Geschichten zum Einschlafen, Wachwerden und für Zwischendurch

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Dann war es so weit. Wir konnten Waldus erkennen und wir führten ein langes Gespräch mit ihm.
Natürlich erfüllte ich das Versprechen, welches ich Waldus und meinem Opa gegeben hatte.
Noch heute beschützen meine Bienen das Zuhause der Mondelfen und niemand kennt dieses Geheimnis.
Aber heute bin ich selbst alt und bald werde ich das Geheimnis an meine Tochter weitergeben.
Ich bin sicher, sie wird alles so machen, wie es schon mein Opa und ich gemacht haben.

Der abgewrackte Klabautermann
Letzten Samstag waren wir bei Onkel Ulf. Er hat seinen Renteneinstieg oder – wie er selbst sagt – seine Abwrackung gefeiert. Onkel Ulf hat als Kapitän auf einem Frachtschiff gearbeitet. Jetzt wurde das alte Frachtschiff abgewrackt und er direkt mit. »Abwracken« bedeutet in der Seefahrt, dass ein Schiff stillgelegt und dann in seine Einzelteile zerlegt wird, weil es schwer beschädigt oder einfach schon zu alt ist.
Natürlich wird Onkel Ulf nicht stillgelegt und schon gar nicht zerlegt. Das scheint also nur so ein Ausspruch unter Seefahrern zu sein.
Leicht wird das Onkel Ulf nicht fallen. Er kann es sich noch gar nicht vorstellen, wie es sein wird, immer nur auf dem Festland zu leben.
Schließlich fuhr er schon seit dem fünfzehnten Lebensjahr zur See.
Damals hatte er als junger Matrose auf einem Schiff angeheuert, welches Menschen und Güter von Bremerhaven nach New York in Amerika brachte.
»Mit den heutigen Kreuzfahrtschiffen hatte das noch nicht viel zu tun. Das war damals harte Arbeit für uns Matrosen und man hatte viele Aufgaben an Bord so eines Schiffes. Damals mussten wir jungen Matrosen noch alles machen, vom Reinigen der Gästekajüten, also der Kabinen, in denen die Gäste schliefen, bis Kartoffelschälen in der Schiffskombüse, also der Schiffsküche. Ich glaube, ich habe in meinem Leben schon so einen Berg Kartoffeln geschält, der so hoch ist wie das Matterhorn.«
Diese Aufgaben schienen ihm aber doch gefallen zu haben, denn er konnte sich bald überhaupt nicht mehr vorstellen, irgendetwas anderes zu machen. Später bildete er sich dann zum Kapitän weiter und er verbrachte quasi sein ganzes Leben auf dem Meer.
Jetzt ist er fünfundsechzig Jahre alt und wenn es nach ihm gegangen wäre, dann hätte er auch noch zwei oder drei weitere Jahre auf den Weltmeeren geschippert. Weil aber jetzt sein Schiff außer Dienst gestellt wurde, da wäre es genug für ihn. Sich jetzt noch für zwei oder drei Jahre auf ein neues Schiff einzustellen, das wollte er nicht.
Jetzt hat er sich dieses alte Kapitänshaus an der Küste gekauft, mit einem riesigen Fenster, von dem man direkt über den Strand auf das Meer schauen konnte.
»So haben wir wenigstens ein wenig das Gefühl, dass wir noch auf der Brücke, also dem Steuerhaus eines Schiffes stehen«, meinte er zu mir.
»Onkel Ulf, du meinst doch bestimmt nicht wir, sondern ich, oder? Ich dachte, du würdest hier alleine in dem schönen Kapitänshaus wohnen. Hast du mir da irgendetwas verschwiegen? Ziehst du hier vielleicht mit einer Frau ein, von der wir alle nichts wissen? Man sagt doch, dass ein Kapitän in jedem Hafen eine Braut habe. Zieht so eine Braut jetzt zu dir?«
Onkel Ulf lachte aus vollem Herzen. »Nein, nein, eine Seemannsbraut zieht nun wirklich nicht zu mir, lass mal erst einmal den ganzen Schi Schi hier vorbei sein und alle Landratten von Bord sein, äh ich meine mein Haus verlassen haben, dann erzähle ich dir von dem Geheimnis. Das braucht hier nicht die ganze Bagage zu wissen.«
Mit Bagage meinte er wohl all seine Familienangehörigen, was auch so ein Seemannsspruch zu sein schien.
Nun ja, die Feier war ganz in Ordnung. Es gab wirklich leckere Appetithappen, die extra noch als Abschiedsgeschenk von dem Smutje zubereitet wurden, der die letzten Jahre mit Onkel Ulf auf dem gleichen Schiff angeheuert hatte. Ach ja, ein Smutje ist ein Schiffskoch und »angeheuert« bedeutet, dass jemand angefangen hat, auf einem Schiff zu arbeiten. Aber solche Wörter kennt ja sicher jeder.
Natürlich wurden auch eine Menge Reden gehalten, kleine Geschenke, die meistens mit der Seefahrt zu tun hatten, überreicht und auch der eine oder andere Klönschnack gehalten, unterm Strich, es war wie bei fast allen Renteneintrittsfeiern oder wie Onkel Ulf sagte, Abwrackfeiern.
Schließlich waren dann auch die letzten Gäste gegangen und ich wollte anfangen, aufzuräumen. Aber Onkel Ulf meinte, lass mal mien seute Deern, so nannte er mich schon als ich noch ein Baby war und so viel wie mein süßes Mädchen, also meine Süße bedeutet. Er hätte ja jetzt genug Zeit, aufzuräumen.
Wir zwei würden jetzt erst einmal mit einem Pott Friesentee auf die Terrasse gehen, uns auf die alte Bank setzen und uns ein wenig die Nordseebrise um die Nase wehen lassen. So nannte er den leichten Wind, welcher gerade wehte. Außerdem wolle er mir ja erzählen, wen er mit wir meinte.
Als wir dann mit dem Pott heißen Tee auf der Terrasse saßen, fing er an, zu erzählen.
»Hör gut zu, mien Deern und erzähle es niemandem weiter. Du weißt doch, auf jedem größeren Schiff wohnt auch ein Klabautermann. Das ist ein Schiffskobold oder manche sagen auch Schiffsgeist zu ihm.
Wie alle Kobolde spukt er auf den Schiffen herum, spielt den Matrosen auch manchmal einen Streich und hat Spaß daran, herumzupoltern.
Aber eigentlich beschützen Kobolde ja die Menschen, bei denen sie wohnen und so ist das auch bei Klabautermännern. Ich habe mich mal gefragt, warum sie so viel herumpoltern. Dann bin ich aber zu folgender Lösung gekommen: Wenn ein Kapitän einsam auf seiner Brücke steht und stundenlang in die Ferne schaut, dann kann er schon einmal müde werden und ein wenig hinter dem Steuerrad einnicken. Wenn es dann plötzlich auf dem Schiff poltert, dann zuckt er zusammen und ist erst einmal wieder hellwach. So verhindern die Klabautermänner, dass es zu irgendwelchen Kollisionen mit anderen Schiffen kommt oder man auf einer Untiefe, also einer Sandbank, aufläuft.
Ganz früher, als die Kapitäne noch mit Holzschiffen auf den Weltmeeren schipperten, da nannten ihn die Seefahrer noch Kalfatermann. Holzschiffe sind nämlich häufig mal undicht geworden und dann wurden sie kalfatert, also die Ritzen wurden mit Pech und Hanf abgedichtet. Dazu schlug man das Abdichtmaterial mit dem Werkzeug in die undichten Holzfugen, damit das Schiff nicht unterging. Wenn die Matrosen solch eine Undichtigkeit übersehen hatten, dann soll angeblich der Kalfatermann diese Arbeit übernommen haben. Das merkten die Matrosen dann immer, wenn sie das Klopfen hörten.
Also, so ein Klabautermann ist also ein Geschenk des Himmels und man kann froh sein, wenn es einen an Bord gibt. Und ich war einmal besonders froh, dass ich einen auf unserem Schiff hatte. Vor vielen Jahren kam ich einmal auf einer Fahrt nach Brasilien in schwere See. Nie im Leben hatte ich so hohe Wellen erlebt. Sie schlugen mit voller Wucht über unser Schiff und der Sturm tat sein Übriges. Plötzlich fiel auch noch die gesamte Elektrik aus und ich konnte nicht mehr navigieren. Nicht einmal die Notbeleuchtung sprang an. All unsere Schiffssysteme schienen zu versagen. Wir drohten zu sinken. Ich schaute von der Brücke herunter in die tobende See, konnte aber absolut nichts mehr erkennen. Doch da sah ich eine Gestalt, die sich mit Leichtigkeit am Fahnenmast vorne am Bug des Schiffes festzuhalten schien. Seine feuerroten Haare leuchteten in der trüben Nacht, aber noch mehr schienen seine grünen Zähne zu leuchten. Schnell bemerkte ich, dass es sich um keinen Matrosen unseres Schiffes handeln konnte.
Dann fiel mir auf, dass er wohl versuchte, mir zu helfen. Ich steuerte mein Schiff einfach in die Richtung, in die seine grünen Zähne leuchteten und nach kurzer Zeit konnte ich mit meinem Schiff das stürmische Gebiet verlassen. Er hatte uns und das Schiff gerettet. Als wir wieder in ruhigem Wasser waren, da ging ich sofort zu dem Mast. Ich wollte mich bei unserem Klabautermann bedanken. Als ich vor dem Fahnenmast stand, da war aber absolut nichts mehr von ihm zu sehen. So ist es halt mit den Klabautermännern. Man sieht sie eigentlich fast nie. Trotzdem rief ich ganz laut ›danke‹ und versprach ihm, dass ich ihm auch immer helfen werde, falls er meine Hilfe einmal benötigte. Er antwortete zwar nicht darauf, aber ich bemerkte ein dreimaliges lautes Klopfen unter meinen Füßen. So wusste ich, dass er mich auch verstanden hatte.
Als ich dann die Nachricht bekam, dass unser Schiff abgewrackt wird, da wollte ich nicht, dass er kein Zuhause mehr hat und rief in das Schiff hinein, dass ich ihn in mein Kapitänshaus mitnehmen würde. Ich habe beim Auszug aus meiner Kapitänskajüte extra eine große Seemannskiste mehr mitgenommen, in die ich keine Sachen gelegt habe. Diese steht jetzt unten im Keller und du glaubst es nicht, der Deckel ist jetzt offen und ich war es nicht. Also wohnen wir jetzt zu zweit hier. Deshalb sind wohl nicht nur mein Schiff und ich abgewrackt worden, sondern auch unser Klabautermann.
Das ist die ganze Geschichte. Nicht so ganz einfach zu glauben, aber so war es halt. Du verstehst jetzt sicher, warum kein anderer mithören sollte.«
Als Onkel Ulf die Geschichte fertig erzählt hatte, da war mein Tee schon eiskalt. Es war so spannend, dass ich total vergessen hatte, auch nur einen Schluck zu trinken. Nun ja, es könnte sein, dass Onkel Ulf mir ziemliches Seemannsgarn vorgesponnen hat. So richtig glauben wollte ich die Geschichte jedenfalls nicht.
Als ich dann am Abend selbst nach Hause ging, da kam ich an der Kellertür vorbei, welche weit offen stand. Ich schaute die Treppe hinunter und unten vor der Treppe stand tatsächlich eine große geöffnete Seemannskiste, aber was mich dann doch ein wenig stutzig machte, war ein eigenartiges Klopfen, welches irgendwo aus dem Keller zu kommen schien.

Der Dummklönschnacker
Mensch Tim, wo kommst du denn jetzt her?«, fragte sein Papa, »du weißt doch, dass Oma Leokadia und Tante Hildegunde heute zum Kaffeetrinken da sind und wenn wir nicht pünktlich um drei Uhr mit dem Kaffeetrinken anfangen, dann fangen die zwei an zu nörgeln und löchern mich mit tausend langweiligen Fragen.
Mama hat es gut, die kann den Kuchen und den Kaffee in der Küche zubereiten, aber ich muss dann brav am Tisch sitzen und alles beantworten, was sie mich so fragen. Da hab ich wirklich keine Lust zu. Immer diese komischen Fragen wie: Du kennst doch die Nachbarin von Frau Brausemann, die mit dem Dackel, den du als Kind so gerne gestreichelt hast, weißt du eigentlich, dass die gerade in ein Seniorenstift gezogen ist? Oder auch: Kannst du dich an den Friseur erinnern, der früher immer mit dem Fahrrad zu den Kunden gefahren ist, Herr Kleinlindemann, der mit dem Holzbein, dessen Tochter damals den Oberstudienrat Lutzkämper geheiratet hat, mit dem sie dann nach Amerika ausgewandert war, obwohl der ja eine feste Beamtenstelle mit guten Pensionsaussichten hatte, bla … bla … bla?
Keinen von denen kenne ich, geschweige dann, dass ich sie jemals als Kind kennengelernt habe. Eigentlich interessieren mich diese Personen auch überhaupt nicht, aber trotzdem muss ich dann ganz höflich sagen: Oh, da habe ich jetzt überhaupt keine Idee mehr, wer das wohl gewesen ist oder auch: Nein, da fällt mir gerade überhaupt nicht mehr ein, wer das wohl war. Man möchte ja höflich bleiben. Wenn wir dann wenigstens pünktlich mit dem Kuchenessen anfangen könnten, dann hätten sie ihren Mund voll und würden nicht so viele Fragen stellen und Mama wäre dann auch am Tisch und ich würde nicht alleine so gelöchert werden. Da hast du mich ja ganz schön hängenlassen. Auf die Entschuldigung bin aber mal gespannt.«
Tim schaute ein wenig verschämt auf den Boden und dann flunkerte er seinem Papa etwas vor, dass sich die Balken bogen, über das sein Papa dann aber doch lächeln musste. Wusste er doch, dass Tim auch nicht viel Lust oder Bock, wie man heute sagt, auf Oma Leokadias und Tante Hildegundes Gerede hatte.
»Ich wollte ja pünktlich kommen, aber als ich mit meinem Fahrrad vom Spielplatz nach Hause fahren wollte, da habe ich bemerkt, dass ich nicht genug Luft auf den Reifen hatte und dann musste ich erst den Umweg zu meinem Freund Uwe fahren, weil sein Vater einen Kompressor mit dem passenden Adapterstück für meine Ventile hat und das hat echt ein wenig länger gedauert. Gerade heute hatte ich meine eigene Luftpumpe vergessen, sorry, tut mir wirklich leid.«
»Soso, so war das also. Mann Tim, du hast ja genauso viel Phantasie im Unfug erzählen wie Onkel Ulf von der Nordseeküste. Der ist quasi Weltmeister im Unfug erzählen und er veräppelt die Menschen, wo er nur kann. Da könnte ich dir Geschichten erzählen, dagegen ist deine Notschwindelei gar nichts. Diese Flunkereien können aber auch nach hinten losgehen, also überlege es dir in Zukunft besser ganz genau.
Aber jetzt erst einmal ab zum Händewaschen und dann ran an die Kuchentafel. Alle warten schon auf dich und verziehe nicht wieder dein Gesicht, wenn Oma und Tante Hildegunde dir zur Begrüßung einen Schmatzer auf die Wange geben.«
Tim wusch sich brav die Hände, begrüßte seine Oma und seine Tante mutig und ohne beim Begrüßungskuss sein Gesicht zu verziehen und hörte den Erwachsenen artig zu, obwohl es eigentlich so langweilig wie immer war. Na ja, wenigstens der Kuchen schmeckte super und seine Mama hatte für ihn einen echt leckeren Kakao zubereitet. Als die beiden am frühen Abend endlich nach Hause gefahren waren, da erinnerte Tim seinen Papa sofort daran, dass er ihm ja noch etwas von Onkel Ulf erzählen wollte.
»Ach ja«, meinte sein Papa, »da war ja noch etwas.« Und dann fing er an zu erzählen.
»Schon als Junge ließ sich Onkel Ulf die seltsamsten Geschichten einfallen.
Einmal zeigte er uns Kindern bei einer Kindergeburtstagsfeier ein Einmachglas, in dem ein Heuhüpfer auf einer Plastikblume saß. Als wir ihm sagten, dass der Heuhüpfer ja so überhaupt nichts zum Fressen im Glas fände, da erzählte er uns, dass er ihn nur mit Müsli füttern würde, weil der arme Heuhüpfer unter Heuschnupfen leiden würde. Deshalb könne er ihn auch nicht wieder auf der Wiese freilassen.
Ein anderes Mal zeigte er uns eine Schnecke, welche sich in ihr Haus zurückgezogen hatte und absolut nicht ihre Fühler herausstrecken wollte.
Da hat er einfach behauptet, dass wir die Schnecke verstehen müssten. Sie war angeblich ein wenig deprimiert, da sie gerne ein Rennpferd geworden wäre.
Dann war da noch die Sache, dass er ein Schaf von seinem Onkel Karl mit Textilfarbe ganz blau eingefärbt hatte. Mit dem Schaf hat er sich dann an den Hafen gestellt und allen Touristen erzählt, dass es sich bei diesem Schaf um eine neue friesische Rasse handeln würde. Sie durften auch Fotos von dem Schaf machen, aber dafür wollte er dann einige Groschen haben, so hießen früher die Münzen, die heute fünf Cent wert sind.
Und am Veräppeln der Touristen hat er auch heute noch großen Spaß.
Wenn er einmal auf Touristen trifft, die etwas fragend schauen, dann geht er zielstrebig auf sie zu und stellt sich so vor:
›Guten Tag, wenn ich mich einmal kurz vorstellen darf. Ich bin S.E.K.R. Ulf.‹ Natürlich weiß niemand, was S.E.K.R. bedeutet. Und wenn dann doch einmal jemand wissen möchte, was das bedeutet oder fragend schaut, dann sagt er einfach, ›R wie Ranger.‹ Dann fragt keiner mehr nach. Aber dass diese Abkürzungen eigentlich selbst ernannter Klönschnack Ranger bedeuten, das erzählt er niemandem und die Touristen fragen auch nicht nach. Man könnte ja sonst denken, dass man nicht gebildet sei.
Und so tischt er ihnen dann die tollsten Geschichten auf. Er soll sogar schon einmal einem Touristen erklärt haben, dass Schafe unterschiedlich lange Beine hätten, damit sie nicht vom schrägen Deich herunterrollen. Deshalb gäbe es immer welche, die das Gras an der Seeseite und andere, die das Gras an der Landseite fressen würden.
Oder früher, als die Schafe noch wild am Deich lebten, da wären sie zum Brüten ins Watt gegangen und hätten da schwimmende Seegrasnester gebaut, aber das hat er angeblich immer nur den Touristen erzählt, die aus den Großstädten kamen und überhaupt keine Ahnung von Ackerbau und Viehzucht hatten. Eine seiner größten Schwindeleien ist immer, dass man männliche und weibliche Schafe daran unterscheiden könne, ob die Locken in ihrem Fell linksherum oder rechtsherum gewickelt seien.
Er sitzt auch gern auf einer der Bänke, die direkt an der Wasserkante stehen. Dann erzählt er den Vorbeigehenden, dass er nach Springschnecken Ausschau hielte. Wenn die durch das Watt springen würden, dann sei immer mit einer Springflut zu rechnen. Daher hätten sie übrigens auch ihren Namen.
Auch auf den Bänken in der Innenstadt sitzt er gern. Die Möwen sind ja dort an der Fischbude besonders frech und sie haben schon so manch einem unaufmerksamen Touristen einfach den Fisch vom belegten Brötchen geklaut. Dann behauptet er immer, dass die Möwen von ihrem Bürgermeister so dressiert worden seien. Er hieße Nörgel Nörgelson und jeder, der dort lebe, meine, dass es der richtige Name für ihn sei. Er nörgle schließlich den ganzen Tag rum. Zu wenig Touristen, zu viel Touristen, zu kalt für die Jahreszeit, zu heiß für den Sommer, zu viel Regen, zu wenig Regen, zu wenig Umsatzsteuer verdient und so weiter. Da sie gerade bei der Umsatzsteuer wären. Genau deshalb hätte der Bürgermeister die Möwen ja dressiert. Wenn der Fisch geklaut würde, dann müsse ein neuer gekauft werden und für alles, was verkauft würde, müsse man dann auch wieder Steuern bezahlen. Die Möwen würden quasi die Konjunktur anheizen und das sichere Arbeitsplätze und fülle das Steuerkonto. Deshalb würde man die Raubmöwen dort auch Nörgelmöwen nennen.
Ja, ja, dein Onkel Ulf ist schon ein seltsamer Vogel, aber die Menschen dort mögen ihn trotzdem sehr gern, weil er sehr hilfsbereit und immer freundlich ist. Besonders seine Freunde mögen ihn, weil er bei Problemen sofort zur Stelle ist und hilft, wo er helfen kann und vor allen Dingen lieben sie seine Späße und Streiche, es sei denn, sie sind gerade selbst davon betroffen.
Es gab eine Zeit, da war es aber selbst für seine Freunde zu viel und sie meinten, man müsste ihm auch einmal verdeutlichen, wie man sich fühle, wenn man reingelegt würde.
Damals hatte er mit seinen Freunden am Vatertag einen Spaziergang im Watt gemacht. Dazu hatten alle ihre Schuhe ausgezogen und am Strand stehen lassen. Onkel Ulf hatte heimlich alle Schuhe im Sand eingegraben und war ihnen dann hinterhergegangen. Als sie wieder an die Stelle zurückkamen, da suchten alle ihre Schuhe und waren sehr ärgerlich. Onkel Ulf saß nur am Strand und sagte nichts. Als nach dreißig Minuten alle verärgert nach Hause gehen wollten, da sagte er: ›Wartet doch nochmal eben eine Minute. Ich will nur eben meine Schuhe ausgraben, denn barfuß möchte ich nicht nach Hause gehen. Übrigens, euch würde ich raten, an der gleichen Stelle zu graben.‹
Dann ging er grinsend davon. Du kannst dir vorstellen, wie sauer seine Freunde waren.
Ein anderes Mal klingelte er bei seinem Freund und meinte: ›Mann, deine ganzen Schafe sind ja noch auf dem Deich. Hast du nicht die Wetterwarnung gehört? Wir kriegen in der nächsten Stunde eine Sturmflut!‹
Sein Freund lief sofort auf den Deich und trieb alle Schafe in den Stall, da er einen Mittagsschlaf gehalten und nicht auf die Wettervorhersage geachtet hatte. Als er dann den Wetterkanal im Radio angeschaltet hatte und nur hörte, dass das Wetter hervorragend bleiben würde, da bemerkte er sofort, dass Ulf ihn reingelegt hatte. Sein Freund war wegen dieser Sache ganz schön lange sauer.
Ein anderes Mal besuchte er in der Hafenkneipe seinen Freund Wilhelm, der die Kneipe schon sehr lange betrieb.
Wilhelm hatte sein Mobiltelefon auf dem Tresen liegen. Als er mal nicht hinschaute, nahm Ulf das Telefon und schrieb allen Freunden eine Nachricht, dass Wilhelm sein zehnjähriges Jubiläum feiern würde und am Samstag niemand sein Bier bezahlen müsse. Natürlich kamen alle. Aber als dann um zehn Uhr abends jemand eine Rede hielt und sich für die Einladung bedankte, da fiel der ganze Schwindel auf. Sein Freund Wilhelm hat natürlich das ganze Bier ausgegeben, aber irgendwie war jedem klar, dass nur Ulf dahinterstecken konnte.
Alle waren sich darüber einig, dass es jetzt reichen würde und sie trafen sich heimlich, um einen Plan zu schmieden.
Und der ging so:
Alle wussten, dass Ulf großen Spaß an der Herstellung von Kaminholz hatte. Er liebte es, wenn er an den kalten Wintertagen vor dem Kamin sitzen und bei einem Tee mit Rum ins Feuer schauen konnte.
So ging er gern in den Wald, um Bäume zu fällen und dann in seinem Garten die Holzscheite auf Länge zu bringen und zu spalten.
Diese lagerte er dann in drei großen Holzstapeln in seinem Vorgarten und war furchtbar stolz auf seinen Vorrat für den Winter. Bei jeder Gelegenheit brachte er das zur Sprache und erklärte seinen Freunden, mit welcher Axt er welches Holz gespalten habe oder wie leistungsstark seine neue Kettensäge sei.
Na ja, man merkte einfach wie wichtig ihm das war, auch wenn das manchmal echt nervte.
Und so beschlossen seine Freunde, dass sie ihn nur drankriegen könnten, wenn sie etwas mit seinem Holz machen würden. Sie wollten die Stapel sogar anzünden, aber weil sie so dicht am Haus standen und es Umweltverschmutzung gewesen wäre, da fassten sie folgenden Beschluss:
Einer von ihnen verabredete sich mit Onkel Ulf an einem Freitagnachmittag zum Angeln. Als er dann sein Haus verlassen hatte, da trafen sich dort alle anderen und luden alle drei Holzstapel auf zwei große Anhänger und versteckten diese in dem Schuppen seines Nachbarn.
Dann stellten sie ein großes Schild in seinen Garten, auf dem in großen Buchstaben geschrieben stand: Wegen Umzugs Brennholz an Selbstabholer zu verschenken. Bitte einfach mitnehmen!
Dann warteten sie alle bei dem Nachbarn, bis er nach Hause kam.
Als Onkel Ulf zu Hause ankam, konnte er kaum glauben, dass sein Holz nicht mehr da war. Er lief auf und ab, fasste sich in die Haare, sah sich immer wieder das Schild an, ging auf die Knie und brüllte in voller Lautstärke: ›So ein Schietkram!!!‹ Dann haute er vor Wut mit den Fäusten auf den Boden und die Flüche, die er ausrief, die wiederhole ich jetzt besser nicht. Dabei soll sich mehrfach seine Gesichtsfarbe von blassem Weiß zu dunklem Rot geändert haben. Als dann sein Nachbar vorbeiging, da fragte er ihn, was denn los wäre. Onkel Ulf erklärte ihm, dass sich jemand einen blöden Streich erlaubt hatte und jetzt sein ganzes Holz weg sei. Worauf der Nachbar nur meinte, dass dies eine Erklärung dafür sein könne, warum heute so viele Autos mit Anhängern vorbeigefahren wären.
Seine Freunde schauten sich das ganze Spektakel vom Fenster des Nachbarhauses an und hielten sich vor Lachen die Bäuche. Nach einiger Zeit gingen dann alle zu ihm und fragten ganz scheinheilig, was denn wohl passiert wäre. Leider mussten sie dabei ziemlich grinsen und als sein Freund Wilhelm dann noch sagte, ›da wirst du wohl im Winter frieren müssen oder du kaufst dir einfach neues Holz‹, da mussten alle furchtbar lachen. Und als Wilhelm noch einen draufsetzte und meinte, es würde zwar einiges kosten und dass er kürzlich auch viel Geld für kostenlose Getränke ausgeben musste, da wusste Ulf sofort, dass seine Freunde ihm jetzt auch einmal einen dicken Streich gespielt hatten.
Als sich dann keiner seiner Freunde mehr vor Lachen halten konnte, weil dein Onkel Ulf mit einem ziemlich bedepperten Gesicht dastand, da meinten sie, dass sie sich vorstellen könnten, dass das ganze Holz wieder an Ort und Stelle zurückkommen könnte, wenn er am kommenden Samstag den Grill anschmeißen und für die typischen friesischen Getränke sorgen würde. Das versprach er sofort. Außerdem versprach er, sich in Zukunft mit seinen Späßen ein wenig zurückzuhalten und sie nicht mehr zu veräppeln, was aber keiner von ihnen so recht glauben wollte.
Ja, so war das. Also Tim, bedenke das immer, wenn du mal jemanden veräppeln möchtest, auch wenn es nur eine kleine Notschwindelei ist. Der Schuss könnte auch einmal nach hinten losgehen.«
Als Tim abends im Bett lag, musste er noch lange über die Geschichte nachdenken, die sein Vater ihm über Onkel Ulf erzählt hatte. Er kam zu der Erkenntnis, dass er wohl besser in Zukunft seinem Vater keine Notlügen mehr auftischen sollte, wenn er einmal zu spät nach Hause käme. Aber schon am nächsten Tag wollte er seinen Vater fragen, ob sie nicht einmal zur Nordsee fahren könnten, um Onkel Ulf zu besuchen. Sein Vater hatte ihn wirklich neugierig gemacht.





