- -
- 100%
- +
Was mich allerdings mindestens genauso interessierte, war die Tatsache, dass ich bei Norbert zum Orgasmus gekommen war. Das war zuvor so noch nicht geschehen. Klitoral kannte ich, aber vaginal war mir zuvor verschlossen gewesen. Was war also anders gewesen als sonst.
Klar, Norbert hatte mich mehr als gut vorbereiten können. Aber das alleine konnte es nicht sein, denn das hatten andere auch schon geschafft. Wenn sie dann mit mir geschlafen hatten war aber nicht das passiert, was sich bei Norbert ereignet hatte.
Es gab nur eine einzige Lösung, auch wenn mir dies nicht gefiel. Es war sein Samen, der in mir das ausgelöst hatte, was mir sonst verwehrt blieb. Dabei war mir klar, dass es nicht an seinem Sperma direkt lag, sondern an der Tatsache, dass er es in mich gespritzt hatte. Dieses Einspritzen hatte den Abzug betätigt, der meine Erlösung hervorgerufen hatte.
Ergo: wenn ich also richtig vorbereitet war, dann konnte man mich damit zum Abschuss bringen.
Irgendwie eine wenig schöne Sache. Ich konnte doch nicht zulassen, dass mich jeder, mit dem ich ins Bett stieg vollpumpte. Das war viel zu gefährlich. Mit Norbert hatte ich zum Glück jemanden kennengelernt der gesund war. Aber in diesen heutigen unsicheren Zeiten konnte so etwas nach hinten losgehen.
Ich war in einem Dilemma. Gerade das, was mir viel Freude bereitete war für mich so nicht zu haben. Dabei fühlte ich mich wie jemand, der auf einen Apfel allergisch reagierte, diesen aber essen wollte, es aber nicht durfte. Diese Frucht war mir verwehrt, wenn ich nicht zum Selbstmörder werden wollte, denn wenn der Allergiker zum Apfel griff, war er sich dem Risiko sehr bewusst. Das Dumme nur war, dass ich am Apfel geleckt hatte. Ich kannte jetzt den Geschmack und wollte mehr.
Doch wie bekommen?
Ich will damit nicht sagen, dass ich geil geworden wäre. So stark war mein Liebesdrang nun auch nicht, aber ich wollte eine Wiederholung, und zwar nicht nur eine. Norberts gab es wie Sand am Meer, nur der eine, den ich kannte, der war aus meinem Leben verschwunden. Einmal davon abgesehen war ich mir absolut nicht sicher, ob er es überhaupt mit mir ausgehalten hätte. Immerhin hatten wir uns nur zum Vergnügen getroffen, was sonst noch dazugehörte war ja gar nicht vorgekommen.
Dabei legte ich viel Wert auf Konversation. Immerhin bin ich eine Frau und da entspreche ich voll und ganz dem Klischee. Quatschen ist mein zweitwichtigster Lebensinhalt, wobei ich nicht sagen kann, was der wichtigste ist.
*
Das Ganze war nun etwa eine Woche her, bevor ich Manfred traf. Ich war zum Shoppen im Stadtzentrum und hatte wenige wichtige, einige weniger wichtige und viele vollkommen unwichtige Dinge gekauft. Mir taten die Füße und der Rücken weh und ich suchte nach einer Gelegenheit, mich für einen Moment hinzusetzten. Doch als ich an dem nächsten Café vorbei kam, musste ich zu meiner Enttäuschung feststellen, dass nicht ein Stuhl mehr frei war. Beim nächsten sah es genauso aus, doch beim Dritten hatte ich dann mehr Glück. An einem der Zweiertische saß nur eine männliche Person.
Also griff ich nach diesem Strohhalm, schlängelte mich zwischen den Menschen hindurch zum Tisch und fragte: "Ist hier noch frei?"
Der Mann am Tisch hatte einen Tablet-PC auf seinen Beinen liegen, den ich zuvor gar nicht gesehen hatte, und starrte darauf. Ohne mir zu antworten oder mich anzusehen, hob er nur einen Arm und machte damit eine einladende Bewegung.
Ich nahm die Einladung danken an und setzte mich mit einem leichten Seufzer auf den Lippen hin. Es ist gerade dieses erste wohlige Gefühl was ich so liebe, wenn die Füße entlastet werden und der Rücken sich etwas krümmen darf. Dann fühle ich mich für einen Augenblick wie im siebten Himmel.
Ich verteilte meine Taschen und Tüten um mich herum und wartete auf die Kellnerin, die den Weg zu uns fand. Danach bestellte ich mir einen sehr schwarzen und starken Kaffee, den ich jetzt wirklich nötig hatte.
Während ich auf das Heißgetränk wartete, sah ich mich in der Gegend um und beobachtete die Menschen.
Hauptsächlich Touristen, kam es mir in den Sinn, denn die vor den Bäuchen baumelnden Kameras ließen kaum Raum für Spekulationen. Mein Gegenüber hingegen war sicher kein Tourist. Er saß immer noch mit gebeugtem Rücken vor mir und starrte auf den kleinen Bildschirm. Nur ab und zu wanderte eine Hand zu der Cola, die vor ihm stand. Er griff danach, zog das Glas zu sich heran und ließ es soweit absinken, dass er mit seinem Mund an den Strohhalm kam. Nach einem winzigen Schluck wanderte das Glas zurück auf den Tisch.
Ich sah mir alles aus dem Augenwinkel an, wobei er mir irgendwie bekannt vorkam. Dabei wusste ich aber nicht, warum. Irgendetwas sagte mir, dass ich ihn kannte, aber ich kam nicht gleich drauf. Hätte er seinen Kopf angehoben, wäre es mir sicher schneller klar geworden. Doch dann kam mir die Erleuchtung und ich war mir schnell sicher, dass er es war.
Unmoderne Klamotten, komischer Haarschnitt. Dazu kam seine Größe. Doch das stärkste Argument war seine Brille, die immer noch so aussah wie vor Jahren. Wahrscheinlich hatte er davon auch zehn Stück, zumindest von dem Gestell.
"Manfred?", fragte ich leise.
Er zuckte leicht zusammen. Nur widerwillig löste sich sein Blick von dem Display und er sah mir von unten herauf in die Augen, wobei ich allerdings den Eindruck hatte, als wenn er nur ein Auge auf mich warf. Das andere hatte eher Interesse für das, was auf dem Bildschirm los war.
"Conny!", kam seine Antwort und ein Zeichen des Erkennens.
Er war es also. Warum auch nicht. Dass er sich allerdings an mich erinnerte fand ich schon verwunderlich. Immerhin war es einige Zeit her und wir hatten eigentlich niemals wirklich miteinander gesprochen. Entweder konnte er sich Menschen und Namen gut merken, oder ich war aus einem anderen Grund in seinem Gehirn verankert. Warum auch immer. Auf der anderen Seite hatte ich ihn ja auch nicht vergessen, wenn auch sicher aus anderen Gründen.
Bei seiner Antwort hatte ich allerdings nicht den Eindruck, als wenn er sich mit mir weiter unterhalten wollte. Da ich aber nicht nur so am Tisch rumsitzen wollte, konnte ich es mir nicht verkneifen die zwei Sätze zu sagen, die man immer in dieser Situation verwendet: "Wir haben uns ja schon ewig nicht mehr gesehen. Was machst du denn jetzt so?"
Manfred schien nicht wirklich von der sich anbahnenden Konversation begeistert zu sein.
Daher fiel seine Antwort auch recht einfach aus: "Och, dies und das, nichts Besonderes."
Doch dann machte er einen Fehler, den er sicher schon in dem Moment bereute, als er es sagte. Zu seinem Satz fehlte nämlich noch der zweite dazu passende: "Und du?"
Für eine Frau wie mich genau das Signal, um einen längeren Monolog zu starten. Gut, ich fing nicht bei Adam und Eva an, aber weit davon weg war es nicht.
Das gab Manfred den Rest. Es wäre unhöflich gewesen sich jetzt wieder seinem Tablet zu widmen, denn das hätte vollkommenes Desinteresse bedeutet. Also machte er das Gerät aus und sah mich jetzt richtig an, wobei ich mir nicht sicher war, ob er mir zuhörte oder ob es nur geheucheltes Interesse war. Bei ihm hätte es genauso sein können, dass er, während ich sprach, gerade über die Weltformel nachdachte. Egal wie es war, zumindest war er ein guter Zuhörer und unterbrach mich nicht. Ein unheimlicher Pluspunkt für ihn, den ich gleich auf seiner Guthabenseite verbuchte.
Dann kam endlich mein Kaffee. Jedes Mal, wenn ich einen Schluck nahm, um meine Stimme wieder zu befeuchten, meinte ich ihn aufatmen zu hören. Vielleicht genoss er die wenigen Augenblicke, in denen meine Stimme nicht an sein Trommelfell drang.
Als ich ihm meine halbe Lebensgeschichte erzählt hatte, hörte ich dann doch damit auf. Er sah zwar nicht gelangweilt aus, aber sein Gesichtsausdruck zeigte leichte Ermüdungserscheinungen. Aber noch wollte ich ihn nicht gehen lassen. Hatte ich mir doch gerade einen zweiten Kaffee bestellt und zur Untermalung des Ganzen noch eine Cola für ihn mit.
"Und wie ist es nun bei dir. Du warst doch immer unser Physiker und Bastler. Was machst du jetzt so?", versuchte ich es erneut.
"Aus Physik ist leider nicht wirklich was geworden. Ich hatte damit angefangen es zu studieren, aber das war nicht das was ich wollte. Bin dann in Richtung Maschinenbau gegangen und habe meinen Ingenieur gemacht. Ich hätte es schlechter treffen können. Guter Job, genügend Geld, meine Ruhe, und ich kann mich austoben. Was will ich mehr. Außerdem stehen mir sehr viele Werkzeuge zur Verfügung, die ich auch privat gut nutzen kann. Von daher kann ich jetzt im großen Stil etwas entwerfen, oder basteln, wie du es nennst."
Wow, diese wenigen Sätze waren mehr, als wir in der gesamten Zeit auf der Schule gewechselt hatten. Dabei kam er mir interessanter vor, als ich gedacht hätte. Es war so ein inneres Gefühl, das ich nicht beschreiben konnte. Da ich mich zuvor noch niemals mit ihm unterhalten hatte, hatte ich es auch nicht spüren können. Doch es war da und machte mich irgendwie neugierig auf ihn.
"Sag mal!", fing ich wieder an: "Wenn du mit so etwas zu tun hast, kannst du doch sicher auch schweißen oder so?"
"Was heißt, oder so?", meinte er nur trocken zurück.
"Ich habe in der Küche ein kleines Problem. Ich habe mir vor über zwei Jahren einen Tisch gekauft, der aus Stahl hergestellt ist. Auf der einen Seite ist die Verstrebung gebrochen, auf der ein Teil der Tischplatte liegt. Die Garantie ist leider schon abgelaufen und der Tisch ist zu schwer um ihn irgendwo hinzubringen. Würde es dir etwas ausmachen dir das Mal anzusehen? Ich kennen sonst niemanden der so etwas reparieren könnte!"
Was ich erzählte war wirklich so. Den Tisch hatte ich inzwischen so an die Wand gestellt, dass man die schadhafte Stelle nicht sehen konnte, doch das konnte nicht ewig so bleiben. Es wäre auch eine Möglichkeit Manfred näher kennenzulernen. Etwas in mir sagte, dass es gut für mich wäre.
Ob Manfred das ebenso sah, kann ich nicht sagen. Vielleicht war es eine Art Helfersyndrom bei ihm oder er konnte eine Bitte nicht abschlagen.
Jedenfalls sah er wenig begeistert aus, als er mich fragte: "Edelstahl?"
Ich zuckte mit der Schulter.
"Rostet es?", kam eine weitere eher gelangweilte Frage.
"Soweit ich weiß nicht. Ist nur ziemlich schwer!"
"Nur die Platte oder auch das Gestell? Nicht dass das Gestell aus Alu ist. Dann muss ich was anderes mitbringen!"
Ich schüttelte den Kopf, denn das Gestell war wirklich nicht leicht gewesen. So ein Designerstück eben. Leider anscheinend auch nicht sonderlich gut verarbeitet.
"Hmm, also gut. Wann hast du Zeit? Ich schaue es mir mal an!"
Wir vereinbarten für das Wochenende einen Termin. Ich freute mich schon jetzt auf unsere zweite Begegnung. Dann stand ich auf und schleppte meine Sachen nach Hause, wobei ich mich fast hätte ohrfeigen können, denn ich hatte ihm meine Adresse gegeben, aber seine nicht angefordert. Wenn er nun nicht kam, dann würde ich ihn wohl die nächsten fünf oder zehn Jahre nicht mehr wiedersehen. Das wäre dann schade. Auf der anderen Seite konnte ich mir das bei Manfred nicht vorstellen. So ein Mensch wie er hielt sich normalerweise an das, was er sagte. Dafür war er viel zu sehr ein Nerd. Auf ihn war sicher Verlass.
*
Als das Wochenende endlich da war, war ich innerlich aufgewühlt. Warum konnte ich nicht sagen. Dabei wusste ich nicht einmal, was ich mir von all dem versprach. Sicher war es ein nützlicher Nebeneffekt, wenn mein Tisch repariert wurde. Aber das war nur nebensächlich. Was mich auf einmal an diesem Mann interessierte, der mir zuvor nicht im geringsten auffiel, war mir schleierhaft.
Um 15:00 Uhr wollte er am Samstag da sein und wann klingelte er? Ich sah auf meine funkgesteuerte Uhr. Es klingelte um 15:00 und 00 Sekunden. Was hatte ich auch anderes erwartet? Ich drückte auf den Türöffner, und während ich darauf wartete, dass er hochkam, sah ich noch einmal in den Spiegel, ob mein Haar auch richtig saß. Dabei fragte ich mich allerdings, warum?
So viel Zeit hatte ich dann aber doch nicht, denn bis zum dritten Stock ist es nicht weit. Schon kam er die Treppe hoch gesaust und sah aus wie an dem Tag, als wir uns neulich getroffen hatten. Etwas anderes hätte mich auch gewundert. Dazu trug er dieses Mal einen Kasten in der Hand, der durchaus ein Schweißgerät sein konnte. Aber damit kannte ich mich nicht aus, nahm es nur an.
Als er mich sah, sagte er nur: "Hallo!", und wenig später, als er vor mir stand: "Wo ist der Patient?"
"In der Küche!", meinte ich nur und ging voraus.
Hinter uns machte Manfred die Tür zu und ich hörte ihn hinter mir hergehen.
In der Küche angekommen zeigte ich ihm den Patient. Ich hatte den Tisch schon von der Wand weggezogen und man konnte die gebrochene Halterung sehr gut sehen.
"Oh ha!", meinte Manfred nur und schob sich an mir vorbei in Richtung Tisch.
Er kniete sich vor den Tisch und rüttelte an dem Metallholm. Danach schüttelte er den Kopf und drehte sich zu mir um.
"Einfach schweißen bringt nicht viel. Würde wahrscheinlich nicht lange halten. Sieht außerdem hässlich aus. Da müsste ein ganz neues Stück rein!"
"Was würde so etwas kosten?", fragte ich ihn.
"Im gut sortierten Baumarkt ein paar Euro. Ich würde allerdings empfehlen alle vier Holme auszutauschen sonst hast du drei gleiche und einen anderen, denn einen genau gleichen wirst du nicht bekommen. Sieht auch nicht sonderlich toll aus!"
"Und was würde das kosten?", kam meine erneute Frage.
Manfred verdrehte seine Augen. "Ein Paar Euro mal vier. Was denn sonst?"
"Das meinte ich nicht!", war meine Antwort und amüsierte mich ein wenig über die verdrehten Augen von Manfred. Es hatte irgendwie komisch ausgesehen.
"Ich meinte nicht die Materialkosten, sondern deine Arbeitskosten!"
"Wenn du es machen lässt, sicher ein paar hundert Euro bei den Stundenkosten, die angerechnet werden!"
Dann sackte er in sich zusammen, denn die nächste Antwort wollte er eigentlich gar nicht geben.
"Wenn ich es mache, dann kostet es ein paar Euro mal vier, plus zwei Cola!"
Ich musste grinsen, denn mit so etwas wie Witz, brachte ich Manfred nicht in Verbindung.
Er sah mir ins Gesicht und musste ebenfalls grinsen. Dabei bekam sein wirklich durchschnittliches Gesicht etwas Freundliches, Angenehmes, vielleicht sogar etwas von einem Lausbuben, sofern man das so sagen kann.
"Cola hätte ich hier, Zeit hätte ich auch!", meinte ich und Manfred sah so aus, als wenn er nichts anderes erwartet hätte.
Er zog einen kleinen Meterstab aus der Hosentasche und maß die Länge nach. Den Rest schien er nur zu schätzen.
"Lass es uns hinter uns bringen!", meinte er nur und ging schon Richtung Wohnungstür.
Ich folgte ihm, griff mir nur noch meine Jacke und folgte ihm.
Draußen stand sein großer Wagen. Ein Kombi aus amerikanischer Produktion. So ein Riesending, mit dem man auch einen Umzug hätte machen können
Drinnen war es mehr als bequem. Die Sitze sahen nicht so aus, als wenn sie Standardware waren, nur hatten sie die falsche Farbe. Ich hätte eine andere genommen. Doch das sagte ich ihm natürlich nicht, denn wie hieß es doch so schön: "Besser schlecht gefahren als gut gelaufen!", wobei schlecht gefahren hier nicht richtig war.
Wenig später waren wir beim Baumarkt. Es dauerte nicht lange und schon saßen wir mit vier neuen Holmen in dem Auto und fuhren zurück. Dabei hatte ich mich schon darauf vorbereitet etwas länger im Baumarkt zu verbringen. Jedenfalls war das zuvor immer so gewesen, wenn ich mit meinem jeweiligen Lebensabschnittsgefährten dort war. Dann mussten sie immer noch mehr schauen oder kaufen als veranschlagt. Anders bei Manfred. Respekt. Er ging zielstrebig auf das, zu was er wollte, und nahm keine Abzweigung bis zum Ziel. Gradlinig auf ganzer Ebene. Bemerkenswert.
Wieder bei mir angekommen wühlte er in seinem großen Kofferraum herum und entnahm diesem zwei weitere Werkzeugkisten, dann stapfte er hinter mir her in meine Wohnung. Dabei fragte ich mich insgeheim, warum ich überhaupt mitgekommen war. Meine Anwesenheit war überhaupt nicht nötig gewesen. Ich hatte nicht einmal bezahlen müssen, denn Manfred bezahlte, als wenn es sein eigener Einkauf gewesen wäre. Mir recht, auch wenn es wirklich nur wenige Euro gekostet hatte.
Wenig später standen wir wieder in der Küche, und ich half Manfred dabei die Tischplatte abzuheben und beiseite zu stellen. Dann setzte ich mich auf einen Stuhl und sah ihm dabei zu wie er sich über den Tisch und eine Cola, die ich ihm dazu gestellt hatte, her machte. Er nahm sie mit einem Lächeln an und vertiefte sich in seine Arbeit.
Zuerst sägte er die anderen drei Holme aus dem Gestell, und schon wenig später blitzte die Schweißdiode auf. Ich drehte meinen Kopf beiseite, um nicht in die Flamme hineinzusehen. Sollte ja nicht gut sein, hatte Manfred mir gesagt.
Nachdem das Gestell provisorisch zusammengeschweißt war, kam die endgültige Naht und schon nach zwei Stunden stand ein repariertes Gestell vor mir. Nichts deutete darauf hin, dass es nicht immer schon so ausgesehen hätte.
"Fertig!", meinte Manfred nur und sagte dann: "Noch die Platte drauf und fertig ist die Laube. Ging schneller als ich gedacht hatte!"
Leider ging es so schnell, dachte ich nur, denn ich hatte ihm wirklich gerne dabei zugesehen.
Wir legten zusammen die Tischplatte auf das Gestell, und ich war mehr als glücklich darüber, dass sich der Tisch wieder im alten Zustand befand.
"Bekomme ich jetzt meine zweite Cola? Die brauche ich nach getaner Arbeit immer. Ist eine Art Ritual. Geht nicht ohne!"
Ein seltsames Ritual, das musste man schon sagen. Vor allem, dass es Cola war. Auf der anderen Seite, warum nicht. Besser als eine Zigarette.
"Schöner Tisch übrigens. Habe so etwas noch nicht gesehen. Vielleicht baue ich mir etwas Ähnliches. Mal sehen. Eine Idee habe ich schon. Wird allerdings stabiler und aus einem anderen Material. Ich hatte eigentlich schon den Gedanken mir einen aus Karbon zu backen!"
Gut, dass ich nicht lachte, denn das mit dem Backen, war ernst gemeint. Das hatte ich letztens im Fernsehen gesehen, als es allerdings um irgendwelche Teile für einen Hubschrauber ging. Ich glaube es waren die Rotorblätter, die ebenfalls gebacken wurden.
"Aha, aus Karbon. Ist das nicht recht teuer?", fragte ich, denn ich hatte davon keine Ahnung.
"Ein paar Euro mal X und ein wenig Arbeit!", war seine Antwort.
Ich musste lachen während er über beide Ohren grinste. So saßen wir noch eine ganze Weile am Küchentisch. Er schlürfte langsam seine Cola in sich hinein. Dabei sah es nicht so aus, als wenn er sich sonderlich beeilte. Es schien ihm zumindest nicht unangenehm zu sein, mit mir zusammenzusitzen. Dann musste er los. Doch bevor er verschwand, fragte ich ihn nach seiner Rufnummer und Adresse, falls ich noch etwas zu reparieren hätte.
Seltsamerweise gab er sie mir, ohne mit der Wimper zu zucken. Dann ging er seiner Wege.
Als ich meine Tür zumachte, lehnte ich mich erst einmal dagegen und atmete tief durch. Klar war ich darüber froh, dass der Tisch repariert war, aber das war nur nebensächlich. Eigentlich nur Mittel zum Zweck gewesen. Viel mehr fragte ich mich, was ich an ihm so anziehend fand. Er entsprach überhaupt nicht meinem Beuteschema, wobei ich nicht einmal wusste, ob ich eines hatte. Die Männer, die ich bis zu diesem Zeitpunkt gehabt hatte, waren alle anders gewesen. Es gab bei mir keinen Typ Mann, den ich bevorzugte.
Gut, ein paar Dinge mussten schon vorhanden sein, aber mir waren zum Beispiel die Augen oder die Haarfarbe vollkommen egal. Auch das Alter spielte keine Rolle, soweit es nicht zu extrem wurde. Ich konnte mir nur vorstellen, dass mich die ruhige und bestimmte Art von Manfred faszinierte. Gerade dieses Gradlinige hatte ich bei vielen anderen vermisst, am meisten bei mir selber. Ich konnte jetzt etwas gut finden, aber schon zwei Stunden später nichts mehr damit zu tun haben wollen. So etwas konnte ich mir bei Manfred nicht vorstellen. Was er heute sagte, würde auch übermorgen, in einem Jahr oder bis zu seinem Lebensende gelten. Vielleicht war es ja gerade das, was mich anzog, sozusagen der Gegensatz zu mir.
Tage vergingen, in denen ich nichts von ihm hörte. Warum auch. Während dieser Zeit tigerte ich durch die Wohnung und sah mich immer um, ob es nicht irgendwo noch etwas zu reparieren gab. Das ging sogar so weit, dass ich ernsthaft darüber nachdachte, etwas mutwillig kaputtzumachen, damit es etwas gab, weswegen ich ihn anrufen konnte.
Bei der Gelegenheit fiel mir dann auf, wie wenig in einer Wohnung eigentlich aus Metall besteht oder besser gesagt, was man schweißen könnte. Eigentlich nichts. Ich konnte ja schlecht die Rohre aus der Wand reißen. Da wäre ich mir zudem nicht sicher gewesen, ob er das überhaupt repariert hätte. Wahrscheinlich hätte er mir geraten den Hausmeister anzurufen, um eine Fachfirma damit zu beauftragen. Ehrlich gesagt hätte er damit Recht gehabt.
Es fiel mir wirklich nichts mehr ein, was logisch erschienen wäre.
Dann kam mir noch etwas ganz anderes in den Sinn. Was war, wenn er vielleicht verheiratet war oder in einer festen Beziehung lebte. Das hätte ihn ja nicht davon abgehalten, den Tisch bei mir fertigzumachen. An einen Ring konnte ich mich nicht erinnern, aber das hatte keine Aussagekraft. Nicht jeder trug einen. Warum machte ich mir so viele Gedanken? Sie konnten wie eine Seifenblase zerplatzen.
Also sah ich zuerst im Telefonbuch nach ob dort vielleicht zwei Namen standen. Aber da war nichts, gar nichts. Kein Eintrag, so ein Mist. Dann kam ich auf eine ganz andere Idee. Am nächsten Tag fuhr ich zu seiner Adresse und sah auf das Klingelschild bzw. verschaffte mir Zutritt zu dem Mehrfamilienhaus, in dem er lebte, um mir die Briefkastenbeschriftung anzusehen.
Hier stand aber jeweils nur der Nachname dran. Wieder eine Sackgasse. Dabei hoffte ich nur, dass er nicht gerade am Fenster stand und mich sah. Dafür fuhr ich zwar im Dunkeln hin, aber man konnte ja nie wissen.
Was ich auch tat, ich bekam seinen Familienstand nicht heraus. Ich würde ihn direkt oder indirekt danach fragen müssen.
*
Am nächsten Tag hielt ich es dann nicht mehr aus. Ich nahm mit stark klopfendem Herzen den Hörer in die Hand und wählte seine Nummer. Mehr als einen Korb konnte ich nicht bekommen. Besser so um dann wissen, was los ist, als sich noch länger darüber den Kopf zu zerbrechen.
Ich wollte gerade wieder auflegen, als er den Hörer abnahm.
"Hallo?", sagte er ohne seinen Namen uns nennen.
Ein kleines Indiz darauf, dass er alleine war. Die meisten Menschen nennen ihren vollen Namen, wenn sie nicht alleine sind, um sich klar zu identifizieren.
"Hallo, Conny hier!", sagte ich und kam etwas ins Stocken, denn meine Kehle war auf einmal vollkommen trocken und wie zugeschnürt.
Dann kam aber mein einstudierter Satz, den ich mir sogar aufgeschrieben und neben das Telefon gelegt hatte. Wenn ich aufgeregt war, vergaß ich manchmal, was ich sagen wollte. Das war dann peinlich.
"Ich war gerade einkaufen. Als ich Getränke kaufte, habe ich an dich denken müssen. Dann habe ich zwei Flaschen Cola gekauft und mich gefragt, ob du nicht Lust hättest, einmal vorbei zu kommen, um mit mir zwei Gläser davon zu trinken!"
Am anderen Ende war ein leicht unterdrücktes Lachen zu hören.
Dann meinte Manfred: "Ich haben schon viel gehört, aber das noch nicht. Alleine aufgrund deines Einfalls kann ich gar nicht ablehnen. Wenn du die Flaschen bis zum Wochenende geschlossen hältst, kann ich am Samstag vorbei kommen. Sag gleich, wenn ich Werkzeug mitbringen muss!"
Mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich meinte nur: "Samstag hört sich gut an. Ich kann ja neue Flaschen kaufen, wenn diese leer sind. Es wird genug da sein. Versprochen!
Werkzeug brauchst du nicht mitbringen. Es ist nichts kaputt gegangen. Zumindest bis jetzt nicht. Aber wenn du willst, kann ich das bewerkstelligen. Was darf es denn sein? Holz, Metall oder gar Stein?"
"Nee, lass mal. Das muss nicht sein!", sagte er und ich hörte wieder das freundliche aber unterdrückt klingende Lachen.
Es hörte sich so an, als wenn er nicht zu laut lachen wollte. Also war wohl jemand in seiner Nähe und bei dem Gedanken zog sich mir das Herz zusammen.