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Isabel klappte überrascht die Kinnlade herunter. Denn sie hatte mit allem, nur nicht damit gerechnet. Die Queen sah mürrisch zwischen beiden hin und her und entschied sich, vorerst nichts weiter dazu zu sagen und verließ stattdessen, ohne ein weiteres Wort, wieder den Raum.
Auch nachdem die Queen bereits einige Minuten lang das Zimmer wieder verlassen hatte, standen Harry und Isabel noch immer vor dem Schreibtisch und starrten sich gegenseitig an; jedoch aus unterschiedlichen Gründen. Isabel war die Erste, die ihre Stimme wiederfand: „Hätten Sie die Güte mich loszulassen? Sie tun mir weh!“
„Verzeihung, das wollte ich nicht!“, flüsterte Harry und strich sanft über Isabels Arm. Heftig, so als hätte sie sich verbrannt, entriss Isabel Harry ihren Arm. Ergebend hob Harry beide Hände in die Höhe und gewährte einige Schritte Abstand zwischen ihm und ihr. Isabel war darüber dankbar und beruhigte sich langsam wieder.
„Entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie einen ungehobelten Klotz genannt habe. Sie können, wenn Sie wollen, auch recht anständig sein.“
„Danke für die Blumen“, erwiderte Harry und ein leichtes Grinsen huschte über sein Gesicht. „Ich wusste gar nicht, dass nur Worte Ihre Meinung über mich so schnell ändern können?!“
Prompt wurde Isabel knallrot.
Harry nutzte ihre Verlegenheit aus und betrachtete Isabel eindringlich. Sie hatte etwas Magisches an sich! Ihre kurzen, pechschwarzen Haare waren ein krasser Gegensatz zu ihrer schneeweißen Haut. Doch am interessantesten fand Harry noch immer ihre katzenartigen Augen. Sie waren von einem solch dunklen Grün, dass man zweimal hinschauen musste, um sich zu vergewissern, dass man sich nicht versah. In ihren Augen spiegelte sich das Grün der Wiesen wider. Ihre langen, dunklen Wimpern ließen sie schüchtern und unantastbar wirken. Jedoch ihr dunkelroter Mund lud zum Küssen ein.
Wieder einmal völlig perplex über seine eigenen Gedankengänge sagte Harry als Nächstes: „Ich weiß zwar nicht, was ich verbrochen habe, dass Sie solch eine abwertende Haltung mir gegenüber haben – abgesehen von dem Zwischenfall vor dem Spielzeugladen vergangene Woche –, aber sicher werden Ihre Gründe schon stichhaltiger Natur sein …“
Unsicher sah Isabel auf den Teppichboden zu ihren Füßen. Ein zaghaftes „Verzeihung“ kam über ihre Lippe, ohne dass sie dabei aufsah.
„Miss Canningham. Nicht Sie müssen sich entschuldigen, sondern ich mich bei Ihnen! Als Gentleman hätte ich mich erkundigen müssen, ob ich Ihnen wehgetan habe, als ich in Sie hineingerauscht bin. Ich hätte mich dafür entschuldigen müssen und eben Ihre Sachen aufheben sollen, statt Ihnen nur dabei zuzusehen. Gegebenenfalls hätte ich auch Ihre zu Bruch gegangenen Habseligkeiten anstandslos ersetzen müssen.“ Verwirrt sah Isabel den Prinzen an. „Sie haben schon Recht, ich habe mich wie ein Idiot benommen. Ich hatte es eilig und habe nur an meinen Status gedacht“, erklärte Harry sachlich und ruhig weiter, während er um den Schreibtisch herumging und ein Schubfach öffnete. „Leider kann ich eine Sache nicht wieder anstandslos ersetzen“, sagte er und schob dabei den kleinen Holzsockel und die Musikwalze über den Tisch.
Als Isabel die Reste ihrer Spieluhr sah, fing sie unweigerlich an zu weinen. Sofort war Harry zur Stelle und zog sie, keinen Widerspruch duldend, in seine Arme. „Es tut mir leid!“, flüsterte er.
„Harry, kannst Du mir bitte einmal sagen, was Du jetzt schon wieder … angestellt hast???“, kam es plötzlich von der Tür. Es war Prinz William und er sah ungläubig auf das Bild, welches sich ihm bot: Eine unbekannte junge Frau, weinend in den Armen seines Bruders. Sofort riss sich Isabel von Harry los und ohne William eines Blickes zu würdigen, rannte sie aus dem Raum. Fragend sah William erst der jungen Dame hinterher und dann zu seinem Bruder herüber. Harry lehnte am Schreibtisch und strich sich mit den Händen durchs Haar. „Willst Du mir irgendetwas hierzu sagen; oder solltest Du nicht viel lieber ihr hinterher?“, fragte William.
Harry schüttelte resigniert den Kopf und warf sich in den Sessel, auf dem vor kurzem noch Isabel gesessen hatte. William schloss die Türen und setzte sich zu seinem Bruder. „Ist sie der Grund für Elisabeth’ Wutausbruch?“, fragte William sogleich. Harry verdrehte entnervt die Augen und berichtete dann, was ihm in der letzten Woche widerfahren war.
Nachdem sich William die ganze Geschichte angehört hatte, kam er nur zu einer einzigen Erkenntnis: Sein Bruder empfand etwas für die junge Dame, was sein Herz höher schlagen ließ! Harry stritt dies natürlich sofort energisch ab, doch sein schmerzerfüllter Blick strafte seine Worte lügen. Ausgerechnet die Frau, die ihm wie eine Erscheinung seiner innersten Träume begegnet war, hatte er nicht nur beschämt, sondern ihr auch noch Leid zugefügt, das er nicht wieder lindern konnte. Harry seufzte verzweifelt. Prinz William dagegen gab das neue Sorgenkind noch nicht gänzlich auf, denn so hatte er seinen Bruder noch nie erlebt! „Hey, Harry, Kopf hoch, das wird schon wieder. Lass ihr etwas Zeit …“
Harry lachte bitter auf. „Die Worte kommen mir irgendwie bekannt vor. Waren es nicht genau dieselben Worte, die Dad verwendete, als Du die Bande zwischen Dir und Jane aufzugeben drohtest?“
William schmunzelte. „Gerade deswegen sage ich sie Dir ja! Und wie Du jeden Tag selbst sehen kannst, hat sich das Kämpfen gelohnt: Ich bin mit Jane glücklich verheiratet und verliebt wie am ersten Tag.“
Harry schloss die Augen und wollte seinen Kopf auf die Tischplatte legen, dabei stieß er mit der Hand an die Musikwalze. Abrupt setzte er sich wieder auf und nahm sie in die Hand. Geistesabwesend drehte er an der kleinen Kurbel. Obwohl sich die Walze in ihrer Verankerung drehte, ertönte keine Melodie, da die Klangnadel abgebrochen war. Harry seufzte erneut lang und anhaltend.
Als er zu seinem Bruder herüberschauen wollte, war dieser jedoch nicht mehr da. William hatte zwischenzeitlich den Raum verlassen, um Harry mit seinen Gedanken allein zu lassen.
Kapitel 2
Isabel lag zu Hause auf ihrem Bett und ihr kam das alles reichlich merkwürdig vor: Erst rannte sie mit einem der Söhne des Prinzen von Wales zusammen, dann beschimpfte sie ihn auch noch auf eine ganz unschöne Art und nun hielt sie ein Kündigungsschreiben ihrer Kindertagesstätte in den Händen. Aber nicht, dass sie ihre Arbeit verlor; nein, die Räumlichkeiten, in denen sie die fünf Kinder betreute, wurden ihr aufgekündigt, da das Haus zum Abriss von der Britischen Krone persönlich freigegeben wurde. Isabel glaubte noch immer, sie hätte sich verlesen, als sie nun schon zum x-ten Mal das Schreiben las. Und alles nur, weil sie den Prinzen beschimpft hatte??? Isabel wurde wütend, auf sich, auf Prinz Harry und natürlich auch auf die ganze Monarchie. Warum konnte die nicht einfach abgeschafft werden? Was tun die auch schon den ganzen lieben langen Tag, außer das hart erarbeitete Geld der Bürger unnütz zu verschwenden?!
Mit diesen Gedanken und einer Menge Wut im Bauch traf sich Isabel kurz darauf mit ihrer besten Freundin Anabel zum Training im Fitnessstudio.
„Sag mal, Isa, welche Laus ist Dir denn über die Leber gelaufen? Du hast ja eine Laune, die ist ja nicht zum Aushalten. Gab’s Stress zu Hause; macht Dein Vater wieder Stunk? Oder ist was auf Arbeit passiert?“, fragte Anabel, die vergeblich versuchte einen der ihr entgegen geschmetterten Squashbälle zu bekommen, nach einer Weile.
„Nein, zu Hause ist ausnahmsweise mal alles bestens; mir ist nur die Jonesstreet gekündigt worden“, erklärte Isabel so nebensächlich, als sei nichts vorgefallen.
„Dir ist was?!“ Abrupt hielt Anabel im Spiel inne und prompt traf ein harter Schmetterball ihren Oberschenkel. „Autsch!“
„Entschuldige, ich glaube, es ist besser, wenn wir für heute aufhören zu spielen. Ich bin nicht gut drauf.“
„Das merke ich! Aber nun noch einmal ganz von vorn: Wieso ist Dir die Jonesstreet gekündigt worden?“
„Keine Ahnung! In dem Brief stand nur: Es tut uns leid. Aber da Sie eine der letzten drei Mieter sind, die in dem einsturzgefährdeten Haus verweilen, müssen wir Ihnen zum nächsten Monat kündigen. Hochachtungsvoll, die Majestäts-Wohnungsbaugesellschaft“, erklärte Isabel.
Noch immer sah ihre Freundin sie ungläubig an. „Ich denke, das Haus ist denkmalgeschützt? Das können die doch nicht einfach so abreißen und einsturzgefährdet sieht das Haus nun überhaupt nicht aus! Da gibt es in London ganz andere Häuser, bei denen du schon Angst haben musst, überhaupt daran vorbeizugehen; es könnte ja sein, es erschlägt dich währenddessen …“, stellte Anabel in den Raum.
„Ist doch jetzt auch egal, ob das Haus einsturzgefährdet ist oder nicht, ich muss dort jedenfalls raus und weiß nicht wohin! Wenn das mein Vater hört, kriegt der doch gleich wieder einen Anfall: ‚Erst das mit der Friseurin, dann die Sache mit dem Medizinstudium und jetzt das mit dem Kindergarten. Du bist doch nicht mehr ganz bei Trost! Wo soll ich nur das ganze Geld für all Deine verrückten Einfälle herkriegen? Entweder Du lernst etwas Anständiges oder ich schmeiße Dich raus!‘ – Ach verdammt, warum immer ich?!“, jammerte nun auch Isabel und war den Tränen nahe.
Tröstend legte Anabel den Arm um ihre beste Freundin und versuchte sie aufzumuntern: „Schmeiß nicht gleich die Flinte ins Korn, ruf am besten morgen einfach einmal bei der Wohnungsbaugesellschaft an und frage nach, ob das Haus wirklich abgerissen werden soll. Soweit Du weißt, steht es unter Denkmalschutz. Außerdem sollen sie Dir sagen, wie sie sich das vorstellen, denn eigentlich müssten sie Dir neue Räume für Deine Arbeit zur Verfügung stellen. Man kann nicht einfach so ohne Ankündigung jemanden aus einem Haus werfen. – Miete hast Du doch gezahlt, oder?!“
„Natürlich habe ich die Miete bezahlt! Das meiste von meinen Einnahmen geht doch genau dafür drauf. Das ist doch auch der Grund, warum ich überhaupt noch bei meinen Eltern wohne!“, erklärte Isabel leicht gereizt.
„Ich dachte, Du lebst wegen Deiner Mutter noch zu Hause“, gab Anabel kleinlaut von sich.
„Auch.“
„Entschuldigen Sie, spielen Sie noch oder ist die Squashhalle frei?“, kam es plötzlich von der Tür.
„Nein, wir gehen. Sie können rein“, sagte Anabel. „Na los, Isa, lass uns noch einen Kaffee trinken gehen und morgen lade ich Dich zum Kino ein, einverstanden? Ich finde, Du musst auf andere Gedanken kommen.“
Am nächsten Abend trafen sich Isabel und Anabel vor dem Kino und sie beschlossen, in die Sneak-Preview zu gehen. Denn beide fanden die sonstige Auswahl der angebotenen Filme nicht gerade toll, und so ließen sie sich einfach überraschen. Eine Überraschung war nicht nur der neue Actionfilm, der in die Kinos kommen sollte, sondern auch die Gäste der Filmvorführung. Denn kein geringerer als Prinz Harry sah sich mit seinen Freunden ebenfalls die Vorvorstellung an.
Isabels Begeisterung hielt sich wahrlich in Grenzen. Und kaum nahmen die fünf jungen Männer nebst zwei Bodyguards zwei Reihen hinter ihnen die Plätze ein, stand Isabel auch schon wieder auf und ging. Anabel verstand kein Wort und wollte ihrer Freundin hinterherlaufen. Doch Isabel blockte ab und drängte ihre Freundin zum Bleiben: „Die Karten waren teuer genug! Ich gebe Dir nächste Woche das Geld wieder, versprochen.“
„Isabel, das Geld ist mir doch egal! Was ist los; ist doch toll, dass wir gemeinsam mit dem Prinzen im Kino sitzen dürfen!“, schwärmte Anabel.
„Na, dann viel Spaß“, sagte Isabel und ging. Verwirrt sah Anabel ihrer Freundin hinterher.
Nach der Vorstellung ging Anabel nach Hause und rief sofort Isabel an: „Hey Isa, Du hast echt was verpasst! Prinz Harry und seine Freunde haben nur Blödsinn angestellt! Erst schmissen sie mit Popcorn, dann warfen sie mit Papierkügelchen und zum Schluss machten sie unanständige Geräusche. Wir waren alle nur noch am Lachen und Abfeiern; keiner hat mehr auf den Film geachtet …“
„Schön für Dich, wenn Dir der Film gefallen hat“, sagte Isabel.
„Sag mal, hast Du mir eben gerade nicht zugehört? Ich sagte …“
„Doch, habe ich, aber mich interessiert nicht, was der Prinz gemacht oder nicht gemacht hat; ich weiß auch so, dass der sich nicht benehmen kann!“, kam es gereizt und desinteressiert von Isabel.
„Kann es sein, dass Du den Prinzen nicht sonderlich leiden kannst?“
„Schon möglich.“
„Oh Isa … Da bist Du wohl eine der wenigen, die so empfinden!“
„Kannst ihn ja heiraten, wenn Du magst!“
„Isa?! Der kann doch bestimmt auch nichts für Deine Kündigung.“
„Und wenn doch?!“
„Was, gehört ihm etwa die Wohnungsbaugesellschaft?“, fragte Anabel ungläubig.
„Keine Ahnung. Ist mir, ehrlich gesagt, auch ziemlich egal.“
„Entschuldige, Isabel, ich albere hier herum und Dir geht’s voll schlecht. Dabei wollte ich Dich eigentlich nur ein wenig aufmuntern.“
„Ich weiß und ich danke Dir auch dafür. – Annie, sei mir bitte nicht böse, aber ich will jetzt schlafen. Der Abend war ätzend genug“, gestand Isabel.
„Was ist passiert?“, fragte Anabel daraufhin.
„Mein Vater hat das Kündigungsschreiben gelesen.“
„Oh nein! Und nun?“
„Meckert er schon den ganzen Abend herum und stellt mich als einen Nichtsnutz hin. Er meint, ich wäre unfähig einen Job länger als ein halbes Jahr durchzuhalten.“
„Das ist doch gar nicht wahr! Isabel, bitte lass Dich nicht von ihm runtermachen, hörst Du? – Sehen wir uns morgen zum Tanz? Dann können wir uns besser unterhalten als jetzt hier am Telefon. Ich hol Dich ab! Okay?“
„Okay, Annie. Dann bis morgen.“
„Ja. Gute Nacht, Isa.“
Am nächsten Tag holte Anabel ihre Freundin am späten Nachmittag von der Arbeit ab und gemeinsam gingen sie zum Fitnessstudio, wo sie in einer Tanzgruppe Freestyle tanzten. Währenddessen unterhielten sie sich über die Äußerungen von Isabels Vater und Anabel versuchte alles, um Isabel das Gefühl zu geben, kein Loser, sondern ein großartiger Mensch und eine wunderbare Freundin zu sein: „Hast Du zwischenzeitlich mit der Wohnungsbaugesellschaft gesprochen?“ Isabel nickte. „Und was haben die gesagt?“
„Dass sie mir nicht weiterhelfen können: Das Haus sei nicht denkmalgeschützt und kann damit abgerissen werden und somit seien sie angeblich auch nicht verpflichtet, mir neue Räumlichkeiten zu stellen; da sie dies ja erst vor kurzem getan haben. Gerne würden sie sich aber darum kümmern, jedoch kann ich jetzt schon damit rechnen, dass ich die dortigen Mieten nicht zahlen kann“, gab Isabel geknickt von sich.
„Hey Isa, lass bitte den Kopf nicht hängen; wir finden schon noch was! Hast Du eigentlich schon mit den Eltern Deiner fünf kleinen Rabauken gesprochen? Vielleicht haben die ja auch noch eine Idee, wo Du hinziehen könntest? Schließlich ist es doch auch in ihrem Interesse, dass ihre Kinder gut versorgt sind, während sie arbeiten gehen! Ich denke kaum, dass sie gewillt sind, sich schon wieder eine neue Tagesmutti zu suchen. Zumal die Bezahlung sicherlich woanders auch eine andere wäre?!“
„Nein, ich habe ihnen die Hiobsbotschaft noch nicht kundgetan. Ich konnte nicht! Ich wusste nicht, was ich sagen sollte! Schließlich sind wir ja gerade einmal knapp sieben Monate in den Räumen und jetzt kann ich ihnen doch nicht einfach so sagen: ‚Tut mir leid, aber ich muss hier raus und weiß noch nicht wohin. Ab sofort müssen Sie also zusehen, wo Sie Ihre Bälger lassen …‘“
„Isabel! So, natürlich nicht!“, rief sofort Anabel aufgebracht. „Du kannst doch schließlich nichts dafür! Sage ihnen einfach, wie die Fakten sind und versucht gemeinsam eine Lösung zu finden. Ich helfe Dir natürlich auch gerne dabei. Die Eltern Deiner Kinder sind doch keine Unmenschen. Wenn sie Dich nicht für fähig gehalten hätten, hätten sie ihre Kids doch gleich woanders untergebracht“, beschwichtigte Anabel ihre Freundin.
„Die haben mir ihre Kinder doch nur deshalb anvertraut, weil sie meine Mutter kennen und sie ihnen leid tut. Mehr nicht! Jetzt, wo ich keine Bleibe habe, werden sie sich schön rausreden können und selbst wenn ich innerhalb kürzester Zeit neue Räume für einen angemessenen Preis finden sollte, werden sie mir ihre Kinder nicht wieder geben: ‚Dieses ganze Hin und Her ist nicht gut für die Kleinen. Tut uns leid, da wo sie jetzt sind, sind sie gut aufgehoben und wir müssen uns keine Gedanken machen, ob morgen nicht schon wieder ein Raumwechsel bevorsteht!‘“, kam es abermals frustriert von Isabel.
Anabel seufzte tief. Sie wollte ihrer Freundin helfen und wusste doch nicht wie.
Kapitel 3
Es waren seit der Mietraumkündigung zwei Wochen vergangen und wie jeden Donnerstag trafen sich Anabel und Isabel zum Tanzen. In zwei Wochen sollte ein Tanzwettbewerb stattfinden, in dem die besten Freestyle-Tänzer gekürt werden sollten. Und Isabel und Anabel hatten sich vor gut drei Monaten vorgenommen, zu ihnen zu gehören. Doch Isabel ging es von Tag zu Tag schlechter. Sie hatte zwischenzeitlich mit den Eltern ihrer fünf Betreuungskinder gesprochen und zwei der Kinder waren schon am nächsten Tag nicht mehr gekommen. Die anderen drei Elternpaare hatten sich bereiterklärt, sich umzuhören, ob sie jemanden kennen, der Isabel neue Räumlichkeiten zu einem fairen Preis anbieten könnte. Doch bislang ergab sich diesbezüglich noch nichts und langsam, aber sicher wurde die Zeit knapp. Anabels Bruder, Alexander, hatte angeboten, die Möbel so lange in seiner Garage unterzustellen, bis Isabel wieder etwas Neues gefunden hatte.
Isabel war allen dankbar für ihre Hilfe. Doch sie war nun an einem Punkt angelangt, an dem sie selbst daran zweifelte, dass noch alles gut werden würde. Nichtsdestotrotz ließ sie sich nicht unterkriegen und freute sich sehr darüber, als Anabel ihr völlig aufgedreht gestand, dass sie zwei Karten für das Rockfestival am nächsten Wochenende von ihrem Chef – als kleine Belohnung für ihren tatkräftigen Arbeitseinsatz – bekommen habe und Isabel herzlich dazu einlud, mit ihr gemeinsam dorthin zu gehen. Und kaum war es Samstag, sieben Uhr, als sich auch schon die Türen zum Wembley-Stadium öffneten und Tausende von jungen Leuten in den Innenraum der Arena stürmten, um an einer der größten vorweihnachtlichen Rockpartys teilzunehmen, die in England stattfanden. Über die Hälfte des Konzerts erlebten Isabel und Anabel in völliger Euphorie und sie tanzten, sangen und hüpften mit all den anderen Verrückten.
Doch kurze Zeit später begrüßte der Moderator der Veranstaltung einen Ehrengast und es war kein geringerer als Prinz Harry. Während Anabel es amüsant fand, erneut dem Prinzen über den Weg zu laufen, sank Isabels Stimmung in den Keller und sie gab ein wenig begeistertes „Der schon wieder!“ von sich. Irritiert blickte Anabel zu ihrer Freundin herüber. Doch Isabel reagierte nicht darauf.
Nachdem sich der Prinz unter die illustren Konzertanhänger gemischt hatte und somit aus Isabels Blickfeld verschwunden war, kam auch ihre gute Laune wieder und erneut hüpften, tanzten und sangen sie, zusammen mit den anderen, fleißig mit. Als sich Isabel jedoch dann auf einmal spontan umdrehte, um ein paar Photos von den Massen hinter sich zu machen, entdeckte sie dabei unverhofft erneut Prinz Harry, der nur wenige Meter hinter ihnen stand und ebenfalls euphorisch dem Konzert beiwohnte. Prompt sank ihre Stimmung erneut auf den Nullpunkt.
Anabel war wie vom Blitz getroffen, als ihr Isabel daraufhin verkündete, dass sie jetzt – mitten im Konzert – gehen musste. „Was? Aber warum? Heute ist Samstag! Komm, Isa, tu mir das nicht an!“, flehte Anabel.
„Es geht aber nicht anders, Annie! Bitte entschuldige.“
„Was ist denn los? Wenn Du schon vorher gewusst hast, dass Du nicht das ganze Konzert mitmachst, hättest Du es mir doch auch sagen können und ich wäre mit Alex hierhergegangen!“, erklärte Anabel leicht enttäuscht.
„Ich wusste ja nicht, dass ich jetzt schon gehen muss …“
„Hä?! Könntest Du Dich bitte einmal genauer ausdrücken? Ich verstehe nämlich überhaupt kein Wort! Was ist passiert; oder wen hast Du gesehen, dass Du der Meinung bist, dass Du jetzt sofort gehen musst?!“ Langsam wurde Anabel wütend.
„Prinz Harry“, war alles, was daraufhin von Isabel kam.
„Was?!“ Statt einer weiteren Antwort zeigte Isabel in Harrys Richtung und nun hatte auch Anabel ihn wieder entdeckt. „Ja, und?!“, fragte Anabel weiter.
„Ich ertrage seine Nähe nicht.“
„Mensch, Isa, lass Dir doch von dem nicht den Spaß verderben. Du bleibst jetzt hier! So weit kommt es noch, dass Du wegen dem davonrennst! Ich will jetzt Party machen und Du machst mit!!!“, bestimmte Anabel noch immer wütend. Isabel wollte erneut protestieren. Doch Anabel fuhr ihr sofort über den Mund: „Wenn Du jetzt gehst, dann kannst Du unsere Freundschaft als beendet betrachten! Ich reiße mir doch nicht ständig den Hintern für Dich auf und als Dank dafür kriege ich nur einen Tritt! Lass doch den ollen Prinzen einfach links liegen; wir finden schon noch neue Räume für Dich! Außerdem, was schaust Du auch nach hinten? Vorne ist die Bühne und dort spielt auch die Musik!“
Isabel kam nicht umhin, zu bleiben. Doch die Stimmung blieb angespannt, auch nachdem sie Prinz Harry nicht mehr hinter sich stehen sah. Er schien sogar überhaupt nicht mehr da zu sein …
Die gedrückte Stimmung hielt auch weiterhin an, als Isabel gut eine Woche später dann tatsächlich aus den Räumen in der Jonesstreet heraus musste, ohne eine neue Betriebsadresse angeben zu können. Notgedrungen mussten nun auch die übrig gebliebenen drei Kinder an andere Tagesmütter abgegeben werden. Niedergeschlagen saß Isabel in ihrem Zimmer und war seit drei Tagen dort nicht mehr herausgekommen. Auch ans Telefon ging sie nicht; selbst Anabel sollte der Weg zu ihr verwehrt bleiben. Doch dies ließ Anabel nicht lange auf sich sitzen. Denn heute war der 8. Dezember, der Mittwoch, an dem in der angesagtesten Disco von ganz London, dem Club Five, der Freestyle-Wettbewerb auf dem Programm stand.
„Komm, Isabel, beweg Deinen Hintern! Wir haben nicht ganze vier Monate damit verbracht, uns eine verdammt schwere und anspruchsvolle Tanzchoreographie auszudenken, damit sie nun niemand sieht! Soll all der Schweiß und all der Muskelkater umsonst gewesen sein? Nein. Also, hoch mir Dir, sonst prügle ich Dich aus Deiner Ecke!“, schimpfte Anabel sofort los. Unweigerlich fing Isabel bei der Vorstellung an zu schmunzeln. „Na, siehst Du, geht doch! So, und jetzt machen wir uns noch ein wenig hübsch, so dass uns auch sogleich die Juroren zu Füßen liegen; und dann geht’s Abmarsch in den Club …“
Gut zwei Stunden später waren beide seelisch und physisch bereit für ihren Auftritt und so fuhren sie gegen zehn Uhr abends zum Wettbewerb. Kaum betraten sie die Disco, mussten sie sich auch sogleich in die Liste der Tanzwütigen eintragen und bereits zwanzig Minuten später waren sie auch schon an der Reihe. Sie gaben alles und waren mit ihrer gezeigten Choreographie zufrieden. Isabel konnte sogar lachen und tanzte ausgelassen mit Anabel, nachdem sie sich einen Cocktail genehmigt hatten, unbeschwert zur Musik, während sie den anderen Kandidaten bei deren Vorführungen zuschauten.
Drei Stunden später war die Siegerehrung. „Es ist erstaunlich, wie viele, und vor allem wie viele gute bis sehr gute Tänzer – dazu auch noch größtenteils weibliche Kandidaten – England vorzubringen hat. Leider kann den Hauptpreis von fünfhundert Pfund und vier Gratisstunden in einer der renommiertesten Tanzschulen in London natürlich nur ein Team gewinnen. Und dieses Jahr hat gewonnen??? Es sind zwei Newcomerinnen … Die Startnummer Acht: Isabel und Anabel! Wenn die zwei ‚Glöckchen’ einmal vortreten möchten?“, sagte Toni, der DJ.
Völlig überrascht sahen sich die beiden Mädchen an. Doch schon wurden sie von den anderen begeistert in die Mitte der Tanzfläche geschoben, wo sie sich ihren Preis abholen durften. Doch der Preis wurde nicht wie erwartet von der Jury übergeben, sondern von keinem geringeren als Prinz Harry. Anabel strahlte und wisperte: „Euer Hoheit, so sieht man sich wieder.“
Harry grinste und wollte nunmehr Isabel ihren Preis überreichen, doch sie würdigte ihn keines Blickes. Somit ergriff Harry einfach ihre Hand und drückte ihr den Gutschein regelrecht mit den Worten „Herzlichen Glückwunsch, viel Spaß bei den Gratisstunden. Tanz so weiter, es macht Spaß, Dir dabei zuzusehen“ in die Hand. Mit einem verbissenen Gesicht nahm Isabel gezwungenermaßen ihren Preis von Harry entgegen. Anschließend wollte sie wieder einmal die Flucht ergreifen. Doch dazu kam es vorerst nicht, denn das Publikum verlangte, dass die zwei Sieger noch einmal ihre Choreographie tanzten. Isabel entglitten jegliche Gesichtszüge. Doch sie kam nicht umhin, dem Wunsch Folge zu leisten.