Seewölfe Paket 34

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Eine andere Stimme war jetzt zu hören. Wuchtige Schritte dröhnten durch das verqualmte Deck. Der Mann blieb vor einer Laterne stehen.
Juan sah nur den Kopf, und der glich einer schwarzen, formlosen Masse. Kein Gesichtszug war zu erkennen.
Ihm konnte das nur recht sein, denn so fiel er hier auch nicht weiter auf. Niemand würde in ihm einen Fremden vermuten.
„Nichts überhasten, Brillon“, sagte die befehlsgewohnte Stimme. „Wir feuern erst beim nächsten Glasen wieder. Es ist also noch Zeit, die abgefeuerten Stücke in Ruhe nachzuladen. Hier sind zehn andere Leute. Schicken Sie dafür zehn nach oben, damit sie nicht in diesem bestialischen Qualm ersticken.“
„Zehn Leute, Don Juarez“, erwiderte der Stückmeister. „Ich schicke sie sofort an Deck.“
„Recht so. El Lobo del Mar kann uns hier nicht mehr entwischen. Er liegt da drüben genauso fest wie wir auch, solange kein Wind geht. Und er ist angeschlagen, das wissen wir genau.“
Don Juan stand da in dem Qualm und Nebel und konnte sich nicht verkneifen, bis an die Ohren zu grinsen.
Wenn du wüßtest, mein Lieber, dachte er. Dann würde dir deine Ruhe sehr schnell vergehen.
Dieser Juarez mußte der Erste Offizier Juarez Molina sein, den sie schon einmal kennengelernt hatten, wenn auch nur flüchtig, als damals die Sklaven übergeben wurden. Aber Don Juan sah ihn noch deutlich vor sich, diesen Mann mit dem kurzen Stoppelhaarschnitt und der steifen linken Hand, deren Finger etwas nach innen gekrümmt waren. Er konnte die Hand nur sehr umständlich bewegen, und dann auch nur, wenn er die Rechte zu Hilfe nahm und sie wie einen toten Gegenstand bewegte.
Männer drängten sich um ihn. Sie sahen zwar auch nichts, aber sie hatten den Vorteil, hier an Bord zu Hause zu sein, und da kannten sie sich natürlich selbst bei Finsternis aus.
Juan wurde mit der Menge weitergeschoben, bis er vor einer Kanone landete. Zwei riesige Fässer mit Schießpulver standen daneben, aus denen jetzt Pulver geschaufelt wurde.
Da wollte Don Juan auch nicht faul herumstehen und griff fleißig zu.
Der Stückmeister Brillon ließ die Culverinen immer mit zehn Pfund Pulver laden, wie Juan sofort herausfand. Für einen Siebzehnpfünder wurden in der Regel aber meist zwölf Pfund genommen, englische Pfund natürlich.
Also knauserte der Kerl ein bißchen herum und sparte Pulver, wobei er auch gleichzeitig an der Kernschußweite knauserte, die je nach Ladung zwischen drei- und vierhundert Yards lag. Möglicherweise aber traute er seinen eigenen Geschützen nicht, oder es lag daran, daß seine Leute oftmals noch Steinkugeln verwendeten.
Die Dons spürten mehr, als sie sahen, daß an dem Geschütz bereits jemand hantierte und Pulver einfüllte. Wenn das ein anderer tat, so schonte man seine eigenen Knochen, und das war nicht schlecht.
Don Juan bemaß die Menge sehr großzügig mit drei Schaufeln. Und weil immer noch genügend Pulver hineinging, gab er noch mal soviel wie bisher hinzu. Mehr als die doppelte Ladung befand sich jetzt in dem Stück. Das würde einen feinen Krach geben, und die Kugel würde auch viel weiter als sonst fliegen, vorausgesetzt, die Kanone explodiert nicht. Viel Freude würden sie an dem Ding beim Abfeuern jedenfalls nicht haben.
Er hatte keinerlei Skrupel, als er zur nächsten Kanone ging und dem Don half, Pulver hineinzufüllen. Und dem Spanier war es nur recht, daß ihm jemand half, denn er hustete pausenlos. Vielleicht hielt er Juan auch für den Stückmeister Brillon persönlich.
Als es bei der zweiten Culverine auch so hervorragend klappte wie bei der ersten, wurde er etwas dreister und stieß die Kerle grob zur Seite, die gerade beim Einfüllen waren.
Er war erstaunt darüber, wie leicht sie sich schubsen ließen und sofort ihren Platz räumten. Man mußte nur burschikos genug auftreten.
Einen anderen Mann schnauzte er laut an, und der sprang so schnell zur Seite, daß er über ein Brooktau stolperte und zu Boden ging. Der Kerl wagte keine Widerrede.
Vier Kanonen hatte Juan bisher auf diese Weise präpariert. Einige davon würde die riesige Pulverladung zerreißen.
Sollten sie auseinanderfliegen. Garcia war ihr Todfeind und würde kein Erbarmen kennen, sie umzubringen. Dazu war ihm jedes Mittel recht.
Also war Juan auch jedes Mittel recht. Die Spanier hätten immerhin auf die gleiche Idee verfallen können, oder?
Bei der fünften Culverine war Schluß. Sie war bereits geladen, und für Juan gab es nichts mehr zu tun. Er durfte nur noch mithelfen, die großen Pulverfässer an das Schott zu schieben.
An einen Querbalken gelehnt, blieb er stehen und überlegte.
Er hatte jetzt alle Trümpfe in der Hand und konnte praktisch über das Schicksal des Schiffes und seiner Männer entscheiden. Er war der Herr über Leben und Tod.
So konnte er zum Beispiel die Laterne vom Decksbalken nehmen und sie in die noch immer offenen Pulverfässer werfen.
Zweifellos würde es einen Brand geben, der nicht mehr zu löschen war, selbst bei dem Regen nicht. Pulverfässer gab es massenhaft, die sich bei der Hitze entzünden würden. Damit wäre das Schicksal des Schiffes besiegelt. Übrig bliebe dann nur eine kleine Ratte namens Ruthland, die sich im starken Schatten Garcias versteckte und agierte. Den Kerl konnten sie wie eine flügellahme Ente rupfen.
Er konnte auch hingehen, den Kapitän in seiner Kammer überraschen und ihn blitzschnell töten. Sein Tod würde mit Gewißheit etliche Veränderungen mit sich bringen, denn César Garcia war es, den der Haß trieb.
Die Verlockung war da, schlagartig, während Juan an dem Balken lehnte. Das Stimmengewirr um sich herum nahm er kaum zur Kenntnis.
Das Problem, das sie augenblicklich am Hals hatten, wäre mit einem Schlag gelöst, und er würde vielen Sklaven ein hartes Schicksal ersparen, denn Sklaven würde Garcia früher oder später wieder einfangen.
Juan seufzte leise. Er sah im Geist das Schiff auseinanderfliegen, sah brennende Menschen und hörte ihre Entsetzensschreie. Schweratmend und von dem Qualm halb betäubt stand er da, bereit, der Versuchung zu erliegen.
Es war ja alles so einfach!
Der Spanier rang lange Zeit mit sich selbst. Er stand unter ungeheurer Anspannung.
Nach einer endlos scheinenden Ewigkeit hatte er sich entschieden und stieß sich von dem Balken ab.
Das war nicht sein Stil, er konnte nicht über seinen eigenen Schatten springen. Der Gegner war völlig ahnungslos und wußte nicht, daß er seit einiger Zeit auf ein imaginäres Ziel feuerte, auf ein Schiff, das längst verschwunden war und sich heimlich abgesetzt hatte.
Das wäre heimtückisch und hinterhältig und entsprach viel eher dem miesen Charakter eines Francis Ruthland.
Wäre er jetzt auf der „Ghost“ gewesen, hätte er vermutlich nicht lange gezögert und das Schiff in die Luft geblasen. Hier jedoch war es etwas anderes, er brachte es nicht fertig.
Oder? Er dachte an die beiden Schiffbrüchigen auf dem Floß, die sie gerettet und in diese Bucht gebracht hatten. Diese zwei Bastarde hatte Garcia ihnen auch heimtückischerweise untergeschoben und sie so in die Bucht gelockt, um über sie herzufallen.
Eigentlich war es nicht mehr als recht und billig, sich auf die gleiche infame Art zu revanchieren. Auge um Auge, Zahn um Zahn! Oder?
Da war wieder dieses „Oder“, ein Stolperstein, über den er nicht hinwegkam.
Zum Teufel! Er brachte es doch nicht fertig und brauchte mit sich selbst auch nicht darüber zu debattieren. Es führte zu nichts. Er ließ es dabei bewenden, den Spaniern einen kräftigen und nachhaltigen Denkzettel verpaßt zu haben.
Aus, finito!
Fast wütend stieß er sich ab und bahnte sich rücksichtslos einen Weg durch die Leiber. Er stieß Männer zur Seite und ging blind auf den Niedergang zu, bis er ihn erreichte.
Kurz darauf befand er sich an Deck, wo die Luft zwar etwas besser, aber feucht, schwer und naß war.
Als er abentern wollte, sah er sehr undeutlich die Schatten zweier Männer. Sie hielten sich ganz in seiner Nähe auf und sprachen miteinander.
Es waren César Garcia und sein Erster Offizier Juarez Molina.
„… nichts sehen in dem Nebel“, hörte er Garcia sagen. „Nicht mal die Hand vor Augen. Lassen Sie nachher den Schußwinkel der Stücke etwas erhöhen, Señor Molina. Ich bin sicher, daß es bei dem Bastard dann erneut einschlagen wird. Er rechnet nicht damit, und so wird er eine höllische Überraschung erleben.“
„Davon bin ich überzeugt. Wir hätten aber auch etwas mehr Pulver nehmen können, um den gleichen Effekt zu erzielen.“
„Das ist mir zu riskant“, wehrte Garcia scharf ab. „Uns ist schon einmal ein Rohr an Deck krepiert.“
Juan zog sich lautlos ein paar Schritte zurück. Sie sahen ihn nicht, und er hatte sie auch nicht mehr im Auge. Aber er verstand jedes Wort.
„Es gibt allerdings noch eine andere Möglichkeit“, sagte Garcia nach einer Weile des Schweigens. „Wir könnten die große Jolle abfieren und mit ein paar Männern besetzen lassen. Die Männer nehmen zwei Drehbassen mit und feuern dem Bastard aus allernächster Nähe grobgehacktes Blei in die Wasserlinie. Bevor man unsere Leute bemerkt, sind sie in dem Nebel schon wieder verschwunden.“
Garcias schien von seiner Idee begeistert zu sein. Juan hörte ihn leise lachen.
„Ein guter Gedanke“, lobte der Erste. „Damit wird er ganz sicher nicht rechnen. Ein Blitzangriff aus dem Nichts heraus, ein schneller Vorstoß, wobei er eine klaffende Wunde erleidet. Es ist nicht mal ein Risiko dabei. Wir könnten die große Jolle nehmen. Sie liegt auf der Backbordseite.“
„Sehr gut, mein Lieber. Dann lassen Sie zwei Drehbassen in die Jolle schaffen. Feuern Sie auch in ein paar Minuten, damit die Kerle keinen Verdacht schöpfen. Nach dem Angriff sofortige Rückkehr an Bord. Señor Virgos soll das Unternehmen leiten. Verklaren Sie ihm das. Noch etwas: Den Schußwinkel lassen Sie so, wie er ist. Die andere Überraschung dürfte wesentlich nachhaltiger sein.“
Dieser Bastard, dachte Juan, nachdem der Erste gegangen war und nach Virgos brüllte. Diesmal wird er eine Pleite mit seiner Anschleicherei erleben. Er blieb auf seinem Posten und hörte, wie Virgos mit dem Ersten Offizier zurückkehrte. Der Kapitän verklarte seinen Plan noch mal in allen Einzelheiten und schärfte dem Mann ein, überaus vorsichtig zu sein.
Virgos trommelte eine Handvoll Leute zusammen. Erneut wurde erklärt, was bevorstand.
Als Juan sich noch weiter zurückzog, stolperte er über einen Gegenstand nahe der Nagelbank. Es rumorte leise, aber niemand achtete darauf.
Juan tastete um sich und fand eine Axt. Offenbar hatte sie der Schiffszimmermann liegenlassen.
Er wollte sie gerade zur Seite schieben, als ihm etwas einfiel. Er nahm die Axt an sich und ging zur Backbordseite. Dort befand sich ebenfalls eine Jakobsleiter, und darunter mußte die große Jolle liegen, auch wenn er sie in dieser milchigen Suppe nicht sehen konnte.
Schnell blickte er sich um, enterte dann ab und legte die Axt unter die Ducht in der Jolle. Es war eine große Jolle, die bewegungslos auf dem Wasser lag. Danach enterte er blitzschnell wieder auf.
Er war gerade zum richtigen Zeitpunkt wieder oben. Drei Mann waren inzwischen damit beschäftigt, eine Drehbasse in die Jolle zu bringen.
„Vorsichtig abfieren“, sagte Virgos, der anscheinend Profos oder Decksältester war. „Vier Mann nach unten. Steckt die Drehbasse in die Halterung an Backbord, die zweite an Steuerbord und deckt sie gut gegen den Regen ab. Die erste wird abgefeuert, sobald wir die Bordwand erkennen können, dann ein blitzschneller Schwenk, die zweite abfeuern und augenblicklich verschwinden. Und daß mir alles lautlos vonstatten geht!“
Don Juan fühlte sich angesprochen. Er mischte sich unter die Männer und enterte sofort ab. Drei weitere folgten ihm.
Oben wurde die Drehbasse abgefiert. Sie war mit einer Persenning abgedeckt, damit sie nicht naß wurde.
Es ging alles ziemlich lautlos vor sich. Daher zuckte Juan leicht zusammen, als ein überlautes Bersten erklang. Auf der Steuerbordseite feuerten sie vier Kanonen ab. Der ganze Schiffsrumpf bebte und schwankte.
Keiner schenkte dem anderen Beachtung. Jeder war beschäftigt, und außerdem sahen sie sich gegenseitig ohnehin nur als Schatten.
Die Drehbasse wurde in die Halterung gesteckt. Ein weiterer Mann enterte inzwischen ab.
Don Juan hatte ein lausiges Gefühl in der Magengrube. Wenn jemand entdeckte, daß er nicht zu diesem Haufen gehörte, stand ihm ein unangenehmer Tag bevor, der vielleicht damit enden würde, daß er später an der Rah zappelte. Juan fand den Gedanken nicht gerade erheiternd.
Der Knall war verklungen, und erst jetzt wurde ihm bewußt, daß er nicht lauter als sonst auch gewesen war. Daraus war zu folgern, daß sie nicht die präparierten Kanonen abgefeuert hatten, sondern erst die anderen, die schon lange abgekühlt waren.
Na, wenn schon! Früher oder später würden sie auch die anderen Stücke abfeuern, und dann war die Überraschung perfekt.
In dem Augenblick wurde die zweite Drehbasse abgefiert.
3.
Virgos enterte ebenfalls ab. Dem Schattenriß nach war es ein massiger Mann mit einer tiefen Stimme. Er konnte schnell ungeduldig werden, aber er hatte nichts zu bemängeln.
Juan mußte zugeben, daß die Kerle ihr Handwerk verstanden. Sie arbeiteten schnell und sicher und traten sich auch bei dem Nebel nicht gegenseitig auf die Füße. Garcias scharfer Drill zahlte sich aus.
„Alles in Ordnung?“ fragte Virgos leise. „Sitzen die Drehbassen richtig in den Halterungen?“
„Ja“, kam eine Stimme aus der Milchsuppe. „Die Persennings sind ebenfalls dicht.“
Ein weiterer Kerl mit einer Laterne, deren Docht heruntergeschraubt war, enterte ab. Außerdem hatte er noch einen nassen Fetzen Tuch um das Ding geschlungen.
Juan wurde angestoßen und sah den massigen Mann dicht vor sich.
„Du setzt dich auf die Mittelducht nach Steuerbord“, sagte Virgos. „Es wird lautlos gepullt, verstanden?“
„Ja, verstanden“, nuschelte Juan und grinste sich eins. Auf der Mittelducht saß er genau richtig.
Er nahm Platz und griff nach dem Riemen wie die anderen auch.
„Wir pullen um das Schiff herum, bis wir an der Jakobsleiter auf der anderen Seite sind“, sagte Virgos. „Das Barbereskenschiff liegt dann genau voraus. Wir werden es auf die Entfernung nicht verfehlen. Es wird langsam und lautlos gepullt, und wenn wir die Bordwand vor uns auftauchen sehen, werde ich persönlich feuern, und zwar mit der Drehbasse an Steuerbord. Die andere übernimmt Miguel, sobald wir einen Halbkreis gefahren haben.“
„Verstanden“, flüsterte eine Stimme aus dem Nebel.
Noch immer war nicht die Hand vor Augen zu sehen, als Virgos das Kommando zum Pullen gab.
Die Riemen tauchten ein. Juan sah seinen Nebenmann nur als länglichen Schatten in Grau und Schwarz. Sein Gesicht verschmolz mit dem Körper. Der Mann sah aus wie ein großer Mehlsack, von dem das Wasser nur so tropfte.
Die Burschen verstanden es wirklich, fast lautlos zu pullen. Nur ein leises Tropfen war zu hören, wenn sich die Riemen aus dem Wasser hoben. Aber das Geräusch ging im Regen unter und fiel nicht auf. Kein Mensch würde es hören.
Der Schatten der Galeone war schwach zu erkennen. Sie pullten so dicht daran vorbei, daß die Riemen die Bordwand fast berührten. Die Männer, die am Schanzkleid standen, waren nicht zu sehen, nicht mal als Schemen.
Auf der anderen Seite der Galeone hing noch der Pulverdampf. Unwillkürlich hielt Juan den Atem an. Der Qualm roch entsetzlich und durchdringend und reizte zum Niesen und Husten. Er stieß die Luft wieder aus und unterdrückte den Hustenreiz wie die anderen auch.
Nach einer Ewigkeit erreichten sie die Jakobsleiter.
Virgos legte die Jolle so, daß sie mit dem Heck auf die Jakobsleiter zeigte. Dann stieß er die Jolle vorsichtig von der Bordwand ab.
„Genau voraus liegt das Schiff von El Lobo del Mar“, erklärte er und übernahm die Pinne.
Juan grinste sich heimlich eins. In der Jolle gab es keinen Kompaß, und so konnten sie im dichten Nebel schon nach ein paar Yards die Orientierung verlieren. Außerdem lag das Schiff längst nicht mehr da, sondern hatte mittlerweile vermutlich bereits die Bucht erreicht.
Was die „Navigation“ für diese kurze Distanz betraf, da benahmen sich die Dons wie Anfänger und peilten ganz einfach über den Daumen.
Ruhig pullten sie weiter, eine Jolle, die statt mit Männern mit Geistern besetzt war. So sah es jedenfalls aus, wenn sich die Schemen im Nebel bewegten.
Old O’Flynn hätte bei diesem Anblick vermutlich das Grausen gepackt.
Sie bewegten sich in einer Welt aus Watte, einer Sphäre, die absolut unwirklich war. Sie schien eher aus einem Traum zu stammen, und ein paarmal hatte selbst Juan den Eindruck, mit diesen schemenhaften Gesellen allein auf der Welt zu sein.
Es dauerte nochmals eine Ewigkeit, bis Virgos Anzeichen der Nervosität erkennen ließ.
„Wir müßten schon da sein“, flüsterte er ratlos und sah sich dabei nach allen Seiten um. „Nichts zu erkennen?“
„Nichts“, sagte ein Mann. „Absolut nichts.“
„Dann pullt langsam weiter. Der Bastard muß sich in unmittelbarer Nähe befinden.“
Es war wie verhext. Kein Schiff tauchte auf, keine Stimmen waren zu hören.
Virgos ließ das Pullen wieder einstellen und lauschte mit wachen Sinnen in alle Richtungen. Aber nur das eintönige Geräusch des Regens war zu vernehmen, ein Geräusch, das einschläfernd wirkte.
„Wir haben die Richtung verfehlt“, raunte einer.
„Quatsch! Wir sind ganz in der Nähe. Das kann nicht sein.“
Juan enthielt sich verständlicherweise eines Kommentares, um nicht unnötig aufzufallen. Er schätzte, daß sie jetzt mindestens drei- bis vierhundert Yards von der Galeone entfernt waren. Es ließ sich nur sehr schwer abschätzen, aber seiner Ansicht nach konnte das stimmen.
Virgos wurde immer nervöser und fahriger. Er bewegte die Ruderpinne sinnlos hin und her. Schließlich erhob er sich ärgerlich. Mit den Blicken versuchte er den Nebel zu durchdringen. Als das auch nichts fruchtete, stieg er über die Ducht nach vorn. Die Riemen hingen jetzt dicht über der Wasseroberfläche.
„Verflucht noch mal“, sagte er leise. „Hier muß es sein, dafür lege ich meinen Kopf in die Schlinge.“
Die Gestalten waren wie erstarrt. Keiner bewegte sich. Nur die Köpfe drehten sich in alle Himmelsrichtungen. Aber es gab nichts zu sehen außer der grauweißen Wand, die fast mit den Händen greifbar war.
Juan ließ das Riemenblatt unmerklich in Wasser sinken. Die Jolle lief keine Fahrt mehr. Bewegungslos hing sie auf dem Wasser. Die Männer sahen nach vorn, nach achtern und zu beiden Seiten, in der Hoffnung, die Umrisse des Schiffes zu entdecken.
Don Juan schob mit dem Fuß die Axt zu sich heran und belauerte dabei die Spanier. Er tat auch so, als blicke er angespannt über Bord.
„Dort vorn, Steuerbord voraus“, raunte jemand. „Dort ist etwas zu erkennen.“
Der Don sah bestenfalls ein Hirngespinst, das der Nebel ihm vorgaukelte. Vielleicht wollte er sich bei Virgos auch nur wichtig machen. Er erreichte damit aber lediglich, daß jetzt alle gebannt in die Nebelwand starrten und einige kundtaten, jetzt ebenfalls etwas zu sehen.
Juan de Alcazar erhob sich langsam. Die Axt hielt er in der Hand und holte weit aus.
Der Krach war so schmetternd und laut, daß es auf entsetzliche Weise die Stille durchbrach. Der Schlag war auch mit aller Kraft geführt worden.
Die Dons zuckten zusammen und stöhnten verhalten. Einige von ihnen fuhren in panischer Angst herum.
Ein zweiter, berstend lauter Schlag ertönte. Einer der Kerle sank vor Angst auf der Ducht zusammen und rutschte auf die Gräting.
In der Jolle schoß eine Wassersäule hoch wie aus einem Geysir, der explosionsartig ausbrach.
„Santa Maria!“ schrie Virgos, der keine Ahnung hatte, was passiert war. Er sah nur eine Wasserfontäne vor sich, die mitten aus der Jolle aufbrach, und hörte ein Schmatzen und Gurgeln.
Die Jolle schwankte hin und her, während ein dritter Schlag zu hören war.
Jetzt schoß das Wasser in mehreren Säulen hoch. Die Jolle neigte sich zur Seite, als ein paar Dons blind vor Angst zur Backbordseite sprangen.
Ein Zischen und Brausen überlagerte das ängstliche Wimmern von Männern, die annahmen, der Teufel sei persönlich an Bord erschienen.
Noch immer wußte keiner, was eigentlich passiert war. Die Dons drängten und schoben sich, und einer brüllte laut, die „Bastarde“ hätten sie unter Feuer genommen.
Don Juan warf die Axt über Bord, blickte zu den schemenhaften Gestalten und ließ sich über das Dollbord gleiten.
In der Jolle war augenblicklich der Teufel los. Die Gräting war mitsamt dem Rumpf von den starken Hieben durchschlagen worden. Drei gezackte Löcher klafften in dem Beiboot.
Die Kerle schrien sich die Kehlen heiser. Ihren Gegner hatten sie in der Angst vergessen und nahmen auch keine Rücksicht darauf, daß man sie vielleicht hören könnte.
Der Spanier lachte lautlos und stieß sich von der immer stärker überkrängenden Jolle ab. Die Konturen verschwammen sofort. Er hörte nur das Brüllen der Männer und das Gurgeln des Wassers. Auch ein lautes Klatschen vernahm er, als einer der Dons in seiner Angst über Bord sprang.
Das Boot sackte ihnen buchstäblich unter den Hintern weg und krängte immer stärker.
Juan sah es wie einen riesigen, toten Fisch auf dem ruhigen Wasser treiben. Virgos brüllte wieder etwas, aber er verstand es nicht. Es war auch unwichtig. Die Kerle hatten ihren Denkzettel weg, waren die Jolle los und konnten zurückschwimmen. Und ihren Gegner hatten sie auch nicht gefunden.
César Garcia würde mit Sicherheit einen Wutanfall kriegen, wenn er von der Pleite erfuhr.
Juan hatte außerdem die Genugtuung, daß niemand wußte, was denn eigentlich passiert war. Sie waren völlig ahnungslos. Niemand würde auf die Idee verfallen, daß sich ein Saboteur des Seewolfs bei ihnen eingeschlichen hatte, und so würden sie rätseln und grübeln, wie diese Schlappe hatte passieren können.
An ihrem Geschrei und dem Blubbern hörte er, daß sich die Jolle jetzt anschickte, den Grund der Bucht aufzusuchen. Er sah allerdings nichts mehr und orientierte sich nur an dem wilden Gebrüll, das sicherlich bis hin zur Galeone zu hören war.
Seelenruhig schwamm er weiter. Er mußte sich nach rechts halten, bis er den Tapti erreichte, wo die Strömung herrschte. Dazu mußte er eine kleine Landzunge überqueren. Die schmale Einfahrt zur Bucht zu finden, war bei den Sichtverhältnissen nicht einfach.
Nicht lange, und er spürte Grund unter den Füßen. Von der Buchtmitte her war immer noch Geschrei zu hören, als er an Land watete.
Er blieb stehen und lauschte, dabei konnte er sich ein Grinsen nicht verkneifen.
Kein Zweifel, daß die Dons ihre Jolle los waren und jetzt in der Bucht schwammen. Die Orientierung, die vorhin schon ein Problem darstellte, schien ihnen jetzt noch schwieriger zu fallen. Er hörte es an den Zurufen, mit denen sie ihre Position bekanntgaben. Er glaubte auch Virgos Stimme zu hören.
Juan überquerte die paar Yards breite Landzunge mit dem dichten Gebüsch, bis er den Tapti rauschen hörte. Er mußte sich flußabwärts nach rechts halten, doch er sah nicht mal das Wasser. Er spürte es erst, als er am Ufer ausglitt und schon in der warmen Brühe drin war.
Diesmal schwamm er zügig bis zum gegenüberliegenden Ufer und ließ sich dort langsam treiben.
Er hatte jetzt selbst Mühe, die Orientierung zu halten, um die Bucht zu finden. Es war ungefähr so, als suche er in einem riesigen Heuhaufen die berühmte kleine Nadel.
Das Entsetzen steckte den Dons noch in den Knochen. Ein paar von ihnen soffen vor Angst fast ab, als sie sich übergangslos im Wasser befanden.
Virgos schrie und brüllte nach seinen Leuten, die sich in alle Richtungen zerstreuten und wie wild herumplanschten.
Nach und nach kam in den wilden Haufen wieder Ordnung, und die Männer schwammen auf Weisung Virgos zum inneren Teil der Bucht, bis sie Land erreichten.
Die Spanier zitterten trotz der Wärme, und sie glaubten, der Leibhaftige säße ihnen immer noch im Nacken, der ihnen gerade so übel mitgespielt hatte.