Seewölfe Paket 34

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5.
Den Arwenacks entging nicht, was draußen in der Bucht passierte. Die Galeone saß unverrückbar fest wie ein schwarzverbranntes Ungeheuer und versperrte die Ausfahrt.
Garcias Männer waren im Dschungel verschwunden oder trieben tot im Wasser. Nur ein paar von ihnen befanden sich an Bord der „Ghost“, die noch in der Bucht herumtrieb.
Das Wrack qualmte vor sich hin. Die lodernden Flammen waren durch starke Wassereinbrüche zwar erloschen, doch winzige Flammen zuckten immer wieder an vielen Stellen auf, bis der Monsunregen auch sie langsam erstickte. Qualm und Rauch hatten sich über die gesamte Bucht verteilt.
Hasard und Don bemerkten auch, wie Garcia und Molina an Bord der Karavelle aufenterten. Beide sahen wie rußgeschwärzte Teufel aus und schienen nicht gerade erfreut aufgenommen zu werden.
„Bin gespannt, was die aushecken“, sagte der Seewolf. „Zunächst mal scheinen sie sich zu streiten, wie ich das nicht anders erwartet habe. Einer wird den anderen jetzt mit Vorwürfen überhäufen. Was würdest du an ihrer Stelle tun, Juan?“
„Abhauen“, erwiderte Juan lakonisch. „Ich würde verschwinden, weil ich kein Bein mehr auf die Planken kriege. Aber sie werden es nicht tun, dazu sind sie viel zu sehr vom Haß zerfressen, und Haß läßt einen blind gegen Gefahr werden.“
Hasard nickte bedächtig. „Da hast du ein wahres Wort gesprochen. Sie werden noch einmal versuchen, uns zu schaden, und da gibt es mehrere Möglichkeiten, die wir ja besprochen haben.“
„Was tun wir denn, wenn die Reparatur beendet ist?“ fragte Juan.
„Auch abhauen“, sagte Hasard, „und zwar so schnell wie möglich. Wir segeln den Tapti abwärts und verschwinden, um uns keinen weiteren Ärger einzuhandeln.“
„Vor das Verschwinden haben die Götter das Wrack gesetzt“, sagte der Spanier spöttisch. „Aber angenommen, wir gelangen aus der Bucht wieder hinaus?“
„Ich habe schon mit Ben darüber gesprochen. Wir segeln nach Bombay, um dort unsere königliche Mission zu erfüllen. Irgendwo in Indien werden wir ja wohl Kontakte anknüpfen können.“
„In Bombay waren schon Donegal und deine Söhne, aber uns kennt dort noch niemand, und Ruthlands Intrigen haben wir da ebenfalls nicht zu fürchten.“
In der Bucht schien jetzt grell die Sonne. Etliche ihrer hellen Strahlen durchbrachen das Dschungeldickicht und beschienen auch das qualmende Wrack, das wie ein gestrandeter Wal aussah und dunklen Rauch verströmte.
„Sie legen an dem Wrack an“, sagte Juan nach einer Weile.
Die meisten Arwenacks blickten hinüber.
Die „Ghost“ wurde mit langen Bootshaken vorsichtig an das Wrack heranmanövriert. Es ging recht umständlich zu. Ruthlands Kerle tasteten sich buchstäblich an das qualmende Ungeheuer heran. Sie hatten Angst, selbst Feuer zu fangen, denn hin und wieder stoben kleine rote Funken explosionsartig aus zerplatzendem Holz nach oben.
„Sie werden noch etwas abbergen wollen“, meinte Dan O’Flynn. „In dem Wrack sind schließlich ihre ganzen Habseligkeiten geblieben.“
„Das Zeug dürfte völlig durchnäßt und verschmiert sein“, sagte Hasard. „Das Schiff ist ja bis fast an die Decks auf Grund gegangen. Da ist nicht mehr viel zu holen.“
„Was bezwecken sie sonst?“
„Abwarten. Die Kerle haben etwas vor.“
An dem Wrack wurden zwei Leinen befestigt, etwas später noch eine dritte. Etliche Männer waren damit beschäftigt, Wasser auf die Planken der Karavelle zu pützen, damit die Decks naß blieben. Die Arbeit war überflüssig, denn auf dem Schiff glänzte alles vor Nässe durch den ständigen Regen, der jetzt allerdings schwächer wurde. Aber Ruthland hatte große Angst um sein Schiff, was ihm nicht zu verdenken war.
Sie holten die Karavelle so weit herum, bis die Breitseite an Steuerbord gut zu erkennen war.
Diese Breitseite war jetzt nach ein paar weiteren langwierigen Manövern genau auf die Bresche im Dschungel ausgerichtet.
Wieder wurde drüben diskutiert. Allerdings ging kein einziger der Kerle auf das Wrack, wie Dan O’Flynn angenommen hatte. Sie gossen lediglich noch ein paar Pützen Wasser hinüber. Der Erfolg war der, daß pechschwarze Rußwolken zum Himmel stiegen, wo das Wasser schwallartig auftraf. Hasard glaubte das Zischen bis hierher zu hören.
„Die nehmen uns wahrhaftig unter Feuer“, sagte der Seewolf fassungslos. „Sie haben offenbar immer noch nichts gelernt.“
Etliche Männer waren an den Kanonen zu sehen, wo sie eifrig hantierten und herumwerkten.
Es waren nur kleine Kanonen, die die Karavelle an Bord hatte, aber die Arwenacks befanden sich in der unglücklichen Lage, sich nicht zur Wehr setzen zu können. Sie konnten jetzt – halb auf dem sandigen Uferstreifen liegend – ihre Siebzehnpfünder nicht einsetzen. Sie waren so wehrlos, wie sie es zuvor mit dem beschäftigten Ruder schon gewesen waren.
„Das sieht den Halunken ähnlich, aus dem Hinterhalt zu feuern, wenn sie selbst nichts zu befürchten haben“, sagte Al Conroy empört. „Sie können uns mit etwas Glück sogar treffen. Daran hätten wir denken sollen, Sir.“
Hasard glaubte, einen leichten Vorwurf in der Stimme des dunkelhaarigen Stückmeisters herauszuhören.
„Es sind mehr als dreihundert Yards Entfernung, Al. Da muß es schon wirklich mit dem Teufel zugehen, wenn sie uns treffen. Außerdem liegen wir mit dem größten Teil der Schebecke hinter der Landzunge. Ruthland will wohl bloß einen kleinen Nervenkrieg anzetteln, um uns von der Arbeit abzuhalten.“
„Wenn wir wenigstens zurückfeuern könnten, Sir. Aber der Winkel unserer Culverinen ist so schlecht, daß es absolut ausgeschlossen ist.“
„Wir werden uns von dieser Laus im Pelz nicht lange beeindrucken lassen, Al“, versprach der Seewolf. „Du kannst ja noch mal das Abschußgestell für die Brandsätze einrichten. Wir jagen ihm einen Brandsatz hinüber, und dann sind wir ihn los.“
„Das wird wohl das beste für uns sein, damit wir endlich Ruhe haben“, murmelte Al. „Im offenen Kampf trauen sich die Halunken ja nicht an uns heran, und schließlich müssen wir uns zur Wehr setzen.“
„Wir könnten auch ein Kommando zusammenstellen“, schlug Carberry vor, „das auf der linken Seite durch den Dschungel pirscht. Vom Land aus könnten wir sie mit Musketen unter Feuer nehmen.“
Hasard überlegte und schüttelte dann den Kopf.
„Das würde uns zu lange aufhalten, Ed, und bedeuten, daß wir weitere Männer abstellen müßten. Auf diese Weise werden wir mit den Arbeiten überhaupt nicht mehr fertig.“
Auf der Karavelle hatten sich jetzt etliche bärtige Typen um die kleinen Kanonen geschart. Ihre Absicht war unverkennbar. Sie wollten durch die Bresche in den Mangroven feuern, in der Hoffnung, ein paar Treffer zu erzielen.
Hasard ließ das ziemlich kalt. Wenn die Burschen zu lästig wurden oder womöglich doch einen Treffer anbrachten, würden sie einen Brandsatz zurückfeuern. Ruthland würde sich dann gut überlegen, ob er seine feigen Angriffe aus dem Hinterhalt fortsetzte.
Al Conroy, dem über die Hinterhältigkeit der Engländer die Empörung im Gesicht geschrieben stand, war schon dabei, das Abschußgestell neu einzurichten. Währenddessen arbeiteten etliche andere Arwenacks an dem Ruder und ließen sich nicht aus der Ruhe bringen.
Der Treffer im Schanzkleid war nicht so wichtig. Ein Teil war zwar durchschlagen worden, doch das beeinträchtigte die Seetüchtigkeit der Schebecke nicht. Tucker hatte die Beschädigung ohnehin als ein „etwas groß geratenes Speigatt“ bezeichnet.
Hasard sah einen grellen Funken an Deck der Karavelle.
„Achtung! Sie feuern!“ rief er.
Es gab eine lange Stichflamme, ein Rauchwölkchen und eine Sekunde nach dem Aufblitzen einen dumpfen Knall.
Ein Dreipfünder heulte durch die Luft. Die Kerle beugten sich vor, um den Einschlag der Kugel besser erkennen zu können.
Der Dreipfünder raste durch die Bresche, riß eine Stelzwurzel von einer Mangrove und wurde dadurch abgelenkt. Rauchend klatschte er ins Wasser neben der schmalen Durchfahrt. Eine kleine Säule sprang hoch.
„Fliegendreck“, knurrte Carberry verächtlich. „Die müssen sich erst noch einschießen, diese Banausen.“
Der zweite Dreipfünder wurde auf der „Ghost“ gezündet. Lautlos blitzte es auf, gleichzeitig erschien das Qualmwölkchen, und einen Lidschlag später war erst der Knall zu hören. Fast gleichzeitig mit dem Knall klatschte die Kugel etwa sechzig Yards vor der Schebecke ins Wasser der Bucht und wirbelte es auf.
Drüben war Gebrüll zu hören, als hätten die Kerle einen großen Sieg errungen. Einige rissen die Arme hoch.
Die abgefeuerten Stücke wurden nachgeladen. Ein Mann beugte sich über das Rohr und peilte darüber hinweg. Dann korrigierte er das Geschütz mit Geschrei und gestenreichen Bewegungen.
Der dritte Schuß war ein Fünfpfünder. Der Mann, der die Kanone ausrichtete, mußte einen schlechten Tag erwischt haben. Die Kugel fuhr in den Wedel einer großen Palme und rauschte danach weiter in den Dschungel, wo sie eine kleine Bresche schlug. Ein paar unreife Kokosnüsse fielen herab, begleitet von ein paar Wedeln.
Diesmal riß keiner die Arme hoch. Nach dem Knall war es sehr ruhig geworden. Diese Stille wurde von Old O’Flynns schadenfrohem Gelächter durchbrochen. Wenn Old Donegal dieses höllische Gelächter ausstieß, hörte es sich an wie das Meckern eines Ziegenbocks.
Den Kerlen drüben mußte ein Schauer über die Rücken laufen. Aber das meckernde Gelächter versetzte sie in Wut.
Als es verebbte, wurde wieder gefeuert. Ein erneuter Fehlschuß, überhastet abgefeuert, ließ Old Donegal wieder laut losbrüllen.
„Mehr Steuerbord!“ brüllte der Profos hinüber. „Und gleichzeitig etwas weiter voraus, sonst trefft ihr nie!“
Bis auf etwa dreißig Yards schoß sich Ruthland ein. Keine seiner Kugeln erreichte die Schebecke. Er zauberte lediglich ein paar Säulen aus dem Wasser.
Danach schwiegen die Rohre für eine Viertelstunde. Drüben berieten sie jetzt, wie sie ein paar Treffer anbringen konnten. Sie kamen jedoch an dem Wrack nicht vorbei und konnten sich nicht weiter der engen Durchfahrt nähern. Das Wrack gestattete keine Bewegungsmöglichkeit.
Als die Viertelstunde um war, wurde aus dem ersten Rohr wieder ein Dreipfünder abgefeuert. Sie hatten das Geschütz unterkeilt und schossen jetzt in einem steilen Winkel.
Von der Schebecke aus konnte man die Kugel sehen, wie sie in den Himmel stieg, ihre Gipfelhöhe erreichte und dann nach unten sauste.
Vor der Landzunge fiel sie in den Ufersand und riß ein Loch in den Boden. Die Entfernung bis zur Schebecke betrug diesmal knapp zwanzig Yards.
Hasard ließ noch zwei weitere Schüsse über sich ergehen. Eine Kugel flog gefährlich dicht am Bug vorbei.
Der Seewolf hatte jetzt genug. Er drehte sich auf dem Achterdeck um und legte die Hände trichterförmig an den Mund. Sie hörten ihn drüben überdeutlich, denn wenn er brüllte, war das noch lauter, als wenn der Profos losböllerte. Und der hatte immerhin eine gewaltige Stentorstimme.
„Genug jetzt, Ruthland! Erproben Sie Ihre zweifelhaften Schießkünste woanders. Wenn Sie nicht augenblicklich verschwinden, lasse ich Ihnen einen höllischen Gruß rüber schicken. Sie haben eine Viertelstunde Zeit, um aus der Bucht zu verschwinden, wenn nicht, werden Sie es zutiefst bereuen.“
„Fahr zur Hölle, du Bastard!“ brüllte der Engländer laut zurück.
Die weitere Antwort bestand aus einem Steilschuß, der ein paar Handbreiten neben einer der Jollen einschlug.
„Wie sieht es aus, Al?“ fragte der Seewolf ruhig. „Ist das Abschußgestell klar?“
„Alles klar, Sir“, versicherte Al Conroy. „Ich habe einen Flammenbaum genommen.“
„Sehr gut.“
Flammenbäume waren die chinesische Bezeichnung für einen Brandsatz, der sich am Himmel wie ein weitverästelter Baum entfaltete. Die Äste waren aus hell- und dunkelrotem Feuer und zuckten grellen Blitzen gleich durch die Luft. Zudem entstand noch ein erheblicher Krach dabei, der jedem auf die Nerven ging.
Sie hätten auch einen kompakten Brandsatz nehmen können, eine Bombe, wie sie auf die „Aguila“ abgefeuert worden war und damit ihren Untergang eingeleitet hatte. Aber zu diesen Waffen griffen sie nur in letzter Konsequenz, wenn es keinen anderen Ausweg mehr gab. Außerdem waren die Brandsätze knapp und sollten nicht sinnlos verpulvert werden.
Hasard wollte diesem englischen Bastard nur eine Lektion erteilen, und dazu genügte ein „Flammenbaum“ völlig.
„Soll ich feuern, Sir?“ fragte Al Conroy erwartungsvoll. Er hatte eine glimmende Lunte neben sich liegen, die Mac Pellew aus der Kombüse gebracht hatte.
„Ja, Feuer frei“, sagte Hasard.
Drüben löste sich in diesem Augenblick wieder ein Schuß. Wo die Kugel einschlug, war nicht mehr festzustellen. Wahrscheinlich raste sie irgendwo in den Dschungel.
Al Conroy hatte sein Ziel längst anvisiert. Er schoß ebenfalls in einem steilen Winkel und hielt die Lunte an das herausragende, fingerlange Luntenstück des Brandsatzes.
Blitzschnell stoben Funken davon. Es zischte laut, ein Prasseln und Knistern folgte, und dann ging der „Flammenbaum“ unter höllischer Geräuschentwicklung auf seine Reise in das Blau des Himmels.
Er raste in einer schnurgeraden Linie hinauf, bis er auf dem Scheitelpunkt mit einem donnernden Knall explodierte.
Am Himmel entstand ein bizarr verlaufendes Muster wie ein verästelter Blitz, der sich immer wieder neu entfaltete und Zickzacklinien hervorzauberte. Die Enden dieser Linien explodierten wieder unter entsetzlichem Getöse und erzeugten weitere blutrote Linien. Die senkten sich jetzt langsam nach allen Seiten nieder.
Die Bucht glänzte vom Widerschein bengalischen Feuers, und selbst der schwarze Qualm schien sich rot zu färben.
6.
Bisher hatte es Ruthland eine gewisse Freude bereitet, auf die Arwenacks zu feuern und sich selbst dabei in Sicherheit zu fühlen. „Scheibenschießen“ hatten sie veranstaltet, und er hatte die Worte des Seewolfs in seiner Selbstüberschätzung nicht ganz ernst genommen.
Jetzt sah das plötzlich alles ganz anders aus, als mit unheimlichem Getöse etwas in den Himmel schoß und sich dort farbenprächtig entfaltete. Das Getöse wurde noch lauter und wirkte beängstigend, als zerplatze der gesamte Himmel und stürze ein.
Schluckend und mit hervorquellenden Augen stierte Ruthland nach oben. Garcia, der neben ihm stand, bekreuzigte sich hastig.
„Das Licht!“ schrie ein Spanier wie von Sinnen. „Das fürchterliche Licht des Satans wird uns alle verschlingen! Wir sind verloren!“
„Gott steh uns bei!“ schrie ein anderer. „Ich war immer ein gläubiger Mensch.“
Die Dons, die auf der „Aguila“ die erste Berührung mit dem Feuer gehabt hatten, gerieten sofort in Panik, als sich schillernde und knatternde Schlangen durch den Himmel fraßen und mit tausend glühenden Armen nach ihnen griffen.
Mit Mühe und Not hatten sie sich vor dem Teufelszeug retten können, und jetzt stand ihnen die nächste Begegnung bevor.
Einer von ihnen, der bereits beim ersten Feuerregen in blinder Angst über Bord gesprungen war, hastete jetzt wieder kopflos hin und her und rannte alles um, was sich ihm in den Weg stellte. Dabei stieß er markerschütternde Schreie aus, die nichts Menschliches mehr an sich hatten.
Das Höllenfeuer wanderte über den Himmel, und niemand wußte, wohin es sich wenden würde, weil es alle Augenblicke mit höllischer Geschwindigkeit seine Richtung änderte.
Dabei erzeugte das Feuer eine Kakophonie von Geräuschen, die aus wildem Kreischen oder donnerndem Krachen bestanden. Stürmte einer der Dons oder Engländer in eine bestimmte Richtung, dann änderte er blitzartig seinen Kurs, denn das Feuer schien direkt auf ihn zu zielen. Wich er abermals aus, trat derselbe unheimliche Effekt auf. Das Feuer verfolgte jeden einzelnen von ihnen, das war jedenfalls ihr ganz persönlicher Eindruck.
Ruthland selbst war wie gelähmt, als winzige, brennende Kugeln dicht neben der „Ghost“ ins Wasser zischten. Ein paar fielen auch auf das Schiff und setzten sich in den Planken fest. Er sah, wie sie glimmten, qualmten und sich ins Holz fraßen. Auch auf das Wrack ging ein bunter Funkenregen nieder, und das Holz begann zu brennen.
„Sie müssen etwas tun!“ schrie Garcia außer sich vor Angst. „Tun Sie doch etwas, sonst verbrennt das Schiff!“
„Was denn?“ fragte Ruthland hilflos und starrte wieder auf die kleinen, brennenden Kugeln.
„Sand streuen!“ brüllte der Spanier.
Endlich regte sich der Engländer und rief seine Leute zur Ordnung. Es gelang ihm mit Mühe und Not, die Ruhe wiederherzustellen und eine Panik zu verhindern.
Sand wurde geholt und auf die qualmenden Stellen gestreut. Die Männer taten es in hektischer Eile.
Zu Ruthlands Glück war das Holz so naß, daß es kaum Feuer fing. Er sah aber auch, daß viele der kleinen Kugeln aufloderten und weiterbrannten, wenn sie auf die nassen Planken fielen. Zu seinem weiteren Glück trafen die meisten brennenden Kugeln das Wrack. Da war das Holz hoch warm von dem Feuer und fand schnell neue Nahrung. Überall loderte es schlagartig auf.
Garcia packte zwei seiner Leute, die fassungslos und verängstigt herumstanden, und stieß sie ans Schanzkleid der Kuhl.
„Drückt das Schiff ab!“ rief er. „Beeilt euch gefälligst, wir fangen sonst Feuer!“
Er und Molina griffen selbst mit zu, nahmen die Haken und hieben sie ins qualmende Holz der Galeone. Ein anderer Mann nahm sich nicht mehr die Zeit, erst umständlich die Leinen zu lösen. Er hieb mit einem Schiffshauer zu und kappte die Leinen.
Die anderen streuten wie wild Sand auf die Planken. Schon jetzt hing über den Decks der Karavelle der üble Geruch von angesengtem Holz.
In einem der Segel qualmte es jetzt ebenfalls. Ein Mann enterte auf und schlug mit bloßen Händen auf eine der im Segel haftenden Kugeln ein. Mit verbrannten Fingern enterte er wieder ab. In dem lose herabhängenden Segel klaffte ein schwarzes Loch mit ausgefransten Rändern.
Die Leute wurden von Ruthland und Lefray mit Schlägen und wüsten Beschimpfungen zur Eile angetrieben. Inzwischen löste sich die Karavelle von dem neu aufgeflammten Wrack und trieb auf die Einfahrt der Bucht zu.
Ruthland zitterte vor Wut. Er hob drohend die Faust und schüttelte sie in Richtung der Schebecke. Schaum stand in seinen Mundwinkeln, er konnte sich nur noch mühsam beherrschen.
„Ihr Schweinehunde, ihr verdammten!“ schrie er durch die Bucht. „Das zahle ich euch noch heim, das ist nicht vergessen! Ihr werdet mich noch von einer ganz anderen Seite kennenlernen!“
„Recht so“, hetzte Garcia. „Wir werden es ihm gemeinsam geben, ich weiß auch schon, wie wir das anstellen.“
„Lassen Sie mich jetzt in Ruhe!“ brauste Ruthland auf. „Zuerst müssen wir das Schiff retten. Alles andere überlegen wir uns später. Wir müssen so schnell wie möglich auf den Fluß hinaus, sonst nehmen uns die Hunde wieder unter Feuer.“
Sie schafften es mit Mühe und Not, die immer wieder aufflackernden kleinen Brände zu löschen. Mitunter gruben sie glühende Kugeln mit Messern aus dem Holz.
Die Decks waren verschmiert, dreckig und voller Sand. An einigen Stellen qualmte es noch unter dem Sand. Kleine Rauchwölkchen drangen mit zischenden Geräuschen hoch und bliesen den feuchten Sand weg.
Segel wurden in aller Eile gesetzt, dann zeigte der Bug der Karavelle bereits auf den Tapti. Die Strömung riß ihn herum, und das Heck des Schiffes streifte erneut das Ufer. Es gab einen dumpfen Schlag. Die Karavelle wurde kräftig durchgeschüttelt.
Alle Manöver und jeder Handschlag wurden in überhasteter Eile ausgeführt. Die Angst diktierte das Geschehen, und Ruthland mußte immer wieder hart und brutal durchgreifen, damit seine Kerle nicht in Panik gerieten.
Noch einmal schoren sie dicht am Ufer entlang, dann nahm der Tapti sie auf und trieb sie flußabwärts. Hinter ihnen wurde die Bucht unsichtbar, nur der beizende Qualm kündete noch vom Untergang der spanischen Galeone.
Der Schreck saß den meisten noch so in den Knochen, daß sie eingeschüchtert schwiegen.
Auch Ruthland hielt sich lange zurück. Vor diesem Teufelszeug, das so urplötzlich vom Himmel fiel, hatte er einen Heidenrespekt. Es dauerte lange, bis er den Spanier ansprach.
„Das zahlen wir den Halunken zurück“, sagte er voller Wut. „Beinahe hätte es mich das Schiff gekostet.“
„Viel fehlte nicht mehr, das stimmt. Wir haben es nur dem Regen zu verdanken, daß das Feuer wenig Nahrung fand. Aber wir sollten jetzt ernsthaft überlegen, wie wir diesen Kerlen alles heimzahlen können. Ich setzte jederzeit mein Leben dafür ein, daß El Lobo zur Hölle fährt – und seine verdammten Bastarde ebenfalls.“
„Aber wie? Sie hatten doch vorhin eine Idee. Ich gebe jetzt auch nicht eher Ruhe, bis wir die Schlappe ausgebügelt haben.“
Garcia lehnte am Schanzkleid des Achterdecks und blickte auf den Tapti, dessen Fluten immer lehmiger und dunkler wurden. Holzstücke, Palmenwedel und Unrat trieb dahin. An manchen Stellen rauschte der Fluß oder zeigte durch kleine schnelle Wirbel tückische Untiefen an.
„In der Bucht können wir uns nicht mehr sehen lassen, jedenfalls nicht mehr mit dem Schiff“, sagte er. „Wir können aber heute nacht einen Angriff wagen, und zwar zu einer Zeit, in der wirklich jeder schläft – bis auf die Wachen.“
„Wie stellen Sie sich das vor?“
„Wir nehmen eine Jolle und ein paar Fässer Schießpulver, die wir so präparieren, daß sie wie Explosivladungen hochgehen. Diese Ladungen bringen wir achtern an der Schebecke an, wo sie auf Land liegt. Wir zünden die Lunten und verschwinden wieder. Das ist alles.“
„So, wie Sie das sagen, klingt es ganz simpel“, sagte Ruthland. „Aber gar so einfach ist das nicht. Man wird die Jolle bemerken und sofort mit dieser mörderischen Waffe angreifen.“
„Wenn wir geschickt vorgehen, wird man nicht auf uns aufmerksam“, widersprach der Spanier, der sich jetzt in Eifer zu reden begann. „Es müssen nur die richtigen Leute dabei sein. Ich habe ja nicht vor, durch die Lücke im Mangrovenwald zu pullen. Wir bringen das Schießpulver nur in die Bucht und verstecken uns hinter der ‚Aguila‘. Dort wird uns niemand vermuten und auch keiner bemerken, selbst wenn sie Wachen aufgestellt haben.“
„Damit sind Sie aber immer noch nicht an dem Schiff.“
„Die Fässer werden ein Stück durch den Dschungel transportiert“, erklärte Garcia. „Wir nähern uns von dort, denn von dieser Seite rechnet niemand mit einem Angriff. Wenn, dann wird uns El Lobo bestenfalls von der Bucht her erwarten. Er wird jedoch annehmen, daß wir die Nase voll haben und abgezogen sind. So, das wäre mein Vorschlag. Wir sollten dann aber die nächste kleine Bucht anliegen, weil die Jolle gegen den Strom ankämpfen muß.“
„Und Sie glauben, das gelingt?“
„Davon bin ich überzeugt. Das Unternehmen hängt nur von den richtigen und entschlossenen Leuten ab.“
„Wer soll das Unternehmen Ihrer Meinung nach denn leiten?“ fragte Ruthland mit einem lauernden Ton in der Stimme. „Als Kapitän kann ich ja schlecht mein Schiff verlassen.“
„Das Unternehmen leite ich mit Ihrer gütigen Erlaubnis. Ich werde auch meinen Ersten Offizier mitnehmen, und Sie geben mir noch zwei gute Leute dazu.“
Ruthland brauchte nicht lange zu überlegen. Wenn Garcia für ihn die Kastanien aus dem Feuer holen wollte, so war das eine gute und akzeptable Lösung. Er schickte gern andere Leute vor, wenn für ihn die Gefahr bestand, sich die eigenen Finger zu verbrennen.
Er selbst hatte dann keine Verantwortung und brauchte sich auch keine Sorgen zu machen, daß ihm etwas passierte. Das war so ganz nach Ruthlands Geschmack. Wenn der Don bei dem Unternehmen draufging, dann hatte er eben Pech gehabt. Er würde ihm jedenfalls keine einzige Träne nachweinen.
Er tat so, als müsse er überlegen und ließ sich mit der Antwort etwas Zeit. Schließlich nickte er.
„Nun gut, wenn Sie wollen. Ich wäre ja selbst gern dabei“, sagte er heuchlerisch, „aber ich kann das Schiff nicht verlassen, schon gar nicht hier, wo alles so unwägbar ist. Ich bin einverstanden.“
Feigling, dachte Garcia. Du hast viel zuviel Angst, um so ein Unternehmen zu leiten. Er grinste unmerklich, denn er hatte den Engländer längst durchschaut.