Seewölfe Paket 34

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„Die Geschütze klarieren!“ befahl Garcia. Er würde alles daransetzen, el Lobo del Mar, den Seewolf, zur Strecke zu bringen.
„Wind!“ hallte in dem Moment ein freudiger Aufschrei über Deck.
Die bis eben noch schlaff hängenden Segel begannen zu schlagen. Aber die Brise reichte nicht, um das Tuch wirklich zu füllen. Es blieb bei einem kurzen Zwischenspiel.
Die fernen Geschütze verstummten. Da der Nebel alle Geräusche verzerrte, war es ohnehin unmöglich gewesen, die genaue Richtung zu bestimmen.
César Garcia begann eine unruhige Wanderung wie ein gefangenes Tier im Käfig. Seine Haltung erinnerte an eine sprungbereite Raubkatze.
„Culverinen auf dem Batteriedeck klar zum Ausrennen! Kanonen und Drehbassen auf den Oberdecks feuerbereit!“ meldeten endlich die Stückmeister.
Der Kapitän starrte wortlos in den Nebel, als könne er die wogenden Schwaden allein durch die Kraft seines Geistes vertreiben. Ein harter Zug lag um seine Mundwinkel.
Wie lange er dastand und die unbewegte Wasserfläche fixierte, vermochte er später nicht zu sagen. Er schreckte erst auf, als ein Ruf aus dem Großmars erklang.
„Der Nebel weicht zurück!“
An Deck war davon noch nichts zu merken, die Suppe war so dicht wie zuvor. Aber dann fegte eine steife Brise aus Süd heran und wirbelte den Dunst durcheinander.
Die Segel killten, bis sie endlich dichtgeholt wurden. Die „Aguila“ nahm Fahrt auf, und diesmal hielt der Wind an. Ausgeprägte Wellen entstanden, vereinzelt wirbelte sogar Gischt über das Schanzkleid.
„Die Boote einholen!“ befahl Garcia. „Wir dürfen keine Zeit verlieren.“
Der Erste gab den Befehl weiter. Eine der Jollen ging da schon längsseits. Decksleute hatten die Schlepptaue losgeworfen und schlugen die Blöcke an.
Unter Vollzeug durchpflügte die „Aguila“ danach die aufgewühlte See und die letzten verwehenden Dunstschleier. Majestätisch tauchte der Bug des Viermasters in die Wogen ein.
Die mittlerweile hoch stehende Sonne überschüttete das Meer mit einem seltsam hellen, gleißenden Schein. César Garcia erkannte, daß die Wetterbesserung bestenfalls einige Stunden anhalten würde. Anschließend waren Sturm und Regen angesagt.
An Steuerbord zeichnete sich die Küstenlinie ab. Üppige Vegetation, aber auch nackte, schroffe Felsen bestimmten das Bild. Das nächste Fischerdorf lag weit entfernt.
„Rauchschwaden voraus!“ erklang es aus dem Großmars. „Ungefähr zwei Meilen.“
Vergeblich blickte Garcia in die angegebene Richtung. Sogar das Spektiv erwies sich als wenig hilfreich, denn die grellen Sonnenreflexe blendeten. Offenbar hatte der Ausguck den besseren Blickwinkel.
„Zwei Schiffe! Eins brennt …“
… und das andere gehört Killigrew! fügte der Capitán in Gedanken hinzu.
„Lange genug haben wir auf diesen Augenblick gewartet.“ Juarez Molina trat neben Garcia an die Balustrade. „Spanien wird uns ehren, wenn wir den Bastard besiegen.“
„Wenn?“ wiederholte der Kapitän ungläubig. „Zweifeln Sie etwa daran?“
„Natürlich nicht, Capitán.“ Die Antwort erfolgte eine Spur zu schnell und offenbarte Molinas wachsende Erregung.
Endlich wurden auch von Deck aus Einzelheiten erkennbar.
Zwei Schiffe lagen nebeneinander. Das eine war eine kleine, dickbauchige Karavelle, zweifellos ein Kauffahrer. Von seiner Back stieg dunkler, schwerer Qualm auf, der darauf schließen ließ, daß es der Mannschaft gelungen war, den Brandherd einzudämmen.
Bei dem anderen Schiff handelte es sich um eine dreimastige Galeone. César Garcia spürte Enttäuschung. Nach allem, was über den Seewolf gemunkelt wurde, hatte er ein besonderes Schiff erwartet: schnell, wuchtig und mit riesiger Segelfläche. Aber das einzige, was die Galeone auszeichnete, war das fast schwarze Tuch an den Rahen.
„Die haben uns noch nicht gesehen“, sagte Molina.
„Oder sie glauben, uns ignorieren zu können“, erwiderte der Kapitän.
Die „Aguila“ segelte hart am Wind. César Garcias Taktik war klar und den Umständen angemessen. Er suchte ein Passiergefecht und würde demzufolge erst dicht vor dem Gegner den Befehl zum Abfallen geben, ihn mit einer vollen Backbordbreitseite eindecken und nach einer anschließenden Halse die Geschütze an Steuerbord sprechen lassen.
„Klarschiff zum Gefecht!“
Die letzten Sandeimer wurden ausgeleert und mit Seewasser zum Abkühlen der Geschütze gefüllt. Zwischen jeweils zwei Kanonen stand ein Becken voll glühender Holzkohlen, die Luntenstöcke lagen griffbereit. Im Schweiße ihres Angesichts schleppten die Schiffsjungen Kugeln und Pulverfässer an Deck.
Noch eine halbe Meile.
Der Kapitän schob das Spektiv zusammen und steckte es unter sein Hemd. Was es zu sehen gab, konnte er mittlerweile mit bloßem Auge erkennen. Auf dem Piratenschiff entfalteten sich die ersten der im Gei hängenden Segel.
„Er versucht zu fliehen“, sagte Molina ungläubig.
„Killigrew will Zeit gewinnen“, widersprach Garcia. „Nur unter Segeln kann er seine bessere Manövrierfähigkeit ausnutzen. Anderenfalls ist er uns unterlegen.“
Wie ein Racheengel hielt die „Aguila“ auf die Galeone mit den schwarzen Segeln zu.
César Garcia stemmte sich gegen die Balustrade, die ihm fast bis zur Brust reichte.
„Sobald wir in, Reichweite sind, ohne Befehl feuern!“ rief er.
„Si, Capitán!“ hallte es mehrstimmig über Deck.
Die Geschütze wurden gemeinsam ausgerannt. Der Kapitän duldete keine Unregelmäßigkeit und ließ solche Manöver üben, bis sie jedem an Bord in Fleisch und Blut übergingen.
Inzwischen lösten sich die Piraten von ihrer Beute. Mit erstaunlicher Schnelligkeit drehte die Galeone, bis der Wind achterlich einfiel. Der englische Bastard gewann eine Position, in der er sich durch schnelles Anluven einer Breitseite des Angreifers entziehen konnte und ihm nur das schmale Heck darbot. Ob er allerdings in der Lage war, höher an den Wind zu gehen, mußte sich erst herausstellen.
Noch war die „Aguila“ nicht bis auf Kernschußweite für die Culverinen heran, die bei rund 270 Schritten lag, als sich die Backbordgeschütze des Piraten in einer wahren Feuerorgie entluden. Das Donnern der Pulverexplosionen vermischte sich mit einem anhaltenden Splittern, Krachen und Bersten, als auf der Karavelle Masten und Spieren stürzten und an Deck unübersehbare Schäden anrichteten.
Weitere Geschosse hämmerten aus allernächster Nähe in den Rumpf. Planken und Balken wurden zerfetzt und durch die Luft gewirbelt. Innerhalb von Augenblicken klaffte die Flanke der Karavelle vom Bug bis zum Heck auf, und die See ergoß sich schäumend in die Lecks.
César Garcia ballte die Hände zu Fäusten. Er, dem ein Menschenleben wenig bedeutete, reagierte betroffen. Die Piraten mordeten und vernichteten blindwütig. Hofften sie, die Verfolger würden sich dadurch aufhalten lassen, daß sie nach Überlebenden der sinkenden Karavelle suchten?
Ein lauter werdendes Ächzen und Knarren hallte über die See. Der Kauffahrer hatte schwere Schlagseite. Einige Überlebende, die sich an den Maststümpfen festgeklammert hatten, klatschten ins Wasser. Ihre Schreie waren bis zur „Aguila“ zu vernehmen.
„Das war unnötig“, sagte Juarez Molina neben dem Kapitän. „Die Engländer sind Bestien, jeder von ihnen verdient den Strick.“
Die Karavelle bäumte sich auf, ruckartig sackte das Heck ab, während der Bug aus dem Wasser stieg. Für eine Weile verharrte sie so, dem unvermeidlichen Ende trotzend, dann setzte eine schneller werdende Drehbewegung ein, ein Sog, der das Schiff und alles in seiner Nähe unerbittlich in die Tiefe zog.
Die Männer auf der „Aguila“ hielten den Atem an. Augenblicke später waren nur noch die Toppen und aufschwimmende Segelfetzen zu sehen. Bevor sich das Meer wieder glättete, kehrte die Stille zurück.
„Kurs halten!“ befahl der Kapitän.
Knapp 400 Schritte hinter dem Piratenschiff zog die „Aguila“ vorbei. Ein erwartungsvoller Zug hatte sich um Garcias Mundwinkel eingegraben. Er dachte nicht daran, nach eventuellen Überlebenden Ausschau zu halten – dafür war später Zeit, sobald er Killigrew zur Strecke gebracht hatte. Außerdem lag die Küste verhältnismäßig nahe. Und was zählen schon ein oder zwei Menschenleben, wenn es darum ging, weitere Schiffsbesatzungen vor einem ähnlichen Schicksal zu bewahren?
Garcias Entscheidung, Höhe zu gewinnen, nahm den Piraten die Möglichkeit, anzuluven. Wenn sie fliehen wollten, blieb ihnen nur die Wahl, vor den Wind zu gehen, und auf einem solchen Kurs war das spanische Kriegsschiff überlegen.
„Wieviel Zeit brauchen die Bastarde, um ihre Geschütze nachzuladen?“ fragte der Kapitän.
Molina zuckte mit den Schultern.
„Ich weiß nicht“, sagte er. „Mit unseren Leuten können sie sich bestimmt nicht messen.“
Mittlerweile segelte die „Aguila“ gut dreihundert Schritte südlicher als die Piraten.
„Abfallen!“ befahl Garcia.
Die Schoten wurden gefiert. Mit vollen Segeln schwenkte der Viermaster herum.
„Setzt die Blinde!“
Die Distanz zu den Verfolgern schrumpfte sichtlich. Juarez Molina folgte dem Kapitän an die Steuerbordverschanzung. Garcia warf einen flüchtigen Blick durch sein Spektiv und reichte es an den Ersten weiter.
„Killigrew hat zu wenig Leute“, sagte er spöttisch. „Sie sind jetzt noch dabei, die Geschütze auszuwischen und neue Ladungen zu setzen.“ Er hob die rechte Hand und rieb Daumen und Zeigefinger aneinander. „Wie eine Laus werde ich den Bastard zerquetschen.“
Die Galeone mit den schwarzen Segeln wechselte auf den anderen Bug. Der Engländer wollte Zeit gewinnen, bis seine halbe Batterie an Backbord wieder klar war. Erst ein einziges Rohr ragte unmittelbar über der Wasserlinie aus der Pforte. Ein zweites Geschütz wurde soeben ausgerannt.
„Lächerlich“, schnaubte Garcia. „Auf die Weise lasse ich mich nicht in die Leeposition drängen.“
Die „Aguila“ verwandelte sich in eine Tod und Verderben speiende Festung. Nacheinander entluden sich die zwölf Culverinen unter Deck und die vier Kanonen auf der Kuhl. Die unmittelbar aufeinanderfolgenden Detonationen wurden zu einem einzigen ohrenbetäubenden Donnerschlag. Das Schiff ächzte und stöhnte in seinen Verbänden und krängte weit nach Backbord. Pulverdampf verschleierte die Sicht.
„Ruder hart Steuerbord!“
Die Segel schlugen und flappten, weil sie nicht schnell genug herumgeholt werden konnten. Aber innerhalb kürzester Zeit stand das Tuch wieder so prall wie zuvor.
Noch wurde das Feuer nicht erwidert.
„Auf was wartet der Kerl?“ blaffte Garcia. „Bis wir nahe genug heran sind?“
„Vermutlich“, sagte Molina.
Wie viele Treffer die Galeone abgekriegt hatte, ließ sich nicht feststellen. Die Großrah war zersplittert, das Segel hing halb außenbords, und einige Männer schickten sich an, das Gewirr aus Tuch und Tauen zu kappen.
Ohne Großsegel hatte Killigrew keine Chance mehr, den Verfolgern davonzulaufen.
Garcia triumphierte.
„Backbordbatterie klar zum Feuern! Haltet auf die Geschützpforten!“
Die „Aguila“ bereitete ihrem Namen alle Ehre. Sie erinnerte tatsächlich an einen Adler, der schnell und zielstrebig sein Opfer angriff.
César Garcia kaute auf seiner Unterlippe – ein deutliches Zeichen seiner inneren Erregung. Aufmerksam blickte er zu der Galeone hinüber. Die Engländer lauerten ebenso wie seine Leute auf den günstigsten Moment.
„Capitán …?“ fragte der Erste Offizier.
Garcia hielt ihn mit einer knappen Handbewegung hin. Die Anspannung wurde fast körperlich spürbar. Niemand sagte ein Wort. Das Raunen des Windes in der Takelage und das Stampfen des Schiffes blieben die einzigen Geräusche.
Noch zweihundert Schritte Distanz.
Einhundertfünfzig.
César Garcia nickte knapp, Molina winkte befehlend zur Kuhl, und der Bootsmann gab den Feuerbefehl.
Die „Aguila“ schien auseinanderbrechen zu wollen, so heftig war die erneute Breitseite. Weit holte der Viermaster über, als ein Feuerball in Lee entlangzuckte. Das Dröhnen der Explosionen vermischte sich mit dem Splittern und Bersten der Einschläge und dem Abschuß der gegnerischen Kanonen zu einem schier ohrenbetäubenden Inferno, in dem menschliche Stimmen bedeutungslos wurden.
Kein halbwegs erfahrener Stückmeister konnte auf die geringe Entfernung danebenschießen.
Fast auf der Höhe des Großmastes zerspellte das Schanzkleid der „Aguila“. Die herumwirbelnden Splitter trafen einige Decksleute, die schreiend zu Boden gingen. Das Geschoß fegte über die Kuhl und hinterließ sogar noch an Steuerbord ein beachtliches Loch.
Die Blinde wurde zusammen mit dem größten Teil des Bugspriets regelrecht abrasiert. Weitere Einschläge erfolgten auf dem Viermaster jedoch nicht.
„Die Geschütze neu laden! Geit auf das Großsegel!“
Garcia durfte es sich erlauben, Segelfläche wegzunehmen. Abgesehen davon, daß die „Aguila“ danach immer noch schnell genug war, hatte die Breitseite auf dem Piratenschiff eine unübersehbare Spur der Verwüstung hinterlassen. Ausgezackte, geschwärzte Löcher gähnten an der Stelle von drei Stückpforten, in zwei anderen hatten sich die Geschütze verkeilt.
„Klar zum Entern!“
In spitzem Winkel lief die „Aguila“ auf die Galeone zu. Die Drehbassen auf Back und Achterdeck jagten ihre tödlichen Geschosse zwischen die Piraten. Bei knapp fünfzig Schritten Distanz sprachen noch einmal die Culverinen des Batteriedecks.
Ihre Wirkung war verheerend, die Galeone wurde abgetakelt und endgültig zum Wrack geschossen. An Bord entstand heillose Verwirrung, als die Segelfetzen wie Leichentücher niedersanken und sich stehendes und laufendes Gut zu einem unentwirrbaren Durcheinander verknoteten.
„Ich will den Seewolf lebend!“ brüllte César Garcia aus Leibeskräften, als die erste Reihe seiner Soldaten die Musketen abfeuerten und die zweite Reihe ans Schanzkleid trat.
Krachend schrammten die Schiffsrümpfe aneinander. Auf der kleineren Galeone brachen Rüsten und Berghölzer.
Der Kampf Mann gegen Mann, mit unbarmherziger Härte geführt, begann. Mit Schiffshauern, Degen und Äxten drangen Soldaten und Piraten aufeinander ein, wobei die Spanier von vornherein in der Überzahl waren.
Musketen und Arkebusen waren in dem Getümmel noch als Schlagwaffen zu gebrauchen, und einzig Pistolenschüsse krachten hin und wieder. Aber keiner der Schützen fand Gelegenheit zum Nachladen.
César Garcia und Juarez Molina verfolgten das Gemetzel vom Achterdeck des Viermasters aus. Auf der Piratengaleone wurde es eng. Die Soldaten drangen unnachgiebig auf die Engländer ein, ihre Helme und die leichten Panzer verliehen ihnen einen nicht zu unterschätzenden Vorteil. Immer öfter mischten sich die Schreie Verwundeter in das Klirren der Blankwaffen.
Urplötzlich riß Molina seine Pistole aus dem Gürtel, spannte in derselben fließenden Bewegung den Hahn und drückte ab. Ein Engländer, der sich hinter dem Capitán über die Brüstung schwingen wollte, warf die Arme in die Höhe und kippte zurück. Sein Cutlass klirrte an Deck.
Mehrere Piraten versuchten, den Spaniern auf dem Umweg über die „Aguila“ in den Rücken zu fallen. Enterhaken verfingen sich in der Takelage, verwegene Kerle schwangen sich auf das Kriegsschiff.
Garcia zog ebenfalls seine Pistole und schoß. Die Kugel ließ einen weiteren Gegner in die Tiefe stürzen.
Aber dann waren zwei Engländer heran. Mit Cutlassen drangen sie auf den Capitán und seinen Ersten Offizier ein. Molina entging der gegen ihn geführten Klinge nur durch einen blitzschnellen Sprung zur Seite. Als der Pirat ins Leere stürmte, setzte er nach und bedrängte ihn mit wuchtigen Degenhieben.
Garcia hatte weniger Glück. Sein Degen brach bei der ersten Parade. Fluchend schleuderte er dem Angreifer den Rest der Klinge entgegen, aber der Engländer, ein hochgewachsener, breitschultriger Bursche, lachte nur.
Sein Entermesser zuckte vor, verfehlte den Capitán jedoch, weil er sich überraschend herumwarf. Der nächste Hieb riß Splitter aus der Verschanzung, doch da hatte Garcia schon den auf den Planken liegenden Cutlass an sich gebracht. Der Kapitän führte die breite Klinge mit beiden Händen und legte seinen ganzen Haß in die Hiebe.
Sein Gegner verstand sich aufs Kämpfen und war gewiß kein einfacher Seemann. Garcia begann zu begreifen, daß er dem Seewolf gegenüberstand – die Beschreibungen, die er über diesen Mann erhalten hatte, stimmten ziemlich genau.
„Bastard!“ stieß er auf englisch hervor. „Hurensohn! Diesmal geht es dir an den Kragen.“
2.
Achteinhalb Monate später und mehr als elftausend Seemeilen von den Kanaren entfernt.
Die Schebecke des Seewolfs kämpfte gegen eine stürmische See, sintflutartige Regenfälle und widrige Monsunwinde an. Selbst die Männer der Freiwache konnten nur davon träumen, in ihren Kojen zu liegen und die vermeintliche Ruhe unter Deck zu genießen.
Eine dampfende Schwüle herrschte. Die Luft war von Feuchtigkeit gesättigt, überall schlug sich die Nässe nieder. Vor allem an den eisernen Beschlägen, zeitweise aber auch an den Planken, kondensierte das Wasser.
Gleich nach dem Ankerlichten winkte Al Conroy die Zwillinge zu sich, die noch den eingeborenen Händlern nachblickten. Von unguten Ahnungen geplagt, forderte der Stückmeister beide auf, ihm bei den Geschützen zu helfen.
Die Culverinen waren seit dem Beginn der Suche nach der „Ghost“ geladen und feuerbereit. Vom Füllen der Zündlöcher abgesehen, mußten lediglich die wasserdichten Planen abgenommen und die Rohre ausgerannt werden. Die Persennings schützten zwar vor dem Regen, der zeitweise wie ein dichter Vorhang niederprasselte, aber nicht vor der unangenehmen Nässe, die durch alle Ritzen kroch.
Al Conroy löste die Plane der nächstbesten Culverine. Die Zwillinge sollten das schwere Tuch so anheben, daß er bequem darunter hantieren konnte und genügend Helligkeit hatte, die Kanone aber trotzdem im Trockenen blieb.
„Culverine müßte man sein“, sagte Philip junior seufzend, als ihm ein Schwall Wasser in den Nacken schoß.
„Was hast du gesagt?“ fragte der Stückmeister, der unter der Persenning offenbar wenig verstand.
Hasard junior grinste spöttisch. „Vergiß deinen Ärger!“ forderte er seinen Bruder auf. „Für Al sind die Geschütze wie seine eigenen Kinder.“
Der Stückmeister hantierte bereits im Lauf der Culverine. Als er flüchtig aufsah, hielten sich in seinem Gesicht Überraschung und Erbitterung die Waage.
„Was gibt es zu meckern?“ fragte er.
„Nichts“, sagte Hasard. „Absolut gar nichts.“
Die Zwillinge achteten nicht darauf, daß sich in einigen Vertiefungen der Persenning Wasser sammelte.
„Zieht die Plane gefälligst straff!“ schimpfte Al. „Oder glaubt ihr, ich will den Guß im Rohr haben? Da drin hat sich ohnehin zuviel Feuchtigkeit niedergeschlagen.“
Schimpfend hantierte er mit dem Zieher, dessen spiralförmig gebogenes Ende üblicherweise dazu diente, die verbrannten Teile der Kartusche aus dem Rohr zu holen. Jetzt brachte der Stückmeister damit allerdings die aufgeweichten Teile der Dämmung zum Vorschein. Der Wergpfropfen war klitschnaß zum Auswinden.
„Eine schöne Bescherung. Unter diesen Umständen dürfen wir uns auf kein Gefecht einlassen.“
„Ich höre immer Gefecht“, sagte Philip spitz. „Weit und breit ist nichts von dem Halunken Ruthland und seiner Karavelle zu sehen.“
„Außerdem hat er wohl mit den gleichen Schwierigkeiten zu kämpfen“, sagte Hasard.
Al Conroy hörte nicht zu. Schimpfend und fluchend mühte er sich ab, die Kugel aus dem Rohr zu holen. Das siebzehneinhalb Pfund schwere Geschoß krachte zwischen seinen Füßen auf die Planken und rollte polternd davon, der Krängung des Schiffes folgend.
Der Wergpfropfen hatte zwar die meiste Nässe aufgesogen, trotzdem war auch die Kartusche zäh. Al wog das Leinwandsäckchen abschätzend in Händen.
„Ein verdammter Mist ist das. Wenn das Pulver ebenso klamm ist, brennt es bestenfalls mit einer Stichflamme ab, und die Kugel fliegt dann vielleicht zehn Yards weit. Genausogut könnten wir uns gegenseitig mit Schlick bewerfen.“
Der Vergleich hinkte gewaltig. Die Zwillinge mußten sich ein Lachen verbeißen. Aber schließlich trug der Stückmeister für Waffen und Armierung die Verantwortung, und sein Ärger war verständlich.
„Wir müssen jede Culverine entladen und die Rohre trocknen“, sagte er. „Neue Ladungen setzen dürfen wir erst, wenn das Wetter umschlägt.“
„Glaubst du daran?“ fragte Philip ahnungsvoll.
Sein Zwillingsbruder zuckte mit den Schultern. Die Bewegung genügte, einen weiteren Schwall Wasser aus der Persenning überschwappen zu lassen. Al Conroy geriet sozusagen vom Regen in die Traufe, als der warme Guß über ihm zusammenschlug. Aber er war ohnehin längst bis auf die Haut durchnäßt.
„Holt Werg und Tücher! Wäre doch gelacht, wenn wir die Artillerie nicht trocknen könnten.“
„Aye, Sir!“ Die Zwillinge beeilten sich, unter Deck zu gelangen. Sogar über die Stufen des Niedergangs rann das Wasser. Die Luken waren inzwischen von der Freiwache verschalkt worden.
Das Werg lagerte neben der Pulverkammer. Ein Teil war lose angehäuft, der Rest noch in Säcken verpackt.
„Ich kann mir nicht helfen“, sagte Hasard, „aber das Zeug fühlt sich ebenfalls klamm an.“
„Du triefst vor Nässe, Bruderherz“, erwiderte Philip. „Das wird es sein.“
„Lästermaul! Da, sieh dir die Türbeschläge an!“
Philip folgte dem Blick des Bruders. Tatsächlich waren die Eisenbeschläge feucht, das wurde jedoch erst richtig deutlich, als er mit den Fingern darüberwischte.
„Eine schöne Bescherung. Falls das Regenwetter anhält, wachsen uns in einigen Tagen Schwimmhäute.“
Hasard junior antwortete nicht. Er nahm die Tranfunzel vom Haken und stellte sie vor die dicke Glasscheibe, die in die Wand zur Pulverkammer eingelassen war. Mit der Lampe den Nebenraum zu betreten, wäre zu gefährlich gewesen.
Der fahle, flackernde Lichtschein reichte aus, ihn die Situation erkennen zu lassen. Die Eisenkugeln glänzten feucht, in winzigen Tropfen rann das Wasser an ihnen entlang und sammelte sich auf dem Boden.
Das Pulver in den Fässern war einigermaßen gut vor der Feuchtigkeit geschützt, aber die Leinenkartuschen waren zäh.
„Das darf doch nicht wahr sein.“ Philip junior stöhnte unterdrückt und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. „Einen solchen Mist habe ich noch nicht erlebt. Wenn Al das sieht, gibt es ein Riesendonnerwetter.“
„Wir müssen für bessere Durchlüftung sorgen.“
„Und noch mehr feuchte Luft nach unten lassen? Ich bin froh, daß die Luken inzwischen verschalkt sind.“
„Dann gibt es nur eins: Der Kutscher soll eine Extraration Rum austeilen. Wir brauchen leere Buddeln, damit Ferris Höllenflaschen basteln kann.“
„Woher nimmt er das trockene Pulver?“
„Aus den Fässern.“ Hasard junior versuchte ein zuversichtliches Grinsen, was ihm aber nur leidlich gelang. „Für ein Fläschchen braucht er immerhin nicht die zwölf Pfund wie für eine Culverine. Und versuche mal, bei dem anhaltenden Wolkenbruch Pulver aus einem Faß trocken ins Rohr zu schaufeln.“
Bis weit in den Nachmittag hinein schüttete es wie aus Kübeln. Der Wind sprang mehrfach um, und allmählich breitete sich an Bord der Schebecke eine Art Weltuntergangsstimmung aus. Die schlechte Sicht und der hohe Seegang allein wären noch zu ertragen gewesen, aber die schwülwarme Nässe zehrte an den Nerven.
Ein einziges Mal schien die dichte, tiefhängende Wolkendecke aufzureißen. Vorübergehend wurde ein Stück strahlend blauen Himmels sichtbar und huschten irrlichternde Strahlenfinger über die aufgewühlte, von Gischt gekrönte See, aber dann schob sich erneut die dräuende Schwärze vor die Sonne und breitete Düsternis aus.
Das Stück Küste, das an Backbord kurz zu erkennen gewesen war, versank wieder im Dunst.
Eine Positionsbestimmung war unmöglich, auch die Karten waren nutzlos. Die Schebecke segelte irgendwo im Golf von Cambay nach Süden – wahrscheinlich noch nördlich des Tapti, denn dessen Mündungsgebiet hatte bislang niemand bemerkt. Wegen den enormen Schlammassen, die der Fluß derzeit mit sich führte, mußte die Verfärbung des Wassers selbst Meilen vor der Küste gut zu erkennen sein.
Irgendwo in der Nähe segelte die „Ghost“, das hatten zumindest die Aussagen der einheimischen Fischer und Händler ergeben. Die Karavelle lag ebenfalls auf Südkurs.