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»Ich kann nur im Schneckenschritt vorgehen,« sagte er, »da ich entschlossen bin, mich nicht in Schulden zu stürzen und verkaufen will ich auch nicht.«
»Ich wundere mich, daß sie niemals den Versuch gemacht haben, die Priorei in den Jahren, die Sie im Ausland zugebracht, zu vermiethen,« warf Mr. Darrell ein.
Mr. Egerton schüttelte lächelnd den Kopf.
»Ich konnte mich nicht dazu bringen,« sagte er, »obschon ich nothwendig genug Geld bedurfte. Es war nie ein fremder Gebieter zu Cumber« seit es den Egertons gehört. Es ist wahrscheinlich eine törichte Sentimentalität von meiner Seite; aber ich glaube, ich würde lieber den alten Platz langsam verfallen lassen, als in dem Besitz von Fremden sehen.
Er stand am Tische, wo das offene Portfolio lag, mit Milly zur Seite und eine ihrer Skizzen in der Hand, als Mrs. Darrell durch das zunächst dieser Gruppe befindliche Fenster eintrat und, aus der Schwelle stehen bleibend, ihn erblickte. Ich glaube, ich war die einzige Person, die ihr Gefühl in diesem Augenblicke sah. Es war ein so plötzlicher Ausdruck, der darauf erschien, ein Ausdruck halb des Schreckens, halb des Schmerzes, und er verschwand so schnell wieder, daß ich kaum Zeit hatte, ihn zu fassen, als er schon wieder verschwunden war; aber es war ein Ausdruck, der mir die fast vergessene Scene in dem kleinen Studirzimmer der Priorei wieder ins Gedächtniß zurückrief und meine Verwunderung darüber erregte, was es wohl sein könnte, daß den Angus Egerton, entweder im Fleisch oder im Bild, zu einem Gegenstand der Aufregung für Millys Stiefmutter machte.
Im nächsten Augenblick stellte Mr. Darrell seinen Besuch seiner Frau vor und als dies geschah, heftete ich meinen Blick auf Mr. Egertons Gesicht. Es war bleicher als gewöhnlich und der Ausdruck in Mrs. Darrells Gesicht schien sich gewissermaßen darin wiederzuspiegeln. Ich hielt es nicht für möglich, daß dieser beiderseitige Ausdruck ohne eine Bedeutung war. Ich hegte vielmehr die Ueberzeugung, daß diese beiden Leute sich bereits früher gekannt haben müßten.
Von dem Augenblicke an, wo diese Verstellung stattfand, trat eine Veränderung in Mr. Egertons Benehmen ein. Er legte ohne ein weiteres Wort Millys Skizze nieder und stand unbeweglich da, die Augen mit einem sonderbaren, halb verwirrten Blick auf Augusta Darrells Gesicht gerichtet, wie ein Mann, der dem Zeugniß seiner eigenen Sinne nicht traut.
Mrs. Darrell dagegen schien jetzt ihre ganze Selbstbeherrschung wieder erlangt zu haben und plauderte fröhlich über des Vergnügen der Reise in Tyrol im Vergleich zu der Einförmigkeit des Lebens in Thornleigh.
»Ich hoffe, daß Sie ein wenig Leben hier in die Gesellschaft bringen werden, Mr. Egerton,« sagte sie. »Es ist wirklich eine angenehme Ueberraschung, einen neuen Nachbarn zu finden.«
»Ich sollte mich durch diese Bemerkung sehr geschmeichelt fühlen; aber ich zweifle an meiner Fähigkeit, etwas zur Belebung der Geselligkeit dieses Theils der Welt beitragen zu können. Und ich glaube nicht, daß ich länger in Cumber bleiben werde.«
Milly sah ihn mit einem überraschenden Blick an.
»Mrs. Collingwood hat uns doch gesagt, Sie hätten sich gern in Cumber niedergelassen,« bemerkte sie, »und daß Sie die Absicht hegten, den Rest Ihrer Tages als Landedelmann zuzubringen.«
»Ich mag zuweilen einen solchen Traum geträumt haben, Miß Darrell; aber es gibt Träume, die nie zur Wahrheit werden.«
Er hatte sich jetzt wieder vollkommen ermannt , und sprach in seinem gewohnten Tone. Mr. Darrell , lud ihn für einen der nächsten Tage, wo, wie ich wußte, auch der Pfarrer mit seiner Familie geladen war, zum Diner ein und die Einladung wurde angenommen.
Julian Stormont war der Mrs. Darrell von der Terrasse ins Zimmer gefolgt und im Hintergrund geblieben, ein sehr aufmerksamer Zuhörer und Beobachter der darauffolgenden Unterhaltung.
»So, das ist Angus Egerton,« sagte er, als unser Besuch uns verlassen hatte.
»Ja, Julian. Jetzt fällt mir erst bei, daß ich vergessen habe, Dich ihm vorzustellen.« antwortete Mr. Darrell.
»Ich kann nicht sagen, daß ich besonders nach der Ehre geize, diesen Gentleman kennen zu lernen,« sagte Mr. Stormont in halbverächtlichem Tone.
»Warum nicht?« fragte Milly schnell.
»Weil ich nie etwas Gutes von ihm gehört habe.«
»Aber er hat sich geändert, wie es scheint,« sagte Mr. Darrell, »und er führt zu Cumber, wie mir die Collingwoods sagen, ein ganz solides Leben. Augusta und ich haben diesen Morgen im Pfarrhause einen Besuch abgestattet und der Pfarrer und seine Frau haben viel von ihm gesprochen. Ich gestehe, er hat mir so eben sehr gut gefallen.«
Milly blickte dankbar zu ihrem Vater empor. Das arme Kind! wie unschuldig und unbewußt verrieth sie ihr Geheimniß! und wie wenig dachte sie an die eifersüchtigen Augen, die sie beobachteten! Ich sah, wie Julian Stormonts Gesicht sich verfinsterte und ich wußte, daß er bereits den Zustand von Millys Gefühlen in Bezug aus Angus Egerton entdeckt hatte.
Er befand sich noch immer bei uns, als Mr. Egerton zwei Tage später zum Diner kam. Ich werde diesen Abend niemals vergessen. Der Tag war drückend heiß gewesen und im Laufe des Nachmittags hatte sich jene eigenthümliche Stille in der Luft eingestellt, die man öfters vor einem Gewitter bemerkte. Milly war den ganzen Tag über voll Leben und Beweglichkeit gewesen, indem sie mit einer Art freudiger Ruhelosigkeit von einem Zimmer zum andern flatterte. Sie verwendete für diese so einfache Partie eine ungewöhnliche Sorgfalt auf ihre Toilette und als sie in mein Zimmer kam, sah sie in ihrem weißen Gazekleid und ihren halbaufgeblühten Rosen im Haar wie Titania aus.
Mr. Egerton traf etwas später als die Gäste aus dem Pfarrhause ein und nachdem er Mr. Darrell begrüßt hatte, begab er sich sogleich zu dem Platze, wo Milly und ich saßen.
»Haben Sie, seit ich zum letzten mal mich hier befand, weitere Skizzen fertig gemacht, Miß Darrell?« fragte er.
»Nein; ich habe in den letzten Tagen nichts weiter gethan.«
»Ich habe seit meinem Besuche hier über ihre künstlerischen Arbeiten viel nachgedacht. Ich bin nämlich stärker in der Kritik, als im eigenen Schaffen. Ich glaube, ich war damals gerade im Begriff, Ihnen eine kleine Vorlesung über Ihre Fehler zu halten. War es nicht so?«
»Ja; aber Sie brachen sie so plötzlich in der Mitte ab, daß sie mir von keinem besonderen Nutzen war,« antwortete Milly in piquirtem Tone.
»Hab’ ich es wirklich gethan? O ja, ich erinnere mich jetzt. Ich war von Mrs. Darrells Erscheinung ganz überrascht. Sie gleicht so auffallend einer Dame, die ich vor langer Zeit gekannt hatte.«
»Das ist wirklich ein seltsames Zusammentreffen,« sagte ich.
»Worum ein Zusammentreffen?« fragte Mr. Egerton.
»Mrs. Darrell hat fast dasselbe von Ihrem Porträt gesagt, als wir eines Tags in Cumber waren. Es erinnere sie an Jemand, den sie vor langer Zeit gekannt habe.«
»Was für ein ausgezeichneten Gedächtniß Sie für kleine Begebenheiten haben, Miß Crofton,« sagte eine Stimme hinter mir.
Es war die von Mrs. Darrell. Sie war unbemerkt von mir ins Zimmer und auf uns zu gekommen. Ob sie Angus Egerton gesehen hatte oder nicht, weiß ich nicht. Er erhob sich, um ihr die Hand zu reichen und fuhr dann fort, über Millys Skizzen zu sprechen.
Mr. Collingwood führte Mrs. Darrell in das Speisezimmer, während Mr. Egerton Milly seinen Arm gab. Beim Essen saß er neben ihr an der schön verzierten Tafel, welche um diese Jahreszeit stets mit einem Reichthum von Rosen geschmückt war. Ich sah die Blicke von Augusta Darrell während des Diners vielfach nach dieser Richtung wandern und fühlte, daß mein geliebtes Mädchen sich in einer Atmosphäre von Falschheit befand. Worin hatte die frühere Bekanntschaft zwischen Millys Stiefmutter und Angus Egerton bestanden? Und weshalb wurde sie von beiden schweigend verleugnet? Wenn es eine gewöhnliche Freundschaft war, so konnte kein Grund für diese Verheimlichung und Zurückhaltung gegeben sein. Ich hatte Angus Egerton niemals ganz getraut, obwohl ich ihm nicht abgeneigt war und ihn sogar bewunderte und diese geheimnißvolle Beziehung zwischen ihm und Mrs. Darrell war eine hinlängliche Ursache zu ernstem Mißtrauen.
»Ich wünschte, sie wäre weniger für ihn eingenommen,« sagte ich zu mir, als ich auf Millys heiteres glückliches Gesicht blickte.
Als wir nach dem Essen in das Wohnzimmer zurückkehrten, hatten die Miß Collingwoods viel mit Milly über eine große Croquet-Partie zu sprechen, welche zu Pensildon bei Sir John und Lady Pensildon vierzehn Meilen von Thornleigh entfernt, stattfinden sollte. Die Töchter des Pfarrers, welche einige Jahre älter waren, als Milly, liebten das Croquetspiel leidenschaftlich und waren über das bevorstehende Ereigniß voll Aufregung, indem sie sich darüber besprachen, was sie und Milly bei dieser Gelegenheit tragen sollten. Während sie in dieser Weise beschäftigt waren, erzählte mir Mrs. Collingwood eine lange Geschichte von einer ihrer armen Pfarrangehörigen — ein Thema, das bei ihr stets unerschöpflich war. Dieser Umstand ließ Mrs. Darrell unbeschäftigt und nachdem sie kurze Zeit am offenen Fenster gestanden, trat sie auf die Terrasse hinaus, die stets ihr Lieblingsaufenthalt in dieser Sommerwitterung war. Wenige Minuten später sah ich sie in ernster Unterhaltung mit Angus Egerton vor den Fenstern auf- und abgehen. Dies war einige Zeit vorher, ehe die andern Gentleman das Speisezimmer verließen und sie gingen noch immer langsam mit einander auf und ab, als! Mr. Darrell und der Pfarrer ins Wohnzimmer kamen. Das Gewitter hatte sich noch nicht eingestellt und es war heller Mondschein. Mr. Darrell ging hinaus und holte seine Frau mit einem sanften Tadel, daß sie sich in ihrem dünnen Musselinkleid der Nachtluft aussetze, herein.
Darauf kam Musik. Augusta Darrell sang einige alte englische Balladen, die ich bisher noch nicht von ihr gehört hatte. Es waren einfache rührende Melodien, welche, wie ich glaube, Thränen in unser Aller Augen brachten.
Mr. Egerton saß in der Nähe eines offenen Fensters mit seinem Gesicht im Schatten, während sie sang, und als sie das letzte dieser alten Lieder sang, erhob er sich mit einer halb ungeduldigen Geberde und ging aus die Terrasse hinaus. Wenn ich ihn und Andere in Bezug auf ihn um diese Zeit genau beobachteten, so geschah es aus keiner müßigen oder unbescheidenen Neugierde, sondern weil ich wußte, daß es sich um das Glück meiner theuren Freundin handelte. Ich bemerkte ihren enttäuschten Blick, als er am andern Ende des Zimmers blieb und den ganzen Abend sich mit den Herren unterhielt, statt daß er, wie er es immer während unserer angenehmen Abende im Pfarrhause gethan, auf irgend eine Weise in ihre Nähe zu kommen suchte.
IX. Kapitel.
Angus Egerton ist abgewiesen.
Das erwartete Gewitter kam am folgenden Tage und Milly und ich wurden davon überrascht. Wir hatten einen Spaziergang über das Moor gemacht und befanden uns glücklicher Weise in einer kurzen Entfernung von Mrs. Thatchers Wohnung, als der erste Blitzstrahl durch die grauen Wolken zuckte und das erste langgezogene Rollen des Donners die stille Luft erschütterte. In vollem Laufe eilten, wir nach dem kleinen Hause der Mrs. Thatcher und langten dort athemlos an.
Die Kräutersammlerin war nicht allein. Eine hohe dunkle Gestalt stand zwischen uns und dem kleinen Fenster, als wir eintraten.
Milly stieß einen schwachen Ruf der Ueberraschung aus und als sich die Gestalt umdrehte, erkannte ich Mr. Egerton.
Bei allen unsern Besuchen unter den Armen hatten wir ihn früher niemals getroffen.
»Wieder vom Regen überrascht« junge Damen!« rief er lachend; »wie ich sehe, sind Sie beide noch nicht wetterkundiger geworden. Glücklicher Weise befinden Sie sich diesmal unter Dach, ehe der Sturm ausgebrochen ist. Es wird indeß bald genug mit Heftigkeit eintreten. Wie verwundert sehen Sie aus, mich hier zu finden, Miß Darrell! Becky ist eine sehr alte Freundin von mir. Ich erinnere mich ihrer, solange ich denken kann. Sie war eine Zeit lange im Dienste meines Großvaters.«
»Das war ich, Mr. Egerton und es gibt nichts, was ich nicht für Sie und die Ihrigen thun würde — wenigstens für Sie, denn Sie sind der Einzige, der noch übrig ist. Aber ich vermuthe, daß sie demnächst heirathen werden; denn Sie werden doch den alten Namen von Egerton nicht aussterben lassen wollen?«
Angus Egerton schüttelte mit trauriger Miene den Kopf.
»Ich bin zu arm, um zu heirathen, Mrs. Thatcher,« sagte er. »Was vermöchte ich einer Frau zu bieten, als ein düsteres altes Haus und einen beständigen Kampf, um zu bewirken, daß Hunderte die Stelle von Tausenden vertreten. Ich bin zu stolz, um das Mädchen, das ich liebe, zu bitten, mir seine Zukunft zu opfern.«
»Cumber Priory ist gut genug für irgend eine Frau, sei sie wer sie will,« antwortete Rebecca Thatcher. »Es kann Ihnen mit dem was Sie sagen, nicht Ernst sein, Mr. Egerton. Sie wissen wohl, daß der Name, den Sie tragen, in dieser Gegend mehr gilt als Geld.«
Er lachte und änderte die Unterhaltung.
»Ich hörte die jungen Damen gestern Abend viel von dem Feste von Pensildon sprechen,« sagte er.
»Wirklich?« sagte Milly; »Sie schienen indeß kein großes Interesse an unserer Unterhaltung zu nehmen.«
»Kam ich Ihnen zerstreut vor? Es ist eine Gewohnheit die ich zuweilen habe; aber ich kann Ihnen Versichern, daß ich zwei oder drei Unterhaltungen zugleich hören kann. Ich glaube, ich habe Alles gehört, was Sie und die Miß Collingwoods gesprochen haben.«
»Sie werden doch wahrscheinlich auch die Partie von Lady Pensildon am 31. besuchen?« sagte Milly.
»Ich glaube nicht. Ich habe die Absicht, für den Herbst ins Ausland zu gehen. Ich bin jetzt schon ziemlich lang in Cumber gewesen und fürchte, daß die herumziehende Lebensweise mich wieder ergreift. Ich gehe indeß doch nicht gerne fort, denn ich hatte mir vorgenommen, Sie beständig in Bezug auf Ihre Kunststudien zu quälen. Sie besitzen wirklich bedeutendes Talent für Landschaft, Miß Darrell. Sie bedürfen nur zuweilen einer Leitung durch eine strenge Kritik, wie ich sie übe. Ist Ihr Cousin, Mr. Stormont ein Künstler?«
»Keineswegs.«
»Das ist Schade. Er scheint ein gescheidter junger Mann zu sein. Wahrscheinlich wird er jetzt, wo Mr. und Mrs. Darrell zurückgekehrt sind, viel bei Ihnen sein?«
»Er kann jedes mal nicht lange bleiben, da er in dem Geschäftshause von Papa eine Hauptstellung einnimmt.«
»Er sieht ein wenig so aus, als ob Geschäftssorgen auf ihm lasteten.«
Er blickte Milly ziemlich sonderbar an, als er von Mr. Stormont sprach. Ich hätte wissen mögen, ob er wirklich die Absicht habe, abzureisen, oder ob die Drohung eine Liebeslist sei.
Der Regen trat mittlerweile mit aller Heftigkeit, wie sie einem Gewittersturm eigen zu sein pflegt, ein. Wir waren länger als eine Stunde Gefangene in Mrs. Thatchers Wohnung — eine glückliche Stunde, wie ich glaube, für Milly, trotz der Schwüle der Luft und des Arzneigeruches der Kräuter. Angus Egerton stand die ganze Zeit über neben ihrem Stuhl, aus ihr sonniges Gesicht niederbückend und mit ihr sprechend, während Mrs. Thatcher eine lange Liste ihrer Leiden und Sorgen in mein aufmerksames Ohr murmelte.
Einmal als diese-Beiden von Mr. Egertons beabsichtigter Abreise sprachen, hörte ich diesen sagen:
»Wenn ich dächte, daß Jemand etwas daran läge, ob ich bleibe, wenn ich nur glauben könnte, daß mich Jemand ein wenig vermissen würde, so würde ich keine Eile haben, Yorkshire zu verlassen.«
Natürlich sagte ihm Milly, daß es viele Leute gebe, die ihn vermissen würden — z. B. Mr. Collingwood und die ganze Familie im Pfarrhause. Er beugte sich daraus zu ihr nieder und sagte etwas mit sehr leiser Stimme, etwas, das ein lebhaftes Erröthen auf ihrem Gesichte hervorrief und einige Minuten daraus gingen sie nach der Thüre, um nach dem Wetter zu sehen und blieben dort im Gespräche miteinander stehen bis ich die letzten Klagen der Mrs. Thatcher angehört hatte und mich ihnen anschließen konnte. Ich hatte niemals Milly so reizend gesehen, als gerade damals mit ihren niedergeschlagenen Augen und einem Lächeln aus ihrem feingeformten Munde.
Mr. Egerton begleitete uns aus dem ganzen Heimwege. Das Gewitters war ganz vorüber, die Sonne schien wieder und die Luft war voll von jener kühlen Frische, die sich nach Regen einzustellen pflegt. Wir sprachen von allen möglichen Gegenständen. Mr. Egerton hatte sich, wie er uns sagte, so gut wie entschlossen, den Herbst in Cumber zuzubringen. Er wollte auch zu dem Pensildon-Feste gehen und im Croquet die Partie auf Millys Seite zu wählen. Er schien auf diesem Heimwege in einer fast knabenhaften Stimmung zu sein.
Als wir an diesem Abend in unsere Zimmer hinaufgingen, folgte mir Milly in das meinige. Es lag hierin nichts Neues, wir brachten öfters noch eine halbe Stunde in glücklichen müßigen Geplauder zu, ehe wir zu Bette gingen; aber nach dem Benehmen meiner Freundin war ich überzeugt, daß sie mir etwas mitzutheilen habe. Sie trat an ein offenes Fenster und stand dort, ihr Gesicht von mir abgewandt und nach der entfernten, vom Mondlicht beschienenen See ausblickend.
»Mary,« sagte sie nach einer sehr langen Pause, »glaubst Du, daß die Menschen bestimmt sind, in dieser Welt vollkommen glücklich zu sein?«
»Meine liebe Milly, wie kann ich eine solche Frage beantworten? Ich glaube, daß viele Menschen ihr Schicksal in der eigenen Hand haben und daß es nur an ihnen liegt, glücklich zu sein. Auch gibt es viele Charaktere, die durch Unglück erhoben und geläutert werden. Ich vermag nicht zu sagen, was das Beste für uns ist, oder worin die wahre Bedeutung dieses Lebens besteht.«
»Es liegt etwas im Vollgenusse des Glücke, das Einen erschreckt, Mary. Man hat ein Gefühl, daß es nicht von Dauer sein könne. Wenn ich nur an diese glauben könnte, so würde ich die Hoffnung hegen, daß mein Leben vollkommen glücklich sein wird.«
»Warum sollte es anders sein, meine liebe Milly. Ich glaube, Du hast in Deinem Leben noch nicht viel Kummer gekannt.«
»Nicht, seit meine Mutter gestorben ist — und ich war damals nur ein Kind — aber dieser alte Schmerz hat mich nie ganz verlassen und Papas Heirath hat mir mehr Kummer verursacht, als Du vielleicht glaubst, Mary. Dieses Haus ist mir seitdem nie mehr als meine wahre Heimat erschienen. Nein, Liebe, es ist ein neues Leben, das mir aufgegangen ist und, o ein so schönes!«
Sie schlang ihre Arme um meinen Hals und verbarg ihr Gesicht an meiner Schulter.
»Kannst Du errathen, was Angus Egerton heute zu mir gesagt hat?« fragte sie mit leiser, zitternder Stimme.
»Wer es etwas sehr Wunderbares, Liebe? oder etwas, das so alt ist wie die Welt, in der wir leben?«
»Nicht alt für mich, Mary, sondern über alle Maßen neu und wundervoll. Ich glaubte nicht, daß er sich etwas aus mir machte, ich hatte es nie zu hoffen gewagt ; denn ich habe ihn seit langer Zeit ein wenig geliebt, obschon Du wahrscheinlich keine Ahnung davon hattest.«
»Mein liebes Mädchen, ich habe es von Anfang an gewußt. Es gibt nichts so Durchsichtiges in der Welt als es mir Deine Gedanken über Angus Egerton gewesen sind.«
»O Mary, wie konntest Du das! Und ich war doch so sorgsam, nichts davon zu sagen!« rief sie vorwurfsvoll. »Aber er liebt mich, Liebe. Er hat mich, wie er sagt, seit langer Zeit geliebt und mich um meine Hand gebeten.«
»Was, nach allen diesen Betheuerungen, daß er niemals von einer Frau verlangen werde, seine Armuth zu theilen?«
»Ich Mary und es ist ihm Ernst mit dem was er spricht. Er sagte mir, wenn ich ein armes Mädchen gewesen wäre, so würde er mir schon längst seine Hand ungetragen haben. Und er wird morgen mit Papa sprechen.«
»Glaubst Du, daß Mr. Darrell zu einer solchen Heirath jemals seine Zustimmung geben würde, Milly?«
»Warum sollte er es nicht thun? Er kann keine schlimme Meinung von Angus hegen, wenn Jedermann gut von ihm denkt. Du wirst bemerkt haben, wie sehr sich seine Gesinnung gegen ihn gemildert hat, seit sie einander persönlich näher getreten sind. Mr. Egertons alte Familie und Stellung wiegen vollkommen mein Vermögen auf, welches auch dieses sein mag. O Mary, ich glaube nicht, daß Papa seine Zustimmung verweigern kann.«
»Ich zweifle sehr daran, Milly. Etwas Anderes ist es, Mr. Egerton als Gast gern bei sich zu sehen und etwas ganz Anderes, ihn als Schwiegersohn anzunehmen. Offen gesagt, meine Liebe, ich fürchte, Dein Vater wird gegen die Heirath sein.«
»Mary,« rief Milly vorwurfsvoll, »ich sehe, was es ist, Du bist gegen Mr. Egerton eingenommen.«
»Ich bin nur für Deine Wohlfahrt besorgt, Liebste. Ich kann Mr. Egerton sehr wohl leiden. Es ist auch für Jedermann schwer, ihm nicht geneigt zu sein; aber ich gestehe, daß ich mich nicht dazu bringen kann, ihm mein volles Vertrauen zu schenken.«
»Warum nicht?«
»Ich war nicht geneigt, ihr den Hauptgrund für mein Mißtrauen mitzutheilen — jene geheimnißvolle Beziehung zwischen Angus Egerton und Mrs. Darrell. Der Gegenstand war ein sehr ernster, fast ein gefährlicher und ich besaß keinen positiven Beweis für meine Vermuthung.
»Wir können nichts für die Zweifel, die sich uns zuweilen aufdringen, Liebe,« sagte ich, »wenn Du aber Mr. Egerton Vertrauen schenken kannst und wenn ihm Dein Vater vertrauen kann, so ist, was ich denken mag, von sehr geringer Bedeutung. Ich kann mich nicht zwischen Dich und Deine Liebe stellen — ich weiß das sehr wohl.«
»Aber Du kannst mich durch Deine Zweifel sehr unglücklich machen, Mary,« sagte sie.
Ich küßte sie und that mein Bestes, sie zu trösten; aber das war keine leichte Sache und sie verließ mich in halb ärgerlicher, halb bekümmerter Stimmung. Sie sagte nur, sie sei so sehr von meiner Theilnahme überzeugt gewesen, und statt ihr Glück zu theilen, habe ich sie durch meine eingebildeten Zweifel und durch meine schlimmen Phrophezeihungen elend gemacht. Als sie sich entfernt hatte, saß ich noch lange Zeit am Fenster, über ihre Trostlosigkeit nachdenkend und mir über meine Offenherzigkeit Vorwürfe machend. Aber ich hatte die feste Ueberzeugung, daß Mr. Darrell sich weigern werde, Angus Egerton als Eidam anzunehmen und daß diese Liebesangelegenheit nicht bestimmt sei, einen glatten Verlauf zu nehmen.
Das Ergebniß bewies, daß ich Recht hatte. Mr. Egerton hatte am folgenden Morgen in der Bibliothek eine lange Unterredung mit Mr. Darrell, in der sein Antrag ganz entschieden verworfen wurde. Milly und ich wußten, daß er im Hause war und mein armes Mädchen ging während der ganzen Zeit, wo diese Beiden unten beisammen waren, in unserem Wohnzimmer mit bleichem Gesicht und voll Unruhe auf und ab.
Als sie darauf Angus Egerton wegfahren hörte, wendete sie sich mit kläglichem Blicke zu mir.
»O Mary, welches wird mein Schicksal sein?« fragte sie. »Ich fürchte, er ist abgewiesen worden. Ich glaube nicht, daß er sich entfernt hatte, ohne mich zu sehen, wenn die Unterredung glücklich geendet hätte?«
Ein Diener kam um uns Beide in die Bibliothek zu bescheiden. Wir gingen miteinander hinunter, während ich Millys kalte Hand in der meinigen hielt.
Mr. Darrell war nicht allein.
Seine Frau saß, mit dem Rücken gegen ein Fenster gekehrt, an einem Tische, sehr blaß und mit einem zornigen Feuer in ihren Augen.
»Setzen Sie sich, Miß Crofton,« sagt Mr. Darrell sehr kalt, »und Du, Milly, komm her.«
Sie ging mit langsamem wankenden Schritt auf ihn zu und sank in den Stuhl, auf den er deutete, ihn die ganze Zeit über mit einem flehenden Blick, der wie ich glaubte, ihm zu Herzen gehen müßte, ansehend. Er stand mit seinem Rücken an dem leeren Kamin und blieb während der ganzen Unterredung stehen.
»Ich glaube, Du weißt, daß ich Dich liebe; Milly,« begann er, »und daß Dein Glück ein Hauptwunsch meines Herzens ist.«
»Ich bin davon überzeugt, Papa.«
»Und doch hast Du mich hintergangen.«
»Dich hintergangen? O Papa, in welcher Weise?«
»Durch Ermunterung der Hoffnungen eines Mannes, von dem Du wissen konntest, daß ich ihn niemals als Deinen Gatten annehmen würde und daß Du Dich, ohne mir ein Wort davon zu sagen und in einer Weise in Deinen Gefühlen fesseln ließest, von der Du wissen konntest, daß sie mir im höchsten Grade zuwider sei.«
»O Papa, ich wußte nichts davon; erst gestern hat sich Mr. Egerton gegen mich ausgesprochen. Es ist Dir nichts verborgen worden.«






