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„Und was machen Sie hier?“, erwiderte Will. „Sie haben mir doch selbst gesagt, dass Sie von der Fall abgezogen worden sind.“
Dohmen nickte. „Das ist richtig. Aber der Staatsanwalt ist im Haus und es findet gerade eine Tatortvermessung statt. Und da ich Samstagnacht der Erste vor Ort war, soll ich dabei helfen.“
„Und was soll das hier mit der Bagger?“
Dohmen seufzte und zog den Landwirt ein wenig zur Seite. Leise sagte er: „Hören Sie. Ich kann Ihre Sorge verstehen. Mir geht es doch auch nicht anders. Aber alleine schon, dass Sie jetzt hier an einem abgesicherten Tatort stehen und ich mich mit Ihnen unterhalte, könnte mich meinen Kopf kosten. Unter uns – wir haben sogar die ausdrückliche dienstliche Anweisung erhalten, Sie auf Abstand zu halten.“
Will sah ihn erstaunt an. „Anweisung? Von wem?“
„Von unserem Vorgesetzten, Direktionsleiter Pimpertz.“ Will schüttelte verständnislos den Kopf. „Ich kenn der Mann überhaupt nicht.“
Dohmen sah sich verstohlen um und behielt seinen Flüsterton bei. „Aber unser Chef kennt Sie dafür umso genauer. Ihnen eilt, sagen wir mal, ein gewisser Ruf voraus. Und da Pimpertz offensichtlich Sorge hat, dass Sie die Ermittlungen behindern könnten, insbesondere wegen Ihrer engen Freundschaft zu Kommissar Kleinheinz, haben wir alle die klare Ansage, Sie genau im Auge zu behalten.“
Will schürzte kampfeslustig die Lippen. „So ein Schwachsinn. Ich will Sie doch nur helfen, der Fall aufzuklären, damit der Peter so schnell wie möglich wieder aus dem Gefängnis kommt.“
Dohmen verzog das Gesicht. „Herr Hastenrath. Geht das schon wieder los? Sie sollen sich raushalten aus unserer Polizeiarbeit. Und erst recht sollten Sie sich hüten, schon wieder eigene Ermittlungen anzustellen. Deshalb muss ich Sie jetzt auch auffordern, das Grundstück zu verlassen.“
Will machte keine Anstalten, zu gehen, sondern hielt dem Blick des Kommissars mit sturer Entschlossenheit stand. Völlig ruhig sagte er: „Was ist nur aus Sie geworden, Herr Dohmen? Ich hatte beim letzten Mal, wo wir miteinander zu tun hatten, fast angefangen, Sie sympathisch zu finden. Und zwar, weil ich dachte, dass Sie nicht nur ein Kollege, sondern sogar ein Freund von der Peter sind. Aber jetzt muss ich feststellen, dass Sie auch nur ein uniformiertes Arschloch sind … selbst wenn Sie gar keine Uniform tragen. Und wo wir gerade dabei sind: Soll ich Sie mal sagen, wodran dieser Herr Pimpertz mich mal lecken kann?“
Dohmens Mund klappte auf und zu wie bei einem Fisch im Aquarium. Dass dieser Ortsvorsteher ein unangenehmer Zeitgenosse sein konnte, das hatte der Oberkommissar schon des Öfteren am eigenen Leib zu spüren bekommen, aber selten in derart offener und provozierender Form. Statt jedoch seinem ersten Impuls nachzugeben, den Mann mit einem schnellen Polizeigriff zu Boden zu bringen und ihm Handschellen anzulegen, lösten die drastischen Worte seltsamerweise ein ganz anderes Gefühl in ihm aus. Hastenraths Will tat ihm leid. Ihm schien nicht ansatzweise klar zu sein, wie schwerwiegend die Indizien waren, die gegen Kleinheinz sprachen, aber dennoch imponierte Dohmen der unerhörte Mut dieses einfachen Landwirts, der es wagte, sich trotzig gegen einen ganzen Apparat zu stellen. Einen Justizapparat, der ihm sehr schnell sehr großen Ärger einhandeln konnte. Dieser Schneid und diese Kühnheit waren Eigenschaften, die Dohmen selbst im Laufe seiner Dienstjahre abhanden gekommen waren – wenn er sie denn überhaupt jemals besessen hatte. Er wollte immer nur seine Ruhe und möglichst wenig Verantwortung. Deshalb war ihm schon klar, dass er nichts weiter war als der Erfüllungsgehilfe eines Systems, das diesen Fall so schnell wie möglich zu den Akten legen wollte. Aber hatte Peter Kleinheinz, der Mann, der ihm mehr als einmal das Leben gerettet hatte, es nicht verdient, in dieser schweren Zeit zumindest mit Respekt behandelt zu werden, auch wenn kaum einer im Präsidium noch Zweifel daran hatte, dass der einstige Vorzeigebeamte kaltblütig zwei brutale Morde verübt hatte?
Dohmen bemerkte, dass er bereits endlose Sekunden lang mit offenem Mund vor Will gestanden hatte. Er räusperte sich.
„Also … Herr Hastenrath. Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Ich vergesse alles, was Sie gerade gesagt haben, vor allem die strafrelevanten Sachen. Dafür folgen Sie mir jetzt nach vorne auf die Straße. Da können wir etwas unbeobachteter sprechen.“ Will nickte und folgte dem Kommissar. Als die beiden auf den Bürgersteig traten, freute sich Knuffi so sehr, dass er urinierte. Will drückte ihm ein Leckerchen ins Maul und wandte sich wieder an Dohmen: „Tut mir leid. Da sind wohl eben etwas die Kühe mit mir durchgegangen. Ich wollte Sie nicht beleidigen, wie ich Sie ‚Arschloch‘ genannt habe.“ Dohmen wedelte mit der Hand, als verscheuche er Fliegen.
„Wie gesagt. Ich hab’s schon vergessen. Aber ich habe verstanden, was Sie damit zum Ausdruck bringen wollten. Glauben Sie mir. Ich bin genauso schockiert wie Sie und ich kenne Peter Kleinheinz noch ein paar Jahre länger. Im Moment versuche ich, so professionell wie möglich mit der Sache umzugehen. In den ersten Stunden und Tagen nach einer solchen Tat muss man so gründlich wie möglich nach allen Spuren suchen. Schließlich können solche Spuren auch entlastenden Charakter haben. Aber auch wenn ich in Teufels Küche komme und gegen mehrere Dienstvorschriften gleichzeitig verstoße, ich sage Ihnen jetzt ein paar Dinge, die das Polizeipräsidium eigentlich nie verlassen dürften. Und zwar mache ich das, weil ich weiß, dass auch Peter das gemacht hätte. Ich habe Ihr spezielles Verhältnis zwar nie verstanden, aber am Ende hat es ja oft zu einem guten Ergebnis geführt. Trotzdem hat es dieses Gespräch zwischen uns nie gegeben. Haben Sie das verstanden?“
Will nickte. „Ich danke Sie für Ihr Vertrauen. Und ich verspreche Sie, dass von mir keiner was erfahren wird.“
„Gut“, Dohmen holte tief Luft. „Folgendes scheint Samstagnacht passiert zu sein: Peter Kleinheinz betritt das Haus und überrascht seine Lebensgefährtin Bettina Hebbel und einen fremden Mann im Bett. Sofort eröffnet er das Feuer. Der Mann wird von zwei Schüssen getroffen, die beide tödlich sind. Auch Bettina scheint von zwei Kugeln getroffen worden zu sein, jedenfalls fehlten vier Kugeln in Peters Dienstwaffe. Die Spurensicherung konnte aber nur zwei Hülsen finden. Trotz ihrer starken Verletzung und eines sehr hohen Blutverlustes konnte sie offensichtlich über die Treppe in den Garten fliehen. Dort verliert sich die Blutspur aufgrund des starken Regens. Der Gerichtsmediziner schließt aber fast aus, dass sie sehr weit gekommen ist.“
„Deshalb der Bagger …?“, stotterte Will entsetzt.
„Ja. Wir vermuten, dass Peter die tote oder sterbende Frau im Garten vergraben hat. Wir haben einen blutverschmierten Spaten sichergestellt, allerdings ohne Fingerabdrücke von Peter. Dafür waren jedoch Schlammspuren an Peters Schuhen, die eindeutig aus dem Garten stammen. Entscheidend ist aber der Zeitfaktor. Die tödlichen Schüsse sind laut Gerichtsmediziner und Zeugenaussagen gegen 21.20 Uhr gefallen. Peter hat mich allerdings erst um kurz nach 22 Uhr angerufen und mir mitgeteilt, was er getan hat.“
„Moment mal. Der Peter hat Sie angerufen?“
„Ja. Das Pokalspiel war gerade zu Ende, da ging mein Handy. Peter war völlig verwirrt und redete zusammenhangloses Zeug. Als er sagte, dass er zu Hause sitzt und gerade etwas Furchtbares getan hätte, bin ich sofort hierhin gerast.“ Aber was ich damit sagen will, ist, dass zwischen den tödlichen Schüssen und dem Anruf fast eine Stunde lag. Zeit genug, um einen leichten Körper im Garten zu vergraben.“
Will konnte nicht glauben, was er da hörte. Und er wollte es auch nicht glauben. „Das macht doch überhaupt kein Sinn. Warum soll der denn nur eine Leiche vergraben?“
Dohmen zuckte mit den Schultern. „Vielleicht, weil für die zweite die Zeit nicht mehr gereicht hat.“
„Blödsinn. Dann hätte der doch erst angerufen, nachdem der alle beide vergraben hat.“
„Ja, darüber haben wir uns auch schon Gedanken gemacht. Unser Polizeipsychologe meint, dass es wahrscheinlich gar nicht darum ging, Spuren zu verwischen, sondern, dass sich Peters ganze Wut nur auf seine Freundin konzentriert hat und er sie vollständig vernichten und verschwinden lassen wollte.“ Will bekam eine Gänsehaut. Beklommen hakte er nach: „Aber hätten dann nicht die Nachbarn hier was mitbekommen müssen von der Aktion?“ Er deutete auf das Haus nebenan.
Dohmen folgte seinem Blick und schüttelte den Kopf. „Da ist keiner. Die sind noch drei Wochen in Urlaub. Das haben wir schon gecheckt.“
Will stutzte. Bevor er seine Gedanken ordnen konnte, trat der Polizist mit den hochdekorierten Schulterklappen durch das Gartentörchen und rief Dohmen zu: „Herr Dohmen. Sie sollen reinkommen zum Kapdezernent.“
„Ich komm sofort.“
„Was ist denn ein Kapdezernent?“, fragte Will.
„Bitte? Ach so“, antwortete Dohmen zerstreut, „das heißt eigentlich Kapitaldezernent. Damit ist der Staatsanwalt gemeint, der hat hier den Hut auf. Bei einem Kapitalverbrechen ist die Staatsanwaltschaft immer die Herrin des Ermittlungsverfahrens.“
Will kratzte sich am Kopf. „Wollen Sie damit etwa sagen, dass der Staatsanwalt eine Frau ist?“
„Nein, der Staatsanwalt, das ist der Arnulf Gehring.“
„Wissen Sie was?“, sagte Will entschlossen. „Ich komm jetzt mal mit rein und red mit der Mann. So Leute muss man …“
Dohmen konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Nein, Sie kommen nicht mit rein. Das würde alles nur viel schlimmer machen. Und bei Gehring hätten Sie sowieso keine Chance. Das ist ein Golfkumpel von Pimpertz.“
Der Polizist erschien wieder am Gartentor. „Die Herren warten“, rief er.
„Bin unterwegs“, rief Dohmen zurück. „Wie sieht’s im Garten aus?“ Der Polizist schüttelte den Kopf. „Wir haben jetzt jeden Stein umgedreht. Hier liegt garantiert nichts in der Erde.“ Dohmen fluchte leise und murmelte: „Verdammt, Peter. Was hast du mit deiner Freundin gemacht?“
Der Kommissar verabschiedete sich schnell von Will, um ins Haus zu gehen. Will blieb zurück und dachte noch einmal über die Worte des Beamten nach. „Hier liegt nichts in der Erde.“ Plötzlich wurde ihm ganz flau im Magen. Er riss den Kopf herum und starrte auf die Mülltonne, die vor dem Nachbarhaus stand. Ihm gefror fast das Blut in den Adern, als er sich die Frage stellte: Wenn die Bewohner von dem Haus in Urlaub sind, wer hat dann die Mülltonne an die Straße gestellt? Und vor allem: Was war in den blauen Mülltüten?
6

„Sag mal, hast du Schmieröl gesoffen, oder was? Was fällt dir ein, hier morgens mit sechs Minuten Verspätung aufzulaufen?“ Die Halsschlagadern von Autohausbesitzer Heribert Oellers waren dick angeschwollen und pochten in schnellem Rhythmus. Sein hochroter Kopf schien kurz vor dem Explodieren. Richard Borowka war gerade damit beschäftigt, bei einem alten VW Polo die Reifen zu wechseln. Eigentlich war er sich sicher gewesen, dass der Alte ihn nicht bemerkt hatte, als er vor einer Dreiviertelstunde das Gebäude heimlich durch den Hintereingang betreten hatte. Doch als vor wenigen Sekunden die schwere Eisentür, die den Verkaufsraum von der Werkstatt trennte, aufflog, wusste er sofort, dass dem wohl nicht so gewesen war. Borowka kniete gerade vor einem Reifen, den er wechseln wollte, als sich der mächtige Schatten seines Chefs über ihn legte. Nun gab es kein Entrinnen mehr: Er befand sich mitten im Auge des Tornados.
„Du bist ja wohl mit der Klammeraffe gebeutelt. Das, was du dir die letzte Zeit hier erlaubst, da scheißt der Hund ins Feuerzeug. Das steht mir bis Oberkante Unterlippe. Wieso kommst du jeden Tag zu spät?“
„Tut mir leid, Chef“, stammelte Borowka. „Ich hab im Moment kein Auto und der Fredi …“
„Was ist los? Sag mal, ist dein Clowns-Kostüm in der Reinigung? Halt gefälligst die Klappe, wenn ich dich unterbreche. Der Fredi hatte ich gerade schon zwischen. Da kannst du sogar froh drüber sein, weil der mir schon meine ganze Energie geraubt hat mit sein weinerliches Rumgesülze von wegen seine neue Olle. Wenn ich so ein Scheiß hör, da wackelt mir die Hose. Für euch zwei Intelligenzallergiker gehen mir echt die Schimpfwörter aus. Wenn ihr zwei ein Loch im Kopf hättet und der Arzt müsste das nähen, dann würde man dafür Hohlraumversiegelung sagen. Ich sag dir mal eins, Richard: Wenn dein Vatter nicht so ein guter Fußballer gewesen wäre, dann hätte ich so eine faule Sau wie dich niemals eingestellt. Mein Oppa, der arbeitet doppelt so hart wie du – dabei ist der seit drei Jahre tot. Ich geb dir jetzt derselbe gute Rat, den ich eben der Fredi gegeben habe: Wenn du noch einmal zu spät kommst, dann klingelt es aber, und zwar nicht an deiner Haustür. Dann reiß ich dir der Kopf ab und werf den in die Alteisentonne. Hab ich mich klar genug ausgedrückt, oder hast du noch irgendswelche Fragen?“
Borowka schluckte und erhob sich. Während er sich die verölten Finger an seiner Blaumannhose abstrich, antwortete er mit gesenktem Kopf: „Nein, Herr Oellers. Oder ja, doch. Eine Frage hab ich tatsächlich noch. Dürfte ich in der Mittagspause vielleicht mal der Alfa Spider Probe fahren, den Sie letzte Woche eingetauscht haben?“
Zur selben Zeit betrat Hastenraths Will den Verkaufsraum des Autohauses Oellers und sah sich um. Am Empfang saß das von Heribert Oellers sehr geschätzte Fräulein Regina und widmete sich ihrer Lieblingsbeschäftigung – Fingernägel lackieren. Gleichzeitig führte sie mit ihrem zwischen Schulter und Ohr eingeklemmten Smartphone ein offensichtlich sehr lustiges Privatgespräch, denn immer wieder unterbrach sie ihre eigenen Sätze mit kreischendem Gegacker. Ihre langen Beine, die in schwarz lackierten High Heels endeten, hatte sie übereinandergeschlagen, sodass ihr knapper Minirock weit hochgezogen wurde. Dennoch konnte Will darunter keinen Miederhosenrand erkennen, was ihn zunächst verwunderte. Dann aber kam ihm der Gedanke, dass Regina möglicherweise eine dieser neumodischen Frauenunterhosen trug, bei der große Teile des Stoffs durch dünne Schnüre ersetzt worden waren. Will hatte davon gehört, dass es so etwas geben soll. Seine Frau Marlene trug solche Sachen nicht, jedenfalls nicht, soweit er sich erinnerte. Er zog sein Stofftaschentuch aus der Parkajacke und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sein Blick wanderte wieder hoch und blieb am Ausschnitt der jungen Dame hängen. Seltsam, die Brüste schienen seit seinem letzten Besuch gewachsen zu sein. Will schüttelte sich und sah hinüber zu Fredi Jaspers, der neben dem Empfang an seinem Schreibtisch saß. Aber auch der nahm keine Notiz vom Landwirt, obwohl das schrille Bimmeln der Türglocke ja durchaus der Hinweis auf einen Kunden hätte sein können. Fredi tippte mit eingezogenem Kopf auf seiner Tastatur herum und starrte miesepetrig auf den Computerbildschirm vor sich. Die Tür zu Oellers’ Büro stand sperrangelweit offen, sodass Will davon ausging, dass der Gebrauchtwagenhändler sich in der angrenzenden Werkstatt aufhielt. Da jedenfalls schien eine Menge los zu sein. Das laute Geschepper, das bis in die Verkaufshalle drang, hörte sich an wie ein schwerer Werkzeugkasten, der gegen eine Wand geworfen wurde. Sekunden später wurde die Eisentür aufgerissen und Oellers stapfte mit hochrotem Kopf hindurch. „Heribert, hast du alles im Griff?“, rief Will ihm freundlich entgegen.
Oellers hob den Kopf. Als er seinen alten Freund erblickte, hellte sich seine Miene geringfügig auf. „Ach, Will, altes Scheißhaus. Hör mir bloß auf! Nur Ärger habe ich hier mit meine Leute. Ein Glas Gurken ist schlauer wie die alle zusammen. Vor allen Dingen der Borowka. Der muss mal schwer aufpassen. Ich sag dir: Das ist ein Kerl wie mein Sack, nur nicht so stramm.“
Die beiden schüttelten einander die Hände und Oellers führte Will in sein Büro. Im Vorbeigehen bat er Fredi Jaspers noch, Kaffee zu machen: „Komm, Mr. Honeymoon. Glotz nicht in der Computer wie ein bekifftes Känguru, sondern mach dich mal nützlich. Zwei Kaffee, aber zz – ziemlich zackig.“
Will nahm auf dem Kunstlederschwingsessel für die Besucher Platz. Oellers ließ sich in seinen Chefsessel hinter dem wuchtigen Schreibtisch fallen und legte die Hände in den Nacken. Mit lauter Stimme begann er zu schwadronieren: „Weißt du, Will. Manchmal frage ich mich, wie lange ich mir der Stress noch antun soll mit der Laden. Ich bin ja auch nicht mehr der Jüngste. Aber dann denke ich mir auf der anderen Seite: Irgendswie macht es aber auch Spaß, diese ganzen Vollpfosten anzuschreien. Hahaha. Aber du bist bestimmt nicht hier, für dir das Elend anzugucken, womit ich mich hier tagtäglich rumschlage. Was kann ich für dich tun?“
Will knetete seine Hände und antwortete mit leiser Stimme: „Du hast ja mitbekommen, was da am Samstag passiert ist. Und du weißt auch, dass der Peter Kleinheinz ein sehr guter Freund von mir ist.“
Oellers nickte ernst, unterbrach den Landwirt aber nicht.
„Ja, und ich will jetzt versuchen, herauszufinden, was da genau passiert ist. Oder zumindest, warum der Peter das gemacht hat.“
„Das kann ich dir sagen, warum der das gemacht hat. Der hat seine Frau im flagranti mit ein anderer Mann im Bett erwischt und da ist dem die Sicherung durchgebrannt. Ende, Aus, Micky Maus.“
Will seufzte. „Kann schon sein. Aber ich glaub nicht, dass das so einfach ist. Ich meine, man erschießt doch nicht einfach zwei Leute.“
„Will, der Mann ist Polizist. Der ist dadrauf trainiert, Leute zu erschießen.“
In diesem Moment ging die Tür auf und Fredi kam mit einem Tablett herein, das er auf dem Schreibtisch abstellte. Darauf standen zwei dampfende Tassen Kaffee, eine Dose Kondensmilch und eine ungeschickt aufgerissene Packung voller Zuckerwürfel. Oellers wedelte mit der Hand und Fredi verschwand wieder. Will warf sich sechs Stücke Zucker in den Kaffee und rührte ihn bedächtig um.
„Wie dem auch sei, Heribert. Ich muss trotzdem unbedingt mal mit der Peter sprechen. Die Polizei schirmt dem total ab. Und eben, nachdem ich der Knuffi nach Hause gebracht habe, bin ich noch mal zu der Kommissar Dohmen gefahren, für dem zu bequatschen. Aber …“
„Oh Mann, Will. Das wollte ich dir die ganze Zeit schon gesagt haben“, unterbrach Oellers ihn plump. „Ist dir eigentlich bewusst, wie lächerlich du dich in Saffelen machst, wenn du immer mit die kleine Töle spazieren gehst? Was ist nur aus dir geworden? Früher bist du ganz stolz mit dein Hofhund Attila durch der Ort flaniert. Ohne Leine. Da hattest du nach ein kurzer Spaziergang drei Anzeigen am Hals. Und heute? Heute ziehst du eine Leberwurst auf vier Beine hinter dir her. Hör mal, die Leute verlieren der Respekt vor dir als Ortsvorsteher.“
„Das ist doch nur, bis meine Frau wieder gesund ist“, verteidigte sich Will halbherzig.
„Trotzdem ist das peinlich. Und außerdem muss man doch mit der Knuffi gar nicht Gassi gehen. Es reicht doch, wenn du den in der Kackbeutel steckst und einmal schüttelst – fertig!“ Will winkte verärgert ab. „Jetzt lass mich doch in Ruhe mit der Knuffi. Hier geht es sich doch um was ganz anderes. Hier geht es sich um das Leben von ein guter Freund, um dem seine ganze Existenz. Und ich kann nix machen. Der Kommissar Dohmen hat für mich gesagt, dass nur ein Anwalt zu Kleinheinz darf. Das Problem ist aber: Der Peter weigert sich, auszusagen, und der will wohl auch kein Anwalt haben. Deshalb habe ich mir jetzt überlegt, dass ich auf eigene Kosten ein Mann für dem engagier. Und der wird dann mein Sprachrohr ins Gefängnis. Und genau deshalb bin ich hier. Du hast mir doch mal erzählt, dass du ein Top-Anwalt hast, der dich überall raushaut.“ Oellers schürzte die Lippen. „Ach, du meinst der Schabowski?! Na ja, Top-Anwalt jetzt nicht im Sinne von Anzug und Krawatte und gute Manieren und so. Aber fachlich ist der super, keine Frage. Es gibt kein Paragrafen-Trick, den der Mann nicht kennt. Und das Gute an dem ist, dass dem alles scheißegal ist. Du glaubst nicht, wie oft ich schon angezeigt worden bin wegen Betrug. Meistens ging es sich dabei um so normale Bagatellsachen, totale Kleinigkeiten. Was weiß ich? Zurückgedrehte Tachos, gefälschte Papiere, zu teuer abgerechnete Ersatzteile, die wir nie eingebaut haben, oberflächlich ausgeführte Reparaturen – normales Tagesgeschäft eben. Ich meine, die Vorwürfe stimmten immer, aber ich habe trotzdem noch nie ein Fall verloren. Im Gegenteil, meistens hat der Schabowksi noch ein fetter Schadensersatz für mich rausgeholt wegen üble Nachrede oder so. Aber ob der sich mit Mörder auskennt, das weiß ich nicht. Außerdem hat der ein kleines Alkoholproblem. Ne Flasche Wodka zum Frühstück ist bei dem keine Seltenheit.“
„Oha“, sagte Will, „ja gut. Aber ich kenn leider kein anderer Anwalt. Wenn ich Probleme mit fremde Leute habe, dann regel ich das immer auf meine Weise. Aber in diesem Fall hier komm ich nicht weiter. Der Dohmen hat mir klipp und klar gesagt, dass ich nicht an der Kleinheinz rankomme.“
„Verstehe.“ Oellers rieb sich das Kinn. „Pass auf, ich schreib dir mal die Nummer von der Günther Schabowksi auf und dann versuchst du dein Glück. Die Kanzlei von dem ist in Kirchhoven. Ja, was heißt Kanzlei? Ich glaub, der wohnt da auch, seit dem vor zwei Jahre die Frau abgehauen ist. Bestell dem ein schöner Gruß von mir. Und lass oft klingeln. Der hat ein gesunder Schlaf, wenn der was getrunken hat.“
Mit dem Zettel in der Hand verließ Will das Autohaus. Auf dem Vorplatz erblickte er Borowka, der gerade dabei war, Unkraut zu zupfen. Der mürrische Gesichtsausdruck des Mechanikers deutete darauf hin, dass es sich wohl um eine disziplinarische Maßnahme handelte. Plötzlich kam dem Landwirt eine Idee und er sprach seinen Hausnachbarn an. „Hör mal, Richard. Ich bräuchte mal dein Knau-hau.“
Borowka knurrte, ohne aufzusehen: „Als was? Als Gärtner?“ Will lachte. „Nein. Als Einbrecher.“
Borowka zuckte zusammen und sah dann doch auf. „Wie, als Einbrecher?! Bist du bekloppt?“
Will musterte ihn kurz und sagte dann leise: „Du bist doch vor zwei Wochen in der Mainacht im Fußball-Vereinsheim eingebrochen, für ein Kasten Bier zu klauen. Richtig?!“
An Borowkas Hals bildeten sich hektische rote Flecken. Er erhob sich und sah sich um. Unbehaglich entgegnete er: „Ja schon … aber, da war ich doch besoffen. Und – woher weißt du das überhaupt?“
Will grinste ihn an. „Ich wusste es gar nicht. Aber jetzt weiß ich’s. Und du willst doch sicher nicht, dass ich das an die große Glocke hänge.“ Borowka schüttelte verlegen den Kopf und Will fuhr fort: „Zuerst mal muss ich dir ein Kompliment machen. Das war handwerklich eine super Leistung von dir, das Sicherheitsschloss zu öffnen. Und du hast überhaupt keine Spuren hinterlassen. Wir waren uns mit der Vorstand einstimmig einig, dass das nur eine Profitruppe aus Rumänien gewesen sein kann. Aber mich hat direkt stutzig gemacht, dass nur der Bierkasten gefehlt hat und die ganzen Computer und Laptops stehen geblieben waren. Die mussten wir nämlich alle selber wegschaffen, damit wir die der Versicherung melden konnten. Aber, wodrauf ich hinauswill: Wenn du das besoffen so gut hinbekommst, dann wirst du so was doch wohl auch nüchtern können, oder?“
Borowka lächelte geschmeichelt. „Ja sicher. Überhaupt kein Thema. Was musst du denn aufgebrochen haben?“
Will sah ihm verschwörerisch in die Augen und sagte: „Wir beide werden heute Abend in das versiegelte Mordhaus einsteigen.“
Borowka erstarrte.
7

Erschöpft ließ Sabrina Nowak ihre Sporttasche im Flur fallen. Sie würde die verschwitzten Sachen später in den Keller bringen. Zuallererst brauchte sie jetzt ein Wasser. Heute hatte ihr Trainingsprogramm in einem neuen Fitnessstudio begonnen, das im Nachbardorf aufgemacht hatte. Schnell war Sabrina unter der Anleitung eines Fitnesscoachs an ihre Grenzen gestoßen, aber ihr Stolz war mächtiger gewesen und sie hatte tapfer durchgehalten. Der Lohn dafür dürfte ein Mörder-Muskelkater sein. Mit einem Glas Wasser ging sie ins Wohnzimmer. Fredi hatte es sich auf der Couch bequem gemacht. Seine Füße, die in abgetragenen, weißen Tennissocken steckten, lagen auf dem Tisch neben einer Flasche Bier und einer halbleeren Tüte Chips. Auf dem 65-Zoll-Plasma-Fernseher, den er bei der Einrichtung des gemeinsamen Hauses durchgesetzt hatte, lief eine DVD seiner Lieblingsserie „Die Simpsons“. Und zwar zum x-ten Mal seine Lieblingsfolge „24 Minuten“, eine Parodie auf seine andere Lieblingsserie „24“. Sabrina quittierte das mit einem langgezogenen Seufzer.


