Das Arbeitsrecht ökumenischer Einrichtungen, Unternehmen und Konzerne

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b) Neutralitätspflicht des Staates
Man könnte die Vorgabe des BVerfG, wonach eine Einrichtung der Kirche zugeordnet wird, sofern sie berufen ist, „(…) ein Stück des Auftrags der Kirche wahrzunehmen und zu erfüllen“560, so verstehen, dass es gerade einer Zuordnung zu einer (einzigen) Kirche bedarf. Ein solches Verständnis würde der Pflicht des Staates zu weltanschaulich-religiöser und konfessioneller Neutralität widersprechen und kann nicht vom BVerfG intendiert sein. Würde der Staat eine Zuordnung zu einer Kirche fordern, wären sowohl Zusammenschlüsse als auch bloße Kooperationen ausgeschlossen. Damit würde er vorgeben, dass es keine Veränderungen des status quo der Religionsgemeinschaften geben kann. Das ist nicht der Fall. Im Gegenteil argumentiert das BVerfG bei der Ausdeutung des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen und Zuordnung einer Einrichtung zur Kirche nicht konfessionell – vielmehr mit der „christlichen Religiosität“.561 Staatlichen Gerichten steht es nicht zu darüber zu befinden, welche Verhaltensweisen nach dem jeweiligen Selbstverständnis einer Religionsgemeinschaft ge- oder verboten sind. Diesen obliegt die Formulierung der Eigenart des kirchlichen Dienstes, also das kirchliche Proprium.562 Maßgeblich ist also das Selbstverständnis der Kirche.563 Entspricht es also dem Selbstverständnis der jeweiligen Kirche, eine ökumenische Einrichtung gemeinsam mit einer anderen Kirche zu betreiben, kann ihr das verfassungsrechtlich garantierte Selbstbestimmungsrecht nicht versagt werden.
2. Rechtsprechung der Arbeitsgerichte
Die Frage der Reichweite des Selbstbestimmungsrechts wird im arbeitsrechtlichen Kontext im Zusammenhang mit § 118 Abs. 2 BetrVG virulent. Bisher haben die Arbeitsgerichte sich nicht zur Anwendbarkeit des Selbstbestimmungsrechts auf ökumenische Einrichtungen positioniert. Möglicherweise können jedoch Rückschlüsse aus ihrer Rechtsprechung zur Frage der Zuordnung verselbstständigter Einrichtungen der Kirchen im Allgemeinen und weltlich-kirchlicher Einrichtungen im Speziellen gezogen werden.
a) Zuordnung verselbstständigter Einrichtungen
Neben dem BVerfG hat sich auch das BAG mit den Anforderungen an die Kirchlichkeit von Einrichtungen auseinandergesetzt. Dabei sind in der Vergangenheit mehrere Brüche in seiner Rechtsprechung erkennbar: In einer Entscheidung von 1975 rekurrierte das BAG für die Zugehörigkeit einer Einrichtung zu einer Religionsgemeinschaft auf deren „tatsächliche Verbundenheit“.564 Das Gericht forderte ein Tätigwerden der Einrichtung unter Verwaltung und Aufsicht kirchlicher Organe.565 Diese Anforderung sah das BVerfG allerdings als Beeinträchtigung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts an und hob die Entscheidung zwei Jahre später auf.566 Unter Berücksichtigung der verfassungsgerichtlichen Vorgaben kam es zu einer Rechtsprechungsänderung des BAG. Nunmehr stellte es nicht mehr auf die organisatorische oder institutionelle Verbindung zur Kirche ab; maßgeblich sei, dass es sich bei der Zwecksetzung der Einrichtung um eine Wesens- und Lebensäußerung der Kirche handele.567 Wie auch das BVerfG568 betonte das BAG in der Folgezeit, dass es für die Zuordnung einer Einrichtung zur Kirche nicht entscheidend auf deren Zugehörigkeit zur Kirchenverwaltung ankomme.569
Eine erneute Rechtsprechungsänderung zeichnete sich im Jahr 1988 ab. Das BAG entschied abweichend von seiner bisherigen Rechtsprechung, dass es nicht genüge, wenn die Religionsgemeinschaft und die Einrichtung in einem näher zu bestimmendem Ausmaß institutionell verbunden seien oder sich die von beiden verfolgten Zwecke entsprechen. Vielmehr bedürfe es neben der Identität der Zwecksetzung eine „(…) noch näher zu bestimmenden verwaltungsmäßige Verflechtung“ bzw. ein „Mindestmaß an Ordnungs- und Verwaltungstätigkeit der Religionsgemeinschaft“.570 Entscheidend sei nach Ansicht des Gerichts, dass die Kirche die Möglichkeit habe, einen etwaigen Dissens zwischen ihr und der Einrichtung bei Ausübung der religiösen Tätigkeit zu unterbinden.571 Dabei müsse der ordnende und verwaltende Einfluss der Kirche allerdings nicht maßgeblich oder beherrschend sein.572 Nach Ansicht des BAG ist demnach keine mehrheitliche kirchliche Beteiligung erforderlich.
b) Parallele: Zuordnung weltlich-kirchlicher Einrichtungen
Möglicherweise können aus den – wenn auch spärlichen – Entscheidungen der Arbeitsgerichtsbarkeit zu weltlich-kirchlichen Einrichtungen Rückschlüsse auf ökumenische Einrichtungen gezogen werden. So hatte das Gericht im Fall des Zusammenschlusses eines weltlichen und eines kirchlichen Trägers für ein Krankenhaus in der Rechtsform einer gemeinnützigen GmbH mit jeweils 50%iger Beteiligung des kirchlichen Trägers und einer Kommune zu entscheiden, ob sich die Einrichtung auf das religionsverfassungsrechtliche Selbstbestimmungsrecht berufen kann. Es ging um die Frage, ob es sich bei dem Unternehmen um eine karitative Einrichtung einer Religionsgemeinschaft i.S.d. § 118 Abs. 2 BetrVG handelt. Im Einklang mit seiner bisherigen Rechtsprechung stellt das BAG darauf ab, dass für eine Zuordnung einer rechtlich selbstständigen Einrichtung zur Kirche die Einrichtung gemäß ihrem Zweck auf die Verwirklichung eines kirchlichen Auftrags gerichtet sein müsse. Entscheidend sei, dass die Amtskirche über das erforderliche Mindestmaß an Einflussmöglichkeit auf die Einrichtung verfüge.573 In der in Rede stehenden Entscheidung bejahte das BAG eine Zuordnung letztlich, weil die gesamte Einrichtung – d.h. trotz Beteiligung eines religiös-weltanschaulich neutralen staatlichen Rechtsträgers – dem kirchlichen Proprium verpflichtet war. Aufgrund der Satzung, welche die Gesellschaft als kirchlich und dem Auftrag Jesu Christi verpflichtet auswies, sei die Gesellschaft der Kirche zugehörig, so das BAG. Sofern die Arbeitgeberin nach ihren Statuten zweifelsfrei der Verwirklichung des christlichen Auftrags verpflichtet sei, sei unerheblich, wenn dies bei einem oder mehreren Anteilseignern bzw. Gesellschaftern nicht der Fall sei.574 Aufgrund der Mitgliedschaft im DW war eine institutionelle Einflussnahme durch die evangelische Kirche gewährleistet, sodass sich die Einrichtung auf das Selbstbestimmungsrecht berufen konnte.575
In einer jüngeren Entscheidung aus dem Jahr 2013 urteilte das LAG Mecklenburg-Vorpommern ähnlich.576 Auch in diesem Fall ging es um eine von Landkreis und kirchlicher Stiftung gemeinsam getragene Einrichtung. Das LAG stellt ebenso wie das BAG maßgeblich auf die formelle Zuordnung zur Kirche und deren materielle Einflussnahme ab. Dabei sei es nicht entscheidend, dass sich der kirchliche Einfluss auf mehr als die Hälfte der Gesellschaftsanteile erstreckt.577 Der hälftige Einfluss auf die Gesellschaftsanteile könne ein Verlassen des kirchlichen Bereichs verhindern.578 Es reiche aus, dass die im Gesellschaftsvertrag vorausgesetzte Möglichkeit der Übereinstimmung diakonischer und kommunaler Traditionen bestehe.579 Hieraus werde deutlich, dass für das Gericht der Auftrag zur karitativen Betätigung maßgeblich sei. Dem stehe explizit nicht entgegen, dass in Einzelfragen auch Differenzen zwischen der Ansicht der Kirche und der des Staates bestehen können. Das Gericht macht deutlich, dass es selbst bei bestehender ausgeprägter Einflussmöglichkeit der Kirche Felder gibt, in denen die kommunalen Vorschriften vorgehen. Solange diese nicht in eklatantem Widerspruch zu kirchlichen Vorgaben stünden, bestehe kein Problem.580 Hierdurch wird deutlich, dass eine Zuordnung gerade keine Übereinstimmung der beteiligten Träger in sämtlichen Fragen voraussetzt. Es reicht aus, dass im Ergebnis „kirchenvereinbare“ Lösungen gefunden werden können.581 Es bedarf einer Gesamtabwägung der Kriterien, die für oder gegen eine Zuordnung der Kirche sprechen.582
Beide Entscheidungen zeigen, dass es weder für den (kirchlich-karitativen) Zweck der Einrichtung noch hinsichtlich einer hinreichenden kirchlichen Einflussmöglichkeit darauf ankommt, wer Unternehmensträger ist. Eine kommunale Beteiligung – die ihrerseits für religiös-weltanschauliche Neutralität steht – schließt einer Zuordnung zu einer Religionsgemeinschaft nicht von vornherein aus. Dies muss konsequenterweise auch für ökumenische Betätigungen gelten, bei denen sich lediglich die Kirchen gegenüberstehen.
3. Rechtsprechung anderer Fachgerichte
Möglicherweise können andere fachgerichtliche Entscheidungen weitere Anhaltspunkte für die Beurteilung der Teilhabe ökumenischer Einrichtungen am verfassungsrechtlichen Selbstbestimmungsrecht geben:
a) BGH zum kirchlichen Mitgliedschaftsrecht
Ein vergleichender Pendelblick kann auf das kirchliche Mitgliedschaftsrecht geworfen werden. Bei den Regelungen zur Kirchenmitgliedschaft natürlicher Personen handelt es sich um „eigene Angelegenheiten“ der Kirche i.S.d. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV.583 Der BGH urteilte in diesem Zusammenhang, dass die Kirche aufgrund des kircheninternen Charakters des Mitgliedschaftsrechts und der Pflicht des Staates zur Neutralität allein für den Staat verbindlich bestimmt, „(…) was kraft innerkirchlichen Verfassungsrechts Rechtens ist“584, d.h. welche Personen unter welchen Voraussetzungen Mitglied sein können. Der BGH unterstreicht, dass der Staat diese Vorgaben anerkennen muss und nicht hinterfragen darf. Auch die Zugehörigkeit von Gemeinden zur Kirche richte sich nach deren Selbstverständnis.585 Übertragen auf die Frage der Zuordnung von Einrichtung kann konsequenterweise nichts anderes gelten: Es obliegt der Religionsgemeinschaft zu entscheiden, ob eine Einrichtung in einer gemischt konfessionellen Trägerschaft ihren Auftrag in der Welt erfüllen kann.
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