauer ebensowenig auszukommen sei. Er müsse doch wieder selbst auf alle Dinge sehen, sonst ginge alles schief; das eine oder andere verschwindet, man wisse gar nicht wie – kurzum nichts als Ärger!
»Das hat man von den lieben Brüdern! Eigentlich kann ich keinem vertrauen.« Mit diesem bitteren Wort schloß der Meister seine Klage. »Und ich brauche doch jemanden; der Alltag zerstört mich!«
Der Meister, im übrigen wohl befriedigt von dem guten Eindruck, den »Adelaide« auf die begeisterten Zuhörer machte, war gnädig gestimmt und nahm den jungen Czerny als Schüler auf, obwohl er hinzufügte, daß der Unterricht für ihn eine harte Fron sei. »Was hat sich doch die gute Hofrätin Breuning in Bonn für redliche Mühe gegeben, mich in der Jugend bei der Stange zu halten,« äußerte er erinnerungsselig, »wenn ich beim Grafen Westphal, wo ich Stunden zu geben hatte, vor der Haustür wieder umkehrte, weil es eben manchmal beim besten Willen nicht ging. Aber sie beobachtete mich vom Fenster aus, und dann gab's immer eine Strafpredigt. Wenn aber manchmal gar nichts half, dann pflegte sie zu sagen: er hat eben heute wieder seinen Raptus! Das ist mir aus der Jugend geblieben, der Raptus; damit man es nur weiß, wenn ich ab und zu meinen Schüler unverrichteter Dinge wegschicken muß. Nun setz dich her, mein Junge!«
Der Knabe spielte etwas vor aus Mozarts großem D-Dur-Konzert; der Meister rückte näher, spielte mit der linken Hand bei den akkompagnierenden Passagen die Orchestermelodie mit und äußerte sich wohl zufrieden.
»Der Knabe hat Talent, schicken Sie ihn wöchentlich einigemal zu mir.«
Krumpholz, sein Narr, war entzückt über den Ausspruch: drei Beglückte verließen das Haus.
Nachmittags kam Bruder Karl wieder zurück, etwas kleinlaut. Aber es war schon Ferdinand Ries da und hatte sich, wie sooft schon, über den Haufen hergemacht, um halbwegs Ordnung zu schaffen, eine reine Sisyphusarbeit, denn alsbald war ja doch alles wieder durcheinandergeworfen. Meister Ludwig schickte den Bruder weg.
»Laß das; das macht jetzt schon ein anderer!«
Wieder ging Karl wütend davon.
»Du kommst schon wieder,« rief er unter der Tür, »wenn du mich brauchst, aber dann kannst lange warten, bis ich nochmals einen Narren abgebe.« Und schlug die Tür krachend hinter sich zu.
»Der betrügt mich doch nur, wie mich Johann betrogen hat«, äußerte der Meister mit schlimmem Verdacht; »nie mehr über meine Schwelle!« Er rang förmlich die Hände: »Ach wohin wird das noch führen, wenn man sich nicht einmal auf die eigenen Brüder verlassen darf!«
Der Meister tat sich wirklich schwer mit dem Alltag.
Einige Tage später war Bruder Karl wieder da. Ganz verändert; grinsend freundlich, schmeichlerisch.
»Lieber Ludwig, wie geht's dir? Ich hab's gar nicht mehr ausgehalten vor Sehnsucht, dich zu sehen!«
Gerührt über soviel Liebe, schloß Ludwig seinen Bruder in die Arme.
»Herzensbruder, daß du nur wieder da bist! Du siehst ganz schlecht aus; fehlt dir etwas?«
»Ach Ludwig, ich wollte dir eigentlich gar nichts sagen, um dir das Herz nicht unnötig schwer zu machen – aber, aufrichtig gestanden, freilich fehlt mir etwas: du weißt, der kleine Gehalt, und bis zum Monatsende ist weit; ich getraue mich gar nicht zu fragen: könntest du mir mit einer Kleinigkeit aushelfen?«
»Aber natürlich, Herzensbruder! Ich bin zwar gerade auch nicht bei Kasse, und siehe, der Hauswirt hat einen Zettel heraufgeschickt wegen der schuldigen Miete; die 600 Gulden Jahresrente, die mir Fürst Lichnowsky ausgeworfen, erlauben auch keine allzu großen Sprünge – aber das tut alles nichts; abends kommt Freund Amenda, da wollen wir sehen, was sich vorläufig tun läßt.«
Karl war schlau; er wußte, wie er den Bruder zu nehmen hatte, der dankbar war für ein bißchen Liebe, wenn es auch nur eine sehr interessierte Liebe war; er nahm sie für echt.
»Aber dem Johann geht's doch gut in seiner Apotheke; hat dir der nicht beispringen können?« fragte der Meister.
»Lieber Ludwig,« beteuerte Karl, »du weißt doch, was Johann für ein selbstsüchtiger, aufgeblasener Mensch ist. Dem um etwas zu kommen, da ist man schon beim Rechten!« Und nun legte er los und schimpfte in einem Atem über den abwesenden Bruder. Er wußte, daß auch Ludwig auf ihn nicht gut zu sprechen war, und redete dem Meister zu Gefallen.
»Ja, ja,« sagte Ludwig, »ich kenne ihn; und in einigem hast du recht. Ein undankbares Geschöpf ist er, und das kränkt mich!«
»Und gegen dich hat er es scharf,« schürte Karl, »daß du nichts Rechtes bist und auch nichts Rechtes werden wirst: er beurteilt eben alles vom Geldstandpunkt; wer nichts hat, der gilt ihm nichts!«
Das brachte Ludwig erst recht gegen Johann auf: »So, also das ist seine Meinung! Der Elende, der alles, was er ist, mir zu verdanken hat! Seine Stellung, sein Einkommen, alles, was er ist und hat! Oh, dieser Mißratene! Sei nur guten Muts, Karl, du brauchst dich nicht erniedrigen vor ihm, ich werde für dich sorgen, wie ich früher gesorgt habe für euch beide!«
Der Familiensinn und das Pflichtgefühl, ein großväterliches Erbe, waren stark in dem Meister, und Karl verstand es vortrefflich, diese Tugenden für sich auszubeuten.
Abends kam wirklich der junge kurländische Theologe Amenda, der in Wien einige Studienjahre verbrachte und im Hause des Fürsten Lobkowitz Vorleser war. Dort hatte ihn der Meister kennengelernt und sofort eine warme Freundschaft zu ihm gefaßt. Amenda begleitete ihn oft auf Spaziergängen, verbrachte halbe Nächte in seinem Quartier, wo gemeinschaftlich musiziert wurde, denn Amenda war auch ein guter Violin- und Cellospieler; nebstbei war er Lehrer bei Mozarts Kindern, nachdem die Witwe Mozarts wieder geheiratet hatte und sich in guten Verhältnissen befand.
Fast sprichwörtlich war die Unzertrennlichkeit der beiden Freunde geworden, daß man rief: »Wo ist der andere?«, sobald man den einen sah.
In dem freundschaftlichen Beisammensein des Abends wurde fleißig musiziert, und der Meister phantasierte wundervoll auf dem Klavier.
Schließlich sagte Amenda: »Jammerschade, daß solche herrliche Musik mit dem Augenblick verschwindet, in dem sie geboren.«
»Du irrst«, sagte Meister Ludwig und wiederholte die extemporierte Phantasie ohne jede Abweichung.
Im Vorzimmer wurde heftiger Wortwechsel hörbar, der Diener wollte einen robusten Mann abweisen, der indessen den Alten beiseite schob und mit kurzem Anklopfen ungestüm hereintrat: »Mein Geld muß ich haben, sonst haben Sie morgen die Kündigung.«
Der Hausherr.
Ach, daß diese gemeine Prosa den hochbeschwingten Augenblick stören muß!
»Geld, Geld! Das ist leicht gesagt! Woher nehmen, wenn man's just nicht hat!«
»Nun, das wird doch nicht schwer sein«, meinte Amenda, der sich ins Mittel legte, um einen unliebsamen Auftritt zu verhüten. Denn der Meister wollte Grobheit mit Grobheit erwidern und den ungebärdigen Mahner vor die Tür setzen. Amenda hieß den Mann, im Vorzimmer zu warten oder in einer Viertelstunde wiederzukommen.
»Nun?!« wandte sich Meister Ludwig fragend und erwartungsvoll an Amenda.
»Nichts leichter als das«, erwiderte dieser kaltblütig. »Ich gebe dir ein Thema auf: Freudvoll und leidvoll. Du hast eine Viertelstunde Zeit zur Variation.«
Der Meister begriff nicht, was Amenda wollte, aber er ahnte einen dunklen Sinn und fügte sich.
Als die Zeit um war, gab er ihm mürrisch das Blatt: »Da ist der Wisch!« So begann die Bekanntschaft mit Goethes Dichtung.
Amenda ließ den Wirt wiederkommen und gab ihm das Blatt mit der Anweisung, sich das Geld bei den Verlegern Beethovens Steiner und Haslinger, den »Paternostergäßlern«, einzukassieren.
Etwas mißtrauisch nahm der Hauswirt diesen sonderbaren Schein in Empfang; es war kurz nach sieben Uhr, wenn er sich beeilte, so konnte er den einen oder anderen Chef der Verlagsfirma noch antreffen.
Es dauerte gar nicht lange, so kam der Mann hocherfreut zurück und entschuldigte sich wegen seines vorigen allzu aufdringlichen Benehmens; dabei tat er die Frage, ob er noch mehr solcher »Zettel« haben könne.
Dem Bruder Karl glänzten gierig die Augen, als er eine solche schnell funktionierende »Notenpresse« sah.
Ludwig erinnerte sich, daß ihn Karl angepumpt hatte; er ließ sich ein neues Thema aufgeben, und in einer weiteren halben Stunde hatte auch Karl seinen »Zettel«. »Das muß ich mir merken«, dachte er und empfahl sich eilends, in der Hoffnung, den Laden in der Paternostergasse noch offen zu finden.
Die Freunde waren allein.
Amenda machte eine betrübende Eröffnung.
»Habe ich dir schon gesagt,« begann er, »daß ich im Begriffe bin, Wien zu verlassen?«
»Nein, das darf nicht sein«, erwiderte der Meister erschrocken; »du kannst mich nicht allein zurücklassen in der großen fremden Stadt.«
»Ich habe eine Anstellung in der Heimat«, erwiderte der junge Theologe, der dem Meister merkwürdig ähnlich sah, besonders wenn er lachte. Ähnliche Züge, ähnliche Seelen – das mochte der geheime Grund der tiefen Sympathie und des Vertrauens sein, das der sonst so leicht mißtrauische Meister für Amenda empfand.
»Du bist nicht allein,« sagte der Theologe, »du hast viele Freunde, die größer und mächtiger sind als ich; was konnte ich armer Student denn dir sein, dem anerkannten, viel umworbenen Künstler, außer daß ich ein Empfangender war und dir dankbar bin dafür.«
»Ich habe viele Bekannte, aber keine Freunde außer dir und etwa Stephan Breuning, Leonorens Bruder, der seit einiger Zeit auch hier ist, wie du weißt, und mir Wegeler, den Bonner Jugendfreund, ersetzt, der nun schon wieder in Bonn ist und mich verlassen hat wie du jetzt, der Glückliche!« Der Gedanke an Leonore stahl sich durch sein Gemüt, als er den Namen Wegelers und Steffens genannt hatte; sie waren ja ein unzertrennliches Bonnsches Kleeblatt gewesen. Und ein noch tieferer Schatten von Trauer senkte sich über ihn. »Jetzt bin ich arm und verlassen!«
»Wieso, Freund?« tröstete ihn Amenda, »du sitzest mitten im Glück, verwöhnt von den Großen, ein Liebling der Frauen – ich wollte, ich wäre an deiner Stelle!«
»Ach, unter diesen elenden egoistischen Menschen,« greinte der unzufriedene Künstler, der leicht zur Misanthropie neigte, »da ist allenfalls der Fürst Lichnowsky, der mir noch der liebste ist; er hat sich wenigstens generös gezeigt. Aber was sie tun, das geschieht doch auch wieder aus Eigennutz, und da kennen sie keine Rücksicht; wenn einem schon das Blut aus den Fingern spritzt, da heißt es trotzdem noch immer spielen, spielen, spielen, und schließlich trotzen sie es einem durch Bitten und Schmeicheln ab. Sie kümmern sich gar nicht darum, daß Phantasieren heißt: die Seele bloßlegen, daß man sich oft dabei wund und elend am ganzen Körper fühlt; für sie ist es ein bloßer Genuß – oh, wie ich diesen Genießerstandpunkt in der Kunst hasse, – wie ich ihn verachte!« –
Und da er schon im Zuge war, so goß er gleich die ganze Schale seines Unmuts aus, gleichviel ob er im Recht war oder nicht.
»Und was die anderen betrifft, wie etwa den Zmeskall, so weißt du, daß er mir ebensowenig wie alle übrigen gefallen kann, sie sind und bleiben zu schwach zur Freundschaft. Ich betrachte sie als bloße Instrumente, auf denen ich spiele, wie's mir gefällt; ich taxiere sie nach dem, was sie mir leisten. Seit ich mein Vaterland verlassen habe, bist du einer, den mein Herz erwählt hat und mit dem ich wie mit meinen Jugendfreunden das Vergnügen des Umgangs und der uneigennützigen Freundschaft teilen kann. Und nun gehst auch du, aber das muß eben sein – es ist nun mein Los, und das heißt: allein sein!«
Amenda wunderte sich ein wenig über das harte Urteil, das der Meister über seine Wiener Freunde fällte; doch er wußte, daß er die Übertreibung liebe und daß ihm jene doch mehr waren als bloße »Instrumente«; es war eben Seelenbekümmernis über das Scheiden des Freundes, die aus ihm sprach: sein Gemüt war verfinstert. Ihn auf freundlichere Gedanken zu lenken, brachte Amenda das Gespräch nochmals auf die Frauen; Wegeler wollte wissen, daß der Meister »immer in Liebesverhältnissen« war und mitunter Eroberungen machte, die manchem Adonis, wo nicht unmöglich, so doch sehr erschwert gewesen wären.
Er erinnerte ihn jetzt daran.
Der Meister lächelte wehmütig. »Du weißt, wie ich über diese Dinge denke: die längste Liebe hat nicht sieben Monate gedauert, und betrachtet man's genau, so war's nicht einmal eine Liebe. Die müßte kommen im Sturm, wie eine Katastrophe, die den ganzen Menschen um und um stürzt, das Innerste nach außen – aber ich fürchte, ich bin zu vernünftig dazu, vielleicht auch zu bedenklich und zu sehr an die eine Frau Kunst verschworen, als daß ich den Kopf an eine andere verlieren könnte. Es müßte denn sein, daß sie mich inspiriert und selbst so eine Art Muse wird – aber das gibt es wohl nicht!«