Seewölfe Paket 34

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„Doch nicht schon wieder“, entgegnete Luke. „Du hast heute schon mindestens fünf Nüsse von mir geschnorrt.“ In der Tat war Sir John häufig Gast bei ihm im Ausguck gewesen – bis ihn der Monsunregen vertrieben hatte.
„Noch eine Nuß!“ Der Papagei war hartnäckig.
„Nichts da, heute nicht mehr.“ Luke dachte nicht daran, wieder in die Hosentasche zu greifen.
Da fluchte Sir John fürchterlich. Zuerst auf englisch, und als das keinen Erfolg brachte, versuchte er es auf spanisch.
Luke blieb hart.
„Wenn du dich überfrißt und von der Stange fällst, zieht mir Mister Carberry die Haut vom Achtersteven. Also verschwinde, du Nebelkrähe.“
Jetzt war Sir John beleidigt. Bevor er zur Nagelbank hinüberflatterte und sich dort niederließ, mußte sich Luke Morgan noch einiges an Flüchen anhören.
Die Arwenacks lachten dröhnend. Aber Sir John lehrte sie gleich das Fürchten. Zumindest bei Old Donegal gelang ihm das. Er gab nämlich einen langgezogenen hohen Pfeifton von sich, der weithin zu hören war.
Die Art, in der Old Donegal zusammenzuckte, erinnerte an die Behandlung seiner Schramme durch den Kutscher. Als dieser ihm zur Wundreinigung die höllisch brennende Tinktur aus der braunen Flasche auf den Achtersteven geträufelt hatte, war sein Körper jeglicher Kontrolle entglitten.
Nach heftigem Zusammenzucken hatte er die Augen verdreht, einen Zischlaut ausgestoßen, und war dann – trotz Holzbein – so schnell im Kreis herumgelaufen, daß die anderen Patienten ihre Wehwehchen vergaßen und ihm bewundernd zuschauten.
Jetzt aber war die Sachlage etwas anders. Da Sir Johns Pfiff nicht wie Feuer brannte und demnach auch nicht zu heftigen Bewegungen Anlaß gab, blieb der alte Zausel nach dem Zusammenzucken stehen und richtete den Blick gen Himmel.
„Beim heiligen Bimbam“, stieß er hervor. „Der Krummschnabel wird uns doch hoffentlich nicht einen Sturm herbeipfeifen?“
„Nun mal langsam, Mister O’Flynn“, sagte Luke Morgan lachend. „Sir John pfeift, weil es ihm Spaß bereitet, nicht, weil du abergläubisch bist.“
Old Donegal wischte die Worte Lukes mit einer ärgerlichen Geste weg.
„Was verstehst du Heringsschwanz schon von den Dingen, die sich hinter der Kimm abspielen? Pfeifen auf See ruft Unglück oder Sturm herbei. So was hat unsereiner schon gelernt, als er noch in den Windeln gelegen hatte. Und was tut dieser Radauvogel, nur weil du ihm keine Nuß gegeben hast? Er hockt sich auf die Nagelbank und pfeift uns das schönste Unwetter herbei.“
Luke zog sein Hemd über und grinste unverschämt. „Der Vogel will doch nur auf sich aufmerksam machen. Und gerade das ist ihm offenbar gelungen.“
In diesem Moment wiederholte Sir John nicht nur seinen durchdringenden Pfiff, sondern er fügte noch einen anderen hinzu – nach Art der jungen Burschen, die auf der Gasse einer hübschen jungen Lady hinterherpfeifen.
Old Donegal riß es fast vom Holzbein. Nach der Tortur in der Krankenkammer war er offenbar noch etwas überempfindlich.
„Das ist nicht mehr zu verantworten!“ rief er. „Wo ist der Stückmeister?“
„Hier bin ich, Mister O’Flynn.“ Der schwarzhaarige Al Conroy hob die Hand und kämpfte dabei mühsam gegen den Lachreiz an. „Soll ich die Stückpforten öffnen und die Culverinen ausrennen lassen?“
„Unsinn!“ schimpfte Old Donegal. „Es genügt, wenn du mir eine Drehbasse auflädst. Wenn der Höllenvogel dann noch einen einzigen Pfiff von sich gibt, schieße ich ihm sämtliche Federn vom Leib.“
Das Drama auf der Kuhl zog Kreise. Der Seewolf, der auf dem Achterdeck zusammen mit Ben Brighton, seinem Stellvertreter, über Karten gebrütet hatte, beschwerte diese mit einem Stein und blickte auf die Männer, die sich im Halbkreis um Old Donegal scharten.
Pete Ballie, der Rudergänger, vergaß beinahe den Kurs, den er steuern sollte. Obwohl er nicht viel sah, hörte er dennoch, daß Außergewöhnliches im Gange war. Sogar Bill sah vom Ausguck herunter, auf dem er Luke Morgan abgelöst hatte.
Natürlich war der Zwischenfall auch Edwin Carberry nicht entgangen. Er stapfte heran wie ein Racheengel aus biblischen Zeiten.
„Darf man erfahren, was hier los ist? Warum steht ihr alle plattfüßig da herum und haltet Maulaffen feil?“
„Oh, nichts Besonderes, Mister Carberry“, erwiderte Luke Morgan. „Al soll nur eine Drehbasse aufladen, damit Mister O’Flynn Sir John die Federn vom Leib schießen kann.“
„Die – Federn – vom – Leib – schießen?“ Der Profos geriet fast ins Stottern, und sein im Grunde genommen butterweiches Herz zerfloß fast vor Rührung, als ihm dieses barbarische Ansinnen erst richtig bewußt wurde. „Und warum hat Mister O’Flynn diesen – diesen teuflischen Wunsch geäußert? Ist ihm vielleicht die Tinktur des Kutschers durch den Achtersteven hindurch bis ins Hirn gedrungen? Oder hat er von Natur aus einen Sprung in der Schüssel?“
„Das kann ich nicht beurteilen“, fuhr Luke grinsend fort. „Jedenfalls hat Sir John laut und schrill gepfiffen, weil ich ihm keine Nuß mehr gegeben habe. Und gemäß Mister O’Flynn ruft dieses Pfeifen Unglück und Sturm herbei. Deshalb …“
„Genug!“ unterbrach der Profos. „Genug des Wahnsinns. Würde einer von euch Rübenschweinen pfeifen, könnte das durchaus einen Sturm anlocken. Bei einem kleinen, zarten Vögelchen jedoch ist das Pfeifen etwas ganz Natürliches. Wer ihm das Pfeifen verbieten will, könnte genauso gut einer Katze das Miauen oder einem Hund das Bellen verbieten. Und dann noch wegen einer Nuß! Wegen einer klitzekleinen Nuß! Das ist einfach nicht zu fassen. Al – hast du die Drehbasse geladen?“
„Natürlich nicht, Mister Carberry.“
„Das ist Donegals Glück, sonst hätte ich ihm damit das Holzbein weggeschossen und Ferris damit beauftragt, ihm einen Pferdefuß zu schnitzen.“
Sir John saß die ganze Zeit über auf der Nagelbank und lauschte hingerissen dem Disput, der offensichtlich durch sein Zutun entfacht worden war. Außerdem schien der Vogel durchaus zu begreifen, daß sich sein Herr und Lehrmeister für ihn einsetzte. Er schwang sich genau zum richtigen Zeitpunkt in die Luft, flatterte zum Profos und ließ sich auf dessen breiter Schulter nieder.
„Noch eine Nuß!“ flötete er ihm ins Ohr.
„Eine Nuß möchtest du haben, mein Täubchen?“ Die sonst so rauhe Stimme des Profosen klang gar lieblich. „Na, wenn es sonst nichts ist – die kannst du haben.“ Er kramte in den Hosentaschen und erfüllte seinem gefiederten Liebling den sehnlichen Wunsch.
Während Sir John mit der Nuß in luftige Höhen entschwebte, brummte der Profos vorwurfsvoll: „Bin mal gespannt, wie oft man euch Rübenschweinen noch verklaren muß, daß so ein Vogel auch nur ein Mensch ist.“
Das Problem war gelöst. Sir John war der Gewinner dieser Runde. Er hatte seine Nuß, und Sturm und Unglück blieben aus. Die Schebecke lief weiterhin gute Fahrt auf südlichem Kurs. Der heftige Regenguß war vergessen, die Sonne brannte längst wieder heiß vom Himmel.
4.
„Deck!“ Der Ruf Bills aus dem Ausguck ließ die Arwenacks aufhorchen. „Steuerbord voraus treibt etwas im Wasser. Es könnte sich um ein Wrackteil handeln.“
„Wrackteile sind kein gutes Omen“, murmelte Old O’Flynn.
Er war inzwischen zum Achterdeck auf geentert, und sein zerfurchtes Gesicht ließ nach wie vor erkennen, daß er wegen des Pfeifens von Sir John absolut nichts Gutes erwartete.
Hasard lächelte, als er die finsteren Blicke des Alten sah.
„Du solltest nicht gleich den Teufel an die Wand malen, Donegal. Bis jetzt wissen wir nicht mal, ob Bill wirklich ein Wrackteil gesichtet hat. Selbst wenn es so sein sollte, wäre das ja wohl nichts Außergewöhnliches, nicht wahr? Die Erfahrung hat uns bisher leider gezeigt, daß hier genauso oft die Fetzen fliegen wie in anderen Gewässern.“
Eine ergänzende Meldung Bills ließ nicht lange auf sich warten.
„Deck!“ tönte es aus dem Ausguck. „Wahrscheinlich sind es Schiffsbrüchige. Ich sehe eine Gräting, auf der zwei Gestalten liegen. Sie klammern sich offenbar daran fest.“
„Auch das noch“, grummelte Old Donegal. „So was bedeutet immer, daß ungebetener Besuch an Bord erscheint. Weiß der Kuckuck, was wir uns da wieder einhandeln.“
Hasard schüttelte den Kopf. „Dir scheint heute wirklich eine Laus über die Leber gelaufen zu sein. Ich jedenfalls möchte das trockene Plätzchen auf dem Achterdeck unserer Schebecke nicht gerade mit einer im Wasser treibenden Gräting vertauschen.“
„Ich auch nicht“, pflichtete ihm Ben Brighton bei. „Außerdem wird unser verehrter Mister O’Flynn ja wohl nicht behaupten wollen, Sir John habe die Gräting samt den Schiffbrüchigen herbeigepfiffen. Mir sind Schiffbrüchige jedenfalls lieber als ein Sturm.“
Old Donegals Gesicht verzog sich jetzt tatsächlich zu einem Lächeln. Doch es war ein Lächeln, das die Überlegenheit der Wissenden über die Unwissenden zum Ausdruck brachte.
„Warum muß es eigentlich immer ein Sturm sein? Pfeifen auf hoher See ruft Sturm und Unglück herbei. Manchmal kommt das Unglück eben allein. Woher, zum Beispiel, willst du, Mister Brighton, wissen, ob wir uns mit den Schiffbrüchigen nicht vielleicht Unglück an Bord holen?“
„Das weiß niemand im voraus, Donegal“, sagte der sonst so ruhige und besonnene Ben Brighton fuchtig. „Im Augenblick weiß ich nur, daß du mir mit deiner ständigen Schwarzmalerei auf den Geist gehst. Und wenn du uns jetzt noch weiter nervst, spitze ich zusammen mit Hasard die Lippen, und wir pfeifen im Duett.“
Old Donegal wich einen Schritt zurück – als habe ihm jemand das leibhaftige Erscheinen des Bösen angekündigt.
„Ben hat recht“, fügte zu allem Überfluß noch der Seewolf hinzu. „Wenn es sein muß, pfeife ich mit. Ich bin schließlich auch nicht abergläubisch. Außerdem sollten wir uns jetzt besser um die Schiffsbrüchigen kümmern.“
Das war zuviel für Old Donegal.
Er vollführte eine abrupte Kehrtwendung und stakte auf den Backbordniedergang zu. Dabei brummelte er etwas von geheimnisvollen Dingen zwischen Himmel und Erde, die nur jene begreifen könnten, die auch den nötigen Grips im Kopf hätten. Außerdem sei er nicht für kommendes Unheil verantwortlich, er habe ja schließlich nicht gepfiffen. Da würde er schon lieber den Wundbrand am Hintern kriegen, als die Lippen zu solch schändlichem Treiben zu spitzen.
Hasard und Ben grinsten hinter ihm her.
Wenig später wurden auf Befehl des Seewolfs die Segel ins Gei gehängt und ein Boot abgefiert. Edwin Carberry und sechs weitere Männer gingen an Bord und trieben es mit kräftigen Riemenschlägen auf die Schiffbrüchigen zu.
Die beiden Männer, die bäuchlings auf der Gräting lagen, waren nicht nur völlig durchnäßt, sondern schienen auch ziemlich entkräftet zu sein. Einer von ihnen löste von Zeit zu Zeit eine Hand und versuchte überflüssigerweise zu winken.
Der Seewolf und Ben Brighton verfolgten die Rettungsaktion vom Achterdeck aus.
„Wenn mich nicht alles täuscht, gehörten die Männer zur Schiffsführung“, sagte Hasard. „Wie gewöhnliche Decksleute sind sie nicht gekleidet. Das kann man auch bei diesem Zustand ihrer Kleidung erkennen.“
Seine Vermutung sollte sich schon bald bestätigen.
Der Profos und seine Mannen zogen die Gräting mit einem Haken an das Boot heran und hievten die beiden schlaffen Körper über das Dollbord ins Trockene.
Einer von ihnen war von kräftiger, untersetzter Gestalt, der andere war eher spindeldürr und hatte ein auffallend schmales und knochiges Gesicht.
„Danke, Senhores, der Himmel möge Ihnen diese gute Tat vergelten“, flüsterte der Untersetzte mit schwacher Stimme.
Carberry verdrehte die Augen. „Dons. Auch das noch!“
„Das war Portugiesisch“, erklärte Sam Roskill.
„Na und?“ Der Profos rieb sich das Kinn. „Ob Dons oder Halb-Dons – sie stammen alle aus derselben Ecke. Zur Zeit werden sie sogar vom selben König regiert. Aber was soll’s. Als tugendhafte Christenmenschen werden wir die Senhores schon wieder auf die Beine bringen.“
Kurze Zeit danach lieferten er und seine Mannen die beiden Portugiesen an Bord der Schebecke ab. Dort wurden sie zunächst dem Kutscher übergeben, der sie in die Krankenkammer bringen ließ.
„Wenn sich die Zahl der Patienten noch weiter erhöht, werden wir wohl doch noch ein Hospital eröffnen müssen“, meinte der Feldscher grinsend.
Eine längere Behandlung schien jedoch nicht notwendig zu sein, denn der Kutscher meldete sich bereits nach dem nächsten Glasen bei Hasard auf dem Achterdeck.
„Wie geht es den Senhores?“ Die eisblauen Augen des Seewolfs waren abwartend auf den Feldscher gerichtet.
„Sie erholen sich schnell“, lautete die Antwort. „Zum Glück haben sie keinerlei Verletzungen. Außerdem trieben sie erst seit den frühen Morgenstunden mit der Gräting im Wasser. Meiner Meinung nach werden sie rasch wieder auf den Beinen sein. Ich habe zunächst jedem zur besseren Blutzirkulation eine Einreibung verpaßt und für trockene Kleidung gesorgt. Zur Zeit trinken sie heißen Tee mit einem kräftigen Schuß Rum, das weckt die Lebensgeister. Sie möchten unbedingt mit dir reden, Sir.“
„Dem steht von meiner Seite aus nichts im Wege“, erwiderte Hasard. Er übergab Ben das Kommando und folgte dem Kutscher zur Krankenkammer.
Dort saßen die beiden Schiffbrüchigen in trockenen, aber viel zu weiten Hemden und Hosen auf einer Bank, schlürften heißen Tee und musterten den über sechs Fuß großen, breitschultrigen Mann, der sich als Kapitän der Schebecke vorstellte, mit unverhohlener Neugierde. Dabei warf der Schein der Tranlampe, die mitten im Raum hing, bizarre Schatten auf ihre Gesichter.
„Ich freue mich, daß Sie sich einigermaßen wohl fühlen, Senhores“, sagte Hasard in einwandfreiem Portugiesisch. „Wir haben einen ausgezeichneten Feldscher, er wird sich gründlich um Sie kümmern.“
„Wir sind Ihnen und Ihren Männern zu großem Dank verpflichtet, Senhor“, erwiderte der Untersetzte. „Wir hätten gewiß nicht überlebt, wenn Sie uns nicht zufällig begegnet wären. Gestatten Sie, daß wir uns vorstellen.“ Der Mann versuchte mühsam, aufzustehen.
„Aber nicht doch, bleiben Sie ruhig sitzen“, sagte Hasard und beförderte ihn mit einem sanften Händedruck auf die Schulter auf seinen Platz zurück. „Wir legen hier keinen besonderen Wert auf Förmlichkeiten.“
„Ich danke Ihnen, Senhor“, fuhr der Untersetzte fort. „Nun, mein Name ist Miguel de Pereira. Ich bin der rechtmäßige Kapitän der portugiesischen Handelsgaleone ‚Madre de Deus‘, und dieser Mann hier“, er deutete zu dem Dürren mit dem knochigen Gesicht, „ist Rafael Cegos, mein Erster Offizier. Leider sind wir Opfer einer Meuterei geworden.“
„So etwas Ähnliches dachte ich mir bereits, als Sie sich als der ‚rechtmäßige‘ Kapitän bezeichneten“, sagte der Seewolf.
„Leider habe ich zu spät bemerkt, welches Komplott da heimlich gegen mich vorbereitet wurde“, fuhr de Pereira fort, „sonst hätte ich entsprechende Gegenmaßnahmen eingeleitet. So aber wurden wir völlig überrascht. Ein Teil der Besatzung scharte sich um einen Aufrührer namens Jorge Alameda. Er ist der Schiffszimmermann und verfolgt wohl, Gott sei’s geklagt, das schändliche Ziel, die ‚Madre de Deus‘ in ein Piratenschiff zu verwandeln. Alle meine Versuche, die Männer zur Vernunft zu bringen, scheiterten. Diejenigen, die mir im Kampf gegen die Meuterer treu zur Seite standen, wurden erbarmungslos ermordet. Senhor Cegos und mir hatte man wohl einen besonders langsamen und qualvollen Tod zugedacht. Man band mich auf eine Gräting und stieß sie über Bord. Senhor Cegos wurde hinterhergeworfen und konnte nur mit äußerster Mühe die Gräting schwimmend erreichen. Das war unser beider Glück, denn er konnte mich mit einem kleinen Messer, das ich stets im rechten Stiefelschaft mit mir führte, von meinen Fesseln befreien. Nun, Senhor – der Rest des tragischen Geschehens ist Ihnen bekannt.“
Hasard nickte. „Nun, um diese Situation sind Sie bestimmt nicht zu beneiden. Der Verlust des Schiffes und womöglich seiner Ladung mag Sie hart treffen, dennoch haben Sie großes Glück im Unglück gehabt …“
„Ich werde der Madonna auf den Knien dafür danken, daß wir Ihrem Schiff begegnet sind“, unterbrach de Pereira. „Und auch Ihnen gegenüber werde ich mich erkenntlich zeigen, sobald ich dazu wieder in der Lage bin. Sie sind Engländer, Senhor, und da Engländer und Portugiesen – gerade hier in Asien – leider nicht besonders gut aufeinander zu sprechen sind, rechne ich Ihnen diesen selbstlosen Akt der Hilfe um so höher an. Erlauben Sie mir noch, daß ich meine Bewunderung darüber zum Ausdruck bringe, wie gut Sie unsere Sprache beherrschen.“
„Man kommt eben ein bißchen in der Welt herum und lernt überall etwas dazu“, sagte Hasard. „Was unsere Hilfe betrifft, so erwarte ich dafür keinerlei Entschädigung. Für uns war das völlig selbstverständlich. Sie haben sich bedankt, und damit ist die Sache erledigt. Sollte ich einmal mit meinen Leuten in Bedrängnis geraten und Sie sehen eine Möglichkeit, uns zu helfen, dann nehme ich Ihre Hilfe ebenso dankbar an.“
„Das ist eine sehr lobenswerte Einstellung, Senhor.“ Man sah de Pereira an, daß er seiner schmeichelhaften Bemerkung am liebsten einen Kratzfuß hinzugefügt hätte. Natürlich nur, um seine Person in ein angenehmes Licht zu rücken.
Der Seewolf winkte ab. „Lassen wir das. Ich mag kein Lob für Selbstverständlichkeiten. Reden wir lieber über Ihre Zukunft, Senhor de Pereira. Wie ich bereits erwähnte, sind wir ebenfalls Kauffahrer und befinden uns auf der Reise nach Bombay. Ich schlage deshalb vor, daß Sie und Senhor Cegos uns bis dorthin als Gäste begleiten. In Bombay dürfte es kein Problem für Sie sein, auf einem portugiesischen Schiff weitere Hilfe zu erhalten.“
„Das ist ein sehr guter Vorschlag, Senhor. Ich stimme ihm gern zu. Vielleicht kann ich sogar mit Hilfe meiner Landsleute die ‚Madre de Deus‘ finden und die Meuterer ihrer gerechneten Strafe zuführen, noch bevor diese Bande das ehrbare Handelsschiff zu einem Piratenschiff umfunktioniert. Glauben Sie mir, Senhor, mir bricht es fast das Herz, wenn ich nur an so etwas denke.“
Miguel de Pereira bekräftigte seine Worte mit einem scheinheiligen Augenaufschlag, und Rafael Cegos deutete mit einem eifrigen Nicken an, daß er der gleichen ehrenhaften Meinung sei. Über die einträglichen „Nebengeschäfte“, denen die „Madre de Deus“ bereits seit einiger Zeit unter ihrer Führung nachgegangen war, verloren die beiden Ehrenmänner natürlich kein Wort.
Hasard schickte sich an, die Krankenkammer zu verlassen. Am Schott angelangt, drehte er sich noch einmal um.
„Ich hoffe, Sie sind bis zum Backen und Banken wieder einigermaßen bei Kräften. Eine warme Mahlzeit wird Ihnen guttun.“
Die Portugiesen bedankten sich überschwenglich.
Als Hasard kurz danach auf das Achterdeck zurückkehrte, sah ihn Ben Brighton lächelnd an.
„Na, haben die Senhores ihre Herzen ausgeschüttet?“
„Das kann man wohl sagen“, entgegnete Hasard und berichtete in knappen Sätzen von den Vorgängen auf der „Madre de Deus“. „Die Geschichte, die die beiden erzählt haben“, fügte er noch hinzu, „mag in groben Zügen stimmen. Nur die ehrenwerten Senhores selber sind mir – zumindest im Hinblick auf die Art, in der sie auftreten – um einige Grade zu schmierig.“
5.
Die Sonne überzog die Decks der Schebecke mit einem flirrenden Hitzeschleier. Die meisten Arwenacks hatten längst ihre Hemden abgelegt und sich mit nackten Oberkörpern da niedergelassen, wo gerade Platz war – auf Taurollen, umgestülpten Pützen oder einfach auf den Planken.
Immer, wenn es die Witterungsverhältnisse erlaubten, zogen die Mannen das Backen und Banken unter freiem Himmel dem Aufenthalt im Mannschaftslogis vor.
Der verführerische Duft von Geräuchertem, der in der Nähe der Kombüse besonders intensiv war, ließ so manchen schon im voraus das Wasser im Mund zusammenlaufen. Er trug dazu bei, die allgemeine Stimmung zu heben und die Intrigen des Francis Ruthland etwas in den Hintergrund zu drängen.
Sogar Old Donegals Miene hatte sich wieder etwas aufgehellt.
„Eines möchte ich ja gern wissen“, sagte er, während er sich mit der noch leeren Kumme etwas Wind zufächelte.
„Und das wäre?“ Ferris Tucker, der rothaarige Schiffszimmermann, sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an.
Old Donegal räusperte sich, wohl wissend, daß wieder mal zahlreiche Augenpaare auf ihn gerichtet waren. Dann aber vollführte er eine belanglose Geste. „Nun ja, eigentlich ist es nichts Besonderes …“
„Warum möchtest du es denn gerne wissen?“ fragte Ferris.
Old Donegal gab sich aufgrund des allgemeinen Interesses gnädig.
„Na schön“, sagte er gedehnt. „Als denkender Mensch grübelt man eben über dieses und jenes so nach, nicht wahr?“
„Das sollte man von einem denkenden Menschen wohl annehmen, ja“, knurrte Ferris. „Falls du es vor dem Backen und Banken noch loswerden möchtest, rate ich dir zur Eile, denn wenn erst die Kummen gefüllt sind, hört dir keiner mehr zu. Das Kauen verschließt bekanntlich die Ohren. Du redest dann nur noch in den Wind, mein lieber Donegal.“
„Wirklich? Das ist mir noch gar nicht aufgefallen. Da muß ich direkt mal drauf achten“, sagte Old Donegal verblüfft. Da offensichtlich Eile geboten war, weil Mac Pellew jederzeit mit randvollen Schüsseln und Töpfen auftauchen konnte, fügte er hinzu: „Ich habe mir nämlich überlegt, warum die Meuterer auf der portugiesischen Galeone ihren Kapitän ausgerechnet auf eine Gräting gebunden haben. Zumeist ist es doch so, daß Kapitäne ihre Schiffe verteidigen und dabei im Kampf fallen. Oder …“
„Oder sie werden von den Meuterern an der Rah hochgezogen. Das wolltest du doch sagen, nicht wahr?“ Ferris Tucker bedachte Old Donegal mit einem Grinsen.
„So ist es in der Regel“, bekräftigte dieser.
Ferris nickte. „Sofern man überhaupt von einer Regel reden kann, magst du recht haben. Meistens läuft die Sache darauf hinaus. Aber vielleicht waren die Kerle besonders rachsüchtig. Das Hängen geht gewöhnlich schnell. Aber stell dir vor, du treibst tagelang hilflos auf eine Gräting gefesselt im Wasser und hast nicht das Glück, daß dir ein Schiff begegnet.“
„Was Schlimmeres kann’s kaum geben“, warf der hagere Jack Finnegan ein. „Ich kann eine solche Situation gut nachempfinden. Wenn ich nur daran denke, wie Paddy und ich damals im Mittelmeer von Haien umlagert auf der Plattform eines Marses hockten. Hättet ihr uns nicht aus dem Wasser gefischt, wäre es uns übel ergangen. Lange hätten wir das nicht mehr durchgehalten. Stimmt’s, Paddy?“
Der im Denken etwas langsame Paddy zog ein ernstes Gesicht. „Und ob das stimmt. Das war schlimmer als Zahnweh oder eine Schramme am Hintern.“
Old Donegal bedachte ihn wegen der Schramme mit einem tadelnden Blick, schluckte aber eine passende Bemerkung, die ihm bereits auf der Zunge lag, hinunter, weil sich der Seewolf in das Gespräch einmischte.
„Vielleicht hatte die von den Meuterern gewählte Art, ihren Kapitän zu beseitigen, etwas mit früheren Gepflogenheiten an Bord zu tun“, meinte er. „Es ist immerhin möglich, daß der Senhor gern die allgemein verbreitete Sitte oder Unsitte anwandte, seine Männer zum Auspeitschen an eine Gräting zu binden. Womöglich waren es gerade diejenigen, die sich auf eine ähnliche Weise an ihm rächen wollten.“
Auch dieses Motiv war einleuchtend und nicht von der Hand zu weisen. Zumindest hatten die aufgezeigten Möglichkeiten die Frage, die Old Donegal beschäftigt hatte, weitgehend beantwortet.
Hasard hockte inmitten seiner Mannen auf einer umgedrehten Pütz und fuhr sich mit der Hand durch das Haar, als Mac Pellew mit Hilfe von Philip und Hasard junior die kräftige Erbsensuppe mit Räucherspeck heranschleppte. Dazu gab es frische, selbstgebackene Brotfladen nach der Art, wie sie in orientalischen Ländern üblich war.
Dem Füllen der Kummen stand nichts mehr im Wege. Die Arwenacks hieben ordentlich rein.
Nur die Senhores aus Portugal fehlten noch.
„Vielleicht fühlen sie sich noch zu schlapp“, meinte Hasard. „Notfalls bringen wir ihnen das Essen in die Krankenkammer.“
Laut dem Kutscher, der jetzt auftauchte und das kurzfristige Erscheinen der Portugiesen ankündigte, war dies jedoch nicht notwendig.
„Sie bestanden lediglich darauf, ihre eigene, inzwischen fast trockene Kleidung anzuziehen“, berichtete er. „Ansonsten hat den Herren das lange Bad nicht sonderlich geschadet.“