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»Ich will nicht«, war meine Antwort, »wenn Ihr mir nicht versprecht, daß ich unbelästigt fortgehen kann.«
»Ich verspreche es Dir, Du sollst es auf mein Wort, Peter; – auf meine Ehre, bist Du damit zufrieden?«
»Ja«, entgegnete ich, »wenn jede von Euch das Nämliche verspricht.«
»Auf unsere Ehre«, schrieen alle mit einander, worauf ich mich zufrieden gab, meinen Degen in die Scheide steckte und das Zimmer verlassen wollte.
»Halt, Peter«, sagte das junge Weib, welche meine Partei genommen hatte, »ich muß einen Kuß haben, bevor Du gehst!«
»Und ich, wir alle«, schrieen die Weiber.
Ich wurde sehr unwillig und versuchte meinen Degen wieder zu ziehen, aber sie hatten mich eingeschlossen und verhinderten mich daran.
»Denken Sie an Ihre Ehre«, rief ich dem jungen Weibe zu und sträubte mich.
»Meine Ehre, Gott behüte Dich, Peter, je weniger wir davon sprechen, desto besser.«
»Aber Ihr habt mir versprochen, daß ich im Frieden fortgehen darf«, sagte ich der Gesellschaft.
»Gut, Du sollst es, aber vergiß nicht, Peter, daß Du ein Offizier und Gentleman bist. – Du wirst gewiß nicht so schäbig sein und fortgehen, ohne uns zu traktieren. Was hast Geld in Deiner Tasche?«
Und ohne mir Zeit zur Antwort zu lassen, fühlte sie in meine Tasche, zog meine Börse heraus und öffnete sie.
»Ei, Peter«, sprach sie, »Du bist ja so reich wie ein Jude«, und zählte dreißig Schillinge auf den Tisch. »Nun was sollen wir davon haben?«
»Was Euch beliebt«, entgegnete ich, »vorausgesetzt, daß Ihr mich dann gehen laßt.«
»Gut denn, es soll zu einer Gallone Wachholder langen. Sall, rufe Madame Flanagan.«
»Madame Flanagan, eine Gallone Schnaps und frische Gläser!«
Madame Flanagan nahm den größten Teil meines Geldes und kehrte in einer Minute mit dem Schnaps und Weingläsern zurück.
»Nun, Peter, mein Schatz, wollen wir uns um den Tisch setzen und es uns recht schmecken lassen.«
»O nein!« erwiderte ich, »nehmt mein Geld, trinkt den Branntwein, nur laßt mich gehen.«
Allein sie wollten nicht auf mich hören. Ich mußte mich zu ihnen setzen; der Schnaps wurde eingeschenkt und sie zwangen mich, ein Glas zu trinken, was ich mit großem Widerwillen that. Es hatte jedoch eine gute Wirkung, denn es gab mir Mut und in ein paar Minuten fühlte ich mich so stark, als ob ich es mit allen aufnehmen könnte. Die Thür des Zimmers befand sich auf der Seite des Kamins, und ich sah den Schürhaken glühend heiß zwischen dem Roste stecken.
Ich klagte über Kälte, obgleich ich Fieberhitze hatte, und sie gestatteten mir, hinzugehen, um meine Hände zu wärmen. Sobald ich das Kamin erreicht hatte, riß ich den rotglühenden Schürhaken heraus, schwang ihn über meinem Kopfe und drang auf die Thür zu. Sie sprangen alle auf, um mich zu halten, allein ich versetzte der Vordersten einen Schlag, worauf sie mit einem Schrei zurückrannte (ich glaube, ich habe ihr die Nase verbrannt). Ich nahm die Gelegenheit wahr, entwischte auf die Straße und schwang den Schürhaken immer um den Kopf, während alle Weiber schreiend hinter mir drein kamen.
Ich hörte nicht eher auf zu rennen und meinen Schürhaken zu schwingen, bis ich von Schweiß dampfte und der Schürhaken ganz kalt war. Dann schaute ich zurück und fand mich allein.
Es war sehr finster, jedes Haus verschlossen und nirgends ein Licht zu sehen. An der Ecke hielt ich still und wußte nicht, wo ich war, oder was ich thun sollte. Ich fühlte mich in der That sehr unglücklich und überlegte, was wohl das Beste für mich sein möchte, als einer der Quartiermeister, welcher zufällig am Lande geblieben war, um die Ecke bog. Ich erkannte ihn an seiner erbsengrünen Jacke und dem Strohhute als einen der Unsrigen, und war sehr erfreut, ihn zu sehen. Als ich ihm erzählte, was vorgefallen war, versetzte er, er sei gerade im Begriff, in ein Haus zu gehen, wo die Leute ihn kannten und einlassen würden.
Als wir hier ankamen, waren die Leute des Hauses sehr höflich, die Wirtin machte uns auf Bestellung des Quartiermeisters Wermutbier, das mir sehr gut vorkam. Als wir den Krug geleert hatten, schliefen wir beide auf unsern Stühlen ein. Ich erwachte nicht früher, als bis ich nach sieben Uhr von dem Quartiermeister geweckt wurde; dann nahmen wir ein Boot und fuhren nach unserem Schiffe.


Elftes Kapitel.
O'Brien nimmt mich in seinen Schutz. – Die Schiffsmannschaft wird bezahlt, daher auch die Marktschiffweiber, die Juden und der Emancipationist nach der Mode. – Wir gehen zur See. – Doctor O'Briens Heilart der Seekrankheit. – Eine Pille von dem Doktor wirkt mehr als eine Dosis.
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Als wir ankamen, begab ich mich zum ersten Leutnant und erzählte ihm die ganze Geschichte, wie ich behandelt worden war, indem ich ihm den Schürhaken vorwies, welchen ich mit an Bord gebracht hatte. Er hörte mich ganz geduldig an und sagte dann:
»Gut, Herr Simpel, Sie mögen der größte Dummkopf Ihrer Familie sein; ich aber weiß das anders und ersuche Sie, nie sich bei mir als Dummkopf anstellen zu wollen. Dieser Schürhaken beweist das Gegenteil; wenn Ihr Witz Ihnen dienen kann, sich selbst aus Gefahren zu ziehen, so erwarte ich, Sie werden ihn auch zum Besten des Dienstes verwenden.«
Er schickte sodann nach O'Brien und gab ihm eine Lektion, weil er mich den Preßgang mitmachen ließ, wobei er besonders hervorhob (und da hatte er recht), daß ich von keinem Nutzen gewesen sei, und wie leicht ein ernsthafter Zufall hätte eintreffen können. Ich ging auf das Hauptverdeck, wo O'Brien zu mir kam.
»Peter,« sagte er, »ich bin ausgescholten worden, weil ich Dich gehen ließ, deshalb ist es auch billig, daß Du von mir gedroschen wirst, weil Du mich gebeten hast.«
Ich wünschte diesen Punkt zu widerlegen; er schnitt aber jedes Argument kurz ab, indem er mich die Luke hinunter stieß.
So endete mein eifriger Versuch, für Seiner Majestät Dienst Matrosen zu schaffen.
Endlich war die Fregatte vollständig bemannt, und als wir von andern Schiffen Abteilungen Matrosen erhalten hatten, wurde Befehl erteilt, uns auszuzahlen, bevor wir in See gingen. Die Leute am Lande finden immer aus, wenn ein Schiff ausbezahlt wird; daher waren wir schon in aller Frühe von Booten umringt, mit Juden und anderem Volke beladen, von denen einige Zutritt verlangten, um ihre Waren zu verkaufen, andere um für dasjenige Zahlung zu erhalten, was sie den Matrosen auf Kredit gegeben hatten. Allein der erste Leutnant gestattete keinem, an Bord zu kommen, bis das Schiff ausbezahlt war, obschon sie so stark drängten, daß er sich gezwungen sah, Schildwachen in den Bugen auszustellen, um die Boote abzutreiben, wenn sie herankamen. Ich stand gerade im Gange und betrachtete das Gedränge in den Booten, als ein schwarz aussehender Kerl in einem derselben zu mir sagte:
»Sir, lassen Sie mich durch die Geschützpforte hinein schlüpfen, ich werde Ihnen ein sehr hübsches Präsent machen«; hier ließ er mich ein goldenes Petschaft sehen.
Ich befahl sogleich der Schildwache, ihn fortzutreiben, denn ich war sehr beleidigt, daß er glaubte, ich könne bestochen werden, den Befehlen nicht zu gehorchen. Ungefähr um elf Uhr kamen auf dem Seemagazinboot der Buchhalter und der Kassier mit seiner Geldkiste an Bord, und wurden in die Vorkajütte gewiesen, wo sie der Kapitän am Zahltisch erwartete. Die Matrosen wurden einer nach dem andern herein gerufen, und weil der Betrag der Löhnung schon zum voraus berechnet war, so waren sie sehr schnell ausbezahlt. Sie faßten ihr Geld in den Hut, nachdem es in Gegenwart der Offiziere und des Kapitäns aufgezählt worden war. Außerhalb der Kajütte stand ein großer Mann in schwarzer Kleidung mit glattgekämmten Haare, welcher von dem Hafenadmiral die Erlaubnis erhalten hatte, an Bord zu kommen; dieser ging jeden Matrosen, wie er mit seinem Geld im Hute herauskam, um einen Beitrag zur Emancipation der westindischen Sklaven an, aber die Matrosen wollten ihm nichts geben, und schwuren, »die Neger wären besser daran als sie, denn sie hätten bei Tag nicht härter zu arbeiten, und bei Nacht nicht Wache um Wache zu halten.«
»Gedient ist überall gedient, mein alter Psalmsinger,« erwiderte einer. »Sie dienen ihren Herren, wie es ihre Schuldigkeit ist, wir dienen dem König, weil er ohne uns nichts kann, und er fragt uns nie um unsere Einwilligung, sondern greift selbst zu.«
»Ja,« versetzte der Gentleman mit den glattgekämmten Haaren, »aber Sklaverei ist etwas ganz anderes.«
»Kann nicht sagen, daß ich da einen Unterschied sehe. Du, Bill?«
»Ich auch nicht, und ich meine, wenn sie nicht gern da blieben, so liefen sie davon.«
»Davon? – die armen Geschöpfe,« sagte der schwarze Gentleman, »wenn sie dies thäten, so würden sie gegeißelt.«
»Gegeißelt? – gut, und wenn wir davon laufen, so werden wir gehängt, die Neger sind besser daran als wir, nicht wahr, Tom?«
Eben trat des Zahlmeisters Gehilfe heraus; er war so etwas von einem Advokaten, d. h. er hatte mehr Erziehung genossen, als es bei Seeleuten gewöhnlich der Fall ist.
»Ich hoffe, Sir,« sprach der Schwarze, »Sie werden etwas beisteuern.«
»Ich nicht, mein Schatz; ich bin jeden Pfennig meines Geldes schuldig und noch darüber, fürchte ich.«
»Nur eine Kleinigkeit, Sir.«
»Was, Du mußt ein höllischer Schurke sein, daß Du von einem Manne verlangen kannst, er solle weggeben, was nicht sein Eigentum ist. Sagte ich Dir nicht, ich sei alles schuldig? Es ist ein altes Sprichwort: zuerst gerecht, dann freigebig. Nun ist meine Ansicht, daß Du ein methodistischer nichtsnutziger Lumpenhund bist, und wenn je einer ein solcher Esel ist, Dir Geld zu geben, so wirst Du es für Dich selbst behalten.«
Als der Mann sah, daß er an der Thür nichts erhalten könne, so ging er auf das untere Verdeck hinunter, woran er aber nicht sehr klug that, denn da nun die Leute bezahlt waren, so wurde den Booten gestattet, an die Seite herbeizukommen, und so viel Branntwein eingeschmuggelt, daß die meisten Matrosen mehr oder weniger betrunken wurden. Als er zu den Soldaten hinunter kam, fing er an, Bilder auszuteilen, die einen Schwarzen in Ketten knieend darstellten, welcher sagte: »Bin ich nicht euer Bruder?« Einige der Matrosen lachten, und schwuren, sie wollten ihren Bruder an die Schiffswand ankleben, um für die Schiffsmannschaft zu beten; andere waren sehr ungehalten und schimpften auf ihn. Zuletzt kam ein Mann, welcher betrunken war, auf ihn zu.
»Willst Du wirklich behaupten, daß dieser heulende schwarze Dieb mein Bruder ist?«
»Allerdings,« versetzte der Methodist.
»Dann nimm dies für Deine höllische Lüge,« sagte der Matrose, indem er ihn rechts und links in das Gesicht schlug und ihn in den Kabelkasten hinab warf, von wo er herauf kletterte und sich so bald als möglich aus dem Staube machte.
Das Schiff befand sich nun in einem Zustande von Verwirrung und Aufruhr: da waren Juden, welche Kleider zu verkaufen oder für verkaufte Kleider Geld einzuziehen hatten; Männer und Frauen aus den Marktschiffen, die ihre langen Rechnungen vorwiesen und Zahlung forderten, oder durch Schmeichelei zu erhalten suchten; andere Leute vom Lande mit hunderterlei kleinen Forderungen, und die Matrosenweiber, welche sich enge an sie drängten und jede vorgewiesene Rechnung als eine Erpressung oder Räuberei bestritten. Das war ein Schreien und ein Drohen, Lachen und Weinen – denn die Weiber mußten alle vor Sonnenuntergang das Schiff verlassen. Bald wurde ein Jude umgeworfen und seine ganze Kiste mit Ware im Raume umher gezogen, bald jagte ein Matrose einem Juden nach, der ihn betrogen hatte. Alles zankte oder jauchzte; viele waren schwer betrunken. Es schien mir, daß die Matrosen einen schwierigen Punkt zu bestehen hatten; es waren dreierlei Gläubiger gegen sie, die Juden für Kleider, die Männer aus dem Marktschiffe für Zehrung im Hafen, und ihre Weiber wegen des Unterhalts in ihrer Abwesenheit. Das Geld, welches sie erhielten, reichte im allgemeinen nicht weiter, als eine dieser Forderungen zu berichtigen. Man darf annehmen, daß die Weiber den besten Teil davon bekamen; den andern wurde eine Kleinigkeit bezahlt und der Rest versprochen, wenn sie von ihrer Fahrt zurück kämen. Obgleich, wie die Sachen nun standen, es scheinen mochte, daß zwei von den Parteien schlecht behandelt wurden, so waren sie doch mehr als entschädigt, weil ihre Rechnungen so übertrieben waren, daß, wenn auch nur ein Drittel davon bezahlt wurde, ihnen noch ein Profit bleiben mußte. Ungefähr um fünf Uhr wurde Befehl gegeben, das Schiff zu säubern. Alle bestrittenen Punkte wurden von dem Marinesergeanten mit seinen Leuten beigelegt, welche ihre Gegner von den Juden trennten. Personen aller Art, welche nicht auf das Schiff gehörten, männliche oder weibliche, wurden entfernt. Man gab mit der Pfeife das Zeichen zum Niederlassen der Hängematten, schaffte die Betrunkenen ins Bett und das Schiff war auf einmal ruhig. Niemand wurde wegen Trunkenheit gestraft, weil der Zahltag an Bord eines Kriegsschiffes so angesehen wird, als sei mit ihm alles unordentliche Benehmen des Matrosen gleichsam ausgelöscht, und es beginne nun ein neues Blatt im Buche seines Lebens; denn obgleich einige Freiheit gestattet ist, und die Matrosen im Hafen selten gepeitscht werden, so wird doch in dem Augenblicke, wo der Anker an den Bugen ist, strenge Mannszucht gehandhabt, und Betrunkenheit darf nicht länger auf Vergebung hoffen.
Den andern Tag war alles bereit, in See zu stechen, den Offizieren wurde kein Urlaub mehr bewilligt, Vorrat jeder Art an Bord gebracht, die großen Boote aufgewunden und befestigt. Am übernächsten Morgen bei Tagesanbruch gab man uns vom Flaggenschiff im Hafen das Signal zum Ankerlichten; wir hatten Befehl erhalten, in der Bucht von Biscaya zu kreuzen. Der Kapitän kam an Bord, die Leiter wurde heraufgezogen, und wir fuhren mit herrlichem Nordostwinde durch die Nadeln. Ich bewunderte die Ansicht der Insel Wight, erblickte mit Bewunderung die Alum-Bay, erstaunte über die Nadelfelsen und fühlte mich dann so unwohl, daß ich hinabgehen mußte. Was in den nächsten sechs Tagen vorkam, kann ich nicht sagen. Ich dachte, ich müsse jeden Augenblick sterben, lag die ganze Zeit über in meiner Hängematte oder auf den Kisten, und konnte weder essen, trinken, noch umhergehen. O'Brien kam am siebenten Morgen zu mir und sagte, es werde nie wieder gut mit mir werden, wenn ich mich nicht selbst anstrenge; er habe mich gerne und deshalb unter seinen Schutz genommen, und um seine Anhänglichkeit an mich zu beweisen, wolle er für mich thun, was er für einen andern zu thun sich nie die Mühe gegeben hätte, nämlich mir eine gute Tracht Schläge geben; dies sei ein Hauptmittel gegen die Seekrankheit. Die That folgte dem Worte, er gab mir ohne Gnade Rippenstöße und nahm dann das Ende eines Strickes und zerdrasch mich, bis ich seinem Befehle gehorchte und sogleich auf das Verdeck ging. Bevor er zu mir kam, hätte ich es nie für möglich gehalten, ihm zu gehorchen; ich versuchte es, auf die eine oder die andere Art die Leiter zum Hauptverdecke hinauf zu kriechen, wo ich mich auf die Kugelrecken niedersetzte und bitterlich weinte. Was hätte ich gegeben, wenn ich wieder zu Hause gewesen wäre! Es war nicht meine Schuld, daß ich der größte Dummkopf der Familie war, und doch, wie wurde ich dafür bestraft! Wenn dies von O'Brien Freundlichkeit war, was hatte ich von denen zu erwarten, welche nicht an mir teilnahmen? Allein nach und nach kam ich wieder zu mir selbst, fühlte mich in der That bedeutend besser und schlief diese Nacht sehr gesund. Den andern Morgen kam O'Brien wieder zu mir.
»Es ist ein garstiges schleichendes Fieber, diese Seekrankheit, mein Peter, und wir müssen es austreiben,« und nun begann er eine Wiederholung des gestrigen Heilverfahrens, bis ich fast lederweich war. Ob die Furcht, geschlagen zu werden, meine Seekrankheit vertrieb, oder was immer die wirkliche Ursache davon gewesen sein mag – so viel ist gewiß, ich fühlte nach dieser zweiten Tracht Prügel nichts mehr, und als ich den andern Morgen erwachte, war ich sehr hungrig. Ich eilte, mich anzukleiden, bevor O'Brien käme, und ich sah ihn nicht bis zum Frühstücke.
»Peter,« sagte er, »laß mich Deinen Puls fühlen.«
»O nein,« versetzte ich, »ich bin wirklich ganz wohl.«
»Ganz wohl? Kannst Du Zwieback und gesalzne Butter essen?«
»Ja, ich kann.«
»Und ein Stück fetten Speck?«
»Auch das kann ich.«
»Dank' mir's Peter,« erwiderte er, »Du wirst nun von meiner Medizin nichts mehr bekommen, bis Du wieder krank bist.«
»Ich hoffe nicht,« gab ich zur Antwort, »denn sie war nicht sehr angenehm.
»Angenehm, Du dummer Simpel, wann hast Du je von einer angenehmen Arznei gehört, außer man verschriebe sie sich selbst? Ich glaube, Du würdest Zuckerkandis gegen das gelbe Fieber nehmen. Lebe und lerne, Junge, und danke dem Himmel, daß Du jemand gefunden hast, der Dich hinlänglich liebt, um Dich zu prügeln, wenn es für Deine Gesundheit gut ist.«
Ich erwiderte, daß ich zuversichtlich hoffe, so sehr ich mich auch ihm verpflichtet fühle, keine Beweise seiner Anhänglichkeit mehr nötig zu haben.
»Keine so schlagenden Beweise, meinst Du, Peter? aber laß mich Dir sagen, es waren aufrichtige Beweise; denn seitdem Du krank gewesen bist, habe ich Dein Schweinefleisch gegessen und Deinen Grog getrunken, welch letzterer in der Bai von Biscaya nicht zu reichlich gegeben werden kann. Da ich Dich nun kuriert habe, wirst Du alles dies in Deinen eigenen kleinen Brotkorb hinein stecken, so daß ich keinen Vorteil dabei habe; daher denke ich, Du werdest überzeugt sein, daß Du Deiner Lebtage nie zwei uneigennützigere Trachten Schläge bekommen hast. Doch sprechen wir nicht mehr davon, und sei mir willkommen.«
Ich schwieg und verzehrte ein tüchtiges Frühstück. Von diesem Tag an trat ich meinen Dienst wieder an und wurde mit O'Brien der nämlichen Wache zugeteilt, da er mit dem ersten Leutnant gesprochen und ihm gesagt hatte, er habe mich unter seine Aufsicht genommen.


Zwölftes Kapitel.
Neue Theorie des Herrn Muddle, merkwürdig, weil sie kein Ende hat. – Neue Praxis des Herrn Chucks. – O'Brien beginnt seine Geschichte. – Es gab Riesen in jenen Tagen. – Ich bringe des Schiffsmeisters Nachtglas herauf.
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Da ich schon genug von dem Kapitän und dem ersten Leutnant erwähnt habe, um den Leser zu befähigen, eine Einsicht in ihren Charakter zu gewinnen, so will ich nun zwei sehr sonderbare Personen anführen, welche meine Genossen auf dem Schiffe waren, – den Zimmermann und den Bootsmann.
Der Zimmermann, welcher Muddle hieß, ging gewöhnlich auf den Ruf: Philosoph Chips – nicht als ob er einer besondern Schule gefolgt wäre, sondern er hatte sich seine eigene Theorie gebildet, von welcher er nicht abzubringen war. Ich konnte ihn nie dahin bringen, zu erklären, auf welche Data seine Berechnungen sich gründeten; er sagte, ich sei zu jung, um es zu begreifen, wenn er es auch erklären wollte; seine Behauptung war diese: daß in siebenundzwanzigtausend sechshundert zweiundsiebenzig Jahren alles, was sich ereigne, wieder geschehen würde, mit denselben Leuten, welche gerade zu dieser Zeit lebten.
Er wagte es selten, dem Kapitän Savage diese Bemerkung zu machen, aber desto öfter that er es dem ersten Leutnant.
»Ich bin so nahe daran gewesen als möglich, Sir? ich versichere Sie, obwohl Sie einen Fehler daran finden; allein vor siebenundzwanzigtausend sechshundert zweiundsiebenzig Jahren waren Sie erster Leutnant auf diesem Schiff und ich Zimmermann, obwohl wir uns nicht mehr daran erinnern und nach siebenundzwanzigtausend sechshundert zweiundsiebenzig Jahren werden wir beide wieder auf diesem Boote stehen und von den Reparaturen sprechen, gerade wie jetzt.«
»Ich zweifle nicht daran, Herr Muddle,« versetzte der erste Leutnant, »und will zugeben, daß dies alles sehr wahr ist, aber die Ausbesserungen müssen diese Nacht fertig werden und von heute über siebenundzwanzigtausend sechshundert zweiundsiebenzig Jahren werden Sie gerade einen so ausdrücklichen Befehl dazu haben, als jetzt, also lassen Sie es sich gesagt sein.«
Diese Theorie machte ihn gegen die Gefahren sowohl, als überhaupt gegen alles gleichgültig. Es war ihm einerlei, jedes Ereignis fand bestimmt im Laufe der Zeit statt; es war in früherer Zeit eingetroffen und mußte sich wieder ereignen; alles hing vom Schicksal ab.
Der Bootsmann war ein noch unterhaltenderer Charakter; er wurde als der festeste, d. h. als der thätigste und strengste Bootsmann im Dienste angesehen. Er ging unter dem Namen »Gentleman Chucks«, – Letzteres war sein Zuname.
Er schien eine halbe Erziehung genossen zu haben; manchmal bestand seine Sprache aus einigen merkwürdig gut gewählten Redensarten, aber plötzlich konnte er durch ein barsches Wort von seiner Höhe herabfallen; doch ich werde imstande sein, den Leser mehr in seine Geschichte einzuführen, wenn ich zu meinen Abenteuern komme.
Er hatte eine sehr hübsche Figur, Neigung zum Starkwerden, durchdringende Augen und ein Haar, das sich in Locken ringelte. Seinen Kopf trug er aufrecht und ging stolz einher. Er erklärte, ein Offizier müsse auch einem Offizier gleich sehen und sich danach betragen.
Von Person war er sehr reinlich, trug Ringe an seinen großen Fingern und einen gewaltigen Busenstreif, welcher wie das Hinterstück eines Barsches hervorstand; sein Hemdkragen war immer bis an die Backenknochen heraufgezogen. Er erschien nie auf dem Verdeck ohne seinen Tröster, welches drei wie ein Tau in einander geflochtene Rohrstäbe waren; bisweilen hieß er ihn seinen Bathorden, oder sein Trio juncto in uno, und dieser Tröster war selten müßig.
Er versuchte, sehr höflich zu sein, selbst wenn er den gemeinen Matrosen anredete, und begann immer seine Bemerkungen an dieselben auf eine sehr artige Weise; allein im Verlaufe der Rede war er in seiner Phraseologie nicht sehr wählerisch. O'Brien sagte, seine Reden seien der Sünde des Dichters ähnlich, oben sehr schön, aber an den untern Extremitäten sehr abscheulich.
Er konnte zum Beispiel zu einem Manne auf dem Vorderkastell auf die zarteste Weise von der Welt sagen: »Erlauben Sie mir die Bemerkung, mein Wertester, daß Sie diesen Teer auf das Verdeck schütteten, ein Verdeck, Sir, welches, wie ich die Bemerkung zu machen wagen darf, ich die Pflicht hatte, diesen Morgen reinigen zu lassen. Sie verstehen mich, Sir, Sie haben Seiner Majestät Vorderkastell beschmutzt. Ich muß meine Pflicht thun, Sir, wenn Sie die Ihrige vernachlässigen; so nimm dies – und dies – (dabei zerdrasch er den Mann mit seinem Rohrstab). Du verdammter Heumacherssohn von einem Seekoch, thue es noch einmal, Gott straf mich, und ich haue Dir die Leber aus dem Leibe.«
Ich erinnere mich an einen Schiffsjungen, welcher mit einem Eimer schmutzigen Wassers vorbeiging, um es auf dem Vorderteile des Schiffes auszuleeren, ohne seine Hand an den Hut zu legen, als er vor dem Bootsmann vorüberkam.
»Halt, mein kleiner Freund,« sagte dieser, indem er seinen Busenstreifen herauszog, und seinen Hemdkragen auf beiden Seiten in die Höhe richtete; »kennen Sie, Sir, meinen Rang und meine Stellung in der Gesellschaft?«
»Ja, Sir,« versetzte der Junge und sah zitternd nach dem Rohrstab.
»Gut denn,« erwiderte Herr Chucks, »hätten Sie es nicht gewußt, so würde ich eine mäßige Züchtigung für nötig erachtet haben, damit Sie in Zukunft einen solchen Fehler vermieden hätten; allein da Sie es wußten, so haben Sie keine Entschuldigung; so nimm denn dies, du kläffende, halbverhungerte Mißgeburt.«
»Ich bitte Sie um Verzeihung, Herr Simpel,« sprach er zu mir, als der Junge heulend fortlief, denn er ging gerade damals mit mir. »Allein der Dienst macht uns alle zum rohen Tiere. Es ist hart, unsere Gesundheit, unsere Nachtruhe und unsere Bequemlichkeit zu opfern, aber noch härter, weil ich in meiner verantwortlichen Stellung nur zu oft genötigt bin, meine Höflichkeit zum Opfer zu bringen.«