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»Nichts? Hältst Du Deine vertraute Bekanntschaft mit diesem Manne für nichts? Er mag eine wirkliche Erklärung bis nach meiner Rückkehr verschoben haben — mit einem arglistigen Anschein einer Rücksicht für mich; aber eine Art Liebesgeschichte muß die ganze Zeit über zwischen Euch Beiden bestanden haben.«
»Nein, Papa, wirklich nicht. Bis gestern war es nichts weiter als die gewöhnlichste Bekannschaft. Mary weiß —«
»Bitte, berufe Dich nicht aus Miß Crofton,« unterbrach sie ihr Vater heftig. »Miß Crofton hat sehr unrecht gehandelt, daß sie diese Sache unterstützt hat. Miß Crofton hatte meine Ansicht von Angus Egerton schon längst gehört.«
»Mary hat nichts gethan, um unsere Bekanntschaft zu ermuthigen. Sie war von Anfang bis zum Ende eine Sache des Zufalls. Was hast Du zu Mr. Egerton gesagt, Papa?«
Sie sprach dies mit einer ruhigen Festigkeit, ihn die ganze Zeit über muthig ansehend.
»Ich habe ihm gesagt, daß nichts mich dazu bestimmen könne, meine Einwilligung zu einer solchen Heirath zu geben. Ich habe ihm verboten, jemals wieder mit Dir zu sprechen.«
»Dies kommt mir sehr hart vor, Papa.«
»Ich dachte, Du kanntest meine Ansicht von Mr. Egerton.«
»Sie würde sich ändern« wenn Du ihn besser kennen lerntest.«
»Niemals. In geselliger Beziehung möchte ich vielleicht Gefallen an ihm finden; als Schwiegersohn aber würde ich ihn niemals annehmen. Außerdem habe ich andere Pläne mit Dir — lang gehegte Plane — die Du, wie ich hoffe, nicht enttäuschen wirst.«
»Ich weiß nicht, was Da damit meinst, Papa; aber ich weiß, daß ich nie einen Andern heirathen kann als Mr. Egerton. Ich werde vielleicht gar nicht heirathen, wenn Du Deinen Entschluß in dieser Beziehung nicht änderst; aber das weiß ich, daß ich niemals die Frau eines Andern sein werde.«
Ihr Vater sah sie zornig an. Jener harte Ausdruck in dem unteren Theile des Gesichts, den ich an seinem Porträt und an ihm selbst von Anfang an wahrgenommen hatte, trat heute sehr ausgeprägt hervor. Er hatte das Aussehen eines strengen entschlossenen Mannes, dessen Wille sich nicht durch die Bitten seiner Tochter erweichen ließ.
»Das werden wir bald sehen,« sagte er. »Ich werde meine Pläne nicht durch die Thorheit eines Mädchens vereiteln lassen. Ich war ein sehr nachsichtiger Vater, aber ich bin kein schwacher und nachgiebiger. Du wirst mir gehorchen, Milly, oder Dich bald durch Deinen eigenen Schaden von Deiner törichten Handlungsweise überzeugen.«
»Wenn Du damit meinst, daß Du mich enterben willst, Papa, so habe ich nichts dagegen einzuwenden,« antwortete Milly mit entschiedenem Tone. »Du glaubst vielleicht, Mr. Egerton sei es nur um mein Vermögen zu thun. Stelle ihn auf die Probe, Papa. Sage ihm, daß Du mir nichts geben wollest und daß er mich unter dieser Bedingung nehmen könne.«
»Augusta Darrell wandte sich gegen ihre Stieftochter mit einem Blick, der fast wie eine Flamme war.
»Hältst Du ihn denn für so uneigennützig?« fragte sie. »Setzest Du ein so großes Vertrauen in seine Liebe?«
»Volles Vertrauen.«
»Und glaubst Du nicht, daß uneigennützige Rücksichten bei ihm in die Wagschale fallen? Du denkst also nicht daran«,daß er seine zerstörten Vermögensverhältnisse wieder herzustellen sucht? Du bildest Dir, wohl ein, er sei ganz Treue und Liebe? Er ist ein blasierter Weltmann von dreiunddreißig Jahren, ein Mann, der die Möglichkeit von Etwas, wie wirkliche Liebe überlebt hat, ein Mann, der den ganzen Vorrath seiner Gefühle in seiner Jugendneigung vergeudet hat.«
Sie sagte alles Dies sehr ruhig, aber mit einer unterdrückten Bitterkeit. Ich glaube, sie bedurfte aller ihrer Kraft, um sich von einem leidenschaftlichen Ausbruch, der das Geheimniß ihres Lebens verrathen hätte, zurückzuhalten. Ich war nun mehr als jemals überzeugt, daß sie Angus Egerton früher gekannt und geliebt hatte.
»Ich fürchte nicht das Geringste davon, wenn er auf die Probe gestellt wird,« sagte Milly stolz.
»Ich weiß, daß er vor langer Zeit eine Andere geliebt hat. Er hat mir das gestern selbst erzählt, aber auch zugleich gesagt, daß seine alte Liebe längst in seinem Herzen erstorben sei.«
»Er hat Dir eine Lüge gesagt« rief Mrs. Darrell. »Solche Dinge sterben nie aus. Sie schlafen vielleicht wie die Thiere, die ihren Winterschlaf halten, aber mit einem Hauch der Vergangenheit flammen sie zu neuem Leben auf.«
»Es fällt mir nicht bei, die Treue Deines Geliebten aus so törichte Probe zu stellen, sagte Mr. Darrell. »Ob er durch Rücksichten auf Dein Vermögen geleitet wird oder nicht, kann keinen Unterschied in meiner Entscheidung machen. Nichts wird mich jemals dazu bewegen können, meine Zustimmung zu dieser Heirath zu geben. Du kannst mir allerdings, wenn Du willst, hierin Trotz bieten, da Du großjährig und Deine eigene Gebieterin bist; aber an dem Tage, wo Du Angus Egertons Weib wirst, hörst Du auf, meine Tochter zu sein.«
»Papa» rief Milly, »Du wirst mir das Herz brechen.«
»Unsinn, Kind, Herzen werden nicht so leicht gebrochen. Laß mich nichts mehr von dieser unglücklichen Geschichte hören. Ich habe deutlich mit Dir gesprochen, damit kein Mißverständniß zwischen uns entstehen kann und ich baue auf Deine Ehre, daß keine geheimen Zusammenkünfte zwischen Dir und; Angus Egerton stattfinden. Auch auf Sie, Miß Crofton verlasse ich mich und mache Sie, für zufällige Begegnungen auf ihren Spaziergängen verantwortlich.«
»Du brauchst keine Besorgniß zu haben, Papa,« sagte Milly trostlos. »Wahrscheinlich wird Mr. Egerton, wie er gestern gesagt, Yorkshire verlassen.«
»Ich hoffe es,« sagte Mr. Darrell.
Milly erhob sich, um das Zimmer zu verlassen.
Auf dem halben Wege nach der Thür blieb sie indeß stehen und wandte ihr blasses Gesicht mit einem Blicke der Verzweiflung noch einmal ihrem Vater zu.
»Ich werde Dir gehorchen, Papa,« sagte sie. »Ich könnte es nicht ertragen, Deine Liebe zu verlieren, selbst um seinetwillen. Aber ich glaube, Du wirst mir des Herz brechen,«
Mr. Darrell ging auf sie zu und küßte sie.
»Ich handle nur zu Deinem Besten, Milly; davon darfst Du überzeugt sein,« sagte er in freundlicherem Tone als zuvor. »Gehe jetzt und sei glücklich mit Miß Crofton, meine Liebe, und laßt uns Alle darin übereinstimmen, diese Sache sobald als möglich zu vergessen.«
Dies war unsere Entlassung. Wir kehrten in unser gemeinschaftliches Wohnzimmer zurück. Milly setzte sich aus einen niedrigen Stuhl zu meinen Füßen und begrub ihren Kopf in meinen Schooß, allen Trost verweigernd. So saß sie fest eine Stunde lang da, im Stillen weinend und dann erhob sie sich plötzlich und wischte die Thränen aus ihrem bleichen Gesicht.
»Ich werde Dich deshalb kein elendes Leben führen lassen, Mary,« sagte sie. »Wir wollen von heute an, nicht mehr davon sprechen und ich will mich bestreben,« meine Pflicht gegen meinen Papa zu thun und mein Leben ohne diese neue Glückseligkeit, die es mir so freundlich erscheinen ließ, zu ertragen. Glaubst Du, Mary, daß Mr. Egerton die Enttäuschung sehr schwer empfinden wird?«
»Ganz gewiß, wenn er Dich liebt, wie es meinem Erachten nach der Fall ist.«
»Und wir hätten so glücklich mit einander sein können! Glaubst Du, Mary, daß er abreisen wird?«
»Ich halte es für sehr wahrscheinlich.«
»Und ich werde ihn nie mehr sehen. Ich könnte Papas Liebe nicht verlieren, Mary.«
»Es, wäre allerdings eine harte Sache, wenn es , um eines Fremden willen geschähe.«
»Nein, nein, Mary, er ist kein Fremder für mich; Angus Egerton ist kein Fremder. Ich weiß, daß er edel und gut ist. Aber mein Vater war mir, seit Jahren Alles in der Welt. Ich könnte ohne seine Liebe nicht bestehen. Ich muß ihm gehorchen.«
»Glaube wir, Liebe, es wird dies das Klügste und Beste sein, was Du thun kannst. Du kannst nicht sagen, welche Veränderungen in Zukunft eintreten werden. Dein Gehorsam wird Dich Deinem Vater sehr theuer machen und es kann vielleicht die Zeit kommen, wo er besser von Mr. Egerton denken wird.«
»O Mary, wenn ich das hoffen dürfte!«
»Hoffe Alles, wenn Du Deine Pflicht erfüllst.«
Sie wurde daraus ein wenig heiterer und kam ihrem Vater beim Diner mit einem ruhigen Gesicht entgegen, obschon es noch immer sehr bleich war. Mrs. Darrell sah sie verwundert und wie ich glaubte, mit einem halbverächtlichen Ausdruck an, als ob ihr diese Liebe ihrer Stieftochter als eine sehr armselige Sache vorkomme.
Bevor die Woche verflossen war, vernahmen wir, daß Mr. Egerton Yorkshire verlassen habe. Wir gingen nicht zu der Partie nach Pensildon. Milly hatte einen Katarrh und hütete das Zimmer, sehr zum Bedauern der Miß Collingwoods, welche jeden Tag kamen um sich nach ihr zu erkundigen. Sie nahm diesen Katarrh, der in der That eine sehr geringfügige Sache war, zur Entschuldigung, um sich eine Woche der Einsamkeit zu überlassen und, nach Verlauf dieser Zeit kehrte sie wieder zu uns zurück ohne eine Spur ihres geheimen Kummers. Nur ich allein, die immer bei ihr war und sie vom Grund ihres Herzens kannte, hätte sagen können, wie schwer sie den Schlag, der sie getroffen, empfand und wie viel es ihr kostete, ihn so ruhig zu ertragen.
X. Kapitel.
Veränderungen zu Thornleigh.
Der Herbst und der erste Theil des Winters verflossen einförmig genug. Anfangs war ziemlich viel Gesellschaft zu Thornleigh Manor, denn Mrs. Darrell haßte die Einsamkeit; aber nach einiger Zeit wurde sie der Leute, die ihr Mann kannte, überdrüssig und die Diners und Gartenpartien wurden weniger häufig. Ich hatte nach ihrer Rückkehr bald entdeckt, daß sie sich nicht glücklich fühlte, daß dieses leichte angenehme Leben ihr gewisser Maßen eine Last war. Nur in Gegenwart ihres Gatten gab sie sich den Anschein, als ob sie vergnügt wäre und sich für die Dinge interessiere. Ihm gegenüber war sie stets dieselbe — stets voll Hingebung, Aufmerksamkeit und Liebenswürdigkeit, während er seinerseits der unterthänige Sklave aller ihrer Wünsche und Launen war.
Sie benahm sich nicht unfreundlich gegen Milly; aber beide mieden sich instinctmäßig.
Mit dem Winter kehrte Trauer in Thornleigh Manor ein. Es war gut für Milly, daß sie ihre Pflicht gegen ihren Vater erfüllt und sich geduldig seinem Willen unterworfen hatte. Etwa vierzehn Tage vor Weihnachten begab sich Mr. Darrell nach North Shields, um seine jährliche Untersuchung der Werften und Waarenhäuser vorzunehmen und einen Ueberblick über die Geschäftsergebnisse zu gewinnen. Er kehrte nicht mehr lebend von dort zurück. Er wurde im Bureau vom Schlage gerührt und, der Sprache beraubt, in sein Hotel gebracht. Durch den Telegraphen berufen, eilten seine Frau und Tochter mit dem ersten Zug nach Shields, sie kamen aber zu spät. Er war eine Stunde vor ihrer Ankunft gestorben.
Es wäre überflüssig, bei den Einzelheiten dieser traurigen Zeit zu verweilen. Milly fühlte den Schlag sehr schwer und es dauerte lange, bis ich sie nach jenem düsteren Dezembertag, wo die Botschaft anlangte, wieder lächeln sah. Sie hatte nach ihrer Enttäuschung in Bezug auf Angus Egerton viel von ihrer Heiterkeit und Lebhaftigkeit verloren, und dieser neue Kummer drückte sie gänzlich darnieder.
Mr. Darrells Ueberreste wurden nach Thornleigh gebracht und dort in der Familiengruft unter der Kirche, wo sein Vater und seine Mutter, seine erste Frau und ein als Kind verstorbener Sohn begraben lagen, beigesetzt. Er war in der Gegend sehr beliebt gewesen und wurde von Allen, die ihn gekannt hatten, aufrichtig betrauert.
Julian Stormont war der Hauptleidtragende bei dem einfachen Leichenbegängniß. Der Tod seines Onkels schien ihm sehr nahe zu gehen und sein Benehmen gegen seine Cousine war ungemein zart und rücksichtsvoll.
Ich war bei Verlesung des Testaments zugegen, die unmittelbar nach dem Leichenbegängniß im Speisezimmer stattfand. Mrs. Darrell, Milly, Mr. Stormont, ich und der Sachverwalter der Familie waren die einzigen Personen, welche dem Akte beiwohnten.
Das Testament stammte aus der Zeit kurz nach der zweiten Heirath von Mr. Darrell. Es war sehr einfach abgefaßt. Julian Stormont erhielt ein Legat von 5000 Pfund. Das ganze übrige Vermögen, das sehr bedeutend war, sollte zwischen Mrs. Darrell und Milly gleichmäßig getheilt werden. Thornleigh Manor sollte der Mrs. Darrell für ihre Lebenszeit verbleiben, nach ihrem Tode aber an Milly oder Millys Erben zurückfallen und Milly hatte das Recht, bis zu ihrer Verheirathung in ihren bisherigen Verhältnissen in Thornleigh zu verbleiben.
Im Falle Milly unverheirathet sterben würde, sollte das Grundeigenthum gleichmäßig zwischen Mrs. Darrell und Julian Stormont getheilt werden und Thornleigh nach dem Tode der Mrs. Darrell an Julian Stormont zurückfallen. Zum Testamentsvollstrecker war Mr. Foreman, der Sachwalter der Familie, ernannt.
Millys Stellung war jetzt vollkommen unabhängig. Mr. Foreman sagte ihr, daß sie nach dem Verkauf der Eisenwerke ein jährliches Einkommen von beiläufig 4000 Pfund haben werde. Sie war seit mehr als sechs Monaten großjährig und Niemand konnte zwischen sie und ihre vollständige Unabhängigkeit treten.
Da ich dies wußte, so hielt ich es für mehr als wahrscheinlich, daß Mr. Egerton baldigst zurückkehren und seine Bewerbung erneuern würde und ich konnte kaum an ihrem Erfolg zweifeln. Ich wußte, wie sehr ihn Milly liebte und jetzt, wo ihr Vater todt war, konnte sie keinerlei Grund haben, ihn abzuweisen.
»Du wirst natürlich bei mir bleiben, nicht wahr, Mary?« sagte sie, als wir an diesem Abend in trauervollem Schweigen beim Feuer saßen. »Du bist jetzt mein einziger Trost, Liebe. Ich denke, ich werde wenigstens für einige Zeit noch hier bleiben. Augusta hat sehr gütig mit mir gesprochen und mich gebeten, ich möchte dieses Haus nach dem Willen meines Vaters zu meiner Heimstätte machen. Wir würden einander in keiner Weise im Wege stehen, sagte sie, und es sei in der That mehr als wahrscheinlich, daß sie im Frühjahre mit ihrer Kammerfrau nach dem Continent gehen und mich als alleinige Gebieterin von Thornleigh zurücklassen werde. Sie zweifle, ob sie es jetzt jemals hier aushalten könne. Sie ist nicht, wie ich, Mary. Ich werde stets eine trauervolle Anhänglichkeit für das Haus bewahren, in welchem ich so glücklich mit meinem Vater gelebt habe.«
So blieb ich bei meinem lieben Mädchen und das Leben in Thornleigh Manor glitt in stiller trauriger Weise dahin. Wenn Mrs. Darrell sich um ihren verstorbenen Gatten gräme, so war ihre Trauer jedenfalls von kalter thränenloser Art; aber sie blieb größtentheils in ihren Zimmern und wir bekamen nicht viel von ihr zu sehen. Die Collingwoods waren voll Theilnahme für Milly und ihre Freundschaft übte einen gewissen tröstenden Einfluß auf ihr Gemüth aus. Von ihnen hörte sie zuweilen von Mr. Egerton, der die wildesten Gegenden von Nordeuropa bereiste. Sie sprach jetzt sehr selten von ihm und einmal, als ich seinen Namen nannte, sagte sie vorwurfsvoll:
»Rede nicht von ihm, Mary; ich will nicht an ihn denken. Es kommt mir wie eine Art Verrath an Papa vor. Es gewinnt den Anschein, als ob ich von dem Tode meines theuren Vaters Vortheil ziehen wollte.«
»Würdest Du Dich weigern, ihn zu heirathen, wenn er zu Dir zurückkäme, jetzt, wo Du Deine eigene Gebieterin bist?«
»Ich weiß nicht, Mary. Ich glaube, ich liebe ihn zu sehr, um dies zu thun. Und doch würde es mir wie eine Sünde gegen meinen Vater vorkommen.«
Die Frühlingsmonate gingen vorüber und Millys Gemüth heiterte sich ein wenig auf. Sie brachte einen Theil ihrer Zeit unter den Armen zu und bin ich überzeugt, daß diese Beschäftigung mehr als alles Andere dazu beitrug, ihren Kummer zu erleichtern. Ich war stets in ihrer Gesellschaft und ich glaube nicht, daß sie einen Gedanken vor mir verhehlte.
Mrs. Darrell war noch nicht ins Ausland gegangen. Sie führte ein nutz- und sorgloses Leben, nichts thuend und sich um nichts bekümmernd, wie es schien. Mehr als einmal hatte sie Vorbereitungen für ihre Abreise getroffen und änderte dann im letzten Augenblicke ihren Sinn wieder.
Spät im Juni vernahmen wir, daß Mr. Egerton nach Cumber zurückgekehrt sei und wenige Tage darauf kam er nach Thornleigh. Mrs. Darrell befand sich in ihrem eigenen Zimmer, während Milly und ich, als er gemeldet wurde, im Wohnzimmer waren. Mein armes Mädchen wurde sehr blaß und die Thränen traten ihr in die Augen, als sie und Angus Egerton einander wiedersahen. Er sprach von ihrem Verlust mit äußerstem Zartgefühl und war voll von zärtlicher Theilnahme. Er hatte ihr Nachrichten von sich mitzutheilen. Ein entfernter Verwandter seiner Mutter sei gestorben und habe ihm ein jährliches Einkommen von 6000 Pfund hinterlassen. Er sei zurückgekehrt, um Cumber in seinem alten Glanze wieder herzustellen und seinen Platz in der Grafschaft einzunehmen.
Während sie in leisem vertraulichen Tone miteinander sprachen, ohne sich durch meine Gegenwart stören zu lassen, trat Mrs. Darrell ins Zimmer. Sie war bleicher als gewöhnlich; aber es lag eine Lebhaftigkeit in ihrem Gesicht, wie ich sie seit langer Zeit nicht gesehen hatte. Sie empfing Mr. Egerton sehr freundlich und bestand darauf, daß er zum Diner dableiben sollte.
Der Abend verging sehr vergnügt. Ich hatte Augusta Darrell noch nie so angenehm, so bezaubernd gesehen als heute. Sie setzte sich zum ersten mal seit dem Tode ihres Gatten wieder ans Klavier und spielte und sang wieder mit ihrem alten Feuer, indem sie die ganze Zeit über Angus Egerton an der Seite des Piano zurückzuhalten wußte. Ihre Musik konnte selbst von dem kältesten Ohre nicht mit Gleichgültigkeit angehört werden.
Er kam sehr bald wieder und kam öfters. Die baulichen Arbeiten von Cumber hatten begonnen und er drang in uns, hinüber zu fahren und zu sehen, was da vorging. Wir entsprachen diesem Wunsche und ich konnte bemerken, wie eifrig er Milly um ihre Meinung in Betreff der vorzunehmenden Veränderungen und der Aufstellung der verschiedenen Zimmer befragte.
Es dauerte nicht lange, so erneuerte Mr. Egerton seine Bewerbung, welche angenommen wurde. Wenn Mr. Darrell am Leben gewesen wäre, so würden die veränderten Umstände des Bewerbers wahrscheinlich eine Aenderung seiner Ansichten in dieser Beziehung , bewirkt haben. Er hätte wenigstens nicht länger annehmen können, daß Angus Egerton von eigennützigen Absichten geleitet werde.
Meine geliebte Milly war in ihrem Brautstand vollkommen glücklich und ich theilte ihr Glück. Sie sagte, ich müsse stets bei ihr bleiben, zu Cumber wie zu Thornleigh. Sie besprach sich mit Angus darüber und er stimmte mit Vergnügen bei. Ich dachte, sie bedürfe meiner nach ihrer Verheirathung nicht mehr und daß dieser Gedanke aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zur Ausführung kommen werde; aber ich wollte sie darin nicht stören, da ja immer noch Zeit genug dazu war, wenn ich sah, daß die Trennung nothwendig sei. Meine Jugend war durch ihre Liebe erheitert worden und ich mußte nunmehr den Muth haben, der Welt allein entgegenzutreten, wenn sie ihr neues Leben begann, überzeugt, daß ich in den Tagen des Mißgeschicks stets einen Hafen in Ihrer Liebe finden würde.
Ihre Vermählung sollte im kommenden Frühjahr stattfinden. Mr. Egerton hatte angelegentlich um eine frühere Frist gebeten, aber Milly wollte das Trauerjahr für ihren Vater nicht abkürzen und so mußte er sich ungern unterwerfen. Die bestimmte Zeit wurde indeß vom April bis zum Februar vorgerückt. Es war seine Absicht, seine junge Frau ins Ausland zu führen und ihr einen Theil der Scenen zu zeigen, auf denen er sein Wunderleben zugebracht hatte und dann sollten sie nach Cumber zurückkehren und Milly ihr Leben als Frau eines Landedelmannes beginnen.
Julian Stormont kaut nach Thornleigh und hörte durch — Mrs. Darrell von der Verlobung. Er hatte noch immer seine alte Stellung in dem Geschäfte zu North Shields, das ein großer Capitalist gekauft hatte, inne. Er nahm die Nachricht von Millys beabsichtigter Vermählung sehr ruhig auf, unterließ es aber, sie deshalb zu beglückwünschen. Eines Morgens während seines Aufenthalts befand ich mich allein auf der Terrasse, als er mit mir über diese Sache sprach.
»So,« sagte er, »meine Cousine ist also im Begriff, sich an diesen Menschen wegzuwerfen?«
»Sie dürfen es nicht Wegwerfen nennen, Mr. Stormont,« antwortete ich. »Mr. Egerton liebt Ihre Cousine und in Folge der Veränderung in seinen Umständen kann diese Heirath als sehr günstig für sie betrachtet werden.«
»Die Veränderung seiner Umstände hat den Menschen nicht umgeändert,« antwortete er in zornigem Tone. »Nichts Gutes kann von einer solchen Heirath kommen.«
»Sie haben kein Recht, das zu sagen, Mr. Stormont.«
»Ich habe das Recht, das mir meine Ueberzeugung verleiht. Eine glückliche Heirath! Nein es wird keine glückliche Heirath sein, Sie können sich davon überzeugt halten.«
Er sagte dies mit einem rachbegiertgen Blick, der mich überraschte, obschon ich wußte, daß er gegen Millys Bräutigam nicht besonders freundlich gesinnt sein konnte. Die Worte mochten wenig zu bedeuten haben; mir aber kamen sie wie eine Drohung vor.
XI. Kapitel.
Gefahr.
Der Sommer in diesem Jahre war herrlich und wir brachten den größten Theil unserer Zeit im Freien zu, indem wir zu Fuß und zu Wagen Ausflüge machten, oder im Garten saßen, oft bis spät in die Nacht. Es war ein Wetter, in dem es eine Art Verrath gegen die Natur gewesen, sich länger als nöthig, im Zimmer aufzuhalten.
Wir unternehmen oft lange Spaziergänge im Cumber-Holz, die damit endigten, daß wir in dem kleinen Studierzimmer der Priorei unsern Thee einnehmen — eine schlichte, einfache Bewirthung, welche Milly ungemein liebte. Sie kam mir bei diesen Anlässen wie ein glückliches Kind vor, das sich darin gefällt, die Hausfrau zu spielen.
Augusta Darrell war fast immer in unserer Gesellschaft. Ihr Benehmen zu dieser Zeit setzte mich vielfach in Erstaunen und Verwirrung. Es schien jetzt ganz so zu sein, wie man es von einer guten Stiefmutter erwarten kann. Ihre frühere gleichgültige Miene war ganz verschwunden; sie war herzlicher und nahm einen größeren Antheil an Millys Wohlergehen, als ich dies früher für möglich gehalten hatte. Das Mädchen war ganz gerührt von dieser Veränderung in ihrem Benehmen und erwiederte dieses ungewohnte warme Entgegenkommen mit arglosem Vertrauen.
Ich meines Theils erinnerte mich an Alles, was ich gesehen und geargwöhnt hatte und ich konnte mich deshalb nicht dazu verstehen, in Millys Stiefmutter mein volles Vertrauen zu setzen. Eine dunkle unbestimmte Besorgniß, der ich mich nicht zu enthalten vermochte, beunruhigte mich.
Wie ich bereits gesagt, war sie immer in unserer Gesellschaft, alle unsere einfachen Vergnügungen mit einem Anschein von mädchenhafter Fröhlichkeit mit uns theilend. Ich bemerkte, daß ihre Toilette bei solchen Anlässen stets von ausgesuchter Eleganz war und daß sie keine jener Künste vernachlässigte, die ihre Reize erhöhen konnten; aber sie versuchte niemals Mr. Egertons Aufmerksamkeit ausschließlich in Anspruch zu nehmen und sie ließ niemals seine Stellung als Millys Verlobter außer Acht.
Lange Zeit wurde ich durch ihr Benehmen getäuscht — fast überzeugt, daß wenn sie jemals Angus Egerton geliebt hätte, diese Leidenschaft in ihrem Herzen erstorben sein müßte. Aber es kam ein Tag, wo ein Blick von ihr den wahren Stand der Sache verrieth und mir deutlich genug zeigte, daß diese ganze neuerwachte Zuneigung für Milly sowohl als die liebenswürdige Theilnahme für ihr Glück nichts weiter als eine gut einstudierte Rolle sei. Es war nur ein Blick — ein ernster, verzweifelnder, leidenschaftlicher Blick — der mir dies sagte, aber es war ein Blick, der das Geheimniß eines Lebens verrieth. Von diesem Augenblicke an traute ich Augusta Darrell nicht mehr.
Mit dem Eintritt des Herbsts änderte sich das Wetter und es begann die unangenehme regnerische Jahreszeit. Die Aenderung der Witterung brachte uns Sorgen und Mißgeschick. In der Umgegend von Thornleigh herrschten fieberhafte Krankheiten und Milly wurde ebenfalls davon befallen. Sie hatte ihre Besuche bei den Armen selbst während ihres Brautstands nicht eingestellt und es ist kein Zweifel, daß sie bei einer dieser Gelegenheiten vom Fieber angesteckt wurde.
Ihre Krankheit erweckte indeß keine Besorgniß; auch hielt man sie nur unter gewissen Umständen für ansteckend. Mr. Hale, der Arzt von Thornleigh, nahm die Sache sehr leicht und versicherte uns, daß Milly in einer Woche wieder vollkommen gesund sein werde. Mittlerweile aber hütete mein liebes Mädchen das Zimmer und ich pflegte sie mit Beihilfe ihrer ergebenen kleinen Zofe.




