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Wir beobachteten alle Drei ein kurzes Schweigen, während Milly und ich am Fenster standen und Mr. Egerton am Kamin lehnte, mit einem zerstreuten Ausdruck in seinem Antlitz den Regen beobachtend. Endlich ermunterte er sich und trat an das Fenster, wo wir standen.
»Es sieht jetzt zwar sehr trostlos aus,« sagte er, »aber ich werde Sie im Handumdrehen nach Thornleigh bringen und so dürfen Sie nicht ängstlich sein. Nicht wahr, Sie wohnen im Herrnhause zu Thornleigh?«
»Ja.« antwortete Milly. »Mein Name ist Darrell und diese junge Dame ist Miß Crofton, meine sehr theure Freundin.«
Er verbeugte sich.
»Ich hatte mir’s gedacht — nämlich, daß Ihr Name Darrell ist. Als ich noch ein junger Bursche war, hatte ich die Ehre, Mr. Darrell recht wohl zu kennen und ich habe eine unbestimmte Erinnerung an ein kleines Kind in weißem Kleide, das, wie ich glaube, Sie gewesen sein müssen. Ich bin erst eine Woche hier, sonst würde ich mir das Vergnügen gemacht haben, meinen Besuch bei Ihrem Vater abzustatten.«
»Papa ist in Paris,« antwortete Milly, »mit meiner Stiefmutter.«
»Ah, er hat wieder geheirathet, wie ich höre — eine der vielen Veränderungen, die sich zugetragen haben, seit ich nicht mehr in Yorkshire gewesen bin.«
»Sind Sie für immer zurückgekehrt?«
»Das weiß ich selbst nicht,« antwortete er mit sorglosem Lächeln. »Ich bin selten lange desselben Sinnes; aber ich habe es herzlich satt, mich noch länger in der Welt herumstoßen zu lassen und ich kann das Leben hier kaum leerer und langweiliger finden, als ich es in Plätzen gefunden habe, welche die Leute unterhaltend nennen.«
»Ich kann mir nicht denken, daß Jemand eines solchen Platzes, wie die Priorei überdrüssig werde,« sagte Milly.
»Steinerne Mauern machen noch kein Gefängniß, noch eiserne Gitter einen Käfig. — An uns selbst liegt es, wenn wir so oder so sind. Können Sie sich nicht einen Mann denken, der seiner selbst und seiner Gedanken vollkommen überdrüssig wird? Vielleicht nicht. Das Lieben eines jungen Mädchens scheint ganz Sonnenschein zu sein. Was sollten auch solche glückliche Wesen von jener öden Vergeudung von Jahren wissen, die jenseits des dreißigsten Geburtstags eines Mannes liegen, wenn seine Jugend keine glückliche war? Ah, dort klärt sich der Himmel auf; der Regen wird sogleich vorüber sein.«
Der Regen hörte in der That auf, wie er prophezeit hatte. Der kleine Korbwagen wurde von einem Manne, der halb Stallknecht, halb Gärtner zu sein schien, an die Thüre gebracht und Mr. Egerton fuhr uns nach Hause. Sein Pferd war sehr gut und die Fahrt dauerte nur eine Viertelstunde, während welcher unser neuer Bekannte sich mit uns Beiden sehr lebhaft unterhielt.
Ich konnte nicht vergesse, daß ihn Mr. Darrell einen schlechten Menschen genannt hatte, aber trotzdem vermochte ich mich nicht dahin zu bringen, ohne ein gewisses Interesse an ihn zu denken.
Natürlich war Mr. Egerton diesen Abend der Gegenstand aller unserer Gespräche und wir waren beide geneigt, ihn wegen seines zerstörten Lebensglücks zu bedauern und des Benehmen seiner Mutter, so wenig wir die Einzelheiten kannten, zu verdammen. Unser Leben war so ruhig, daß dieser kleine Vorfall fast ein Ereigniß in demselben bildete, auf das unsere Unterhaltung immer wieder zurückkam .
VII. Kapitel.
Eine kleine Freierei.
Drei Wochen lang hatten wir nichts weiter von — Mr. Egerton gehört, als wir nach Ablauf dieser Zeit eines Tags eine Einladung erhielten, im Pfarrhanse zu speisen. Die erste Person, die wir erblickten, als wir das lange, niedrige, altmodische Wohnzimmer betreten, war der Gebieter der Priorei, der in seiner beliebten Stellung am Kamin lehnte. Der Pfarrer befand sich bei unserer Ankunft nicht im Zimmer und Angus Egerton sprach mit Mrs. Collingwood, die auf einem niedrigen Stuhl am Feuer saß.
Mr. Egerton hat mir von Ihrem Abenteuer im Walde erzählt, Milly,« sagte Mrs. Collingwood, während sie sich erhob, um uns zu empfangen. »Ich hoffe, Sie werden sich dies zur Warnung dienen lassen, in Zukunft vorsichtiger zu sein. Das Cumber-Holz ist ein zu gefährlicher Platz für zwei junge Damen wie Sie und Miß Crofton.«
»Der sicherste Platz in der Welt,« rief Angus Egerton. »Ich werde stets bei der Hand sein, um den Damen zu Hilfe zu kommen und ich kann nur die rechtzeitige Erscheinung eines wüthenden Stiers wünschen, um mich durch etwas Neues in der Rettungsbranche auszuzeichnen. Ich höre, daß Sie eine sehr geschickte Künstlerin sind, Miß Darrell und daß Sie einigen unserer Eichen und Buchen die Ehre angethan hoben, sie unsterblich zu machen.«
Ich brauche nicht all das lustige leere Geplauder dieses Abends zu wiederholen. Es war aber ein sehr angenehmer Abend. Angus Egerton hatte von dem freundlichen alten Pfarrer seinen ersten Unterricht in den classischen Sprachen erhalten und wurde, wie mir die Mädchen sagten, fast wie ein Sohn des Hauses betrachtet. Er hatte seinen alten Platz nach seiner Rückkehr wieder eingenommen und er schien wirklich diese Freunde zu lieben, die er bereit gefunden hatte, ihn mit Wärme willkommen zu heißen trotz aller ungünstigen Gerüchte, die während der Jahre seiner Abwesenheit ihren Weg nach Thornleigh gefunden hatten.
Er war offenbar ein sehr gebildeter Mann und schien überall gewesen zu sein und Alles gesehen zu haben, was die Welt Sehenswerthes enthält. Er hatte auch, trotz seines wandernden Lebens, einen guten Theil gelesen und die Frucht dieser Lectüre trat zuweilen auf eine angenehme Weise in seiner Unterhaltung hervor.
Es waren keine andern Gäste zugegen, ausgenommen ein alter Landedelmann, der nur von seiner Landwirthschaft sprach. Milly saß neben Angus Egerton und von meinem Platze auf der andern Seite des Tisches konnte ich wahrnehmen, wie sehr sie seine Unterhaltung interessierte.
Nach dem Essen gaben die jüngeren Damen, wie gewöhnlich, etwas Musik zum Besten. Milly sang mit ihrer lieblichen Stimme eine englische Ballade und Angus Egerton stand am Piano, auf sie niederblickend, während sie sang.
Verliebte er sich in sie an diesem ersten glücklichen Abend, den Beide miteinander zubrachten? Ich kann es nicht sagen, gewiß aber ist, daß er uns seit diesem Abend auf jeden Weg und Steg zu verfolgen schien. Wir mochten hingehen, wohin wir wollten, stets trafen wir ihn in Begleitung eines schottischen Jagdhunds, Nester genannt, welchen Milly sehr lieb gewann. Wenn wir uns in dieser halb zufälligen Weise trafen, so pflegte er uns eine oder zwei Meilen zu begleiten, uns Gesellschaft leistend, bis wir nur wenige Schritte von Thornleigh entfernt waren.
Obschon diese Begegnungen von unserer Seite gänzlich zufällig waren, so erregten sie doch in mir mancherlei Bedenken. Ich war nicht ganz sicher, ob es auch recht sei, eine so vertraute Bekanntschaft zwischen Emily Darrell und dem Gebieter von Cumber Priory zu billigen. Ich wußte ja, daß ihr Vater eine üble Meinung von ihm hegte. Indeß was konnte ich thun? Ich war nicht alt genug, um eine Autorität über meine Freundin auszuüben; auch hatte mir ihr Vater keine solche übertragen und ich wußte, daß ihre edle Natur alles Vertrauen verdiente. Außerdem mochte ich Angus Egerton leiden und war geneigt, ihm zu trauen. So verging uns Allen die Zeit sehr angenehm und die Freundschaft zwischen uns Dreien wurde mit jedem Tage enger.
Wir trafen Mr. Egerton sehr oft im Hause des Pfarrers und zuweilen auch in andern Häusern, die wir besuchten. Er war bei den Leuten in Thornleigh, die ihn von Jugend auf gekannt hatten, sehr beliebt und seine alten Freunde hegten die Ansicht, daß er, welches auch sein Verhalten im Ausland gewesen sein mochte, eine andere, eine bessere Lebensweise begonnen habe und stetig verfolge. Seine Mittel erlaubten ihm nicht viel, zu thun, aber er that wenigstens Einiges zur Verbesserung der Priorei.
Ich hatte die Bemerkung gemacht, daß Mrs. Collingwood Alles, was in ihrer Macht stand, that, um die Freundschaft zwischen Milly und Mr. Egerton zu ermuthigen und eines Tags im Frühling, nachdem sie sich in ihrem Hause sehr häufig getroffen hatten, sprach sie ihre Hoffnungen ganz offen gegen mich aus.
»Ich glaube, sie liebt ihn,« sagte sie.
»Jedermann scheint Mr. Egerton zu lieben,« antwortete ich.
»O ja, ich weiß das; aber ich meine etwas mehr als die gewöhnliche Zuneigung. Ich wünsche so sehr, daß er heirathet und eine kluge Heirath macht. Ich liebe ihn fast ebenso sehr, als ob er mein eigener Sohn wäre und es würde mich so ungemein freuen, wenn es mir gelänge, eine Heirath zwischen ihnen zu Stande zu bringen. Milly ist ganz das Mädchen, einen Mann glücklich zu machen und ihr Vermögen würde der Priorei ihren ganzen alten Glanz zurückgeben.«
Ihr Vermögen! Das Wort berührte mich unangenehm. War es am Ende doch nur ihr Geld, an das Angus Egerton dachte, wenn er sich solche Mühe gab, meine Freundin zu gewinnen.
»Es sollte mir leid thun, wenn sie einen Mann heirathete, der auf ihr Geld spekulierte,« sagte ich.
»Ganz recht, meine liebe Miß Crofton und es würde mir ebenfalls leid thun, wenn sie sich an Jemand wegwerfen wollte, für den ihr Geld die Hauptrücksicht bildete. Aber man kann diese Dinge nicht ganz außer Frage stellen. Ich weiß, daß sie Angus am ersten Tage, wo er sie sah, sehr bewundert hat und ich glaube, daß seine Bewunderung seitdem in ein wärmeres Gefühl übergegangen ist. Er hat über diesen Gegenstand nichts zu mir gesagt und ich habe ihn auch nicht gegen ihn erwähnt; denn Sie wissen ja, wie schweigsam er stets über sich ist. Aber ich kann den Wunsch nicht unterdrücken, daß diese Heirath zu Stande kommen möchte. Er hat einen der besten Namen in North Riding und nimmt als Eigenthümer von Cumber Priory eine hervorragende Stellung ein. Er bedarf nur Geld.«
Ich war zu jung und unerfahren, um die Dinge vom weltlichen Standpunkt zu betrachten und von diesem Augenblicke an, war ich geneigt, Mr. Egerton zu mißtrauen. Ich erinnerte mich der Geschichte seiner früheren Liebe und sagte mir, daß ein Mann, der einmal auf diese Weise geliebt, aller Wahrscheinlichkeit noch die Fähigkeit, wieder zu lieben, nicht mehr besitzen könne.
»Ich glaube nicht, daß Mr, Darrell eine solche Heirath billigen oder zugeben würde,« sagte ich darauf.
»Ich weiß« daß er eine sehr schlimme Meinung von Mr. Egerton hegt.«
»Weshalb?«
»Wegen seines Benehmens gegen seine Mutter.«
»Niemand kennt das Geheimniß dieser Geschichte, außer Angus selbst,« antwortete Mrs. Collingwood. »Ich glaube, daß Niemand ein Recht hat, aus diesem Grunde schlimm von ihm zu denken. Ich habe Mrs. Egerton sehr gut gekannt. Sie war eine harte, stolze Frau, zu Allem fähig, wenn es galt, irgend einen ihrer Zwecke durchzusetzen. Bis zur Zeit, wo er nach Oxford ging, war Angus ein vortrefflicher Sohn.«
»Wer es in Oxford, wo er das Mädchen kennen lernte, das er zu heirathen wünschte?«
»Nein« es wer irgendwo im Westen von England, wohin er während der Ferien eine Fußreise unternahm.«
»Er muß sie sehr geliebt haben, daß er so, wie er es that, gehandelt hat. Ich zweifle daran, daß er fähig ist, wieder zu lieben.«
»Das sind die Ansichten eines Mädchens. Verlassen Sie sich darauf, nach dieser stürmischen ersten Liebe kommt gewöhnlich ein besseres und wahrhafteres Gefühl. Angus war damals wenig mehr als ein Knabe. Jetzt steht er in der Blüthe seiner Manneskraft, ist im Stande, mit Klugheit zu urtheilen und läßt sich nicht leicht fangen, sonst würde er während dieser langen Zeit im Ausland geheirathet haben.«
Dies schien vernünftig genug zu sein; aber ich wurde dessen geachtet durch die Absichten der Mrs. Collingwood, welche den friedlichen Fortgang unseres Lebens zu stören schienen, beunruhigt. Von nun an sah ich jede Einladung in das Pfarrhaus — wohin wir niemals gingen, ohne Mr. Egerton zu treffen — als eine Art Schlinge an; aber unsere dortigen Besuche waren stets sehr angenehm und mit der Zeit gewöhnte ich mich daran, die Wünsche der Mrs. Collingwood in Betreff ihres Günstlings mit mehr Nachsicht zu beurtheilen.
Während dieser ganzen Zeit hatte Angus Egerton in keiner Weise den Zustand seiner Gefühle verrathen. Wenn er uns auf unsern Spaziergängen öfters, als es durch Zufall möglich erschien, begegnete, lag doch, streng genommen, in seinem Ton und Benehmen nichts was den Verliebten verriethe. Dagegen bemerkte ich, daß sich sein Gesicht verklärte, wenn er meinem lieben Mädchen begegnete und daß der Ton seiner Stimme, wenn er mit ihr sprach, eine gewisse Bleichheit annahm, die ich niemals bei andern Gelegenheiten bemerkt hatte.
Und sie? In Betreff ihrer Gefühle hatte ich weit weniger Zweifel. Sie bot zwar Alles auf, um die Wahrheit vor mir zu verheimlichen, da sie sich schämte, ihre Neigung für einen Mann einzugestehen, der bis jetzt niemals bekannt hatte, daß er mehr als ein Freund sei ; aber ich wußte, daß sie ihn liebte. Es war unmöglich, daß Milly dieses erste Geheimniß ihres reinen jungen Herzens vor mir verbergen konnte. Ich wußte, daß sie ihn liebte und ich begann mit lebhaftem Verlangen der Rückkehr ihres Vaters entgegenzusehen, die mich aller Verantwortlichkeit überheben und vielleicht unserer Freundschaft mit Angus Egerton für immer ein Ende machen würde.
VIII. Kapitel.
Auf der Wacht.
Die Reisenden kamen nach Thornleigh im August zurück, als die Tage drückend heiß waren und das Laub bereits begonnen hatte, nach einem ungewöhnlich trockenen Sommer seine Frische zu verlieren. Milly und ich waren sehr glücklich mit einander gewesen und ich glaube, daß wir mit einer gewissen unbestimmten Furcht der bevorstehenden Unterbrechung unseres bisherigen Lebens entgegensahen. Sie liebte ihren Vater noch ebenso sehr wie immer und sehnte sich lebhaft danach, ihn wiederzusehen; aber sie wußte so gut wie ich, daß unsere Unabhängigkeit bei seiner Rückkehr enden mußte.
»Wenn er allein zurückkommen würde.« sagte sie — »wenn diese Heirath ein Traum wäre und er käme allein zurück — wie glücklich würde ich sein! Ich weiß, daß er aus eigenem Antrieb niemals sich irgend einem meiner Wünsche entgegenstellen würde; aber ich weiß nicht, wie er unter dem Einflusse seiner Frau handeln würde. Du kannst Dir gar nicht denken, welche Gewalt sie über ihn hat. Und wir werden das alte falsche Leben wieder beginnen, sie und ich — voll Widerwillen und Mißtrauen gegen einander in unsern Herzen — während wir uns äußerlich den Anschein des Gegentheils geben. O Mary, Du kannst Dir nicht denken, wie sehr ich es hasse.«
Wir hatten während unserer glücklichen Einsamkeit nichts von Julian Stormont gesehen, aber an dem für die Rückkehr von Mr. und Mrs. Darrell bestimmten Tage kam er nach Thornleigh, kummervoller als jemals aussehend. Da ich den Zustand seiner Gefühle in Betreff Millys kannte, so bemitleidete ich ihn ein wenig, indem ich wirklich glaubte, daß er sie mit seltener Innigkeit liebte und geneigt war, die Veränderung, die mit ihm vorgegangen, seiner vereitelten Hoffnung in dieser Beziehung zuzuschreiben.
Milly sagte ihm, wie übel er aussehe und er äußerte etwas über schwere Arbeit und späte Nachtstunden mit einem kleinen bitteren Lächeln.
»Es liegt ja Niemanden etwas daran, ob ich gut oder übel aussehe, Milly,« sagte er. »Wer würde sich darum bekümmern, wenn ich in einer dunkeln Nacht auf meinem Wege vorn Bureau nach meiner Wohnung nach meinem harten Tagewerk über den Quai stürzte und nicht mehr lebend gesehen würde?«
»Wie unrecht ist es von Dir, so zu sprechen, Julian! — Es gibt viele Leute, die sich bekümmern würden, — Papa voran.«
»Ich glaube wohl, daß mein Onkel sehr betrübt sein würde. Er würde einen guten Geschäftsmann verlieren und kaum geneigt sein, in das Bureau zurückzukehren und all die trockenen Details des Handels noch einmal auf sich zu nehmen.«
Kurz darauf trafen die Reisenden ein. Mr. Darrell begrüßte seine Tochter mit vieler Zärtlichkeit; aber in Mrs. Darrells Umarmung bemerkte ich eine Art von Gleichgültigkeit, die sehr verschieden von ihrer Aufnahme Millys bei der ersten Begegnung war, von der ich vor länger als einem Jahre Zeugin gewesen. Es schien mir, daß ihre Macht über ihren Mann jetzt ihren Höhepunkt erreicht habe und daß sie es nicht der Mühe werth hielt, den äußern Schein einer Zuneigung für sein einziges Kind aufrechtzuerhalten.
Sie war im gewähltesten Geschmack gekleidet und jener gedämpfte Zauber, welcher kaum Schönheit genannt werden kannte, aber die Stelle derselben einnahm, zog mich heute wie damals an, wo wir uns zum ersten mal begegneten. Es lag eine besondere Distinction, eine Originalität in dem zarten blassen Gesichte, in den dunkeln gewölbten Brauen und den grauen Augen — Augen, die zu Zeiten sehr glänzend waren.
Sie blickte ohne das geringste Zeichen von Interesse oder Bewunderung um sich, als sie mit ihrem Gemahl auf der Terrasse verweilte, während unzählige Reisesäcke, Shawls, Bücher, Zeitungen und Pakete von dem Wagen nach dem Hause gebracht wurden.
»Wie trocken und verbrannt sieht Alles aus,« sagte sie.
»Hast Du keine bessere Begrüßung als diese, meine liebe Augusta?« fragte Mr. Darrell in verwundertem Tone. »Ich hatte geglaubt, es würde Dich freuen, den alten Platz wieder zu sehen.«
»Thornleigh Manor ist keine Passion von mir,« antwortete sie. »Ich hoffe, Du wirst mit dem Beginn des nächsten Jahres ein Haus in der Hauptstadt nehmen.«
Sie trat in das Haus, nachdem sie mich mit einer möglichst kalten Darreichung ihrer Hand beehrt hatte. Wir sahen nichts mehr von ihr, bis es nahezu Zeit zum Diner war, wo sie herunter in das Wohnzimmer kam, weiß gekleidet und köstlich blaß und kühl in der schwülen Witterung aussehend. Milly hatte den Nachmittag damit zugebracht, daß sie ihren Vater auf seinem Rundgang durch die Gärten und die anstoßende Farm begleitete und so das Vergnügen gehabt, seine Gesellschaft einige Stunden allein und ungestört zu genießen. Jetzt aber mußte sie ihn der Mrs. Darrell überlassen, die ihm für die übrigen Theil des Abends ihre ganze Aufmerksamkeit widmete, während Julian Stormont, Milly und ich im Garten verweilten.
Mr. Egertons Name wurde nicht eher erwähnt, als am folgenden Morgen, obschon er seit der Ankunft von Mr. Darrell immer in meinen Gedanken war und, wie ich nicht zweifle, auch in denen von Milly. Wir befanden uns nach dem Frühstück im Wohnzimmer, unschlüssig, was wir mit dem Tag anfangen sollten, als Mr. Darrell zu einem Spazierritt mit seiner Frau gerüstet, ins Zimmer kam. Er trat ans Fenster, wo Milly stand.
»Du hast das Reiten ganz aufgegeben, meine Liebe, wie ich von Ellis erfahren habe,« sagte er.
»Ich habe keine Lust zum Reiten gehabt, während Du fort warst, Papa, da Mary nicht reitet,« antwortete sie.
»Miß Crofton hätte reiten lernen können; es würde stets ein Pferd zu ihrer Verfügung stehen.«
»Wir ziehen das Gehen vor,« antwortete Milly, ein wenig erröthend. »Du weißt, ich pflegte öfters vom Wege abzukommen, wenn ich mit Dir und Mrs. Darrell ausritt.«
»Das war Dein eigener Fehler,« sagte er mit einem mißbilligenden Blicke.
»Ich gebe dies zu; aber ich glaube, es erging Augusta zuweilen ebenso. O, beiläufig gesagt, Papa, ich habe Dir gestern, als wir zusammen waren, noch nicht alle die Neuigkeiten erzählt.«
»So!«
»Nein; ich vergaß zu erwähnen« daß Mr. Egerton hierher zurückgekehrt ist.«
»Angus Egerton?«
»Ja; er kam im letzten Winter zurück.«
»Du hast nichts davon in Deinen Briefen erwähnt.«
»Nicht? Ich glaube, es geschah deshalb, weil ich wußte, daß Du ein Vorurtheil gegen ihn hast und man ein solches in einem Briefe nicht wohl widerlegen kann.«
»Du würdest es sehr schwer finden, meinen Widerwillen gegen Angus Egerton in oder außer einem Brief mir auszureden. Hast Du ihn häufig gesehen?«
»Ziemlich häufig. Er war öfters im Pfarrhause anwesend, wenn Mary und ich dort eingeladen waren. Die Collingwoods hegen eine große Zuneigung für ihn. Ich bin überzeugt — ich glaube — daß Du ihm ebenfalls nicht abgeneigt sein wirst, wenn Du ihn näher kennen lernst. Er wird Dir einen Besuch abstatten.«
»Er mag kommen, wenn er will» antwortete Mr. Darrell mit gleichgültiger Miene. »Ich werde nicht unhöflich gegen ihn sein; es thut mir aber leid, daß er einen so günstigen Eindruck auf Dich gemacht hat, Milly.«
Sie blickte verlegen auf den Boden, ihre dunkeln Augen durch die langen Wimpern verschleiert.
»Ich habe das nicht gesagt, Papa,« murmelte sie schüchtern.
»Aber Dein Benehmen überzeugt mich davon. Hat er etwas für die Verbesserung seiner Besitzung gethan?«
»O ja; er hat die Dächer ausbessern lassen und man sagt, das Land sei jetzt in besserem Zustand und die Gärten würden in guter Ordnung gehalten.«
»Lebt er allein in der Priorei?
»Ganz allein.«
»Er muß das Leben dort sehr langweilig finden.«
»Mr. Collingwood sagt, er habe eine besondere Neigung zum Studieren und besitze eine wundervolle Sammlung von alten Büchern. Er ist, wie ich glaube, auch ein großer Raucher, geht viel spazieren und hat den ganzen Winter gejagt. Man sagt, er sei ein gewaltiger Reiter.«
Augusta Darrell kam in dem Augenblicke herein, zum Ausreiten bereit. Ihre schlanke geschmeidige Gestalt nahm sich in dem enganliegenden Reitkleid sehr gut ans und der kleine Filzhut mit einer rothen Feder gab ihrem Gesicht einen koketten Ausdruck. Sie berührte ihren Gatten mit ihrer Reitpeitsche am Arm.
»Nun, William, wenn Du bereit bist.«
»Meine Liebe« ich habe in der letzten halben Stunde auf Dich gewartet.«
Sie begaben sich zu ihren Pferden. Milly folgte ihnen auf die Terrasse und sah ihnen nach, als sie fortritten.
Wir brachten den Vormittag im Freien mit Skizzieren zu, während Julian uns begleitete. Um zwei Uhr kamen wir sämtlich zum zweiten Frühstück zusammen.
Nach demselben gingen Milly und ich ins Wohnzimmer, während Mrs. Darrell und Mr. Stormont sich auf die Terrasse begaben. Meine Freundin legte heute eine gewisse Unruhe an den Tag und ging von einer Beschäftigung zur andern über, bald sich ans Clavier setzend und einige Accorde spielend, bald ein Buch ergreifend und es dann mit einem Seufzer wieder weglegend. Endlich setzte sie sich an einen Tisch und begann die Skizzen ihres Portfolio zu ordnen. Während sie so beschäftigt war, meldete ein Diener Mr. Egerton an. Sie erhob sich rasch, erröthend wie ich sie vorher nie erröthen gesehen und nach dem nächsten offenen Fenster blickend, als ob sie die Absicht hätte, die Flucht zu ergreifen. Es war das erste mal, daß Angus Egerton nach Thornleigh Manor kam, seit sie ein kleines Kind gewesen.
»Melden Sie Papa, daß Mr. Egerton hier ist,« Filby,« sagte sie zu dem Bedienten. »Sie werden ihn wahrscheinlich in der Bibliothek finden.«
Sie hatte ihre Selbstbeherrschung wieder einigermaßen erlangt, als sie den eintretenden Besucher begrüßte und in wenigen Minuten unterhielten wir uns in der gewöhnlichen freundschaftlichen Weise.
»Sie sehen, Miß Darrell, daß ich keine Zeit verloren habe, Ihrem Papa meinen Besuch abzustatten,« sagte er. »Ich bin nicht zu stolz, ihm zu zeigen, wie sehr ich wünsche, seine Freundschaft wieder zu erlangen, wenn ich sie in der That jemals besessen hatte.«
Während dem trat Mr. Darrell ins Zimmer und obschon er sich vorgenommen haben mochte, den Gebieter der Priorei möglichst kalt zu empfangen, so wurde doch sein Benehmen bald milder und herzlicher. Angus Egerton hatte einen gewissen Zauber in seinem Wesen, der sich nicht leicht beschreiben läßt und der, wie ich glaube, einen mächtigen Einfluß auf alle Diejenigen ausübte, die ihn kannten.
Ich bildete mir ein, daß Mr. Darrell diesen Einfluß ebenfalls fühlte, dagegen kämpfte und ihm zuletzt nachgab. Ich sah, daß er seine Tochter aufmerksam, ja selbst ängstlich beobachtete, während sie mit Angus Egerton sprach, als ob er bereits über den Zustand ihrer Gefühle in Bezug auf ihn Verdacht hätte. Mr. Egerton hatte das offene Portfolio erblickt und darauf bestanden, die Skizzen zu betrachten, obschon es keineswegs die ersten waren, die er von Millys Hand zu sehen bekam. Ich bemerkte das ernste, fast zärtliche Lächeln, womit er die kleinen künstlerischen Stücke aus dem Cumberholz besichtigte. Die ganze Zeit über, während er diese Skizzen betrachtete setzte er seine Unterhaltung mit Mr. Darrell fort, von der Umgegend und den Veränderungen, die in den letzten Jahren vorgegangen, und ein wenig von der Priorei und den Verbesserungen, die er in derselben vorzunehmen gedachte, sprechend.






