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»Ne.« Norman grunzte leise. »Zumindest nicht bei diesem Katalysatorenkrempel. Der ist langweilig.«
»Na, das rächt sich jetzt wohl«, säuselte Gudrun und lächelte. »Ich bin gespannt, wie du in diesem Kurs zurechtkommst.«
»Ich komme überall zurecht«, motzte Norman. Eine sanfte Hand legte sich auf seine Schulter. Das Mondgesicht der Alten schwebte über ihm. Lächelnd. Natürlich.
»Spürst du die Energie, mein Schäfchen?«
»Äh, nö.«
»Dann konzentriere dich.« Diese sanfte Hand war stärker, als er zunächst angenommen hatte.
Ach, egal. Er verschränkte seine Beine, so wie die anderen, und schloss wieder die Augen. Immer noch spürte er nichts, bis auf die vier Käsebrote in seinem Magen. Er hörte Dinge. Knarzende Holzdielen, knacksende Wände, leise Stimmen vom Flur her. Draußen ratterten Kutschen vorbei. Eine Serie von winzigen Explosionen kündigte ein Automobil an. Das Fenster ging wohl zur Straße hinaus. Er roch altes Holz und das muffige Lavendelparfüm der Alten.
»Und?« Mist, die sah ihn noch an. Mit zusammengekniffenen Lippen schüttelte er den Kopf.
»Dachte ich’s mir doch.« Gudrun kicherte höhnisch.
»Spürst du die Energie, Wieselchen?«, fragte die Alte sie und Norman prustete los. Gudrun sah echt ein wenig wie ein Wiesel aus, mit der spitzen Nase und den fast schwarzen Pupillen.
»Natürlich.« Gudrun lächelte und strich die langen Haare über die Schulter zurück. Die beiden Kerle neben ihr sahen sie gierig an. War Gudrun Lovell etwa hübsch? Norman war grausam schlecht darin, so etwas zu beurteilen.
»Wundervoll, mein Wieselchen.« Die Alte nickte. »Dann beschreibe sie uns.«
»Sie ist … spiralförmig«, flötete Gudrun. Ein Schweißtropfen rann ihre Schläfe hinab. »Wie spiralförmiger Nebel, der durch all die Räume zieht und außerdem … lila.«
Die Alte schüttelte den Kopf.
»Nicht ganz, mein Wieselchen.«
»Ha!«, rief Norman. »Das heißt, dass es falsch ist!« Er zeigte auf Gudrun. »Du bist genau so ein Versager wie ich.«
»Bin ich nicht!«, rief sie. Ihre Wangen liefen dunkelrot an. »Wenigstens habe ich nicht auf der Bühne rumgeheult wie ein Kleinkind.« Ihre Stimme wurde noch heller. »Ich will ein Motor werden! Buhuuuu!«
Norman wollte aufspringen, aber eine tonnenschwere Hand hielt ihn unten. Verdammt, diese Alte war stark. Seltsam.
»Wer sind Sie eigentlich?«, fragte Norman sie und hörte Gudrun entsetzt aufkeuchen. Die anderen sechzehn Studenten schauten peinlich berührt zu Boden.
»Was?«, fragte Norman. »Muss ich das wissen?«
»Selbstverständlich nicht.« Die Alte lachte glockenhell. »Schließlich lernen wir uns jetzt kennen, oder? Ich bin Eterna Sølmgard. Und du, Schäfchen?«
»Eterna …« Er gaffte sie an. »Sie sind das? Ich kenne Sie von meinen Lithografien. Sie … Sie sind die Unendliche Quelle. Äh. Sie haben aber zugenommen.«
Mehrere Leute sogen hörbar die Luft ein. Gudrun murmelte: »Unhöflich!« Die Alte lachte. Natürlich.
»Mein Schäfchen, nach drei Kindern ist keine Frau mehr dieselbe. Meine Wespentaille ist leider dahin.«
»Oh. Tschuldigung.« Norman räusperte sich.
Er musterte sie, als würde er sie zum ersten Mal sehen. Eterna Sølmgard. Irre. Die Katalysatorin, die zehn Motoren gleichzeitig mit Energie versorgen konnte! Sie hatte neben Gunnar auf der Stadtmauer gekämpft, an jenem Tag …
»Ich spüre Bewunderung.« Eterna grinste. »Heißt das, dass du mir ab jetzt zuhören und ruhig sein wirst, Schäfchen?«
»Äh, ja.« Norman zuckte mit den Achseln. »Hab eh nichts Besseres vor.«
Vielleicht würde sie von Gunnar erzählen.
Sie erzählte nicht von Gunnar.
Stattdessen versuchten sie, die Energie zu spüren. Was für eine Energie überhaupt? Es gab Magie und … war das dasselbe? Norman hatte keine Lust zu fragen. Vor allem hatte er keine Lust, nochmal ausgelacht zu werden. War eh egal. Nach einer Stunde hatte niemand irgendeine Energie gespürt und Eterna befahl ihnen, nach Magie zu suchen. War also doch verschieden, anscheinend. Leider fand niemand Magie.
Als er sich zum Mittagessen erhob, waren seine Beine eingeschlafen. Er sah an sich herunter und stöhnte leise. Der Trainingsanzug der Katalysatoren sah aus wie ein Bademantel. Ein weit geschnittener weißer Bademantel mit einem lila Gürtel. Darunter trugen sie eine weite, weiße Hose. Super.
Die schwarzen Uniformen der Katalysatoren waren wenigstens irgendwie cool. Hundertmal cooler als dieser idiotische Anzug. Kein Wunder, dass niemand hier Respekt vor ihnen hatte.
Auf dem Weg zum Speisesaal versuchte ein Zweitjahresmotor, Norman zur Seite zu schubsen.
»Aus dem Weg, Magiebeutel!«, rief er, prallte an Normans Masse ab und stolperte.
Norman gab ihm einen Arschtritt und marschierte in den Speisesaal. Es gab Pastinakensuppe und Brot.
»Du willst bestimmt nicht bei uns sitzen«, zwitscherte Gudrun Lovell, als er mit dem voll beladenen Tablett am Katalysatorentisch auftauchte. »Du willst ja keiner von uns sein.«
Stimmte schon, aber allein wollte er auch nicht sein. Doch das Einzige, was er noch weniger wollte, war, das zuzugeben. Also hob er das Kinn und schnaubte: »Verdammt richtig«, drehte ab und setzte sich alleine an einen Tisch. Mal wieder.
Hinter ihm erklang Tores Stimme. Der erzählte gerade einen Witz über zwei Besoffene aus Agøln, einen von ungefähr hundert, die er kannte. Norman hörte Gelächter hinter sich und seufzte. Sein einsamer Suppenteller war bereits halb leergegessen. Er spürte die Betriebsamkeit um sich herum und roch die vorbeiwabernden Essensdüfte. Neben ihm führten ein paar niedrige Beamte ein Gespräch. Sie beschwerten sich über das neue Ablagesystem. Was für Langweiler. Doch selbst sie hatten jemanden. Norman seufzte wieder. Er hatte sich komplett ins Abseits geschossen. Und nun? Saß er auf einer harten Bank, ganz alleine. Er war ein Katalysator und vermutlich ein grottiger. Einer wie er konnte gar kein guter Katalysator sein, oder?
»H-hallo.« Jemand stand vor ihm und hielt ein wackelndes Tablett in den Händen. Norman sah auf. Lauchi lächelte ihm zaghaft zu. »Kann ich mich zu dir setzen?«
»Klar.« Er beobachtete, wie Lauchi sich setzte und sich dabei dreimal das Knie stieß. »Willst du nicht bei den anderen Motoren sein?«
Lauchi schüttelte den Kopf. Irgendetwas war anders … Oh, richtig.
»Was ist mit deinem Zopf passiert?«, fragte er. Das Ding war nur noch halb so lang wie heute Morgen. Und viel dunkler.
»Oh, das.« Lauchi schaute trübselig in die Pastinakensuppe. »Das war ein Unfall. Glaub ich.«
»Glaubst du?«
»Wir haben heute versucht, Feuer zu erzeugen und … Na, Brenna hat es als Erste geschafft. Sie hat meinen Zopf erwischt. Das war bestimmt ein Versehen.«
Norman kannte Brenna zu gut, um das zu glauben. Er wandte sich zu ihr um und sah sie breit grinsend in der Mitte der Motoren sitzen. Da hätte er sein können … Ach, egal. Alles egal.
»Ihr lernt gleich in der ersten Stunde, wie man Feuer schießt?« Er seufzte. »Ihr habt so ein Glück. Ich hab den ganzen Morgen rumgesessen und irgendeinem Geschwafel zugehört. Und dann sollten wir Energie oder Magie oder so in der Luft sehen, aber das hat auch nicht geklappt. Als Nächstes lernen wir die richtige Atmung.«
»Das klingt doch schön«, sagte Lauchi. »Ungefährlich. Ich hab so eine Angst vor dem Feuer. Zum Glück schaffe ich das noch nicht.«
»Zum Glück?« Norman sah ihn ungläubig an. Na ja, Lauchi war halt Lauchi. »Willst du deshalb nicht bei den anderen sitzen? Sind die dir zu gefährlich?«
Lauchi musterte seine Suppe. Todtraurig. Der Junge sollte besser was essen, wenn der das Studium überstehen wollte.
»Nein, sie … sie ignorieren mich. Ich glaube, sie wollen mich nicht in ihrem Kurs haben. Wenn ich sie anspreche, antworten sie nie und …« Ein tiefer Seufzer kräuselte die Suppenoberfläche.
»Solche Arschlöcher«, sagte Norman. Na ja, er selbst wäre kaum netter gewesen, wenn … wenn er ein Motor geworden wäre. War er halt nicht. »Du musst mehr essen, Lauchi. Das gibt Kraft.«
Lauchi nickte matt. Dann löffelten sie schweigend ihre Suppe und mampften ihr Brot. Wie eine ruhige, kleine Insel im lauten Trubel des Speisesaals.
Lauchi wünschte ihm viel Erfolg, als sie aufstanden. Norman schnaubte unmotiviert. Dieser Katalysatorenkurs war so sinnlos. So sinnlos, dass er erstmal in der Latrine verschwand und sich richtig viel Zeit ließ.
Er hörte die zweite Glocke und dann die dritte. Er blieb sitzen. Nun würden sie sich alle in dem blöden Zimmer versammeln, im Kreis hocken und versuchen, etwas zu finden, das nicht da war. Obwohl, wenigstens die Magie musste ja irgendwo sein. Sonst könnte man sie doch nicht benutzen. Missmutig betrachtete er die Holztür vor seiner Nase.
Deine Mutter ist so fett, dass sie vom Stammbaum abgebrochen ist, las er. Es waren noch mehr lustige Witze eingekerbt worden. Die meisten über Mütter und Katalysatoren. Die Katalysatoren nannten sie »Magiebeutel« oder »Sauger«.
Sauger saugen nicht nur Magie, entlockte ihm kaum ein Lächeln. Dabei hatte er den früher total komisch gefunden.
Wie kann man einen Sauger stundenlang beschäftigen? Stell ihn vor den Spiegel und sag ihm, er soll Schnick Schnack Schnuck spielen.
Norman vergrub das Gesicht in den Händen.
Irgendwann wurde es ihm zu langweilig.
Der Flur war leer und still, als er den Abort verließ. Konnte er sich irgendwo verkriechen, bis es zum Abendessen läutete? Wie lange konnte er vor dem Kurs flüchten, bis sie ihn zurückschleppten? Würden sie ihn zurückschleppen oder gleich ins Gefängnis werfen?
Diese Frage beschäftigte ihn so sehr, dass er nicht aufpasste, als er um die Ecke bog. Plötzlich sah er sich fünf Leuten gegenüber, den langen Roben nach Hohe Magier. In ihrer Mitte ging Gunnar Krafft.
Norman starrte ihn an. Die Magier unterbrachen ihr Gespräch über die Finanzierung eines neuen Programms und starrten zurück.
»Warum bist du hier, Junge?«, fragte eine hagere Frau und deutete auf seinen Erstjahres-Trainingsbademantel. »Solltest du nicht in deinem Kurs sitzen?«
»Ja, ich … musste kurz raus«, stammelte Norman.
Gunnar stand vor ihm, so nah, dass er ihn fast anfassen konnte. Von nahem sah er noch heldenhafter aus. Gunnar blinzelte. Ein verwegenes Grinsen breitete sich auf seinen vollen Lippen aus.
»He, du bist doch der Kerl, der gestern bei der Prüfung so einen Aufstand gemacht hat.« Das Grinsen unter der Augenklappe wurde breiter. »Der Typ, der ein Motor werden wollte.«
Oh. Norman spürte, wie ihm die Hitze ins Gesicht schoss. Er nickte.
»Entschuldigung«, murmelte er.
»Dafür nicht«, sagte Gunnar. »Dein Auftritt war das Unterhaltsamste an der ganzen Veranstaltung.«
Die Magier setzten sich wieder in Bewegung und würdigten ihn keines Blickes mehr. Bis auf Gunnar, der ihm fröhlich zuzwinkerte. Ein Feuerpfeil bohrte sich durch Normans Herz. Verdammt! Seine Knie wurden zu Watte und sein Herzschlag zu einem wilden Pochen.
»Gunnar?«, fragte er leise. »Ich meine: Herr Krafft?«
Obwohl er fast flüsterte, hörte Gunnar Krafft ihn. Er blieb tatsächlich stehen, während die anderen weitergingen. Der Blick seiner stahlblauen Augen richtete sich auf Norman. Er sah noch besser aus als auf den Postern. Viel, viel besser. Ein wenig älter und noch männlicher.
»Was ist?«, fragte Gunnar. Er wirkte amüsiert. Norman ballte die Fäuste.
»Ich …« Er schluckte. »Ich wollte wirklich ein Motor werden. Ich wollte wie Sie sein. Damals, in Wørringen, da habe ich Sie gesehen und Sie haben uns alle gerettet und ich …« Mist, was für einen Scheiß verzapfte er hier? »Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll«, endete er kläglich.
Gunnar verharrte. Die anderen waren schon um die Ecke gebogen und er musste bestimmt hinterher, aber er blieb stehen. Er rieb sich das stoppelige Kinn und musterte Norman in seinem dämlichen Bademantel.
»Junge«, sagte er. »Weißt du, was ich ohne meine Katalysatoren wäre?« Er schüttelte den Kopf. »Gar nichts. Verloren wäre ich gewesen, damals in Wørringen. Wenn sie mir keine Magie gegeben hätten, hätte ich die Monster nie besiegen können. Ohne Katalysatoren gibt es keine tausend Klingen. Klar, alle sind von Magie beeindruckt, wenn sie sie sehen können. Deshalb bewundern sie uns Motoren. Aber ein Katalysator ist genauso wichtig.«
»Ah.« Norman wusste nicht, was er sonst sagen sollte. »Dann … sollte ich versuchen, ein guter Katalysator zu werden?«
»Du hast es erfasst.« Gunnar legte die Hand auf Normans Schulter. »Wer weiß, vielleicht stehen wir ja irgendwann zusammen auf der Stadtmauer. Vielleicht gibst du mir dann die Magie, um ein Lavamonster einzufrieren.«
Ein freudiges Zittern rann durch Normans Körper und er betete, dass Gunnar das nicht merkte. Verzweifelt versuchte er, den Kloß herunterzuschlucken, der sich in seinem Hals gebildet hatte. Gunnar wollte mit ihm auf der Stadtmauer stehen.
»Ich … Danke. Echt. Also. Danke.« Er grinste blöd.
Gunnar nickte ihm zu, drehte sich um und verschwand hinter der Ecke. Norman blieb mit rasendem Puls zurück.
Er würde mit Gunnar die Stadtmauer verteidigen. Natürlich, so hatte er das noch nie gesehen! Gunnar brauchte einen Katalysator doch viel mehr als einen anderen Motor! Und Norman hatte nur daran gedacht, ihn zu beeindrucken! Er war viel zu egoistisch gewesen. All seine Träume von Feuerstürmen und Eisregen und so … wurden von einem neuen Traum ersetzt: Wie er Gunnar in letzter Sekunde zur Hilfe kam, als der, vollkommen magielos, drei Monstern gegenüberstand. Lavamonstern? Eismonstern? Egal! Im allerletzten Moment würde er aus dem Nichts kommen und Gunnars Hand berühren (eine Gänsehaut überzog seinen ganzen Körper, sobald er daran dachte) und ihm die Magie geben, die Gunnar brauchte, um die Monster zu zerfetzen!
Norman atmete schwer. Er ballte die Fäuste und lauschte dem Hämmern seines eigenen Herzens.
»Ich werde der größte Katalysator der Welt«, flüsterte er.
8. Ein neuer Weg
»Mein bockiges Schäfchen, deine Energie hat sich verändert«, sagte Eterna, als Norman in den Raum stürmte.
»Das hat sie!« Er strahlte.
»Gut, gut«, sagte sie freundlich.
Wegen seiner Verspätung ließ sie ihn nachsitzen. Eine Stunde lang musste er die Grundlagen der Katalysation nachlesen, während die anderen schon frei hatten. Egal, das hatte er eh tun wollen. Mit Feuereifer verschlang er das Buch, und als sie das Nachsitzen für beendet erklärte, weigerte er sich erst, es herzugeben.
»Du bekommst es wieder«, sagte sie und er ließ los. »Jetzt geh spielen, Schäfchen. Morgen geht es richtig los, da brauchst du alle Kraft.«
»Einen Scheiß werde ich.« Norman grinste. »Geben Sie mir was zu tun. Wie werde ich ein besserer Katalysator?«
»Ganz schön motiviert, hm?« Seltsamerweise wirkte sie nun ernster als zuvor. Ihre hellgrauen Augen musterten ihn lange. »Was hat dich zum Umdenken bewegt?«
»Nichts, ich …« Er spürte, dass er rot wurde. »Ich habe kapiert, wie wichtig Katalysatoren im Kampf sind.«
»Ach ja, das Kämpfen.« Sie seufzte. »Hauptsache, es gibt eine Klopperei, was, Schäfchen?«
»Ja klar.« Er sprang auf. »Kommen Sie. Was kann ich noch tun?«
»Genug zu Abend essen. Ab morgen wird es härter. Ein Drittel des Unterrichts ist Leibesertüchtigung, vergiss das nicht.«
»Na hoffentlich!« Er lachte. Sie öffnete die Tür und sie verließen gemeinsam den Raum.
»Bis morgen, Schäfchen.« Sie lächelte wieder. »Und falls du Fragen hast, wende dich an mich.«
»Ich habe eine Frage.«
Er war fast sicher, dass sie ein Seufzen unterdrückte.
»Ja?«
»Gibt es einen Unterschied zwischen Magie und Energie? Im Buch stand nichts von Energie. Gar nichts.«
»Oh, das.« Sie wichen zur Seite aus, weil ein paar Drittjahresschüler vorbeischlenderten. »Magie ist eine Form der Energie. Es gibt noch weitere Energien, die meist an Menschen gebunden sind. Ärger, Verbitterung, Angst, Lust … um nur einige zu nennen. Aber da Magie die Einzige ist, mit der wir Eismonster abschlachten können, ist sie die Einzige, die gelehrt wird. Für unsere Zwecke sind die anderen Energien leider nicht nützlich.«
»Ach so. Aber wir Katalysatoren können sie sehen?«
»Nein.«
Was? »Aber warum sollten wir versuchen, sie zu sehen?«
»Ich probiere das immer wieder.« Sie zuckte fröhlich mit den Achseln. »Eigentlich können nur Katalysatoren mit zehn Jahren Erfahrung ab und zu andere Energien wahrnehmen. Aber es macht Spaß, es zu probieren.«
»Gar nicht.« Er schaute sie böse an. »Was für eine Zeitverschwendung. Babykram. Die Motorenklasse wirft schon mit Feuerbällen rum.«
»Ui.«
Machte sie sich über ihn lustig? Falls hier irgendetwas witzig war, verstand er es nicht. Er verschränkte die Arme und musterte sie herausfordernd.
»Aber Sie können Energien lesen, ja? Bringt Ihnen das was?«
»Nur diesen blöden Spitznamen.« Sie schüttelte den Kopf. »Die unendliche Quelle. So eine Übertreibung.«
»Moment, können Sie so viel Magie aufnehmen, weil sie … Hat das irgendwas mit Energien zu tun?«
»Ja. Schon.« Sie schaute nachdenklich zur Decke. »Hat es, mein kluges Schäfchen. Aber wie gesagt, das ist Material für Fortgeschrittene. Versuch erstmal, überhaupt etwas zu sehen.«
»Das werde ich.« Er grinste. »Ich werde alles sehen! Ich werde der größte Katalysator der Welt!«
Sie murmelte irgendetwas, das wie »untervögelt« klang, doch das konnte nicht sein. Dann verabschiedete sie sich und segelte den Flur hinab. Norman stürmte die Treppe hinauf und nahm drei Stufen auf einmal. Er rannte durch den modrigen Gang und riss die Zimmertür auf.
»Lauchi!«, rief er.
Der schrie auf. Bleich robbte er auf seinem Bett rückwärts, bis sein schmaler Rücken sich in die Wand drückte. Er presste sich irgendeinen dicken Wälzer an die Brust. Hinter Norman knallte die Tür ins Schloss.
»W-wa...« Lauchis Stimme erstarb, als Norman sich den dämlichen Bademantel vom Leib riss und nur noch in einer weißen Hose vor ihm stand.
»Ich habe mich entschieden. Ich werde der beste Katalysator aller Zeiten«, sagte Norman feierlich, warf sich zu Boden und begann, Liegestütze zu machen.
Zehn, zwanzig, dreißig. Er spürte das Blut immer schneller durch seinen Körper pumpen. Schon war sein Rücken schweißnass. Außerdem spürte er, dass Lauchi ihn anstarrte.
»D-du machst viel Sport, oder?«, fragte der Kleine schließlich. Norman nickte und stemmte sich wieder hoch. Dreiundfünfzig. Inzwischen ging sein Atem stoßweise.
»Das sieht man.« Lauchis Stimme hatte einen träumerischen Klang.
»Danke.« Norman grinste. »Wenn du willst, kann ich dir ein paar Übungen zeigen.«
»Gern«, hauchte Lauchi.
Seine Augen verließen Normans glänzenden Oberkörper nie. Mit offenem Mund sah er zu, wie er zu Kniebeugen überging. Normans Muskeln brannten. Seine Lungen auch, sobald er mit den Hampelmännern anfing. Das winzige Zimmer verwandelte sich in ein Schwitzhaus und die Luft wurde immer feuchter. Schweißtropfen lösten sich von Normans Haut, als er auf und ab sprang. Einer erwischte Lauchis knallrote Wange.
»Sorry«, keuchte Norman und hüpfte weiter.
Lauchi schüttelte stumm den Kopf und glotzte. Natürlich war er beeindruckt. Bei den Schwächlingen im Nördlichen Flussland hatte er bestimmt nie solche Muskeln gesehen. Oder hatte er etwa Angst? Egal, damit musste der Weichling klarkommen.
»Alter, wird das warm.« Norman riss das Fenster auf.
Abendluft strömte herein. Das Zimmer kühlte ab, aber er fühlte sich immer noch, als würde er gleich schmelzen.
»Ich zieh mich aus. Stört dich nicht, oder?«, fragte er Lauchi.
Der verschluckte sich. Dann schüttelte er den Kopf und Norman dachte, dass Lauchi gar kein so mieser Zimmernachbar war. In Unterhose war das Sportprogramm viel angenehmer. Erst nach einer Stunde klappte Norman auf dem Bett zusammen.
»Ab morgen«, japste er. »Ab morgen gibt es … Lauftraining. Jeden Morgen. Wusstest du … das?«
»Was?« Lauchi hob den Blick von Normans schweißnasser Brust. Sein Buch lag vergessen neben ihm. »Ja. Ich hab … Ja.«
»Ich freu mich drauf«, sagte Norman. »Nach den langweiligen Rumsitzkursen ist das genau das Richtige. Was habt ihr gemacht? Mehr Feuerbälle geworfen?«
»Ja … Was? Nein.« Lauchi befeuchtete seine Lippen mit der Zunge und Norman war einen Moment lang abgelenkt. »Nein, wir haben etwas über Brandschutz gelernt. Das ist auch wichtig, hat Herr Dombas gesagt.«
»Ach so. Klingt öde.«
»Oh, es war ganz interessant.« Lauchi räusperte sich. Er rutschte auf dem Bett herum und schlang die Arme um die Knie. »Älso. Machst du jetzt jeden Abend solche Übungen? Hier?«
Norman betrachtete seinen Bizeps.
»Ja klar, mindestens. Diese Beulen hier müssen doppelt so groß werden. Wenn’s dich stört, kannst du ja rausgehen.«
»Störtmichnicht«, krächzte Lauchi. Seine Stimme klang auf einmal so rau.
»Alles gut?«
Lauchi lächelte. Seine Augen glänzten und er nickte, erstaunlich schwungvoll. Norman grinste breit.
»Super. He, meinst du, der eine Arm ist dicker als der andere? Kannst du mal drumfassen und schauen?«
Lauchi half ihm. Eigentlich war der Kleine ziemlich in Ordnung. Und er nahm nicht viel Platz weg.
Nach dem Abendessen, als sie in ihren Betten lagen, betrachtete Norman Gunnars Gesicht auf den Postern. Er hatte drei Poster von ihm. Auf einem lächelte Gunnar siegessicher, auf den anderen beiden schaute er entschlossen. Auf allen sah er toll aus. Außerdem war sein Hemd so weit aufgeknöpft, so dass man den Ansatz der Brustmuskeln erkannte.
Vielleicht stehen wir irgendwann gemeinsam auf der Stadtmauer, dachte Norman und schlief selig lächelnd ein.
9. Nächtliche Unterhaltung
Mitten in der Nacht wurde Norman von einem Geräusch geweckt. Es weckte ihn aus einem sehr intensiven Traum, in dem Gunnar mit ihm auf der Stadtmauer gegen ein Lavamonster gekämpft hatte. Es hatte Norman verletzt. Gunnar hatte sein sowieso schon halb aufgeknöpftes Hemd heruntergerissen und Normans blutenden Arm verbunden. Seltsamerweise hatte er gleich anschließend begonnen, seine Hose aufzuknöpfen.
Norman blinzelte ins Dunkel. Mist. Er hatte einen Ständer, mit dem er eine Mauer hätte einreißen können. Tief durchatmend ballte er die Hände zu Fäusten und starrte an die Decke. Was hatte ihn geweckt?
Leises Keuchen. Lauchi. Heulte der schon wieder?
Norman wandte sich um und sah, dass der Kleine mit dem Rücken zu ihm lag. Er hörte ein Seufzen und an den rhythmischen Bewegungen des Arms erkannte er ganz genau, was Lauchi da trieb. Das, was er sich gerade verkniff.
»Lauchi. Das ist schlecht für dich.«
Der Kleine erstarrte. Stocksteif lag er da und schwieg.
»Das schadet Magiern, wenn sie noch nicht mit ihrer Ausbildung fertig sind. Hast du das nicht in den Vorbereitungskursen gelernt?« Norman schüttelte traurig den Kopf. »Du wirst ein Magiekrüppel. Dabei bist du eh schon ein Schwächling.«
»N-nein, ja, Entschuldigung«, stammelte Lauchi, ohne ihn anzusehen. »Aber das stimmt nicht.«
»Was laberst du da?«
»Äh, also … Herr Dahle hat gesagt …« Lauchi schluckte hörbar. »Der hat ab und zu zuviel Wein getrunken, na ja, fast jeden Tag und einmal hat er mir erzählt, dass das Keuschheitsgebot Kokolores ist. Also so hat er das genannt. Kokolores.«
»Was?« Norman richtete sich auf. »Dein Herr Dahle labert Scheiße.«
»Vielleicht. Entschuldigung.«
Schweigen. Norman musterte Lauchis Rücken. Dann legte er sich zurück. Sein Blick fiel auf das Gunnar-Poster, auf das strahlende Lächeln und das Kribbeln in seinem Schoß verstärkte sich. Hm. Mist. Er hätte wirklich gern … Nein.
»Hat dein Herr Dahle irgendwelche Beweise?«, fragte er schließlich.
»Na, er meinte, es wäre allgemein bekannt in den höheren Rängen. Er war mit einem der Hohen Magier befreundet, als er hier war, und der hat ihn eingeweiht. Als er zuviel Wein getrunken hatte.«
»Aber wenn das Blödsinn wäre, warum erzählen sie es uns dann? In unseren Kursen haben sie gesagt, dass die Magie davon schwächer wird. Nur halb so stark.«