Seewölfe Paket 34

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Der Mann im Brustpanzer steckte seinen Besen in die Pütz. Um das Gebrüll und Geschrei kümmerte er sich ebensowenig wie um sein lichterloh brennendes Umfeld. Er blickte genau in die Richtung der Bucht, wo die Schebecke lag, und starrte dann nachdenklich auf eine Kanone, deren Mündung in die Bresche zeigte. Zweifellos konnte er die Schebecke in der Bucht sehen.
„Der wird doch nicht …“, ächzte Carberry.
Der Kerl tat es. Er ging zu der Culverine, visierte einmal kurz und schnappte sich ein brennendes Stückchen Holz, an dem er sich fast die Finger versengte. Noch einmal blickte er zu der passageähnlichen Durchfahrt.
Was er sah, stimmte ihn offenbar zufrieden. Er hielt den brennenden Span an das Zündloch der Culverine und trat gemächlich zur Seite.
Aus dem Rohr zuckte ein mehr als yardlanger Blitz, der in dem brennenden Inferno kaum auffiel.
Das Rohr zuckte wild zurück und spie außerdem eine dunkle Rauchwolke aus.
Der erstaunliche Mensch kümmerte sich nicht weiter darum. Er schnappte sich seinen Besen und fegte weiter, als wollte er alles Übel aus der Welt demonstrativ entfernen.
Durch die Bresche zwischen den Mangroven raste ein Siebzehnpfünder heulend heran. Er nahm noch ein paar der Stelzwurzeln mit und schlug dann etwas seitlich von der Schebecke ins seichte Wasser.
Eine Säule aus Schlamm und Dreck spritzte hoch. Der Schlick explodierte buchstäblich. Schwarze Schlammspritzer flogen auf das Deck der Schebecke und bekleckerten ein paar Arwenacks, die verblüfft an sich hinunterstarrten.
„Eine völlig neue Art der Seekriegsführung“, sagte der Seewolf trocken. „Wenn Garcia noch mehr von den Kerlen hätte, wäre das Feuer längst unter Kontrolle. Dieser Mensch scheint an verkapptem Heldentum zu leiden. Er sieht, daß eine Kanone gerade im günstigen Winkel steht, und feuert sie sogleich ab, um die Chance auszunutzen, dem Gegner noch schnell eins zu verpassen.“
Der Mann sah nur einmal kurz herüber, ohne seine Arbeit zu unterbrechen. Über einen Zufallstreffer hätte er wahrscheinlich nicht mal gejubelt, sondern ihn nur gelassen zur Kenntnis genommen. Der Mißerfolg konnte ihm ebenfalls keine Regung entlocken. Für ihn war die Sache damit offenbar erledigt.
Der Kerl erregte die Gemüter der Arwenacks ganz beträchtlich, denn er schien aus einem Holz geschnitzt zu sein, das sie noch nicht kannten. Vielleicht wuchs es irgendwo auf einer geheimnisvollen Insel.
Am meisten ereiferte sich natürlich wieder mal der Profos, der eine ganz besondere Schwäche für solche Typen hatte, die selbst die persönliche Anwesenheit des Teufels nicht erschüttert hätte.
„Jetzt weiß ich, was man unter Fegefeuer versteht“, sagte er. „Der Kerl ist das Sinnbild dafür. Man sollte ihn El purgatorio nennen.“
Für einen kurzen Augenblick grinste der Spanier Don Juan de Alcazar belustigt, der die Feinheiten der spanischen Sprache am besten von allen kannte.
„Das würde dir ein Bordgeistlicher nie verzeihen, Ed“, sagte er. „Purgatorio ist, versinnbildlicht, der religiöse Ausdruck für das Fegefeuer. Aber der Mann ist echt und kein Symbol.“
Carberry überlegte nicht lange.
„Dann ist er eben El terco búfalo, der sture Büffel.“
„Das hört sich schon besser an.“
Von da an hatte der merkwürdige Seemann seinen Namen weg, ohne daß er die geringste Ahnung davon hatte.
Es hätte ihn wohl auch nicht sonderlich berührt, denn er fegte inmitten des wüsten Infernos ungerührt weiter.
Für den Kommandanten der spanischen Kriegsgaleone „Aguila“, César Garcia, war der Überraschungsangriff ein kompliziertes Manöver, aber er traute sich durchaus zu, damit fertig zu werden. Gleich beim Einlaufen in die Bucht würde er seine Kanonen sprechen lassen und die Schebecke zusammenschießen.
Das Manöver klappte auch hervorragend. Seine Mannschaft war gut eingespielt und verläßlich. Außerdem verstand jeder das Kriegshandwerk. Er hatte seine Männer schließlich bis zur Ermattung immer wieder hart und unnachgiebig gedrillt.
Sie rundeten in einem weitauslaufenden Bogen den oberen Zipfel der Bucht und segelten hinein.
Das erste, was Garcia sah, war die Schebecke des verhaßten Seewolfs. Er glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Das Schiff wurde von zwei Jollen in Schlepp genommen und bewegte sich auf eine Lücke des Urwalds zu, die anscheinend in einen Nebenarm des Tapti führte. Zusätzlich wurde die Schebecke noch mit Langriemen gerudert.
Es sah ganz so aus, als würde El Lobo del Mar im allerletzten Augenblick durch diese Lücke entwischen. Daß die schwere Galeone nicht die geringste Chance hatte, die enge Durchfahrt zu passieren, sah Garcia auf Anhieb.
Dieser englische Bastard durfte nicht mehr entkommen. Er war hilflos und angeschossen und konnte sich nur noch durch eine ziemlich lahme Flucht absetzen.
Für Garcia war es die Chance seines Lebens, den Seewolf zu erledigen.
Das würde ihm außer einer fetten Belohnung auch eine Beförderung und die Bewunderung aller einbringen.
„Feuer!“ rief er schrill.
Insgeheim wußte er, daß die Kugeln aus diesem Winkel nicht treffen würden. Sie mußten zu kurz liegen, doch er wollte wenigstens zum Zweck der Einschüchterung das Feuer eröffnen, um den englischen Bastard an der Flucht zu hindern.
Die verantwortlichen Stückmeister erkannten ebenfalls, daß der Winkel für einen gezielten Schuß ungünstig war. Aber der Feuerbefehl mußte befolgt werden, auch wenn er noch so unsinnig erschien.
Die Stücke brüllten auf. Eine Wolke aus beizendem Qualm legte sich vor den Schiffsrumpf. Das Dröhnen der schweren Geschütze ließ alle Decks der Galeone erzittern.
Garcia starrte erregt und fiebernd durch den dichten Qualm. Er sah, daß die Kerle wie besessen pullten, und er sah auch, daß sie die Lücke bald passieren würden. Dann bot ihnen der Mangrovenwald und das dichte Unterholz mit dem wilden Verhau eine vorzügliche Deckung, so daß die Kugeln sie nicht mehr erreichen konnten. Hinter der Durchfahrt sah er Wasser silbrig aufblitzen – eine schier endlose Fläche, die direkt in den Dschungel zu führen schien.
Die Kugeln schlugen ein. Er hörte es überlaut krachen und bersten. Eine Palme wurde abrasiert wie ein langer Mast, als sei sie mit einem gewaltigen Schiffshauer umgesäbelt worden. Für den Bruchteil einer Sekunde stand sie bewegungslos in der Luft, ehe sie mit Getöse in die Mangroven krachte und alles plattwalzte.
Schlammsäulen stiegen wie Geisterfinger aus dem morastigen Untergrund, den die Schüsse wild aufwühlten. Luftwurzeln flogen umher.
Auf der Schebecke zogen sie die Köpfe ein.
„Feuer!“ schrie Garcia mit sich überschlagender Stimme. Die Durchfahrt war jetzt ganz nahe, und die Seewölfe pullten unverdrossen und kaum sonderlich beeindruckt weiter.
„Diese Bastarde!“ stöhnte er. In unglücklicher Haltung, mit vorgerecktem Hals, stand er auf dem Achterdeck. Aus seinen Augen sprühten kleine Blitze, die Zunge fuhr nervös über die Lippen hin und her. „Diese Bastarde entwischen noch im letzten Augenblick. Das kann nicht wahr sein.“
Der Erste Offizier sah den Haß in den Augen seines Capitáns. Er selbst blieb kühl und gelassen, doch der despotische Garcia ereiferte sich immer mehr. Er tat zwei schnelle Schritte nach vorn, als könne er dadurch die Schebecke an ihrer Flucht hindern. Molina fiel auf, daß sogar – seine Hände vor Aufregung zitterten.
Drei brüllende Abschüsse waren zu hören. Der Qualm drang in einer dichten Wolke bis aufs Oberdeck.
Garcia wedelte mit der Hand durch die Luft und stürzte ans Schanzkleid. Dann riß er ganz plötzlich die Arme hoch und stieß einen unterdrückten Schrei des Triumphes aus.
Zwei Kugeln rasten über die Köpfe der Ruderer, die instinktiv das Genick einzogen. Die dritte Kugel traf. Sie schlug ins Schanzkleid ein und ließ einen wilden Splitterregen hochfliegen.
„Volltreffer!“ brüllte Garcia. „Jetzt ist es aus mit den Bastarden! Sie fahren zur Hölle!“
„Kein Volltreffer, Capitán“, korrigierte der Erste mit kühler Sachlichkeit. „Es ist nur ein unbedeutender Schaden entstanden.“
„Wollen Sie mich etwa belehren, Molina?“
„Ich stelle lediglich eine Tatsache fest, mehr nicht.“
Garcia winkte ärgerlich ab. Am Schanzkleid drehte er sich um und sah zur „Ghost“ hinüber, während im unteren Batteriedeck zwei schwere Stücke losböllerten.
„Dieser hirnlose Idiot von einem Engländer!“ tobte er. „Der Kerl ist absolut unfähig zum Handeln. Statt uns zu unterstützen, wie es besprochen war, drückt sich dieser Mensch in einer Ecke herum, wo er absolut nichts zu suchen hat. Sehen Sie sich das mal an!“
Die „Ghost“ bot einen jämmerlichen Anblick, als sei sie in der Bucht gestrandet. Dadurch, daß sie Heckberührung mit dem Ufer hatte, war sie aus dem Ruder gelaufen. Das Focksegel bewegte sich nicht mehr und hing schlaff von der Rahrute. Das restliche Tuch bewegte sich zwar noch, aber zu leicht, um noch Vortrieb zu erzeugen. Er konnte die „Ghost“ abschreiben, denn die war so gut wie manövrierunfähig.
Die Rohre brüllten noch einmal auf, aber Treffer waren nicht zu verzeichnen. Die Schüsse lagen zu kurz und schlugen wiederum in die Mangroven ein, die allmählich zu Kleinholz verarbeitet wurden.
Garcia mußte sich selbst eingestehen, daß er sich den Überfall völlig anders vorgestellt hatte, als er jetzt ablief. Er hatte mit keinen Widrigkeiten gerechnet. Auf gar keinen Fall hatte er miteinkalkuliert, daß es in der Bucht ein Schlupfloch gab, durch das der Seewolf entwischen konnte.
Es schien so, als habe dieser das Schlupfloch auch erst viel später entdeckt und es vergrößert. Was dahinter lag, das wußte Garcia nicht. Es konnte eine sumpfige Bucht oder ein weiterer Nebenarm des Tapti sein. Er hatte das dumpfe Gefühl, als würde er es auch nie mehr erfahren. Das war so eine dunkle Ahnung tief in seinem Inneren.
„Der kann uns nicht mehr helfen“, sagte Molina nach einem schnellen Blick und meinte damit Ruthland und seine Männer, die nicht wußten, was sie tun sollten. Die meisten standen an Deck herum und starrten hilflos auf die Planken. Oder sie sahen zur Schebecke, die jetzt mit den Mangroven zu verschmelzen schien.
Ruthland selbst brüllte zwar Befehle, doch in dem krachenden Donner der Abschüsse verloren sie sich oder wurden nicht verstanden.
An Bord der Kriegsgaleone ging es noch diszipliniert und relativ ruhig zu. Alle Männer waren auf ihren Posten. Doch das änderte sich von einem Augenblick zum anderen, als auf der Schebecke der Seewölfe etwas Eigenartiges geschah.
„Was tun die da?“ fragte Garcia seinen Ersten. „Sie rennen auf dem Achterdeck, wie aufgescheuchte Hühner rum. Können Sie etwas erkennen, Molina?“
Durch den wabernden Rauch, vermischt mit dünnen Nebelschwaden, war nicht viel zu sehen. Wie ein schwacher Schleier hing der Qualm vor der Galeone und trübte den Blick auf das Geschehen.
Der Erste bemühte sich, etwas zu erkennen. Auf dem Achterdeck der Schebecke kokelte es.
„Nicht genau, Capitán. Es scheint, als qualme dort etwas stark – oder glimme sogar. Mehr kann ich nicht sehen. Aber etliche Männer haben sich um die Stelle geschart.“
„Durch unseren Treffer wird ein Feuer ausgebrochen sein“, bemerkte Garcia zufrieden. „Jetzt versuchen sie es zu löschen.“
Auf der Galeone wurde nachgeladen. Garcia wollte noch eine günstigere Schußposition erreichen, deshalb ließ er das Feuer für einen Augenblick einstellen, obwohl noch etliche Rohre feuerbereit waren.
Undeutlich sah er, wie auf der Schebecke ein paar Männer eilig auseinandergingen und sich von der glimmenden und qualmenden Stelle in auffallender Hast entfernten.
Garcia stierte regelrecht zu der Schebecke hinüber. Sein Griff an den etwas faltig wirkenden Hals war typisch für ihn. Das tat er immer, wenn er über etwas im unklaren war. Molina hatte das häufig beobachtet. Es schien eine Geste der Hilflosigkeit zu sein.
Drüben wurde die Rauchentwicklung stärker. In der Luft lag ein eigentümliches Zischen. Mit fauchenden Geräuschen stieg etwas von dem Achterdeck des englischen Schiffes in den Himmel auf.
Dieses Etwas knatterte und pfiff und stieß schrille Heultöne aus, die entsetzlich laut über die Bucht hallten.
Die Spanier starrten wie gebannt nach oben, als das Etwas rasend schnell in die Morgenhimmel stieg. Hinter sich zog es einen leuchtenden und qualmenden Schweif her. Das Ding erreichte eine erstaunliche Höhe, bevor es sich langsam senkte. Es schien jetzt in großer Höhe genau über der Galeone zu schweben.
Garcia verspürte trotz der morgendlichen Schwüle und Wärme ein Frösteln über seinen Körper laufen.
Sehr fahrig und mit offenem Mund griff er wieder an seinen Hals.
2.
„Was ist das?“ fragte er tonlos. Für Sekunden hatte er die Schebecke samt den Engländern vergessen.
Er erhielt keine Antwort, denn Molina hatte ebenfalls nicht die geringste Ahnung, was sich über ihren Köpfen zusammenbraute. Er hatte so etwas noch nie in seinem Leben gesehen. Der Satan selbst schien sich unter bestialischer Geräuschentwicklung in die Lüfte geschwungen zu haben, um sein höllisches Konzert zu spielen.
Sie zuckten alle erschrocken zusammen, als sich in der Luft ein mehr als ungewöhnlicher Vorgang abspielte.
Plötzlich hatte der Himmel alle Farben, die sich nur denken ließen. Es gab mehrere ungeheuer laute Explosionen. Danach schossen blutrote Flammenzungen auf die Galeone zu. Ihnen folgten grüne Sterne, die blitzartig auseinanderbarsten und abregneten. Dazwischen heulte und pfiff es grell.
Blut schien vom Himmel zu regnen, blutiges Feuer. Lange Schweife, die offenbar lichterloh brannten, prasselten auf das Deck oder rasten brüllend in die Segel.
Weiteres infernalisches Dröhnen peinigte die Dons, die schlagartig ihre Ruhe und Beherrschung verloren. Eine von jäher Angst gepeitschte Mannschaft begann ziellos hin und her zu rennen. Oftmals geübte Handgriffe oder Deckungsmöglichkeiten vor dem verheerenden Feuer wurden vergessen und übersehen, als wäre niemals jemand damit vertraut gemacht worden.
Es herrschte nur noch Chaos, Gebrüll und Geschrei – und grenzenlose Angst vor dem Unbekannten.
Es verfiel auch niemand auf die Idee, daß dieses fürchterliche Feuer von den Seewölfen stammen könnte. Viele hielten es für eine plötzliche und unerklärliche Naturkatastrophe. Die meisten schoben es in ihrer abergläubischen Furcht auf ein Machwerk des Teufels.
Auf die Planken der Galeone fielen winzige Kugeln, die sich sofort mit ungeheurer Gier ins Holz fraßen und es qualmen ließen. Selbst in den feuchten und klammen Segeln begann es zu schwelen.
Nochmals erfolgten kleinere Explosionen, ein dunkler Rauchpilz breitete sich auf dem Schiff aus. Überall zuckten jetzt Flammen aus dem Nichts auf. Der dunkle Rauchpilz, der anfangs träge über den Decks schwebte und sich erst jetzt wie schwarzer Nebel ausbreitete, sorgte für immer größer werdende Panik. Das Zeug hatte einen Geruch von Schwefel, was die meisten in ihrer Überzeugung bestärkte, daß wahrhaftig der Satan an Bord erschienen war, um sich die verstörten Seelen zu holen.
Ein Mann, vom Gluthauch des Feuers gestreift, fühlte sich vom Teufel selbst berührt; er hüpfte grotesk durch Rauch und Feuer und stürzte sich mit einem gellenden Aufschrei über Bord.
Ein zweiter sah sein Heil ebenfalls im Wasser und verließ das anscheinend verhexte Schiff auf dem gleichen Weg.
Garcia nahm das alles wie einen bösen Traum zur Kenntnis. Auch er dachte nicht an die Seewölfe, obwohl er genau gesehen hatte, daß von dem Achterdeck der Schebecke etwas in den Himmel gestiegen war. Es mußte seiner Ansicht nach etwas ganz anderes dazwischengekommen sein.
Mit offenem Mund stand er da und blickte fassungslos in das Chaos. Seine Kriegsgaleone hatte sich von einem Augenblick zum anderen in ein Tollhaus aus Rauch, Feuer und brüllenden Männern verwandelt. Das war eine Situation, die ihn überforderte, weil sie zu überraschend gekommen war.
Er schluckte hart und blickte ungläubig auf die Segel, in die sich große Löcher aus heller Glut fraßen. Über die Decks legte sich gleichzeitig eine dunkle Nebelwand, die jetzt nach achtern kroch und teilweise das darunter brennende Feuer verbarg.
Der Spanier brauchte sehr lange, um zu begreifen, daß sein Schiff in Flammen stand.
„Der Teufel ist an Bord“, ächzte er. „Wir sind verloren. Gegen teuflische Mächte sind wir Menschen machtlos. Was können wir tun?“
Molina, ganz gewiß keiner von der ängstlichen Sorte, hatte sich hinter das Schanzkleid gekauert, seit ihn winzige Flammenpfeile bombardierten. Zusätzlich hielt er beide Hände über den Kopf.
„Wir müssen löschen!“ schrie er und stand auf. In seinem Gesicht war eine rote Schramme zu sehen. Seine Stoppelhaare waren angesengt, seit er seine Kopfbekleidung verloren hatte. Eine Druckwelle hatte sie ihm vom Kopf gefegt. Seine steifen Finger der linken Hand hatten sich um den Hinterkopf gekrallt. Die rechte Hand hielt die linke fest, und so stand er in einer Pose da, die ihn nicht unbedingt als Ersten Offizier auswies.
„Löschen!“ brüllte Garcia automatisch nachplappernd. „Wir müssen sofort löschen!“
Er, der strenge und harte Tyrann, dem ein Menschenleben nichts galt, wenn es keinen Profit brachte, der keinen Schlendrian an Bord seines Schiffes duldete, war jetzt selbst desorientiert, verängstigt und wußte nicht, was er zuerst tun sollte.
Er war dieser plötzlich hereinbrechenden Katastrophe seelisch und körperlich nicht gewachsen. Sie war nicht vorhergesehen gewesen, und dieser Umstand lähmte sein Gehirn. Er konnte diese Situation weder taktisch noch strategisch durchdenken, wie er das sonst immer tat. Es war alles viel zu schnell gegangen.
Aber er durfte kein schlechtes Beispiel für seine ohnehin schon kopflos gewordene Mannschaft abgeben, und so riß er sich mit aller Gewalt zusammen.
„Löschen!“ brüllte er so laut er konnte.
Sein befehlsgewohnter Ton ließ die Männer nicht mal ängstlich zusammenzucken. Nur ein paar Kerle blieben stehen und sahen ratlos nach achtern, wo die Offiziere ebenso ratlos herumstanden.
Wieder traf ein Regen aus kleinen Feuerpfeilen das Achterdeck. Ein Mann schrie auf und riß beide Hände vors Gesicht. Blindlings stürzte er sich über Bord ins Wasser.
In den Batteriedecks schwiegen die Geschütze. Auch dort war alles voll Rauch und dichtem Qualm. Aus einer Stückpforte zuckte eine lange Flammensäule.
„Oh, hilf uns, Mutter Gottes“, stammelte Garcia, als wer sah, daß ein Mann nach dem anderen seinen Posten verließ und entweder wie irre über die Decks raste oder einfach ins Wasser sprang, um der brennenden Hölle zu entrinnen, „Sie stehen mit dem Teufel im Bunde.“
Seine Mannschaft war restlos davon überzeugt, daß es hier nicht mit rechten Dingen zuging. Killigrew hatte keinen einzigen Schuß abgefeuert, es hatte kein Aufblitzen der Kanonen gegeben, und doch brannte die Galeone jetzt vorn, achtern, unten und oben. Da mußte natürlich der Satan seine Hand im Spiel haben.
Garcia geriet übergangslos in rasende Wut. Er riß dem Ersten Offizier die Pistole aus dem Bandelier und feuerte einen Schuß auf die Kuhl ab. Die leergeschossene Waffe warf er hinterher.
„Auf die Stationen!“ brüllte er mit überkippender Stimme. „Jeder, der seinen Posten verläßt, wird auf der Stelle erschossen!“
Aus großer Höhe sank gemächlich ein brennender Segelfetzen wie ein torkelnder Schmetterling nieder. Kleine Funken stoben nach allen Seiten und trafen schreiende Leute.
Wieder sprang einer über Bord. Zwei andere auf dem Quarterdeck blieben besonnen und pützten Wasser, das sie eilig über die Planken gossen.
Inzwischen war die Galeone längst aus dem Ruder gelaufen. Garcia erkannte, daß sie mit der restlichen Fahrt irgendwo in den Mangroven steckenbleiben würden. Dort waren Sumpf, Morast und sehr flaches Wasser.
Er brüllte den Rudergänger an, Hartruder nach Steuerbord zu legen, doch die Galeone gehorchte dem Ruderdruck nicht mehr oder nur sehr zögernd. Sie lief kaum noch Fahrt und drehte immer weiter zur anderen Seite hinüber.
Er sprang auf den verängstigten Mann zu und schüttelte ihn heftig.
„Hartruder habe ich gesagt, du Bastard! Willst du das Schiff aufs Ufer jagen? Hartruder Steuerbord!“
Der Rudergänger am Kolderstock zitterte am ganzen Körper. Einmal war es die Furcht vor dem herrischen und oft unberechenbaren Capitán, und dann war es die nackte, kreatürliche Angst vor dem Feuer, die noch stärker war. Er sah einen Mann mit brennender Kleidung über das Deck rasen. Bei diesem Anblick verlor er die Nerven.
Er stieß Garcias Hand zur Seite, ließ den Kolderstock los und brüllte: „Fahr zur Hölle, du Schinder!“
César Garcia blickte ihm fassungslos nach. Der Mann hatte vor Angst weitgeöffnete Augen und einen irren Blick. Der Kapitän wollte sich ihm in den Weg stellen, doch in dem flackernden Blick las er gleichzeitig eine mörderische Wut, die gegen all jene gerichtet war, die versuchen würden, ihn aufzuhalten. Der Rudergänger hatte auch die Hände wie Krallen gekrümmt und würde sich nicht scheuen, in der jetzigen Notlage seinen Capitán anzugreifen.
Er stürmte geifernd an Garcia und dem zweiten Offizier vorbei, sprang über die Schmuckbalustrade auf das Quarterdeck und von dort aus mit einem gewaltigen Satz ins Wasser, das schäumend über ihm zusammenschlug.
Der Zweite Offizier eilte kommentarlos zum Kolderstock und übernahm ihn, weil kein anderer Mann in der Nähe war. Die meisten hatten sich auf den einzelnen Decks versammelt und bildeten nur widerwillig Eimerketten, um das Feuer zu löschen. Die allgemeine Disziplin ließ mehr als zu wünschen übrig.
Ein rußgeschwärzter Mann näherte sich dem Capitán mit einer gewissen Unterwürfigkeit.
„Das Feuer ist nicht zu löschen“, sagte er mit versagender Stimme. „Wenn Wasser darüber gegossen wird, fängt das Wasser zu brennen an, Capitán. Wir können nicht löschen.“
Garcia blickte fassungslos Molina an. Sein Blick wanderte ungläubig zu dem Mann zurück.
„Wahnsinn!“ stieß er hervor. „Molina, untersuchen Sie das sofort. Nehmen Sie eine Waffe mit, und schießen Sie jeden Kerl nieder, der sich nicht am Löschen beteiligt. Ich glaube diesen Unsinn nicht. Überzeugen Sie sich davon, und erstatten Sie mir sofort Bericht, auch darüber, wie es unter Deck in den einzelnen Abteilungen aussieht.“
Molina nickte verstört. Rußpartikel des Feuers hatten sein Gesicht getroffen und brannten wie glühende Pfeile darin. Zusammen mit dem anderen Mann verließ der das Achterdeck.
Garcia warf einen haßerfüllten Blick auf den Rudergänger, der im Wasser schwamm und Kurs auf die Karavelle „Ghost“ nahm. Er winkte Ruthland zu und brüllte: „Lassen Sie den Hundesohn nicht an Bord, Engländer! Er ist ein Deserteur und Verräter! Und bringen Sie uns endlich Hilfe, verdammt noch mal!“
Das erstere tat Ruthland bereitwillig. Als der Rudergänger die Karavelle erreichte, wurde eine Pistole auf ihn gerichtet. Der Mann tauchte weg und schwamm zum Ufer hinüber, wo die Mangroven wucherten.
Den Hilferuf befolgte Ruthland allerdings nicht. Er tippte sich nur an die Stirn.
„Ich bin doch nicht verrückt“, sagte er zu Lefray. „Wenn wir uns dem Kahn nähern, fangen wir ebenfalls Feuer. Wenn die Señores ihr Schiff verlassen wollen, dann ist das ihre Sache. Aber ich setze meins nicht ebenfalls aufs Spiel.“
„Warum auch?“ entgegnete Lefray mit einem Achselzucken. „Der Kerl hat auf der ganzen Linie versagt. Eigentlich sollten wir uns nicht mehr um ihn kümmern und ihn seinem Schicksal überlassen. Den Seewolf erwischen wir sowieso nicht mehr.“
Sie taten so, als hätten sie nichts gehört.
Unterdessen überzeugte sich Molina von der furchtbaren Wahrheit. Er ließ ein paar Pützen Wasser über eine helle Flamme auf den Planken gießen und sah entsetzt zu, wie das Wasser zu brennen begann. Schluckend starrte er auf den unheimlichen Vorgang. Das Feuer vermischte sich buchstäblich mit dem Wasser. Das brennende Zeug schwamm obenauf, und dann brannte alles einträchtig weiter.
„Das gibt es doch nicht“, stammelte er fassungslos.
Die Tatsachen bewiesen ihm jedoch das Gegenteil. Mit einem Würgen in der Kehle kehrte er aufs Achterdeck zurück. Es sah so aus, als sei die Galeone nicht mehr zu retten.