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Du gelangst in unsere Welt aus den endlosen Wüsten,
der Weite des Meeres,
den Unendlichkeiten des Alls,
umgürtet mit der Schlange Leviathan,
Dein Kelch ist ein schwarzes Loch,
verschlingend und gebärend am Firmament hinter dem Westtor,
wo sich die Nebel des Chaos umwinden.
Dein pulsierendes Herz ist reine, rote Glut,
auf dem Amboss der Zeit geschmiedet in der Stadt der Pyramiden.
Und das Feuer lodert auf und blitzt durch Deine Augen,
die entflammen, was sie erblicken.
Du bist fest verwurzelt in den Tiefen der Erde,
in Ewigkeit verschlungen mit Deiner Mutter,
die Deine Geliebte ist im Zentrum Deines Zeichens,
dem Taukreuz.
Und doch trägt der Nachtwind Dich fort in die fernen Reiche bis
hinter die Sterne,
hinein in unsere Träume,
unser Sehnen, Wünschen und Lieben,
unser Streben, Hassen und Zähnezeigen.
Seth, ich bin wie Du, ein Werdender!
Ich habe mich aufgerüstet zu voller Größe.
Da ist ein Gott, wo ich bin.
Alles Heil dieser Welt,
wir bleiben Deiner Erde treu, Set!
Wir leben im Wind, im Sturm.
Wir leben auf der Erde und graben unsere Hände tief hinein.
Wir sind das Feuer und unsere Stütze ist ein Stab,
der die Schlange birgt. 1
(Frater Eremor)
Diese Anrufung des Gottes Seth beinhaltet mit der Gottwerdung, dem Schwur an die Erde und der Symbolik der Schlange die drei prägnantesten Motive des Vama Marg. Ebenfalls in diesem Kontext muss das Sinnbild Kephras gesehen werden, dem Skarabäus, der sich aus sich selbst heraus erschuf. Kephra gilt als Erscheinungsform des Urgottes Atum und würde in späterer Zeit als ein Aspekt des Sonnengottes Re gedeutet. Kephra symbolisiert das sich selbst Erschaffen, das aus sich selbst heraus Werden. Kephra gebiert sich selbst, aus seinem eigenen Willen heraus formt er sich und erhebt sich am östlichen Firmament. Die diesem Sinnbild innewohnende Symbolik ist zutiefst mit dem Linkshändigen Pfad verbunden, ist Kephra doch keiner höheren Macht unterworfen, sondern wird selbst zum Schöpfer. Er befindet sich in einem permanenten Schöpfungsprozess, denn er „ist“ niemals, sondern er „wird“ beständig. Kephra ist vergleichbar mit dem ewig strömenden Tao und dem „Wyrd“ der nordischen Mythologie. Eine ständige und niemals abgeschlossene Schöpfung, die lediglich dem eigenen Willen folgt. Dieser Logik folgend zeigt die ägyptische Hieroglyphe für den Terminus „Entstehung“ eben jenen Käfer. Interessanterweise haben wir es hier aber mit einem gezähmten Aspekt des Linkshändigen Pfades zu tun, denn anders als Seth, der auch zu altägyptischer Zeit gefürchtet wurde, erfreute sich die Gestalt Kephras großer Beliebtheit, was sich nicht zuletzt an der bis heute anhaltenden Tradition der Verwendung Kephras als Glücksbringer in Gestalt des Skarabäus zeigt.
Schwerer zu fassen ist der Linkshändige Pfad im Rahmen der germanischen Religion. Es gibt hier kein klassisches dualistisches Schema, alle Götter haben gute und schlechte Eigenschaften und ihre Schicksale sind zutiefst miteinander verwoben. Das Gute entsteht hier aus dem Bösen und umgekehrt – die komplexe Mythologie, die wir aus den Götterliedern der Edda und den wenigen religiösen Überlieferungen rekonstruieren können, zeugen zumeist von einer neutralen Schilderung der Verhältnisse. Die moralischen Elemente sind vergleichsweise rar gesät.
Dennoch gibt es auch hier Hinweise, dass es eine Form des Linkshändigen Pfades gegeben hat. So stürmt im Lied Aegisdrecka eda Lokasenna der zweigesichtige Loki ein von Aegir für die Götter bereitetes Festmahl und provoziert jeden Gast mit vermeintlichen Schandtaten der Vergangenheit. Auch Odin, der oberste Göttervater, bleibt davon nicht verschont und nimmt von Loki folgende Schmähworte entgegen:
Du jedoch, sagt man, schlichest auf Samsö
Umer und klopftest, als Hexe verkleidet,
an den Hausthüren an. Du wandertest zu den Völkern
als Weissage-Bettel, als schlimmes Scheusal
nach meiner Schätzung.
Diese Worte deuten auf die altgermanische Seiðr-Magie hin, die in erster Linie von Frauen praktiziert und zur Zukunftsdeutung angewandt wurde. Seiðr stand in dem Ruf „unmännlich“ zu sein, was wir, in Anbetracht des ethischen Wertesystems der Germanen, durchaus gleichsetzen können mit dem, was in manchen Kulturen der Begriff „links“ ausdrückt. Zentral ist beim Seiðr der Verlust der Kontrolle über den Körper; ein ekstatischer Zustand wird angestrebt, in dem der Kontakt zur Anderswelt hergestellt wird. Die Sagas berichten von verschiedenen Seiðr-Seherinnen und auch ihre Verfolgung wird dort gut dokumentiert. Seiðfrauen und Seiðmänner schienen als kultische Söldner zu agieren, sie standen in dem Ruf, Hagel- und Schadenszauber zu verbreiten. Interessanterweise sind das die gleichen Vorwürfe, die man noch heute den Böns vorwirft und die ihr berühmtester Vertreter, der Yogi Milarepa, in seiner Jugend auch intensiv praktizierte. Ähnlich wie in den buddhistischen Strömungen, in denen sich zahlreiche schamanische Elemente aus der Vorzeit eingebunden haben, so mag auch der Seiðr eine Praxis sein, die vor dem Einfall der indoeuropäischen Asen gemeingültig war. Wir stoßen hier erneut auf das bekannte Prinzip: Der Seiðr gehört zu den Wanen, den Erdgöttern, den chthonischen Kräften, während es die Asen in den Himmel, nach Asgard, zieht. Auch hier lässt sich die Trennung vollziehen, wenn die beiden Kräfte in der Mythologie auch ihren Frieden miteinander schließen und sich gegenseitig achten und respektieren.
Ein oft genanntes Werkzeug auf dem Weg des Linkshändigen Pfades ist die Feuerschlangenmeditation: Kundalini-Yoga. Als Kundalini wird die Feuerschlange bezeichnet, die im Körper des Menschen schlummert und durch die nach ihr benannten Meditation erweckt werden soll: Sie ruht im Schoß und wenn sie sich durch die Kraft der tantrischen Übungen erhebt und durch die Chakren aufzusteigen beginnt, öffnet sie das dritte Auge. Die Symbolik der Schlange ist in diesem Zusammenhang ungemein interessant, ist sie doch ebenfalls im Christentum das Symbol für das Unreine und Böse (also für das „Linke“) schlechthin. Es ist daher nicht überraschend, dass viele buddhistische Strömungen das Konzept der Kundalini und auch Kundalini-Yoga ablehnen und es als gefährlich einstufen.
Im Buddhismus gibt es die Strömung des Bön-Po, die buddhistische Elemente mit weitaus älteren Praktiken und Ansichten der schamanischen Bön-Tradition vereint. Vertreter dieser Strömung bewegen sich abseits der gängigen religiösen Hierarchie und sind zumeist Einzelgänger, Eremiten und gemiedene Sonderlinge. Der moderne Buddhismus hüllt gern den Mantel des Schweigens über den Bön-Kult, er wird als Relikt einer alten und primitiven Zeit angesehen, ausgestattet mit Aberglaube und primitiven Ritualen. Dass sich dieses buddhistische Schamanentum jedoch durch die Jahrhunderte behaupten konnte, spricht für sich selbst. Eine Fundgrube für Informationen über den Bön-Kult stellt das umfangreiche literarische Vermächtnis der Alexandra David-Néel dar, die von zahlreichen Begegnungen mit Anhängern der alten schamanischen Tradition berichtet. Alexandra David-Néel (1868 - 1969) studierte in Paris Orientalistik und verbrachte mehr als drei Jahrzehnte ihres Lebens in Asien. Zumeist lebte sie in Tibet, studierte die buddhistischen Traditionen und verbrachte hier unter anderem ein Jahr in einer selbstgebauten Einsiedelei auf viertausend Metern Höhe. Sie wurde als erste Europäerin in den Stand eines Lamas berufen und verfasste eine Vielzahl von Büchern über ihr angesammeltes Wissen. In ihrem Buch „Liebeszauber und Schwarze Magie“ berichtet sie über eine Gruppe von Schwarzmagiern, die hinter buddhistischen Klostermauern am „ewigen Leben“ arbeiten und dabei auch nicht vor Menschenopfern zurückschrecken. Das Buch ist in Romanform geschrieben, doch betont David-Neel, dass die Informationen und Inhalte auf wahren Begebenheiten beruhen, die ihr verschiedene Eingeweihte des Bön-Kultes mitgeteilt haben. Beschrieben wird dort unter anderem ein Ritus, bei dem ein Elixier hergestellt werden soll, welches den Anhängern des Bön-Kultes ewiges Leben schenkt. Das Opfer wird lebend in eine Grube geworfen, die mit einer Steinplatte abgedeckt ist:
Eine Steinkonstruktion in Form eines großen viereckigen Tisches nahm fast die ganze Höhle ein und ließ nur einen sehr schmalen Gang ringsum. Die Deckplatte dieses Tisches war ganz aus Eisen und von mehreren großen Löchern durchbrochen. Es konnte ein kunstloser, dem Berggenius oder irgendeinem Dämon geweihter Altar sein. Der Bön führte verschiedene Gebärden aus. Er ließ sein Gewand fallen und erschien nackt; ein Skelett, wie sein Gesicht mit einer dünnen, über die Knochen gespannten Haut bedeckt. Von einem Felsvorsprung nahm er einen kleinen runden hohlen Löffel, der mit einem langen Stiel versehen war, tauchte diesen dann in eines der offenen Löcher der Tischplatte und schien etwas zu schöpfen. Er wiederholte dies mehrmals, indem er den Gehalt des Löffels jeweils über verschiedene Teile seines Körpers goss und ihn dann einrieb. Währenddessen hörte sein gedämpfter Singsang nicht auf. (…)
‚Dies ist der wahre Trank der Unsterblichkeit‘, brachte er lehrhaft hervor. ‚Die Lebenskraft junger und kräftiger Männer ist darin aufgelöst. Für jeden anderen als einen Eingeweihten ist dieser Trank tödlich; für den auf seine Aufnahme vorbereiteten Eingeweihten wird er zur Quelle unvergänglicher Kraft. Schätzt Euch glücklich, mein Sohn, dass Ihr zum Unterhalt dieser Quelle habt beitragen können, die die oberen Meister zu wahren Göttern machen wird.‘2
Der Bön-Meister spricht hier zu seinem Opfer unterhalb des Altars, der, in der Grube eingeschlossen, bei lebendigem Leibe zwischen den Überresten seiner Vorgänger verwest und aus dessen Verwesungsdämpfen der Unsterblichkeitstrunk gebraut wird.
Der eben zitierte Passus soll nun keineswegs als symptomatisch für Praktiken des linkshändigen Pfades stehen; er soll lediglich verdeutlichen, dass der Vama Marg eben nicht nur eine Philosophie der Autonomie und Individuation darstellt, sondern sich mitunter tatsächlich in jene Gefilde begibt, die wir als unethisch betrachten. Wir müssen uns dabei vor Augen halten, dass der eigentlich relevante Part der zitierten Passage die Bindung an die Erde und an das Fleisch ist, und nicht der Weg, den wohl auch die meisten der heutigen Bön-Schamanen als unethisch betrachten würden. Über die Ngagpas berichtet David-Néel folgendermaßen:
Die Ngagpas, die „Leute der geheimen Worte“, sind Zauberer. Sie haben das Erbe der Bön-Schamanen angetreten, die, ehe der Buddhismus nach Tibet kam, dort als Priester herrschten. Der von den Hindusendboten seit dem 8. Jahrhundert in Tibet gepredigte Buddhismus war bereits weit von der Lehre des Buddha entfernt; er hatte dem Tantrismus allerlei abergläubische Bräuche entlehnt. Diese waren den Grundlehren der tibetischen Bön-Schamanen so ähnlich, dass einer teilweisen Verschmelzung der neuen und der alten Religion keine unüberwindlichen Hindernisse im Weg standen. So kommt es denn, dass unter dem Namen Ngagpas richtige Schamanen zur lamaistischen Geistlichkeit gehören, wenn auch „uneigentlich“. Ihre Aufgabe ist der Verkehr mit den Geistern. Dieser dienen sie auf verschiedene Weise, die einen zu unabhängigen Gruppen zusammengeschlossen, die sich zu bestimmten Zeiten in eigenen Tempeln vereinigen, im Übrigen aber bei ihrer Familie leben (sie dürfen heiraten), andere stehen ganz für sich und üben die von einem Meister ihrer Sekte erlernten Zauberkünste zu ihrem eigenen Nutzen aus oder, häufiger, gegen Vergütung, wenn Leute ein durch Geister erzeugtes Unheil von sich ablenken oder einen Mitmenschen auf solchem Wege schädigen wollen. Es gibt jedoch noch eine dritte Art. Einige große lamaistische Klöster der Gelbmützensekte, wie Labrang, haben sich außerhalb der Mauern eine Gruppe Ngagpas angegliedert, die als Stellvertreter der Mönche den Verkehr mit den bösen Geistern aufrechterhalten. Die Gelbmützen selbst dürfen den Geistern nicht die Ehre erweisen, nach der diese begierig sind, oder ihnen die Nahrung bieten, die sie fordern. Das tun die Ngagpas für sie gegen Entlohnung. Der Zaubertempel, den ich besichtigte, war geräumig und sehr gut erhalten. Die Fresken an den Wänden zeigten grausig-malerische Darstellungen, die man an all den „schrecklichen Gottheiten“ gewidmeten Orten findet. Die „schrecklichen Gottheiten“ sind in der Mehrzahl bekehrte oder mit Gewalt unterworfene böse Geister, die ein Zauberheiliger zwang, ihre Kraft der Verteidigung der lamaistischen Religion und ihrer Gläubigen zu widmen. Um die geheimnisvollen Götterfiguren herum hatte der Maler eine ganze Höllenwelt aufgebaut; scheußliche Teufel und Teufelinnen zogen unglückseligen Menschen die Haut ab, fraßen ihnen das Herz aus dem Leibe und was dergleichen schauerliche Beschäftigungen mehr sind. Die Tibeter sind übrigens gegen solche Bilder abgestumpft; es gibt sie in ihrem Lande in Unmassen und bis auf die Gelehrten, die ihre sinnbildliche Bedeutung kennen, schenkt ihnen niemand Beachtung.3
Alexandra David-Néel schließt ihre Ausführungen mit einer Bemerkung, die wir bedenkenlos auf heutige westliche Anhänger des Linken Pfades übernehmen können:
Die Ngagpas, in deren Tätigkeitsbereich auch die „schwarze Magie“ gehört, sind oft liebenswürdige Leute. Den Dünkel, den die Zauberkundigen aus der eigentlichen Geistlichkeit gern zur Schau tragen, kennen sie meist nicht, wahrscheinlich, weil sie eine niedrigere Stellung in der geistlichen Rangordnung einnehmen. Ich habe aber auch einige getroffen, die sich selbst und alles andere auf der Welt grundsätzlich nicht allzu ernst nehmen.4
Ein moderner Vertreter des linkshändigen Pfades ist der große britische Künstler und Visionär Austin Osman Spare (1886 – 1956), dessen Leben und Werk grenzüberschreitend und in jeder Hinsicht ein dramatisch-ekstatisches Bekenntnis an das Fleisch und die Erde darstellt. Seine kryptischen Schriften und mystischallegorischen Bilder wurzeln in einem von ihm erschaffenen Glaubenssystem, welches zuweilen mehr oder weniger treffend als Freistilschamanismus bezeichnet wird. Spare entwickelte aus dem klassischen Yoga heraus einige Ekstase- und Trancetechniken, die den psychischen Zensor des Menschen ausschalten sollen um die wahre und unbändige Kraft des Menschen zu entfesseln. Nach Spare lauert diese im Unbewussten und kann daher nur durch das Ausschalten des Bewusstseins aktiviert werden. Alle tatsächliche Macht schlummert in der Nachtseite und wird vom Bewusstsein und der alltäglichen Wirklichkeit lahm gelegt. Auch das Wissen darüber muss aus dem Wachzustand verschwinden, da das bewusste Wünschen jegliche Manifestation des Wünschens selbst verhindert. Es sind die vergessenen Träume, die zu Fleisch werden, nicht die Wünsche.
Tot ist mein Bestreben
Allzu früh verstorben,
Und mit ihm die Fürsorge der Liebe
Und das Juwel im Lotus
Die Zukunft hält nichts für mich bereit
Außer Sünde und Tod,
Abgeschnitten bin ich selbst
Von den von mir geschaffenen FREUDEN,
Nur die Einöde des Lebens verbleibt,
Doch in der Verzweiflung
Sehen wir das wahre Licht,
Und in der Schwäche werden wir stark.
AMEN.5
(Austin Osman Spare – Inferno Erde)
Spares ist ein Rausch- und Ekstasekünstler wie er in der Geschichte der westlichen Esoterik nur selten anzutreffen ist. Seine skurrile Persönlichkeit und seine konsequente Verachtung für die Gesellschaft lassen ihn den tibetischen Bön-Einsiedlern ebenbürtig werden: Ein moderner Eremit des Linkshändigen Pfades.
Oh Selbst, mein Gott! Fern ist Dein Name außer in der Blasphemie, denn ich bin Dein Ikonoklast. Dein Brot speie ich in die Fluten, denn ich selbst bin mir Fleisch genug. Verborgen im Labyrinth des Alphabets ist mein geheiligter Name, die SIGIL aller unbekannten Dinge. Auf Erden ist mein Königreich die Ewigkeit des Wünschens. Mein Wunsch inkarniert im Glauben und wird zu Fleisch, denn – ICH BIN DIE LEBENDE WAHRHEIT. Der Himmel ist Ekstase, die Verwandlung und Vereinigung meines Bewusstseins. Möge ich die Kraft haben, aus meiner eigenen Überfülle zu schöpfen. Lass mich Rechtschaffenheit vergessen. Befreie mich von Moral. Führe mich in die Versuchung meiner selbst, denn ich bin ein schwankendes Königreich aus Gut und Böse. Möge ich Reichtum durch alle Dinge erlangen, derer ich mich erfreute. Sei meiner Übertretung würdig. Gib mir den Tod meiner Seele. Berausche mich mit Selbstliebe. Lehre mich die Bewahrung ihrer Freiheit, denn Hölle bin ich zu genüge selbst. Lass mich gegen alle kleinlichen Bekenntnisse sündigen6
Diese Beispiele mögen nun genügen um einen Eindruck von der Natur des linken Pfades zu vermitteln. In Anbetracht der Materialfülle mag der Leser verzeihen, dass die Thematik des jeweiligen Kulturkreises nur angeschnitten wurde. Wer tiefer aus den Wassern des linken Pfades schöpfen möchte, der wird sich zweifellos zu helfen wissen. Denn der Linke Pfad ist für diejenigen, die gefunden haben, nicht für die, die suchen.

O siehe an dir mein beschwerliches Los,
Du, der du atmend aufsuchst hier die Toten!
Ist sonst wohl eine Strafe noch so groß?
– Dante Alighieri, Die (göttliche) Komödie –

Erste Schritte zur Befreiung von der „Urschuld“ und deren Kompensationsstrategien
FRATER SDDB
A. Ziele und Grundlagen
1. Einführung
Der nachstehende Beitrag hat seinen Ursprung im „psychologisch-spirituellen Paradigma“ – das Ziel: Erste Schritte zur Befreiung von einer scheinbaren Urschuld-/Sünde/- einer persönlichen/kollektiven Schuldfixierung und Entdeckung einer „freien, unkonditionierten Essenz“.
Der Autor dieses Beitrags ist „Chaosmagier“, d. h. nach seiner Überzeugung gibt es möglicherweise keine absolute Wahrheit – seine Magie schöpft aus der Vielzahl aller sich ihm bietenden Paradigmen – auch ohne eine Trennung vorzunehmen. Von daher geht es mehr um die Technik, als um ein spirituelles Paradigma – ob jetzt linker oder rechter Pfad. Jeder mag in dieser Essenz sehen, was er will, sie ist jedoch attributfrei und ohne spezifische Eigenschaften. Man kann sie also bezeichnen wie man mag, z. B. als das „reine Chaos“, die Leerheit, baphometische Kraft, reines Sein, das Selbst oder falls man sich ein klein wenig gruseln will, als Christusbewusstsein.
2. Grundlagen
Die psychologisch-spirituellen Ideen entstammen den Konzepten des Enneagramms und der Quantenpsychologie nach Stephen Wolinsky – ähnliche Ansätze finden sich aber auch in anderen psychologischen Modellen und Ideengebäuden z. B. in der RET nach Albert Ellis (s.u.).
Die angewandten Techniken sind schamanische Reisen, Meditationen, Invokation und Glaubenssatzarbeit/-auflösung.
Die Ideen beruhen zwar eher auf dem „Gedankengut“ des sog. „Rechten Pfades“– was aber zählt, ist das Ergebnis und nicht die Grundlage der Technik.
So strotzt die Begrifflichkeit des Enneagramm zum Teil bei manchen Autoren nur so vor christlichem Gedankengut. Dieses System lässt sich aber gut verwenden, wenn es darum geht, die eigene Existenz von (meist kulturell bedingten) Schuldfixierungen zu befreien, um die eigene göttliche Essenz freizulegen und Veränderung vorzunehmen – in welcher Richtung auch immer.
3. Die Urschuld/die Schuldfixierung
Was ist die „Urschuld“/Schuldfixierung? Sie ist eine Idee, ein Konzept, ein Glaube, mit dem wir uns bewusst oder unbewusst identifizieren und die unser gesamtes Innenleben organisiert und antreibt – sei es, dass wir uns mit ihr identifizieren oder Kompensationsstrategien entwickeln, um ihr scheinbar zu entgehen.
Diese Urschuld – eine Art „kollektiver Sündenfall“ basiert auf dem Prinzip:
Ich bin schuldig/schlecht/falsch/sündig – Dinge, die gerne von Vertretern des „Rechten Pfades“ herangezogen werden, um den Menschen glauben zu machen, er sei nicht das „Göttliche“ selbst – eine Art des menschlichen Denkens, das sich durch die gesamte Menschheitsgeschichte zieht.
Das Urschuldprinzip – ist ein „Irrglaube“ – den die Menschheit „selbst erschaffen“ hat, um sich selbst zu versklaven – um sich ihrer eigenen Göttlichkeit“ nicht bewusst sein zu müssen – also, – in Anlehnung an einen englischen Magier namens Fra. Perdurabo(der großen weißen Bruderschaft bekannt als A.A.) – aka A. Crowley – „eine Illusion, die man nur schwer los wird“.
Die „Urschuld“ ist, so gesehen, nicht unbedingt im christlichen Sinne zu verstehen (z. B. Ursünde), sie weist jedoch Parallelen dazu auf. So wurde z. B. durch einen „scheinbaren“ Abfall von „Gott“, also von sich selbst (bzw. dem Sein an sich), eine stark dualistische Sichtweise erschaffen, die es verhindert, dass der Mensch erkennt, dass er „Gott“ – oder was auch immer – ist. Ein starres Gut/Böse-Denken, sowie eine widersinnige Moral haben dann ihr übriges getan, den Menschen in Angst/Schuld und Selbstentfremdung zu halten.
Diese „Urschuld“/Schuldfixierung findet bei jedem seine spezifische Ausprägung – diesbezüglich ist die Einteilung nach dem Enneagramm und der Quantenpsychologie ganz hilfreich, ohne allerdings deren Basis, den „Rechten Pfad“, übernehmen zu müssen. In versteckter Form treibt sie bei jedem einzelnen ihr Unwesen: z. B. als Schuldgefühle, Gewissensbisse, Angst vor Fehlern, einem starren Schwarz/Weiß-Denken, etc.
4. Ziele/Vorgehensweise
Bei den folgenden Techniken und Arbeiten geht es darum, die einzelnen Schuldfixierungen bei sich selbst kennenzulernen, sie anzunehmen und die Fixierung mit ihnen etwas zu lösen, um näher an seine eigene „Essenz“ zu kommen und sich der Dinge bewusst zu werden, die einem manchmal bei der Verwirklichung eigener Ziele im Wege stehen. Sie stellen somit zum einen ein Mittel der Selbst-/Menschheitserkenntnis dar, und zum anderen bieten sie eine Möglichkeit, näher an seine „Essenz“ zu kommen – die eigene Göttlichkeit – welchem Paradigma sie auch entstammen mag.
Bei der Beschreibung der Schuldfixierungen – im „Enneagramm“ „Persönlichkeitstypen“ genannt – wird in der Literatur davon ausgegangen, dass jeder Mensch nur einem Typus in seinem Kern zuzuordnen ist, aber natürlich auch die Merkmale der anderen Typen in sich trägt. Die Entdeckung dieses spezifischen Typus ist dabei nicht immer leicht – hierbei sei auf die Literatur zum Enneagramm verwiesen. Es ist daher sinnvoll, sich mit allen Typen zu beschäftigen bzw. die Techniken mit allen neun Typen zu durchlaufen.
Zunächst werden die einzelnen Schuldfixierungen/Persönlichkeitstypen dargestellt, dann folgen die Techniken zum Erkennen und Lösen dieser Fixierung in mehreren Einzelarbeiten und einer Gruppenarbeit.
B. Exemplarische Zuordnung der Schuldfixierungen/Persönlichkeitstypen
Die Beschreibung der Schuldfixierungen und der Kompensationsstrategie stammt von Stephen Wolinsky1 die weiteren Beschreibungen sind mehreren Werken zur Enneagrammlehre2 entlehnt.