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Der Wärter hatte alle Tiere aufgestört und die Fütterung derselben begonnen. Der große Löwe brüllte und knurrte über dem Schienbein eines Ochsen, welches er wie eine Nuß zerknackte, als durch irgend eine Ungeschicklichkeit das eine Ende der Stange, an welcher der Kandelaber aufgehängt war, herabfiel, die Thür des Käfigs streifte, in welchem die Löwin am Abendessen war, und sie aufstieß. Alles war das Werk einer Sekunde. Der Kandelaber fiel, der Käfig war offen und die Löwin sprang heraus. Ich erinnere mich in diesem Augenblicke noch, wie ich den Leib der Löwin in der Luft sah und dann alles stockfinster wurde. Welch ein Wechsel! einen Augenblick vorher sahen wir alle mit freudiger Neugier zu, und nun Finsternis, Schrecken und Entsetzen. Das war ein Schreien, Lamentieren und Weinen, Puffen und Rennen und Ohnmächtigwerden, – niemand wußte, wohin und wo hinaus. Die Leute drängten zuerst auf die eine Seite und dann auf die andere, wie die Furcht sie antrieb. Ich wurde sehr bald mit meinem Rücken gegen die Stangen eines der Käfige geschoben, und da ich fühlte, wie eine Bestie mich von hinten anfiel, machte ich eine verzweifelte Anstrengung; es gelang mir, den Käfig hinauf zu klimmen, jedoch nicht ohne das Hinterteil meiner Hosen zu verlieren, welches die Lachhyäne nicht loslassen wollte. Ich wußte kaum, wo ich war, als ich hinaufkletterte, allein ich erinnerte mich, daß oben meistens Vögel aufgestellt waren. Damit aber die Vorderseite meiner Hosen nicht eben so zerrissen wurde, wie das Hinterteil, so drehte ich mich, sobald ich Fuß gewinnen konnte, um, den Rücken an das Gitter des Käfigs lehnend. Allein ich befand mich kaum eine Minute daselbst, so wurde ich von etwas angefallen, was wie eine Spitzhacke in mich bohrte, und wie die Hyäne meine Kleider zerrissen hatte, so war ich ohne Schutz dagegen. Mich umzuwenden, wäre noch schlimmer gewesen, deshalb versuchte ich, nachdem ich ungefähr ein Dutzend Stiche empfangen, meine Stellung zu ändern, bis ich mich einem anderen Käfig gegenüber befand; aber nicht bevor der Pelikan (denn dies war die Bestie) so viel Blut aus mir gesogen hatte, daß er seine Jungen eine Woche damit füttern konnte. Ich überdachte, welche Gefahr ich zunächst wohl zu bestehen hätte, als ich zu meiner Freude entdeckte, daß ich die offene Thür erreicht hatte, aus welcher die Löwin entsprungen war; ich schlüpfte hinein, schloß die Thüre hinter mir zu und schätzte mich sehr glücklich; hier saß ich nun ganz ruhig in einem Winkel; während das Geräusch und die Verwirrung fortdauerte. Ich war jedoch kaum einige Minuten da, als die sogenannten Rindfleischesser Eine Art Leibgardisten., welche draußen Musik machten, mit Fackeln und geladenen Musketen hereindrangen. Der Anblick, welcher sich darbot, war in der That schrecklich; zwanzig bis dreißig Männer und Kinder lagen auf dem Boden, und ich dachte, die Löwin habe sie alle umgebracht, allein sie waren nur in Ohnmacht, oder durch das Gedränge niedergetreten worden. Niemand war bedeutend verwundet. Die Löwin konnte man nicht finden, und sobald es gewiß war, daß sie entronnen sei, so herrschte draußen eben solcher Schrecken, eben solche Flucht, wie vordem in der Menagerie. Es zeigte sich später, daß das Tier sich ebenso gefürchtet hatte, wie wir selbst, und sich unter einen der Wagen verkrochen hatte. Es stand einige Zeit an, bis sie gefunden werden konnte.
Endlich trat O'Brien, welcher ein sehr beherzter Bursche war, an die Spitze der Rindfleischesser und sah die glänzenden Augen des Tieres. Sie nahmen nun ein paar Netze von den Karren, welche Kälber auf den Markt geführt hatten, und zogen dieselben über die Löwin her. Als sie tüchtig darin verwickelt war, schleppten sie dieselbe bei dem Schwanze in die Menagerie. Mittlerweile blieb ich ganz ruhig in dem Käfig, aber als ich gewahrte, daß dessen rechtmäßiger Eigentümer zurückkam, um davon Besitz zu nehmen, so dachte ich, es sei Zeit, herauszugehen; ich rief daher meinen Kameraden zu, welche mit O'Brien den Rindfleischessern beistanden. Sie hatten mich nicht bemerkt, und lachten sehr, als sie sahen, wo ich mich befand. Einer der Seekadetten schloß den Riegel der Thür, so daß ich nicht hinausspringen konnte, und dann störte er mich mit einer langen Stange auf. Endlich versuchte ich es, wieder aufzuriegeln und herauszukommen; da lachten sie noch mehr, als sie das zerrissene Hinterteil meiner Hosen sahen.
Mir war es nicht zum Lachen, obschon ich mir zu gratulieren hatte, so glücklich davongekommen zu sein. Derselben Ansicht waren auch meine Kameraden, als ich ihnen meine Abenteuer erzählte. Der Pelikan hatte mir am schlimmsten mitgespielt. O'Brien lieh mir ein schwarzseidenes Halstuch, welches ich um meinen Leib band und hinten herabhängen ließ, damit mein Mißgeschick kein Aufsehen erregen möchte; dann verließen wir die Menagerie; aber ich war so steif, daß ich kaum gehen konnte.
Wir gingen sodann in den sogenannten Ranelagh-Garten, um das Feuerwerk zu sehen, welches um zehn Uhr losgehen sollte. Es war gerade zehn Uhr, als wir unseren Eintritt bezahlten.
Wir warteten sehr geduldig eine Viertelstunde, aber nirgends zeigte sich etwas von Feuerwerk. Der Mann nämlich, welchem der Garten gehörte, wollte warten, bis mehr Gesellschaft komme, obschon der Platz bereits voll Leute war.
Nun hatte der erste Leutnant befohlen, das Boot solle bis zwölf Uhr auf uns warten und dann an Bord zurückkehren; wir waren sieben Meilen von Portsmouth entfernt und hatten daher nicht viel Zeit zu verlieren.
Wir warteten noch eine Viertelstunde; dann wurde allgemein angenommen, da das Feuerwerk nach dem Anschlagezettel präzis zehn Uhr beginnen sollte, so seien wir vollkommen berechtigt, es selbst loszulassen. O'Brien ging hinaus und kam mit ein paar Dutzend Rohrstäben zurück, welche er an einem Ende einkerbte.
Das Feuerwerk war an Pfosten und Gerüsten angebracht und alles bereit; wir wollten es nun auf einmal anzünden und uns dann unter das Gedränge mischen. Die Ältesten zündeten Zigarren an, befestigten dieselben an das gespaltene Ende der Stäbe und fuhren fort, sie anzublasen, bis sie alle wohl brannten. Sie gaben jedem von uns einen in die Hand; auf ein gegebenes Zeichen hoben wir sie alle an das Luntenpapier. Sobald sich das Feuer mitteilte, warfen wir unsere Stäbe weg und rannten unter die Menge. In ungefähr einer halben Minute ging alles in der schönsten Verwirrung los: silberne und goldene Sterne, blaue Lichter und Catharinenräder, Minen und Bomben, griechisches Feuer und römische Lichter, griechische Bäume, Raketen und illuminierte Motto's, alles brannte, krachte, prasselte und zischte durch einander. Einstimmig wurde anerkannt, es sei viel schöner gewesen, als das beabsichtigte Schauspiel. Der Mann, welchem der Garten gehörte, rannte aus der Bude heraus, wo er gemächlich sein Bier trank, während die Gesellschaft draußen wartete, und schwur den Thätern Rache; wirklich setzte er auch den anderen Tag fünfzig Pfund Belohnung auf die Entdeckung derselben. Ich dachte, es sei ihm recht geschehen. Er war in seiner Stelle ein Diener des Publikums und hatte sich als dessen Herr betragen. Wir kamen alle säuberlich davon, nahmen ein anderes Dilly und langten noch in rechter Zeit zu Portsmouth bei unserem Boote an.
Den anderen Tag war ich so steif und empfand solche Schmerzen, daß ich zum Doktor gehen mußte, welcher mich auf die Krankenliste setzte, wo ich eine Woche lang blieb, bevor ich meinen Dienst wieder antreten konnte. So viel vom Markte zu Portsdown.
Es war an einem Samstag, als ich wieder Dienst that und den Sonntag darauf, an einem schönen Tage, gingen wir alle mit dem ersten Leutnant, Herrn Falkon, ans Land.
Wir gingen sehr gern in die Kirche, nicht, ich muß es leider gestehen, aus religiösem Gefühle, sondern aus folgender Ursache: Der erste Leutnant saß in einem Kirchenstuhle unten und wir standen auf der Emporkirche, wo er weder uns, noch wir ihn sehen konnten.
Wir verhielten uns aber sehr ruhig, und ich darf sagen, sehr andächtig während des Gottesdienstes; allein der Geistliche, welcher die Predigt hielt, war so langweilig und hatte einen so schlechten Vortrag, daß wir in der Regel, sobald er auf die Kanzel stieg, hinausschlichen und uns in den gegenüber befindlichen Konditorladen verfügten, um daselbst Küchelchen oder Törtchen zu essen und Kirschwasser zu trinken, welches wir dem Anhören einer Predigt unendlich vorzogen.
Der erste Leutnant hatte irgendwie unsere Schliche ausgewittert; wir glaubten, der Marineoffizier habe uns angegeben. Diesen Sonntag spielte er uns einen schönen Streich. Wir waren wie gewöhnlich bei dem Konditor gewesen; sobald wir die Leute aus der Kirche kommen sahen, warfen wir alle unsere Törtchen und Süßigkeiten in unsere Hüte, setzten sie dann auf und nahmen unseren Posten an der Kirchenthür ein, als ob wir gerade aus der Emporkirche herabkämen und auf ihn warteten. Allein statt an der Kirchenthür zu erscheinen, ging er die Straße hinauf und befahl uns, ihm ins Boot zu folgen. Er hatte nämlich in dem hinteren Zimmer des Konditorladens unsere Bewegungen durch die grünen Vorhänge belauscht. Wir vermuteten nichts, sondern dachten, er sei ein wenig früher als gewöhnlich aus der Kirche gegangen.
Als wir an Bord kamen und ihm folgten, sprach er zu uns:
»Auf das Hinterdeck, junge Herren!«
Wir thaten es; hierauf befahl er uns, in Linie zu treten, was so viel bedeutet, als sich in einer Reihe aufstellen.
»Nun, Herr Dixon«, fing er an, »was war der Text heute?«
Da er diese Frage sehr oft an uns richtete, ließen wir stets einen in der Kirche, bis der Text verlesen war, welcher uns dann in dem Konditorladen überbracht wurde, wo wir ihn alle in unsern Bibeln anmerkten, um bereit zu sein, wenn er uns fragte.
Dixon zog sogleich seine Bibel heraus, wo er das Blatt bezeichnet hatte und las.
»Ei der Tausend«, sagte Herr Falkon, »Sie müssen merkwürdig gute Ohren haben, Herr Dixon, daß Sie den Geistlichen vom Konditorladen aus hören konnten. Nun, meine Herren, die Hüte ab, wenn's gefällig ist.«
Wir zogen alle unsere Hüte ab, welche, wie er erwartete, voll Backwerk waren.
»In der That, meine Herren«, fuhr er fort, indem er die verschiedenen Papiere voll Backwerk und Zuckerwaren befühlte, »es freut mich von Herzen, daß Sie nicht umsonst in der Kirche gewesen sind. Wenige gehen mit so vielen guten Sachen weg, welche dem Sitz ihres Gedächtnisses aufgepackt sind. Profoß! alle Schiffsjungen aufs Hinterdeck.«
Die Jungen sprangen die Leitern herauf, und der erste Leutnant hieß jeden sich auf die Karronadenschleifen niedersetzen. Als sie alle saßen, befahl er uns, mit unseren Hüten herumzugehen und jeden um die Annahme eines Törtchens zu bitten, was wir von einem zum andern thun mußten, bis die Hüte leer waren. Was uns aber mehr ärgerte als alles, war das grinsende Lachen der Jungen, daß sie von uns wie von Lakaien bedient wurden, und ebenso das spöttische Gelächter der ganzen Schiffsmannschaft, welche sich in den Gängen versammelt hatte.
Nachdem die Pastetchen verzehrt waren, sagte der erste Leutnant:
»Nun, meine Herren! Da Sie für heute Ihre Lektion haben, können Sie hinunter gehen.«
Wir konnten nicht umhin selbst zu lachen, als wir in die Kajütte traten. Herr Falkon strafte immer mit so gutem Humor, auch standen seine Strafen auf irgend eine Weise mit der Art des Vergehens in besonderer Beziehung. Er hatte stets für alles, was er tadelte, ein Heilmittel, und die Schiffsmannschaft hieß ihn deshalb gewöhnlich nur den Helf-Jack. Ich muß bemerken, daß einige meiner Kameraden nach diesem Umstande gegen die Schiffsjungen sehr streng waren, indem sie ihnen, so oft sie konnten, einen Stoß oder Puff an den Kopf gaben und zugleich sagten: »Da hast Du noch ein Törtchen, Du Seekalb.«
Ich glaube, wenn die Jungen gewußt hätten, was ihnen bevorstand, sie hätten die Pasteten lieber ungegessen gelassen.


Zehntes Kapitel.
Ein Preßgang, von einem Weibe zurückgeschlagen. – Gefahren eines Bratspießes. – Ein Schmaus für beide Parteien von gerupften Hühnchen, auf meine Kosten. – Auch Genever für Zwanzig. – Ich werde zum Gefangenen gemacht, entwische und erreiche mein Schiff wieder.
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Ich muß nun berichten, was mir einige Tage bevor das Schiff absegelte, begegnete, und was zugleich den Beweis liefern soll, daß es nicht gerade nötig ist, Wind und Wetter oder feindliche Kanonen gegen sich zu haben, um in Gefahr zu sein, wenn man einmal in Seiner Majestät Dienste getreten ist; im Gegenteil, ich bin seitdem im Treffen gewesen, und erkläre ohne Bedenken, daß ich mich bei dieser Angelegenheit nicht so sehr beunruhigt fühlte, als bei dem Vorfalle, welchen ich nun erzählen will. Wir wurden segelfertig gemeldet, und der Admiralität lag sehr daran, daß wir abfahren sollten. Das einzige Hindernis unseres Absegelns bestand darin, daß unsere Mannschaft noch nicht vollständig war. Der Kapitän wandte sich an den Hafenadmiral und erhielt die Erlaubnis, Abteilungen ans Land zu schicken, um Matrosen zu pressen. Der zweite und dritte Leutnant und die ältesten Seekadetten wurden jede Nacht mit einigen der zuverlässigsten Leute ans Land beordert, und brachten in der Regel am Morgen ungefähr ein halb Dutzend Leute mit, welche sie in den diversen Bierhäusern und Grogläden, wie der Matrose sie nennt, aufgefangen hatten. Einige derselben wurden zurückbehalten, doch die meisten als dienstuntauglich wieder ans Land gesetzt; es ist nämlich gebräuchlich, wenn ein Mann freiwillig eintritt, oder gepreßt wird, ihn zum Chirurgen in das Cockpit zu schicken, wo er ausgezogen und am ganzen Leibe untersucht wird, um zu sehen, ob er gesund und für Sr. Majestät Dienst fähig ist; wo nicht, so schickt man ihn wieder ans Land. Das Pressen schien mir ein ziemlich ernsthaftes Geschäft, so viel ich aus den Erzählungen schließen konnte, welche ich hörte, und aus der Art, wie unsere Matrosen, welche man zu diesem Dienste verwendete, gewöhnlich geschlagen und verwundet wurden. Die Leute, welche gepreßt wurden, schienen ebenso hartnäckig zu kämpfen, um nicht zum Dienste gezwungen zu werden, als sie es für die Ehre des Landes thaten, wenn sie einmal eingeschifft waren. Ich hatte große Lust, mit von der Partie zu sein, ehe das Schiff absegelte, und bat O'Brien, der überhaupt sehr freundlich gegen mich war und niemand als sich selbst erlaubte, mich zu walken, ob er mich nicht mitnehmen wolle, was er auch in der darauf folgenden Nacht that. Ich schnallte meinen Degen um, sowohl um als Offizier kenntlich zu sein, als zu meinem Schutze. Als die Dämmerung eintrat, fuhren wir an die Küste und landeten bei Gosport. Die Matrosen waren alle mit scharfen Messern bewaffnet und trugen erbsengrüne Jacken, sehr kurze Kittel von sogenanntem Flushing. Wir hielten uns an den Grogläden der Stadt nicht auf, da es noch zu früh war, sondern wandelten ungefähr drei Meilen in den Vorstädten herum, bis wir zu einem Hause kamen, dessen Thür verschlossen war. Allein wir brachen augenblicklich mit Gewalt hinein und beeilten uns, den Durchgang zu besetzen, wo die Hausfrau bereit stand, uns den Eintritt zu wehren. Der Durchgang war lang und schmal, sie aber ein sehr großes korpulentes Weib, so daß ihr Leib denselben fast ausfüllte. In der Hand hielt sie einen langen Bratspieß auf uns gerichtet, mit welchem sie uns im Schach hielt. Die Offiziere, welche die Vordersten waren, wollten ein Weib nicht angreifen; sie dagegen machte mit ihrem Bratspieße solche Ausfälle, daß einige derselben bald zum Rostbraten fertig gewesen wären, wenn sie sich nicht zurückgezogen hätten. Die Matrosen, welche draußen standen, lachten, und überließen es den Offizieren, die Sache abzumachen, wie sie konnten. Endlich rief die Wirtin ihrem Manne zu:
»Sind sie alle fort, Jem?«
»Ja«, versetzte dieser, »alle in Sicherheit.«
»Nun dann«, gab sie zur Antwort, »will ich bald mit diesen fertig sein.« Und mit diesen Worten machte sie einen solchen Ausfall auf uns mit ihrem Bratspieße, daß, wären wir nicht zurückgewichen und übereinander gepurzelt, sie sicherlich den zweiten Leutnant durchgerannt hätte, welcher die Abteilung kommandierte. Der Gang war im Augenblicke gesäubert. Sobald wir alle auf der Straße waren, schloß sie uns hinaus; so waren wir, drei Offiziere und fünfzehn bewaffnete Leute von einem alten Drachen gänzlich geschlagen; die Matrosen, welche in dem Hause getrunken hatten, waren unterdessen anderswohin entronnen. Allein ich sehe nicht ein, wie es anders kommen konnte; entweder hätten wir das Weib töten oder verwunden müssen, oder sie hätte uns durchbohrt, so entschlossen war sie. Wäre ihr Mann in dem Gange gewesen, mit dem hätte man kurzen Prozeß gemacht; allein was kann man mit einem Weibe anfangen, welches um sich schlägt wie der Teufel, zugleich aber doch die Rechte und Privilegien des zarten Geschlechtes in Anspruch nimmt? Wir gingen alle sehr verdrießlich hinweg, und O'Brien bemerkte, wenn er das nächste Mal wieder an diesem Hause anklopfe, so wolle er die alte Katze umsegeln, denn er werde dann ihre Ladyschaft von hinten angreifen.
Wir besuchten hierauf andere Häuser, wo wir ein paar Leute aufgriffen, aber die meisten entkamen durch die Fenster und Hinterthüren, wenn wir vorne hereintraten. Es war noch ein Grogladen da, das beliebteste Stelldichein der Matrosen auf den Kauffahrteischiffen, wohin sie sich gewöhnlich zurückzogen, wenn sie hörten, daß die Preßgänge los wären. Unsere Offiziere wußten dies wohl, und machten sich deshalb nicht viel aus dem Entwischen der Leute, indem sie voraussahen, sie würden alle nach jenem Platze eilen und sich im Vertrauen auf ihre Zahl mit uns schlagen. Um ein Uhr glaubte man, es sei Zeit, dahin zu gehen; wir marschierten ohne Geräusch vorwärts, allein sie hatten Leute auf der Lauer, und so wie wir um die Ecke des Gäßchens bogen, wurde Lärm gemacht. Ich fürchtete, sie möchten davonlaufen, und wir würden sie verlieren, allein sie hatten sich im Gegenteil in dieser Nacht sehr stark versammelt und waren entschlossen, ein Treffen zu liefern. Die Männer blieben in dem Hause zurück, aber eine Avantgarde von ungefähr dreißig ihrer Weiber empfing uns mit einem Hagel von Steinen und Kot. Einige von unseren Matrosen wurden verwundet, aber sie schienen von dem, was die Weiber thaten, keine Notiz zu nehmen. Sie drangen vor und wurden dann von den Weibern mit Fäusten und Nägeln empfangen. Dessenungeachtet lachten die Matrosen nur dazu und trieben die Weiber mit den Worten auf die Seite: »sei ruhig; Polly; nicht närrisch, Molly; aus dem Wege, Sukey, wir wollen Dir Deinen Liebsten nicht nehmen«, obschon das Blut von ihren zerkratzten Gesichtern herablief. So versuchten wir, uns mit Gewalt einen Weg durch sie zu bahnen, aber ich kam bei dieser Gelegenheit mit genauer Not davon. Ein Weib ergriff mich beim Arme und zog mich gegen sich hin; wäre mein Quartiermeister nicht gewesen, so wäre ich von meiner Partie getrennt worden; allein gerade, als sie mich wegrissen, hielt er mich am Beine fest und hinderte sie. Pack ihn, Grete, rief das Weib einer anderen zu, wir wollen dieses kleine Seekadettchen nehmen, ich brauche ein solches Püppchen für eine Säugamme. Es kamen ihr noch zwei Weiber zu Hilfe, welche mich am anderen Arme festhielten, und sie würden mich der Hand des Quartiermeisters entrissen haben, hätte er nicht seinerseits auch um Hilfe gerufen, worauf zwei Matrosen mein anderes Bein ergriffen. Das war ein Zerren, Stoßen und Ziehen, alles auf meine Kosten; bisweilen gewannen die Weiber ein paar Zoll, dann wieder die Matrosen. Einmal glaubte ich, es sei alles mit mir vorbei, und im nächsten Augenblicke befand ich mich mitten unter meinen eigenen Leuten. »Zieh den Teufel, reck' den Bäcker!« schrie das Weib, und dann brachen sie in ein Gelächter aus, in welches ich, wie ich versichern kann, keineswegs einstimmte; denn ich glaube wirklich, ich sei um einen Zoll größer gezogen und meine Kniee und Schultern schmerzten mich entsetzlich. Zuletzt lachten die Weiber so sehr, daß sie mich nicht mehr festhalten konnten. Dadurch kam ich in die Mitte unserer eigenen Matrosen, wo zu bleiben ich mich sorgfältig bemühte. Nach einigem Quetschen und Schlagen wurde ich durch den Haufen in das Haus gedrängt; die Matrosen von den Kauffahrern hatten sich mit Knitteln und anderen Waffen versehen, und auf den Tischen Posto gefaßt. Es waren mehr als zwei gegen einen von uns, und es erhob sich ein furchtbarer Kampf, indem sie einen ganz verzweifelten Widerstand leisteten. Unsere Matrosen mußten ihre Schlitzmesser brauchen, und in einigen Minuten war ich durch das Schreien und Fluchen, Stoßen und Balgen, Ringen und Fechten ganz verwirrt; dabei erhob sich ein Staub, welcher mich nicht nur blendete, sondern beinahe erstickte. Während mir der Atem fast aus dem Leibe gepreßt wurde, gewannen unsere Matrosen die Oberhand. Kaum hatte die Wirtin und die übrigen Weiber dies bemerkt, so löschten sie alle Lichter aus, so daß ich nicht sagen konnte, wo ich war; unsere Matrosen aber hatten jeder seinen Mann gefaßt, und suchten sie aus der Thür hinaus zu ziehen, wo sie gesammelt und verwahrt wurden. Nun war ich wieder in großer Not; man hatte mich zu Boden geworfen und auf mich getreten. Als ich mich endlich wieder auf die Beine stellen konnte, wußte ich nicht, in welcher Richtung die Thür lag. Ich fühlte überall an der Wand herum und kam zuletzt an eine Thür (das Zimmer war nämlich damals fast leer, indem die Weiber den Männern aus dem Hause gefolgt waren). Ich öffnete sie, fand aber, daß es nicht die rechte war, sondern in ein kleines Nebenzimmer führte, wo ein Feuer brannte, aber kein Licht.
Ich hatte eben meinen Irrtum entdeckt und wollte mich zurückziehen, als ich von hinten hineingeschoben wurde und der Schlüssel sich drehte.
Hier war ich nun ganz allein, und ich muß gestehen, in großer Angst, da ich an die Rache dachte, welche die Weiber an mir nehmen würden. Ich glaubte, mein Tod sei gewiß und ich werde, wie ich einst von Orpheus in meinen Büchern gelesen, von diesen Bacchantinnen in Stücke zerrissen werden. Doch stellte ich mir wieder vor, daß ich ein Offizier in Seiner Majestät Diensten sei, und die Pflicht es mir gebiete, im Notfalle mein Leben für König und Vaterland zu opfern. Meine arme Mutter fiel mir ein; da mich jedoch dieser Gedanke trostlos machte, so suchte ich ihn zu vertreiben, und mir alles ins Gedächtnis zurückzurufen, was ich von der Tapferkeit und dem Mute verschiedener großer Männer gelesen hatte, wenn ihnen der Tod ins Angesicht blickte. Ich blinzelte durch das Schlüsselloch und bemerkte, daß die Lichter wieder angezündet und nur Weiber in dem Zimmer waren, welche alle zugleich sprachen und nicht an mich dachten. Allein ein paar Minuten darauf kam ein Weib von der Straße herein mit langen, schwarzen, über die Schulter herabhängenden Haaren und ihrer Haube in der Hand.
»Gut!« schrie sie, »sie haben mir meinen Mann weggeschnappt; aber ich will mich auffressen lassen, wenn ich nicht das Seekadettchen in diesem Zimmer eingeschachtelt habe, und er soll seinen Platz einnehmen.«
Ich glaubte, ich müsse sterben, als ich das Weib ins Auge faßte und sie nebst einigen anderen auf die Thür zukommen sah, um sie aufzuschließen. Als die Thür sich öffnete, zog ich meinen Degen, entschlossen, wie ein Offizier zu sterben. Während sie vorrückten, zog ich mich in einen Winkel zurück und schwang meinen Degen, ohne ein Wort zu sagen.
»Nun«, rief das Weib, welches mich zum Gefangenen gemacht hatte, »ich muß sagen, ich sehe gerne eine Pfütze im Sturme. Seht mir einmal den kleinen Zwiebackkauer an, wie er fechten will; komm, mein Schatz, Du gehörst mir.«
»Nie«, rief ich voll Unwillen aus, »zurück! oder ich werde etwas Mißliebiges thun (ich hielt dabei den Degen vorwärts gezückt), ich bin ein Offizier und Gentleman.«
»Sall!« schrie das häßliche Weib, »hol einen Lumpen und einen Eimer Spülwasser, ich will ihm den Degen aus der Faust drehen.«
»Nein, nein«, versetzte ein anderes, ziemlich gut aussehendes junges Weib, »laß ihn mir, thu ihm nichts zu leid; es ist wirklich ein hübsches Männchen. Wie heißt Du, mein Lieber?«
»Peter Simpel ist mein Name«, erwiderte ich, »ich bin königlicher Offizier, deshalb nehmt Euch in acht, was Ihr thut.«
»Fürchte Dich nicht, Peter, es soll Dir niemand etwas thun; aber Du mußt Deinen Degen nicht vor den Damen ziehen, das steht einem Offizier und Gentleman nicht an. Stecke Deinen Degen ein und sei ein guter Junge.«