Seewölfe Paket 34

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Hätte Virgos jetzt seine Leute abgezählt, dann wäre ihm möglicherweise etwas aufgefallen. Aber daran dachte er in der Aufregung nicht. Er sah Gestalten um sich herum und setzte sich in Richtung der Siedlung Esperanza in Marsch. Von der ersten Hütte aus hatten sie einen Anhaltspunkt und konnten zur „Aguila“ hinüberschwimmen.
Sie redeten kaum miteinander. Jeder versuchte, so schnell wie möglich das rettende Schiff zu erreichen, das allein Schutz vor Teufeln und Dämonen zu bieten schien.
Eine knappe Stunde nach dem Untergang ihrer Jolle, der so rätselhaft war, befanden sie sich endlich an Bord.
César Garcia hatte wirklich schlechte Laune, als die Männer erfolglos zurückkehrten und Virgos Bericht erstattete.
„Ein Ungeist muß an Bord gewesen sein“, schloß der Profos seinen Bericht. „Es gibt keine andere Erklärung, Señor Capitán. Die Jolle wurde von etwas getroffen und versank fast augenblicklich. Wir hörten nur ein entsetzliches Krachen und Splittern.“
„Die Bastarde werden auf euch geschossen haben, ohne daß ihr sie auch nur sehen konntet!“ rief Garcia wütend. „Ich hatte ausdrücklich befohlen, daß ihr euch leise verhalten und ganz vorsichtig heranpullen solltet.“
Der Erste Offizier Molina mischte sich ein.
„Verzeihung, Señor Capitán. Wir haben keinen einzigen Schuß gehört. Das Geräusch wäre uns auf die Entfernung nicht entgangen. Es muß etwas anderes passiert sein.“
„Darüber befinden wir später. Lassen Sie die Männer abzählen, Señor Molina. Ich will wissen, ob es Ausfälle gegeben hat.“
„Es fehlt kein Mann“, erklärte der Profos schnell.
„Das wird sich gleich herausstellen.“
Molina ließ die Männer antreten. Dann wurde gezählt, und der Profos Virgos schien recht zu behalten. Es fehlte tatsächlich kein Mann. Alle waren von dem Unternehmen zurückgekehrt, wenn auch erfolglos.
„Es hat also niemand von uns einen Schaden davongetragen“, sagte Garcia mit böse glitzernden Augen. „Aber wir haben die große Jolle verloren. Wie war das möglich?“
Die Dons rätselten daran herum. Es war kein Schuß abgefeuert worden, wie auch die Jollencrew bestätigte. Trotzdem war das Beiboot regelrecht explodiert.
Garcia ging im Nebel auf und ab und versuchte die Gestalten zu erkennen, die sich in seiner Nähe aufhielten.
„Wer war in der Jolle? Vortreten, dicht vor mich hinstellen! Virgos, Sie nennen mir zusätzlich noch die Namen.“
Virgos zählte, einschließlich sich selbst, insgesamt acht Mann auf. Dabei fiel auch der Name Carmona.
„Ich war nicht dabei!“ rief Carmona fast empört. „Das weiß ich ganz genau.“
„Aber wir waren insgesamt acht Leute. Natürlich warst du dabei.“
„Nein, ich war an Bord. Das können etliche bestätigen.“
Julian Carmona drängte sich weiter vor. Er sah aus, als litte er unter der Schwindsucht. Er war stoppelbärtig und hatte eine Haut wie Leder, die sich straff über die kantig hervortretenden Wangenknochen spannte.
Zwei Mann bestätigten, daß er an Bord gewesen sei, als die Jolle längst unterwegs war.
Garcia schlug erregt mit dem Degen gegen seine Stiefel. Er wußte nicht, was er von der Sache halten sollte.
„Das ist ja reichlich mysteriös und geheimnisvoll“, knurrte er. „Das grenzt ja fast an Zauberei. Noch einmal: Alle, die in der Jolle waren, melden sich mit Namen bei mir persönlich.“
Dabei stellte sich etwas Eigenartiges heraus. Genau sieben Mann waren in der Jolle gewesen. Aber das konnte nicht stimmen.
„Drei Rudergasten auf jeder Seite“, zählte der entnervte Profos auf. „Ich selbst war an der Pinne, und im Bug der Jolle saß einer als Beobachter. Das war Cordes.“
„Stimmt, ich war im Bug der Jolle“, bestätigte der Mann verwirrt.
Noch einmal wurde gezählt, aber das ließ die Angelegenheit nur noch undurchsichtiger erscheinen.
Es fehlte ein Mann! Und das war etwas, das keiner von ihnen begriff. Einer der Männer auf der Steuerbordseite war spurlos verschwunden, als habe es ihn nie gegeben. Und doch waren alle vollzählig an Bord.
„Hier ist eine Sauerei übelsten Ausmaßes im Gange!“ brüllte Garcia. „Etwas stimmt an der ganzen Geschichte nicht, und ich werde herausfinden, wer mich angelogen hat. Gnade Gott dem Kerl! Ich lasse ihn auspeitschen und zusätzlich kielholen!“
Jetzt wollten sie es ganz genau wissen.
Zwei Kerle behaupteten mit der größten Selbstverständlichkeit, den einen Platz in der Jolle habe der Teufel selbst eingenommen, der nach dem Unglück sofort verschwunden sei. Sie hätten auch noch einen leichten Geruch nach Schwefel wahrgenommen.
„Verstehen Sie das, Molina?“ fragte Garcia. „Sieben Mann sind in der Jolle gewesen und sieben sind auch zurückgekehrt. Unterwegs müssen es aber acht gewesen sein, wenn alle Riemen besetzt waren.“
„Ich verstehe überhaupt nichts mehr. Ich weiß nur, daß es hier nicht mit rechten Dingen zugeht, Señor Capitán. Oder es muß doch einer verschwunden sein.“
„Zum Donnerwetter, nein und nochmals nein!“ brüllte Garcia. „Die Mannschaft ist vollzählig. Wir haben das doch einwandfrei festgestellt. Und an den Teufel glaube ich nun mal nicht. Ich habe noch nie einen gesehen.“
Es ging hin und her, und schließlich hatten alle vor Aufregung knallrote Köpfe.
Don Juan hätte seine helle Freude an der allgemeinen Verwirrung gehabt, wenn er das gesehen hätte.
Es stellte sich heraus, daß Molina nicht abgeneigt war, an die Version des Teufels zu glauben. Vielleicht deshalb, weil er keine andere Erklärung fand. Daß der Capitán den Teufel noch nie gesehen hatte, war noch lange kein Beweis dafür, daß es ihn nicht gab. Den Wind konnte man schließlich auch nicht sehen, trotzdem war er da und pfiff ihnen hin und wieder kräftig um die Ohren.
Das sagte er Garcia auch, und daraufhin explodierte der Capitán voller Wut.
„Verschonen Sie mich mit diesem verdammten Mist!“ brüllte er den zusammenzuckenden Mann an. „Hier geht etwas vor, was selbst mein Begriffsvermögen bei weitem übersteigt! Von Ihrem ganz zu schweigen!“
Der Profos mußte zum wiederholten Male alles genau angeben, wo und wie jeder in der Jolle gesessen hatte und was seine Aufgabe gewesen war.
Garcia biß sich in den Fall buchstäblich hinein – und fand dennoch keine Lösung. Nicht mal eine Vermutung hatte er. Er starrte seine Leute nur voller Mißtrauen an.
„Ich werde das noch herausfinden“, versprach er düster. „Vielleicht hatte doch der Bastard Killigrew seine Finger in diesem Spiel. Verschwinden Sie jetzt unter Deck, Geschützmeister, und lassen Sie zwei Rohre abfeuern. Ich lasse mich nicht zum Narren halten. Erhöhen Sie auch den Schußwinkel.“
Ein paar Männer verschwanden in auffallender Eile, froh darüber, nicht mehr der schlechten Laune des Kapitäns ausgesetzt zu sein.
„Was hat er nur“, murmelte der Stückmeister. „Schließlich ist es doch egal, wie viele Kerle in der Jolle waren. Sie sind schließlich alle wieder heil zurückgekehrt und kein Mann fehlt. Da soll es mir doch völlig schnuppe sein, ob sich einer verzählt hat.“
Der Logik des Stückmeisters schlossen sich auch die anderen an. Da hatte sich eben einer verzählt – damit basta! Warum sollte man sich deswegen künstlich aufregen?
Im Batteriedeck ließ der Stückmeister Keile untersetzen und prüfte die Kanonen dann genau. Er erkannte zwar kein Ziel und feuerte wieder mal aufs Geratewohl, aber möglich war es ja, daß sie den englischen Bastard trafen, vielleicht durch einen Zufallstreffer.
Die Rohre waren jetzt um eine Handbreite erhöht.
Der Stückmeister gab den Befehl zum Feuern.
4.
Was dann geschah, wußte keiner mehr genau zu sagen. Aber auf eine grauenhafte Art hatte sich die Hölle aufgetan.
Zwei Culverinen wurden gleichzeitig gezündet.
In dem fast finsteren Teil des Batteriedecks entstand für einen winzigen Augenblick eine gleißende Helligkeit. Sie war so grell, als sei urplötzlich die Sonne unter Deck aufgegangen.
Ein paar Spanier nahmen diesen Eindruck als ihren letzten im Leben in sich auf. Den berstenden, infernalisch brüllenden Donner hörten sie nicht mehr.
Zwei Rohre krepierten in einem wilden Glutball. Schwere Bronzestücke, scharfkantig wie Meteoriten, flogen durch das Deck. Sie fetzten ins Holz und schlugen es kurz und klein. Eine der zerstörten Culverinen raste zurück, zerriß die Brooktaue wie Zwirnfäden und donnerte als riesiges Trümmerstück durch ein Schott.
Aus dem Batteriedeck drang ein gellender Schrei, der nichts Menschliches mehr an sich hatte.
Der ohrenbetäubende Lärm und der grelle Schrei ließ den Männern auf dem Oberdeck das Blut in den Adern gefrieren. Es hörte sich ganz so an, als sei die „Aguila“ selbst zweimal hintereinander getroffen worden.
Garcia wechselte die Gesichtsfarbe. Er schluckte verstört und stierte nach unten, wo dichter, schwarzer Qualm aus den Stückpforten drang. Er glaubte, in dem Nebel größere Holzbrocken davonfliegen zu sehen.
„Schnell, nach unten!“ schrie er und hastete los. Mit langen Sätzen stürmte er über den Niedergang ins untere Deck. Der Erste Offizier folgte ihm zitternd.
Unter Deck sah es verheerend aus, das erkannte er trotz der schlechten Sicht auf den ersten Blick. Er glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als er die Verwüstungen sah.
An einer Stelle flackerte ein winziges Feuer ganz in der Nähe etlicher Pulverfässer.
Garcia rannte mitten in das Feuer und trat wie ein Wahnsinniger mit den Stiefeln darauf herum. Unter seinen Absätzen stoben kleine Funken auf. Dann stolperte er über etwas, das in verkrümmter Haltung auf den Planken lag.
Sein erster Eindruck war der, daß der Bastard gefeuert und auch getroffen hatte. Beim zweiten Blick erkannte er die entsetzliche Wahrheit und stöhnte laut auf.
Der Erste stand neben ihm und starrte mit offenem Mund auf das Chaos, das sie von allen Seiten umgab.
„Madre de Dios“, stammelte er.
Zwei Kanonen waren regelrecht zerfetzt worden. Ihre Rohre waren nur noch zersplitterte Stümpfe, scharf gezackt, von einer gewaltigen Explosion zerrissen und zerfetzt. Die Bronzestücke hatten das Deck verwüstet und ein Faß mit Schießpulver umgeworfen. Eine Kanone hatte das Schott durchschlagen und einen Schattenriß hinterlassen. Samt der zweirädrigen Lafette hatte sie sich durch das Holz gebohrt.
Die andere Culverine qualmte noch aus dem Stumpf, der vormals das Rohr war. Der Torso zeigte genau auf ihn, und im letzten Teil des Inneren sah er das Rohr noch glühen.
Der Stückmeister lag unmittelbar davor. Er hatte keinen Kopf mehr. Drei weitere Männer waren ebenfalls tot. Einer war nur leicht verletzt, aber völlig benommen. Er hockte auf den Planken und lachte, bis sein Lachen in ein haltloses Schluchzen überging.
„Zwei Rohre sind krepiert“, sagte Garcia fassungslos. „Das ist ein Tag des Unheils. Die Trümmer haben die Männer getötet.“
Er bückte sich und drehte einen Mann auf den Rücken. Schaudernd wandte er das Gesicht ab.
„Kein Licht entzünden!“ schrie Garcia. „Überall ist Schießpulver verstreut! Wir würden uns selbst in die Luft jagen. Rufen Sie ein paar Leute, Molina. Sie sollen Pützen mit Wasser mitbringen. Vorerst wird hier nichts angefaßt.“
„Wie konnte das nur passieren?“ fragte der Erste erschüttert. „Die Geschütze sind doch sicher bei der vorschriftsmäßigen Bedienung.“
„Das weiß ich noch nicht“, erwiderte Garcia. Seine Stimme klang seltsam hohl wie ein Echo. „Aber vermutlich hat der Kerl zuviel Pulver in die Stücke einfüllen lassen.“
„Das kann ich nicht glauben, Capitán. Der Stückmeister ist ein zuverlässiger Mann.“
„Er war einer“, korrigierte Garcia scharf. „Aber das ist nicht mehr ganz so sicher. Ich werde das nachher überprüfen lassen.“
Über den Niedergang hasteten Spanier mit Pützen. Bei dem grauenhaften Anblick fiel einem der Dons die Pütz aus der Hand. Das Seewasser ergoß sich über Garcias Stiefel.
Der Capitán holte aus und schlug zu. Es war ein Reflex, er schlug die Leute nie persönlich, dafür hatte er einen Zuchtmeister. Aber alle aufgestaute Wut und Aggression der letzten Stunde entluden sich jetzt, und als der Mann sich duckte, erhielt er einen zweiten Schlag, der ihn auf die Planken warf.
„Dorthin mit dem Wasser!“ schrie Garcia. „Die Disziplin hat verflucht gelitten. Aber ich werde wieder Ordnung in diesen Sauhaufen bringen. Verlaßt euch darauf! Ich werde auch den Kerl finden, dem wir das alles zu verdanken haben.“
Das Seewasser wurde über das Schießpulver gegossen, das auf den Planken verstreut war. Dann ließ Garcia die Fässer wegbringen und erst danach zwei Laternen entzünden, die das Deck notdürftig erhellten.
Der Verletzte wurde vom Feldscher versorgt. Ein weiterer Mann hatte Blutergüsse und Prellungen. Bei den anderen kam jede Hilfe zu spät.
Die Toten wurden nach oben gebracht. Sie sollten später in der Nähe der Siedlung begraben werden.
Den Kopf des Stückmeisters fanden sie nicht, so sehr sie auch alles absuchten. Er war spurlos verschwunden.
Den Dons rann ein Schauer nach dem anderen über die Rücken, wenn sie die Leiche des Stückmeisters sahen.
Als im Batteriedeck notdürftig alles aufgeklart war, erhielt der Zimmermann Anweisungen für die Reparatur, die morgen stattfinden sollte.
Garcia hatte sich in die Idee verrannt, daß es an Bord einen Saboteur geben müsse, weil die Ungereimtheiten sich häuften. Er ließ die Galeone von vorn bis achtern durchsuchen.
Aber es befand sich kein Fremder an Bord, und die Crew war vollzählig bis auf die bei der Explosion getöteten Männer.
Anschließend ernannte er einen neuen Stückmeister, und der mußte gleich antreten.
„Lassen Sie das Pulver aus den Culverinen schaufeln und genauer nachmessen!“ befahl er. „Ich wünsche äußerste Korrektheit dabei.“
Die Mannschaft wurde immer nervöser. Garcias Laune sank mehr und mehr auf den Nullpunkt, und die Männer mieden ängstlich seine Nähe.
Der Stückmeister ging mit zwei Gehilfen an die Arbeit, wobei Garcia ihm laufend erklärte, es sei absolut nicht normal, daß zwei Kanonen gleichzeitig explodieren könnten.
Bei der ersten Culverine wurden an Pulverladung exakt zwölf libras gemessen, was der Menge in englischen Pfunden entsprach.
„Wieder einfüllen. Die nächste Kanone“, befahl Garcia.
Bei der dritten wurde der Stückmeister fündig und traute seinen Augen nicht. Er schaufelte und schaufelte, und sein Adamsapfel ruckte dabei nervös auf und ab.
Garcia stand daneben. Sein Gesicht war kantig und sein Grinsen ein bösartiges Verziehen seiner Lippen.
„Sieh an“, sagte er leise. „Wieviel?“
„Mehr als zwanzig libras, Señor Capitán.“ Dem neuernannten Stückmeister brach der Schweiß aus allen Poren.
„Das kann nicht sein“, ächzte der Erste ungläubig. „Das tut keiner von uns, Capitán.“
„Dann war’s wohl wieder der bewußte Teufel, was? Der scheint hier immer mehr seine Hände im Spiel zu haben. Das muß der Stückmeister getan haben. Er war schließlich für die Stücke verantwortlich.“
„Er wird sich doch nicht selbst in die Luft jagen. Da müßte er ja verrückt sein.“
„Was glauben Sie denn, wer es war, Molina?“
„Ich weiß es wirklich nicht, ich kann es mir auch nicht vorstellen.“
„Jemand hat es während des Nebels eingefüllt“, behauptete Garcia. „Und dieser Jemand befindet sich mitten unter uns. Der Nebel ist so dicht, daß einer den anderen nicht sieht und schon gar nicht erkennt. Der Lumpenhund hatte leichtes Spiel.“
Mißtrauen breitete sich immer mehr aus. Jeder sah den anderen plötzlich mit scheelen Blicken an.
„Alle, die sich im Batteriedeck aufgehalten haben, melden sich nachher bei mir“, befahl Garcia. „Ich werde jeden einem peinlichen Verhör unterziehen, jeden einzelnen. Das gilt natürlich nicht für die Offiziere.“
„Vier präparierte Kanonen“, sagte der Erste ächzend. „Dabei kann es sich wirklich nicht mehr um ein Versehen handeln.“
„Vermutlich nicht“, sagte Garcia höhnisch.
Er wischte sich ärgerlich mit der Hand übers Genick, weil es irgendwo vom oberen Deck langsam, aber stetig tropfte.
Inzwischen wurden weitere Stücke überprüft. Erleichtert stellte der Stückmeister fest, daß die Pulverladungen stimmten. Der Saboteur hatte sein schändliches Werk auf vier Kanonen begrenzt, mehr hatte er zum Glück nicht geschafft, oder er war bei seinem Tun gestört worden.
Platsch! Ein dicker Tropfen fiel Garcia erneut ins Genick. Er fluchte verhalten.
„Sobald das Dreckwetter vorbei ist“, sagte er erbost, „wird das Oberdeck kalfatert. Es dringt ständig Wasser nach unten. Denken Sie daran, Molina. Hier unten muß es trocken bleiben. Eine Schweinerei ist das. Das Pulver könnte naß werden.“
„Ich werde daran denken“, versprach der Erste.
Der nächste Tropfen, der dem Capitán ins Genick fiel, versetzte ihn in rasende Wut. Er riß einem der betroffen herumstehenden Männer die Laterne aus der Hand und leuchtete nach oben.
Im trüben Widerschein der Funzel sah er den Kopf des Stückmeisters.
Er lag auf dem oberen Deckenbalken, wohin ihn der Explosionsdruck geschleudert hatte.
Eine dünne Blutspur rann als kleines Rinnsal von dem Balken hinunter. Von dort tropfte es weiter nach unten, und diese Tropfen waren Garcia ins Genick gefallen.
Der Capitán rührte sich für lange Augenblicke nicht. Wie hypnotisiert starrte er auf den Schädel des ehemaligen Stückmeisters.
Sein Atem ging stoßweise, und seine Lippen zuckten.
„Dieses – dieses – Ungeheuer!“ stieß er atemlos hervor. Die Hand mit der Laterne zitterte.
„Was ist denn, Señor Capitán?“ fragte der Erste. „Haben Sie …?“
Er folgte dem Blick Garcias und starrte ungläubig nach oben. Auch die anderen Männer an den Kanonen wurden jetzt aufmerksam.
Molina stieß einen lauten Schrei aus. Der Anblick war so schrecklich und grausam, daß er unwillkürlich schrie. Seine Zähne schlugen wie im Fieber aufeinander.
Erst als sein Schreien abrupt verstummte, entdeckten die anderen Männer den Kopf des Stückmeisters. Unter den abergläubischen Leuten brach fast eine Panik aus.
Einer der Kerle warf die Laterne auf die Planken, flüchtete laut brüllend und von namenlosem Entsetzen gepackt, quer durch das Batteriedeck und raste den Niedergang hinauf. Zwei Mann wichen aufschreiend zurück und bekreuzigten sich. Die anderen rannten ebenfalls los.
Garcia konnte es ihnen nicht mal verübeln. Er hob die Laterne auf und stellte sie auf die Planken. Mit verzerrtem Gesicht blickte er zu dem Ersten Offizier.
„Wir haben wirklich den Teufel an Bord“, flüsterte er so leise, daß Molina ihn kaum verstand.
5.
Der Monsunregen hatte noch mehr nachgelassen. Nur der Nebel blieb, und jetzt wurde es fast übergangslos Nacht.
Die Arwenacks lagen mit der Schebecke in der Bucht. Hasard hatte vor, das Schiff ein wenig aufzuslippen, doch der Tapti zog ihm einen dicken Strich durch seine Überlegungen.
Der Fluß war in den letzten beiden Stunden merklich gestiegen, aber noch nicht reißend geworden. Er hatte fürs erste nur sein Bett verbreitert und dehnte sich weiter in den umliegenden Dschungel aus.
Einen Tidenhub gab es nicht mehr. Er betrug zur normalen Zeit ohnehin nur ein knappes halbes Yard. Jetzt war der Unterschied längst verwischt und nicht mehr zu merken.
„Das wird schwierig werden“, sagte Ferris Tucker. „Wenn wir die Schebecke aufs Trockene bringen, hängen wir nach ein paar Stunden erneut im Wasser, oder wir sitzen irgendwo zwischen den Mangroven fest. Ein Gedanke, der mir nicht unbedingt behagt.“
„Der Regen hat nachgelassen“, entgegnete Hasard. „Kann durchaus sein, daß der Tapti nicht mehr weiter steigt. Nur der Nebel hält sich noch wie dicke Suppe.“
Ferris räusperte sich. Der Nebel hatte längst die Bucht eingehüllt, aber er war nicht mehr so kompakt wie zuvor. Hier trieben immer wieder wirbelnde Schwaden und Schleier. Hin und wieder riß der milchig-trübe Vorhang auch auf. Sie konnten sich dann zumindest gegenseitig erkennen.
„So schlimm wird es mit dem Ruder wohl nicht sein“, sagte der rothaarige Schiffszimmermann. „Es hängt ein bißchen, aber wir können es mit Bordmitteln reparieren. Es wird allerdings etliche Stunden dauern. Das läßt sich leider nicht ändern. Hoffentlich hält der Nebel wenigstens so lange noch, damit es den Bastarden nicht einfällt, uns in dieser Bucht einen Besuch abzustatten.“
„Das ist allerdings auch meine Befürchtung.“
Hasard lauschte in den Nebel. Da waren plötzlich Geräusche zu hören. Ein dumpfes Wummern, als bebe die Erde.
„Sie feuern wieder“, sagte Ben Brighton. „Die haben noch nicht mitgekriegt, daß wir uns längst verholt haben. Sollen sie ihr Pulver nur verschießen, diese Halunken.“
Seine Worte klangen erbittert und auch etwas wütend. Eine gewisse Hilflosigkeit sprach aus ihnen. „Wir sollten uns überlegen, wie wir ihnen zuvorkommen können, Sir. Mir geht es mächtig auf den Nerv, daß sie mit uns regelrecht Katz und Maus spielen. Diesmal sitzen wir in der Klemme, und es sieht nicht gut aus.“
„Mit dem beschädigten Ruder können wir gar nichts unternehmen, Ben“, sagte Hasard leise. „Mir behagt die Situation auch nicht, aber sie ist zur Zeit nicht zu ändern. Wir haben hier sowieso nichts mehr zu melden. Es bleibt uns nichts weiter übrig, als nach erfolgter Reparatur heimlich zu verschwinden. Was haben wir in Surat erreicht? Kein Hund nimmt auch nur einen Knochen von uns – nach allem, was bisher vorgefallen ist. Der Padischah würde sich freuen, uns noch einmal zwischen die Finger zu kriegen. Er muß vor Wut auf uns bersten, obwohl wir nichts Unrechtes getan haben. Wir haben uns lediglich befreit, um dem sicheren Tod zu entgehen. Ein Akt der reinen Notwehr, den ich selbst keinem anderen verübeln könnte.“
„Hier denkt man leider anders darüber.“
„Hier ist alles verpatzt worden, was man nur verpatzen kann. Die ganze Mission ist kläglich gescheitert.“
„Trotzdem müssen wir jetzt etwas unternehmen“, drängte Ben. „Das Ruder muß so schnell wie möglich repariert werden, damit wir wenigstens manövrierfähig sind. Als letzte Konsequenz bleibt uns dann nur das schmähliche Auskneifen vor dem Gegner.“
„Ha, wir und auskneifen!“ dröhnte Carberrys Stimme auf. „Lieber beiße ich mir in den Hintern, als vor diesen abgetakelten Rübenschweinen auszukneifen. Die Bastarde haben uns mit Intrigen und Hinterhältigkeiten in die bescheidene Situation manövriert, und dagegen sollten wir uns mit allen Mitteln wehren.“
„Was verstehst du unter allen Mitteln?“ fragte der Seewolf. „Vielleicht hat Don Juan was erreicht, aber das kann ich mir nur schlecht vorstellen. Was für Möglichkeiten haben wir denn noch mit einem angeschossenen und fast manövrierunfähigen Schiff?“
„Brandsätze“, knurrte der Profos, dem die Wut bis zum Hals stand. „Wir beharken den Don mit Brandsätzen, bis ihm alles um die Ohren fliegt.“
„Darüber habe ich schon mit Juan gesprochen. Mit den Brandsätzen können wir nicht viel ausrichten, solange es regnet.“
„Aber es regnet kaum noch“, wandte der Profos ein. „Das bißchen Wasser wird den Dingern kaum schaden. Wenn wir dem Don eins verpaßt haben, kneift der andere Bastard den Schwanz ein. Der segelt doch nur im Schatten der Kriegsgaleone mit und hat nur dann sein starkes Hemd an, wenn ihm jemand zur Seite steht. Ruthland allein haben wir nicht zu fürchten mit seinem Karavellchen.“
„Da magst du recht haben. Das Problem ist ja auch der Spanier. Den müssen wir erst mal loswerden.“
„Durch gutes Zureden segelt der bestimmt nicht nach Hause“, motzte der Profos.
Ferris und Shane waren unterdessen nach achtern gegangen und über die Rüste in die Jolle abgeentert. Die Zwillinge Hasard und Philip folgten ihnen mit Laternen. Ferris wollte eine erste Inspektion vornehmen, um zu sehen, wie stark die Beschädigungen waren. Danach sollte unverzüglich mit der Reparatur begonnen werden, sofern es möglich war.
Am Schiffsrumpf zogen sie sich mit der Jolle weiter nach achtern.
„Scheißnebel!“ schimpfte Ferris. „Auf dem Wasser sieht man kaum etwas.“
„Unser Glück“, brummte Shane. „So können uns die anderen wenigstens auch nicht ausmachen. Mir geht es gegen den Strich, ausgerechnet dann gejagt zu werden, wenn man selbst lahme Flügel hat.“