Im Schatten des Feldmarschalls: Geschichten aus dem Powder-Mage-Universum

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Als sie ankam, wirkten die beiden Wachen vor dem Zelt des Generals nachdenklich und verschlossen. Einer der beiden kündigte sie an, und sie wurde durchgewinkt.
Sie betrat das Zelt; der Protest, der ihr auf den Lippen lag, erstarb, während sie den Innenraum betrachtete.

Der Schreibtisch des Generals war umgeworfen worden, und der Boden und die Wand des Zeltes waren voller Tinte, Papiere und verstreutem Schießpulver. Der massive Eichentisch, auf dem seine zweihundert Jahre alte Karte gelegen hatte, war in der Mitte durchgebrochen, und ein eiserner Kerzenhalter, der auf seinem Schreibtisch gestanden hatte, war nur noch ein Haufen verbogenes Metall.
General Tamas saß mit überkreuzten Beinen auf einem Stuhl in der Ecke – dem einzigen unzerstörten Möbelstück im Zelt – und betrachtete die Zerstörung mit saurer Miene.
»Sir?«, fragte Verundish.
Er schaute einen Moment hoch, dann wieder zu seinem Schreibtisch. Der Schreibtisch war riesig. Es brauchte bestimmt vier Männer, um ihn zu tragen, und mindestens zwei, um ihn umzuwerfen. Aber Tamas war alleine.
Der General stand auf und verschränkte die Hände hinter dem Rücken.
»Captain«, sagte er. »Danke, dass Sie da sind. Ich hatte gerade eine Unterhaltung mit dem Privilegierten Zakary, dem neuen Bannwart des königlichen Kabals.«
Es war kein Geheimnis, dass nur der König selbst Tamas und den königlichen Kabal davon abhielt, sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen, aber Zakarys Besuch erklärte nicht den kaputten Tisch.
»Hat er das getan, Sir?«, fragte Verundish. Diese Respektlosigkeit machte sie wütend. Niemand hatte das Recht, in Tamas’ Zelt zu kommen und ihn so zu erniedrigen. Er war ein General. Ihr General!
»Was?« Tamas wirkte einen Moment lang aufrichtig verwirrt, als er ihrem Blick zu dem Chaos folgte. »Oh. Nein, das ist erst passiert, als er weg war. Bald wird jemand kommen und das aufräumen. Zakary hat mich besucht, um mir mitzuteilen, dass kein Privilegierter an dem Himmelfahrtskommando auf Darjah heute Nacht teilnehmen wird. Sie werden nur aus der Entfernung Unterstützung leisten.«
Verundish spürte, wie ihr der Atem stockte. Keine Privilegierten? Kein einziger? Bei einem Himmelfahrtskommando war immer ein Privilegierter dabei – normalerweise ein junger und dummer oder ein krankhaft ehrgeiziger, aber immerhin ein Privilegierter. Ohne eigenen Privilegierten würde das Himmelfahrtskommando nichts haben, was sie der gurlischen Magie entgegensetzen konnten, die von den Mauern auf sie herabregnen würde.
Verundish atmete einmal angestrengt durch. Sie würde heute Nacht sterben. Es führte kein Weg daran vorbei. Das war es, was sie wollte. Aber so klar zu wissen, dass ihr Tod sinnlos sein würde …
»Außerdem hat mir Feldmarschall Beravich verboten, am Angriff teilzunehmen«, fuhr Tamas fort. »Normalerweise halte ich mich etwa eine Meile hinter der Front auf, bei der Artillerie, und schieße auf die feindlichen Privilegierten, wenn sie bei der Verteidigung gegen das Himmelfahrtskommando aus der Deckung gehen. Aber es hat ganz den Anschein, als würde selbst das mir verboten werden.«
Tamas blies die Nasenflügel auf, und seine Stimme wurde lauter, während er sprach. »Die verfluchten Idioten wollen mir bloß beim Scheitern zusehen. Sie schicken Männer in den Tod – gute Männer –, nur um mir eins auszuwischen! Diese verdammten Hunde. Wenn ich die Macht hätte, jeden Privilegierten in Adro zu töten, würde ich es augenblicklich tun.«
Verundishs Herz schlug schneller, und sie hatte Angst. Nicht um sich selbst. Nein, ihr Leben war verwirkt. Aber General Tamas war einer der wenigen Generäle in der Armee, der sich aufrichtig um seine Männer zu sorgen schien. Er hatte die Loyalität von Soldaten jedes Dienstgrades und hatte dafür gesorgt, dass die Soldaten unter seinem Kommando Beförderungen nach Verdienst erhalten konnten.
Wenn der königliche Kabal jemals erfahren sollte, dass er solche Dinge sagte, würden sie ihn augenblicklich töten, selbst wenn er in der Gunst des Königs stand.
Tamas schüttelte den Kopf. »Captain, Sinn und Zweck eines Himmelfahrtskommandos ist es, eine Festung mit einem Überraschungsangriff einzunehmen. Es funktioniert nicht häufig, aber es hat schon funktioniert. Aber nicht ohne Privilegierte. Ohne einen Privilegierten schicke ich einfach nur eine ganze Kompanie in den Tod. Fehlschlag garantiert. Aber ich habe meine Befehle.«
»Jawohl, Sir.«
»Und das ist in Ordnung für Sie?«
»Ich werde meine Befehle befolgen, Sir.«
»Ich gebe Ihnen hier die Gelegenheit, es sich noch einmal zu überlegen, Captain.«
»Ich werde den Angriff anführen, Sir.«
Tamas verengte die Augen. »Wieso?«
Wenn die Gurlaner mich nicht töten, muss ich es selbst tun, deswegen. »Das würde ich lieber für mich behalten, Sir.«
»Selbst wenn ich es Ihnen befehle?«
Verundish versteifte sich. »Sie haben die Privatangelegenheiten Ihrer Männer immer respektiert, Sir.«
»Ja. Das habe ich.« Tamas wandte sich ab, um das Chaos zu betrachten, das einmal sein Schreibtisch und Kartentisch gewesen war, und stieß einen langen Seufzer aus. »Sie dürfen wegtreten, Captain. Das Himmelfahrtskommando wird sich bei Sonnenuntergang sammeln und um Mitternacht angreifen. Falls Sie sich noch nicht um Ihre Angelegenheiten gekümmert haben sollten, tun Sie das jetzt.«
»Jawohl, Sir. Vielen Dank, Sir.«
Verundish hielt in der Zelttür inne und wandte sich wieder zu General Tamas. »Sir?«
»Hmmm?«
»Würden Sie mir eine Bitte erfüllen, Sir?«
»Wenn sie im Rahmen bleibt.«
»Sorgen Sie dafür, dass meine Pension nicht an meinen Mann geht. Sorgen Sie dafür, dass sie an meine Tochter geht.«
Tamas dachte einen Moment darüber nach, dann nickte er. »Schreiben Sie das auf und geben Sie den Brief meiner Sekretärin. Ich werde sicherstellen, dass es erledigt wird.«
»Vielen Dank, Sir.«

Die Kompanie, die das Himmelfahrtskommando bilden sollte, versammelte sich, als die Sonne über dem westlichen Rand der Wüste unterging.
Es war ein trauriger Haufen. Die Hälfte der Anwesenden bestand aus Querulanten – Männer und Frauen, die sonst womöglich am Galgen oder jahrelang im Gefängnis gelandet wären, wenn sie sich nicht freiwillig gemeldet hätten. Die andere Hälfte bestand aus ehrgeizigen jungen Soldaten, die entweder dumm oder verzweifelt genug waren, um zu hoffen, dass sie die Nacht überleben und nach der Einnahme der Festung eine Beförderung erhalten würden.
Verundish fragte sich, ob irgendeiner von ihnen wie sie eine zweite Chance erhalten hatte, es sich noch mal zu überlegen.
General Tamas war bereits da, als sie sich sammelten. Er betrachtete sie alle mit hinter dem Rücken verschränkten Händen, den Stoßdegen an der Hüfte und die Pistole im Gürtel. Seine Miene war versteinert und undurchdringlich, doch als der Privilegierte Zakary wenig später vorbeikam, war im Schein der Fackeln deutlich zu erkennen, mit welcher offenen Feindseligkeit Tamas den Privilegierten anschaute.
Zwei Stunden vor Mitternacht betete ein Kresim-Priester für den Erfolg der Angreifer, und den Männern war es gestattet, sich von ihren Freunden und Kameraden zu verabschieden.
Constaire fand Verundish in der Menge. Er trug seine volle Uniform und eine Muskete in der einen Hand. Sein Degen war an seinem Gürtel festgeschnallt.
»Wo zur Grube willst du hin?«, fragte Verundish.
»Noch ist Zeit«, antwortete Constaire. »Du musst es nur sagen, und ich führe den Angriff an.«
»Nein.«
Constaire schüttelte den Kopf. »Bitte, Verie. Tu’s nicht.«
»Ich muss.«
»Nein«, sagte Constaire. »Du musst nicht.« Er hielt etwas hoch, damit sie es sehen konnte. Es war der Brief, den sie vor drei Tagen von ihrem Ehemann erhalten hatte.
»Gib das her«, zischte sie und schnappte danach. »Du hast kein Recht, meine privaten Briefe zu lesen.«
Er zog den Brief weg. »Ich musste wissen, warum du das hier tust. Ich weiß, dass du mich nicht zurück liebst, Verie. Ich wusste, dass es einen Grund geben musste für diese Selbstmordaktion.«
Sie verpasste ihm eine Ohrfeige. Sie hatte es nicht gewollt, aber einen Moment später hielt er sich die Wange und starrte sie an wie ein verletzter Welpe.
Sie rieb sich die Hand. »Tut mir leid.«
»Das habe ich verdient.«
Ja, hatte er. »Es wird alles in Ordnung kommen«, sagte sie. »Ich muss das hier tun.«
»Ich werde deinen Mann zu einem Duell herausfordern.«
»Er würde dich abschlachten.«
»Sei dir da nicht so sicher.«
»Das würde er. Er ist ein hervorragender Schwertkämpfer. Es müsste schon jemand wie … wie General Tamas ankommen, um ihn zu besiegen.«
Constaire verstummte, und Verundish fühlte sich genötigt, einen Schritt nach vorne zu machen und ihn zu umarmen. »Wieso zur Grube tröste ich dich, du Idiot?«, fragte sie, als sie seine Tränen an ihrem Handrücken spürte. »Ich bin diejenige, die ihrem Tod entgegengeht.«
»Ich bin derjenige, der ohne dich weiterleben muss.«
Verundish schüttelte den Kopf. »Geh zurück in dein Zelt.«
»Nein. Ich habe mich freiwillig gemeldet, die zweite Angriffswelle anzuführen. Wenn es dir gelingt, die Bresche einzunehmen, werde ich direkt hinter dir sein. Wir werden uns gemeinsam durch die Festung kämpfen.«
»Zur Grube. Du bist wirklich ein Narr.«
Ein Raunen ging durch die Reihen, dass sich das Himmelfahrtskommando auf den Angriff vorbereiten solle. Verundish drückte ihre Lippen auf die von Constaire und machte sich ohne einen Blick zurück auf den Weg an die Front.
General Tamas wartete bei der Artillerie, die ihren Angriff einleiten würde. Hinter ihm standen vier Privilegierte, deren weiße Handschuhe mit blutroten Runen verziert waren, die im matten Fackellicht schimmerten. Sie betrachteten das Himmelfahrtskommando skeptisch.
Als sich das Himmelfahrtskommando formiert hatte, sprach Tamas zu ihnen.
»Dort drüben«, sagte er und zeigte auf die Festung, die eine Meile hinter ihm lag, »ist unser Feind. Sie sitzen in ihren Türmen, wiegen sich in Sicherheit und stoßen an auf einen weiteren Tag, an dem wir versagt haben. Sie danken ihrem heidnischen Gott, dass wir nicht den Mumm haben, ihre Mauern mit Leitern anzugreifen.
Das wird sich heute Nacht ändern. Heute Nacht werden wir eine Bresche schlagen. Wir werden ihre Festung stürmen und ihren Shah und ihre Privilegierten über die Klinge springen lassen.«
Den Privilegierten hinter Tamas war es sichtlich unangenehm, als er davon sprach, ihre gurlischen Gegenüber zu töten.
»Die Eroberung von Darjah wird das Selbstbewusstsein der Gurlaner zerstören, wodurch wir dem Ende dieses verdammten Krieges einen Schritt näherkommen. Und dann, meine Freunde, werden wir alle nach Hause gehen.« Tamas wirkte plötzlich erschöpft und weitaus älter als seine vierzig Jahre. Er lächelte. »Ich habe dieses verdammte, staubige Land satt. Ich will nach Hause und meinen Jungen auf meinen Knien reiten lassen und dann meine Frau mit nach oben nehmen, um sie auf meinen Knien reiten zu lassen.«
Ein Glucksen ging durch die Reihen.
»Bringt diese Belagerung zu Ende, Männer«, sagte Tamas. »Geht da rein und macht ihnen ein für alle Mal den Garaus, und im Morgengrauen wird jeder Einzelne von euch, egal ob lebendig oder tot, ein Held sein.«
Ein leiser Jubelruf ertönte aus der Kompanie, und Tamas hob die Hände, um Ruhe zu haben. »Ich würde mit euch kommen, wenn der König es mir erlauben würde. Bei Kresimir, das würde ich.«
Aus dem Mund von jedem anderen General wäre das eine Lüge gewesen, aber Verundish wusste, dass es die Wahrheit war.
Tamas fuhr fort: »Captain Verundish wird euch anführen. Folgt ihr, als würdet ihr mir folgen.« Dann trat er beiseite und machte eine Geste in Richtung Verundish.
Verundish hob ihren Säbel über ihren Kopf. »Kein Licht. Kein einziges Wort. Wir werden im Schutz der Dunkelheit bis unter die Mauern vorrücken und auf den Donner warten. Wenn die Mauer fällt, greifen wir an.« Sie wartete das Nicken ihrer Männer ab, dann senkte sie den Arm. »Und los.«

Verundish durchquerte das zerklüftete Gelände zwischen dem adronischen Lager und der Festung Darjah.
Ihr Weg wurde nur beleuchtet vom fahlen Mondlicht und den Sternen über ihr, die glitzerten wie die Lagerfeuer einer Armee, die sich über das Himmelszelt erstreckte.
Seit Monaten lagerten sie jetzt schon hier und tauschten Artilleriebeschuss mit der Festung aus, aber abgesehen von zwei Angriffen war die Landschaft unberührt geblieben. Schakale jagten im hohen Wüstengras, wo sich Hasen und Füchse vor den adronischen Soldaten versteckten.
Von irgendwo in der Nähe ertönten die Rufe einer Wüsteneule.
Sie führte ihre Kompanie durch mehrere kleine Rinnen und dann in eine Senke, die bis hin zum Fuß der Festungsmauer führte. Man hatte ihr erzählt, dass die Senke ein Abfluss für den Festungsschacht war, über den die gurlischen Bäder in die Wüste entleert wurden.
Niemand hatte ihr erzählt, dass so auch Fäkalien abgeleitet wurden.
Ein Soldat musste bei dem Gestank anhalten, um sich lautstark zu übergeben, sodass sich die gesamte Kompanie in den Dreck kauerte aus Angst vor einem Alarm. Auf den Mauern waren die Umrisse der gurlischen Wachposten im Fackelschein zu erkennen. Keiner von ihnen schlug Alarm, und Verundish befahl ihrer Kompanie mit einem leisen Flüstern, vorzurücken.
Sie erreichten den Fuß der Mauer und hockten sich hin, um zu warten. Verundish knöpfte sich die Vorderseite ihrer Uniform auf, um es sich bequemer zu machen. Hier draußen würde sie niemand wegen fehlender Disziplin tadeln.
Sie schätzte, dass sie etwa fünfzehn Minuten Zeit hatten, bevor es losging.
Es dauerte nicht lange, bis Verundish hörte, wie einer ihrer Männer die Reihen entlang zu ihr gekrochen kam. Sie kniff die Augen zusammen und starrte in die nächtliche Dunkelheit, um herauszufinden, wer es war.
»Sir«, flüsterte er und schob sein Gesicht nah an ihres heran. Dem Klang seiner Stimme und dem Zwiebelgeruch in seinem Atem nach handelte es sich um Grenatio, einen Soldaten, der vor die Wahl zwischen dem Himmelfahrtskommando und einer Erschießung gestellt worden war, nachdem er von einer einheimischen Familie gestohlen hatte.
»Was ist?«
»Sir, als Sie gesagt haben, dass wir auf den Donner warten …?«
»Die Artillerie.«
»Oh.« Es gab eine Pause. »Das ergibt Sinn.« Grenatio war anscheinend nicht der Hellste.
»Sir?«
Verundish unterdrückte einen Seufzer. »Ja?«
»Ich habe Angst.«
»Das ist ganz natürlich.«
»Geht das weg?«
»Das wird es.« Wenn dir ein Privilegierter mit magischem Feuer das Fleisch von den Knochen schmilzt.
Einige Minuten lang herrschte Stille, und Verundish schaute hoch zur Mauer. Immer noch kein Alarm. Das war ein gutes Zeichen.
»Wann geht es los, Sir?«
»Bald.«
»Wie bald?«
Verdammte Grube … »Jeden Augenblick. Zurück auf Ihre Position.«
Der Soldat machte sich wieder auf den Weg die Reihen entlang, wobei er genügend Lärm machte, um die adronischen Soldaten in ihrem Lager zu wecken.
Es ertönte immer noch kein Alarm.
Verundish schaute hoch zu dem schwarzen Stein der Festungsmauer und fragte sich, ob sie es wirklich schaffen würden, eine Bresche zu schlagen. Diese Mauern waren drei Meter dick und verstärkt von Privilegierten-Magie, die Hunderte von Jahren alt war. Die adronischen Kanonen schossen schon seit Monaten auf sie ein, ohne auch nur einen Kratzer anzurichten.
Die adronischen Privilegierten hatten gesagt, sie würden die Mauern heute Nacht durchbrechen können. Was passierte, wenn die Mauern nicht fielen?
Sie hörte ein leises Pfeifen und drehte sich um, um ihre Männer zum Schweigen zu bringen, als die erste Kanonenkugel in der Festungsmauer über ihnen einschlug. Der Einschlag brachte sie ins Straucheln, und sie musste sich mit einer Hand an der Seite der Senke abfangen.
Es hatte begonnen.

Kanonenkugeln und Artilleriegeschosse erschütterten die Festung und den Erdboden, sodass die Seiten der Senke, in der das Himmelfahrtskommando hockte, zitterten und Sand abrutschte.
Dem physischen Bombardement schloss sich schon bald das Getöse von Magie an. Feuer entzündete den Nachthimmel, und Eisstangen so groß wie eine Kutsche prallten gegen die Mauer, sodass diese durch die abwechselnde Hitze und Kälte weiter geschwächt wurde.
Verundish schirmte ihr Gesicht mit ihrem Jackenaufschlag ab, um es vor den Stücken aus Fels, Eis und Eisen zu schützen, die auf ihr Versteck herabregneten.
Gurlisches Geschrei verriet ihr, dass der Feind Alarm geschlagen hatte. Männer rannten auf die Mauern und wedelten mit Fackeln und brüllten gegen den Lärm an. Einer von ihnen lehnte sich vor, warf eine Fackel über die Mauer und schaute zu, wie sie auf den Boden fiel. Sie landete nicht weit entfernt von der Senke, in der sich das Himmelfahrtskommando befand.
Die Gurlaner versuchten herauszufinden, von wo der Angriff kommen würde.
Verundish wusste, dass es nicht lange dauern würde, bis sie sie fanden. Und wenn sie das taten, würden ein paar Dutzend Musketiere ausreichen, um Verundishs Männer mit wenig Aufwand der Reihe nach zu erschießen.
Sie betete, dass die Mauer fiel.
Sie schaute zurück zu ihren Männern. Einer von ihnen hob seine Muskete und zielte auf die Männer auf der Mauer.
»Runter, Sie Narr«, zischte sie.
Der Artilleriebeschuss klang gefährlich nahe. Verundish verfluchte ihre Situation und schaute hilflos zu, wie eine Rakete über der Festung emporstieg und explodierte und so die Wüste erleuchtete, als sei es helllichter Tag.
Das Licht umriss ihre Männer, die mit grimmiger Miene nach oben schauten. Weiter hinten in der Rinne, wo diese sich zur Wüste öffnete, konnte sie in hundert Metern Entfernung sehen, wo sich die zweite Angriffswelle – drei ganze Kompanien – bereithielt für den Fall, dass das Himmelfahrtskommando erfolgreich sein sollte.
Sie wurden vom Licht der gurlischen Leuchtrakete verraten. Und jetzt war alles verloren.
Ein gewaltiges Getöse ließ den Erdboden erzittern, ein Ächzen, das klang, als hätten sich die tiefsten Abgründe der Grube aufgetan, um ihre Dämonen auszuspeien. Zu Verundishs Überraschung gab die Mauer unter dem vernichtenden Bombardement nach; sie stürzte nach innen ein und schleuderte die gurlischen Soldaten durch die Luft.
»In die Bresche, ihr Bastarde!«, schrie Verundish und sprang auf die Füße.
Sie rannte den Ablauf hoch auf den Fuß der Mauer zu, wo ihr ein Berg an Schutt Halt bot, um zu der Bresche hinaufzuklettern.
Um sie herum kreischten die Kanonenkugeln und die Magie, die die Bresche mit jedem Treffer breiter und breiter schlugen.
Hört auf mit dem Bombardement, verdammt noch mal! Verundish stellte sich vor, wie sie durch die Bresche stürmte, nur um von Artilleriefeuer und Magie aus ihrem eigenen Lager getötet zu werden.
Plötzlich legte sich Stille über die Welt. Das gezielte Bombardement verebbte, während die Artillerie neu ausgerichtet wurde, dann ging es plötzlich weiter mit einem neuen Ziel entlang der Mauer.
Die Bresche war frei.
Verundish stolperte und fiel der Länge nach in den Schutt, der eben noch die Festungsmauer gewesen war. Um sie herum stürmten adronische Soldaten nach vorne, und sie wurde plötzlich am Gürtel wieder auf die Füße gezogen und ihr Säbel ihr wieder in die Hand gedrückt.
Sie hatte keine Zeit, sich zu schämen. Gurlische Soldaten tauchten in der Bresche auf, und die ersten Adroner stürmten mit aufgepflanzten Bajonetten auf sie zu; beide Seiten hackten mit wildem Kriegsgeschrei aufeinander ein.
»Vorwärts!«, schrie Verundish. Sie mussten die Bresche sichern. Sie mussten einen Korridor schaffen, der breit genug war, damit die zweite Angriffswelle hindurch konnte. Wenn ihnen das nicht gelang, wäre alles umsonst gewesen.
Ein gurlischer Soldat sprang auf sie zu und schwang den Kolben seiner Muskete wie eine Keule. Sie wehrte den Hieb mit ihrem Säbel ab und schlug dem Mann ins Gesicht, dann schlitzte sie ihm die Kehle auf.
Die Gurlaner hatten ihre Bajonette nicht aufgepflanzt. Sie waren auf diesen Angriff nicht vorbereitet gewesen. So unmöglich es schien, das Himmelfahrtskommando hatte plötzlich einen Vorteil.
»Macht sie nieder, Jungs«, drängte Verundish, während sie mit einem gurlischen Offizier die Klingen kreuzte. Der Mann war um einiges schneller als sie. Sie schaffte es, zweimal zu parieren, bevor er ihre Verteidigung überwunden hatte und ihren linken Arm der Länge nach aufschnitt.
Der Mann spuckte plötzlich Blut und fiel; ein adronisches Bajonett ragte aus seinen Eingeweiden. Verundish warf die Leiche beiseite und schaffte es nicht, ein Wort des Dankes loszuwerden, bevor Grenatio bereits weitergestürmt war. Der Mann mit dem Zwiebelatem drehte sich, um ihr etwas über die Schulter hinweg zuzurufen.
»Sie hatten recht, Captain! Die Angst ist weg!«
Sie waren jetzt innerhalb der Mauern und kämpften um den Innenhof. Ohne aufgepflanzte Bajonette wurden die Gurlaner von den adronischen Soldaten abgeschlachtet wie Vieh. Verundish hielt inne, um die Wunde entlang ihres linken Arms abzubinden, und versuchte, das Blut wegzuwischen.
Sie konnten siegen. Sie konnten tatsächlich siegen. Die zweite Angriffswelle würde ihnen durch die Bresche folgen und helfen, den Innenhof zu sichern, und dann würde General Tamas den Rest der Brigade hinterherschicken.
Plötzlich wollte Verundish nicht mehr sterben.
Ein Lichtblitz blendete sie, und sie stolperte rückwärts; sie blinzelte, um wieder klar sehen zu können, und schaute mit an, wie Grenatio auf sie zurannte, in Flammen gesetzt vom Feuer eines Privilegierten.
Verundish suchte nach der Magiequelle. Ein einzelner Privilegierter konnte ihre gesamte Kompanie vernichten. Vielleicht sogar auch die zweite Angriffswelle. Es war Wahnsinn zu versuchen, ihn zu töten, aber es war die einzige Chance, die sie hatte.
Das Feuer walzte durch ihre Männer, steckte ihre Uniformen in Brand und verbreitete Chaos. Dort hinten, wo der Innenhof in einer Straße mündete: Ein Privilegierter stand dort in der Öffnung, die behandschuhten Hände in Flammen, und schickte mit zuckenden Fingern die adronischen Soldaten reihenweise in den Tod.
Ihre Männer rannten schreiend in Deckung. Niemand von ihnen konnte es mit einem Privilegierten aufnehmen. Niemand konnte das. Es gab nichts, was man gegen einen Privilegierten tun konnte, außer wegzurennen.
Verundish verfluchte das Blut, das ihren Arm herunterlief und ihre Schwerthand glitschig machte, und nahm ihren Säbel in die andere Hand. Sie warf sich auf eine Seite des Innenhofs.
Mit dem Rücken zur Mauer schlich sie sich so schnell sie es sich traute auf den Privilegierten zu. Sie hatte eine geladene Pistole in ihrem Gürtel – eine Chance auf einen Treffer, und sie würde nah genug herankommen müssen, um sicherzugehen, dass der Schuss saß.
Der Privilegierte schleuderte weiter mit Feuer um sich. Er war kein mächtiger Privilegierter; wenn er gut darin gewesen wäre, mehrere Zauber gleichzeitig zu wirken, hätte er die gesamte Kompanie auf einen Schlag niedergebrannt. Verundish stellte ihren Säbel an der Mauer ab und zog ihre Pistole.
Der Schuss traf den Privilegierten in die Seite. Er zuckte und fiel mit einem überraschten Gesichtsausdruck auf ein Knie. Dann wandte er seinen Blick zu Verundish.
Sie hob ihren Säbel auf und stürmte auf ihn los. Er richtete eine Hand auf sie. Magische Hitze umspülte ihr Gesicht, und Verundish fühlte einen ziehenden Schmerz an ihrem Oberschenkel, als Feuer wie geschmolzenes Glas sie hart genug traf, um sie herumzuwirbeln. Sie stolperte vorwärts.