Seewölfe Paket 34

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Etliche Dons, die in heller Panik die Galeone verlassen hatten, schwammen auf die Karavelle zu und versuchten, aufzuentern.
Ruthland war jedoch nicht gewillt, alle an Bord zu nehmen, und so scheuchte er einige mit groben Worten fort. Andere Schiffbrüchige versuchten es erst gar nicht. Sie schwammen an Land, krochen zwischen den Mangroven herum oder flüchteten in den Dschungel. Die Angst vor dem Feuer saß ihnen im Nacken.
„Mit, den Dons hat Ruthland ein Problem am Hals“, sagte Ben Brighton. „Wenn die alle an Bord wollen, ist seine Karavelle hoffnungslos übervölkert. Deshalb jagt er die meisten auch zum Teufel, dieser Halunke. Es scheint ihn auch nicht zu interessieren, was aus den Männern wird. Eine feine Freundschaft ist das.“
„Da hast du recht“, erwiderte Hasard. „Eiserner Zusammenhalt und eiserne Disziplin. Das sind wahre Männer.“
In diesem Augenblick gab es auf der Galeone einen harten Ruck. Ganz plötzlich saß sie vor der Einfahrt fest.
Ein entsetzlich lautes Knirschen war zu hören. Dann folgte ein Krach, als würden Bäume geschlagen.
Es war der Großmast der Galeone, der dem Anprall nicht standhielt. Die Flammen hatten an ihm gezehrt, und auch jetzt noch loderte er.
Er neigte sich nach vorn, wackelte einen Augenblick bedrohlich hin und her und stürzte dann um.
Er traf beim Fallen die Rahen des Fockmastes und hieb sie mit einem gewaltigen Schlag an Deck. Der Fockmast selbst zersplitterte zu einem Stumpf. Der obere Teil ging über Bord, wobei er das Schanzkleid auf der Steuerbordseite kurz und klein schlug.
Reste des Großmastes durchschlugen mit Wucht das Deck. Neue Feuer loderten aus dem Innern auf, und es gab eine gedämpfte Explosion. Im Rumpf der Kriegsgaleone entstanden gezackte Löcher. Sie sackte achtern noch tiefer ab und legte sich leicht auf die Seite.
Damit war das Schicksal des Schiffes endgültig besiegelt.
Weitere Männer verließen das Schiff, indem sie über Bord sprangen und angstvoll dem Dschungel zustrebten.
Der Mann, den Carberry als „sturen Büffel“ bezeichnet hatte, hielt immer noch die Stellung in unerschütterlichem Gleichmut. Er hatte keinen Besen mehr in der Hand, aber er stand inmitten von Rauch und Feuer an der Nagelbank des Großmastes, der nur noch aus einem zersplitterten Stumpf bestand.
Dort blieb er endlos lange stehen und sah auf das qualmende Wrack. Erst nach längerer Zeit begann er damit, glutende Holzteile mit den Füßen durch die Speigatten zu schleudern. Was er tat, war absolut sinn- und nutzlos, aber er war offenbar einer von der Sorte, die immer etwas tun mußten, auch wenn es noch so unsinnig erschien.
Garcia und Molina irrten durch das aufgelaufene Wrack zwischen Feuer und Rauch. Der Capitán glaubte, von einem quälenden Alptraum befallen zu sein, als er die Trümmer sah.
Auf dem Achterdeck konnten sie sich nicht mehr aufhalten, da qualmte und brannte es, und eine mörderische Hitze lag über den aufgerissenen Planken.
Zwei Offiziere waren spurlos verschwunden. Vielleicht waren sie auch über Bord gesprungen.
Garcia blickte an sich hinunter und lachte stoßartig auf. Seine Uniform war pechschwarz von den Rußflocken. Der Monsunregen hatte daraus eine schmierige Pampe werden lassen. Molina sah genauso schrecklich aus wie er selbst.
Auf dem teilweise zerstörten Achterdeck ging eine Kanone los, wohl infolge der sich immer stärker ausbreitenden Hitze. Sie spie einen Feuerstrahl aus und zuckte zurück. Die Brooktaue, die sie sonst bremsten, waren durchgesengt, und als sie zurückrollte, drehte sie sich um ihre eigene Achse, durchbrach das Schanzkleid und polterte ins Wasser.
Der Siebzehnpfünder, den sie ausgespien hatte, ließ eine gischtende Fontäne in der Bucht entstehen.
„Wir sollten von Bord gehen“, sagte Molina heiser und keuchend. Alle Augenblicke blieb er hustend stehen und wedelte den Rauch vor seinem Gesicht fort. „Es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann die restlichen Pulverfässer explodieren, Capitán. Wir schwimmen zur ‚Ghost‘ hinüber und gehen an Bord.“
Garcia schien ihn nicht zu hören. Sie standen jetzt vor den aufgebogenen Planken der Kuhl. Die Nähte zwischen den Planken hatten sich hochgewölbt, und eine zähe Masse aus Pech, Teer und Werg breitete sich aus. Der Gestank war entsetzlich und kaum auszuhalten.
Garcia schien erst wieder in die Wirklichkeit zurückzufinden, als eine zweite Kanone feuerte. Der Krach ließ ihn herumfahren.
Diesmal schlug die Kugel in der Nähe der „Ghost“ ein. Vor ihrem Bug stieg eine Wassersäule auf. Sie hörten Ruthland laut und ordinär fluchen. Offenbar kapierte er nicht, was hier vorging.
„Stellt das Feuer ein, ihr Idioten!“ schrie er. „Ihr schießt mir ja mein Schiff zusammen!“
„Bastard“, knurrte Garcia. „Der Kerl ist die Dummheit in Person. Der begreift überhaupt nichts.“
Die Kanone blieb mit rauchender Mündung an Deck stehen. Eins der Brooktaue war gebrochen.
Hinter ihnen begann es irgendwo unter Deck laut zu zischen.
„Das Schießpulver“, sagte Molina mit zuckenden Lippen.
Garcia schüttelte lauschend den Kopf. „Wassereinbruch. Es wird immer mehr.“
„Wir sollten jetzt von Bord gehen, Capitán“, drängte der Erste erneut. „Wir haben nicht mehr viel Zeit.“
Garcia blieb störrisch. Er lauschte auch weiterhin dem zischenden Geräusch, das rasch anschwoll und lauter wurde. Aber genau genommen waren da mehrere Geräusche, die sich kaum noch voneinander unterscheiden ließen. Das eine war das unheimliche Zischen, das andere das Gurgeln und Brausen von eindringendem Wasser, und das dritte war das Knacken und Krachen, Knistern und Ächzen in den Planken und dem Rumpf der Galeone. Das Zischen begann jedoch, alle anderen Geräusche immer stärker zu überlagern.
Durch die Ritzen in den Planken drang Feuer, das sich in einer gekrümmten Linie von der Kuhl nach achtern fraß. Glühende Schlangen schossen durch das Schiff.
Molina trat an eine Stelle, wo Glut und Feuer das Schanzkleid völlig zerfressen hatten. Er konnte auf die Rüste blicken, auf der es ebenfalls kokelte und qualmte.
„Na los!“ schrie er Garcia an. „Auf was warten Sie noch? Heilige Mutter Maria, wir fliegen gleich in die Luft!“
Bei dem letzten Wort ging achtern auf der Galeone etwas mit urweltlichem Getöse hoch. Planken wölbten sich und flogen splitternd nach oben. Armdicke Holzteile von der Querbalustrade wirbelten durch die Luft. Das ganze Achterdeck schien abzuheben.
Molina sah noch einen grellen Blitz, der ihm in den Augen schmerzte und ihn so blendete, daß er nichts mehr erkennen konnte. Den donnernden Knall hörte er nicht mehr.
Eine Druckwelle fegte ihn außenbords. Er sah das Wasser auf sich zurasen und griff haltsuchend um sich.
Noch während er in die warmen Fluten der Bucht eintauchte, bemerkte er Garcia, der die Arme ausgebreitet hatte, als wollte er das Fliegen lernen. Die Ärmel seiner Uniformjacke sahen wie große Flügel aus, sein Mund war wie zu einem Entsetzensschrei geöffnet. Aber kein Ton drang über seine Lippen.
Dann versank für Molina die Welt für lange Augenblicke. Als er auftauchen wollte, um Luft zu holen, wurde er von einem anderen Körper gleich wieder unter Wasser gedrückt.
Er schlug um sich, schluckte Wasser und befreite sich schließlich von dem Körper. Es war Garcia, den der Explosionsdruck ebenfalls über Bord gefegt hatte.
Der Capitán hatte eine blutige Schramme an der Stirn. Ein Zahn war ihm durch ein Trümmerstück ausgeschlagen worden. Auch seine Lippen bluteten.
„Jetzt – jetzt ist sie erledigt“, stöhnte Garcia, während er neben seinem Ersten Offizier auf die „Ghost“ zuschwamm, die vor der Einmündung der Bucht lag. „Aber wir kriegen diesen englischen Bastard noch, verlassen Sie sich drauf.“
„Zunächst ist einmal wichtig, daß wir uns selbst in Sicherheit bringen“, sagte Molina kühl.
Anfangs hatte er noch Spaß daran gehabt, El Lobo del Mar erbarmungslos zu jagen, doch jetzt war ihm dieser Spaß gründlich vergangen und sein Interesse an der zweifelhaften Jagd so gut wie erloschen.
Es war eine traurige Bilanz, die er zog. Sie hatten die halbe Welt durchquert, um auf die Spur des Seewolfs zu stoßen. Jetzt, da sie glaubten, ihn endlich zu haben, verloren sie ihr Schiff und waren auf die Hilfe eines mehr als fragwürdigen Engländers angewiesen. Molina hatte auch seine gesamten Habseligkeiten verloren, und diese Tatsache vergällte ihm den Spaß auf Rache.
Sie hatten den Kampf verloren und mußten sich damit abfinden. Aber Garcia gab nicht auf, das bewiesen seine Worte. Er war von einem krankhaften Haß erfüllt, einem Haß, der ihn unermüdlich weitertrieb.
„Wir kriegen ihn schon noch, Molina“, keuchte er. „Es ist nur eine Frage der Zeit. Aus dieser Bucht kann er nicht mehr heraus. Ich werde mit Ruthland das weitere Vorgehen besprechen. Notfalls hungern wir die Bastarde aus.“
Der Erste schwamm weiter auf die Karavelle zu. Er gab keine Antwort. Er wußte auch nicht, was er hätte erwidern sollen. Er war nur müde und wollte vorerst seine Ruhe haben.
„Haben Sie nicht gehört, was ich sagte?“ fauchte Garcia. „Sie tun ja so, als ginge Sie das alles nichts mehr an. Aber noch bin ich der Capitán, auch wenn ich kein Schiff mehr habe. Das entbindet Sie nicht von der Pflicht, mir gegenüber Gehorsam zu zeigen.“
„Es ist alles zwecklos geworden“, sagte Molina ruhig. „Mit der lächerlichen Karavelle werden Sie Killigrew niemals erwischen. Wir haben es ja nicht mal mit einem schwerarmierten Kriegsschiff geschafft.“
„Weil die Kerle mit dem Satan im Bunde stehen!“ schrie Garcia. „Sie haben ihre Seelen gegen unser Schiff verpfändet, und der Böse hat ihnen geholfen. Aber jetzt haben sie nichts mehr zu verpfänden, denn ihre Seelen sind verloren.“
„Wie Sie meinen, Capitán.“ Aus Molinas Worten sprach völlige Gleichgültigkeit. Er hatte die Nase voll.
Vor ihnen wuchs die Karavelle auf und wurde immer größer. Aus den Augenwinkeln sah Garcia drei stumme Gestalten im Wasser der Bucht. Sie trieben mit dem Gesicht nach unten und waren tot.
Eine Jakobsleiter war von der Karavelle außenbords gehängt worden. Oben, an der Pforte des Schanzkleides, stand Ruthland und neben ihm Lefray, der Kerl mit dem fürchterlichen toten Auge. Beide musterten schweigend die Spanier. Es half ihnen auch niemand beim Aufentern.
Tropfnaß, verschmiert und verdreckt enterten sie mit ihren vollgesogenen Klamotten auf, bis sie schnaufend an Deck standen.
Ein paar andere von der „Aguila“ befanden sich ebenfalls an Bord und wirkten ziemlich teilnahmslos und ermattet. Es waren nicht mehr viel. César Garcia konnte sie an den Fingern beider Hände abzählen, einschließlich sich selbst und dem Ersten Offizier.
4.
Garcia wollte lospoltern, brüllen, sich irgendwie Luft verschaffen, doch Ruthland schnitt ihm das Wort ab, noch bevor er loslegen konnte.
„Keine Vorwürfe“, sagte er gallig. „Geben Sie mir nicht die Schuld an dem Desaster. Sie sind genauso betroffen.“
„Sie haben ja nicht mal die Bucht ansteuern können, ohne gleich am Ufer zu landen“, schnaubte Garcia. „Damit war unser geplanter gemeinsamer Zangenangriff von vornherein zum Scheitern verurteilt. Außerdem hatte ich nicht die geringste Ahnung, daß Killigrew mit dem Teufel paktiert, sonst wäre das alles nicht passiert.“
„Ein Pakt mit dem Satan, was?“ höhnte Ruthland. „Haben Sie ihn denn an Bord gesehen?“
„Haben Sie eine andere Erklärung dafür? Plötzlich stand ein riesiger Feuerball über dem Schiff, ohne daß auch nur eine einzige Kanone abgefeuert worden war. Das passierte aus heiterem Himmel. Und da wollen Sie behaupten, hier ginge alles mit rechten Dingen zu?“
„Stimmt, das war unheimlich“, gab Ruthland zu. „Aber Sie haben Ihren Schußwinkel verfehlt, sonst wäre der Bastard auf der Stelle in die Luft geflogen.“
„Aber ich habe wenigstens gefeuert, während Sie offenbar geschlafen haben.“
Der massige Ruthland sah sein tropfnasses Gegenüber kalt an.
„Halten wir doch mal folgendes fest, Spanier: Sie haben Ihr Schiff und den größten Teil Ihrer Mannschaft bei einem ungeschickten Agieren und im Übereifer verloren. Sie haben jetzt nur noch ein nutzloses Wrack, mit dem Sie nichts mehr anfangen können. Zudem sind Sie jetzt Gast an Bord meiner Karavelle. Und als solcher möchte ich Ihnen doch empfehlen, einen anderen Ton anzuschlagen. Ich liebe es nicht, angebrüllt zu werden, damit das klar ist. Und ich lasse mich auch nicht von Ihnen beleidigen. Ich habe mein Schiff nur vorsorglich in Sicherheit gebracht, um nicht ebenfalls diesem tückischen Feuer ausgesetzt zu werden.“
Hugh Lefray musterte die beiden Spanier ebenfalls von oben bis unten. Er grinste hinterhältig, als er sah, daß Garcia knallrot anlief. Während sein linkes Auge belustigt funkelte, blieb das rechte tot und weiß, und nichts bewegte sich darin.
„Der Captain hat gesprochen“, sagt er hämisch grinsend. „Und wenn es Ihnen hier bei uns an Bord nicht gefällt, sollten Sie bei Killigrew um Gastfreundschaft nachsuchen.“
Garcia zitterte unmerklich. Der Erste stand reglos neben ihm, als ginge ihn das alles nichts an.
„Ich habe mir fast gedacht, daß ich nach dem Untergang meines Schiffes bei Ihnen ein ungern gesehener Gast bin“, sagte er mit mühsamer Beherrschung. „Aber noch haben wir ein gemeinsames Ziel – nämlich El Lobo del Mar. Aus diesem Grund haben wir uns zusammengetan, und ich hoffe doch nicht, daß Sie dieses Ziel aus den Augen verlieren, Engländer.“
„Bisher war ich es, der Killigrew Schaden zugefügt hat“, entgegnete Ruthland überheblich. „Ich habe dafür gesorgt, daß in Surat kein lausiger Hund auch nur noch einen Knochen von ihm nimmt. Er kann sich hier nirgendwo mehr blicken lassen. Dieses Ziel werde ich auch weiter verfolgen, aber sehr vorsichtig, denn durch Schaden wird man bekanntlich klug. Wir werden sehen, war wir unternehmen können.“
„Na gut“, knurrte Garcia verärgert.
Am liebsten hätte er sich auf diesen überheblichen Kerl gestürzt, doch das war unmöglich. In der gegenwärtigen Situation mußte er froh sein, daß er auf der Karavelle Aufnahme fand. Ruthland hätte nach dem großen Mißerfolg einfach weitersegeln können.
„Da schwimmen noch etliche meiner Leute im Wasser“, sagte er. „Viele andere sind blindlings in die Mangroven geflüchtet. Ich schlage vor, wir suchen sie erst mal.“
„Die Leute im Wasser sind tot“, erwiderte Ruthland kalt. „Wer mit dem Gesicht nach unten schwimmt, ist längst abgenippelt. Mit toten Männern können wir nichts anfangen.“
„Aber mit den anderen im Dschungel“, sagte Molina schluckend. „Außerdem haben Sie etliche Schiffbrüchige abgewiesen.“
„Falls das ein Vorwurf sein soll, kann ich nicht mal darüber lachen, Señor. Sie sehen ja, wie beengt es auf der Karavelle zugeht. Ich habe mit Ihnen zusammen zehn Mann mehr an Bord, das sind zehn Mann zuviel. Sie werden daher Verständnis aufbringen, daß ich mich nicht auch noch um die anderen kümmern kann. Sie werden nach Surat finden und sich durchschlagen. Davon bin ich überzeugt. Ich kann Ihnen leider nicht helfen.“
Garcia entgegnete nichts darauf. Er überlegte nur, wie er an Ruthlands Stelle gehandelt hätte. Er war ebenfalls skrupellos, und ein Leben galt ihm nur dann etwas, wenn es Profit brachte. Brachte aber ein Schiffbrüchiger Profit? dachte er zynisch. Nein, er hätte vermutlich ebenso gehandelt und die anderen Kerle ihrem Schicksal überlassen.
Der umherirrende Rest seiner Mannschaft berührte ihn daher auch nicht weiter. Die Kerle waren von Bord desertiert, indem sie einfach vor dem Feuer kapitulierten. Sie waren fahnenflüchtige Halunken, über die er sich nicht länger den Kopf zerbrechen wollte.
Jetzt galt es, sich nicht weiter mit Ruthland anzulegen, denn das brachte nur Ärger ein. Er konnte noch froh sein, daß der Engländer ihn aufgenommen hatte, sonst würde er jetzt auch im Dschungel umherirren und nicht wissen, wie es weitergehen sollte.
Scheinbar versöhnlich streckte er Ruthland die Hand hin, der sie auch etwas erstaunt nahm. Garcia belustigte der Gedanke, daß er Ruthland nach erfolgreichem Gefecht abserviert hätte. Der Teufel sollte den verdammten Engländer holen.
„Vertragen wir uns“, sagte er, wobei er sich zu einem Lächeln zwang. „Wir haben einen gemeinsamen Gegner, den wir erledigen wollen. Wir sollten uns überlegen, wie wir das am besten anpacken können.“
Ruthland war etwas mißtrauisch, weil der Sinneswandel so überraschend schnell erfolgt war.
„Einverstanden“, sagte er. „Es ist auch besser so. Allerdings sehe ich vorerst keine Möglichkeit, den Seewolf anzugreifen. Durch die Bresche geht die Karavelle nicht, und ich habe auch nicht die Absicht, mich ihm offen im Kampf zu stellen, sonst ergeht es mir wie Ihnen.“
„Wir haben andere Möglichkeiten, ihm zu schaden“, sagte Garcia eifrig. „Wir könnten ihm beispielsweise die Miliz von Surat auf den Hals hetzen, indem wir seinen Liegeplatz verraten. Der Padischah hat noch eine Rechnung mit ihm offen und würde sich freuen, die Kerle hängen oder köpfen zu lassen, wie er es vorhatte.“
„Das wäre eine Idee“, erwiderte Ruthland nachdenklich. „Die Bastarde sind ja ausgekniffen und haben alles durcheinandergebracht. Was haben Sie noch für Vorschläge?“
„Wir könnten ihn aushungern“, schlug der Spanier vor. „Nach der Reparatur muß er die Bucht verlassen, und das wird sehr schwierig. Ich habe die Galeone so auf Grund gesetzt, daß er praktisch nicht mehr heraus kann. Beim Verlassen können wir ihn angreifen.“
Der schwergebaute Mann schüttelte abweisend den Kopf. „Das halte ich für keine gute Idee. Wir würden ihm dann wieder gegenüberstehen, und er ist stärker als die ‚Ghost‘. Für ihn wäre es leicht, uns zusammenzuschießen. Möglicherweise läßt er auch dieses höllische Feuer über uns abregnen. Was ist das überhaupt für ein Zeug?“
„Ich weiß es nicht. Es muß mit dem Teufel …“
„Hören Sie doch mit dem Teufel auf!“ fuhr Ruthland ihn an. „Dahinter steckt etwas ganz anderes. Ich beobachtete, daß Ihre Männer versuchten, die überall aufflackernden Brände zu löschen, sofern sie es nicht vorzogen, von Bord zu verschwinden. Aber niemand schaffte es, das Feuer zu löschen. Ist das nicht merkwürdig? Lefray hat behauptet, es müsse sich um eine Art Griechisches Feuer handeln, das sogar auf dem Wasser brennt.“
„Ich weiß nicht, was es ist. Es scheint sich um Schwefel zu handeln. Es frißt sich blitzschnell ins Holz und ist tatsächlich nicht mehr zu löschen.“
Garcia drückte mit den Händen seine nassen Klamotten aus und fuhr sich auch über das Gesicht. Aber davon wurde er nur noch schwärzer und schmieriger. Er bemerkte auch, daß ihm keiner von Ruthlands Kerlen mit Respekt oder Achtung begegnete. Wahrscheinlich lag es an seinem völlig verdreckten Aufzug.
Daß sich die Halunken insgeheim über ihn amüsierten, entging ihm. Sie nahmen ihn einfach nicht so wichtig wie er sich selbst. Außerdem hatte er eine verheerende Niederlage erlitten. Ausgerechnet er, der vorher noch so groß herumgetönt und alles besser gewußt hatte. Jetzt war er in ihren Augen bis auf die Knochen blamiert, und keiner nahm ihn ernst.
Ruthland ließ das Thema mit dem Griechischen Feuer fallen und überdachte Garcias Vorschlag, die Seewölfe dem Padischah, auszuliefern. Vielleicht war das die eleganteste Lösung.
Andererseits war der Padischah ein unberechenbarer und zum Jähzorn neigender Mann, der es nicht gern sah, wenn Fremde sich in etwas einmischten, was sie gar nichts anging. Es würde endlose Fragereien geben, und gerade das wollte Ruthland vermeiden. Er hatte in Surat Kontakte geknüpft, die er sich nicht verderben wollte.
Garcia trat näher ans Schanzkleid und blickte durch die Bresche im Dschungel. Zwischen den Mangrovenwurzeln war die Schebecke in der Nähe einer Landzunge zu erkennen. Sie lag mit dem Heck dicht an einem sandigen Uferstreifen. Auch zwei Jollen waren zu erkennen.
Die Kerle taten so, als ginge sie das Geschehen in der anderen Bucht nichts mehr an. Sie beschäftigten sich mit der Reparatur ihres Schiffes und glaubten sich in Sicherheit.
In dem Spanier wallte der Zorn wieder hoch, als er das sah. Nur ein paar hundert Yards entfernt lag sein Todfeind, und er konnte absolut nichts gegen ihn ausrichten.
„Meine Vorschläge scheinen Ihnen nicht zu gefallen“, sagte er unmutig. „Warum nicht?“
„Der Vorschlag mit dem Aushungern gefällt mir überhaupt nicht“, erwiderte Ruthland achselzuckend. „Er verspricht keinen Erfolg.“
„Ich hatte noch einen anderen unterbreitet.“
„Der hört sich nicht schlecht an, behagt mir aber ebenfalls nicht so richtig. Mit dem Padischah halte ich geschäftliche Kontakte, und er könnte mir übelnehmen, wenn ich mich in Dinge einmische, die er lieber selbst in die Hand nimmt. Er ist ein sehr launischer Mann.“
„Aber er wollte die Kerle doch hinrichten lassen. Er war schließlich ganz versessen darauf, und jetzt kriegt er sie praktisch serviert.“
„Das verstehen Sie nicht“, sagte Ruthland. „Es wird ohnehin Ärger geben, wenn er erfährt, was hier vorgefallen ist. Wir brauchen zu allem seine Einwilligung. Ich möchte es nicht mit ihm verderben, die Handelsbeziehungen haben sich zu gut angelassen. Wir sollten hier besser verschwinden.“
„Und wohin?“
„Was bleibt Killigrew noch anderes übrig, als nach Bombay zu segeln, nachdem er hier nichts mehr zu suchen hat? Dorthin wird ihn sein nächster Weg führen. Wenn wir nach Bombay segeln, können wir dort eine Kampagne gegen ihn betreiben, die den gleichen Erfolg hat wie jene in Surat. Ich habe bereits Erfahrungen darin.“
„Was sollte er in Bombay?“
„Er hat den Auftrag, Handelsbeziehungen anzuknüpfen. Nachdem ihm das hier mißlungen ist, wird er es weiter südlich versuchen, und da bleibt nur Bombay. In Goa kann er nichts erreichen, da sitzen die Portugiesen mit ihrer Monopolstellung. Dort könnten wir ihn ganz überraschend stellen, denn er muß nach erfolgter Reparatur hier so schnell wie möglich verschwinden. Er kann sich in Surat nicht mal mit Proviant eindecken, ohne Gefahr zu laufen, sofort gefangengenommen zu werden.“
„Sie sind sich Ihrer Sache ziemlich sicher, wie?“
„Ganz sicher. Sie mögen sich im Kriegswesen auskennen, ich bin mehr für den kommerziellen Bereich zuständig. Wenn wir den Boden in Bombay gründlich vorbereiten, ist er erledigt.“
Garcia mußte anerkennen, daß ihm Ruthland, was Abgefeimtheit und Heimtücke betraf, überlegen war. Der Engländer war ein hinterhältiger Intrigant, der es hervorragend verstand, andere anzuschwärzen und zu beschuldigen.
„Wenn wir jetzt verschwinden, dann lacht sich der Bastard ins Fäustchen“, sagte Garcia, dem ein kampfloser Rückzug nicht gefiel. „Wir sollten ihm zumindest noch einmal Stärke zum Abschied demonstrieren.“
„In welcher Form?“
Der Spanier lächelte verkniffen und bösartig. „Indem wir ihn von hier aus beschießen. Sie brauchen Ihr Schiff nur an meiner Galeone zu vertäuen und können dann durch die Bresche im Urwald feuern. So, wie er jetzt an Land liegt, kann er das Feuer nicht erwidern. Es ist also risikolos, aber es wird seine Arbeiten verzögern und ihm weiteren Schaden zufügen. Ein paar Treffer könnten wir schon anbringen. Überzeugen Sie sich selbst.“
Ruthland brauchte sich nicht zu überzeugen, er hatte es längst bemerkt, und diese Idee gefiel ihm wesentlich besser. Sie konnten von hier aus feuern und den Seewolf nerven. Sie würden sozusagen aus dem Hinterhalt feuern, und das war etwas, was Ruthland bevorzugte – einen Gegner zu beschießen, der sich nicht wehren konnte.
„Das hört sich nicht schlecht an“, meinte er. „Was hältst du davon, Hugh?“
Lefray grinste hinterhältig. „Wirklich nicht schlecht. Wir verpassen ihm ein paar Dinger und verschwinden dann. Das wird die Kerle aus der Ruhe bringen und ihnen gehörig zusetzen.“
„Kann ich meine Sachen wechseln?“ fragte Garcia. „Wir sehen ziemlich verdreckt aus.“
„Tun Sie das, Spanier. Wir werden inzwischen die Karavelle an Ihr Wrack verholen. Ich suche nur noch eine günstige Schußposition.“
Garcia ließ sich von seinen Leuten Wasser pützen und wusch sich. Immer wenn sein Blick auf den Trümmerhaufen fiel, der vor kurzem noch eine stolze Kriegsgaleone gewesen war, mußte er hart schlucken. Und wenn er dann noch Ruthland und seine Rabauken sah, wurde ihm übel.










