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Und so habe ich einen Schritt zur Seite gemacht und für eine Weile den Rückwärtsgang eingelegt. Anstelle des dauerhaften und weitgehend selbst gemachten Leistungsdrucks erlaubte ich mir wieder die Leichtigkeit des Anfängers, der Fehler machen durfte. Das gab mir die Freiheit, eine der schöpferischsten Phasen meines Lebens in Angriff zu nehmen. Und so beschloss ich, alle Kompetenzen zu erwerben, die man als Trainer braucht. Ich habe mich fortgebildet und mir einen völlig neuen Bereich in den Medien erschlossen. All das wäre gewiss nicht passiert, wenn meine Stimme mich damals nicht für eine Weile im Stich gelassen hätte.
Kurz nach meinen Stimmproblemen kam der 11. September 2001. Keine persönliche Katastrophe für mich, und doch brannte sich der Tag als unglaubliches Entsetzen in meine Erinnerung ein. Selbst mit Abstand bleibt er für mich ein Trauma. Vor meinen Augen laufen noch jene Bilder ab, die Millionen von Menschen bis heute ängstigen. Doch 9/11 gab den Menschen auch die Chance, zu hinterfragen, was für sie wirklich wichtig ist. Viele sind in den Tagen nach den Anschlägen ihren Liebsten wieder näher gekommen. Viele haben sich darauf besonnen, was wirklich wichtig ist. Wir haben uns in den Armen gehalten und einander unsere weiche Seite gezeigt.
Hinter jeder Katastrophe verbergen sich große Chancen – wenn wir sie erkennen. Ob Kündigung, Krankheit, Scheidung, Unfälle, finanzielle Nöte. Die Schmerzen und das Gefühl, dass sich unter uns ein Abgrund öffnet, können zu einem achtsamen Umgang mit uns und den Mitmenschen führen und damit den Boden für Gelassenheit bereiten.

DAS LEBEN IST SCHÖN
Und dieses Leben ist schön.
Zum Verrücktwerden schön.
Nicht, dass es so wäre.
Doch ich sehe es so.
Bohumil Hrabal, tschechischer Schriftsteller, 1914-1997
ZEIT FÜR EIN NEUANFÄNGCHEN?
Manchmal sehnen wir uns nach einem Neuanfang – und finden gleichzeitig Hunderte von Gründen, eine Veränderung abzulehnen. Ja, klar – ich will schon entspannter sein, aber ändern möchte ich besser nichts. Natürlich will ich einen neuen Job, aber bitte nicht so anstrengend. Klar, das wäre eine Riesenchance, doch ich könnte mich blamieren … Wir suchen dann nach einer Vollkaskoversicherung, die es natürlich nicht geben kann.
Vielleicht gefällt dir ja die folgende Idee: Probier es doch mal mit einem halben Neuanfang. Sozusagen ein Neuanfängchen. Alles wird neu, aber nur ein bisschen. Geht nicht? Von wegen!
Inspiriert vom Dokumentarfilmer Morgan Spurlock, hat es Google-Mitarbeiter Matt Cutts ausprobiert. Seine Idee: Wenn dir echte Veränderung zu radikal ist, versuch es mit einer überschaubaren Zeit von 30 Tagen. Sein Motto war: Mach in der Zeit einfach alles, worauf du immer schon Lust hattest. Matt Cutts hat in diesen 30 Tagen all die Dinge verwirklicht, die er lange Zeit nur in seinem Herzen bewegt hat. Und weil er sein Projekt zeitlich befristet anging, konnte er sich ganz entspannt hineinfallen lassen. In einem Blog zu seinem Experiment schrieb er:
»Am Anfang habe ich mir das gar nicht zugetraut. Doch dann habe ich mit etwas Kleinem angefangen. Ich bin mit dem Fahrrad zur Arbeit gefahren. Es hat mich morgens schon viel näher zu mir selbst gebracht. Meine Ziele wurden dann immer größer. Irgendwann habe ich dann sogar einen Roman geschrieben. O.k., der war natürlich nicht gut – was kann man in 30 Tagen schon schaffen?! Doch zumindest kann ich mich nun Autor nennen und ich habe die Ruhe und den Frieden beim Schreiben kennengelernt. Ich habe von Tag zu Tag mehr Sachen gemacht, die ich bis dahin nie angegangen bin. Und jeden Tag habe ich mehr Selbstbewusstsein und Gelassenheit entwickelt. Bis dahin war ich nur die Person, die dieses und jenes gut konnte. Danach war ich für mich und meine Freunde mehr. Ich konnte mir und der Welt zeigen, dass neben den bekannten Schichten noch viel mehr in mir schlummert. Das hat mich wie zu meiner inneren Mitte geführt.«
Matt Cutts hat während dieser Zeit übrigens komplett auf News und Social Media verzichtet.
Zeichne doch einfach mal auf ein Blatt Papier, was du in deinen 30 Tagen Neuanfängchen so alles an verrückten Dingen anstellen und unbedingt erleben würdest. Und falls in deinem Kopf gleich wieder ein »ja, eigentlich schon – aber …« aufkommt, dann schreib es gleich daneben und streiche es mit einer anderen Farbe fett durch. Leg einfach los und zeichne. Je knalliger, desto besser.


HESSE FOREVER
Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf‘ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden…
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
Hermann Hesse
WIE PERSÖNLICHKEITSENTWICKLUNG FUNKTIONIERT
Echtes Lernen findet nur außerhalb unserer Komfortzone statt. Die Komfortzone ist der Ort, an dem wir uns so herrlich sicher fühlen und an dem wir alles »richtig« machen. Unsere Wünsche, Ziele, Chancen und Sehnsüchte liegen jedoch meist außerhalb dieser Komfortzone, auf der anderen Seite der Straße. Erst Widerstand und Fehlversuche machen Wachstum überhaupt möglich. Damit es uns so richtig gut geht, muss es uns ab und zu auch mal schlecht gehen dürfen.
Alle Veränderungsprozesse folgen mehr oder weniger einem Verlauf, der 1947 erstmalig von Kurt Tsadek Lewin, einem der einflussreichsten Pioniere der Psychologie, beschrieben worden ist. Diese Phasen der inneren Veränderung laufen ab, wenn wir uns Neuem zuwenden (müssen):

Phase 1: Vorahnung und Sorge: Irgendwas stimmt hier nicht?!
Ich komme immer wieder an persönliche Grenzen, drehe mich im Kreis. Möglicherweise bin ich verunsichert. Ich habe eine erste Vorahnung: Eigentlich sollte ich was ändern.

Phase 2: Schock – Schreck: Ich bin verwirrt …
Ich denke: Das kann nicht wahr sein. Was eigentlich bedeutet: Das soll nicht wahr sein. Ist es aber leider. Ich bin verunsichert, verwirrt oder erlebe eine gewisse Schreckstarre.

Phase 3: Verneinung – Verdrängung – Abwehr: Die Welt ist gemein zu mir …
Dem Schock folgt die Verdrängung. Oft gebe ich anderen die Schuld. Warum soll ausgerechnet ich mich ändern? Nein – das sollen besser mal die anderen tun. Ach was, die ganze Welt soll sich ändern. Je mehr Unsicherheit eine Veränderung mit sich zu bringen droht, umso stärker ist die Abwehr. Ich will die Situation irgendwie in den Griff bekommen und damit meine emotionale Stabilität wiederherstellen. Nicht selten versuche ich Hektik und Stress in dieser Phase künstlich zu erhalten, damit ich mich mit den wesentlichen Gedanken einer notwendigen Veränderung nicht beschäftigen muss.

Phase 4: Rationale Näherung / Frustration: Ja, aber …
Ich sehe die Notwendigkeit der Veränderung zwar faktisch ein, aber finde noch keine Lösung, die mich wirklich weiterbringt (»Früher war alles besser!«). Der Druck wird immer größer. Ich will, dass er aufhört, doch zaghafte Veränderungen an unbedeutenden Stellen bringen nicht den gewünschten Erfolg. Mir kommen Gedanken wie: »Veränderung ist wichtig, aber…« oder »Ich will ja schon ganz gerne was Neues machen, allerdings …«.
In dieser Phase bin ich noch nicht bereit, mich wirklich zu verändern. Ich orientiere mich nach wie vor an der Vergangenheit und will meine alten Rituale und Muster nicht loslassen. Anders gesagt: Ich versuche, mit alten Mustern eine neue Wirklichkeit zu formen. Das gelingt nur bedingt.

Phase 5: Emotionale Akzeptanz: Ob ich das Alte wohl loslassen kann …?
Diese Phase ist die schmerzlichste, gleichzeitig aber die wichtigste. Weil ich nun spüre, dass ich das Alte loslassen sollte, um frei zu sein für das Neue. Man nennt diese Phase auch das »Tal der Tränen«. Sie ist im Veränderungsprozess eine Art Reinigungsstufe oder Katharsis. Das Hirn säubert sich von alten Vorstellungen und Haltungen. Viele Menschen versuchen, genau diese Phase zu vermeiden, um Unsicherheit aus dem Weg zu gehen. Ohne diese fünfte Phase gibt es jedoch keine Veränderung. In Phase 5 löse ich ich mich über Schwellenemotionen wie Angst, Groll, Frust oder Trauer vom Vergangenen und wende mich dem Neuen zu. Drücke ich mich vor diesem notwendigen Schmerz, dauert die Veränderung unnötig lange.

Phase 6: Öffnung, Neugier, Ausprobieren: Da geht’s lang …
Hurra! Die Neugier erwacht. Ich klammere mich nicht mehr an Vergangenes und werde im Kopf frei für neue Lösungsansätze. Ich lerne wie ein Kleinkind bei den ersten Schritten: Ich stolpere noch etwas unsicher voran, doch dann geht es immer besser. Ich beginne, Neues auszuprobieren. Dabei mache ich natürlich Fehler. Daraus lerne ich. Denn genau diese Fehler helfen mir, eine geeignete Strategie für mein weiteres Leben zu entwickeln.

Phase 7: Integration, Selbstvertrauen: Ja, so geht es!
Ich empfinde Enthusiasmus und erlebe eine Phase des absoluten Hochgefühls. Der Weg ist frei für das Neue. Diese Phase kann durchaus euphorisch ausfallen. Das Tal ist durchschritten, ich habe etwas gelernt. Ich übernehme neue Verhaltensweisen in mein Handlungsrepertoire. Ich empfinde Zufriedenheit, da ich den entscheidenden »ersten Schritt« gemacht habe. Meine Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsweisen werden bewusster und gelassener. Ich spüre ein gesteigertes Selbstvertrauen und habe nun einen Bauplan für die Veränderung. Den kann ich jederzeit wieder rausholen und nutzen. Und ich stelle mich darauf ein, dass es in der Folgezeit Rückschläge geben wird. Die kommen – und sie sind wichtig.
LASS LOS UND VERTRAUE !
Lieber Patrick!
Hast du einen Tipp für mich? Manchmal stehe ich mir ganz gehörig im Weg. Ich habe nämlich einen großen Wunsch, einen Traum, und ich verbiete es mir, diesem Wunsch nachzugehen, meinen Traum zu leben! Mein Kopf sagt mir, ich hätte das nicht verdient! Ich mache es mir unendlich schwer, einfach mein Inneres zu akzeptieren und endlich zu tun, was ich so lang schon wollte. Es fühlt sich doch seit Ewigkeiten so an, als wäre es meine Bestimmung! Und ich kriege es nicht hin. Ich steh mir im Weg. Wie schaffe ich es, mit einem Lächeln zur Seite zu treten, mich vorbei zu lassen und mit Wohlwollen und Liebe zuzuschauen, mit welcher Freude ich meinen größten Wunsch verwirkliche? Ich wäre doch glücklicher! Oder?
Viele Grüße, Sabrina

Liebe Sabrina!
Vor einem Neubeginn gehen wir oft durch eine Zeit des Chaos. Es ist dann so, als habe jemand einen Teil der Brücke über den Fluss weggesprengt. In der Mitte des Wassers treffen wir auf Chaos und Schwebe. In diesen Momenten geraten wir leicht in Panik. Der Verstand kann nicht erkennen, wohin uns der Energiefluss des Lebens führen will, und misstraut allem Neuen, wo er sich nicht auskennt. Sich ganz fallen zu lassen erfordert Mut und einen liebevollen Umgang mit sich selbst. Vertrauen ist ein zentrales Element jeder Reise, weil das Neue erst in unser Leben treten kann, wenn das Alte von uns abgefallen ist.
Ich rate dir: Halte die Dinge nicht fest, lass sie los. Vertraue. Lass deinen Kopf nicht um die Vergangenheit oder die Zukunft kreisen. Sei einfach bei den schönen Dingen von HEUTE, genieße sie, sei dankbar dafür. Klebe nicht am Vergangenen – und auch nicht am Zukünftigen. Vertraue. Löse dich davon, wenn sich etwas über längere Zeit nicht harmonisch anfühlt oder mit Freude verbunden ist. Vertraue. Denn wer krampfhaft an Dingen von gestern oder morgen festhält, hat die Hände nicht frei, um sein Leben im HEUTE zu genießen. Das Wesentliche ist JETZT. Wenn wir jede einzelne Begegnung als die eigentliche Aufgabe begreifen, hechten wir nicht mehr mit hängender Zunge künftigen Dingen hinterher. Dann ist das JETZT die eigentliche Aufgabe, die deinem Herzen Erfüllung gibt.
Dieser Gedanke macht, so finde ich, sehr friedvoll. Der Kopf hängt dann nicht mehr dauerhaft in der Zukunft oder der Vergangenheit. Wenn Vertrauen in das Jetzt das eigentliche Ziel ist, werden Zeit und Raum plötzlich relativ. Dafür braucht es nicht mal eine Religion oder ein größeres Verständnis der Welt. Der Friede stellt sich dann sozusagen von selbst ein. Dann sind es plötzlich die Begegnungen mit Menschen, die das Leben wertvoll und lebenswert machen.
IN DIE ANTWORTEN HINEINLEBEN
Lass die Dinge einfach sein. Genieße deinen Weg, Schritt für Schritt. Versuche nicht, möglichst schnell am Ziel zu sein. Jedes sogenannte Ziel ist auch nur der Anfang eines neuen Weges. Der große Lyriker Rainer Maria Rilke hat es in seinen »Briefen an einen jungen Dichter« unnachahmlich schön in Worte gefasst:
Man muss den Dingen die eigene stille ungestörte Entwicklung lassen, die tief von innen kommt und durch nichts gedrängt und beschleunigt werden kann.
Alles ist auszutragen und dann zu gebären.
Reifen wie der Baum, der seine Säfte nicht drängt und getrost in den Stürmen des Frühlings steht ohne Angst, dass dahinter kein Sommer kommen könnte. Er kommt doch. Aber er kommt zu den Geduldigen, die da sind als ob die Ewigkeit vor ihnen läge, so sorglos, still und weit.
Man muss Geduld haben gegen das Ungelöste im Herzen und versuchen, die Fragen selbst lieb zu haben wie verschlossene Stuben und Bücher, die in einer anderen Sprache geschrieben sind.
Es handelt sich darum, alles zu leben. Wenn man die Frage lebt, lebt man vielleicht allmählich, ohne es zu merken, eines fremden Tages in die Antwort hinein.
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