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Er entfernte sich sehr traurig, aber von dem Geiste der Hoffnung beseelt, wie er hochherzigen Jünglingen eigen zu sein pflegt. Es schien ihm eine so leichte Sache, sein Glück zu machen, um es dann mit seiner Cousine Millicent zu theilen. Jene große Auster, die Welt, wartete ja nur darauf, durch den kühnen Streich seines abenteuerlichen Schwerts geöffnet zu werden, und wer konnte daran zweifeln, daß seltene und unschätzbare Perlen in der Schale verborgen waren, bereit, in die offenen Hände des tapferen Abenteurers zu fallen?
Ringwood Markham kehrte spät am Abend mit blassem Gesicht und einem blutigen Tuch um seine Stirn, nach Hause zurück.
Er fand seinen Vater in dem eichengetäfelten Gemach auf der einen Seite der Halle am Kamin sitzen. Die Thür dieses Zimmers stand offen, und als der junge Mann aus seinem Wege nach seinem eigenen Zimmer sich vorbeizuschleichen suchte, rief ihn sein Vater an und befahl ihm mit gebieterischer Stimme, zu ihm herein zu kommen.
Langsam und mürrisch gehorchte der junge Mann, seinen zerschlagenen Kopf hängend und auf den Boden blickend.
»Was hast Du am Kopfe, Ringwood?« fragte der Squire.
»Mein Pferd ist vor einigen Schafen auf dem Moor scheu geworden und hat mich gegen einen Stein geschleudert,« murmelte der junge Mann.
»Du sagst eine Lüge, Ringwood Markham,« rief sein Vater in zornigem Tone. »Ich habe einen Brief von Deinem Cousin Darrell in meiner Tasche. Bah, Mann! Du bist der Erste der Markhams, der jemals einen Schlag hinnahm, ohne ihn mit Interessen zurückzuzahlen. Du hast den Milch- und Wassercharakter Deiner Mutter, wie ihr rothes und weißes Gesicht.«
»Ihr braucht nicht von ihr zu sprechen,« sagte Ringwood; »Ihr habt sie nicht allzu gut behandelt, wenn die Leute, die es wissen können, die Wahrheit sprechen!«
»Ringwood Markham, reize mich nicht. Es ist hart genug für einen Markham von Compton, einen Sohn zu haben, der sich nicht vertheidigen kann. Gehe zu Bett.«
Der junge Mann verließ das Gemach mit denselben schlotternden Schritten, mit denen er es betreten hatte. Er stahl sich vorsichtig die Treppe hinauf, denn er glaubte, sein Cousin Darrell befinde sich noch im Hause, und er hatte keine Lust, mit ihm zusammenzutreffen.
So blieb Millicent einsam in Compton Halt zurück, ganz einsam, denn sie hatte Niemand, der sie liebte.
Sie glich einem zarten und gebrechlichen Mechanismus, der vortrefflich war, wenn er in Ordnung gehalten werden konnte, der aber auch sehr leicht der Beschädigung und Zerstörung ausgesetzt ist. Die Tochter des Squires war kein hochgebildetes Mädchen. Ihre geistige Unterhaltung war von der einfachsten Art. Ein alter Roman konnte sie Tage lang glücklich machen und sie konnte über die zahmsten Verse irgend eines Dichters der damaligen Zeit in Thränen ausbrechen. Bei ihr nahm das Herz den Platz des Verstandes ein. Wer sich an ihre Zuneigung wendete, der konnte aus ihr machen, was er wollte. Liebe sie und ihre ganze Natur entfaltet sich gleich einer prachtvollen Blume, die ihren Kelch in der Morgensonne erschließt. Entferne diesen wohlthätigen Einfluß und dieselbe Natur zieht sich in sich selbst zurück und wird ein kleines unscheinbares Ding, das durch raue Behandlung leicht zerbrochen wird.
Nachdem also Darrell fort war und die liebe alte Sally Masterson die Halle verlassen hatte, um Gebieterin vom Schwarzen Bären zu werden, war die arme Millicent ganz der Barmherzigkeit ihres Vaters und ihres Bruders überlassen, von denen keiner sich mehr um sie bekümmerte, als um ihren kleinen spanischen Hund« der sie im Hause begleitete. So kam der zarte Mechanismus in Unordnung und Millicents Tage waren dem Romanlesen und der Stickerei einer für Darrell bestimmten Weste gewidmet, deren Farben bereits durch die Thränen verblichen waren, welche die geduldige Arbeiterin bei dem Gedanken an den abwesenden Geliebten auf die Stiche hatte fallen lassen.
In allen Dingen, welche das Leben und die Welt betrafen, war sie so unerfahren wie ein kleines Kind und sie hegte nicht den geringsten Zweifel darüber, daß ihr Cousin sein Glück machen und in wenigen Jahren zu ihr zurückkehren werde, um sie als seine Frau heimzuführen. Aber trotz dieser Hoffnung war ihr Leben sehr langweilig und traurig, ihr Vater theilnahmslos, ihr Bruder anmaßend und ihre ganze Umgebung war dazu angethan, sie elend zu machen.
Das bitterste Leid stand ihr aber noch bevor. Es kam in der Person eines gewissen Capitän George Duke, der auf seinem Wege von Marley Water nach der Hauptstadt sich einige Tage in Compton aufgehalten und in dem Herrenzimmer des Schwarzen Bären die Bekanntschaft von Squire Markham gemacht hatte. Auch mit Ringwood Markham war er bekannt und befreundet geworden und der offenherzige Seemann hatte versprochen, bei seiner Rückkehr nach seinem Schiff, dem Vultur, wieder in Compton anzuhalten.
Die einfachen Leute des kleinen Städtchens nahmen den Capitän bereitwillig für das, wofür er sich ausgab — für einen Offizier der Flotte Sr. Majestät; aber in dem Seehafen von Marley Water fanden sich Leute, welche behaupteten, daß das gute Schiff, das unter dem Namen Vultur in den Büchern der Admiralität eingetragen war, ein ganz anderes Fahrzeug sei, als die nette kleine Barke, die zuweilen in einem ruhigen Winkel des obscuren Hafens von Marley vor Anker lag; Es gab sogar boshafte Menschen, welche Worte, wie »Seeräuber,« »Sklavenhändler,« flüsterten; aber die kecksten dieser Verleumder trugen Sorge, diese Worte außer der Hörweite des Capitäns zu flüstern, denn George Duke’s Schwert befand sich während seines kurzen Aufenthalts in dem kleinen Seehafen öfter aus als in der Scheide.
Wie sich aber dies auch verhalten mochte, gewiß ist, daß der hübsche, leichtherzige, freigebige George Duke sehr bald ein großer Günstling von Squire Markham und seinem Sohn Ringwood wurde. Seine heitere Laune brachte Leben in die düstere alte Behausung Seine Erzählungen von Seeabenteuern gefielen den beiden Landjunkern und der Seeoffizier, der ein Mann von Welt war und es verstand, einer vortheilhaften Bekanntschaft zu schmeicheln, galt für den angenehmsten und herzlichsten Gesellschafter.
So ertönte Compton Hall Nacht um Nacht von seinem fröhlichen Gelächter; Korke flogen und Gläser klangen, während die drei Männer bis Mitternacht beisammen saßen. Es war bei einem dieser halbtrunkenen Gelage, als Squire Markham dem Capitän George Duke die Hand seiner Tochter Millicent versprach.
»Ihr seid in sie verliebt, George, und Ihr sollt sie haben,« sagte der alte Mann. »Ich kann ihr bei meinem Tode ein paar tausend Pfund geben und wenn Ringwood etwas zustoßen sollte, so wird sie die alleinige Erbin der Halle und des dazu gehörigen Guts sein. Ihr sollt sie haben, mein Junge. Ich weiß, daß so eine Art Liebschaft zwischen Milly und einem breitschultrigen blondhaarigen Neffen von mir besteht; aber das soll kein Hinderniß für Euch sein, denn der Bursche ist kein Günstling von mir und wenn es mir so beliebt, so muß meine feine zimperliche Miß Euch in einer Woche heirathen.«
Capitän Duke sprang von seinem Stuhl auf und schüttelte die Hand des Squire, indem er mit dem Entzücken eines Liebhabers ausrief:
»Sie ist das schönste Mädchen in England und ich möchte sie lieber zur Frau haben, als eine Herzogin zu St. James.«
»Sie ist allerdings hübsch genug,« sagte Ringwood boshaft »und sie würde noch viel hübscher sein, wenn sie nicht immer jammerte.«
Der Farmer Marrison hätte eine Geschichte davon erzählen können, wie Master Ringwood selbst an dem Tage, wo ihn sein Cousin Darrell niedergeschlagen hatte, in der Küche des kleinen Farmhauses gejammert hatte. Der einfache Farmer hatte keine geringe Verachtung für den Erben von Compton Hall gefühlt, dessen Kopfwunde er aus Barmherzigkeit verband, ehe er ihn mit der eindringlichen Versicherung entließ, daß er, wenn er je wieder seinem Hause nahe kommen sollte, eine solche Tracht Prügel erhalten werde, die er in seinem ganzen Leben nicht mehr vergessen würde.
Die beiden Kinder hatten etwas von der nervösen Schwäche ihrer armen zarten und vernachlässigten Mutter geerbt, die vor siebzehn Jahren in Sally Mastersons Armen gestorben war; aber ich glaube, daß in Millicents Natur bei all ihrer Furchtsamkeit und Empfindlichkeit ein gewisser ruhiger Muth schlummerte, der in Ringwoods selbstsüchtigem und frivolem Charakter fehlte.
Nachdem Squire Markham seinem neuen Günstling, dem Capitän, die Hand seiner Tochter versprochen hatte, verlor er keine Zeit, um seine Absicht auszuführen. Er ließ Millicent am Morgen nach dem trunkenen Gelage in das eichengetäfelte Zimmer kommen und kündigte ihr an, auf welche Weise er über ihr Schicksal verfügt habe.
Raue Worte bei dieser wie bei jeder andern Gelegenheit , thaten ihr Werk bei Millicent Markham. Sie vernahm den Entschluß ihres Vaters, daß sie den Capitän Duke heirathen sollte, Anfangs nur mit einem Blicke des Erstaunens, als ob sie den Umfang ihres Elends nicht recht zu fassen vermöchte: dann, als er seinen Befehl wiederholte, flossen ihre klaren blauen Augen von großen Thränen über und sie fiel vor den Füßen des Squire auf ihre Kniee nieder.
»Es ist Euer Ernst nicht, Sir,« sagte sie kläglich, ihre armen, kleinen, schwachen Hände faltend und flehend zu ihrem Vater erhebend, »Ihr wißt, daß ich meinen Cousin Darrell liebe, daß wir einander innig und aufrichtig geliebt haben, seit wir kleine Kinder gewesen, und daß wir Mann und Frau werden sollten, sobald wir Eure Einwilligung dazu erhalten hätten. Ihr müßtet das schon lange gewußt haben, obschon wir nicht den Muth hatten, es Euch zu sagen. Ich will in allen andern Dingen Euer gehorsames Kind sein, aber ich kann niemals einen andern Mann heirathen als Darrell.«
Brauchen wir die alte Geschichte von der Wuth und Tyrannei eines einfältigen, eigensinnigen und engherzigen Landjunkers zu erzählen? Squire Markham wollte von keinem Aufschub hören und ehe Darrell den Brief erhalten konnte, welchen Millicent an ein Kaffeehaus in der Nähe von Covent-Garden adressirte — ehe sich die Augen der Braut von den langen durchweinten Nächten erholt hatten — ehe das Städtchen die Sache kaum halb besprochen hatte, ließen die Glocken der Kirche von Compton im Morgensonnenschein ihr fröhliches Hochzeitsgeläute ertönen und Millicent Markham und George Duke standen neben einander am Altare.
Als Darrell Markham den kleinen thränenbenetzten Brief erhielt, der ihm von der unglücklichen Heirath Kunde gab, verfiel er in einen blinden Wuthausbruch, der sich gegen den alten Squire, gegen den jungen Ringwood, gegen Capitän Duke und selbst gegen die arme unglückliche Millicent richtete. Es ist schwer für einen Mann, den Einfluß zu begreifen, den die Tyrannei eines unmenschlichen Vaters auf ein armes schwaches Weib auszuüben vermag. Darrell sagte sich, Millicent hätte ihm trotz der ganzen Welt treu bleiben sollen, wie er es selbst durch alle Prüfungen geblieben wäre. Er eilte hinunter nach Compton und schlich sich, um dem Mädchen, das er liebte, keine Verlegenheit zu bereiten, nach Eintritt der Dunkelheit in das Städtchen, wo er erfuhr, daß er zu spät gekommen sei und daß der Squire sein Wort gehalten habe.
Voll Verzweiflung über den Schiffbruch seiner Hoffnungen kehrte der junge Mann nach London zurück. Mit grollenden Gefühlen in der Brust stürzte er sich eine kurze Zeit lang in die Zerstreuungen der Hauptstadt, in denen er das liebliche Gesicht seiner Cousine zu vergessen suchte.
Eine Heirath, unter solchen Umständen geschlossen, hatte wenig Aussicht, eine glückliche zu werden. Der leichtherzige fröhliche Capitän Duke war am häuslichen Heerd nichts weniger als eine angenehme Persönlichkeit. Der Mann, dessen gute Laune das Entzücken seiner Zechgenossen bildet, zeigt sich im Familienkreise nur zu häufig als ein widerwärtiger Gesell. Zu Hause war der Capitän mürrisch und übellaunig, stets geneigt, über Millicents blasses Gesicht und thränengeschwollene Augen zu murren. Während des größten Theiles des Jahres befand er sich mit seinem Schiff auf einer jener geheimnißvollen Fahrten, von denen die Admiralität keine Kunde hatte, und während dieser langen Abwesenheit desselben hatte Millicent, wenn sie auch nicht glücklich war, wenigstens Ruhe. Drei Monate nach der Hochzeit wurde der alte Squire, vom Schlage gerührt, todt in seinem Lehnstuhl gefunden und Ringwood, der Erbe des Guts, schloß das Herrenhaus und eilte nach London, wo er sich bald in einem Strudel von Verschwendung und Lastern verlor.
So standen die Dinge, als George Duke und Millicent fünfzehn Monate verheirathet waren und Darrell Markham auf dem öden Moor von Compton durch die Hand eines Straßenräubers fast sein Leben verloren hätte.

Viertes Capitel.
Capitän Duke weist ein Alibi nach.
Darrell Markham starb nicht an den Folgens der Aufregung, von der der Arzt sagte, daß sie tödtlich werden könne. Der Doctor kämpfte tapfer mit dem Fieber und richtete den gebrochenen Arm mit Geschick wieder ein, wobei der Patient allerdings große Schmerzen litt, denn in jenen Tagen wußte man noch nichts von Betäubungsmitteln.
Darrells Wiedergenesung schritt nur sehr langsam fort, so langsam, daß der Schnee dicht auf dem Moorland unter den Fenstern des Schwarzen Bären lag, ehe der gesplitterte Arm wieder fest verheilt war und der geschwächte Körper seine frühere Kraft wieder erlangt hatte. Es war eine traurige und langwierige Krankheit. Die biedere Sarah Pecker wurde indeß nicht müde, ihren kranken Knaben, wie sie Darrell nannte, zu pflegen. Der schwachsichtige und schwachköpfige Samuel mußte Filzschuhe tragen und in seinem geräumigen Hause wie ein Dieb herumschleichen. Die Abendbesucher wurden in die Trinkstube auf der Rückseite des Hauses verwiesen, um durch ihren Lärm den Kranken nicht zu stören. Trübsinn und Trauer herrschte in dem Schwarzen Bären bis zu jenem glücklichen Tage, wo Dr. Jordan seinen Patienten außer Gefahr erklärte. Sarah Pecker gab an diesem fröhlichen Abend ein Faß ihres stärksten Ale den Besuchern des Schwarzen Bären zum Besten.
Capitän George Duke war auf einer kurzen Fahrt nach der spanischen Küste abwesend, als Darrell Markham sich zu bessern begann; aber zur Zeit, wo der junge Mann seine volle Genesung , erlangt hatte, war der Seemann wieder nach Compton zurückgekehrt.
Der Schnee lag tief in den engen Straßen des Städtchens, als er zurückkam. Er erschien ohne vorherige Nachricht und trat ruhig in das kleine Wohnzimmer, wo er Millicent am Kamin sitzen fand, einen Roman lesend.
Aber er war bei dieser Gelegenheit in besserer Laune als gewöhnlich und sah in seiner kleidsamen Uniform wundervoll, hübsch und kühn aus. Es war nicht ganz des Königs Uniform, wie einige Leute behaupteten, sondern ihr sehr ähnlich mit einigen , leichten Abänderungen, die gegen den Capitän sprachen.
George Duke nahm Millicent in den Arm und gab ihr einen derben Kuß auf beide Wangen.
»Ich komme zu Dir mit allerlei guten Dingen beladen nach Hause, Mistreß Milly,« sagte er, ihr gegenüber Platz nehmend. »Eine Kiste mit Orangen und ein Faß Wein von Cadix — flüssiges Gold, fast eben so werthvoll als das kostbare Metall, und ich habe einen Haufen glänzenden Flitterstaat für Dich, um ihn an Deine rosigen Ohren, an Deinen weißen Hals zu befestigen.«
Der Capitän nahm ein altmodisches ledernes Kästchen aus der Tasche und öffnete es auf dem kleinen Tisch, wo er eine Menge fremder Juwelen ausbreitete, die im Lichte des Kaminfeuers funkelten. Arabeskisches Gold von wundervoller Arbeit und vielfarbige ausländische Edelsteine glänzten auf dem dunkelpolirten Tisch und spiegelten sich auf demselben ab wie Sterne in einem Fluß.
Millicent erröthete, während sie sich über den Schmuck beugte, und stammelte einige dankbare Phrasen hervor.
Sie erröthete bei dem Gedanken, wie wenig sie sich aus diesem Flitter machte und wie ihre Seele sich nach einem andern Schatz sehnte, der ihr niemals angehören konnte — nach dem verbotenen Schatz von Darrells tiefer und redlicher Liebe.
Während sie dies dachte, blickte sie der Capitän an, dem Anschein nach absichtslos, in der That aber mit einem scharfen forschenden Blick.
»Wie geht es denn Deinem hübschen blonden Cousin?« sagte er. »Hat er sich von jener Geschichte wieder erholt, oder war sie sein Tod?«
Es lag ein boshafter Ausdruck in seinem Gesichte, als er das grausame Wort »Tod« aussprach.
»Er ist viel besser, fast ganz hergestellt,« antwortete Millicent.
»Hast Du ihn gesehen?«
»Nicht mehr seit der Nacht, wo Du mich an seinem Bette fandest.«
Sie blickte ihn ruhig, fast stolz an, als sie dies sagte. Es war ein Blick, der zu sagen schien:
»Ich habe ein reines Gewissen. Du magst thun, was Du willst, so kannst Du mich nicht erröthen oder stocken machen.«
Sie hatte in der That ein reines Gewissen. Mehr als einmal war Sarah Pecker zu ihr gekommen und hatte gesagt:
»Euer Cousin ist diesen Abend sehr krank, Miß Millicent; kommt und setzt Euch ein halbes Stündchen an sein Bett, um ihn ein wenig aufzuheitern. Die arme alte Sally wird bei Euch bleiben und wo sie ist, da kann selbst der Härteste nicht sagen, daß etwas Unrechtes dabei ist.«
Aber Millicent hatte sich immer entschieden geweigert, indem sie sagte:
»Es würde uns Beide nur unglücklich machen, liebe Sally. Ich will lieber nicht kommen.«
Einer von den Leuten des Vultur brachte noch am Abend der Rückkehr des Capitäns die Kiste mit Orangen und das Faß spanischen Wein von Marley nach Compton und George Duke trank eine halbe Flasche von dem flüssigen Gold, bevor er zu Bett ging. Er versuchte umsonst, Millicent zu bewegen, ebenfalls davon zu kosten. Der Schlüsselblumenwein von Sarah Pecker war ihr lieber als der feinste Xeres, der auf der spanischen Halbinsel wuchs.
Frühzeitig am nächsten Morgen erschien der Constabel von Compton im Hause des jungen Ehepaars mit einem Verhaftsbefehl gegen Capitän George Duke wegen einer Anklage auf Mordversuch und Raub auf des Königs Heerstraße. Blaß vor Wuth trat der Capitän in das kleine Wohnzimmer, wo Millicent beim Frühstück saß.
»Darf ich fragen, Mrs. Millicent,« sagte er, »wer Deinen schönen Cousin dazu verleitet hat, einen unschuldigen Mann verurtheilen und hängen zu lassen mit der Absicht, wie ich glaube, um aus Dir eine hänfene Wittwe zu machen? Was soll das heißen?»
»Was, George?« fragte sie, verwirrt durch sein Benehmen.
Er theilte ihr die ganze Geschichte des Verhaftsbefehls mit.
»Du wirst Dich wahrscheinlich noch erinnern,« sagte er, »wie dieser Master Darrell ausgerufen hat, daß ich es sei, der auf ihn geschossen habe.«
»Ja, George; ich dachte damals, daß es irgend eine seltsame Fieberphantasie sei, und ich denke es auch jetzt noch.«
»Ich bin Dir für Deine gute Meinung sehr verbunden, Mrs. Duke,« antwortete er. »Ich hätte sie kaum von Dir erwartet. Glücklicher Weise kann ich mich von dieser wahnsinnigen Anklage leicht reinigen: aber ich bin darum Darrell Markham für seine freundliche Absicht nicht weniger verbunden.«
Der Constabel führte George Duke sogleich in das Zimmer der Magistratsperson, welche mit der Untersuchung solcher Fälle beauftragt war. Darrell Markham, blaß von seiner langen Krankheit und den Arm noch in der Schlinge, war bereits dort anwesend.
»Dank Euch, Mr. Markham, für diesen guten Dienst,« sagte der Capitän, seine Arme über einander schlagend, »wir werden wahrscheinlich demnächst Gelegenheit finden, unsere Rechnung mit einander auszugleichen.«
Die würdige Magistratsperson war nicht wenig in Verlegenheit, wie sie den vorliegenden Fall behandeln sollte. Obschon nur sehr wenig über Capitän George Duke in Compton bekannt war, so schien es doch unglaublich, daß ein so feiner Gentleman, der Gatte von Squire Markhams Tochter, des Straßenraubs schuldig sein könne. Aber in jenen Tagen war der Straßenraub ein sehr gewöhnliches Verbrechen und das Publikum durch mehr als eine auffallende Entdeckung in Erstaunen gesetzt worden. Feinere Gentleman als Capitän Duke hatten ihre verzweifelten Vermögensumstände auf des Königs Heerstraße zu verbessern gesucht.
Darrell brachte seine Anklage in der einfachsten und geradesten Weise vor. Er sei vom Schwarzen Bären weg geritten, um sich nach Marley Water zu begeben. Drei Meilen von Compton sei ein Mann, der, wie er beschwören wolle, kein Anderer als der Angeklagte gewesen, auf ihn zu geritten und habe seine Börse gefordert. Er (Darrell) habe ein Pistol gezogen, aber während er im Spannen desselben begriffen gewesen, habe der Mann, Capitän Duke, ihn in den Arm geschossen, vom Pferde gerissen und auf den Boden geworfen. Er könne sich an nichts weiter erinnern, bis er in dem Hausflur des Schwarzen Bären wieder zu sich gekommen sei und den Angeklagten unter den Anwesenden erkannt habe.
Der Richter hustete zweifelhaft.
»Fälle von Verkennung der Person sind nichts Seltenes in der Rechtsgeschichte dieses Landes,« sagte er mit einem gewissen Nachdruck. »Könnt Ihr wirklich schwören, Mr. Markham, daß der Mann, der Euch angegriffen hat, Capitän George Duke war?«
»Wenn der Mann, der dort steht, Capitän Duke ist, so kann ich einen feierlichen Eid leisten, daß er der Mann ist, der mich beraubt hat.«
»Als Ihr von den Personen, die Euch aufgehoben, gefunden wurdet, wurde Euer Pferd ebenfalls gefunden?«
»Nein, das Pferd war fort.«
»Würdet Ihr es wieder erkennen?«
»Gewiß; ich würde es unter Tausenden wieder erkennen.«
»Hum!« sagte der Richter, »das ist ein Punkt von großer Wichtigkeit. Ich halte das Pferd für einen wichtigen Punkt.«
Er sann so lange über diesen wichtigen Theil des Falles nach, daß sein Schreiber ihn achtungsvoll anstieß und ihm etwas in’s Ohr flüsterte.
»Oh, oh, ja, natürlich,« murmelte er hilflos, dann sich räuspernd, sagte er in seinem amtlichen Tone:
»Capitän Duke, was habt Ihr zu dieser Anklage zu sagen?«
»Seht wenig,« antwortete der Capitän ruhig; »aber ehe ich überhaupt spreche, muß ich den Wunsch ausdrücken, daß Samuel Pecker vom Schwarzen Bären herbeigeholt werde.«
Der Richter flüsterte dem Schreiber etwas zu und dieser nickte, worauf der Richter sagte:
»Geh Einer von Euch hin und hole den genannten Samuel Pecker.«
Während Einer der Anwesenden den Auftrag vollzog, nickte der würdige Richter über seiner »Fliegenden Post« seiner damaligen Zeitung, der Schreiber schürte das Feuer und Mr. Markham und der Capitän maßen einander mit wüthenden Blicken, während in den braunen Augen des letzteren ein verhängnißvolles röthliches Feuer blitzte.
Mr. Pecker erschien endlich mit blassem Gesicht und unordentlichem Haare. Er hatte eine vage Idee, daß diese Vorladung für ihn von schrecklichen Folgen sein könne, selbst das Hängen nicht ausgeschlossen. Er konnte nicht glauben, daß er aus einem andern Grund in die Gerichtsstube gerufen werde, als um wegen eines ungeheueren, aber unbewußt begangenen Verbrechens zur Verantwortung gezogen zu werden.
Er stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, als ihm Jemand im Saale zuflüsterte, daß er als Zeuge vernommen werden solle.
»Nun, Capitän Duke,« sagte der Richter, »was habt Ihr dazu zu sagen?«
»Wollt Ihr die Güte haben, an Mr. Darrell Markham zwei oder drei Fragen zu stellen?«
Der Richter blickte den Schreiber an, der Schreiber nickte dem Richter zu, und der Richter gab durch Ricken dem Capitän seine Zustimmung zu erkennen.
»Wollt Ihr fragen, ob er weiß, zu welcher Zeit der Angriff stattgefunden hat?«
Bevor der Richter etwas darauf sagen konnte, erwiederte Darrell Markham:
»Ich kann zufällig diese Frage mit Bestimmtheit beantworten. Der Wind blies gerade über das Moor und ich hörte genau die Kirchuhr von Compton dreiviertel auf Acht Uhr schlagen, als er auf mich zuritt.«
»Als ich aus Euch zuritt?« fragte Capitän Duke.
»Als Ihr auf mich zurittet,« antwortete Darrell.
»Mr. Samuel Pecker, wollt Ihr so gut fein und dem Richter sagen, wo ich um dreiviertel auf Acht Uhr am Abend des 27. October gewesen bin?«
»Ihr wart im Herrenzimmer des Schwarzen Bären,« antwortete Samuel stotternd, »und Ihr kamt in’s Wirthszimmer, um zu fragen, wie viel Uhr es sei, worauf ich hinausging und nach der Uhr an der Treppe sah, die nie eine Minute zu früh oder zu spät geht.«