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»Ich kleidete mich sehr sorgfältig, zog meine Ketten und Ringe an, träufelte ein bischen Parfüm auf mein Taschentuch und begleitete den Adjutanten zu dem Gouverneur, wo man mich nach meiner Mutter, Lady, – nach meinem Onkel und nach meinem Vormund fragte, und hundert andere Fragen an mich richtete. Anfangs war ich sehr verwirrt, was man meiner Blödigkeit zuschrieb; das war es auch, aber nicht von der rechten Sorte. Aber ehe der Tag vorbei war, gewöhnte ich mich so daran, mich Lord nennen zu hören, und überhaupt an meine ganze Lage, daß ich mich sehr wohl befand und anfing, die Bewegungen und das Benehmen der Gesellschaft zu beobachten, um mein Betragen nach dem des guten Tones zu regeln. Ich blieb vierzehn Tage in Gibraltar, und dann bot sich mir eine Gelegenheit auf einem Transportschiffe nach England dar. Als ein Offizier war ich natürlich bis auf einen gewissen Betrag frei. Bei meiner Überfahrt nach England faßte ich wieder den Entschluß, meine Kleidung und meinen Titel, sobald ich es unbemerkt könnte, abzulegen, allein ich wurde wie zuvor daran verhindert. Der Hafenadmiral ließ sich das Vergnügen meiner Gesellschaft bei Tische ausbitten; ich durfte es nicht abschlagen, und nun war ich wieder wie vorher mein Lord, von jedermann bekomplimentiert und gefeiert. Handelsleute erbaten sich die Ehre von Seiner Herrlichkeit Kundschaft; mein Tisch im Hotel war mit Karten aller Art bedeckt, und um die Wahrheit zu gestehen, ich gefiel mir so sehr in meiner Lage und hatte mich so daran gewöhnt, daß mir der Gedanke, eines Tages darauf verzichten zu müssen, unangenehm war, obschon ich den Entschluß faßte, dies, sobald ich den Platz verließ, wirklich zu thun. Meine Rechnung im Hotel war sehr übertrieben und überstieg thatsächlich meine Geldmittel, allein der Inhaber sagte, dies habe gar nichts zu bedeuten, Seine Lordschaft sei natürlich nicht mit Kasse versehen, da sie gerade aus fremden Landen kämen, und bot mir, wenn ich es wünschte, Geld an. Doch ich muß sagen, daß ich ehrlich genug war, dies abzulehnen. Ich ließ meine Karten, mit P. P. C. Pour prendre congé, um Abschied zu nehmen. bezeichnet, wie es in guter Gesellschaft gebräuchlich ist, zurück und fuhr auf der Post nach London, wo ich fest entschlossen war, meinen Titel abzulegen und zu Seiner Lordschaft Mutter mit der traurigen Nachricht seines Todes nach Schottland zu gehen – denn Sie sehen, Herr Simpel, niemand wußte, daß Seine Lordschaft tot war. Der Kapitän des Transportschiffes hatte ihn lebend in die Schebeke gebracht, und das nach Gibraltar bestimmte Kauffahrteischiff ihn, wie man vermutete, aufgenommen. Der Kapitän der Fregatte erhielt sehr bald Nachricht von Gibraltar, welche Seiner Lordschaft Wiederherstellung und Rückkehr nach England meldete. Ich war kaum fünf Minuten in der Kutsche, als ein Gentleman hereinstieg, welchen ich bei dem Hafenadmiral getroffen hatte; außer diesem kannten mich der Kutscher und andere Personen sehr wohl. Als ich in London ankam (ich trug noch meine Uniform), begab ich mich in ein Hotel, das mir empfohlen und, wie ich nachher fand, das nobelste in der Stadt war. Mein Titel folgte mir dahin nach. Ich beschloß nun, die Uniform abzulegen und einfache Kleidung zu tragen – meine Komödie war vorbei. Ich ging in dieser Nacht zu Bette und erschien den anderen Morgen in einem Gewande von Mufti, Zivilkleidung (anglo-indischer Offiziersausdruck). und fragte den Oberkellner, welches die beste Gelegenheit nach Schottland wäre.«
»›Extrapost mit Vieren, mein Lord. Wann soll ich's bestellen?‹«
»›O‹, versetzte ich, ›ich weiß noch nicht gewiß, ob ich morgen abreisen werde.‹«
»Gerade in diesem Augenblicke trat der Hotelbesitzer mit der Morgenpost herein, machte mir eine tiefe Verbeugung, indem er auf einen Artikel hinwies, der meine Ankunft in seinem Hotel unter der Noblesse bezeichnete. Dies ärgerte mich, und da ich nun fand, wie schwierig es war, meinen Titel loszuwerden, wünschte ich sehnlichst, wieder William Chucks zu sein, wie vorher. Vor zwölf Uhr wurden drei oder vier Gentlemen in mein Zimmer geführt, welche meine Ankunft in der verdammten Morgenpost entdeckt hatten und mir ihre Ehrerbietung bezeugen wollten; ehe der Tag vorbei war, hatte ich von einem Dutzend Personen Einladung über Einladung. Ich sah ein, daß ich mich nicht zurückziehen konnte, und ging mit dem Strome, wie früher zu Gibraltar und Portsmouth. Drei Wochen lang war ich überall, und wenn ich es in Portsmouth angenehm fand, wie viel angenehmer in London? allein ich fühlte mich nicht glücklich, Herr Simpel, weil ich ein Betrüger war, der jeden Augenblick erwarten mußte, entdeckt zu werden. Doch war es wirklich etwas Hübsches, ein Lord zu sein.
»Endlich hatte die Posse ein Ende. Einige junge Leute hatten mich in ein Spielhaus gelockt, wo sie mich zu rupfen beabsichtigten, aber in der ersten Nacht ließen sie mich, glaube ich, dreihundert Pfund gewinnen. Ich war ganz erfreut über mein gutes Glück und hatte versprochen, den nächsten Abend wieder mit ihnen zusammen zu kommen; allein als ich eben mit übereinander geschlagenen Beinen beim Frühstück saß und die Morgenpost las, – wer trat herein? – mein Onkel-Vormund. Er kannte seines Neffen Züge zu gut, um sich täuschen zu lassen, und der Umstand, daß ich ihn nicht erkannte, bewies sogleich, daß ich ein Betrüger war.
»Erlauben Sie mir über die Scene hinweg zu eilen, welche nun folgte. – Die Wut des Onkels, die Verwirrung in dem Hotel, das Schimpfen der Aufwärter, des Polizeioffiziers, und wie ich in einer Mietkutsche nach Bowstreet geschleppt wurde. Hier wurde ich verhört und gestand alles. Der Oheim freute sich so sehr, zu finden, daß sein Neffe wirklich tot war, daß er keinen Groll gegen mich empfand, und da ich überhaupt nur einen Namen angenommen, aber niemand als den Wirt in Portsmouth betrogen hatte, so wurde ich an Bord des Lichters beim Tower geschickt, um einem Kriegsschiffe überliefert zu werden. Von meinen dreihundert Pfund, meinen Kleidern und so fort, habe ich nie mehr etwas gehört, sie wurden vermutlich von dem Hotelier für meine Rechnung in Beschlag genommen, und er muß sich sehr gut damit bezahlt gemacht haben. Ich trug zwei Ringe an meinen Fingern und eine Uhr in meiner Tasche, als ich an Bord des Lichters geschickt wurde, und verwahrte sie sehr sorgfältig. Ich hatte auch einige Pfund in meinem Beutel. Man schickte mich nach Plymouth, wo ich auf einer Fregatte Dienst nehmen mußte. Nachdem ich hier einige Zeit verweilt hatte, verwandelte ich die Uhr und die Ringe in Geld, und kaufte mir einen guten Vorrat Kleider; denn Schmutzigkeit konnte ich nicht leiden. Ich wurde für den Besanmast bestimmt, und niemand wußte, daß ich ein Lord gewesen bin.«
»Sie fanden gewiß einen Unterschied in Ihrer Lage?«
»Allerdings, Herr Simpel, allein ich war viel glücklicher. Ich konnte die Ladies, und die Diners, und die Oper und alle Ergötzlichkeiten Londons, nebst dem Respekt, welchen man meinem Titel zollte, nicht vergessen; allein der Polizeioffizier und Bowstreet kamen mir auch ins Gedächtnis, und ich schauderte bei der Erinnerung. Es hatte jedoch eine gute Wirkung; ich faßte den Entschluß, womöglich Offizier zu werden, lernte meinen Dienst und arbeitete mich zum Quartiermeister und von da zum Bootsmann hinauf – und ich kenne meinen Dienst, Herr Simpel. Allein für meine Thorheit habe ich seitdem stets gebüßt. Ich faßte Gedanken, die über meine Stellung im Leben hinausgehen, und kann nicht umhin, zu wünschen, daß ich ein Gentleman sein möchte. Es ist ein böses Ding für einen Mann, wenn er Ideen hat, die über seinen Stand sind.«
»Sie mußten allerdings einen Unterschied zwischen der Londoner Gesellschaft und den Unteroffizieren finden.«
»Es ist nun schon einige Jahre her, Sir, allein ich vermag über das Gefühl nicht Herr zu werden. Ich kann mich durchaus nicht mit ihnen befassen. Es kann jemand auch in einem niedrigen Stande die Gefühle eines Gentleman haben, aber nie kann man mit solchen Leuten, wie Herr Dispart oder Herr Muddle, dem Schiffszimmermann, auf vertrautem Fuße stehen. Sie sind zwar ganz recht in ihrer Art, Herr Simpel, aber was läßt sich von Offizieren erwarten, welche ihre Kartoffeln in einem Kohlnetze zum Sieden in den Schiffskessel hängen, während sie wissen, daß ihnen ein Dritteil eines Kochofens eingeräumt ist, um daselbst ihre Speise zu kochen?«


Fünfzehntes Kapitel.
Ich trete den Dienst an und werde von einer alten Lady zum Gefangenen gemacht, welche nicht imstande, meine Hand zu erlangen, meinen Finger nimmt zum Andenken. – O'Brien befreit mich. – Eine Seeküste und knappes Einkommen.
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Zwei oder drei Tage nach dieser Unterhaltung mit Herrn Chucks lief der Kapitän mit der Fregatte ans Land; als wir noch fünf Meilen davon entfernt waren, entdeckten wir zwei Fahrzeuge. Wir machten mit allen Segeln Jagd darauf, und wollten ihnen die Flucht um eine Sandbank abschneiden, welche sie zu umsegeln suchten. Als sie sahen, daß sie ihr Vorhaben nicht ausführen konnten, liefen sie unter eine kleine Batterie von zwei Kanonen ans Land, und fingen an, auf uns zu feuern. Der erste Schuß, welcher durch die Masten schwirrte, hatte für mich einen schrecklichen Klang; aber die Offiziere und Matrosen lachten darüber, und ich versuchte natürlich das Nämliche, obwohl ich in der Wirklichkeit nichts zum Lachen sehen konnte. Der Kapitän befahl, die Steuerbordwache aufs Verdeck zu pfeifen und die Boote zu reinigen, damit sie zum Auslaufen bereit wären; wir ankerten nun eine Meile von der Batterie entfernt und erwiderten das Feuer. Mittlerweile lief die übrige Schiffsmannschaft aus, und es wurden hier Boote ausgesetzt, welche zum Sturm auf die Batterie bemannt und ausgerüstet waren. Ich sehnte mich sehr, ins Feuer zu kommen, und O'Brien, welcher das Kommando über den ersten Kutter hatte, erlaubte mir, mitzugehen, unter der Bedingung, daß ich mich unter den Vordersegeln verborgen halte, damit mich der Kapitän nicht sehe, ehe die Boote vom Lande abstießen.
Ich befolgte dies und wurde nicht entdeckt. Wir segelten gerade auf die Batterie los; in weniger als zehn Minuten liefen die Boote auf den Strand und wir sprangen heraus. Die Franzosen feuerten eine Kanone auf uns ab, da wir nahe an die Küste hinfuhren, und liefen dann davon, so daß wir ohne Kampf Besitz nahmen, was, um die Wahrheit zu gestehen, mir nicht leid that, da ich mich nicht für alt oder stark genug halten konnte, um mit einem erwachsenen Mann handgemein zu werden. Nahe bei der Batterie fanden sich einige Fischerhütten, und während zwei von den Booten an Bord der Schiffe gingen, um zu sehen, ob sie wieder flott gemacht werden konnten, andere die Kanonen vernagelten und die Lafetten zerstörten, ging ich mit O'Brien zu den Hütten, um sie zu untersuchen. Sie waren von den Leuten verlassen, wie vorauszusehen war, aber es lag eine große Menge Fische darin, welche, dem Anschein nach, erst den Morgen gefangen worden waren. O'Brien wies auf eine sehr große Glattroche.
»Alle Hagel,« rief er aus, »das ist wahrhaftig der Geist meiner Großmutter, wir müssen sie haben, wenn es auch nur wegen der Familienähnlichkeit wäre. Peter, stecke Deinen Finger in die Kieme und schleppe sie zum Boote hinab.«
Ich konnte meinen Finger nicht in die Kieme einzwängen, und da das Tier ganz tot schien, so krümmte ich denselben in sein Maul; aber ich machte einen dummen Streich, denn das Tier war noch am Leben, und schloß sogleich seine Kinnladen, indem es meinen Finger bis aufs Bein durchbiß und ihn so fest hielt, daß ich ihn nicht zurückziehen konnte; auch war der Schmerz zu groß, als daß ich ihn mit einem Ruck herauszureißen vermochte. So war ich nun in einer Falle, und von einem Plattfische zum Gefangenen gemacht. Zum Glücke schrie ich laut genug, so daß O'Brien, welcher, mit einem großen Stockfisch unter jedem Arm, schon nahe bei den Booten war, wieder umkehrte und mir zu Hilfe kam. Zuerst konnte er mir vor Lachen nicht helfen, aber endlich öffnete er die Kinnlade des Fisches gewaltsam mit seinem Messer, und ich zog meinen Finger heraus, aber sehr schlimm zugerichtet. Ich nahm alsdann mein Strumpfband ab, band es um den Schwanz der Glattroche und zog sie nach dem Boote, welches gerade im Begriff war, abzustoßen. Die übrigen Boote hatten es unmöglich gefunden, die Schiffe flott zu machen, ohne sie auszuladen, daher wurden sie auf Befehl des Kapitäns in Brand gesteckt, und waren, ehe wir sie aus dem Gesicht verloren, schon bis zum Wasserspiegel herabgebrannt. Mein Finger war drei Wochen lang sehr schlimm, aber die Offiziere lachten sehr über mich, indem sie sagten, ich sei beinahe von einer alten Jungfer gefangen worden.
Wir setzten unsere Fahrt der Küste entlang fort, bis wir in die Bai von Arkason einliefen, wo wir zwei oder drei Fahrzeuge wegnahmen und mehrere auf den Strand zu laufen nötigten. Hier hatten wir einen augenscheinlichen Beweis, wie wichtig es ist, daß ein Kapitän von einem Kriegsschiffe ein guter Seemann ist und sein Schiff so in der Zucht hält, daß ihm die Mannschaft strenge gehorcht. Ich hörte, nachdem die Gefahr vorüber war, die Offiziere einstimmig behaupten, nur die Geistesgegenwart, welche Kapitän Savage gezeigt, habe das Schiff mit der Mannschaft retten können. Wir hatten ein Geschwader von Fahrzeugen bis an das Ende der Bai verfolgt; der Wind wehte sehr frisch, als wir, nachdem wir sie ans Land getrieben hatten, umlegten; die Brandung am Strande war gerade damals so stark, daß die Schiffe in Stücke gehen mußten, ehe sie wieder flott gemacht werden konnten. Wir waren genötigt, die Topsegel doppelt zu reffen, sobald wir dem Winde entgegen fuhren. Das Wetter sah sehr drohend aus. Eine Stunde nachher bedeckte sich der Himmel mit einer schwarzen Wolke, welche so niedrig stand, daß sie fast unsere Mastspitze berührte; eine furchtbare See, welche wie durch Zaubergewalt sich zu erheben schien, rollte auf uns los und trieb das Schiff hart gegen eine Seeküste. Mit einbrechender Nacht wütete ein schrecklicher Sturm; das Schiff wurde durch den Druck der Segel beinahe begraben. Hätten wir offene See gehabt, so würden wir unser Sturmstagsegel beigelegt haben, aber wir mußten auf alle Gefahr hin Segel führen, um die Küste zu vermeiden. Die See brach sich, wenn wir zwischen ihren Hohlwellen lagen, über uns, und überschüttete uns mit Wasser von dem Vorderkastell bis zu den Binakeln. Sehr oft, wenn das Schiff in die Tiefe hinabstürzte, geschah es mit solcher Gewalt, daß ich wirklich glaubte, es werde durch die Heftigkeit des Stoßes entzwei gehen. Wir banden doppelte Anhalt-Taue an die Kanonen, auch wurden sie überdies mit Takelwerk versehen; denn wir legten oft so sehr an die Seite, daß die Kanonen nur durch die Anhalt-Taue und das Takelwerk gehalten wurden, und wäre eine davon los gegangen, so wäre sie gerade durch die Leeseite des Schiffes gebrochen und das Schiff wäre gescheitert. Der Kapitän, der erste Leutnant und die meisten übrigen Offiziere blieben die ganze Nacht auf dem Verdeck, und wirklich glaubte ich bei dem Heulen des Windes, bei der Gewalt des Regens, dem Überfluten der Verdecke, bei dem Arbeiten der Kettenpumpen und dem Krachen und Ächzen der Balken, daß wir unfehlbar verloren seien; ich sagte wenigstens zwölfmal während der Nacht meine Gebete her, denn es war mir unmöglich, zu Bette zu gehen. Ich hatte, oft aus Neugierde gewünscht, einen Sturm zu erleben, aber ich hielt es für keine Scene dieser Art und nicht für halb so furchtbar. Was unsere Lage noch schrecklicher machte, war, daß wir uns an einer Leeküste befanden, und die Beratungen des Kapitäns mit den Offizieren, sowie die Sehnsucht, mit welcher sie nach dem Tageslicht ausschauten, sagten uns, daß wir außer dem Sturme noch andere Gefahren zu bestehen hatten. Endlich brach der Morgen an und der Wächter auf dem Gange rief aus: »Land an der Leeseite!« Ich bemerkte, daß der Schiffsmeister, wie aus Unwillen, mit seinen Füßen gegen das Hängemattengeländer stampfte und, ohne ein Wort zu sagen, mit sehr ernsthaftem Aussehen wegging.
»Hinauf, Herr Wilson«, sagte der Kapitän zu dem zweiten Leutnant, »und sehen Sie, wie weit das Land sich vorstreckt, und ob Sie die Spitze unterscheiden können.«
Der zweite Leutnant stieg die Haupttakelung hinan und zeigte mit seiner Hand auf ungefähr zwei Windstriche vor dem Maste.
»Sehen Sie zwei Hügel im Binnenlande?«
»Ja, Sir«, versetzte der zweite Leutnant.
»Dann ist es so«, bemerkte der Kapitän dem Schiffsmeister, »und wenn wir es umsegeln, so werden wir mehr offene See haben. Haltet den Schnabel voll und laßt ihn durchs Wasser gehen, hört Ihr, Quartiermeister?«
»Ja, Sir.«
»So und nicht näher, Mann. Hebt mit eine oder zwei Speichen, wenn das Schiff aufwirft; aber gebt acht, oder es nimmt Euch das Rad aus der Hand.«
Es war in der That ein furchtbarer Anblick. Als das Schiff in der hohlen See daherfuhr, konnten wir nichts als eine stürmische Wasserwüste unterscheiden, aber wenn es auf der Spitze der ungeheuern Wogen tanzte, sah man unter sich, scheinbar ganz nahe, eine niedrige sandige Küste, mit Schaum und Brandung bedeckt.
»Die Fregatte hält sich gut«, bemerkte der Kapitän, indem er an dem Steuerhäuschen Halt machte und auf den Kompaß schaute. »Wenn der Wind sich nicht gegen uns dreht, so können wir herumkommen.«
Der Kapitän hatte kaum Zeit, diese Bemerkung zu machen, als die Segel sich füllten und gleich dem Donner krachten.
»Hinauf mit dem Steuer! wie steht es, Quartiermeister?«
»Der Wind weht uns ins Gesicht, Sir«, versetzte der Quartiermeister kaltblütig.
Der Kapitän und der Schiffsmeister blieben an dem Steuerhäuschen, um den Kompaß zu beobachten; als die Segel sich wieder füllten, war die Fregatte um zwei Windstriche abgewichen und die Landspitze nur ein wenig an der Leeseite.
»Wir müssen umlegen, Herr! Hand angelegt! Wendet das Schiff – fertig, he, fertig!«
»Es kommt wieder herauf«, schrie der Schiffsmeister, welcher an dem Binnakel stand.
»Haltet fest hier eine Minute. Wie steht nun seine Spitze?«
»Nordnordost, wie sie war, ehe sie abwich, Sir.«
»Pfeift zum Belegen«, sagte der Kapitän. »Falkon«, fuhr er fort, »wenn sie noch einmal abweicht, so haben wir keinen Raum zum Vieren mehr, es ist in der That so wenig Raum hier, daß ich es auf die Gefahr hin wagen muß. Welches Kabel wurde letzte Nacht aufgerollt – der beste Buganker?«
»Ja, Sir.«
»Dann eilen Sie hinab, und sehen Sie, daß er doppelt umschlungen und auf dreißig Faden gestoppt wird. Sehen Sie zu, daß es sorgfältig geschieht, unser Leben hängt davon ab.«
Das Schiff hielt fortwährend seinen guten Lauf; wir waren eine halbe Meile von der Spitze entfernt und hofften zuversichtlich, sie zu umsegeln, als die nassen und schweren Segel wieder im Winde kappten und das Schiff wie vorher um zwei Striche abwich. Die Offiziere und Matrosen erblaßten, denn das Schiff ging gerade auf die Brandung los.
»Angeluvt, so viel als möglich, Quartiermeister!« schrie der Kapitän, »die Mannschaft sogleich aufs Hinterdeck! Meine Jungen, jetzt ist keine Zeit zum Sprechen, ich will das Schiff klubholen, denn zum Vieren ist kein Raum; die einzige Möglichkeit eurer Rettung besteht darin, daß ihr kaltblütig seid, in meinen Augen lest und meine Befehle genau vollzieht. Auf eure Posten zum Schiffwenden! Den besten Buganker herbei. Herr Wilson, Sie bleiben unten mit dem Zimmermann und seinem Gehilfen, und sind bereit, sogleich das Tau zu kappen, wenn ich den Befehl gebe. Alles still vorn wie hinten! Quartiermeister, haltet das Schiff voll für die Stagsegel. Laßt das Steuer nach, wenn ich es sage.«
Ungefähr eine Minute verging, ehe der Kapitän weitere Befehle gab. Das Schiff hatte sich ungefähr eine Viertelmeile dem Strande genähert, die Wogen umschäumten und berührten uns, indem sie uns der Küste zuführten, welche eine zusammenhängende Oberfläche von Schaum darstellte, und sich ungefähr eine halbe Kabellänge von unserem Standorte erstreckte, bis zu welcher Entfernung die ungeheuren Wogen sich auftürmten und mit Donnergeräusch niederfielen. Der Kapitän winkte dem Quartiermeister am Rade schweigend mit der Hand, und das Steuerruder wurde niedergelassen. Das Schiff wandte sich langsam dem Winde zu, und stürzte, sobald man die Segel luvwärts brasste. Als es seinen Weg verloren hatte, gab der Kapitän Befehl: »den Anker los! wir wollen alle auf einmal ziehen, Herr Falkon.«
Kein Wort wurde gesprochen, die Matrosen gingen an die Vorderbrassen, welche nicht bemannt waren; die meisten derselben wußten (was bei mir nicht der Fall war), daß, wenn das Schiff sich nicht anders wende, wir in einer halben Minute an der Küste mitten in der Brandung sein würden. Ich glaubte, der Kapitän hätte gesagt, er wolle alle Raaen auf einmal anziehen lassen; hierbei schien sich auf dem Gesichte des Herrn Falkon Zweifel oder eine andere Meinung auszudrücken, und man sagte mir nachher, daß er nicht mit dem Kapitän übereinstimmte; aber er war ein zu guter Offizier und wußte, daß jetzt keine Zeit zu Erörterungen sei, um eine Bemerkung zu machen, und der Erfolg bewies, daß der Kapitän recht hatte. Endlich wandte sich das Schiff gegen den Wind und der Kapitän gab das Zeichen. Die Raaen flogen mit solchem Krachen herum, daß ich dachte, die Masten seien zerbrochen, und im nächsten Augenblick hatte der Wind die Segel gefaßt; das Schiff, welches ein paar Minuten auf ebenem Kiel gewesen war, legte sich durch seine Gewalt bis ans Schanddeck auf die Seite. Der Kapitän, welcher auf dem Wetterseiten-Hängemattengitter stand, hielt sich an der Takelung fest, befahl, das Steuerruder in der Mitte des Schiffes zu halten, sah fest auf die Segel und dann auf das Kabel, welches breit auf der Luvseite hervorkam, und hielt das Schiff ab, sich der Küste zu nähern. Endlich rief er aus: »Kabel gekappt!« Es wurden ein paar Streiche von den Äxten gehört und dann fuhr das Kabel infolge der Reibung mit heller Flamme durchs Ankertauloch und verschwand unter einer furchtbaren Welle, welche uns an den Halsenblock warf, und vorn und hinten mit Wasser überschüttete. Das Schiff hatte nun eine andere Wendung und hielt seinen Lauf wieder, während unsere Entfernung vom Lande offenbar zunahm.
»Meine Jungen«, sagte der Kapitän zu der Schiffsmannschaft, »ihr habt euch gut gehalten, ich danke euch, allein ich muß auch ehrlich bekennen, daß wir noch mehr Schwierigkeiten durchzumachen haben. Wir müssen in dieser Richtung eine Spitze der Bai umsegeln, Herr Falkon, splissen Sie die große Brasse und rufen Sie die Wache. Wie steht der Schnabel, Quartiermeister?«
»Südwest bei Süd, südlich, Sir.«
»Sehr wohl; laßt ihn durchs Wasser gehen.«
Mit diesen Worten ging der Kapitän, indem er dem Schiffsmeister winkte, ihm zu folgen, in die Kajütte hinab. Da die augenblickliche Gefahr vorbei war, begab ich mich ebenfalls in die Kajütte, um zu sehen, ob ich nicht etwas zum Frühstück erhalten könnte, und fand daselbst O'Brien mit einigen andern.
»Bei Gott, es war ein so hübsches Ding, wie ich je eines ausführen sah«, bemerkte O'Brien; »das geringste Versehen in der Zeit oder Behandlung – und die Plattfische würden jetzt an unsern häßlichen Leichnamen nagen. Peter, mein Junge, bist Du Liebhaber von Plattfisch? Danken wir dem Himmel und dem Kapitän, das kann ich euch sagen, meine Jungen; aber wo ist die Karte, Robinson? Reich mir das Parallellineal und den Zirkel, Peter; sie liegen in der Ecke des Simses. Wir sind nun verteufelt nahe an dieser höllischen Spitze. Wer weiß, wie die Richtung ist?«
»Ich, O'Brien; ich hörte den Quartiermeister zum Kapitän sagen, Südwest bei Süd, südlich.«
»Laß mich sehen«, fuhr O'Brien fort, »Abweichung 2¼ Strich Leeseite, zu viel angenommen, fürchte ich; doch will ich ihm 2½ Strich geben. Die Diomede würde erröten, unter allen Umständen mehr als diese zu machen. Den Zirkel her, ich will sehen;« und damit rückte O'Brien das Parallellineal von dem Zirkel an die Stelle, wo das Schiff auf der Karte verzeichnet war; »potz tausend, ich hoffe, es ist so viel, als es thun kann, wenn es in dieser Richtung die andere Spitze umsegelt, und dies meinte der Kapitän damit, als er sagte, wir hätten noch mehr Schwierigkeiten zu überwinden. Ich könnte einen Eid auf die Bibel schwören, daß wir ganz aus der Klemme sein werden, wenn der Wind hält.«