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»Herr Chucks! vergessen Sie nicht, heute Nachmittag allen Bojen zur Ader zu lassen!«
Den Bojen zur Ader lassen, dachte ich, wie kann dies sein; jedenfalls scheint der Chirurg die geeignete Person zu sein, diese Operation zu verrichten. Diese letzte, unbegreifliche Bemerkung trieb mich vom Verdecke und ich zog mich in das Cockpit zurück, wo ich Madame Trotter fand.
»Ach, mein Lieber,« sagte sie, »wie freut es mich, daß Sie kommen, denn ich möchte gerne Ihre Kleider in Ordnung bringen. Haben Sie eine Liste von denselben? Wo ist Ihr Schlüssel?«
»Ich habe keine Liste,« versetzte ich und gab ihr den Schlüssel hin, obschon ich die Warnung des Seekadetten nicht vergaß; allein ich dachte, es habe nichts zu sagen, wenn ich sie in meiner Gegenwart meine Kleider sehen lasse. Sie schloß meinen Koffer auf, packte alles nach einander aus und dann fing sie an, mir nach einander zu sagen, was ich brauchen könne und was nicht.
»Diese gestrickten Strümpfe,« sagte sie, »sind bei kaltem Wetter sehr bequem und im Sommer werden diese braunen, wollenen Socken angenehm kühl sein. Sie haben von beiden genug, bis Sie aus ihnen herauswachsen, aber diese feinen wollenen Strümpfe sind für sie von keinem Nutzen! – Sie nehmen nur den Schmutz an, wenn das Deck geschwemmt wird, und stehen nicht nett. Ich wundere mich, wie man so thöricht sein konnte, sie Ihnen zu schicken; niemand trägt sie heutzutage an Bord. Sie sind nur für Frauen passend, und ich möchte gerne wissen, wie sie mir stehen.« Sie rückte ihren Stuhl hinweg und zog einen meiner Strümpfe an, wobei sie immer lachte. Hierauf wandte sie sich gegen mich und ließ mich sehen, wie hübsch sie ihr ständen. »Wahrhaftig, Herr Simpel! gut, daß Trotter im Schiffsraume ist, er würde sonst eifersüchtig werden. – Wissen Sie, was diese Strümpfe kosten? Sie sind für Sie von keinem Nutzen und mir passen sie. Ich will mit Trotter sprechen und sie Ihnen abnehmen.«
Ich erwiderte, ich könne nicht daran denken, sie zu verkaufen, aber weil sie für mich nicht brauchbar wären und ihr paßten, so bitte ich sie, das Dutzend Strümpfe annehmen zu wollen. Zuerst weigerte sie sich standhaft, aber da ich in sie drang, gab sie endlich nach, und ich war ebenso glücklich sie ihr geben zu können, als sie freundlich gegen mich war; ich hielt sie, wie ihr Ehemann, für eine sehr reizende Frau.
Wir hatten heute Beefsteak mit Zwiebeln, allein ich konnte den Geruch der Zwiebeln nicht vertragen. Herr Trotter kam sehr verdrießlich herunter, weil der erste Leutnant ihn getadelt hatte. Er schwur, er wolle den Dienst aufgeben, er sei nur da geblieben, um den Kapitän zu verpflichten, welcher gesagt hatte, er wolle lieber seinen rechten Arm, als ihn verlieren; auch werde er von dem ersten Leutnant Satisfaktion verlangen, sobald er seine Entlassung erhalten könne. Madame Trotter that alles, was sie konnte, um ihn zu besänftigen; sie erinnerte ihn daran, daß er die Protektion von diesem und jenem Lord habe, welcher ihm zu seinem Recht verhelfen werde, allein umsonst. Der erste Leutnant habe ihm gesagt, fuhr er fort, er sei das Salz nicht wert, und Blut allein könne den Schimpf abwaschen. Er trank ein Glas Grog um das andere, und mit jedem Glase wurde er heftiger, und Madame Trotter trank auch, wie ich bemerkte, einen guten Teil mehr, als sie nach meiner Ansicht hätte trinken sollen; allein sie flüsterte mir zu: sie trinke nur deshalb so viel, damit Trotter keinen Rausch bekomme. Ich hielt dies von ihrer Seite für ein großes Opfer, allein sie blieben so lange sitzen, daß ich sie verließ und ins Bette ging, während er noch immer trank und dem ersten Leutnant Rache schwur.
Ich hatte kaum zwei oder drei Stunden geschlafen, als ich durch ein großes Geräusch und Gezänke aufgeweckt wurde; ich entdeckte, daß Herr Trotter betrunken war und sein Weib prügelte. Sehr ungehalten darüber, daß eine so reizende Frau geschlagen und übel behandelt werden sollte, kletterte ich aus meiner Hängematte heraus, um zu sehen, ob ich keinen Beistand leisten könne, allein es war stockfinster und sie pufften einander so stark als vorher. Hierauf forderte ich den Matrosen, welcher oben an der Geschützkammerthür Wache stand, auf, seine Laterne zu bringen, und ärgerte mich sehr über seine Antwort, ich würde am besten thun, ins Bette zu gehen, und sie den Streit ausfechten zu lassen. Kurz nachher kam Madame Trotter, welche ihre Kleider noch nicht ausgezogen hatte, hinter dem Vorhang hervor. Ich bemerkte sogleich, daß die arme Frau kaum stehen konnte; sie wankte auf mein Kissen zu, setzte sich nieder und weinte. Ich zog meine Kleider so schnell als möglich an, und ging auf sie zu, um sie zu trösten, aber sie konnte nicht vollständig sprechen. Ich suchte vergebens, sie zu beruhigen; sie antwortete nicht, sondern wackelte auf meine Hängematte zu, und nach mannigfachen Versuchen gelang es ihr hineinzukommen. Ich kann nicht sagen, daß es mir sehr angenehm war, aber was konnte ich thun? Ich zog mich daher vollends an und ging auf das Hinterdeck. Der Seekadett auf Wache war derselbe, der mich vor den Trotters gewarnt hatte. Er war sehr freundlich gegen mich und sagte: »Nun, Simpel, was bringt sie auf das Deck?« Ich erzählte ihm, wie schlimm Herr Trotter mit seinem Weibe umgegangen sei, und daß dieselbe sich in meine Hängematte gelegt habe.
»Die alte besoffene Vettel,« rief er aus, »ich will hinuntergehen und sie kopfüber herauswerfen;« allein ich bat ihn, es nicht zu thun, weil es eine Dame sei.
»Eine Dame?« versetzte er, »Damen dieser Sorte giebt's eine Masse,« und dann erzählte er mir, daß sie viele Jahre die Mätresse eines vermöglichen Mannes gewesen, der ihr eine Equipage gehalten habe; allein er sei ihrer überdrüssig geworden und habe Trotter zweihundert Pfund gegeben, daß er sie heirate; nun thäten sie nichts als trinken und einander herumprügeln.
Ich war sehr verdrießlich, all dies zu vernehmen, aber da ich bemerkte, daß Madame Trotter nicht nüchtern war, so begann ich, das, was der Seekadett sagte, für wahr zu halten.
»Hoffentlich«, setzte er hinzu, »hat sie noch nicht Zeit gehabt, Ihnen eins oder das andere von ihren Kleidern abzuschwatzen?«
Ich erzählte ihm, ich hätte ihr ein Dutzend Strümpfe gegeben und Herrn Trotter für meine Kost drei Guineen bezahlt.
»Da muß nachgesehen werden«, entgegnete er; »ich werde morgen mit dem ersten Leutnant reden. Zugleich will ich Ihnen Ihre Hängematte wieder verschaffen. Quartiermeister, geben Sie wohl acht!«
Nun stieg er hinab und ich folgte ihm, um zu sehen, was er anfangen würde. Er ging zu meiner Hängematte und ließ sie an einem Ende herunter, so daß Madame Trotter in einer sehr unbehaglichen Stellung mit ihrem Kopfe auf dem Decke lag. Zu meinem Erstaunen schimpfte sie ihn auf eine schauerliche Weise und weigerte sich, herauszugehen. Er blieb ihr nichts schuldig und rüttelte sie eben in der Hängematte hin und her, als Herr Trotter, welcher bei dem Lärmen aufgestanden war, hinter dem Vorhang hervorstürzte.
»Du Schurke, was hast Du mit meinem Weibe zu schaffen?« schrie er, indem er, so gut er konnte, auf ihn losschlug, denn er war so betrunken, daß er kaum zu stehen vermochte.
Ich dachte, der Seekadett könne sich wohl selbst verteidigen, und wollte mich nicht darein mischen; daher blieb ich oben und schaute zu. Die Schildwache stand neben mir mit ihrer Laterne, welche sie über die Luken des Ganges hielt, um dem Kadett zu leuchten und Zeuge von der Balgerei zu sein. Herr Trotter war bald niedergeschlagen, als auf einmal Madame Trotter aus der Hängematte heraussprang, den Kadetten beim Haare ergriff und auf ihn lospuffte. Nun hielt es die Schildwache an der Zeit, sich darein zu legen; sie rief nach dem Profoß und ging selbst hinab, um dem Kadetten zu helfen, dem es zwischen den beiden schlimm erging. Aber Madame Trotter riß ihm die Laterne aus der Hand und schlug sie in Stücke. Nun befanden wir uns alle in tiefer Finsternis, und ich konnte nicht sehen, was vorging, obschon die Rauferei fortdauerte. So war die Lage der Sachen, als der Profoß mit seinem Lichte heraufkam. Der Seekadett und die Schildwache stiegen die Leiter hinauf und Herr und Frau Trotter setzten ihre Prügelei fort. Davon nahm niemand die geringste Notiz; sie sagten, wie vorher die Wache: »Laßt sie den Streit ausfechten.« Nachdem sie sich eine Zeitlang gebalgt hatten, zogen sie sich hinter den Vorhang zurück; ich folgte dem Rate des Kadetten, und ging in meine Hängematte, welche der Profoß wieder für mich aufgehängt hatte. Ich hörte Herrn und Frau Trotter mit einander weinen und einander küssen.
»Grausamer Trotter«, sagte sie schluchzend.
»Mein Leben, meine Liebe, ich war so eifersüchtig«, versetzte er.
»Der Teufel soll Deine Eifersucht holen«, erwiderte die Lady. »Ich habe morgen zwei hübsch blau unterlaufene Augen in der Küche.«
Nach ungefähr einer Stunde, die unter Küssen und Schelten verstrich, schliefen beide wieder fest ein.
Den anderen Morgen vor dem Frühstück meldete der Seekadett dem ersten Leutnant das Betragen Herrn Trotters und seiner Frau. Man schickte nach mir, und ich mußte bekennen, daß alles wahr sei. Es wurde auch nach Herrn Trotter geschickt, welcher sagen ließ, er sei nicht wohl und könne nicht auf Deck kommen. Hierauf befahl der erste Leutnant dem Marinesergeanten, ihn auf der Stelle herzubringen. Herr Trotter erschien mit einem verbundenen Auge, und sein Gesicht war sehr zerkratzt.
»Befahl ich Ihnen nicht, Sir«, sprach der erste Leutnant, »diesen jungen Gentleman in die Kajütte der Seekadetten zu führen? Dagegen haben Sie ihn zu Ihrem schändlichen Weibe geführt und ihn um sein Eigentum betrogen. Ich befehle Ihnen, auf der Stelle die drei Guineen zurückzugeben, welche Sie als Kostgeld empfangen haben, und ebenso soll Ihre Frau die Strümpfe zurückstellen, die sie ihm abgeschmeichelt hat.« Allein da schlug ich mich ins Mittel, und sagte dem ersten Leutnant, daß die Strümpfe von meiner Seite eine freiwillige Gabe seien, und obschon ich sehr einfältig gehandelt habe, so glaube ich doch, daß man sie mit Ehren nicht mehr zurückfordern könne.
»Gut, junger Herr«, versetzte der erste Leutnant, »vielleicht ist Ihre Ansicht richtig, und wenn Sie es wünschen, so will ich auf diesem Teile meines Befehles nicht bestehen, aber«, fuhr er, zu Herrn Trotter gewendet, fort, »ich fordere, Sir, daß Ihre Frau das Schiff sogleich verläßt, und bin überzeugt, daß der Kapitän mit Ihnen ebenso verfahren wird, wenn ich ihm Ihre Aufführung gemeldet habe. Unterdessen können Sie sich als Arrestanten betrachten wegen Trunkenheit.«


Siebentes Kapitel.
Ein scandalum magnatum klar erwiesen. – Ich zeige dem Kapitän, daß ich ihn als Gentleman betrachte, obschon ich ihm das Gegenteil gesagt hatte, und beweise den Seekadetten, daß ich selbst ein Gentleman bin. Sie bezeugen ihre Dankbarkeit, indem sie ihren Witz an mir üben; denn Übung macht den Meister.
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Der Kapitän kam ungefähr um zwölf Uhr an Bord und befahl, sobald der erste Leutnant den Vorfall gemeldet hatte, daß die Entlassung des Herrn Trotter sogleich ausgefertigt werden solle. Sodann ließ er alle Seekadetten auf das Hinterdeck kommen.
»Gentlemen«, sprach er mit ernster Miene zu ihnen, »ich fühle mich einigen von Ihnen sehr verbunden, wegen der Charakterschilderung, welche Sie dem Herrn Simpel von mir entworfen haben. Ich muß Sie nun bitten, mir einige Fragen zu beantworten, welche ich in seiner Gegenwart stellen werde. Ließ ich jemals die ganze Steuerbordwache peitschen, weil das Schiff nur neun Knoten auf der Boleine segeln wollte?«
»Nein, Sir, nie!« erwiderten alle in großer Angst.
»Ließ ich jemals einem Seekadetten ein Dutzend geben, weil er seine sechswöchentlichen Berichte nicht niedergeschrieben hatte, oder einem anderen fünf Dutzend, weil er ein scharlachrotes Uhrband trug?«
»Nein, Sir, nie!« versetzen alle zugleich.
»Starb jemals ein Seekadett auf seinem Koffer vor Anstrengung?«
Wiederum antworten sie verneinend.
»Dann, Gentlemen, werden Sie mich verpflichten, wenn Sie sagen, wer von Ihnen es für geeignet fand, in einem öffentlichen Kaffeehause dergleichen falsche Aussagen zu behaupten, und ferner, wer von Ihnen diesen jungen Mann genötigt hat, sein Leben in einem Duelle zu wagen?«
Alle schwiegen.
»Wollen Sie antworten, Gentlemen?«
»Was das Duell betrifft, Sir«, erwiderte der Seekadett, welcher sich mit mir geschlagen hatte, »so hörte ich sagen, die Pistolen seien nur mit Pulver geladen gewesen. Es war ein Scherz.«
»Gut, Sir, wir wollen zugeben, daß das Duell nur ein Spaß war (und ich hoffe zuverlässig, daß Ihre Angabe richtig ist); aber erlauben Sie nur zu fragen, ist der gute Ruf Ihres Kapitäns auch nur ein Scherz? Ich verlange zu wissen, wer es wagte, solche schimpfliche Verleumdung zu verbreiten. (Hier trat eine Totenstille ein.) Wohlan denn, Gentlemen! Da Sie selbst nicht gestehen wollen, so muß ich mich an meinen Gewährsmann halten. Herr Simpel, haben Sie die Güte, mir den oder diejenigen zu nennen, welche Ihnen die Mitteilung machten.«
Allein ich dachte, dies sei nicht schön, und da sie mich alle nach dem Duelle sehr freundlich behandelt hatten, so beschloß ich, nichts zu sagen. Ich antwortete daher: »Wenn es Ihnen beliebt, Sir, so will ich die Sache so betrachten, als hätte ich sie Ihnen im Vertrauen gesagt.«
»Im Vertrauen, Sir?« versetzte der Kapitän, »wer hat je von Vertrauen zwischen einem Postkapitän und einem Seekadetten gehört?«
»Nein, Sir!« erwiderte ich, »nicht zwischen einem Postkapitän und einem Seekadetten, sondern zwischen zwei Gentlemen.«
Der erste Leutnant, welcher bei dem Kapitän stand, hielt seine Hand vor das Gesicht, um sein Lachen zu verbergen.
»Er mag ein Dummkopf sein, Sir!« bemerkte er dem Kapitän beiseite, »aber ich kann Ihnen versichern, er ist offen und geradezu.«
Der Kapitän biß sich in die Lippe, wandte sich dann an die Seekadetten und sagte: »Danken Sie es Herrn Simpel, Gentlemen, daß ich diese Geschichte nicht weiter verfolge. Ich glaube, es war Ihnen nicht ernst, als Sie mich verleumdeten, aber vergessen Sie nicht, daß, was man im Spaß sagt, nur zu oft im Ernst wiederholt wird. Ich hoffe, Herrn Simpels Benehmen wird nicht ohne Wirkung sein und Sie werden aufhören, an Demjenigen Ihre Witze zu üben, welcher Sie vor einer strengen Strafe bewahrt hat.«
Als die Kadetten hinunter gingen, schüttelten Sie mir alle die Hand und sagten: ich sei ein braver Kerl, weil ich nicht geklatscht habe; in betreff der Mahnung des Kapitäns, sie sollten mich nicht mehr zum besten haben, waren sie jedoch sehr vergeßlich, denn sie fingen sogleich wieder an, und ließen nicht eher nach, als bis sie fanden, daß ich nicht länger zu düpieren sei. Ich war noch keine zehn Minuten in der Kajütte, so begannen sie ihre Bemerkungen über mich zu machen. Einer sagte, ich sehe einem tüchtigen Burschen gleich und fragte mich, ob ich auch ein gut Teil Schlaf ertragen könne. Ich erwiderte: »O ja, wenn es zum besten des Dienstes nötig ist.« Sie lachten darüber, und ich meinte, etwas Gutes gesagt zu haben.
»Nun, hier ist Tomkins,« sagte jener Kadett, »er kann Ihnen zeigen, wie Sie diesem Teil ihres Dienstes vorstehen können. Er hat es von seinem Vater geerbt, der ein Marineoffizier war. Er kann vierzehn Stunden lang in einem fort schnarchen, ohne sich einmal in seiner Hängematte umzudrehen, und vollendet seinen Schlaf auf der Kiste den ganzen Tag hindurch, die Mahlzeiten ausgenommen.«
Allein Tomkins verteidigte sich und sagte: »Einige Leute seien sehr schnell in allen Dingen, und andere sehr langsam; er gehöre zu den langsamen und bekomme von seinem langen Schlafen nicht mehr Erfrischung, als andere Leute durch kurzen Schlaf, denn er schlafe viel langsamer als jene.«
Dieses sinnreiche Argument wurde jedoch ohne allen Widerspruch über den Haufen geworfen, weil es sich ergab, daß er am Tische schneller als irgend einer Pudding aß.
Der Postbote kam mit Briefen an Bord und steckte seinen Kopf in die Seekadettenback. Ich war sehr gespannt, einen von Haus zu bekommen, allein ich wurde getäuscht. Einige erhielten Briefe, andere nicht. Diese letzteren erklärten, ihre Verwandten seien sehr pflichtvergessen, und sie würden dieselben mit keinem Schilling bedenken; diejenigen, welche Briefe bekamen, boten sie, nachdem sie dieselben gelesen hatten, den anderen gewöhnlich um das halbe Porto zum Kaufe an. Ich konnte nicht begreifen, weshalb die einen kauften, und die anderen verkauften; allein es war so. War ein Brief mit guten Ermahnungen angefüllt, so wurde er dreimal nach einander verkauft, und dieser Umstand trug dazu bei, daß ich eine bessere Meinung von der Sittlichkeit meiner Kameraden bekam. Die Briefe, welche am niedrigsten verkauft wurden, waren von Schwestern. Man bot mir einen für einen Penny an, allein ich lehnte den Kauf ab, weil ich selbst genug eigene Schwestern habe. Kaum hatte ich diese Bemerkung gemacht, als sie alle nach dem Namen und Alter derselben fragten und ob sie hübsch seien oder nicht.
Sobald ich ihnen Auskunft darüber gegeben hatte, stritten sie, wem sie gehören sollten. Der eine wollte Lucien haben, der andere Marie nehmen, aber ein großer Streit erhob sich um Ellen, da ich gesagt hatte, sie sei die hübscheste von allen. Zuletzt kamen sie überein, dieselbe zu versteigern, und sie wurde dem Gehilfen eines Schiffmeisters, Namens O'Brien, zugeschlagen, welcher siebzehn Schillinge und eine Flasche Rum dafür bot. Sie verlangten, ich solle nach Hause schreiben, um meinen Schwestern ihre Grüße zu vermelden, und ihnen sagen, wie man über sie verfügt habe, was mir sehr sonderbar vorkam; doch muß ich gestehen, ich fühlte mich durch den Preis, welchen man für Ellen bot, sehr geschmeichelt, weil ich zu wiederholten Malen Zeuge war, daß eine sehr hübsche Schwester für ein Glas Grog verkauft wurde.
Ich erwähnte der Ursache, warum ich so ängstlich auf einen Brief warte: ich müsse mir nämlich einen Degen und aufgestülpten Hut kaufen, worauf sie mir sagten, ich brauche hierfür mein Geld nicht auszugeben, weil nach dem Dienstreglement des Zahlmeisters Verwalter allen Offizieren diese Stücke verabfolge, wenn man sie verlangte. Da ich wußte, wo das Zimmer von dem Verwalter des Zahlmeisters sich befand, so ging ich sogleich hinab.
»Herr Verwalter«, sagte ich, »lassen Sie mir gleich einen aufgestülpten Hut und einen Degen verabfolgen.«
»Sehr wohl, Sir«, versetzte er, und schrieb auf ein Stückchen Papier eine Anweisung, welche er mir einhändigte. »Hier ist eine Anweisung, Sir, allein die aufgestülpten Hüte werden in der Kiste auf dem großen Mars aufbewahrt, und was den Degen betrifft, so müssen Sie sich an den Schlächter wenden, welcher diese Waffen in Verwahrung hat.«
Ich ging mit der Anweisung hinauf und dachte, ich wolle mir zuerst den Degen verschaffen; ich fragte daher nach dem Schlächter, welchen ich im Schafstalle unter den Schafen sitzend fand, wo er seine Hosen ausbesserte. Auf meine Anfrage antwortete er mir, er habe den Schlüssel zu der Reservekammer nicht, da derselbe einem der Marinekorporale anvertraut sei. Als ich fragte, wie er heiße, versetzte er, Cheeks Diese berühmte Person bedeutet am Bord eines Kriegsschiffes den ›Herrn Niemand.‹, der Seesoldat. Ich ging nun überall auf dem Schiffe umher, und suchte nach Cheeks. dem Seesoldaten, konnte ihn aber nicht finden. Einige sagten, sie glaubten, er sei auf der Fockstenge, er stehe Schildwache vor dem Winde, daß er sich nicht drehe, andere, er werde in der Küche sein, und den Seekadetten aufpassen, daß sie ihren Zwieback nicht in des Kapitäns Bratpfanne tunken. Endlich fragte ich einige Weiber, welche zwischen den Kanonen auf dem Hauptverdecke standen, und eine davon antwortete, es sei nicht gebräuchlich bei ihnen, nach demselben zu schauen, da sie alle Ehemänner hätten, Cheeks aber sei einer Witwe Ehemann Witwen-Ehemänner sind fingierte Matrosen, welche in die Schiffsbücher eingetragen sind und Löschung und Prisengeld empfangen, das aber dem Greenwich-Hospital zufällt..
Da ich den Seesoldaten nicht finden konnte, so dachte ich, ich wolle mich nun nach dem Hute umsehen, und den Degen mir nachher verschaffen. Es war mir nicht lieb, auf das Takelwerk zu klettern, weil ich besorgte, schwindelig zu werden, und wenn ich über Bord ginge, konnte ich nicht schwimmen. Ein Seekadett bot sich jedoch an, mich zu begleiten, und sagte, wenn ich über Bord falle, brauche ich mich nicht zu fürchten, unterzusinken, denn wenn ich schwindelig sei, werde mein Kopf auf alle Fälle schwimmen. Daher beschloß ich, es zu wagen. Ich klomm nun ganz nahe zum großen Mars hinauf, nicht ohne die kleinen Stricke sehr oft zu verfehlen und mir die Haut vom Schienbein aufzuschürfen. Dann gelangte ich zu den dicken Trossen, welche vom Mast ausgespannt sind und mit rückwärts gebogenem Kopfe erklettert werden müssen. Der Seekadett sagte mir, sie heißen Katzenharfe, weil sie so schwer zu erklimmen seien, daß eine Katze sich sträuben würde hinaufzuklettern. Da ich zögerte, schlug er mir vor, ich solle durch das Lümmelloch gehen, welches für Leute meines Schlages wie gemacht sei. Ich wollte es versuchen, denn es schien mir leichter, und kam zuletzt ganz außer Atem und überglücklich, mich auf dem großen Mars zu befinden, oben an.
Der Kapitän vom Hauptmaste war mit zwei anderen Matrosen daselbst. Der Kadett führte mich sehr höflich ein: – »Herr Jenkins – Herr Simpel, Seekadett – Herr Simpel, Herr Jenkins, Kapitän vom Haupttop. Herr Jenkins, Herr Simpel ist mit einer Anweisung zu einem Hute heraufgekommen.«
Der Kapitän vom Top erwiderte, es thue ihm sehr leid, daß er keinen im Vorrat habe, der letzte sei an des Kapitäns Affen ausgeteilt worden. Dies war sehr ärgerlich. Hierauf fragte mich der Kapitän vom Top, ob ich mit meinem Fußen fertig sei?
»Nicht sehr«, versetzte ich, »denn ich habe beim Heraufsteigen zwei- oder dreimal gefehlt.«
Er erwiderte lachend, »ich werde es, bevor ich hinabgehe, ganz verlieren: ich müsse es aushändigen.«
»Mein Fußen aushändigen?« sagte ich ganz bestürzt, und wandte mich an den Seekadett: »was bedeutet dies?«
»Es bedeutet: Sie sollen ein Siebenshillingstück fliegen lassen.«
Ich war gerade so klug als vorher und machte große Augen, als Herr Jenkins den Matrosen befahl, ein halb Dutzend Füchse zu holen und einen ausgespreizten Adler aus mir zu machen, bis er seine Gebühr habe. Ich hätte nie herausgefunden, was er meinte, hätte nicht der Seekadett, welcher lachte, bis ihm die Augen überliefen, mich endlich belehrt, es sei der Brauch, wenn man zum erstenmale heraufkomme, den Leuten ein Trinkgeld zu geben, und wenn ich dies nicht thue, so würden sie mich an das Takelwerk anbinden. Da ich kein Geld in der Tasche hatte, so versprach ich zu zahlen, sobald ich hinabkäme; allein Mr. Jenkins wollte mir nicht trauen. Ich wurde deshalb ärgerlich und fragte ihn, ob er an meiner Ehre zweifle, worauf er erwiderte, nicht im geringsten, aber er müsse, bevor ich hinunterginge, seine sieben Schillinge haben.
»Wie, Sir«, sagte ich, »wissen Sie, mit wem Sie sprechen? ich bin Offizier und Gentleman. Wissen Sie, wer mein Großvater ist?«
»O ja«, versetzte er, »sehr gut.«
»Nun, wer ist es, Sir«, entgegnete ich, sehr aufgebracht.
»Wer ist es, nun es ist Lord, ›wer weiß wer‹.«
»Nein, das ist nicht sein Name, es ist Lord Privilege«, war meine Antwort. (Doch mußte ich mich sehr wundern, daß er wußte, mein Großvater sei ein Lord). »Glauben Sie, ich werde die Ehre meiner Familie wegen sieben elender Schillinge aufs Spiel setzen?«
Diese Bemerkung meinerseits und ein Versprechen von seiten des Seekadetten, welcher sagte, er wolle für mich Bürge sein, genügte Herrn Jenkins, und er ließ mich das Takelwerk hinuntersteigen. Ich ging zu meiner Kiste, zahlte die sieben Schillinge einem von den Matrosen, welche mir folgten, und stieg dann das Hauptdeck hinauf, um soviel als möglich von meinem Geschäfte zu lernen. Ich richtete eine große Menge Fragen an die Kadetten, die Kanonen betreffend, und sie drängten sich um mich, um sie zu beantworten. Einer erzählte mir, sie hießen die Zähne der Fregatte, weil sie den Franzosen das Maul stopften. Ein anderer sagte, er sei so oft im Feuer gestanden, daß man ihn den Feueresser nenne. Ich fragte ihn, wie er dem Tode entronnen sei, worauf er mir erwiderte, er habe es sich stets zum Grundsatze gemacht, sobald die erste Kanonenkugel durch die Schiffsseite schlage, seinen Kopf in das gemachte Loch zu stecken, da nach einer von Professor Inman angestellten Berechnung die Wahrscheinlichkeit wie zweiunddreißigtausend sechshundert siebenundvierzig und einigen Dezimalstellen zu eins vorhanden sei, daß eine zweite Kugel nicht in dasselbe Loch fahren würde. Daran hätte ich freilich nie gedacht.