- -
- 100%
- +
Gleich hinter dieser Hecke, einem Blickfang Passanten gegenüber und beliebtes Revier für die Vögel des Gartens, stand die erste Natursteinmauer, einen knappen Meter hoch, mit viel Schweiß, großer Freude am handwerklichen Tun und den vielfältigen Farben der Natursteine von Paul aufgebaut. Emma brachte anschließend nach und nach Stauden vom Gärtner mit oder als Mitbringsel vom einen oder anderen Nachbarn. Zwischen die Ritzen gesteckt, gediehen sie innerhalb kürzester Zeit üppig und wuchsen zu dicken farbigen Polstern heran.
An der vorderen Hauswand wuchs an einem Holzgestell eine Ranke wilden Weins empor, nach und nach die gesamte Hausfront bedeckend, die sich im Herbst in den schönsten Rottönen färbte und ihrerseits Vögeln Nistgelegenheiten bot. Die gefiederten Freunde aßen die dunkelblauen Beeren frisch im Herbst und zu kleinen Mini-Rosinen eingetrocknet an kalten Wintertagen.
Auf der rückwärtigen Hausseite mit dem großen Wohnzimmerfenster zum kleinen Hof hin stand die Teppichklopfstange, gut zum Turnen für die Kinder, für Klimmzüge und Aufschwünge.
Der Hof schloss ab mit einem Drahtzaun zum Doppelhaus-Nachbarn, den Großeltern Hermine und Gustav. An diesem Zaun hatte Ute, die vierjährige Jüngste, ein eigenes Beet. Sie durfte hier alles selbst entscheiden. Sie wünschte sich Lilien. Emma hatte ihr geholfen, die Lilienzwiebeln fachmännisch, einen halben Meter tief, auf Sand einzugraben und dann viel zu gießen. Ute war entzückt über die großen, wundersamen Blüten, die aus diesen unscheinbaren Zwiebeln emporsprossen. Radieschen-Samen hatte sie ferner ausgewählt, rote, längliche Zeppeline mit weißen Spitzen. Oft kontrollierte sie am oberen Blätterschaft, wie groß ihre roten Lieblinge schon waren. Drei Monatserdbeerstauden hatten auf ihrer Wunschliste gestanden, die bis Oktober kleine, hocharomatische Früchtchen hervorbrachten.
„Mehr braucht ein Mensch eigentlich nicht“, sagte Emma, als sie noch einmal über ihren Garten schauten, in dem alles wuchs, in dem sie viele Stunden im Jahr verbrachten mit Arbeit, die Glück vermittelte, eine besondere Art von Glück, Glück mit Langzeitwirkung. Jede Woche ist irgendwas anders: etwas sprießt aus dem Boden, etwas anderes kann geerntet werden und im Winter stehen im Keller Einmachgläser in Reih und Glied, gefüllt mit Marmeladen, Gurken, Gemüse, Kartoffeln in einer Schütte, ein großes Fass mit Holzdeckel und Wasserrinne, gefüllt mit geraspeltem Weißkohl, in Gärung begriffen, um herrliches Sauerkraut zu werden. Möhren in einem sandgefüllten Steinkrug, die auch im Winter noch frisch gegessen werden konnten. Das eigene Gemüse war eine große Hilfe bei ihrem Bemühen, regelmäßig ihre Raten für das Haus zu überweisen. Sie kamen voran. Auch das machte sie zufrieden.
„War das nicht eine enorm gute Idee von mir, vor vier Jahren, als du aus der Kur zurückkamst, zu entscheiden, dass wir das Haus kaufen sollten?“, fragte Paul und legte Emma den Arm um die Schulter. „Es war die genialste Idee, seit wir verheiratet sind, Paul, du autoritärer Wahnsinniger! Ich habe eine Waschmaschine, teilmechanisch, sie kurbelt an meiner Stelle, die Miele-Presse quetscht das meiste Wasser aus den schweren Teilen. Vor der Wäsche kann ich die Wäsche zum Bleichen auf die Wiese legen, vorab in Bleichsoda eingeweicht und quasi vorgewaschen. Später hänge ich den ganzen Salat auf die Leinen im Garten, Sommer und Winter, alles gut durchlüftet. Im Winter steifgefroren, standfeste Wäsche sozusagen. Ich muss nicht mehr von morgens früh bis abends spät endlos viele Treppen erklimmen, wenn ich in Keller, Waschküche oder auf den Boden will. Ich muss auch nicht mehr mit den Kindern spazierengehen. Ute spielt gern in ihrer Sand-Ecke oder bei ihrer Freundin Bea in deren Sandkasten. Die Großen haben Freunde, spielen draußen auf der Straße, auf der nur ein Auto verkehrt, das des Großvaters Gustav, und die Kinder müssen nicht Rücksicht auf Straßenverkehr nehmen. Hinter den Häusern sind Wiesen und Äcker.“
Gegenwärtig machen sie Stoppelschlachten auf den abgeernteten Getreidefeldern, das heißt, sie reißen Büschel der Getreidestrünke mitsamt Wurzeln aus und bewerfen sich damit. Abends sehen sie aus wie zweibeinige Ferkel. Zwar müssten die Haare täglich gewaschen werden, aber den Umstand macht sich hier keiner. So sind auch in den Betten Sandspuren, auf den Betten, den Treppen, den Teppichen. „Warum eigentlich nicht?“, sagt Emma. „Kinder, die nicht in Watte gepackt werden, sind gesünder.“ Die Fakten geben ihr recht. Baden, Haare-Waschen inbegriffen, ist am Samstag angesagt. Bade-Fest in der Zinkwanne in der Waschküche. Nach jedem Badegang wird Seifenschaum abgeschöpft und ein Töpfchen frisches, heißes Wasser für den Nächsten nachgeschüttet. Spaß macht es auf jeden Fall. In der Woche reicht die Schüssel in der Küche für Gesicht, Hände und Füße.
„Was für ein gutes Leben wir haben“, sagt Emma und umfasst Paul, dankbar für alles, was sie vor sich sehen und gemeinsam erlebt haben, seit sie vor neun Jahren geheiratet haben. „Ja, meine Emma“, bestätigt Paul.
„Komm, ich zeig dir mal was Schönes.“ Emma zieht Paul hin zu ihren beiden Lieblingen. Rechts und links vom großen Wohnzimmerfenster zum Hof hin, haben sie kurz nach ihrem Einzug je einen Weinstock angepflanzt. Die Ranken reichen bis zur Dachrinne und werden von einem Holzgestell gehalten. In diesem Jahr tragen beide Weinstöcke zum ersten Mal. Die Trauben sind zwar noch grün, aber Emma zupft einige goldgrüne Beeren einer Traube vom linken und steckt sie Paul in den Mund. Paul verzieht zwar unwillkürlich sein Gesicht Richtung sauer, dann kaut er andächtig die Beeren und spürt ihrem Aroma nach: „Wie wunderbar“, sagt er schließlich, „wer hätte das gedacht! Der Versuch hat sich gelohnt. Und Du, mein Mädchen, kommst an deine heißgeliebten Weintrauben.“ Emma zieht Paul zur anderen Seite: „Diese hier sind rund, noch dunkelgrün, haben große Trauben, brauchen aber noch länger.“ Eine Hand unter einer Traube sagt sie, stolz lächelnd: „Schau dir das an, wie riesig!“
Paul muss noch arbeiten, wie an den meisten Sonntagen. Emma hat vor, mit Ute und Sportwagen zu den Bleichen zu gehen, einem kleinen Hof Richtung Stadt, nahe der Neiße, wo ein Wurf junger Boxer angekommen sein soll. Sie will sie nicht nur anschauen. Sie hat seit Wochen kleine Beträge ihres Wirtschaftsgeldes zurückgelegt. Paul wünscht sich einen Boxer. Auch Emma denkt seit langem an einen Hund, jetzt, wo die beiden Großen an den Vormittagen in der Schule sind und auch Ute in absehbarer Zeit eingeschult wird.
Zuvor macht Emma für Paul einen Malzkaffee aus selbst gerösteten Gerstenkörnern. „Du willst doch sicher noch deine ‚Krönungs-Kuchen-Krusten‘ aufessen“, sagt sie und stellt die dampfende Tasse auf seinen Schreibtisch.
Am späteren Nachmittag kommt sie zurück, Ute im Sportwagen, den achtwöchigen Boxer-Welpen Rocco auf ihrem Schoß, der bereits unterwegs Erfahrungen mit einem Zitronenfalter gemacht hat, den er fangen wollte und dabei kopfüber aus dem Wagen purzelte.
Emma schleicht bei ihrer Rückkehr zusammen mit Ute auf Zehenspitzen ins Herrenzimmer, den Zeigefinger Richtung Ute auf den Lippen und hält Paul den warmen, seidenweichen Hund von hinten an die Wange. ‚Ihr sollt mich doch nicht beim Arbeiten stören‘, wollte Paul gerade sagen. Stattdessen ist ein überraschtes, freudiges: „Nein, das gibt’s doch nicht“, zu hören. Paul steht so schwungvoll auf, dass sein Schreibtischstuhl schwankt und dann umkippt, nimmt den neuen Familien-Zuwachs in beide Hände und hält ihn sich an die Nase, um ausgiebig an ihm zu schnuppern, den Welpen an sich schnuppern zu lassen und seine Wärme zu empfinden, dann hält er das Hunde-Baby hoch in die Luft, um ihn eingehend zu betrachten und zu bewundern. Rocco hat einen dicken Milchbauch und weiche Beine, die den Tonnenbauch noch nicht tragen können. Deshalb rudert er, als Paul ihn auf den Boden setzt, mit seinen vier Gummibeinen und bewegt seine Milchtonne rutschend durch das Herrenzimmer. „Was für ein Prachtbursche“, findet Paul und nimmt Emma und Ute in die Arme. „Willkommen in unserer Familie, du kleiner Hundemann, hochwillkommen auch zur Verstärkung des unterrepräsentierten männlichen Teils der Familie. Wir zwei Männer müssen gegen so viele Frauen zusammenhalten, was meinst du?“ Paul hat den kleinen Milchsack wieder hochgehoben. Er hängt, alle vier Pfoten abwärts baumelnd wie weiche Würste, in Pauls Händen und schaut mit großen, samtig-braunen, neugierigen Augen aus seiner zerfurchten Faltenstirn. Sabber tropft aus seinen schwarzen, seidenweichen Lefzen.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.




