- -
- 100%
- +
Der Händler meint: „Glauben Sie mir, Sie werden sich noch dankbar an mich erinnern und froh sein, diese Maschine zu haben.“
Wirklich, im späteren Leben dankt sie Gott tausend Mal für diese Maschine.
Theres ist schwanger; sie freuen sich auf das Kind.
Sie merkt, dass Georg sie auf Händen trägt und ihre Launen in Kauf nimmt. Doch manchmal ist sie nicht zu bremsen. Es geht so weit, dass sie bei einer kleinen Auseinandersetzung auf Georg losgeht. Sie will ihm eine Watsche geben. Er fängt ihre Hand ab und drückt sie auf einen Stuhl. Sein Blick ist bitterböse.
„Theres, ich sag es dir im Guten! Erlaub dir so etwas nicht wieder. Glaub mir, ich schlag zurück!“ Dann wendet er sich ab und verlässt das Zimmer.
Theres merkt sich die Warnung, sie nimmt ihre Grenzen wahr.
DIE KINDER
Am 20. 08. 1918 wird sie von einer kleinen Tochter entbunden. Als ihr der Doktor das Kind zeigt, fährt sie zurück. Sie setzt es als selbstverständlich voraus, dass das Kind ihr gleich schaut. Das Kind tut dies aber nicht. Es hat eine dunklere Haut als sie und dunklen Haarflaum auf dem Kopf.
„Das ist nicht mein Kind!“, meint sie entrüstet.
„Doch, es ist Ihres. Freuen Sie sich darüber, denn es ist eine kleine orientalische Schönheit.“
Ja, und wie soll die kleine Tochter heißen?
Da bleibt nur wieder der Name „Theresia“.
Der Krieg ist endlich vorbei, aber die Zeiten sind noch sehr schlecht.
Die Mutter, schon einige Jahre verwitwet, wird krank. Theres, inzwischen wieder schwanger, holt sie zu sich und pflegt sie.
Doch das irdische Leben der Mutter neigt sich dem Ende zu. Im Oktober stirbt sie. Der Tod der geliebten Mutter schmerzt sie sehr, aber sie springt ihr nicht ins Grab nach, wie sie das als Kind tun wollte.
Das Leben geht weiter … weiter … weiter …
Am 12. April 1920 wird sie wieder von einer Tochter entbunden, die, wie soll es anders sein, „Maria“ getauft wird.
1927 DAS LEBEN GEHT WEITER
Das Leben geht seinen normalen Gang weiter.
Georg, Theres und die Mädchen führen ein angenehmes Familienleben.
Die Woche über hat jeder seinen Aufgabenbereich. Am Sonntag ist der Kirchgang der ganzen Familie obligatorisch. Elegant und wie aus dem Ei gepellt besuchen sie immer das Hochamt. Es ist eine christliche Familie, aber keine bigottische.
Georg, die Pflichterfüllung in Person, wird von seinen Chefs geschätzt. Dem Aufstieg in seiner beruflichen Laufbahn steht nichts im Wege. Bei seinen Arbeitskollegen ist er sehr beliebt, weil er immer hilfsbereit ist und nie Streit sucht.
DER DIEBSTAHL
Theres ist eine Superhausfrau, die alles kann und weiß, die äußerst sparsam mit dem Geld umgeht; somit mangelt es an nichts. Auch die Mädchen machen meist nur Freude.
Na ja, manchmal gibt es schon Dinge, die der sittenstrengen Mutter nicht passen. Dann gibt es von ihr schon was auf den Hintern.
Aber wie heißt es doch? „Nur nicht erwischen lassen!“
Im Frühjahr laufen die Kinder in das Clacies und pflücken Veilchen, die sie zu kleinen Sträußchen binden, im Sommer sind es Wiesenblumen. Mit diesen kehren sie an den Nordbahnhof zurück, halten nach der Mutter Ausschau und wenn die Luft rein ist, bieten sie ihre Blümchen den Reisenden zum Kauf an, ein Sträußchen kostet fünf Pfennig.
Das Geschäft läuft. Wenn die Blümchen weg sind, geht es ab zur Krämerin und der Erlös wird in Süßigkeiten umgesetzt, mit denen die Mutter immer recht geizt.
Doch mal im Winter, als es keine Blumen mehr gibt und die Lust auf etwas Süßes alle Regeln vergessen lässt, stehlen sie bei der Krämerin einen Kranz Feigen, der zwanzig Pfennig kosten würde.
Sie haben bisher noch nie etwas entwendet; sie stellen sich auch dementsprechend an. Die Krämerin merkt es, als sich die Schürze von Thea ausbeult. Die Mädchen betteln weinend, dass sie nichts ihrer Mutter sagen soll, denn die würde sie „erschlagen“. Doch die Krämerin kennt kein Pardon. Pritscherlbreit erzählt sie die Sache mit den Feigen der Mutter der Kinder.
Theres möchte vor Scham in den Boden versinken! Ihre Kinder stehlen?
Nein, solche Kinder will sie nicht!
Sie, die lebende Sittenwächterin, für die die 10 Gebote Grundlage des Christentums sind, kann diesen Verfall ihrer Kindererziehung nicht akzeptieren. Wie eine Furie verlässt sie den Kramerladen, rennt nach Hause.
Die Kinder spielen gerade am Küchentisch.
„Stehlen?“, schreit sie, „Das werde ich euch austreiben!“
Sie ist in Rage. Sie reißt die Mädchen an den Haaren von den Stühlen, schlägt wahllos auf die armen Dinger ein, schmeißt sie auf den Boden, tritt mit den Füßen nach ihnen.
Gott sei Dank ist gerade Thereses Schwester zu Besuch da. Sie hört das Schreien, stürzt in die Küche und reißt ihre Schwester von den Kindern zurück. „Bist du verrückt? Hör sofort auf!“
Da lässt die Rabiate von den Kindern ab, die mit blutenden Nasen am Boden liegen. Nun ist Ruhe und Theres verlässt die Küche. Die Tante nimmt sich der Mädchen an und versorgt sie.
Als Georg am Abend von der „Schlägerei“ erfährt, hat er mit seiner Frau unter vier Augen eine ernsthafte Auseinandersetzung. Er droht, bei Wiederholung die Mädchen zu seinen Eltern zu bringen. Damals ist es zwar noch gang und gäbe, dass Kinder von den Eltern geschlagen werden. Aber Georg ist einfach dagegen.
Theres verspricht hoch und heilig, die Kinder nicht mehr zu schlagen und hält sich auch daran.
UND WIEDER GEHT DAS LEBEN WEITER
Das Familienleben geht seinen normalen Gang weiter.
Na ja, Theres ist nicht mehr ganz so schlank, sondern ist schon ein wenig „füllig“ geworden. Sie trägt ihr Haar inzwischen kurz. Die schwere Haarpracht hat bei ihr immer wieder starke Kopfschmerzen verursacht. Nun liegen die Zöpfe abgeschnitten in einer Schublade. Theres findet ihren „Bubikopf“ sehr chic. Sie ist in ihrem Können durch nichts zu überbieten. Sie ist eine perfekte Köchin und kann aus einfachen Mitteln immer noch schmackhafte Mahlzeiten zaubern. Ihr Haushalt ist perfekt. Keine schmutzige Wäsche und auch keine Bügel- oder Flickwäsche liegt umher, das Geschirr ist immer abgespült, die Gläser, Töpfe, alles erstrahlt in Sauberkeit und Hochglanz. Sie kocht, backt, putzt, poliert, bügelt. Alte Wollsachen werden aufgetrennt und neu verstrickt. Sie schneidert und zwar alles! Jedes Stückchen Stoff findet Verwendung. Sie geht zu keinem Kaffeeklatsch oder zu Nachbarinnen. Sie lädt auch keine Freundin zum Kaffeetrinken ein. Nein, für so etwas hat sie keine Zeit.
Aber der Kontakt zu Verwandten wird gepflegt. Das ist ja etwas anderes!
Beide freuen sich über jeden Besuch und fahren auch gerne ins „Fränkische“, zu Georgs Familie. Es gibt keine Streitereien. Wenn sie dann zusammen sind, ob in Ingolstadt oder in der Fränkischen, wird es immer sehr heiter. Da wird mit Besen, Löffeln, Kamm und Seidenpapier musiziert. Es wird auch viel gesungen. Aber was wird gesungen? Es heißt doch, wenn die Bayern lustig sind, singen sie traurige Lieder. Da kommt „Der Wildschütz Jennerwein“, „Des schönste Bleamerl auf der Welt“, „Der arme Waisenbub“, „Wenn der Auerhahn balzt“, „In Nußdorf draußen“ und noch viele andere. Aber nicht nur traurige Lieder, sondern auch bayerische Schnaderhüpferl tragen zur Unterhaltung bei. Natürlich wird auch gejodelt. Der „Erzherzog-Johann-Jodler“ und der „Andachtsjodler“ fehlen da nie.
DAS SCHUSTEREHEPAAR
Also Theres braucht keine Ratscherei in der Nachbarschaft. Sie hat alles, was sie liebt und braucht.
Nur ein Ehepaar ist für Theres interessant. In der Nachbarschaft hat ein Schuster seine kleine Werkstatt. Er lebt mit seiner Frau in sehr bescheidenen Verhältnissen. Dies sind die einzigen Menschen, zu denen sie einen lockeren Kontakt pflegt. Es sind auch wirklich nette Leute.
Leni, die Schustersfrau, kann Karten legen und davon ist Theres fasziniert. Leni erklärt ihr die Legungen. Zu ihrer Überraschung bekommt sie eins Tages von dieser ein Kartendeck geschenkt. Theres praktiziert zwar das Kartenschlagen nicht, aber sie freut sich über ihr Können.
Zu Hause verwahrt sie die Karten in einer Schublade, denn Georg hat für solche Dinge kein Verständnis. Auch nicht dafür, dass sich seine sonst so praktische und bodenständige Frau mit solchen Dingen befasst.
Auch der Schuster Josef übt eine Faszination auf Theres aus.
Sie will lernen, wie man Schuhe macht, zwar nicht aus Leder, aber aus Stoff. Bald beherrscht sie dieses Handwerk fast aus dem FF. Als ihr dann Josef eines Tages erklärt, dass er seine Tätigkeit aus Gesundheits- und Altergründen aufgeben will, erwirbt sie sein Werkzeug (Leisten, Nadeln, Scheren, Lederfeilen, Dechse (Nägel, und was eben so da ist) zu einem günstigen Preis.
Diese Sachen kommen in ihr Näh- und Arbeitszimmer, damit sie alles „beieinand“ hat.
Inzwischen schreibt man das Jahr 1927.
1927 DER GEBURTSTAG VON GEORG STEHT BEVOR, ABER …
Über zehn Jahre sind Georg und Theres nun glücklich verheiratet. Sie mögen sich immer noch sehr. Töchterchen Thea wird schon ihre Erstkommunion feiern. Das Leben läuft wie am Schnürchen. Es sind keine Wünsche offen!
Gerade heute denkt Theres über die schöne Zeit zurück. Ach ja, übermorgen hat Georg Geburtstag. Da ist es doch selbstverständlich, dass sie ihm seinen Lieblingskuchen backen wird.
Als Georg Feierabend hat, sagt sie ihm kurz Bescheid, dass sie noch kurz zur Krämerin geht, um die fehlenden Zutaten zu besorgen. Sie will den Kuchen gleich morgen machen, damit er zum Geburtstag am Frühstückstisch steht.
Georg ist aber heute mit seinen Gedanken irgendwie abwesend.
„Du brauchst doch nicht extra unter der Woche wegen dem Geburtstag einen Kuchen backen.“
Er freut sich aber doch, dass seine Ehefrau wie immer auch für ihn das „Verwöhnprogramm“ auflegt. Für Theres gibt es da sowieso kein Pardon. Das wäre ja noch schöner, keinen Geburtstagskuchen zu haben.
Schon ist sie aus dem Haus, erledigt schnell ihre Einkäufe und kehrt bald nach Hause zurück.
Georg sitzt ganz in Gedanken versunken am Küchentisch und hat eine Mappe vor sich liegen.
„Was machst du denn da?“, ist ihre Frage.
Georg meint: „Ich habe heute erfahren, dass ich zum Beamten ernannt werde. In der Mappe sind alle unsere Papiere, falls mal etwas mit mir sein soll, dann weißt du, wo die Dokumente sind.“
„Jetzt hör aber auf. Übermorgen wirst du sechsunddreißig Jahre alt. Du sollst dich auf den guten Geburtstagskuchen freuen! Komm, freuen wir uns über deine Beförderung. Wir haben doch ein schönes, glückliches Leben.“
„Hast Recht, Theres, aber ich habe in der letzten Nacht schlecht geschlafen und geträumt.“ Er steht auf, küsst sie auf die Wange und drückt sie an sich. Sie verbringen gemeinsam mit den Kindern noch einen schönen Abend.
Mit der Beförderung haben sie doch wieder einen Aufstieg im Leben erreicht.
Der nächste Tag beginnt wie immer. Die Welt ist total in Ordnung. Theres backt für Georgs morgigen Geburtstag einen wunderbaren Kuchen. Der Duft zieht verführerisch durch die ganze Wohnung.
Die Mädchen halten sich am Nachmittag in dem Glacis auf. Von dort aus wollen sie gleich in die Maiandacht gehen. Theres besucht die Maiandacht nicht, aber sie hat für sich einen eigenen kleinen Maialtar, den sie jedes Jahr aufstellt.
Der Nachmittag schreitet schnell voran. Georg will noch einige Waggons überprüfen. Er freut sich schon auf den nahenden Feierabend.
Gerade beugt er sich zu einem Waggon herunter und schaut, was da repariert werden muss. Dabei sieht er nicht, dass sich in seinem Rücken ein Waggon selbstständig gemacht hat und auf ihn zurollt. Er hört noch ein leises Quietschen. Ein Kollege schreit noch: „Georg Vorsicht!“
Er erhebt sich; will schauen. Aber es ist alles zu spät!!
Der Waggon ist schon unmittelbar hinter ihm. Georg befindet sich gerade zwischen den Puffern, schon wird sein Brustkorb eingequetscht. Es wird ihm schwarz vor den Augen, er verliert das Bewusstsein. Schnell kommen die Kollegen gelaufen und lösen die Bremse von einem Waggon, damit dieser ein wenig weiter rollt. Nur so können sie Georg frei bekommen.
Der Doktor wird schnell verständigt. Auch zu Theres in die Wohnung läuft einer. „Theres, schnell, schnell, komm ganz schnell. Dein Mann ist verunglückt.“
Theres springt auf und läuft, rennt, sprintet über die Gleise.
Sie sinkt neben ihren Mann nieder. Blut läuft aus seinem Mund. Sie bettet ihn in ihre Arme.
Der Doktor ist schon eingetroffen und eine Bahre wird auch gebracht. Der Arzt schaut den Verunglückten und dann Theres an. Er schüttelt nur leicht den Kopf. Georgs Atem rasselt, das Blut sickert weiter aus seinem Mund. Er öffnet kurz die Augen, schaut Theres mit einem dankbaren Blick an, fällt zurück.
Es ist vorbei!
Man legt Georg auf die Bahre und fährt ihn in die Bahnhofshalle. Inzwischen ist auch Thereses Schwester Rosa, die in Ingolstadt wohnt, herbeigeholt worden.
Theres ist wie von Sinnen. Ihr Geist ist wie betäubt; ihr Körper reagiert wie eine aufgezogene Puppe.
Inzwischen ist die Maiandacht aus und die Mädchen befinden sich auf dem Heimweg. Da laufen ihnen Kinder entgegen. „Euer Papa ist tot!“, rufen sie. Ja, dann, als die Mädchen zu Hause sind, erfassen sie die Katastrophe, soweit es ihrem kindlichen Geist möglich ist.
Theres weiß nicht, wie sie die nächsten Stunden, Tage, Wochen, Monate überlebt. Nur in dieser kurzen Zeit ist ihr Haar ergraut.
Oft sperrt sich Theres stundenlang in die Toilette ein. Sie will nicht mehr raus, sie will nicht mehr leben. Der starke Schmerz umklammert ihr Herz wie eine Eisenzange.
Doch sie hat zwei Kinder, die brauchen sie. Für diese muss sie weiter da sein.
AB 1927 DIE WITWE
Langsam löst sich in den nächsten Monaten die Starre. Theres nimmt wieder mit einigermaßen wachen Sinnen am Leben teil. Sie bezieht eine bescheidene Witwenpension. Außerdem hat ihr die Bahnleitung die Stelle als Wiegmeisterin angeboten. Sie übt diese Position pflichtbewusst und gewissenhaft aus. So geht das Leben wieder seinen normalen Gang.
Nach den schwarzen Billionenjahren führt Theres mit den heranwachsenden Töchtern ein verhältnismäßig gutes Leben. Thea und Maria gehen zur Erstkommunion und werden gefirmt.
Natürlich hat Theres Verehrer, aber sie lässt alle abblitzen. Für sie gibt es keinen neuen Mann. Als ein Verehrer mal das Waaghäuschen betritt und zudringlich wird, schnauzt sie: „Verschwinden Sie, oder es passiert etwas!“
Doch der Verehrer gibt sich noch nicht geschlagen. „Komm, eine Frau in den besten Jahren braucht doch auch mal etwas anderes.“
Da brennen bei ihr die Sicherungen durch. Das „Rabiate“ kommt mal wieder durch. Auf dem Tisch liegt eine große Schneiderschere. Nach der greift sie und stößt diese mit aller Wucht dem aufdringlichen Verehrer in den Hintern. Mit einem Aufschrei fasst sich der an seinen blutenden Po und verlässt den Tatort.


Nur gut, dass sein Hemd, seine Hose und Unterhose den Stich etwas gemildert haben, aber die Verehrung dieses Mannes ist sie los. Er hat sie nie mehr belästigt. Dieses Geschehen macht natürlich seine Runde. Theres wird mit noch mehr Ehrerbietung und Respekt behandelt. Doch ganz im hintersten Herzensstübchen hat die kühle, beherrschte Theres auch romantische Gedanken.
In ihrer kargen Freizeit liest sie gerne Liebesromane. Besonders Hedwig Courths-Mahler und Ludwig Ganghofer haben es ihr angetan. Aber auch der Heimatdichter Hermann Löns gefällt ihr. Manchmal schreibt Theres in ihrer schönen Handschrift auch Gedichte nieder. Von einem kenn ich nur noch den Schluss:
„Deckt mich einst die kühle Erde,
Schlägt mein Herz nicht mehr für dich,
Pflanz auf meinen Grabeshügel
Das Blümelein Vergissmeinnicht.“
Theres ist ehrgeizig. In der Familie haben alle eine schöne Singstimme und ein gutes Musikgehör. Sie will, dass ihre Kinder ein Instrument spielen lernen. Sie selbst legt sich eine Gitarre zu und spielt diese ohne Kenntnisse der Noten recht passabel. Thea soll Geige lernen.
Die Mutter sucht und findet einen Lehrer, der in Ingolstadt einen guten Ruf hat. Die ersten Stunden laufen gut, doch dann weigert sich Thea, den Unterricht weiter zu besuchen. Der Lehrer hat einen schnarchenden Atem. Das kann Thea einfach nicht hören. Selbst Schläge können sie nicht dazu bewegen, die Geige nochmals in die Hand zu nehmen. Da gibt die Mutter auf. Sie denkt an ihren verstorbenen Mann, der hätte auch nachgegeben.
Maria, die jüngere Tochter, soll das besonders in Bayern so beliebte Zitherspiel lernen. Sie ist begabt, hat ein gutes Musikgehör und sie lernt mit Begeisterung. Nicht mal die Blasen an den Fingern können sie davon abhalten, fleißig zu üben und auch zu singen.
Dieser Liebe zur Musik bleibt sie ihr Leben lang treu.
(Später gibt sie diese Liebe an ihre Tochter Beate weiter.)
1927 FOLGEJAHRE WITWE THERES UND WIE GEHT ES WEITER?
Ja, bei Theres und den Töchtern gehen einige Jahre ruhig dahin. Zwar wagt es doch manchmal ein Verehrer, sich um Theres zu bemühen. Aber umsonst, denn ihre hohen Moralvorstellungen sowie ihre kühle, leidenschaftslose Art, lassen es nicht zu, sich einem Mann hinzugeben.
Wenn sie schon Vorstellungen von einem Mann hat, dann sind es romantische und sentimentale, wie sie in den von ihr gelesenen Büchern vorkommen: Ein Prinz reitet zu ihr, der verarmten Adelstochter, hin, verliebt sich in die ehr- und tugendsame Verarmte. Die große Liebe übersteht alle Widrigkeiten und Intrigen, die sich dem Liebespaar in den Weg stellen. Die Liebe siegt und wird vor dem Altar besiegelt. Fortan lebt das Paar glücklich und zufrieden auf ihrem Schloss und wenn sie nicht gestorben sind …
Ja, nur so was kommt für sie in Frage. Aber das gibt es in der Wirklichkeit nicht, schon gar nicht am Ingolstädter Nordbahnhof.
Darum versteckt sie diese Träume in der Besenkammer ihres Herzens.
1932 KOMMT ER DOCH?
Wer?
Der Prinz!
Doch eines Tages reißt es sie fast vom Stuhl, als sie einen Blick aus dem Fenster des Waaghäuschens wirft.
Ist das eine Fata Morgana? Oder reitet da nicht ein Prinz vor?
Ein junger Mann in Uniform springt vom Pferd. Kurz darauf ist er am Schalter. Er ist groß, schlank, nicht dünn, breite Schultern und schmale Hüften, eine Bilderbuchfigur! Seine Haut ist wie Samt und hat einen Olivton. Er hat volles, schwarzes, lockiges Haar und Augen so blau wie der Himmel. Lachend betritt er das Waaghäuschen. Höflich begrüßt er Theres.
Theres kann nicht anders; sie erwidert seinen Gruß auch mit einem Lächeln.
„Ich bin der Hans und komme jetzt dienstlich öfters hier vorbei“, meint er mit einer Samt- und Seidenstimme.
Inzwischen hat sich Theres wieder voll im Griff. Ihre Miene ist wieder ganz geschäftlich. Was soll auch anders sein? Er ist ein Kunde, sonst gar nichts. Träume sind in der Besenkammer. Dort bleiben sie auch. Aber jedes Mal, wenn der Hans angeritten kommt, freut sie sich.
Sie unterhalten sich ein wenig, Hans heitert die Theres immer auf. Manchmal lacht sie sogar laut heraus.
Langsam erfährt sie so nebenbei auch einiges über ihn. Er ist kein reicher Prinz. Auch beim Militär ist er kein hohes Tier. Er, auch sechsunddreißig Jahre alt wie sie, ledig, ist ein gelernter Maurer und stammt aus einem kleinen bäuerlichen „Sachl“, dem Stockinger Anwesen, zehn km von Ingolstadt entfernt.
Eines Tages lädt er sie zu einem Lokalbesuch ein. Sie lehnt erst ab.
„Nimm deine Madl mit. Wir unterhalten uns einfach.“
Der Riedenburger Hof liegt in unmittelbarer Nähe des Nordbahnhofes. Es ist wirklich nichts dabei, mal in Begleitung dort hinzugehen. Als ihr Mann noch gelebt hat, haben sie das auch öfters gemacht.
Theres sagt zu.
Es wird ein netter Abend. Hans und Theres trinken Bier, die Mädchen bekommen ein „Springerl“.
Die Töchter sind von Hans ganz angetan.
Langsam entwickelt sich eine Freundschaft. Hans lässt alle Register eines Herzensbrechers spielen. Er bringt Blumen mit, ist nett zu den Kindern, hilft der Theres und macht sich als geschickter Handwerker immer wieder nützlich. Wenn sie unterwegs sind, folgen ihnen oft neidische Blicke von Frauen.
Langsam nistet er sich so im Herzen von Theres ein. Er gewinnt immer mehr Macht über sie. Seine Besuche werden häufiger und länger. Dabei kommt die hohe moralische Mauer, die Theres um sich errichtet hat, langsam ins Wanken und eines Tages fällt sie.
Kurz darauf zieht Hans bei ihr ein. Es läuft alles glücklich und zufrieden. Wenn Hans am Abend dienstfrei hat, spielen sie Karten: „66“ und „Watten“. Manchmal holen die Mädchen einen Krug Bier dazu. Gelegentlich hat Theres den Eindruck, dass Hans einen zu gierigen Blick auf den Bierkrug wirft und auch zu hastig danach greift. Doch Hans kennt immer seine Grenzen.
Im Sommer gehen sie ab und zu in den Riedenburger Hof. Da gibt es bei einer deftigen bayerischen Brotzeit immer lustige Unterhaltung. Bei heißem Wetter kann man sich im schattigen Biergarten unter Kastanienbäumen erholen.
Alles ist perfekt!
Doch dann kommt Hans eines Tages betrunken nach Hause. Das will Theres nicht hinnehmen. Sie macht ihm große Vorwürfe und er gelobt, dass sich das nicht wiederholen wird.
DER PRINZ WIRD GEGANGEN, ABER …
Einige Tage später bittet er sie, doch eine Hose für ihn zu dämpfen. Als sie dies erledigt, stößt sie auf einen Ausweis, der sich in der Hosentasche befindet. Theres schaut sich diesen an, dabei stellt durch das angegebene Geburtsdatum fest, dass er zehn Jahre jünger als sie ist. Da reicht es der Theres. Sofort packt sie seine Sachen. Als er am Abend kommt, schmeißt sie ihn aus der Wohnung.
Hans meint, er habe doch den Ausweis extra in die Tasche gesteckt, damit sie endlich sein wahres Alter erfahren würde.
„Saufen und lügen! Nein! Verschwinde!“
Hans weint, die Mädchen weinen mit. Doch Theres kennt kein Pardon. Hans muss gehen!
Er geht!
In den nächsten Tagen und Wochen leidet Theres ungemein. Auch die Mädchen sind sehr traurig, weil Hans nicht mehr da ist. Es gibt nichts mehr zu lachen. Trübsal macht sich in der Wohnung breit. Hans dagegen passt die Mädchen ab, wenn sie zur Schule gehen oder von der Schule kommen. „Bitte, helft mir! Ihr wisst doch, wie sehr ich eure Mutter mag! Wir waren doch eine so glückliche Familie! Helft mir, damit ich wieder bei euch sein kann! Bitte, bitte!“
Dabei stehen ihm die Tränen in den Augen.
Nun jammern und weinen die Kinder der Mutter täglich vor. Theres hängt ja auch noch immer an ihrem Prinzen; sie gibt nach. Hans zieht wieder ein und sie feiern ein lustiges Versöhnungsfest.
Hans verspricht sogar, ein Haus zu bauen, und Theres kauft in der Nürnberger Straße einen Bauplatz.
Es ist alles wieder perfekt. Das Glück ist am Nordbahnhof wieder eingekehrt.
DER FOLGENSCHWERE BESUCH
Der Vater von Hans ist schon lange tot. Seine Mutter hat Theres bisher noch nicht kennen gelernt. Unerwartet taucht diese eines Tages bei Theres auf. Es ist die „Stockinger Mutter.“ Sie ist eine kleine, schmächtige, etwas gebückt gehende Bäuerin, der man ihr arbeitsreiches Leben schon an den Händen ablesen kann. Zu Fuß hat sie die zehn km nach Ingolstadt zurückgelegt. Theres freut sich über sie, bittet sie sofort in die Wohnung, richtet eine deftige Brotzeit, Kuchen und Kaffee her. Heute soll sie doch auch hier übernachten. Hans ist sowieso einige Tage im Manöver. So haben die zwei Frauen Zeit, sich zu unterhalten und zu reden. Am Abend kommt die Stockinger Mutter auch gleich und ohne Umschweife auf ihr Hauptanliegen zu sprechen.