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Quantitativ – qualitativ
2.4 Gegenwärtige Forschungsorientierungen der Psychologie
Definitionen von Psychologie| 2.1Das Wort Psychologie bedeutet, wie erwähnt, „Seelenkunde“ oder „Seelenlehre“ (griech. „psyche“: Hauch, Leben, Seele; griech. „logos“: Wort, Begriff). Die Auffassungen darüber, was unter Seele verstanden wird, unterscheiden sich jedoch ziemlich. Nachfolgend sollen einige innerhalb des Wissenschaftsfaches Psychologie verbreitete Definitionen und Umschreibungen für „Psychologie“ präsentiert werden.
„Die Psychologie ist eine empirische Wissenschaft. [...] Ihr Gegenstand ist das (zumeist menschliche) Erleben und Verhalten, ihr Ziel ist es, allgemeingültige Aussagen über diesen Gegenstand zu machen – ihn zu beschreiben, beobachtbare Regelmäßigkeiten und Zusammenhänge aufzudecken, diese zu erklären, und womöglich Vorhersagen zu machen“ (Hofstätter & Wendt, 1974, 1). In ähnlicher Weise versteht Traxel (1974, 15) die Psychologie als Erfahrungswissenschaft, die als ein „System methodisch gewonnener Aussagen über einen bestimmten Gegenstand“ zu definieren ist.
Merksatz
Psychologie untersucht die Zustände und Veränderungen des Verhaltens, des Erlebens und des Bewusstseins.
Als zentral für die Definition von Psychologie wird oft die Angabe des Forschungsgegenstands angesehen, mit dem sich das Fach zu beschäftigen hat. Bourne und Ekstrand (1992, 2) formulieren: „Die Psychologie ist die wissenschaftliche Erforschung von Verhalten.“ Bei dieser breiten Definition könnte das Missverständnis entstehen, es sei nur das „äußere“ (beobachtbare) Verhalten gemeint. In Rohrachers international viel beachtetem Werk „Einführung in die Psychologie“ gelten dagegen die bewussten Prozesse mit ihren Auslösern und Effekten als Hauptcharakteristikum des Forschungsfelds der Psychologie: „Psychologie ist die Wissenschaft, welche die bewußten Vorgänge und Zustände sowie ihre Ursachen und Wirkungen untersucht“ (Rohracher, 1965, 7). Hier werden die zahlreichen unbewussten, automatisch ablaufenden psychischen Vorgänge noch vernachlässigt, zumindest aber ergibt sich eine Abgrenzung zu anderen Humanwissenschaften.
Zimbardo und Gerrig (1999, 2) definieren: „Gegenstand der Psychologie sind Verhalten, Erleben und Bewusstsein des Menschen, deren Entwicklung über die Lebensspanne und deren innere (im Individuum angesiedelte) und äußere (in der Umwelt lokalisierte) Bedingungen und Ursachen.“ Diese Definition ist bereits spezifischer. Die Bedeutung „innerer“ (introspektiver) Prozesse für die psychologische Forschung – der europäischen Tradition entsprechend – wird ebenso angesprochen wie der Aspekt des „Interaktionismus“ mit Einflüssen seitens der Umwelt.
Regulation ist eine Steuerung, welche die Stabilität eines dynamischen Systems aufrechterhält.
Mandler (1979, 32) dagegen formuliert: Psyche ist ein komplexes, einem Individuum zugeschriebenes Informationsverarbeitungssystem, „das Input verarbeitet (einschließlich dem Input aus seinen eigenen Handlungen und Erfahrungen) und Output an die verschiedenen Subsysteme und die Außenwelt abgibt.“ In dieser Umschreibung des Forschungsfeldes der Psychologie wird Mandler sowohl den unbewussten als auch den bewussten Prozessen gerecht, indem er die Psyche als komplexes Regulationssystem definiert, innerhalb dessen dem Bewusstsein nur eine „Lupenfunktion“ zukommt (s. unten).
Merksatz
Psychologie ist eine Erfahrungswissenschaft, die in möglichst erschöpfender Breite und mit möglichst großer Realitätsnähe die Psyche bzw. ihre „Produkte“ erforscht, nämlich das Verhalten, Erleben und Bewusstsein von Lebewesen.
Interdisziplinarität ist die Zusammenarbeit verschiedener Wissenschaftsdisziplinen zur Lösung eines Problems. Transdisziplinarität erfordert den Einbezug von Praktikerinnen und Praktikern in den wissenschaftlichen Diskurs.
Dörner und Selg (1996, 20) definieren im Sinne der Kybernetik: Psychologie ist die „Wissenschaft von den offenen oder variablen Regulationen“ (Bischof, 2016). Als „offen“ werden Regulationen dann bezeichnet, wenn sie „nicht genau durch genetische Vorprogrammierungen“ festgelegt sind (Dörner & Selg, 1996, 20). Gemeint sind kybernetische Regelsysteme, die sich plastisch entwickeln können (z.B. Lern- und Denkvorgänge) und nicht genetisch fixiert sind (z.B. Reflexe oder Erbkoordinationen). Dass die Unterscheidung zwischen variablen und stabilen Regulationen auf empirischer Basis – zumindest bis heute – noch äußerst schwerfällt, erschwert allerdings die Anwendung dieser Definition.
Dörner und Selg (1996, 24) formulieren weiter: „Gegenstand der Psychologie kann alles werden, was erlebbar ist und / oder sich im Verhalten äußert [...]“. Übereinstimmend mit einigen vorigen Definitionen werden hier introspektives Erleben und beobachtbares Verhalten als gleichwertige Datenquellen der Psychologie verstanden. Vorteilhaft an dieser breiten, aber pragmatischen Definition erscheint außerdem ihre Orientierung in Richtung Interdisziplinarität - und Transdisziplinarität, ohne die eine erschöpfende und realitätsnahe Erklärung psychischer Phänomene kaum möglich ist.
Allgemeine Zielsetzungen wissenschaftlicher Psychologie| 2.2In verbreiteten Einführungswerken der Psychologie (vgl. etwa Bourne & Ekstrand, 2005; Gerrig & Zimbardo, 2008; Ulich, 2000) finden sich – gut vergleichbar mit anderen empirischen Sozial- und Humanwissenschaften (wie etwa der Soziologie, der Ökonomie oder der Medizin) – vier Hauptziele für die Wissenschaftsdisziplin Psychologie:
Box 2.1 | Häufige Artefakte bei Befragungen
• Unklarheiten in der Formulierung von Fragen (z.B. Mehrdeutigkeit, zu komplizierte Sätze)
• Fehlinterpretationen von Anweisungen („Instruktionen“)
• Sequenzeffekte (Ermüdung, „Trainingseffekte“)
• Hawthorne-Effekt (sich beobachtet oder analysiert zu fühlen, erhöht zumeist die Leistungsbereitschaft)
• Mangelnde Bereitschaft zur Selbstenthüllung (bei privaten Inhalten)
• Motive zur Selbstdarstellung, Effekt der sozialen Erwünschtheit (bei Interviewpartnerinnen und -partnern einer Befragung einen bestimmten Eindruck zu hinterlassen, sich nicht zu blamieren etc.)
• Befürchtung negativer Konsequenzen (Zweifel an anonymer Verarbeitung der Daten)
• Sponsorship-Bias (Vermutungen über die Absichten der Auftraggeberinnen und -geber von Befragungen)
• Kontext-Effekte (z.B. Einfluss von Stimmungen)
• Urteilsheuristiken (pragmatische, zeitsparende und oft unlogische Art der Schlussfolgerungen)
• Anwesenheitseffekte (Beeinflussung des Antwortverhaltens durch anwesende Personen)
In Anlehnung an Bortz & Döring (1995)
2.2.1 |BeschreibenMerksatz
Die Beschreibung von Forschungsphänomenen in der Psychologie (Datenerhebung) geschieht hauptsächlich über Selbst- und Fremdbeobachtung, Befragung, Messung, Experiment, Test, Textanalyse, Inhaltsanalyse, Skalierung, Simulation oder Fallstudien, wobei einer verfälschungsfreien Erfassung der Daten besondere Beachtung geschenkt wird (Gütekriterien).
Darunter versteht man das (möglichst) präzise, systematische und theoriegeleitete Erfassen von Informationen (Daten) über die zu untersuchenden psychischen Phänomene. Häufig verwendete Erhebungsverfahren sind Selbst- und Fremdbeobachtungen, Befragungen (Interviews), Experimente, Tests, nichtreaktive Verfahren (z.B. Archive, Abnützungsgrad von Böden oder Gebrauchsgegenständen), Textanalysen (z.B. Tagebücher), Inhaltsanalysen (Häufigkeit und Bedeutung verwendeter Begriffe), Skalierungen (Semantisches Differential bzw. Polaritätsprofil), Simulationen (z.B. Computermodelle, Szenarien), hirnelektrische Ableitungen (z.B. EEG), Messungen (z.B. Reaktionszeiten) oder Labordaten (z.B. blutchemische Werte). Die Auswahl der Beschreibungsmittel von psychologischen Phänomenen richtet sich primär nach der wissenschaftlichen Grundorientierung der forschenden Person, nach der Art des Phänomens, und bei quantitativen Daten auch nach deren statistischer Verwertbarkeit.
Als Objektivitätsproblem bezeichnet man die Schwierigkeit, Daten unverfälscht zu erfassen (Box 2.1). Bei diagnostischen Verfahren zur Beschreibung von Störungsbildern oder Personenmerkmalen werden hohe Gütekriterien gefordert, die sinngemäß für alle psychologischen Datenerhebungen gelten (s. 3.6):
1. Objektivität: Sie ist umso größer, je ähnlicher die Daten bei unterschiedlichen datenerhebenden Personen sind.
2. Reliabilität: Die sogenannte „Zuverlässigkeit“ von Daten ist umso größer, mit je weniger Erhebungsfehlern sie überlagert sind.
3. Validität: Die „Gültigkeit“ von Daten nimmt in dem Maße zu, in dem sie tatsächlich jene Eigenschaft beschreiben, die registriert werden soll (z.B. Intelligenz und nicht auch Konzentration oder Bildung).
Daneben sollten jedoch noch weitere Qualitätsanforderungen an psychologische Daten gestellt werden, nämlich bezüglich der Skalierung (Wiedergabe korrekter Quantitäten), der Normierung (Normen bzw. Bezugssysteme für Ergebnisse sollen vorhanden sein), der Fairness (Daten über verschiedene soziale Gruppen dürfen nicht systematisch verfälscht sein), der Ökonomie (der Aufwand der Datenerhebung soll vertretbar sein), der Zumutbarkeit (Konsequenzen für Probanden sowie deren Akzeptanz sind zu berücksichtigen), der Unverfälschbarkeit (Ergebnisse sollen nicht manipulierbar sein) und der Nützlichkeit (Daten sollen zweckentsprechend sein).
2.2.2 |ErklärenEine zweite wichtige Zielsetzung der Psychologie ist die Erklärung der beobachteten oder gemessenen Phänomene. Dies geschieht durch Gesetze- oder durch deren Zusammenfassungen, die Theorien. Diese werden durch Ableitung von Hypothesen über zu erwartende Ergebnisse in empirischen Untersuchungen getestet. Die Resultate dieser Befragungen, Experimente oder Beobachtungen werden inhaltlich interpretierend (qualitativ) oder statistisch (quantitativ) auf Gesetzlichkeiten überprüft und mit den hypothetisch postulierten Zusammenhängen verglichen. Stimmen die empirisch gefundenen Zusammenhänge mit den erwarteten überein, dann spricht man von einer Verifikation der Hypothesen, im gegenteiligen Fall von deren Falsifikation. Eine solche Hypothesentestung setzt die Formulierung einer Theorie oder zumindest die Vorannahme einer Gesetzlichkeit voraus. In diesem Falle spricht man von einer konfirmativen (bestätigenden) Vorgangsweise, im Gegensatz zu einem explorativen Verfahren, wenn es darum geht, an einem Pool gewonnener Daten unbekannte Zusammenhänge erst zu finden.
Merksatz
Hypothesen sind wissenschaftlich begründete Annahmen (Wenn-dann-Aussagen) über Zusammenhänge von Ereignissen. Bestätigte Hypothesen nennt man Gesetze. Als Theorie bezeichnet man zumeist ein System von Gesetzen.
Gesetze und Hypothesen sind zumeist in Form von „Wenndann-Aussagen“ formuliert und beziehen sich auf vermutete Kausalzusammenhänge in der Realität. Die „Wenn-Komponente“ von Hypothesen beschreibt jeweils die Ursachen, Bedingungen oder Auslöser von Wirkungen, während die Effekte oder ausgelösten Veränderungen in der „Dann-Komponente“ formuliert werden (Box 2.2; Westermann, 2000). Ein Beispiel eines Gesetzes aus der Kognitionsforschung (Yerkes-Dodson-Gesetz): Eine zu hohe oder zu niedrige psychophysiologische Aktivierung (Wenn-Komponente) verringert die Konzentrations-, Denk- und Gedächtnisleistungen (Dann-Komponente).
Merksatz
Wichtige Qualitätskriterien für Gesetze und Theorien sind ihr Grad an Repräsentativität, ihr Realitätsbezug sowie ihre zeitliche und situative Stabilität.
Ein grundlegendes Problem bei der Interpretation von Untersuchungsergebnissen, das sogenannte Repräsentativitätsproblem, ist die Frage nach der Verallgemeinerbarkeit, nämlich danach, wie gut von den jeweils beobachteten Daten – den Fällen der Stichprobe – auf die Grundgesamtheit bzw. Population zu schließen ist (s. auch Replikationsproblem; Open Science Collaboration, 2015).
Eine andere Unsicherheit besteht darin, ob die abstrakt formulierten Theorien eine inhaltliche Entsprechung in den empirisch ausgewählten Untersuchungsverfahren finden: Die Rede ist vom Operationalisierungsproblem bzw. Validitätsproblem. Hier geht es etwa darum, ob die Intelligenz eines Menschen (d.h. die abstrakte Annahme über die geistige Leistungsfähigkeit einer Person) tatsächlich durch spezielle Intelligenzaufgaben eines Tests erfassbar bzw. ob die theoretische Vorstellung über Intelligenz anhand von anschaulich-konkreten Daten überprüfbar ist.
Reliabilität = bedingungsunabhängige Verlässlichkeit einer Datenerhebung
Weiters ist im sozialwissenschaftlichen Bereich kaum davon auszugehen, dass eine einmal gefundene Gesetzmäßigkeit an allen möglichen Orten, zu allen möglichen Zeiten und unter allen möglichen Umständen gilt, was als Reliabilitätsproblem bezeichnet wird (Bortz & Döring, 1995; Schnell, Hill & Esser, 2005). Zur Überprüfung der Reliabilität von Ergebnissen bedient man sich verschiedener statistisch gestützter Methoden, bei denen zum Beispiel ein Test für eine psychische Eigenschaft bei gleichen Personen wiederholt eingesetzt wird („Retest-Reliabilität“) oder die Ergebnisse verschiedener Tests zur gleichen Eigenschaft miteinander verglichen werden („Paralleltest-Reliabilität“).
Eine für die Verlässlichkeit von Forschungsergebnissen wichtige Bedingung ist deren Replizierbarkeit bzw. Reproduzierbarkeit, welche in letzter Zeit in mehreren Disziplinen nicht zufriedenstellend ausfiel (Baker, 2016), sodass Verbesserungen im Forschungsprozess vorgeschlagen wurden (Erdfelder & Ulrich, 2018; Fiedler, 2018).
Vorhersagen| 2.2.3Die Formulierung von Gesetzen dient auch zur Erstellung von Prognosen. Wenn zum Beispiel über einen spezifischen Sachverhalt Informationen gegeben sind, dann können unter Verwendung der psychologischen Gesetze Rückschlüsse auf weitere nicht bekannte Merkmale des Sachverhalts gezogen werden (Box 2.2). In der Fachliteratur ist der Fundus an psychologischen Vorhersagen unüberschaubar groß, und die Prognosegüte für zahlreiche Praxissituationen ist vielversprechend (Frey, Hoyos & Stahlberg, 1988; Baumann & Perrez, 1990, 1991; Schwarzer, 1997; Hellbrück & Fischer, 1999; Süss & Negri, 2019 usw.): Welche Erziehungsmaßnahmen fördern eine gesunde Entwicklung von Kindern und Jugendlichen? Welche häuslichen Bedingungen sind Voraussetzungen für gute Schulleistungen? Welche Kommunikationsformen erleichtern die berufliche Kooperation? Welche Einflüsse hat die Lebensumwelt auf das Wohlbefinden? Wie kann man am besten Ängsten und Depressionen begegnen? Wie lernt man am schnellsten große Stoffmengen?
Box 2.2 | Prognosen durch Gesetze
Bekannte Vorinformationen (Prämissen):
Person X ist sprachbegabt.
Person X ist lernmotiviert.
Person X hat gute Lernbedingungen.
Gesetze (Prämissen):
Wenn eine Person sprachbegabt und lernmotiviert ist sowie gute Lernbedingungen vorfindet, dann erzielt sie höchstwahrscheinlich gute Lernleistungen in Fremdsprachen.
Schlussfolgerung (Konklusion): Person X wird sehr wahrscheinlich gute Lernleistungen in Fremdsprachen erbringen.
Merksatz
Aus psychologischen Gesetzen können vielfältige Vorhersagen über psychische Strukturen oder Abläufe und über deren Abhängigkeit von Umweltbedingungen abgeleitet werden.
Grundsätzlich können Vorhersagen über die Struktur von psychischen Phänomenen (z.B. Intelligenzstruktur, Persönlichkeitsstruktur, Einstellungsprofil) und über deren Dynamik (z.B. Reifungsprozesse, geistige Entwicklung, Entstehung psychischer Störungen) getroffen werden. Ähnlich wie bei politischen Wahlprognosen hängt auch im psychischen Bereich der Erfolg der Vorhersagen wesentlich von der Güte der verwendeten Theorien und der mathematisch-statistischen Prognoseverfahren ab.
Verändern| 2.2.4Eine dauerhafte Veränderung bzw. Optimierung menschlichen Erlebens und Verhaltens (die Veränderung von Gefühlen, Einstellungen, Motiven, Entscheidungen etc.) lässt sich in den meisten Fällen nicht allein durch Vermittlung von Einsichten (z.B. über Kindheitstraumen), durch Anwendung „psychologischer Tricks“ (z.B. paradoxe Intervention) oder durch einzelne suggestive Maßnahmen (z.B. Hypnose) bewerkstelligen, sondern es sind sehr oft komplexe Vorgangsweisen nötig. Dabei müssen nicht nur die Klientinnen und Klienten, sondern auch deren soziale und physische Umfelder einbezogen werden. Der beratenden, pädagogischen oder therapeutischen Anwendung solcher Veränderungsprogramme gehen oft umfangreiche Studien an hunderten Versuchspersonen voraus, um den Erfolg unter möglichst vielen Bedingungen sicherzustellen.
Arten psychologischer Intervention | Box 2.3
• Beobachtungen und Befragungen (haben an sich schon indirekte Auswirkungen, z.B. durch Reflektieren des eigenen Verhaltens oder durch Problematisieren von Befragungsinhalten)
• Kommunikationsstil (kann meinungsbildend, kommunikationsfördernd und konfliktlösend wirken, z.B. durch Maßnahmen der Moderation oder Mediation)
• Aufklärung und Bildung (vermittelt psychologisches Wissen und Können, z.B. über optimales Lernen, Möglichkeiten der Stressbewältigung)
• Beratung (Schulberatung, Berufsberatung, Erziehungsberatung, Coaching etc.)
• Training (z.B. Entspannungstechniken, Lerntechniken, Kommunikations- und Kooperationstraining, Elterntraining)
• Therapie (z.B. Kognitive Verhaltenstherapie, Gesprächstherapie)
• Umweltgestaltung und Partizipation (z.B. Mitwirkung bei Planungen für menschengerechtes Wohnen und Siedeln, für eine humane Arbeitsplatzgestaltung oder für eine zukunftsfähige Mobilität)
Die Liste möglicher psychologischer Einflussnahmen ist relativ groß und beginnt schon damit, dass Personen sich anders verhalten, wenn sie sich beobachtet fühlen. Ein gutes Beispiel dafür ist der sogenannte Hawthorne-Effekt, nach den amerikanischen „Western Electric Hawthorne Works“ in Chicago benannt, einer Fabrik, in der in den Jahren 1924- bis 1927 Elton Mayo den Einfluss von Arbeitsbedingungen auf die Produktivität testete: Er kam zum Schluss, dass man mehr zu leisten bereit ist, wenn man sich (z.B. im Zuge einer wissenschaftlichen Untersuchung) beobachtet fühlt (Flick et al., 1995).
Der Kommunikationsstil nimmt in mehrfacher Weise Einfluss: Kommunikationspsychologisch geschulte Moderatorinnen und Moderatoren können in Diskussionsrunden den Meinungsaustausch und die Konfliktbewältigung wesentlich dadurch fördern, dass sie eine partnerschaftliche Atmosphäre mit fairen Regeln für die Argumentation schaffen (Montada & Kals, 2013). Durch Kommunikationstechniken – wie dem „Partnerzentrierten Gespräch“, dem „Kontrollierten Dialog“ und der „Themenzentrierten Interaktion“ – sinkt in Partnerschaften, Arbeitsgemeinschaften und Firmen die Streithäufigkeit, während die Kooperationsfähigkeit steigt.
Bereits wesentlich aufwendiger gestaltet sich der Einsatz psychologischen Wissens für Beratungstätigkeiten im Bildungs-, Arbeits- und Therapiebereich. Ähnlich wie in der Medizin werden hier vorerst die jeweiligen Ausgangsbedingungen erhoben (Anamnese) und die Probleme und Störungen festgestellt bzw. analysiert (Diagnose). In manchen Fällen sind umfangreiche Testungen, wie etwa zur Feststellung der Begabungsorientierung, der Interessenausrichtung, des Motivationsprofils oder der allgemeinen Problemsituation der Klientinnen und Klienten, nötig.
Besonders spezialisiert und auf die Art und Bedingtheit der behandelten Störung maßgeschneidert (s. Reinecker, 2003 a) sind die in der empirischen Psychologie entwickelten Therapieverfahren (insbesondere Verhaltenstherapie, Gesprächstherapie, Familientherapie). Sie sind im Rahmen eines Psychologiestudiums aufgrund des hohen Übungsbedarfs und der nötigen Supervision nicht ausreichend lern- und trainierbar und müssen daher in anspruchsvollen Zusatzausbildungen nach dem Studium vermittelt werden (z.B. in Österreich die postgraduale Ausbildung für „Klinische und Gesundheitspsychologie“ und / oder für „Psychotherapie“).
Merksatz
Auf Basis psychologischer Gesetze und Theorien konnte eine große Vielfalt von Maßnahmen (Interventionen) zur Veränderung problematischen Verhaltens, Erlebens und Bewusstseins entwickelt werden.
Weitere nicht unwichtige Einflussmöglichkeiten der Psychologie liegen im Bereich der Evaluation (Wottawa & Thierau, 2003) und Intervention im Wohn-, Wirtschafts-, Arbeits- und Bildungsbereich. Über die sogenannte „User Needs Analysis“ (UNA), „Post Occupancy Evaluation“ (POE) oder „Environmental Impact Analysis“ (EIA) lassen sich zum Beispiel wichtige Lebensbedürfnisse des Menschen ermitteln und Vorschläge für deren Befriedigung erarbeiten sowie eine allgemeine Verbesserung der Lebensumstände schaffen (Harloff, 1993). In neuerer Zeit werden immer mehr moderne Technologien auf ihre psychologische Nutzbarkeit hin untersucht (EDVArbeitsplätze, Internet-Aktivitäten, E-Learning, Teleworking etc.).
Kontroversielle Grundannahmen der Psychologie| 2.3Seit etwa 1960 hat sich an den universitären Psychologieinstituten im deutschen Sprachraum eine „Mainstream-Psychologie“ durchgesetzt, nämlich jene mit naturwissenschaftlicher, empirisch-statistischer Orientierung. In den Achtzigerjahren meinte Hofstätter (1984, 103): „Die Konflikte zwischen den Richtungen und Schulen gehören fast überall in der Psychologie der Vergangenheit an“, und begründete dies damit, dass kaum mehr der Anspruch erhoben werde, mit „gleichen Prinzipien die verschiedenen Problemfelder“ der Psychologie aufzuklären. Tatsächlich ist seit den späten Sechzigerjahren die Heftigkeit der Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen wissenschaftlichen Strömungen innerhalb der Psychologie erheblich zurückgegangen, was aber nicht gleichzeitig bedeutet, dass die wechselseitige Akzeptanz zugenommen hätte. Immer noch bestehen zwischen Angehörigen des Faches – vor allem aber zwischen Praktikern und Forschern – erhebliche Meinungsunterschiede darüber, was unter wissenschaftlichem Vorgehen zu verstehen ist, welche Themen als forschungswürdig anzusehen sind und was als allgemein verbindlicher Wissensbestand der Psychologie zu betrachten ist.
Merksatz
Wie in jeder anderen Wissenschaft können auch in der Psychologie die allgemeinen theoretischen Grundfragen nur ansatzweise und partiell überprüft werden.
Auch wenn sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zumeist nicht explizit zu ihren inhaltlichen oder methodischen Grundannahmen (Forschungsaxiomen) bekennen, so lassen sich Letztere doch aus den gewählten Fragestellungen und den verwendeten Methoden manchmal indirekt erschließen. Bourne und Ekstrand (2005) sowie Hofstätter (1984) zeigen eine Reihe solcher impliziter Grundannahmen innerhalb der Psychologie auf, die sich oft mit den inhaltlichen oder methodischen Grundfragen des Faches decken. Nachfolgend sollen einige davon angeführt und kurz charakterisiert werden.
2.3.1 |Leib – SeeleMerksatz
Zur Beziehung zwischen körperlichen und seelischen Prozessen gibt es verschiedene Auffassungen, die sich jedoch in der Praxis kaum auf die wissenschaftliche Erkenntnisgewinnung auswirken.
Bereits seit Jahrtausenden wird in der Philosophie und in der Religion die Beziehung zwischen Leib und Seele – mehr oder weniger dogmatisch – zu beantworten versucht (s. dazu etwa Jüttemann, Sonntag & Wulf, 1991; Hinterhuber, 2001). Offensichtlich handelt es sich hierbei um eine ontologische, grundsätzlich nicht lösbare Fragestellung, die am ehesten mit jener Frage in der Physik vergleichbar ist, ob das Licht aus Teilchen oder aus Wellen besteht. Hinsichtlich der Leib-Seele-Problematik können prinzipiell drei Auffassungen vertreten werden:
1. Neben einer materiellen Welt gibt es – parallel dazu – auch noch eine geistige Welt („Dualismus“), beide wirken aufeinander ein („Wechselwirkungslehre“).
2. Alle beobachteten oder erlebten Phänomene bestehen nur aus einer Wesenheit, nämlich entweder aus materieller oder aus geistiger Substanz (Materialismus – Idealismus).
3. Geistiges und Körperliches sind nur zwei Seiten ein und derselben Wirklichkeit (Identitätslehre).
Der dritte Ansatz ist für die psychologische Forschung der fruchtbarste, weil er am ehesten die Gesetze der „inneren“ und der „äußeren“ Welt zusammenführt (s. dazu 4.1).
Anlage – Umwelt| 2.3.2Die Frage, wie stark das Verhalten des Menschen durch seine Anlagen (endogen) oder durch seine Umwelt (exogen) beeinflusst wird, ist im Zeitalter der Gentechnik höchst aktuell. Sind Persönlichkeitseigenschaften, Intelligenz, Begabungen, männliches oder weibliches Rollenverhalten angeboren oder durch (frühe) Lernprozesse erworben?







