Seewölfe Paket 34

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Das Backen und Banken war bereits voll im Gange, als Miguel de Pereira und Rafael Cegos erschienen. Ihre Rockschöße waren zwar noch etwas zerknittert, weil niemand sie gebügelt hatte, aber dennoch war unübersehbar, daß man es mit Männern von der Schiffsführung der „Madre de Deus“ zu tun hatte.
„Sie hatten die Freundlichkeit, uns zu einem Mahl einzuladen, Senhor Killigrew“, sagte der ehemalige Kapitän beinahe würdevoll.
Zur Bekräftigung deutete der dürre Cegos eine leichte Verbeugung an, die den Arwenacks prompt ein Grinsen auf die Gesichter zauberte.
„Ich freue mich, daß Sie gekommen sind, Senhores“, entgegnete Hasard mit einer einladenden Geste. „Bitte lassen Sie sich in unserer Mitte nieder, wo immer Sie ein geeignetes Plätzchen zu entdecken glauben. Senhor Pellew, einer unserer Köche, hat eine hervorragende Erbsensuppe zubereitet. Dazu gibt es Räucherspeck und Fladenbrot nach orientalischer Art. Ich wünsche – auch im Namen meiner Männer – einen guten Appetit.“
Miguel de Pereira blickte Hasard entgeistert an, dann schluckte er hart.
„Sie – Sie meinen, wir sollen uns hier …“ Er deutete in die versammelte Runde der Seewölfe.
„Nehmen Sie zwanglos Platz, Senhores. Sie sind uns herzlich willkommen – auch beim Backen und Banken.“ Hasard lächelte verbindlich.
Der Kapitän der „Madre de Deus“ wirkte äußerst unschlüssig und geriet nun beinahe ins Stottern.
„Entschuldigen Sie, Senhor Killigrew, aber – aber wir dachten, daß Sie – nun ja, daß Sie vielleicht eine geeignetere Örtlichkeit in Betracht gezogen hätten.“
Hasard gab sich jovial. „Oh, ich verstehe, Senhor de Pereira. Sie dachten, zur Feier des Tages sei in der Kapitänskammer gedeckt worden.“
De Pereira nickte erleichtert. „Ja, genau, damit haben wir eigentlich gerechnet. Auf der ‚Madre de Deus‘ haben wir beide natürlich immer getrennt von den – äh, von den Decksleuten gespeist …“
„… und dabei natürlich auf … Ich wollte sagen, auf richtigen Stühlen gesessen“, ergänzte Rafael Cegos und hob die Nase so weit nach oben, als wolle er nachsehen, ob nicht dunkle Regenwolken aufzogen, um dem, nach seiner Meinung, unwürdigen Spektakel ein Ende zu bereiten.
Hasard lachte laut auf. „Ich verstehe Sie sehr gut, Senhores. Sie wundern sich, daß ich mit meinen Leuten unter freiem Himmel esse und dabei auf einer Pütz sitze. Dazu ist zu sagen, daß ich mich mit all diesen Männern prächtig verstehe und mich deshalb in ihrer Mitte ausnehmend wohlfühle. Unter uns gibt es keine Unterschiede. Das Schiff gehört uns allen gemeinsam. Obwohl verschiedene Funktionen und Stellungen an Bord zu bekleiden sind, sehen wir uns alle als Kameraden, von denen einer für den anderen da ist. Schließlich sitzen wir alle – wie man so schön zu sagen pflegt – im selben Boot, nicht wahr?“
Miguel de Pereira blickte den Seewolf mit einer Mischung aus Verwirrung, Verlegenheit und Hochnäsigkeit an.
„Und das – das alles funktioniert, Senhor Killigrew?“
„Bestens, mein Lieber, bestens“, erwiderte Hasard. „Ich genieße es, mit all diesen Männern zu essen und mir dabei die Sonne auf den Rücken scheinen zu lassen. Ich kenne einige von ihnen von früher Jugend an. Und noch niemals ist bei einem von ihnen der Gedanke an eine Meuterei aufgekommen. Oder sage ich da die Unwahrheit, Leute?“ Der Seewolf blickte seine Mannen fragend an.
„Das ist die Wahrheit, und nichts als die Wahrheit“, bestätigte Edwin Carberry, während er genüßlich auf einem Stück Räucherspeck kaute. „Und wär’s umgekehrt, würde ich den Rübenschweinen die Haut in schmalen Streifen von ihren Affenärschen abziehen.“
Miguel de Pereira kräuselte die Nase. „Dieser Mann bedient sich eines, äh, etwas außergewöhnlichen Wortschatzes, Senhor Killigrew – wenn mir diese Bemerkung erlaubt ist.“
„Aber er meint’s ehrlich“, entgegnete der Seewolf prompt und tauchte den Löffel in seine Kumme mit Erbensuppe. „Wollen Sie nicht doch Platz nehmen und mit uns essen? Die Suppe schmeckt wirklich vorzüglich.“
Der Kapitän der „Madre de Deus“ fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen.
„Nun – in Anbetracht dessen, daß ich heute noch keine feste Nahrung zu mir genommen habe, bitte ich Sie, mir eine Portion von dieser – dieser Erbsensuppe zuteilen zu lassen.“
Hasard deutete zu Mac Pellew. „Kein Problem, Senhor. Wenden Sie sich bitte an den Koch. Er wird Ihnen eine wohlgefüllte Kumme überreichen. Und vergessen Sie nicht, das ofenfrische Fladenbrot zu kosten. Das wäre ein echtes Versäumnis.“
Das Knurren seines Magens veranlaßte Miguel de Pereira, wenn auch widerstrebend, von seinem hohen Roß zu steigen. Begleitet vom Grinsen der Arwenacks, denen es sichtlich schmeckte, füllte ihm Mac Pellew mit gewohnt essigsaurem Gesicht die Kumme mit Erbensuppe und Räucherspeck und drückte ihm dazu noch ein Fladenbrot in die Hand. Da Sitzplätze nur noch auf den Planken vorhanden waren, zog de Pereira es vor, die Mahlzeit im Stehen einzunehmen.
Rafael Cegos hingegen zeigte keine Anstalten, es seinem Kapitän gleichzutun. Er stand wie angewurzelt an seinem Platz und dachte nicht daran, die bereits von Mac Pellew gefüllte Kumme in Empfang zu nehmen.
„Ich bitte Sie um Verständnis, Senhor Killigrew, wenn ich die angebotene Mahlzeit zurückweise“, sagte er mit ebenso beleidigtem wie vornehmen Gesichtsausdruck. „Ich hasse nämlich Erbsensuppe. Schon von Kindheit an konnte ich diese Art von Nahrung nicht ausstehen.“
„Aber das ist doch kein Unglück, Senhor Cegos“, sagte Hasard ungerührt. „Dann lassen Sie die Suppe eben weg und laben sich an einem ordentlichen Stück Räucherspeck und Fladenbrot. Die Abneigung gegen Erbsensuppe ist noch lange kein Grund, zu verhungern.“
Old Donegal neigte sich zu dem neben ihm sitzenden Ferris Tucker hinüber und flüsterte: „Kein Wunder, daß dieser Stint so dürr ist wie ein Reisigbesen.“
Ferris nickte kauend. Wenn Old Donegal recht hatte, hatte er eben recht.
Rafael Cegos aber zuckte bedauernd mit den schmalen Schultern. „Nichts für ungut, Senhor. Meine Abneigung gegen Erbsensuppe beruht auf der Tatsache, daß Hülsenfrüchte ebenso wie Geräuchertes die Verdauung über Gebühr belasten und, ähem, äußerst unangenehme Blähungen verursachen können.“
Der Profos hätte sich beinahe verschluckt. Und bevor der Seewolf etwas darauf erwidern konnte, sagte er treuherzig: „Auch das ist kein Unglück, Senhor Cegos. Wind füllt bekanntlich die Segel. Wir haben jedenfalls sehr gute Erfahrungen damit gemacht. Immer, wenn wir in eine Kalme geraten und absolut kein Lüftchen mehr unser Schiff antreibt, gibt es bei uns tagelang ausschließlich Erbsensuppe zum Backen und Banken.“
Die Mannen konnten ihr Lachen nicht länger unterdrücken.
Rafael Cegos hingegen überging diese Erläuterung und rümpfte vornehm die Nase.
„Wenn Sie erlauben, Senhor Killigrew, würde ich ein anderes Gericht vorziehen. Dazu vielleicht einen Becher Rotwein, der die Blutzirkulation anregt.“
Hasard ließ sich erneut die Kumme mit Erbsensuppe füllen. Dabei zwinkerte er Mac Pellew mit einem Auge zu.
Mac verstand.
„Darf ich zur Lösung des Problems einen Vorschlag unterbreiten?“ fragte er höflich.
„Ich bitte darum, Mac“, antwortete der Seewolf.
Mac schluckte, man sah ihm deutlich an, daß er den dürren „Halb-Don“ am liebsten in einem Essigkrug ertränkt hätte. Die rigorose Ablehnung seiner berühmten Erbsensuppe war fast schon ein Schwerverbrechen.
„Es ist mir wirklich eine Ehre, dem Senhor etwas anderes zuzubereiten“, sagte er unter den erstaunten Blicken der übrigen Arwenacks. „Wie wär’s mit einem indischen Gericht? Zum Beispiel mit Tandoori Machchi? Der gebratene Fisch ist besonders lecker, wenn er in einer Gewürzmischung aus Koriander, Kümmel, Ingwer, Knoblauch, rotem Pfeffer und grünem Mangopulver angerichtet wird.“
Der dürre Cegos rang sich ein dünnes Lächeln ab, das entfernt an einen grinsenden Totenschädel erinnerte.
„Das klingt wirklich verlockend“, erklärte er. „Ich würde es Ihnen hoch anrechnen, wenn Sie mir dieses Gericht zubereiten könnten.“
„Es wird mir ein Vergnügen sein“, versprach Mac und grinste dabei wie sonst nur an Sonn- und Feiertagen. Danach eilte er dienstbeflissen in die Kombüse, während es der Kutscher – voll schlimmer Ahnungen – übernahm, die leergelöffelten Kummen nachzufüllen.
Miguel de Pereira schien im Gegensatz zu Cegos Geschmack an der Erbsensuppe zu finden, auch wenn er das einfache Mahl, das er zudem im Stehen einnahm, für unter seiner Würde fand. Für einen Nachschlag reichte sein Appetit trotzdem.
„Sie sollten die Suppe wenigstens einmal probieren“, sagte er zu Cegos. „Sie ist durchaus genießbar.“
Cegos schüttelte energisch den Kopf. Er gab zu verstehen, daß es ihn nicht weiter störe, auf den nach indischer Art zubereiteten Fisch warten zu müssen. Und er wartete geduldig, indem er sich stumm gegen das Steuerbordschanzkleid der Kuhl lehnte. Offenbar hielt er es auch für angebracht, sich nicht an den allgemeinen Gesprächen der Engländer zu beteiligen, obwohl er ihre Sprache ein wenig verstand.
Mac Pellew ließ nicht allzu lange auf sich warten. Er servierte den Fisch, der zur Ausbeute der gestrigen Angelaktion gehörte, in einer stark nach Gewürzen duftenden Soße.
„Ich wünsche guten Appetit“, sagte er, während er Rafael Cegos die Kumme samt einer Gabel überreichte.
Dieser schnupperte kurz an dem Gericht.
„Das riecht appetitlich und sieht annehmbar aus“, sagte er dann gnädig. „Wenn ich vielleicht noch um einen Becher Rotwein bitten dürfte – wegen der Blutzirkulation natürlich.“
Mac Pellew vollführte eine bedauernde Geste. „Rotwein gibt es auf unserem Schiff leider nur zu besonderen Anlässen. Sein Fehlen wird Ihrer Blutzirkulation jedoch keinen Abbruch tun, weil unserem Feldscher wesentlich bessere Mittel zur Verfügung stehen. Er ist sicher gern bereit, Ihnen nach dem Mahl eine weitere Einreibung zu verabreichen. Des weiteren darf ich Ihnen verraten, daß auch die Gewürze dieses Tandoori Machchi dazu geeignet sind, das Blut ordentlich in Wallung zu bringen.“
Rafael Cegos verzichtete zwar seufzend auf den Rotwein, schien es aber zu genießen, daß die Augen aller Männer auf ihn gerichtet waren, als er mit der Gabel das erste Stück Fisch zum Mund führte. Sollte ihnen ruhig das Wasser im Munde zusammenlaufen, diesen Erbsenfressern!
Das Fleisch des Fisches schmeckte. Es war zart wie Butter. Deshalb tunkte er das nächste Stück ausgiebig in die herrlich duftende Soße und schloß genüßlich die Augen, als er es in den Mund schob.
In diesem Augenblick aber schien ihn aus heiterem, strahlend blauem Himmel ein Blitz zu treffen.
Er riß die soeben erst geschlossenen Augen blitzschnell wieder auf, und für einen Moment sah es in beängstigender Weise danach aus, als würden sie aus den Höhlen hüpfen. Und während – trotz der zusammengekniffenen Lippen – ein Stöhnen aus seinem tiefsten Innern drang, schien sich sein Körper regelrecht zu verkrampfen.
Er schluckte, als gelte es, eine siebzehn Pfund schwere Kanonenkugel hinunterzuwürgen und japste dann nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. Dabei verlor er die Kontrolle über die Kumme und ließ alles auf die Planken fallen.
Sobald er die Hände frei hatte, klammerte er sich an den Handlauf und beugte sich weit über das Schanzkleid. Offenbar erwartete er noch Schlimmeres.
Mac Pellew trat von hinten an ihn heran.
„Hat Ihnen der Fisch etwa nicht geschmeckt, Senhor?“ fragte er scheinheilig. „Fische wollen schwimmen. Darf ich Ihnen einen Schluck Wasser anbieten?“ Er reichte dem keuchenden Portugiesen eine Muck mit Wasser.
Der griff mit beiden Händen danach und schüttelte sich die lauwarme Brühe, die ganz und gar nicht nach Rotwein schmeckte, in die höllisch brennende Kehle. Seine Augen waren dabei immer noch weit aufgerissen.
„Das – das war ein – ein Mordanschlag!“ stieß er stotternd hervor, sobald er wieder einigermaßen durchatmen konnte.
„Aber nicht doch, Senhor“, erwiderte Mac Pellew entrüstet. „Das war ein Tandoori Machchi von bester Qualität und mit allen dazugehörigen Gewürzen. Jeder dieser Männer hier hätte sich alle zehn Finger nach einem so feinen Mahl abgeleckt. Aber das gewöhnliche Volk mußte sich leider der Gefahr schlimmer Blähungen aussetzen und mit gewöhnlicher Erbsensuppe vorlieb nehmen.“
Die Arwenacks hieben sich lachend auf die Schenkel.
Aber der Spaß hielt nicht lange an, denn hinter der Kimm, vermutlich Backbord querab, war plötzlich das dumpfe Grollen von zwei Kanonenschüssen zu hören.
„Da spielt sich entweder an der Küste oder in Küstennähe etwas ab“, sagte Al Conroy.
Die Seewölfe segelten zwar verhältnismäßig dicht unter der Westküste, aber dennoch nicht auf Sichtweite.
Während Rafael Cegos immer noch Mühe hatte, in seinen gewohnten Atemrhythmus zurückzufinden, warf Miguel de Pereira, der gerade mit offenkundigem Appetit das letzte Stück Räucherspeck in den Mund schob, dem Seewolf einen fragenden Blick zu.
In diesem Augenblick rollte der Donner eines weiteren Schusses über die Wasserfläche.
„Na schön.“ Hasard erhob sich von der umgestülpten Pütz. „Es ist zwar nicht unsere Art, die Nase überall hineinzustecken, doch bevor wir womöglich selbst eine unangenehme Überraschung erleben, sollten wir vielleicht doch mal nachsehen, was sich da tut.“
Die kritischen Blicke Old Donegals, die zwischen der Kimm und den beiden Portugiesen hin und her pendelten, entgingen weder ihm noch den anderen Arwenacks. Und manch einer von ihnen hätte sofort eine Wette abgeschlossen, wenn es darum gegangen wäre, die Gedanken des alten Rauhbeins zu erraten.
Nach entsprechenden Kommandos des Seewolfs fiel die Schebecke nach Backbord ab und nahm Kurs auf die Küste. Danach bereiteten die Arwenacks ihr Schiff unter der sachkundigen Leitung Al Conroys auf eine mögliche Auseinandersetzung vor.
Die beiden Portugiesen, die das, was hier geschah, mit ihrem ehemaligen Schiff verglichen, kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Da gab es kein hektisches Durcheinander und keine Wuhling. Gebrüll und Fußtritte waren völlig überflüssig.
Aus den anfeuernden Rufen jenes Mann mit dem zernarbten Gesicht und dem amboßartigen Rammkinn war herauszuhören, daß sie nicht wörtlich zu nehmen waren und eher zu einem bestimmten Ritual gehörten.
Kapitän und Mannschaft bildeten ganz offensichtlich ein hervorragend eingespieltes Team, in dem nicht nach unten getreten und nach oben gekuscht wurde, sondern alle dort zupackten, wo es angebracht und erforderlich war.
Die Armierung der Schebecke glich der Ausstattung der „Madre de Deus“. Je sechs Culverinen befanden sich an Steuerbord und Backbord. Die insgesamt vier Drehbassen verteilten sich auf vorn und achtern. Aber sonst war dieser Segler kaum mit der Galeone vergleichbar.
Mit der Schnelligkeit und Wendigkeit eines solchen Schiffstyps würde es die etwas plumpe „Madre de Deus“ niemals aufnehmen können. Hinzu kam, daß die als sehr seetüchtig geltenden Schebecken nur einen geringen Tiefgang aufwiesen und bei Flauten sogar mit Riemen bewegt werden konnten.
Was Miguel de Pereira und Rafael Cegos noch in die Augen stach, war der hervorragende Zustand der Stücke und die Art, mit der die Männer damit umgingen. Der schwarzhaarige Stückmeister schien die Sache bestens im Griff zu haben.
Er erteilte seine Anweisungen knapp und deutlich, und das Austeilen von Fausthieben zwecks Beschleunigung der Arbeit schien ihm völlig fremd zu sein. Die Portugiesen bemerkten gar nicht, daß sie regelrecht zu „Gaffern“ wurden.
„Ich warte nur darauf, daß die Klüsen dieser beiden Honigpferdchen auf die Planken poltern und wie Tomaten hin und her rollen, Sir.“ Edwin Carberry grinste breit zum Achterdeck hoch.
Ein weiterer Kanonenschuß krachte – diesmal jedoch in wesentlich geringerer Entfernung. Die Schebecke nahm demnach den richtigen Kurs an. Das bestätigte schon wenig später Jack Finnegan, der in den Ausguck aufgeentert war.
Der Seewolf befand sich auf dem Achterdeck und drehte an der Optik seines Spektivs, bis die Küste deutlicher ins Blickfeld geriet. Das Geschehen, das sich dort abspielte, verdichtete sich jedoch erst nach und nach zu einem abgerundeten Bild.
„Wenn mich nicht alles täuscht, gibt es dort drüben eine Bucht, in die ein Dreimaster gesegelt ist“, berichtete er Ben Brighton, der gerade dem Rudergänger noch einige Anweisungen gegeben hatte. „Offenbar liegt dort eine Ansiedlung, denn ich sehe neben der Bucht eine Art Steilküste, auf der ein ziemlich flacher, runder Turm steht. Entweder hat der Dreimaster die Siedlung angegriffen, oder er ist selber von den Bewohnern angegriffen worden. Das wäre ja schließlich auch nichts Neues.“
Miguel de Pereira enterte inzwischen flink den Backbordniedergang zum Achterdeck hoch.
„Darf ich Ihr Reich betreten, Senhor Killigrew?“ fragte er artig, als er auf der obersten Stufe angelangt war.
„Aber natürlich“, erwiderte Hasard. „Das ist schließlich kein Heiligtum.“
Der Portugiese hatte während des Aufenterns die Worte des Seewolfs mitgehört und wurde jetzt – wie es schien – sehr von der Neugierde geplagt.
„Gestatten Sie mir eine Frage?“ fuhr er mit buckliger Höflichkeit fort.
Hasard atmete tief durch, ohne den Kieker vom Auge zu nehmen. „Warum fragen Sie nicht einfach?“
„Sehr liebenswürdig, Senhor.“ Dem Portugiesen schien die erwähnte Frage schwer im Magen zu liegen, denn er knetete nervös seine Finger. „Ist – ich meine, ist vielleicht schon zu erkennen, um welche Art von Schiff es sich handelt? Und welche Farbe es hat?“
Hasard schwieg einen Moment und verstellte die Optik noch ein klein wenig.
„Die Konturen des Schiffes heben sich zwar noch etwas undeutlich gegen die Küste ab“, sagte er dann, „aber ich denke, Ihre Frage läßt sich schon mit ziemlicher Genauigkeit beantworten. Es ist eine dreimastige Galeone. Was die Farbe betrifft, so möchte ich behaupten, daß sie schwarz ist – jawohl, sie ist ganz schwarz gepönt.“
Miguel de Pereira zuckte heftig zusammen.
„Dann ist es die ‚Madre de Deus‘!“ kreischte er aufgeregt und bekreuzigte sich. „Haben Sie mich verstanden, Senhor Killigrew? Das – ist – mein – Schiff!“
„Sie waren nicht zu überhören, mein Freund“, erwiderte Hasard mit einem Lächeln. „Außerdem funktioniert mein Gehör noch ausgezeichnet.“
6.
Miguel de Pereira schrie in einem derart lauten Befehlston nach seinem dürren Leidensgenossen, daß sich einige Arwenacks grinsend fragten, ob der entmachtete portugiesische Kapitän wohl das Kommando über die Schebecke übernommen hätte.
Rafael Cegos stolperte halbblind den Niedergang zum Achterdeck hinauf und starrte seinen Kapitän aus geröteten und immer noch tränenden Augen an.
„Zur Stelle, Senhor!“ meldete er überflüssigerweise.
De Pereira zeigte mit ausgestrecktem Arm hinüber zur Küste. „Unser Schiff! Die ‚Madre de Deus‘! Was sagen Sie dazu, Cegos?“
Cegos rieb sich die Augen, riß sie dann weit auf und blickte in die angezeigte Richtung.
„O Santa Clara!“
„Bestätigen Sie Kapitän Killigrew, daß dies unser Schiff ist!“ fügte de Pereira mit Kommandostimme hinzu.
Hasard fiel dem aufgeregten Portugiesen ins Wort. „Aber wozu denn, Senhor de Pereira? Denken Sie, ich glaube Ihnen nicht?“
„Beim heiligen Felipe – das ist tatsächlich die ‚Madre de Deus‘!“ murmelte Cegos und starrte wie hypnotisiert zu der Bucht, auf die die Schebecke mit achterlichem Wind zulief.
Hasard seufzte, und bevor Cegos noch weitere Heilige männlichen oder weiblichen Geschlechts bemühen konnte, sagte er: „Dann hätten wir diesen Punkt also zu aller Zufriedenheit geklärt. Ich schlage vor, daß wir nun zur Sachlage übergehen, bevor wir auf Schußweite heran sind und uns die ersten Kugeln um die Ohren fliegen. Da die ‚Madre de Deus‘ von Meuterern übernommen wurde, dürfte klar sein, daß sie das Dorf angegriffen haben, dessen Häuser bereits am Ufer der Bucht zu erkennen sind.“
„Daran gibt es keinen Zweifel, Senhor Killigrew“, bestätigte de Pereira eifrig. „Dieser Jorge Alameda ist ein sehr habgieriger und hinterlistiger Bursche …“
„Außerdem scheint er von der schnellen Truppe zu sein“, unterbrach ihn Hasard. „Wenn man bedenkt, daß die Meuterei erst heute morgen stattgefunden hat, sind die Burschen mit ihrem ersten Raid ganz schön fix bei der Hand. Man könnte fast meinen, sie hätten Übung darin.“
Miguel de Pereira zuckte fast unmerklich zusammen.
„Was wollen Sie damit sagen, Senhor?“ Ein neugeborenes Kind hätte kein unschuldigeres Gesicht zustande bringen können als de Pereira in diesem Augenblick.
„Ich habe lediglich festgestellt, daß die ehemaligen Mitglieder Ihrer Mannschaft sehr entschlußfreudig sind“, erwiderte Hasard mit unbewegtem Gesicht. „Kaum hatten die Meuterer Sie und Senhor Cegos über Bord geworfen, stürzten sie sich auch schon ins erste Abenteuer, so, als hätten sie es gar nicht erwarten können.“
Während der dürre Cegos vorzog, sich aus allem rauszuhalten, räusperte sich de Pereira nachhaltig.
„Das alles paßt zu Alameda“, erklärte er. „Es gab schon früher ständig Ärger mit ihm, und offenbar hat er es verstanden, die Mannschaft heimlich gegen mich aufzuwiegeln. Das ist ja kein Kunststück, wie Sie mir bestätigen werden, Senhor …“
„Meinen Sie?“ unterbrach ihn Hasard. „Dann versuchen Sie das mal an Bord dieses Schiffes.“
„Aber ich bitte Sie, Senhor Killigrew!“ entgegnete der Portugiese entrüstet. „Es gibt doch in jeder Mannschaft Leute, die mit irgend etwas unzufrieden sind. Selbst ein Koch kann es nicht jedem recht machen. Und gerade bei diesen Nörglern beginnen meiner Meinung nach die heimlichen Aufwiegler, ihren verderblichen Samen auszustreuen.“
Der Seewolf lächelte süffisant. „Was die Köche betrifft, kann ich Ihre Meinung bestätigen. Doch finde ich, daß zwischen der Unzufriedenheit über die Verpflegung und dem Ausbruch einer Meuterei ein sehr weiter Weg liegt.“
Der Kanonenschuß, der jetzt drüben in der Bucht krachte und irgendein Ziel am Ufer traf, das von Bord der Schebecke aus mit bloßem Auge noch nicht zu erkennen war, kam den Portugiesen sehr gelegen. Der Schuß lenkte das immer peinlicher werdende Gespräch rasch in andere Bahnen.
„Wenn ich mich nicht getäuscht habe, wurde eins der vier großen Boote getroffen, die neben den kleineren Fischerbooten liegen“, sagte Ben Brighton, der die Vorgänge mit dem Spektiv im Auge behalten hatte.
„Dann scheinen sie uns noch nicht bemerkt zu haben“, sagte Hasard. „Die Burschen konzentrieren sich offenbar voll auf ihr schmutziges Handwerk.“
„Wie werden Sie im weiteren vorgehen, Senhor Killigrew?“ fragte de Pereira hastig, als wolle er verhindern, daß der Engländer an das vorausgegangene Gespräch anknüpfte.
Der Seewolf antwortete mit einer Gegenfrage: „Was würden Sie unternehmen, wenn sie Kapitän auf unserem Schiff wären, Senhor de Pereira?“
Der Portugiese fühlte sich geschmeichelt und hatte sofort eine Antwort parat.
„Ich würde die ‚Madre de Deus‘ entern, sie wieder unter meinen Befehl bringen und die Meuterer der Strafe zuführen, die das Gesetz unseres Landes für solches Gesindel vorsieht: Ich würde sie samt und sonders hängen.“
„Das hört sich, was den Ablauf der Dinge betrifft, sehr einfach an“, sagte Hasard. „Nur bleiben einige Fragen dabei ungeklärt.“
„Und die wären?“ fragte de Pereira spitz.
„Dem Entern geht in der Regel ein hartes Gefecht voraus, sofern sich nicht die günstige Gelegenheit bietet, den Gegner völlig zu überraschen. Danach sieht es in diesem Fall nicht aus. Bei einem Gefecht aber fliegen in der Regel die Fetzen, so daß rechtzeitig die Frage entschieden werden muß, ob man sein Schiff ganz oder – notfalls – auch stückchenweise zurückhaben möchte. Weiter sollte man im voraus überlegen, mit welcher Besatzung man eine nicht eben kleine Dreimastgaleone bewegen möchte, wenn man gedenkt, die Crew nach der Übernahme des Schiffes aufzuhängen. Ich zweifle zwar nicht an Ihren seemännischen Fähigkeiten, aber Sie und Senhor Cegos allein dürften dieses Kunststück wohl kaum zustande bringen.“
Miguel de Pereira schluckte hart, und seine zuckenden Wangenmuskeln verrieten, daß er scharf nachdachte.
„Wie dem auch sei, Senhor Killigrew, ich muß die, ‚Madre de Deus‘ um jeden Preis wiederhaben. Ich kann es mir aus geschäftlichen Gründen und auch im Hinblick auf mein persönliches Ansehen nicht leisten, ohne das Schiff nach Lissabon zurückkehren, und muß Ihnen gestehen, daß ich im stillen weitgehend mit Ihrer Hilfe gerechnet habe. Da mir die Gelegenheit einmalig günstig erscheint, möchte ich Ihnen folgenden Vorschlag unterbreiten: Wenn es Ihnen gelingt, den Meuterern die ‚Madre de Deus‘ in einigermaßen unversehrtem Zustand abzujagen, und wenn Sie einen Teil Ihrer eigenen Mannschaft dafür abstellen, um sie nach Bombay zu segeln, zahle ich Ihnen dafür einen Preis, dessen Höhe Sie selbst bestimmen dürfen. Momentan bin ich zwar – bedingt durch die Meuterei – ohne finanzielle Mittel, doch dieser Umstand wird sich in Bombay ohne weitere Probleme lösen lassen.“