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"OK, dann bis Samstag, ich denke mal 18 Uhr wäre nicht schlecht. Können uns dann mal länger unterhalten, wenn du magst?"
"Geht in Ordnung, Samstag 18 Uhr. Klingt gut. Bis dann!"
Damit legte er auf und mir wurde wieder bewusst, dass er ein Mann war. Telefonieren war eher dazu da, um Informationen auszutauschen. Ich kenne keinen Mann, der einfach nur so telefoniert. Egal, ich hatte erreicht was ich wollte und war irgendwie stolz auf mich.
Dann kam endlich der Samstag. Ich hatte ausgeschlafen, war dann über den ansässigen Markt geschlendert und hatte einige frische Lebensmittel eingekauft, die ich sowieso brauchte oder für den Abend benötigte. Ich wollte zumindest einige kleine Häppchen machen, damit es nicht nur bei der Cola bleiben musste. Allerdings hatte ich so mein Problem damit, was zu diesem süßen Getränk passen würde. Um ehrlich zu sein, fiel mir dazu nicht viel ein.
Auf der anderen Seite, er kam ja nicht zum Essen, von daher war es egal.
Eine Stunde vorher machte ich mich dann fertig. Wobei nicht die Wahl der Waffen das Problem war. Ich hatte eigentlich keinen wirklichen Schlachtplan für diesen Abend und wusste nicht, wie er enden sollte. Eigentlich seltsam für mich, denn normalerweise wusste ich genau, was ich von jemandem wollte und zog mich sodann auch dementsprechend an. Doch hier blieb ich lieber neutral. Von allem etwas, nicht zu viel, nicht zu wenig.
Ich ging einfach davon aus, dass Manfred auf nichts Überkandideltes stand. Sicher mochte er lieber schlichte Eleganz. Aufdonnern war nicht angesagt. Also blieben der knallige Lippenstift und die ebenso bunten Krallenlacke unbeachtet, sondern es kamen die gedeckten Farben auf Haut und Nägel. Noch ein dezentes Parfüm. Dazu einfache aber sehr gut sitzende Jeans mit Bluse und halbhohen Pumps. Na gut, die waren in einem recht satten Blau und hatten glänzende Stahlabsätze. Dies war aber der einzige Eyecatcher, den ich mir gönnte. Ob es in seinem Sinne war konnte ich nicht sagen. Kurz vor Sechs stand ich im Flur und besah mein Ergebnis im Spiegel der Garderobiere.
Es passte schon, war aber leider doch nicht so perfekt, wie ich es gerne gewollt hätte. Irgendwie fehlte noch etwas zur Vollständigkeit. Vielleicht war es doch zu brav gewählt. Also öffnete ich den oberen Knopf meiner Bluse und fand, dass es nun besser zu mir passte. Noch einmal von links, dann von rechts betrachtet, die Haare geformt und dann warten.
17:58:00 Uhr. Zwei Minuten noch. Wie lange können zwei Minuten sein. 120 Sekunden, eine Ewigkeit, wenn man auf etwas wartet.
17:59:50 Uhr. Zehn Sekunden noch. Mein Herz schlug schneller und kräftiger, während dessen ich den Countdown mitzählte.
10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1, Herzstillstand und dann?
Auf Null erfolgte das Klingeln. Beneidenswert, diese Pünktlichkeit. Wie machte er das nur. Ich hätte das niemals geschafft.
Jetzt war es an mir, noch zehn Sekunden zu warten. Sofortiges Öffnen ging gar nicht. Ich war schließlich nicht am Ertrinken.
Na gut, bis 10 schaffte ich es nicht. Nach fünf Sekunden fand mein Finger den Knopf des Türöffners.
Ich ließ die Tür offen stehen und ging in die Küche, um zu demonstrieren, wie normal es war, von ihm besucht zu werden.
Dann klopfte er an die Tür und ich ging in den Flur, da ich mich wunderte, dass er es tat.
"Bittest du mich herein oder soll ich hier vor deiner Tür stehen bleiben?"
Wow, ein Mann mit Manieren. Ein solches Exemplar sollte man eigentlich nicht vom Haken lassen, wobei er noch gar nicht an meinem zappelte. Ich hielt die Angel schließlich nur in der Hand, hatte sie aber noch nicht wirklich ausgeworfen.
Manfred sah aus wie beim letzten Mal. Was hatte ich auch erwartet? Allerdings hatte er dieses Mal keinen Werkzeugkoffer dabei, sondern hielt mir ein Geschenk entgegen, was mehr als verdächtig nach einer Flasche Wein aussah. Sehen konnte ich die Flasche allerdings nicht, denn um sie herum war ein relativ geschmackvolles Geschenkpapier gewickelt. Man konnte dabei sehen, dass es nicht professionell eingepackt worden war, denn es passte nicht wirklich. Also hatte Manfred es wohl selber gemacht. Aber immerhin, wieder ein Pluspunkt für ihn.
Wenig später saßen wir im Wohnzimmer und ich packte den Wein aus, wobei ich zugeben muss, dass ich zwar Wein trinke, aber davon keine Ahnung habe. Ob gut oder schlecht, ob teuer oder günstig ist mir einerlei. Hauptsache er schmeckt. Manfred erklärte mir zwar, was es für ein Wein war, aber das blieb mir nicht im Gedächtnis. Was dort allerdings verblieb, war die Tatsache, dass er dunkelrot, herzhaft und nicht zu sauer war, wobei ich natürlich den fachgerechten Ausdruck "trocken" hätte verwenden müssen.
Manfred saß in einem der beiden Sessel und ich auf dem Zweiersofa. Mehr passte in mein etwas klein geratenes Wohnzimmer nicht hinein, um nicht überladen zu wirken. Ich brauchte Luft und konnte es nicht ab, wenn alles so vollgestellt war.
Manfred sah sich zuerst einmal um und stand dann auf einmal wieder auf, denn er hatte mein Bücherregal entdeckt. Nicht sehr groß und eigentlich standen mehr Nippes-Sachen darin als Bücher, aber trotzdem stand er davor und betrachtete die Buchrücken. Somit hatte er sich einen Überblick über meine Literatur verschafft und setzte sich wieder hin.
"Interessant!", meinte er und begann dann das Gespräch.
Es war gut, dass er begann, denn in mir war eine Leere, die ich nicht kannte. Eigentlich hatte ich immer irgendwas zum Quatschen, aber bei Manfred fand ich keinen Anfang. Da war es schon ein Glücksfall für mich, dass er etwas gefunden hatte.
"Ich schaue mir immer, sofern möglich, die Bücher an, die jemand im Regal hat. Man erfährt dann vorab schon viel von dem Menschen. Besonders wenn er alleine lebt. Zumindest gehe ich davon aus, dass es bei dir so ist?"
Elegant gefragt, verbunden mit einem anderen Thema und frei heraus. Nicht schlecht. So einfach konnte das gehen. Eine Frage, die eigentlich schon eine Feststellung war.
"Wie kommst du darauf, dass ich alleine bin?", fragte ich noch einmal zur Absicherung.
"Die Bücher sind zum großen Teil aus deiner Jugend, nehme ich zumindest an, und sie sind sehr weiblich geprägt. Hanni und Nanni findet man selten in Regalen von Jungen. Die weiteren, neueren Bücher sind ebenfalls mehr oder weniger auf Frauen zugeschnitten. Die Romane, die dort stehen, sind von Autorinnen verfasst, die eher auf die Ansprüche von Frauen zielen. Liebe, Intrige, Herzschmerz. Genau das, was viele Frauen lieben. Von Männern doch eher selten gelesen. Ansonsten finde ich keine Literatur, die auf männliche Anwesenheit hindeutet!"
Analyse gelungen. War auch sicher nicht schwer. Musste ich mir merken, mir bei meinen Freunden als Erstes die Bücher anzusehen. Könnte viel helfen um in keine Fettnäpfchen zu treten, wie ich es so gerne tat.
"Allerdings habe ich gesehen, dass du auch drei bekannte historische Romane dort stehen hast. Stehen die dort nur als Lückenfüller oder hast du die wirklich gelesen?"
"Die habe ich wirklich gelesen. Tolle Bücher!"
Womit ich nicht gerechnet hatte, war, dass Manfred in diesem Thema vollkommen aufging. Hatte ich mir zuvor schon Sorgen gemacht, dass uns nach dem Thema Schule nichts mehr einfallen würde, hatte ich mich vollkommen getäuscht. Das Thema kam gar nicht auf den Tisch. Stattdessen schwelgten wir in den Erinnerungen an diese Bücher, die er selber auch gelesen hatte. Dazu lieferte er Hintergrundinformationen, von denen ich keine Ahnung hatte. Dabei machte er es nicht wie ein Lehrer, belehrt mich also nicht, sondern warf diese Infos oft wie eine Anekdote einfach mit ins Gespräch ein. Er konnte richtig lustig sein, und manches Mal hatte ich wirklich den Eindruck, dass er ein kleiner Entertainer war, denn oft veränderte er seine Stimme, stand sogar dabei auf und machte entsprechende Bewegungen vor.
Das hätte ich wirklich nicht vermutet und so zog sich der Abend sehr kurzweilig dahin. Was ich außerdem interessant fand, war die Tatsache, dass sein Blick immer wieder an meinen Schuhen hängen blieb. Schon als er in der Tür gestanden hatte, hatte er mich schnell von oben bis unten gemustert und seine Augen blieben länger nach unten gerichtet. Da ich mir nicht sicher war, ob es das war was ihn interessierte, schlug ich jetzt öfters abwechselnd meine Beine übereinander. Somit veränderte sich ständig die Position meiner Pumps. Sein Blick folgte, blieb dort öfter und länger hängen, als an allem anderen.
Ich musste innerlich grinsen, als ich mir jetzt sicher war. Zumindest hatte ich etwas gefunden, was ich verwenden konnte. Einen Mann der Schuhe liebte, gibt es wahrlich nicht so oft. Das könnte sich als nützlich erweisen, besonders dann, wenn wir einmal zusammen einkaufen gehen sollten.
Schade war nur, dass die Flasche Rotwein schon nach relativ kurzer Zeit aufgebraucht war.
"Hmm", sagte Manfred, "schon leer. Hätte ich nicht gedacht, dass es so schnell geht. Schmeckt heute aber auch wirklich hervorragend. Ich sollte noch eine davon holen!"
Da hatte ich allerdings etwas dagegen. Dafür wäre er zu lange weg gewesen und hätte die Stimmung kaputtgemacht.
Doch ich war angenehm überrascht, als es sagte: "Ich gehe mal eben zu meinem Wagen. Da ist noch was drin. Bin gleich wieder da!"
Schon stand er auf und ging aus der Wohnung. Fünf Minuten später kam er leicht außer Atem wieder im Wohnzimmer an und hielt einen Karton in den Händen.
"Von Wein kauft man immer mindestens sechs Flaschen. Ist übel, wenn man keine mehr hat, wenn es gerade schmeckt!"
Dabei grinste er über das ganze Gesicht und fischte eine weitere Flasche aus dem Behältnis. Mit einem satten Ploppen zog er den Korken aus der Flasche und schon war wieder etwas von dem blutroten Saft der Trauben in unseren Gläsern.
Schnell fanden wir zu unserem Gesprächsthema zurück und redeten weiter. Mit Manfred war es kein Quatschen wie sonst mit anderen, sondern wirklich reden. Man unterhielt sich über Dinge, die eher selten auf den Tisch kamen und gerade das machte mit ihm unheimlichen Spaß. Man konnte mit ihm über Gott und die Welt diskutieren, ohne den Eindruck zu gewinnen, dass er ein Klugscheißer war. Eben kein Lehrer.
Irgendwann stand ich auf, denn ich musste mal. Dabei achtete ich genau darauf, wie er auf mich reagierte. Sein Blick wanderte an mir entlang, und als ich am Tisch vorbei ging und meine Pumps wieder zu sehen waren wanderte sein Blick sofort darauf. Dabei konnte ich mir noch so viel Mühe geben und mit den Hüften wackeln. Das nahm er, wenn überhaupt, nur nebensächlich wahr.
Im Bad sagte ich zu meinem Gesicht im Spiegel über dem Waschbecken: "Läuft gut!", und mein Spiegelbild warf mir ein breites Grinsen zurück. Dann ging ich beschwingt vom Alkohol und der Stimmung in das Wohnzimmer zurück.
Sekunden später waren wir wieder ins Gespräch vertieft. Das ging bis zum späten Abend und insgesamt zweieinhalb Flaschen Wein weiter.
Beide hatten wir nun leicht einen hängen und wir wurden lockerer, besonders was die Themen anging. Wobei locker wohl eher das falsche Wort war. Übermütig würde ich eher sagen. Irgendwann, ich weiß gar nicht mehr, wie Manfred darauf kam, erzählte er eine Anekdote von Casanova, da es gerade zum Thema passte.
Es ging um eine anrüchige Sache aus seinem Leben, als er einer jungen Frau verfiel, die ihn aber laufend ausnahm, ohne dass er bekam, was er wollte. Sie erfand immer wieder Ausreden und er merkte es in seinem Liebeswahn nicht. Diese Geschichte spielte mir in die Karten.
Eine wirklich gute Überleitung zum Hier und Jetzt. Wenn ich es jetzt geschickt anstellte, bekam ich mehr über ihn heraus, obwohl das gar nicht mehr so einfach war, denn der Alkohol beeinflusste verstärkt das Vermögen, vernünftig zu denken.
"Was sagt eigentlich deine Partnerin dazu, wenn du hier herkommst, dir einen antrinkst und mit mir den Abend verbringst?", fragte ich und biss mir danach auf die Lippen, denn viel plumper hätte ich es nicht fragen können.
Er sah mich einen Moment nachdenklich an und ich wusste sofort, dass er meine Frage sofort durchschaut hatte. War ja auch nicht schwer zu erraten.
"Da es dich anscheinend interessiert, kann ich dir meine Lebensgeschichte in wenigen Worten erzählen. Dies dürfte dann deine Frage und die weiteren beantworten.
Es gibt keine Partnerin in meinem Leben, denn es ist nicht einfach, mit einem Menschen wie mir zusammen zu sein. Die meisten Menschen verstehen meine Art nicht und wollen mich immer ändern, aber das klappt nicht. Entweder nimmt man mich so wie ich bin oder gar nicht. Daher habe ich nur selten eine Partnerin. Die meisten verlassen mich sehr schnell wieder. Somit war ich die meiste Zeit meines Lebens alleine. Aber das macht mir nichts aus, denn ich bin genauso gerne alleine wie in Gesellschaft mit jemandem.
Mein größter Fehler ist, dass ich zu ehrlich bin und sage, was ich denke. Lügen ist mir zuwider und die meisten Menschen können es nicht ab, wenn ich die Wahrheit sage. Sie wollen belogen werden. Aber ohne mich. Entweder ich darf sagen was ich denke, oder wir gehen getrennte Wege. Da bin ich konsequent.
Ansonsten gibt es nicht viel aus meinem Leben, was du noch nicht kennst. Ich bin ein Nerd, ein Eigenbrötler. Mehr muss man über mich eigentlich nicht wissen, denn es gibt nicht mehr! Das weißt du doch noch aus der Schule. Während ihr zusammengestanden habt und euch amüsiertet, war ich immer abseits. Dabei muss man allerdings sagen, dass es nicht an euch lag, sondern an mir selbst. Ich hatte andere Interessen, obwohl ich es manchmal bedauert habe, denn so kam ich niemals in den Genuss von den Erlebnissen, die man normalerweise in der Jugend macht.
Aber im Nachhinein war das in Ordnung. Wir hatten halt nichts miteinander. Während ihr das getan habt, was man so macht, wenn man jung ist, verfolgte ich meine Interessen. Zumeist saß ich im Keller und habe irgendwas konstruiert und zusammengebaut. Das ist meine Stärke, mit zwischenmenschlichen Beziehungen hatte ich es nicht so. Brauchte ich auch nicht.
Vor ein paar Tagen tauchst du dann an meinem Tisch auf und hast irgendein Interesse an mir, was ich nicht wirklich verstehe. Verstehe mich nicht falsch, ich bin gerne hier und unterhalte mich sehr gut, trotzdem will es nicht in meinen Kopf hinein. Was hat sich seit der Schule verändert? Ich zumindest bin noch derselbe, wenn auch ein paar Jahre älter!"
Einen kleinen Moment hingen seine letzten Worte noch wie ein Echo in meinen Ohren und ich wusste nicht sofort, was ich darauf antworten sollte. Alkoholgeschwängert arbeitete mein Gehirn nicht mehr so schnell und es bedeutete eine wirkliche Anstrengung, eine vernünftige Antwort zu formulieren.
"Es ist schwer zu sagen!", begann ich. "Viel Zeit ist vergangen und ich sehe heute Vieles etwas anders als damals. Man entwickelt sich und ich habe mich einfach gefragt, was für ein Mensch in Dir steckt. Du hast vollkommen Recht wenn du sagst, dass wir dich damals nicht beachtet haben. Du warst zu unscheinbar und hast in deiner Welt gelebt. Wenig bis gar nicht reizvoll für eine junge Frau. Vielleicht wäre mir damals schon etwas an dir aufgefallen, wenn ich mich mit dir unterhalten hätte, aber da wir das nicht getan haben, konnte mir ja nichts auffallen. Am Kaffeetisch war das anders. Irgendwas in mir ist angesprungen und hat sich die Frage gestellt, wer du eigentlich bist. Ganz ehrlich gesagt weiß ich auch nicht warum!"
Wieder schwiegen wir uns eine Weile an. Eigentlich hatte ich schon damit gerechnet, dass Manfred aufstehen und sich verabschieden würde. Doch das war nicht so. Im Gegenteil. Es passierte etwas, was ich niemals vermutet hätte.
Manfred sah mich einen Moment an und fing dann schallend an zu lachen. Es war so ansteckend, dass ich mich kaum noch zurückhalten konnte, denn dieses Lachen war so ehrlich, wie es nur sein konnte. Dann hörte er langsam damit auf und sah mich belustigt an.
"Weißt du, was ich lustig finde?", fragte er, wobei ich mir sicher war, dass er keine Antwort von mir darauf erwartete, sondern nur eine kleine Kunstpause einlegte, "hier sitzen zwei sich eigentlich vollkommen unbekannte, fremde, erwachsene Menschen gegenüber, die sich in keiner Weise ähneln. Wir sind uns gegenseitig zu nichts verpflichtet und könnten uns an den Kopf werfen, was wir wollten und trotzdem tun wir das nicht. Warum eigentlich? Was willst du wirklich wissen?"
Ich wusste ehrlich gesagt nicht, worauf er hinaus wollte, ahnte es aber in meinem Innersten.
Darum probierte ich es einfach aus. Leise, aber mit einem leichten Nachdruck.
"Magst du Schuhe?"
Wenn er schon direkte Fragen wollte, dann sollte er die auch bekommen. Dabei amüsierte ich mich jetzt über seinen Gesichtsausdruck, denn der war wirklich interessant, wenn man es so nennen kann. Er sah mich an und erstarrte sozusagen in der Bewegung.
Dann meinte er nur: "Sieht man mir das so deutlich an?", und peilte mir weiterhin in die Augen.
Ich nickte nur und hob langsam eines meiner Beine. Im Licht der Kerze, die inzwischen auf dem Tisch brannte, blitzten die Stahlabsätze einmal kurz auf, dann begann ich meinen Fuß kreisen zu lassen, als wenn ich sie mir im Laden anschaute.
Manfreds Augen fixierten sie und ich meinte, ein Aufleuchten zu erkennen. Ein leises "Mmmhh", das fast, wie ein Brummen klang, kam aus seinem Brustkorb, ohne dass er seinen Mund öffnete.
"Ein toller Schuh, an einer fantastischen Frau ist etwas, was man selten zu sehen bekommt. Eine Kombination, die Träume in mir weckt!"
Diese Worte waren wohl eher ausgesprochene Gedanken, als sie wirklich gesagt werden sollten. Man konnte richtig sehen, wie Manfred zusammenzuckte, als er merkte, dass er sie laut ausgesprochen hatte.
Es ging runter wie Öl und hätte mir jemand vor wenigen Stunden gesagt, dass ausgerechnet Manfred zu einem solchen Kompliment fähig sein würde, ich hätte es nicht geglaubt. Seine Worte ließen ein warmes Gefühl in meinem Bauch entstehen und ich genoss währenddessen seine bewundernden Blicke.
Ich wurde forscher. Dies musste ich jetzt ausnutzen, bevor die Stimmung kippte. Obwohl ich nicht wusste, warum sie es tun sollte.
*
"Wenn du sie anfassen möchtest, dann solltest du mit auf das Sofa kommen", sagte ich zu ihm und verfolgte auch jetzt seine Reaktion.
Fast wie hypnotisiert stand er einfach auf und umrundete den Tisch, ohne seinen Blick von meinem Fuß zu nehmen. Wenig später saß er neben mir und ich drehte mich so zu ihm, dass mein Rücken an die Armlehne drückte. Dann hob ich beide Beine und legte sie so über seine, dass die Waden auf seinen Oberschenkeln auflagen.
Jetzt hatte er beide vor Augen und er saugte sie geradezu mit seinem Blick in sich hinein. Dabei war es wirklich faszinierend ihm dabei zuzusehen. So etwas hatte ich persönlich noch niemals erlebt, war mir aber sicher, dass es so etwas nicht nur einmal gab. Einen Fetisch hatte doch eigentlich jeder. Jeder kannte etwas, was ihn anspringen ließ, ihn anmachte. Bei Manfred waren es eben Schuhe, wobei ich noch nicht wusste, ob nur diese Art von Schuhen oder allgemein Schuhe. Aber davon ging ich nicht aus.
Manfred saß die ersten zwei Minuten nur da und starrte die Pumps an, erst dann hob er einen Arm. Er legte seine Hand aber nicht gleich auf das Objekt seiner Begierde, sondern erst einmal auf mein Schienbein, wobei ich genau sehen konnte, dass seine Hand leicht zitterte.
Dann spürte ich die Wärme an meinem Bein und nahm sie in mich auf. Wenn ich jetzt meine Augen zu machte, konnte ich nicht nur am Druck, sondern auch an der wandernden Wärme erkennen, dass die Handfläche langsam aber sicher weiter Richtung Fuß rutschte. Nur langsam, aber ohne weiteres Zögern. Dabei lief mir ein Schauer über den Rücken, denn ich stellte mir vor, dass der Stoff der Jeans, die sich zwischen ihm und mir befand, nicht da wäre. Bei dem Gedanken seine Haut auf meiner zu spüren wurde mir ganz anders. Doch ich blieb ganz ruhig sitzen und beobachtete ihn weiter, denn ich war darauf gespannt, was noch kommen würde. Das wollte ich nicht zerstören.
Seine Hand glitt weiter herunter, kam am unteren Saum des Hosenbeins an und verharrte dort einen kleinen Moment, um dann darüber hinaus zu rutschen. Seine Wärme wurde in dem Moment umso intensiver, als seine Handfläche über das feine Nylon meiner Strumpfhose glitt, die er zwischen Hosenbein und Schuh überqueren musste.
Wieder keimte der Wunsch in mir, direkten Kontakt zu haben, obwohl das feine Gewebe der Strumpfhose das Gefühl schon fast natürlich erscheinen ließ.
Dann kam der Moment, der mich am meisten interessierte. Seine Finger stießen an den oberen Teil des Schuhs und verharrten wieder einen Moment, als wenn sie es nicht wagen würde, den letzten Schritt zu machen. Doch dann konnte ich geradezu spüren, wie er sich selber einen Ruck gab, seine Fingerkuppen rutschten langsam und nur ganz leicht über die glatte Lackschicht, mit der das Leder bedeckt war. Hatten die Schuhe zuvor noch direkt nebeneinander gelegen, ließ ich jetzt einen davon etwas zur Seite gleiten damit Manfred einen besseren Zugang hatte.
Nun nahm Manfred auch seine zweite Hand zu Hilfe. Er schob sie unter das Objekt seiner Begierde und umfasste den unteren Teil, legte diesen sozusagen in seine Hand. Dann hob er das Bein etwas an und konnte jetzt mit der Hand jede Stelle untersuchen.
Ich habe noch nie jemand gesehen, der mit einer derartigen Akribie von etwas fasziniert war. Sein Blick, den ich von der Seite aus beobachten konnte, sah aus, als wenn er in diesem Moment nicht mehr auf dieser Welt war. Dabei war ich mir nicht sicher, ob er überhaupt sah, was er gerade tat oder ob er mehr über seinen Tastsinn aufnahm.
Es dauerte etwa eine Viertelstunde, dann ließ er mein Bein langsam wieder sinken und kehrte auf unsere Welt zurück. Sein Blick wurde klar und ein leichtes Lächeln lag auf seinen Lippen.
Als er mein Bein ablegte, konnte ich etwas Hartes, Längliches unter meiner Wade spüren und musste grinsen. Der Nerd war also auch noch ein Mann und hatte Gefühle. Darüber war ich mir zuvor nicht wirklich bewusst gewesen. Es hätte bei ihm ja auch anders sein können. Rein gedanklich vielleicht, jedenfalls hätte ich mir das durchaus vorstellen können.
Noch wie in leichter Trance drehte er jetzt seinen Kopf in meine Richtung und flüsterte: "Danke!"
Dann wurde sein Blick vollkommen klar und seine Stimme normal.
"Peinlich irgendwie!", meinte er nur und sah mich dabei direkt an. "Ich hoffe, ich habe dich jetzt nicht zu sehr erschreckt. Manchmal kann ich einfach nicht mehr anders. Einer der Gründe, warum ich in der Öffentlichkeit keinen Alkohol trinke. Könnte sehr seltsam enden, wobei ich mir sicher bin, dass ich ziemlich schnell gesiebte Luft atmen würde."
"Wieso peinlich?", fragte ich ihn, "ist doch nichts passiert! Ich habe es dir doch angeboten und erlaubt. Dabei muss man mit allem rechnen. Wenn ich jetzt sauer wäre, müsste ich das auf mich und nicht dich sein. Ich habe deinen Blick schon die ganze Zeit bemerkt und es geradezu herausgefordert. Ich finde es überaus schön, dass wir beide uns schon bei unserem zweiten Treffen so vertrauen können. Wie oft kommt so etwa schon vor?"
"Mir ist das zuvor noch nicht passiert. Wenn ich nicht Rationalist wäre, würde ich es als "magisch" übersetzen. Dabei stellt sich mir eine Frage, die ich kaum zu formulieren wage. Du kennst jetzt mein Geheimnis, was das angeht. Was ist mit Conny? Was muss man machen, um ihren Schalter umzulegen?"
Ich war mir sicher, dass ich jetzt rot wurde. Mir stieg das Blut in den Kopf und ich hätte sicher einer Tomate Konkurrenz machen können.
"Willst du das wirklich wissen? Das ist mir jetzt mehr als peinlich."
"Wenn du es mir nicht sagen willst ist es ja in Ordnung. Ich will dich zu nichts drängen. Es geht mich ja eigentlich auch nichts an. Aber vielleicht kann ich ja was für dich tun!", sagte Manfred und sah mich dabei vollkommen unschuldig, vielleicht auch etwas naiv an.
Ich musste lachen, denn seine Wortwahl war schon seltsam. Es hörte sich bei ihm an, als wenn er eine Leistung erbringen wollte. Frei nach dem Motto, wenn dir etwas gefällt, mache ich es für dich. Das war in diesem Fall aber sicher nicht so einfach. Besonders, da ich es selbst erst seit wenigen Tagen wusste und mir darüber noch nicht vollkommen im Klaren war.
"Es ist nicht so einfach, denn ich weiß es selbst noch nicht so genau. Es gibt da etwas, was mich anmacht, wobei das vielleicht so nicht richtig ausgedrückt ist. Daher versuche ich es, dir mal ganz einfach zu erklären."