Seewölfe Paket 34

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Plötzlich ertönte ein lautes Krachen.
„Die Planken!“ schrie Ruthland.
Die Karavelle holte weit nach Steuerbord über. Gleichzeitig schien sie einen Sprung nach vorn auszuführen. Die Seeleute wurden durcheinandergewirbelt, einige verloren den Halt und schlitterten über die Planken. Das Krachen verstummte, nur das Knurren der Riemen war noch zu hören. Die Karavelle glitt abermals um ein paar Fuß in Richtung des Ankers und schwamm frei.
„Belege Ankertrosse!“ befahl Lefray.
Das Schiff wurde von den Bootsgasen nach Steuerbord gezogen. Der Mast, der sich aufrichten wollte, schwankte wie wild. Der Kapitän schrie einen weiteren Befehl, und die Männer im Boot hörten zu pullen auf.
Die „Ghost“ richtete sich langsam auf, pendelte nach Backbord und nahm dann wieder ihre gewohnte Lage ein, mit leichter Schlagseite nach Steuerbord.
Francis Ruthland atmete auf. Er lehnte sich schwer gegen das Schanzkleid, holte tief Luft und merkte zum erstenmal, daß er vom Gürtel bis in die Stiefelspitzen durchnäßt war.
Er legte die Hände an den Mund und rief seinen Männern zu: „Kommt zurück, holt das Boot wieder an Deck! Die Köche sollen sofort an die Arbeit gehen.“
„Aye, aye, Sir.“
Das Ankertau wurde sorgfältig belegt, das Beiboot verholte zur Jakobsleiter.
Hugh Lefray ließ die Schultern sinken und fragte sich, ob die erschöpften Männer jetzt noch das Schiff aufklaren konnten. Er legte seinen Arm um den Mast und spürte wieder das vertraute Schwanken und Wiegen des Schiffes unter seinen Sohlen.
Langsam ging er auf Ruthland zu, der an Steuerbord stand und schweigend zusah, wie das erste Geschütz nach Backbord zurückgerollt und geschoben wurde.
„Wir haben wieder sicheres Wasser unter dem Kiel“, sagte Lefray. „Pugh, unser Holzwurm, ist schon unter Deck und schaut nach, ob es Schäden gibt.“
„Gut so. Es ging nicht anders. Die Leute werden wohl selbst das Schiff aufklaren können, ohne unsere Anordnungen. In meiner Kammer sind trockene Tücher.“
„Hoffentlich auch ein Schluck Rum“, entgegnete Lefray. Die Spaken wurden verstaut, das Tauwerk knarrte durch die Blöcke, als das Beiboot aufgehievt wurde und triefend über das Schanzkleid schwebte. „Das hat uns gerade noch gefehlt. Du willst doch nicht etwa ankerauf gehen und Killigrew heute nacht noch suchen?“
„Nein.“ Ruthland schüttelte den Kopf. Im schwachen Lichtschein tappten sie über Deck und gelangten in die trockene, helle Kapitänskammer. Ruthland klappte den Deckel einer großen Seekiste hoch, nahm ein paar Tücher heraus und warf eins dem Kumpan zu. „Das ist sinnlos, Hugh. In sieben Stunden ist die Nacht zu Ende. Das bringt nichts. Durstig, hungrig, müde und ein unaufgeklärtes Schiff. Nach Sonnenaufgang gehen wir ankerauf.“
„Ja. Erst mal wieder trocken werden. Der Regen ist reichlich in diesen Breiten.“
Ächzend trocknete sich Francis Ruthland ab, zog sich langsam um und nahm den Becher, halb voll Rum, den Lefray ihm gab. Nach einem langen Schluck wischte er sich über die Lippen und sagte: „Eine verdammte Nacht. Ausgerechnet den einzigen Felsen haben wir uns aus gesucht.“
Mit dem leeren Becher deutete Lefray zum offenen Schott. Pugh enterte den Niedergang auf und grinste voller Erleichterung.
„Sir! Das Schiff schwimmt. Die Planken sind heil.“
„Höre ich gern“, antwortete Ruthland und stopfte das feuchte Tuch in den rechten Stiefel. „Wie der Loskiel aussieht, will ich lieber nicht wissen.“
Der Schiffszimmermann hob die breiten Schultern und erwiderte: „Vielleicht kann morgen einer von uns tauchen. Aber ich habe keine angebrochenen Planken gesehen. Ein paar Pützen voll Seewasser würden der Bilge auch nicht schaden. Die ersoffenen Ratten stinken wie die Pest.“
Wieder nickte der Kapitän. „Damit soll sich die letzte Wache beschäftigen. Sammelt die Kadaver ein und lenzt wieder, wenn es sich lohnt. Heute wird noch so lange aufgeklart, bis die Köche ihren Fraß fertig haben. Hier, nimm einen Schluck Rum, Holzwurm.“
Die Laune Ruthlands schien sich nachhaltig gebessert zu haben. Pugh empfing einen Becher und trank, als wäre der Rum seine Lebensrettung. Auch Lefray hatte seine Stiefel ausgezogen und trocknete sich, auf der Kiste sitzend, die Füße ab.
„Danke, Kapitän. Gut, der Schluck.“
Das Deck war nahezu aufgeklart. Aus der Kombüse drangen dünner Rauch und Essensgerüche. Die Männer begannen ihre Müdigkeit zu spüren. Das letzte Geschütz rumpelte nach Backbord und wurde vertäut. Die meisten Seeleute waren unter Deck im Trockenen, auch aus den Laderäumen erklang Rumpeln.
„Pugh“, sagte Ruthland und leerte den Becher, „du nimmst dir ein paar Leute und verholst die ‚Ghost‘ noch ein paar Fuß näher zum Anker.“
„Aye, Sir“, sagte Pugh. „Sonst noch irgendwelche Maßnahmen?“
„Das müßte reichen. Wenn die Flut steigt, schwojen wir wieder. Wir dürfen nicht auf Legerwall geraten.“
„Wird sofort ausgeführt.“
Pugh bewegte sich mit müden Schritten bugwärts und holte ein paar Männer an die Ankerwinsch. Die Karavelle verholte ein paar Fuß weiter in die Richtung der Felsenwände. Wahrscheinlich würde sie den Bug wieder zum Einlaß drehen, wenn die Flut stieg und das Wasser in den Felskessel zurückkehrte.
Die durchnäßten, erschöpften Kerle warteten nur auf den Ruf der Köche, ein halbes Dutzend lag schon auf den Decken der Koje und schlief. Der Regen schien in dieser Nacht nicht mehr aufzuhören.
Ruthland schob das trockene Hemd hinter den Gürtel und schüttelte den Kopf.
„Morgen geht die Jagd weiter“, sagte er zu Lefray. „Es sind Wind und Regen, die uns den Erfolg verdorben haben.“
„Ärgere dich nicht“, entgegnete Lefray. „Unserem Feind geht es nicht besser als uns.“
Wieder gluckerte Rum in die Mucks.
„Morgen“, es klang wie ein Schwur, „kriegen wir diesen Lumpenhund Killigrew.“
Ruthland setzte sich schwer auf seine Koje, streckte die Beine aus und wartete auf das Essen, während der Regen sein eintöniges Geräusch auf die Planken trommelte.
8.
Als Edwin Carberry an Deck erschien, galt sein erster Blick dem Ufer. Er konnte zwar die Hütten der Fischer und die schmale Boote sehen, aber die Begrenzungen der Bucht waren kaum durch den dünnen Regen zu erkennen. Ein halbes Dutzend Boote, darunter zwei mit dünnen Auslegern, glitten auf die Schebecke zu. Die Fischer pullten ohne Eile und wirkten nicht so, als hätten sie feindliche Absichten.
„Sieh an“, sagte der Profos zu sich selbst, „wir erhalten Besuch.“
Die Mannen der Deckswache waren auf die Eingeborenen längst aufmerksam geworden. Carberry schaute sich an Deck um und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Plymmie sprang auf die Bank, stellte die Ohren auf und starrte wachsam zu den Fischern. Auch die Zwillinge verhielten sich erwartungsvoll.
Die Eingeborenen, die im Bug kauerten oder standen, schwenkten die Paddel und winkten freundlich.
Hasard junior winkte zurück, dann wandte er sich an seinen Bruder und sagte: „Unsere Sprachkenntnisse werden gefordert. Wahrscheinlich haben die Kerle einen ganz anderen Dialekt als die in Surat.“
„Das wenige, das sie uns sagen können, schaffen wir auch mit Händen und Füßen.“
In den Booten lagen Bananenbündel, Kokosnüsse und andere Früchte, die sie schon aus Surat kannten. In einigen Körben aus geflochtenen Blättern zuckten große Fische. Plymmie stieß, als das erste Boot auf den Steuerbordbug zuglitt, ein kurzes Gebell aus, dann drang aus ihrer Kehle ein tiefes Grollen.
Hasard kraulte Plymmie am Nackenfell und sagte: „Still, du Raubtier. Die Fischer sind harmlos.“
„Sie mag keinen Fisch“, sagte Jung Philip.
Carberry trat heran und musterte schweigend die Boote.
„Für ein Bumboot sind die Kähne reichlich klein“, bemerkte er schließlich. Er drehte sich um und winkte Jeff Bowie zu. „Hol Mac an Deck, Jeff. Vielleicht kann er etwas von dem Grünzeug brauchen.“
Die Boote verteilten sich an Backbord und Steuerbord. Die Eingeborenen schnatterten grinsend und hielten ihre Nahrungsmittel in die Höhe.
Hasard junior beugte sich über das Schanzkleid und fragte, mit beiden Händen verschiedene Gesten ausführend: „Ihr anderes Schiff gesehen?“
Seine Gestik war bemerkenswert, aber beim dritten Versuch nickten die Fischer.
„Boot, groß, gestern, dort.“
„Aha. Wo?“
Drei oder vier Eingeborene, die verstanden hatten, was Hasard gefragt hatte – oder wenigstens taten sie so – zeigten nach Osten, zu der gegenüberliegenden Seite des Golfes. Auch sie versteckte sich hinter dem gleichmäßigen, dünnen Regen. Das Meer war still, die Dünung hob und senkte das Schiff. Ein schwacher Wind wehte aus Südwesten.
„Dort. Zweimal Mast“, verstanden die Zwillinge.
Mac Pellew trat ans Steuerbordschanzkleid und stellte sich zwischen Hasard und Philip. Er fragte nicht unfreundlich: „Sehe ich das richtig? Die Eingeborenen wollen uns etwas verkaufen? Was kostet der Kram? Was wollen sie dafür?“
Hasard junior grinste und erwiderte: „Kleine silberne oder goldene Scheiben. Man nennt sie Münzen. Hier heißt das ‚soundso viele Rupien‘, Mac. Tu so, als wären wir am herrlichen Markt in Surat.“
Mac Pellew sagte ihm, was er nach seiner Meinung mit Surat tun könnte, beugte sich aber über das Schanzkleid und zeigte mit dem Finger auf verschiedene Körbe.
„Bloß keinen Fisch, Mac!“ dröhnte Carberrys Stimme.
„Schon gut.“
Die Zwillinge halfen dem Koch, wegen der Bezahlung zu verhandeln. Sie hielten eine Silbermünze hoch. Daraufhin hoben die Eingeborenen Körbe voller Eier in die Höhe, einen Korb Datteln und einige Hühner, die an den Beinen zusammengebunden waren. Schließlich schüttelten sie die Köpfe und riefen unverständliche Worte.
Die erste Ladung Lebensmittel wurde an Bord gehievt, und Mac warf vorsichtig die Münze hinunter. Sie wurde vom Ältesten geschickt aufgefangen. Er biß darauf, polierte sie mit dem Stoff des Hüfttuchs und strahlte.
„Er meint“, erklärte Philip junior grinsend, „daß er sich nicht betrogen fühlt.“
Obwohl es noch einige Zeit dauerte, bis die Ablösung fällig war, tauchte der Erste an Deck auf und knöpfte die Jacke zu.
„Wann ihr Boot gesehen?“ fragte Jung Hasard und überließ das Verhandeln über den Proviant den anderen.
„Gestern“, erfuhr er nach mehreren schwierigen Versuchen. Immerhin gab es ein paar Dutzend Wörter, die sie sich gemerkt hatten, und die Fischer verfügten über spärliche Kenntnisse der Moslemsprache.
„Wirklich? Gestern? Ganz genau gesehen?“ lautete die nächste Frage.
„Weit weg. Zwei Masten. Dorthin.“
„Was habt ihr erfahren?“ wollte Ben Brighton wissen.
Hasard sagte: „Die Eingeborenen haben eine zweimastige Karavelle gesehen. Jedenfalls ein Schiff mit zwei Masten. Es segelte von Norden heran, mußte kreuzen und geriet auch in die Nähe des Ostufers. Nicht sehr nahe, aber die Fischer waren vor dem Regen weit draußen. Dorthin verschwand das Schiff.“
Er zeigte hierhin und dorthin, als er die Auskünfte zusammenfaßte. Der Erste hörte schweigend zu, dachte nach und sagte dann: „Die ‚Zuiderzee‘ und die ‚Ghost‘ sehen sich zum Verwechseln ähnlich. Kannst du herausfinden, welches der beiden Schiffe unsere braunen Freunde wirklich gesehen haben?“
„Ich kann es versuchen, aber viel verspreche ich mir nicht davon. Du kannst ihnen sicher den Unterschied zwischen einer englischen und holländischen Flagge erklären, vorausgesetzt, Ruthland hat eine Flagge geführt.“
„Was ich zu bezweifeln wage“, erklärte sein Bruder und klopfte Mac Pellew auf die Schulter. „Willst du noch mehr einkaufen? Dann sage ihnen, was du noch haben willst.“
Die Verhandlungen gingen weiter. Frische Brotfladen, Schaffleisch, Weintrauben und getrocknete Trauben, große, bräunliche Pilze und ein Sack Erdnüsse wechselten die Besitzer. Immer wieder hielt einer der Ruderer einen Fisch in die Höhe und schilderte vermutlich den unvergleichlichen Geschmack, aber jedesmal führte Mac nachdrückliche, abwehrende Gesten aus.
Ben Brighton, der jede Geste registrierte und versuchte, zu verstehen, was die Zwillinge und die Fischer radebrechten, erfuhr weitere Einzelheiten.
„Hundertzwanzig Leute wohnen in dem Dörfchen“, erklärte Philip. „Es fahren nicht viele fremde Schiffe in diesen Gewässern, aber ein paar haben die Eingeborenen schon kennengelernt. Sie haben auch den Holländer gesehen. Willem van Stolk segelte weit draußen, später als wir, südwärts.“
„Sie verwechseln die Schiffe nicht?“ fragte Ben.
„Das versuchen wir gerade herauszufinden. Wahrscheinlich ist Ruthland wirklich, etwa gleichzeitig, vorbeigesegelt.“
„Merkwürdig. Wir haben weder ihn noch den Niederländer gesehen“, sagte der Erste.
„Ich erzähle nur, was die Fischer uns gesagt haben. Aber ich frage weiter“, entgegnete Philip.
Mac Pellew suchte sich die besten Leckerbissen aus und opferte insgesamt fünf kleine englische Silbermünzen. Beide Handelspartner schienen hoch zufrieden zu sein. Die Fischer sahen ein, daß sie ihre Fische nicht loswurden, sondern selbst braten mußten. Die Zwillinge gestikulierten und fragten weiter, aber sie erfuhren nichts Wichtiges mehr.
Die Eingeborenen schienen so scharfe Augen wie Dan zu haben. Die Schiffe waren in großer Entfernung gesegelt, und niemand hätte sie gesehen, wenn die Auslegerboote nicht so weit draußen gefischt hätten. Nur zwei der Boote, die gestern weitab der Bucht zum Fischen ausgefahren waren, befanden sich jetzt hier, die anderen Männer waren in ihren Häusern.
„Jedenfalls waren es zwei Karavellen“, sagte Philip schließlich. „Einer davon war Ruthland. Wir suchen also im Süden weiter.“
„Alles, was wir wissen“, schränkte sein Bruder ein, „ist, daß wir nicht wieder zurückzusegeln brauchen. Ich versuche, etwas über das Fahrwasser zu erfahren. Wenn sie das überhaupt wissen.“
Der Lärm scheuchte die Hälfte der Crew an Deck. Die wenigen Neuigkeiten wurden weitergegeben. Falls der Wind nicht bald drehte, würden sie wieder kreuzen müssen.
Blacky und Paddy Rogers schleppten zusammen mit Mac die Körbe und Schalen unter Deck.
Hasard rief ihnen nach: „Die Verpackung ist im Preis inbegriffen. Klar?“
„Verstanden“, antwortete Paddy.
Ben Brighton sagte zu Carberry: „In einer Stunde gehen wir ankerauf und suchen weiter. Befehl vom Kapitän, der nur geweckt werden will, wenn es Schwierigkeiten gibt. Klar, Ed?“
„Aye, Sir. Vorher noch Backen und Banken?“
„Selbstverständlich.“
Die Zwillinge winkten den beiden Booten nach, die gewendet hatten und zum Ufer zurückgepullt wurden. Mehr war nicht zu erfahren. Die Schebecke, das hatten die Eingeborenen deutlich zu erkennen gegeben, war ein seltener Gast in der Bucht. Noch nie hatte ein so großes Schiff hier geankert. Vor den hünenhaften Weißen hatten die Inder nicht die geringste Scheu. Es gab nichts mehr zu verkaufen, also stieß ein Boot nach dem anderen von der Bordwand ab.
Zuletzt das große Auslegerboot, mit dessen Mannschaft die Zwillinge sich am längsten „unterhalten“ hatten.
„Gut Wind wünschen sie“, übersetzte Philip.
„Gut Fischfang“, sagte Carberry.
Er blickte der langgezogenen Reihe der Boote nach und sah, daß der Rauch zwischen den Hütten nicht in die Höhe stieg, sondern schräg abtrieb und wie eine Nebelschicht in Höhe der Baumwipfel über den Uferstreifen verteilt wurde. Jetzt roch es auch an Deck nach frischem Tee.
„Frisches Fladenbrot!“ rief Mac Pellew. „Holt euch das Frühstück, Leute!“
Die Segel waren getrimmt, als die Schebecke ihren Bug nach Südosten gedreht hatte und langsam aus der Bucht glitt.
„Und was jetzt, Ben?“ fragte der Profos. „Wieder einen langen Tag in unbekanntem Gewässer suchen?“
Der Erste nickte nachdenklich und rief ein paar Aufmunterungen in Richtung der Deckswache.
„Hasard gibt nicht eher auf, bis er Ruthland gefunden hat. Das wissen wir alle. Schließlich hat uns kaum einer so übel mitgespielt wie dieser Hundesohn.“
„Meinst du, daß Ruthland vor uns flieht? Oder sucht er genauso wie wir, weil er uns haßt, dieser Affenarsch?“ erkundigte sich der Profos.
„Er haßt uns, insbesondere Hasard“, erwiderte Ben Brighton. „Wenn er einen anderen findet, der ihm hilft, wird er sich mit dem zusammentun. Ihm ist jedes Mittel recht. Genau das wird passieren – denk dran, was ich gesagt habe.“
Die Schebecke hatte rasch Fahrt aufgenommen. Die Segel standen gut. Es regnete noch immer, und es sah nicht so aus, als würde sich das in den nächsten Stunden ändern.
Carberry dachte lange darüber nach und meinte schließlich: „Du hast recht, Ben. Je eher wir den Hundesohn finden und ihm unser Stückmeister seine eisernen Grüße schickt, desto besser. Ich hoffe, daß wir genauer treffen als er.“
„Die Arwenacks schließen sich dieser Hoffnung an“, bestätigte der Erste und holte das Spektiv aus der Rocktasche.
Er zog es auseinander und hob es ans Auge. Irgendwie ahnte er, daß die lange und beschwerliche Suche ohne rechtes Glück noch weiterging.
Der Golf von Cambay war groß. Und voller Gefahren …
ENDE

1.
Dichter Nebel lag über der See, die mehr denn je wie flüssiges Blei wirkte. Kaum eine Welle trübte die spiegelglatte, dunkle Fläche.
Der Wind war eingeschlafen. Schlaff und von der Feuchtigkeit des morgendlichen Dunstes glänzend, hing das Tuch von den Rahen. Irgendwo tropfte Wasser auf die Planken, der Laut hallte dumpf durch die Stille, nur hin und wieder von einem gespenstischen Ächzen und Knarren aus der Takelage begleitet.
Die Sonne schimmerte fahl durch den Dunst, der sich zum Nieselregen verdichtete, die Sicht reichte kaum weiter als siebzig Schritt.
Nach dem dritten Doppelschlag der Schiffsglocke erschien der Kapitän an Deck. Er ging seine Runde, und selbst Hagel und Blitzschlag hätten ihn nicht von dieser Gewohnheit abhalten können.
„Keine Vorkommnisse!“ meldeten die Wachen. Wegen des schlechten Wetters hatte Garcia ihre Zahl verdoppelt.
Der Kapitän herrschte einen der Männer auf dem Achterdeck an: „Du kennst Wind und Wolken besser als jeder andere. Wie lange hält die Flaute an?“
„Ich weiß nicht, Señor Capitán“, antwortete Julián Carmona, der aussah, als habe er die Schwindsucht. Seine von Bartstoppeln übersäte lederartige Haut spannte sich straff über die kantig hervortretenden Wangenknochen. Carmona hatte nie den Ehrgeiz gehabt, mehr als nur Decksmann zu sein.
Ungeduldig klopfte Garcia mit dem Degen gegen seine Stiefel.
„Wir setzen die Boote aus!“ befahl er. „Die ‚Aguila‘ wird in Schlepp genommen.“
„Si, Capitán.“
„Ich erwarte, daß die ‚Aguila‘ in spätestens einer halben Stunde wieder Fahrt läuft. Die Männer sollen pullen, bis sie umfallen.“
„Natürlich, Capitán.“
César Garcia verharrte an der Steuerbordverschanzung. Vergeblich versuchte er, die träge dahintreibenden Nebelschwaden mit seinen Blicken zu durchdringen. Nur wenige Meilen querab erhob sich eine der schönsten Inseln dieses Gebietes. Der schneebedeckte Gipfel des erloschenen Vulkans war bei besserem Wetter weithin zu sehen.
Endlich wurden Stimmen laut, und Männer erschienen auf der Kuhl, um die Boote abzufieren. Garcia haßte die Ruhe an Bord ärger als die Pest, er brauchte stets Bewegung um sich her. Schließlich war die „Aguila“ ein Kriegsschiff Seiner Majestät Philipp III. von Spanien und keine Handelsgaleone, auf der jeder Schlendrian durchging.
Obwohl die Decksleute schnell und präzise arbeiteten, war Garcia überzeugt, daß sie noch nicht ihr Letztes gaben. Er winkte den ersten Offizier zu sich heran.
Juarez Molina, knapp sechs Fuß groß, überragte ihn um Haupteslänge. Sein Stoppelhaarschnitt ließ ihn energisch erscheinen, was sicher keine Fehleinschätzung bedeutete. Als Folge einer Auseinandersetzung mit Negersklaven war seine linke Hand steif, er konnte die Finger nur noch bewegen, wenn er die Rechte zu Hilfe nahm.
„Capitán?“ fragte Molina.
Garcia deutete mit dem Degen zur Kuhl.
„Das geht zu langsam“, sagte er. „Falls uns der englische Bastard entwischt, lasse ich jeden Mann auspeitschen.“
Molinas Haltung versteifte sich. Er nickte knapp und stieg zur Kuhl hinunter. Augenblicke später enterten acht kräftige Kerle in die erste Jolle ab, kaum daß sie ins Wasser abgefiert worden war. Das zweite Boot folgte an Backbord. Die Männer pullten, als gelte es, ihr Leben zu retten.
Die Flaute hielt an. Garcia murmelte eine Reihe wüster Verwünschungen, während sein Blick über die schlaffen Segel wanderte.
Paktierte der Seewolf wirklich mit dem Teufel, wie mancherorts behauptet wurde? Die plötzliche und anhaltende Windstille war ein guter Nährboden für solche Überlegungen.
César Garcia ballte die Hände zu Fäusten, bis die Nägel schmerzhaft ins Fleisch einschnitten.
„Philip Hasard Killigrew“, er sprach den Namen voll Verachtung aus, „nichts wird dir mehr nutzen!“
Mühsam hatte der Capitán alle Informationen zusammengetragen, deren er habhaft werden konnte. Er hatte mit dem gemeinen Volk auf den Inseln gesprochen, mit Fischern, Soldaten und Kauffahrern, und ihre Aussagen füllten einige Dutzend Seiten des Logbuchs. Aber je mehr aufgeschrieben worden war, desto deutlicher traten Irrtümer und falsche Behauptungen hervor. Durchaus glaubwürdige Zeugen behaupteten, Killigrew zur selben Stunde an verschiedenen Orten gesehen zu haben, die Dutzende von Seemeilen voneinander entfernt lagen.
„Und wenn er selbst ein Teufel wäre, ich bringe ihn nach Spanien!“ Wütend stieß César Garcia den Degen in die Scheide zurück.
Die „Aguila“ hatte langsame Fahrt aufgenommen. Von den Jollen gezogen, lief sie wieder Kurs Westsüdwest, parallel zur Küste.
Angeblich diente eine versteckte Bucht den Piraten als Unterschlupf. Sie lag nur noch zwei Seemeilen voraus – eine geradezu lächerliche Entfernung. Garcia kannte inzwischen jeden Strich auf der Karte auswendig, die er vor drei Tagen von einem Kaufmann auf Lanzarote erhalten hatte.
Das heißt, der Kerl hatte sie erst herausgerückt, als Garcias Degen seinem Lebensnerv schon bedrohlich nahe gewesen war. Der Kapitän hatte ihn dennoch nicht geschont, denn ein Spanier, der mit dem Seewolf, paktierte und seine Beute verhökerte, verdiente keine Gnade.
Sieben Glasen.
Der Nebel hielt an und schien lediglich in östlicher Richtung ein wenig aufzureißen. Die Sonne verbreitete einen trüben rötlichen Schein.
„Bootsmann!“ brüllte Garcia. „Lassen Sie die Schlagzahl erhöhen! Ich dulde keine Lahmärsche auf meinem Schiff.“
Der Bootsmann gab den Befehl weiter. Er brüllte noch lauter als der Kapitän.
In den Jollen sagte einer, der Capitán könne ihn kreuzweise. Aber das hörte niemand an Deck. Danach pullten die Männer, als säße ihnen der Leibhaftige im Nacken.
Ein dumpfes Grollen hallte durch den Nebel. Im einen Moment schien es anzuschwellen, im nächsten ebbte es schon wieder ab.
Angespannt lauschte der Kapitän. Zweifellos feuerten in einiger Entfernung Schiffsgeschütze.
César Garcias Hände verkrampften sich um den Handlauf der Balustrade. Er wußte, daß er den Seewolf endlich aufgespürt hatte.
„Capitán …“ Der Erste hastete den Niedergang hinauf.
Garcia winkte heftig ab. Wieder rollte ferner Geschützdonner heran, und diesmal war er deutlicher zu vernehmen.
„Beruhigen Sie sich, Mann!“ herrschte der Kapitän seinen Ersten Offizier an. „Oder gibt es einen triftigen Grund, die Disziplin zu vernachlässigen?“
Juarez Molina nahm Haltung an.
„Nein, Capitán.“
Garcia nickte zufrieden. Vorübergehend taxierte sein Blick den Ersten.
„Ihre Uniform sitzt schlecht“, sagte er tadelnd. „Bringen Sie das in Ordnung, und dann befehlen Sie Gefechtsbereitschaft!“
Wenig später nahmen die Soldaten auf der Kuhl Aufstellung. Ihre Helme und Brustpanzer glänzten wie frisch poliert, jedoch verwischte die Nebelnässe diesen Eindruck schnell. Auf den Brustpanzern war der Schiffsname eingraviert.