Seewölfe Paket 34

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Als er mit der kleinen Buddel zurückkehrte, suchte der Profos vorsichtshalber gleich das Weite und stellte sich so, daß der leichte Wind den Duft von ihm forttrieb. Auch ein paar andere Arwenacks suchten ihr Heil in der Flucht.
Mac ließ sich überhaupt nicht stören. Er öffnete das Fläschchen und hielt es dem ersten Kerl unter die Nase. Und weil der den Mund weit offen hatte, hielt er ihn mit der einen Hand zu. Der Kerl war nun gezwungen, durch die Nase zu atmen, und da erlebte er auch sofort eine höllische Überraschung.
Zunächst begann es wild in seinem Gesicht zu zucken, als litte er unter entsetzlichen Krämpfen. Dann wand er sich wie ein Aal auf den Planken. Mac hielt weiterhin seinen Kopf fest und die „Riechbombe“ unter die Nase.
Ein erstickter Aufschrei folgte, dann ein wildes Zucken und Aufbäumen. Der Mann flutschte unter Mac weg und sprang verstört auf. Anschließend würgte es ihn.
Batuti hielt ihn fest und entblößte dabei grinsend sein prachtvolles Gebiß. Der Anblick des schwarzen Riesen gab dem Mann den Rest. Zitternd hing er im Griff des Gambiamannes.
„Das wirkt aber, was?“ fragte Mac strahlend und war schon bei dem zweiten Mann, dem die gleiche Prozedur bevorstand.
Der kam noch schneller zu sich als der erste. Das Wundermittel zeigte bei ihm ebenfalls eine erstaunliche Wirkung, die die anderen verblüffte.
Mit einem wahnsinnigen Schrei sprang der Bärtige auf die Beine, nachdem er das Zeug eingeatmet hatte. Er schüttelte sich wild und sah sich im Kreis der Arwenacks gehetzt um.
Mac Pellew verkorkte liebevoll sein „Parfüm“ und brachte es mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck wieder zurück.
Hasard widmete sich sofort den beiden Burschen, um sie ein wenig in die Mangel zu nehmen.
9.
„Nun erzähl mal, wohin euch der Nebel verschlagen hat“, sagte der Seewolf. „Ich möchte aber die Wahrheit hören, sonst lasse ich sie aus euch herausprügeln.“
Die beiden wirkten immer noch völlig verstört.
„Wo, wo sind wir hier?“ antwortete Jonny mit einer Gegenfrage.
„In einer Bucht des Tapti“, erklärte Hasard geduldig.
Die beiden hatten offenbar gar nicht begriffen, was ihnen widerfahren war, denn immer wieder sahen sie sich ungläubig um.
„Welchen Auftrag hattet ihr?“ fragte Hasard. „Hat euch Ruthland geschickt?“
„Uns – uns hat niemand geschickt. Wir sind ein bißchen herumgepullt, und dann muß etwas passiert sein.“
„Das hier ist passiert“, sagte der Profos drohend und hielt ihnen die riesige Pranke unter die Nase. „Ihr habt euch in die Bucht einschleichen wollen, um zu spionieren. Das haben wir deutlich gehört. Und wenn ihr jetzt nicht mit der Sprache herausrückt, dann ziehe ich euch die Haut in Streifen ab.“
Um seinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen, zog er sein Entermesser und wetzte es an einem Flintstein. Dabei gab es prächtige Funken, denn der Profos wetzte das Messerchen, als rüste er sich zu einem großen Schlachtfest.
Die beiden nahmen seine Worte für bare Münze. Der Kerl mit dem narbigen Gesicht und dem fürchterlichen Amboßkinn würde seinen Worten ganz sicher die Tat folgen lassen. Die anderen sahen auch nicht gerade freundlich aus, und einer kratzte sich mit seiner eisernen Hakenprothese das Stoppelkinn. Dann hieb er diesen furchtbaren Haken ins Holz des Schanzkleides und hielt sich daran fest.
Stan und Jonny waren keine Helden, sie waren nur großmäulig, und jetzt hatten sie fürchterliche Angst, weil ohnehin alles schiefgegangen war.
„Ruthland und Garcia haben uns geschickt“, sagte Stan kläglich. „Wir sollten feststellen, wo euer Liegeplatz ist.“
„Das wißt ihr jetzt“, sagte Hasard kühl. „Und was beabsichtigen die beiden ehrenwerten Gents?“
Stan senkte den Kopf, und auch Jonny wollte nicht so recht mit der Sprache heraus. Erst als der Narbenmann mit dem Wetzen aufhörte und sich ihnen näherte, fanden sie schnell die Sprache wieder. Der Profos warf bereits einen prüfenden Blick auf ihre Achtersteven, an denen er herumschnippeln wollte.
„Sie warten nur noch ab, bis der Nebel sich etwas lichtet und der Wind stärker weht. Dann wollen sie lossegeln und dann – äh …“
„Wollen sie uns in der Bucht zusammenschießen“, vollendete Hasard.
Die Antwort war wiederum ein klägliches Nicken der beiden.
„Wie soll das vor sich gehen?“
„Wir sollten euren Liegeplatz erkunden und dann zurückkehren. Danach wollen beide Schiffe in die Bucht segeln, sie blockieren und das Feuer eröffnen.“
„Und ihr seid feuerbereit?“ fragte Hasard.
„Ja, es ist alles klar. Sie vermuteten euch in der ersten Bucht auf der anderen Seite des Flusses. Der Spanier hat alle Kanonen geladen, und wir – wir natürlich auch.“
Hasard ließ sich noch ein paar Einzelheiten berichten. Die beiden Kerle rückten ziemlich schnell mit den Antworten heraus.
Garcia und Ruthland hatten also vor, in die Bucht einzubrechen, das Feuer aus allen Rohren auf die hilflose Schebecke zu eröffnen, sie in Grund und Boden zu schießen und dann – falls noch etwas übrig war – zu entern. Der Seewolf sollte ihnen dabei möglichst lebend in die Hände fallen.
Hasard lachte leise bei dieser Eröffnung. Er quetschte die beiden nach weiteren Details aus und erfuhr auch von den Rohrkrepierern, die Don Juan in Szene gesetzt hatte.
„Wir sollten die Kerle mit einer falschen Nachricht zurückschicken“, meinte Big Old Shane. „Sie wissen nicht mal genau, was ihnen passiert ist, so schnell hat man sie hoppgenommen. Vielleicht wissen sie auch nicht, in welcher Bucht wir liegen. Sie werden eine andere angeben, und wir haben Zeit gewonnen.“
„Zu riskant“, sagte Hasard so, daß die beiden es nicht hören konnten. „Vielleicht wissen sie es doch und tun nur so als ob. Nein, die beiden Helden schicken wir nicht zurück. Wenn sie nicht erscheinen, werden Garcia und Ruthland nervös und verunsichert. Sie haben dann keine genauen Anhaltspunkte.“
„Was willst du mit ihnen tun, Sir?“
„Frage sie, ob sie schwimmen können.“
Als Shane die Frage an sie richtete, zuckten beide ängstlich zusammen.
„Jonny kann nicht schwimmen und ich auch nicht. Wenn Sie uns über Bord werfen, werden wir jämmerlich ertrinken“, sagte Stan. „Wir haben das ja nicht angezettelt, sondern die anderen. Wir haben nur die Befehle ausgeführt.“
Hasard sah das ein, aber er konnte und wollte die beiden auch nicht laufenlassen. Sie hätten nichts Eiligeres zu tun gehabt, als an Bord zurückzukehren.
Die beiden erwartete jetzt die Hölle, aber Hasard wandte sich an den Profos.
„Bring sie zur anderen Seite hinüber, Ed, und laß sie dort laufen.“
„Dann sind sie gleich wieder an Bord“, sagte der Profos, „und erzählen alles brühwarm.“
„Ich meine nicht die andere Flußseite, sondern dort drüben. Von da aus können sie sich uns nicht mehr nähern, denn die Bucht ist von der anderen Seite unterbrochen, wie du ja selbst festgestellt hast. Und über den Tapti können sie nicht. Stell aber erst mal fest, ob die beiden wirklich nicht schwimmen können“, raunte er dem Profos zu.
„Was – was geschieht jetzt mit uns?“ fragte Stan, der nicht mitgekriegt hatte, wovon die Arwenacks sprachen.
„Das werdet ihr schon sehen“, sagte Carberry. „Ab in die Jolle.“
Die beiden gehorchten schlotternd. Sie wußten immer noch nicht, was ihnen bevorstand.
Jan Ranse begleitete den Profos und die beiden Kundschafter nach unten in die Jolle. Dort schnappte sich Ed den Bärtigen und drehte ihm das schmierige Hemd zusammen.
Dann warf er ihn mit einem Schwung über Bord.
Der Mann ging unter, tauchte wieder auf, spie Wasser und schlug wie ein Wilder um sich. Er konnte tatsächlich nicht schwimmen.
Kurz bevor er wieder auf Tiefe ging, zog ihn der Profos an den Haaren nach oben.
Die gleiche Prozedur erfolgte mit dem anderen. Daß auch er nicht schwimmen konnte, sah Jan Ranse auf den ersten Blick. Der Bursche bewegte sich wie eine Bleiente im Wasser und japste hysterisch nach Luft, als er wieder in die Jolle gezerrt wurde. Die beiden hingen erschöpft und ausgelaugt auf den Duchten und rührten sich nicht.
„Können tatsächlich nicht schwimmen“, bemerkte Carberry trocken.
Sie pullten zur anderen Seite der Bucht, wo immer noch lange Nebelschwaden auf dem Wasser hingen. Der Dschungel ging dort übergangslos in das Ufer über. Mangroven hatten eine Lagune gebildet und standen dicht an dicht.
„Rührt euch nicht“, sagte der Profos, als sich einer der beiden bewegte, „sonst beiße ich euch die Ohren ab!“
Die Angst vor den beiden Arwenacks ließen Jonny und Stan erstarren. Steif und hölzern hockten sie auf der Ducht und bewegten sich nicht. Sie wollten sich nicht den Zorn des Narbenmannes zuziehen.
Die Jolle wurde von den Mangroven gebremst und rutschte über morastigen Schlick. Die Luft war unheimlich warm und schwül.
„Ihr seid da“, sagte Jan Ranse.
Die beiden sahen sich unbehaglich an.
„Was sollen wir hier? Was geschieht hier?“ fragte Stan.
„Hier passiert gar nichts“, erwiderte Carberry. „Ihr sollt euch nur die Beine vertreten und euch an der Landschaft erfreuen. Ihr könnt hier so lange bleiben, wie ihr wollt, sogar bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag.“
Der Bärtige kletterte umständlich aus der Jolle und hielt sich krampfhaft an den hohen Stelzwurzeln fest. Unter ihm schmatzte hörbar der Mangrovensumpf, aus dem Blasen stiegen.
Der andere folgte unsicher und schwankend.
„Noch etwas, ihr Helden: Seid vorsichtig und latscht den Krokodilen nicht auf die Köpfe. Die haben das nicht so gern“, sagte der Profos. „Es gibt zwar nur vier- oder fünfhundert hier, aber man muß schon aufpassen, wohin man tritt.“
Stan und Jonny blieben stocksteif stehen.
„Was ist mit unserer Jolle?“ fragte Stan kleinlaut.
Carberry sah die beiden Kerle von Nebel umwabert wie Holzfiguren dastehen.
„Die behalten wir vorläufig als Andenken an zwei Rübenschweine, die kläglich gescheitert sind. Außerdem brauchen wir sie, um zurückzupullen. Oder sollen wir etwa schwimmen?“
Eine große Blase zerplatzte mit einem blubbernden Geräusch.
„Ein Krokodil!“ schrie Jonny entsetzt. „Schnell weg hier!“
Stan durchbrach die Mangroven wie ein Wasserbüffel. Er schnaufte entsetzlich, stieß einen Schrei aus und rannte in den Verhau, bis er keuchend irgendwo hängenblieb.
Da sah sich auch der andere von Krokodilen umringt und stürzte blindlings in Nebel, Finsternis und Mangroven hinein.
Jan Ranse und Carberry hörten es nur noch krachen und bersten, dann herrschte nach einer Weile Stille.
„Das sind vielleicht zwei Würstchen“, meinte der Profos abfällig. „So was schickt man doch nicht als Späher aus! Da lachen ja die Hühner.“
Als sie ein Stückchen weitergepullt waren, klangen Flüche aus dem Dschungel. Die beiden Kerle wurden wieder großmäulig – in der Annahme, jetzt könne ihnen keiner mehr was tun. Sie beschimpften die Arwenacks und fluchten dabei lautstark.
Der Profos lauschte andächtig den Beschimpfungen. Es waren recht üble Bezeichnungen darunter, aber zum Lernen reichte es nicht, denn sein eigenes Repertoire an Flüchen war weitaus größer und wortreicher.
Nach ein paar Minuten verklang auch die Flucherei, und im Dschungel der Bucht kehrte Ruhe ein.
Sie erreichten die Schebecke und legten wieder an.
„Kerle abgesetzt“, meldete der Profos. „Sollen wir uns noch mal um die Passage kümmern, Sir? Wenn wir dort mit der Schebecke hindurch könnten, wären wir in Sicherheit und könnten in aller Ruhe unser Schiff reparieren. Das wäre ein enormer Vorteil für uns.“
„Ja, ich weiß“, erwiderte Hasard. „Wir brauchen noch ein paar Stunden für das Ruder. Es geht nicht so einfach. Also gut, kümmert euch noch darum. Sieht so aus, als sei der Teil der Passage fast gänzlich zugewuchert. Ich gebe euch ein paar Schiffshauer hinüber.“
Batuti brachte drei Schiffshauer und stieg ebenfalls in die Jolle.
Die Sicht war merklich besser geworden. Man konnte jetzt von der Bucht aus zum Tapti blicken. Die Oberfläche des Flusses kräuselte sich unter leichtem Wind.
„Wird verdammt Zeit“, sagte der Profos besorgt. „Wir haben den mehr als dreißig Kanonen im Augenblick nicht viel entgegenzusetzen. Die ballern uns in Grund und Boden, und wir können uns nicht richtig zur Wehr setzen.“
„Aber dort drüben wären wir sicher“, sagte Batuti. „Vorausgesetzt, die andere Bucht ist so tief, daß wir nicht über Grund schrammen. Möglicherweise gelingt uns der Durchbruch.“
Carberry grinste hart. Er stellte sich die Gesichter von Garcia und Ruthland vor, wenn sie in der Bucht lagen und nichts ausrichten konnten. Die Vorstellung erheiterte ihn geradezu, doch er wußte auch, daß es bloßes Wunschdenken war. Sie würden es wahrscheinlich nicht mehr schaffen.
„Wenn das wider Erwarten klappt“, sagte er bedächtig, „dann spannen wir die beiden Jollen vor und pullen in die andere Bucht. Wind zum Segeln haben wir in dieser Ecke kaum. Was haltet ihr davon?“
„Die Idee ist gut“, sagte Jan. „Also beeilen wir uns, damit wir einen Durchschlupf finden.“
Sie pullten auf das Mangrovendickicht zu und besahen sich die Lücke, die jetzt deutlicher zu erkennen war.
„Die Schebecke würde gerade durchgehen“, sagte Jan, „aber vorher müssen wir den Verhau beseitigen, sonst schaffen wir es nicht. Und der sieht schlimmer als der eigentliche Dschungel aus.“
Die Lücke zur anderen Bucht war eng und so niedrig, daß gerade die Jolle durchkam. Ein Schiff mit Masten hätte es nie geschafft.
Sie mußten selbst die Köpfe einziehen, um nicht an hohe Luft- und Stelzwurzeln zu stoßen, die an allen Seiten im Wasser standen.
Es sah nach einer stundenlangen und mühsamen Plackerei aus, die Durchfahrt zu roden.
Nach ein paar Schlägen waren sie auf der anderen Seite, wo Carberry unwillkürlich einen Pfiff ausstieß.
„Donnerwetter, das ist das ideale Plätzchen“, sagte er anerkennend.
Die Bucht war größer als die andere und tiefer eingeschnitten. Sie hatte sogar eine Art Landzunge aufzuweisen, hinter der sich ein besonders hervorragendes Versteck anbot. In der Nähe der Landzunge fiel das Ufer flach ab, das an jener Stelle erst unmerklich in den Urwald überging. Linkerhand befand sich ein einziger Mangrovenwald, durch den niemand hindurchgelangte. Diese Seite war also hervorragend gegen Angriffe geschützt.
Am Ende der Bucht sah es ähnlich aus: Mangroven und dahinter eine sanft ansteigende Hügellandschaft mit wildem Bewuchs.
Die rechte Seite mit der Landzunge bedeutete schlechthin das Paradies. Diese Bucht war – außer durch die Passage – von keiner Seite zugänglich, nicht mal für bewaffnete Seesoldaten, die hoffnungslos im Sumpf steckenbleiben würden.
Der Profos maß die Wassertiefe und fand keinen Grund. Erst zum Land hin wurde es unmerklich flacher. Dort an der Landzunge konnten sie die Schebecke in aller Ruhe aufslippen.
Die Exkursion durch die Bucht dauerte nicht lange. Carberry drängte auf schnelle Rückkehr, um mit dem Abholzen der Durchfahrt beginnen zu können. Dabei maßen sie auch noch einmal die Wassertiefe in der Passage, die sich wie ein Dach über ihren Köpfen wölbte.
Auch hier war das Wasser tief genug, um die Schebecke passieren zu lassen. Der Haken war nur das aus Wurzeln und Ästen bestehende Dach.
Carberry sprang wortlos aus der Jolle, schnappte sich einen Schiffshauer und schlug wie ein Wilder auf die Stelzwurzeln ein.
Das Holz war hart, und es gab bei jedem Schlag mit einem Federn nach, was ihn schier zur Verzweiflung trieb.
Sie drückten die Jolle zwischen die anderen Wurzeln und gingen jetzt systematischer vor. Aber ihre Bemühungen wurden nur von schwachem Erfolg gekrönt.
Der Profos ließ den Schiffshauer sinken und wischte sich den Schweiß vom Gesicht.
„So geht das nicht“, sagte er. „Bis wir eine Lücke geholzt haben, vergeht ein halber Tag. Macht trotzdem weiter, ich werde dem Sir die Lage verklaren. Er soll noch ein paar Männer schicken. Die Durchfahrt freizukriegen, ist im Augenblick wichtiger als die Reparatur des Schiffes. Dazu haben wir später Zeit. Bin gleich wieder zurück.“
Weg war der Profos, noch bevor Jan und Batuti auch nur ein Wörtchen sagen konnten.
Selten war er so schnell an Bord gewesen.
Hasard unterbrach ihn nicht und hörte ruhig zu. Ben Brighton, Dan O’Flynn und Don Juan lauschten ebenfalls gespannt.
„Ed hat recht“, sagte Ben Brighton. „Es ist besser für uns, wenn wir der Hilflosigkeit nicht länger preisgegeben sind. Ist Garcia erst mal hier in der Bucht, können wir nichts mehr ausrichten. Wir können aus unserer jetzigen Position mit der Schebecke nicht mal das Feuer erwidern. Zum anderen ist da noch die ‚Ghost‘, die uns von der Seite packen wird. Wir sollten Eds Vorschlag augenblicklich befolgen und die Reparaturen vorläufig einstellen. Ich würde jeden Mann zum Abholzen dort hinüberschicken, Sir. Sobald wir eine Bresche geschlagen haben, spannen wir die Jollen vor und ziehen unser Schiff achteraus durch die Passage in die andere Bucht. Man kann jetzt von hier bereits einen Teil deutlich erkennen. Es ist ein hervorragender Platz.“
„Was ist, wenn wir es nicht schaffen?“ fragte Hasard.
„Dann haben wir auch nichts verloren“, meinte Dan O’Flynn. „Hier liegen wir so oder so auf dem Präsentierteller, und entkommen können wir innerhalb der nächsten paar Stunden nicht mit dem angeknackten Ruder.“
Carberry trat schon von einem Bein aufs andere und sah den Seewolf fragend an.
„Wenn wir dort drüben liegen, Sir“, sagte er eifrig, „dann kriegen die Bastarde lange Gesichter. Dann können sie solange durch die Mangroven ballern, bis sie keine Kugeln mehr haben. Der zugewucherte Dschungel hält alles ab, auch Siebzehnpfünder.“
„Einverstanden“, sagte Hasard knapp. „Der Vorschlag ist akzeptabel und vernünftig. Er verspricht Aussicht auf Erfolg. Wir stellen also die Reparaturen ein und gehen an die andere Arbeit. Ich befürchte nur, daß die beiden Kerle versuchen werden, uns auszuhungern.“
„Wir haben Proviant genug an Bord, Sir“, sagte der Kutscher. „Die können hier tagelang in der Bucht herumlungern. Du siehst die andere Bucht als eine Falle an?“
„So ungefähr. Für uns ist sie ein vorzüglicher Schutz, aber wir sind auch darin gefangen. Ruthland kann zum Beispiel Garcia mit Proviant aus Surat versorgen – und sich selbst natürlich auch. Auf diese Art und Weise bleibt immer der stärkere Bewacher am Platz, bis uns der Proviant ausgeht.“
Der Kutscher schluckte trocken und sah die anderen an. Daran hatte keiner von ihnen gedacht, daß sie in der Bucht wie die Maus in der Falle saßen, die von einem dicken Kater pausenlos bewacht wurde.
Garcia war das in seinem blinden Haß durchaus zuzutrauen. Er hatte genügend Zeit, und ihm war jedes Mittel recht, um El Lobo del Mar zur Strecke zu bringen.
Das war die andere Seite, aber Hasard hatte sich trotzdem entschieden. Er teilte lediglich seine Bedenken mit.
„Will und Donegal bleiben an Bord zurück“, sagte er. „Ihr beobachtet genau den Oberlauf des Flusses. Die anderen pullen zur Passage hinüber. Nehmt Äxte, Beile und Sägen mit.“
Damit war der Fall entschieden, und sie gingen unverzüglich an die schwierige Arbeit.
10.
Der spanische Capitán ging ruhelos auf seinem Schiff auf und ab und schlug dabei immer wieder die geballte Linke in die rechte Handfläche.
„Wo, zum Teufel, bleiben denn Ihre unfähigen Trottel?“ brüllte er Ruthland an. „Kein Verlaß auf die Kerle! Die Dämmerung setzt bereits ein, und immer noch sind sie nicht zurück. Sie sollten Ihren Bastarden mal die Furcht Gottes beibringen, Ruthland.“
Sie hatten beide Schiffe Bord an Bord gelegt, damit sie ihr Vorgehen noch einmal genau absprechen konnten.
„Ich kann mir das auch nicht erklären“, sagte Ruthland mit einem kläglichen Grinsen. „Möglicherweise stecken sie irgendwo im Nebel, oder der Seewolf hat doch eine andere Bucht gewählt.“
„Im Nebel!“ höhnte der Spanier. „Daß ich nicht lache! In dem Nebel, der jetzt herrscht, kann sich nicht mal ein Blinder verirren. Ich werde Ihnen was sagen, Mister: Ihre Kerle hat der Teufel geholt, und zwar jener Teufel, den man El Lobo del Mar nennt. Oder Ihre unbedarften Tröpfe haben versagt. Sie sind seit etlichen Stunden überfällig. Die Meldung müßte längst eingetroffen sein.“
Ruthland war ebenfalls verärgert. Er hatte auch keine glaubwürdige Erklärung zur Hand. Ihn wurmte es, daß seine beiden Leute einfach spurlos verschwunden waren. Daher suchte er immer wieder mit dem Spektiv den Fluß ab, konnte aber nicht die Spur von Ihnen entdecken.
„Sie müssen jeden Augenblick eintreffen“, sagte er verunsichert. „Ich nehme jedoch an, daß Killigrew eine andere Bucht aufgesucht hat und sie ihn nicht gleich gefunden haben. Wir haben es immerhin mit einem ausgefuchsten Gegner zu tun, der an alles denkt.“
„Wem sagen Sie das? Keiner weiß das besser als ich. Ich lasse ihnen noch eine Viertelstunde Zeit, dann segeln wir los. Der Wind reicht gerade aus.“
„Und wenn die Männer bis dahin nicht zurück sind?“ wandte Ruthland zaghaft ein, „dann wissen wir nichts über den Liegeplatz.“
„Ihre Kerle kann von mir aus der Teufel holen“, erwiderte Garcia grob. „Wir suchen zuerst die Bucht auf, die ich genannt habe und gehen dann wie vereinbart vor. Ich bitte Sie, sich strikt an meine Anweisungen zu halten. Ich habe die größere Kampferfahrung. Nur so können wir den Kerl zur Strecke bringen. Keine Eigenmächtigkeiten also. Das ist ein strategisch wichtiger Punkt.“
„Mir bereits bekannt“, sagte Ruthland zähneknirschend und verdrossen.
Die Bevormundung ärgerte ihn mächtig, und mehr als einmal bereute er bereits, sich mit dem Spanier eingelassen zu haben. Aber sie waren nun aufeinander angewiesen.
Abermals suchte er nervös mit dem Spektiv den Fluß ab. Aus der Bucht heraus konnte er jedoch nicht viel erkennen und hatte jeweils nur einen kleinen Ausschnitt. Er sah jedoch nichts anderes als das schwarze Wasser des Tapti und ein paar tänzelnde Nebelfetzen, die über der Wasserfläche kreisten.
„Verdammt, wo bleiben die nur?“ rief er ärgerlich.
„Vielleicht hat der Seewolf Jonny und Stan wirklich gefaßt“, sagte Hugh Lefray hämisch. „Ich kann mir vorstellen, daß sich Killigrew ebenfalls abgesichert und Wachen aufgestellt hat, wenn er sich in einer so heiklen Situation befindet. Na, und die Wachen werden die beiden eben geschnappt haben. Dann hat man sie ein bißchen ausgehorcht, mißhandelt, gefoltert, bis man alles erfuhr, und schließlich aufgehängt.“
„Quatsch kein dummes Zeug!“ fuhr ihn Ruthland an. Mit jeder Minute wurde er nervöser und verärgerter.
„Hast du eine bessere Lösung anzubieten?“
„Nein, habe ich nicht!“ schrie Ruthland. „Und jetzt laß mich mit deiner albernen Nerverei endlich in Ruhe. Mir genügt der da.“ Dabei zeigte er zu dem Spanier.
„Der genügt mir schon lange“, sagte Lefray so leise, daß Garcia ihn nicht verstehen konnte. „Der hängt mir wie grüne Seife querkant im Hals. Wir hätten den Seewolf auf unsere feine englische Art austricksen sollen, wie wir es ja schon erfolgreich getan haben. Jetzt hat uns dieser Don am Wickel und kommandiert uns wie kleine Rotzjungen herum. Weiß der Teufel, warum du dich so eng an ihn angeschlossen hast.“
„Ich hatte meine Gründe, das weißt du genau. Wir haben Killigrew zwar aus Surat rausgeekelt, aber allein schaffen wir ihn nicht. Und wenn er nach London zurückkehrt und kann gute Beziehungen aufweisen, dann haben wir ausgespielt, denn dann werden sich ganze Flotten in Marsch setzen, um den großen Kuchen zu holen. Für uns bleiben dann nicht mal mehr die Krümel. Genau das ist der Grund, warum wir den Don unbedingt brauchen. Oder hast du das immer noch nicht kapiert?“
Der Mann mit dem entsetzlich tot wirkenden Auge grinste hart. Er schlug eine versöhnlichere Tonart an und kümmerte sich nicht darum, daß Garcia nicht weit, entfernt von ihnen stand und sie mißtrauisch beobachtete.
„Jaja, vielleicht hast du recht, Francis. Aber wenn wir die Angelegenheit erledigt haben, dann soll sich der Kerl mitsamt seinen dämlichen Soldaten zum Teufel scheren. Ich will nichts mehr mit ihm zu tun haben.“